Hypnose in der Medizin ist wirksam - Die MEG

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Hypnose in der Medizin ist wirksam - Die MEG
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Hypnose in der Medizin ist wirksam
Evidenz und Effizienz
Jochen Hefner
Einleitung
Fortschritte in Medizintechnik und Pharmakotherapie stellen heute mannigfaltige
Therapiemöglichkeiten bereit, die vor wenigen Jahren noch undenkbar schienen
(Bundesverband Medizintechnologie e.V. 2009). Allein bis 2013 werden wohl Medikamente gegen 130 Krankheiten auf den Markt kommen, schätzt die deutsche Pharmaindustrie (Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. 2009). Gesundheitspolitisch und –ökonomisch werden dabei zunehmend Standards und Leitlinien ärztlichen
Handelns auf Basis empirischer Belege gefordert (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen und Medizinischen Fachgesellschaften 2009). Technische Produkte bzw.
technisch unterstützte Eingriffe oder Medikamente sind hierbei in ihrer Wirksamkeit
gut überprüfbar.
Wie passt die klinische Hypnose in dieses Bild? Deren Wurzeln reichen weit in die
Zeit früher Hochkulturen hinein (Bongartz & Bongartz 2000, Revenstorf 2006), die
Wirkmechanismen sind erst ansatzweise verstanden (Oakley et al. 2009) und die
Ergebnisse zur Wirksamkeit werden aufgrund methodischer Überlegungen sehr kritisch hinterfragt (Gholamrezaei & Emami 2008). Dieser Artikel wird vom Autor als
Versuch verstanden, die klinische Hypnose im Kontext der heutigen High-End Medizin zu verorten. Hierbei sollen Anwendungen in der psychosomatischen, der somatischen und der Suchtmedizin betrachtet werden.
Hypnotherapie bei psychosomatischen Störungen
Reizdarmsyndrom (RDS)
Am Beispiel des Reizdarmsyndroms ist die Wirksamkeit der Hypnose mit am besten
untersucht. Bisherige medikamentöse oder diätetische Therapien des ReizdarmsynHypnose-ZHH, 5 (1+2), Oktober 2010
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Hypnose-ZHH
2010, 5(1+2), 217-235
Jochen Hefner, Universitätsklinik Tübingen
Hypnose in der Medizin ist wirksam - Evidenz und Effizienz
Inhaltlicher Umfang: Im folgenden Beitrag sollen Studienergebnisse zur Anwendung der
Hypnose in der modernen Medizin reflektiert und die Frage erörtert werden, welchen Beitrag
diese prinzipiell sehr alte Heilmethode im Kontext der heutigen High-End Medizin leisten
kann. Zeitrahmen der Veröffentlichungen: Die Übersicht bezieht sich im Wesentlichen auf
Arbeiten der letzten 20 Jahre. Herkunft und Art der Veröffentlichungen: Als Quellen fungierten deutsch- und englischsprachige Originalarbeiten, Fachbücher, elektronische Datenbanken sowie (elektronische) Veröffentlichungen von Fachgesellschaften aus der psychosomatischen, der somatischen und der Suchtmedizin. Ergebnisse: Die Ergebnisse sprechen eindeutig dafür, dass die Hypnose bei bestimmten Indikationen therapeutisch wirksam ist. Zudem
können modernste medizinische Verfahren wie invasive diagnostische Eingriffe, Operationen,
Stammzelltransplantationen oder in-vitro Fertilisationen durch deren Einsatz sinnvoll ergänzt
und ökonomischer gestaltet werden. Diskurs der Ergebnisse: Zahlreiche Arbeiten bestätigen
die Wirksamkeit und die Effizienz der Hypnose bei medizinischen Fragestellungen. Leider hat
selbst die Anerkennung der Hypnose als wissenschaftliche Methode bisher kaum zu einer
bedeutsamen Wahrnehmung und Anwendung im medizinischen Alltag geführt. Folgerungen:
Zukünftige klinische Studien, deren Designs den heutigen methodischen Ansprüchen entsprechen, sowie das wachsende Interesse der Grundlagenforschung könnten zu einer größeren
Akzeptanz der Hypnose innerhalb der High-End Medizin mit beitragen.
Schlüsselwörter: Hypnose in der Medizin, Evidenz der Wirksamkeit, wissenschaftliche Anerkennung der Hypnose, effizienter Einsatz in Krankenhaus und Praxis
Hypnosis in contemporary medicine – proof of effectiveness and efficacy
Scope of the review: The following article reviews data on the use of hypnosis – an ancient
method of treatment in principal – in contemporary medicine. Publication time span: In substance, this paper covers publications of the recent 20 years. Publication origin and types of
documents: German and English original articles, specialist books, electronic data sources
and publications of scientific societies in the field of psychosomatic medicine, somatic medicine and addiction therapy serve as basis of this paper. Results: Results clearly demonstrate
a beneficial effect of hypnosis when administered as sole treatment of certain illnesses. Furthermore, hypnosis complements and cheapens state of the art medical treatments such as
invasive diagnostic procedures, surgical procedures, stem-cell transplantations or in-vitro fertilizations. Author’s opinion: Numerous supporting documents about the effectiveness and
efficacy of hypnosis in high-end medicine can be found in the literature. But even the recognition as a scientific method did not lead to a broad approval among physicians or a widespread
application of hypnosis in medicine. Conclusions: Future trials have to be designed to meet
present scientific criteria in order to ameliorate the recognition of hypnosis in medicine. An
increasing number of basic researchers, which apply hypnosis in their experiments, could support this endeavor.
Key words: Hypnosis in modern medicine, proof of effectiveness, hypnosis as a scientific
method, efficient use in hospital and medical practice
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Jochen Hefner
droms (RDS) dienen vorwiegend der Symptomverbesserung, und deren langfristige
Erfolge sind oft unzureichend (Ford et al. 2008). Die erste Arbeit über die Wirksamkeit der Hypnotherapie bei therapierefraktärem RDS stammt von der Gruppe um
Whorwell aus 1984 (Whorwell et al. 1984). Zudem ist dies die bisher einzige Studie,
in der Patienten der Kontrollgruppe sowohl eine alternative Therapie mit gleichem
Zeitumfang als auch ein Placebo angeboten wurde. Alle 15 Patienten der Interventionsgruppe profitierten im Vergleich zur Kontrolle bezüglich der untersuchten Variablen (somatische Symptome sowie Lebensqualität) signifikant. Diese 15 Patienten
wurden in einer weiteren Studie 1987 nachuntersucht (Whorwell et al. 1987), zusätzlich wurden 35 weitere Patienten hypnotherapeutisch behandelt. Im Gesamtkollektiv
lag die Erfolgsrate der Hypnose bei 84%.
Die Arbeit von Whorwell aus 1984 wurde inzwischen sowohl in den Niederlanden
als auch in den USA repliziert. Mit Ausnahme eines Patienten profitierten in der
Arbeit von Vidakovic-Vukic (1999) alle weiteren Teilnehmer bezüglich Symptomatik,
Lebensqualität und emotionaler Stabilität. Bei fünf Patienten, deren Verläufe bis zu 12
Monaten nachverfolgt wurden, blieben die Verbesserungen stabil. Galovski und Blanchard (1998) ermittelten ebenfalls signifikante und über 2 Monate andauernde Verbesserungen der somatischen Symptome, von aktueller bzw. habitueller Angstbelastung
sowie der Lebensqualität.
Die Besonderheit in den Arbeiten von Harvey et al. (1989) und Forbes et al. (2000)
liegt in deren Beachtung therapeutischer Ressourcen. Forbes et al. (2000) verglichen
Interventionen, bei denen der Therapeut anwesend war mit solchen, bei denen Suggestionen mit Hilfe eines Tonbands dargeboten wurden. Von den 45 Patienten mit vollständigen Angaben zu Symptomveränderungen (per protocol Analyse) profitierten
diejenigen, die an realen Hypnosesitzungen teilnahmen, signifikant gegenüber Teilnehmern, die Suggestionen lediglich vom Band erhielten. Bei der Auswertung der Daten aller 52 Teilnehmer (intent to treat Analyse) konnte kein signifikanter Vorteil der
Live-Sitzungen gegenüber dem Audiotape errechnet werden.
Harvey et al. (1989) legten besonderes Augenmerk auf die Kürze der hypnotherapeutischen Intervention (lediglich 4 Termine) sowie auf das Gruppensetting der Kontrollgruppe. Die Teilnehmer der Kontrolle sprachen im kosteneffektiveren Gruppensetting ebenso gut an wie die einzeln behandelten Patienten. Bei 20 Patienten wurden
Symptomverbesserungen festgestellt, bei 13 Patienten ergaben sich keine Veränderungen im Vergleich zum Studienbeginn.
In einer Katamnese der Arbeitsgruppe um Whorwell (Houghton et al. 1996) zeigte
sich nach 12 Monaten eine Reduktion der typischen Reizdarmsymptome als auch der
psychischen Belastungen bei 25 Patienten im Vergleich zur Warteliste. Zudem zeigten
sich Reduktionen extra-intestinaler Symptome wie Übelkeit, Blähungen, Antriebslosigkeit, Rückenbeschwerden, urologische Beschwerden und Dyspareunie. Zudem
zeigten sich eine geringere Inanspruchnahme des medizinischen Versorgungssystems
sowie eine Verbesserung der sozialen Funktionen wie z.B. eine frühere Rückkehr an
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Hypnose in der Medizin: Evidenz und Effizienz
den Arbeitsplatz. Im Zuge dieser Ergebnisse wurde die bisher umfassendste Studie zur
Wirksamkeit der Hypnotherapie initiiert, an der 250 Patienten mit therapierefraktärem
RDS teilnahmen (Gonsalkorale et al. 2002). Die Verläufe von 204 Patienten wurden
bis zu fünf Jahre nachverfolgt (Gonsalkorale et al. 2003). Direkt nach der Intervention
war die RDS-Symptombelastung im Durchschnitt mehr als halbiert, 71% der Patienten sprachen auf die Intervention moderat bis sehr gut an. Von diesen 71% der ursprünglichen Therapierespondern berichteten 81% bis zu fünf Jahre nach der Intervention von einem andauernden Erfolg. Bei den restlichen 19% verschlechterte sich
die Symptomatik lediglich partiell. Vergleichbar mit der Studie von Houghton et al.
(1996) verbesserte sich die Lebensqualität über den gesamten Zeitraum, während die
psychischen Belastungen, die extra-intestinalen Symptome und die Anzahl der Arztkonsultationen reduziert werden konnten.
In der Studie von Roberts et al. (2006) verhalfen fünf hypnotherapeutische Sitzungen zusätzlich zur Allgemeinarztversorgung den Patienten zu einer bis zu 12 Monate
nachweisbaren Symptomreduktion und Verbesserung der Lebensqualität. Im Vergleich zu den routinemäßig behandelten Patienten der Kontrolle, nahmen Interventionsteilnehmer im beobachteten Zeitraum signifikant weniger Medikamente ein. Die
bislang einzige Studie zur Wirksamkeit bei Kindern (Vlieger et al. 2007) bestätigt die
Ergebnisse bei Erwachsenen (vgl. hierzu auch den Beitrag von Häuser in diesem Heft,
sowie Häuser 2009).
Hypnotherapie bei somatischen Erkrankungen
Hypnose zur Unterstützung chirurgischer Maßnahmen
James Braid, dem die Namensgebung der Hypnose zugeschrieben wird, sowie seine
Kollegen Elliotson und Esdaile führten in der Zeit vor der Entdeckung des Äthers und
des Chloroforms Hunderte von Operationen mit Hilfe hypnotischer Techniken durch
(Spiegel et al. 2000). Doch auch heute sind hypnotherapeutische Techniken zur
Schmerzbekämpfung im Rahmen chirurgischer Interventionen effektiv einsetzbar.
Perioperativer Einsatz bei Allgemeinanästhesien
In aktuellen Studien zur Wirksamkeit perioperativ eingesetzter hypnotischer Suggestionen bei chirurgischen Eingriffen unter Narkose zeigen sich vor allem positive Ergebnisse bezüglich der Angstbelastung (Wobst 2007), wie etwa in der Arbeit von
Saadat mit Erwachsenen (Saadat et al. 2006). Mit Hypnose behandelte Kinder, die
sich einer Allgemeinanästhesie unterziehen mussten, waren in verschiedenen Untersuchungen angstfreier (Calipel et al. 2005), litten weniger unter Schmerzen und konnten das Krankenhaus früher verlassen (Lambert 1996).
Bei Operationen am offenen Herzen zeigten hypnotherapeutisch versorgte Patienten eine geringere Stressbelastung und einen geringeren Bedarf an Bluttransfusionen
nach dem Eingriff (Hart 1980). Patienten, die sich einer Bypass-Operation unterzie220
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hen mussten, waren durch Hypnose entspannter und weniger ängstlich. Auswirkungen
auf den Medikamentenbedarf oder die Verweildauer im Krankenhaus zeigten sich
nicht (Ashton et al. 1997, de Klerk et al. 2004, Greenleaf et al. 1992).
Durch den Einsatz spezifischer Suggestionen zur Anregung der Darmfunktion
konnte jedoch die postoperative Zeit bis zum Abklingen des postoperativen Ileus nach
Bauchoperationen verkürzt werden. Die Kostenersparnisse durch verkürzte Liegedauer wurden mit 1200 $ pro Patient beziffert (Disbrow et al. 1993).
Hypnose bei Lokal- oder Regionalanästhesien
In einem 1999 veröffentlichten Review von Faymonville werden Erfahrungen mit der
Hypnose bei über 1650 chirurgischen Eingriffen mit Lokal- oder Regionalanästhesien
geschildert. Dabei handelte es sich u.a. um Operationen im Gesichts- und Halsbereich
(bis hin zu Thyreoidektomien) und Tubenligaturen (Faymonville et al. 1999). Dabei
ermöglichte die hypnotische Anästhesie neben einem Verzicht auf eine Allgemeinanästhesie auch eine jeweils kürzere Aufenthaltsdauer im Krankenhaus (Faymonville et
al. 1999; vgl. ihren Beitrag in diesem Heft).
Auch bei chirurgischen Interventionen in der Gynäkologie können Patientinnen
von der Hypnose profitieren. So sank der Schmerzmittelbedarf sowie die Belastung
durch Übelkeit und Erbrechen bei operativen Brustverkleinerungen in der Arbeit von
Enqvist et al. (Enqvist et al. 1997) bei 25 Interventionsteilnehmerinnen im Vergleich
zur Standardbehandlung. Bei 236 ambulant durchgeführten Mamma-Biopsien wurde
die Schmerzbelastung in allen drei untersuchten Gruppen (Hypnose, empathisches
Gespräch oder Standardbehandlung) nur unwesentlich verringert. Doch mit Hilfe der
Hypnose konnte die Angstbelastung der Frauen am deutlichsten reduziert werden
(Lang et al. 2006).
In einer neueren Arbeit benötigten Patientinnen mit Hilfe der Hypnose weniger
Schmerzmittel als solche, denen lediglich ein empathisches Arzt-Patienten-Gespräch
angeboten wurde. Durch schnellere Erholungsphasen und hierdurch kürzeren Aufenthalt in der Intensiv- bzw. Intermediärstation errechnete sich eine Kostenersparnis von
772 $ pro Fall (Montgomery et al. 2007).
Hypnose zur Unterstützung internistischer Prozeduren
Durch die Hypnose werden neben Operationen auch modernste, internistische Diagnose- und Therapieverfahren für den Patienten weniger belastend. Dies zeigen Arbeiten zu invasiven radiologischen Prozeduren (Lang et al. 2000) und Ballon-Katheterisierungen der Herzkranzgefäße (Weinstein & Au 1991).
So konnten in einer Untersuchung mit 241 Patienten per Katheter durchgeführte,
radiologisch überwachte Diagnoseprozeduren bzw. Interventionen an peripheren Gefäßen oder an den Nieren unter Hypnose zügiger durchgeführt werden. Dabei blieben
die Patienten hämodynamisch stabiler (Lang et al. 2000). Eine nachträgliche Auswertung der eingesetzten Geldmittel ergab einen Kostenvorteil von 338 $ pro Fall, wenn
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Hypnose zusätzlich zur Standardversorgung eingesetzt wurde (Lang et al. 2002).
Patienten mit koronarer Herzkrankheit benötigten während der Angioplastie unter
Hypnose geringere Dosen an Schmerzmedikamenten und tolerierten längere Ischämiezeiten als die Kontrollgruppe (Weinstein & Au 1991).
Ein weiteres modernes Standardverfahren der inneren Medizin – die endoskopische Untersuchung des oberen oder unteren Gastrointestinaltrakts – kann durch Hypnose ebenfalls sinnvoll ergänzt werden. Bereits 1994 beschrieben Cadranel et al. im
Journal of Clinical Gastroenterology eine kleine Gruppe von 24 Patienten, die sich der
Coloskopie lediglich unter dem sedativen Einfluss hypnotischer Suggestionen unterzogen (Cadranel et al. 1994). Diejenigen 12 Patienten, die durch Hypnose einen mittleren bis tiefen Entspannungszustand erfahren konnten, gaben eine geringere
Schmerzbelastung an als Teilnehmer, die keinen hypnotisch induzierten Entspannungszustand erreichen konnten. Bei den Patienten in tiefer Trance konnten alle
Prozeduren komplett durchgeführt werden, wohingegen 50% der Untersuchungen bei
den hypnotherapeutisch wenig erreichbaren Teilnehmern vorzeitig abgebrochen werden mussten. Schon zu diesem Zeitpunkt wiesen die Autoren auf die Hypnose als
mögliche Alternative zur medikamentösen Sedation im Rahmen der Coloskopie hin
und sprachen sich für weitere Untersuchungen aus.
In einer kleinen Patientengruppe, die sich 2006 einer Coloskopie im Rahmen einer
Darmkrebsvorsorge unterzogen, konnte die Belastung durch Schmerz und Angst
durch eine hypnotische Intervention gesenkt werden (Elkins et al. 2006). Die Autoren
wiesen in ihrer Auswertung auf die verkürzte Erholungsphase der Patienten hin.
Zimmerman (1998) berichtete von der erfolgreichen Anwendung von Hypnose zur
Sedation bei über 200 Gastroskopien. Im Gegensatz zu Patienten, die mit Hilfe von
Medikamenten behandelt wurden, war es den hypnotisierten Patienten auch hier
möglich, das Krankenhaus ohne weiteres Monitoring direkt nach der Untersuchung zu
verlassen.
In einer aktuellen Studie an 112 Patienten wurden die durch das Endoskop verursachten Würgereflexe mittels Hypnose um 69% reduziert (Junker 2005). Die Patienten waren zu 79% ruhiger, die Werte für Sauerstoffoxygenierung und Herzfrequenz
entwickelten sich günstiger. Im Vergleich zu Kontrollgruppen, die lediglich Informationen zum bevorstehenden Eingriff oder Anleitung zu Atementspannungsübungen
erhielten, zeigte sich die Überlegenheit der Hypnose hinsichtlich aller untersuchten
Variablen (vgl. auch Junker 2009).
In der Onkologie können trotz des Einsatzes modernster Medikamente bei weitem
nicht alle Patienten vor Übelkeit und Erbrechen geschützt werden (Figueroa-Moseley
et al. 2007). Vor allem die antizipatorisch ausgelösten Beschwerden sind der medikamentösen Behandlung schwer zugänglich. Verhaltenstherapeutische Interventionen in
Kombination mit Visualisierungstechniken versprechen Linderung bei Erwachsenen,
hypnotherapeutische Techniken sind v.a. bei Kindern wirksam (Morrow & Hickok
1993). In einer Arbeit wurden 45 pädiatrische Tumorpatienten im Verlauf ihrer Che222
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Jochen Hefner
motherapie entweder hypnotherapeutisch oder mit Entspannungstechniken unterstützt
oder lediglich aufmerksam gepflegt. Die Hypnosegruppe konnte bezüglich antizipatorischer und post-chemotherapeutischer Symptome am meisten profitieren, deren
Belastung durch Übelkeit und Erbrechen reduzierte sich. Die Belastung der Kinder in
der Entspannungsgruppe dagegen nahm zumindest nicht zu, wohingegen die kleinen
Patienten in der Kontrollgruppe zunehmend unter den Symptomen litten (Zeltzer et al.
1991).
Bei der Transplantation von Knochenmark (heute auch eigener oder fremder
Stammzellen) handelt es sich wohl um die modernsten und komplexesten Prozeduren
der modernen Onkologie. Und auch hier ist eine Unterstützung der extrem belasteten
Patienten durch hypnotherapeutische Interventionen möglich. Schon 1992 wies Syrjala darauf hin, dass mit Hilfe der Hypnotherapie Schmerzen durch Ulzera im Mundbereich reduziert werden können (Syrjala et al. 1992). Diese sind nach den starken
Chemotherapien im Vorfeld der eigentlichen Knochenmarktransplantationen häufig
zu beobachten. Die Vergleichsparadigmen wie eine verhaltenstherapeutisch orientierte Unterstützung der Krankheitsverarbeitung, Kontakt zum behandelnden Onkologen
oder die Standardbehandlung alleine blieben ohne Veränderung der untersuchten
Symptome.
Hypnotherapie bei internistischen Erkrankungen
Berichte über positive Effekte von Selbsthypnose auf den Verlauf von Asthmaerkrankungen liegen bereits aus den 1960er Jahren vor (Maher-Loughnan et al. 1962). Neben
der Reduktion der Atembeschwerden wurde jeweils der reduzierte Bedarf an Bronchodilatatoren beschrieben. Weitere Arbeiten bestätigten den positiven Einfluss auf
Symptombelastung, Lungenfunktion, Medikamentenbedarf (Steroide und Bronchodilatatoren) sowie Aufenthaltsdauer im Krankenhaus (Collison 1975, Ewer & Steward
1986, Morrison 1988).
In einer Studie mit 156 Patienten mit Adipositas zeigte sich nach einer 9-wöchigen Intervention mit neun zusätzlichen Hypnotherapieterminen eine im Durchschnitt
um 7kg größere Gewichtsabnahme als in der verhaltenstherapeutischen Gruppe (Bolocofsky et al. 1985). Auch Meta-Analysen belegen die langfristige Überlegenheit der
Kombination aus Hypnotherapie und Verhaltenstherapie bei der Behandlung der Adipositas im Vergleich zu einem unimodalen, verhaltentherapeutischen Ansatz (Kirsch
1996).
Mit Hilfe der Hypnotherapie konnte bei 44 Hypertonikern nach sechs Monaten
eine Reduktion des systolischen Blutdrucks von 13.3 mmHg und des diastolischen
Blutdrucks von 8,5 mmHg ermittelt werden (Friedman & Taub 1978). In einer aktuellen Arbeit von Gay wurden die blutdrucksenkenden Effekte der Hypnose auch noch
ein Jahr nach der Therapie gefunden (Gay 2007).
Bei einer Patientengruppe mit Fibromyalgie konnte mittels Hypnose sowohl die
Gesamtsymptomatik als auch die Belastung durch Einzelsymptome wie MuskelHypnose-ZHH, 5 (1+2), Oktober 2010
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Hypnose in der Medizin: Evidenz und Effizienz
schmerz, Schlafstörungen und morgendliche Erschöpfung im Vergleich zur physikalischen Therapie signifikant bis zu einem Follow-up nach sechs Monaten reduziert werden. Zudem sank der Medikamentenbedarf in der Hypnosegruppe (Haanen et al.
1991).
Im Vergleich zu Patienten einer Warteliste konnten sowohl mit Hilfe der Hypnose
als auch durch die Anwendung der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobsen Arthritisschmerzen gesenkt werden (Gay et al. 2002). Dabei konnte jedoch dieser Erfolg
in der Hypnosegruppe schneller erzielt werden als in der Jacobsen-Therapiegruppe.
Auch in der Arbeit von Horton-Hausknecht zeigten sich signifikante Verbesserungen
von subjektiver Symptombelastung und von Labordaten bei Arthritispatienten, die mit
Hypnose behandelt wurden (Horton-Hausknecht & Mitzdorf 1997). Die Anzahl der
signifikanten Veränderungen in einer verglichenen Entspannungsgruppe waren
weniger zahlreich, in der Warteliste-Kontrollgruppe zeigten sich keine Veränderungen
(vgl. auch Horton-Hausknecht 2009).
Nach dieser Beschreibung von Hypnosestudien aus den Kernfächern der somatischen Medizin – der Chirurgie und der Inneren Medizin – folgen nun weitere Darstellungen aus dem breiten Spektrum der Medizin.
Hypnotherapie in der Neurologie
In mehreren Studien konnte der Benefit der Selbsthypnose bei Patienten mit Spannungskopfschmerz dokumentiert werden (Spinhoven et al. 1992, ter Kuile et al. 1994).
In der Studie von Melis et al. (1991) profitierten die Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe bezüglich der Anzahl der Kopfschmerzattacken, deren Dauer und Intensität. Spanos et al. (1993) verglichen eine Gruppe Kopfschmerzpatienten, die hypnotherapeutisch behandelt wurden, mit einer Patientengruppe, denen Dias mit angeblich
subliminalen Suggestionen zur Schmerzreduktion gezeigt wurden. Beide Gruppen
gaben nach der Intervention eine signifikant geringere Schmerzbelastung an. Dabei ist
zu beachten, dass die Patienten der Hypnosegruppe keine spezifischen Schmerzsuggestionen erhielten, wohingegen der Ansatz in der Kontrollgruppe als „Hypnose im
Wachzustand“ verstanden werden kann.
Selbst im Vergleich mit bestimmten Migränemedikamenten erzielt die Hypnose
größere Erfolge. Nach einem Hypnotherapieprogramm zeigte sich in der Studie von
Faran eine signifikante Reduktion der mittleren Anzahl der Migräneattacken pro
Monat (Faran 2002). Die Anzahl blieb anschließend auf niedrigem Niveau stabil. In
der Kontrollgruppe, die mit dem Wirkstoff Cyclandelat behandelt wurde, konnte kein
solcher Effekt nachgewiesen werden. Eine aktuelle Übersicht über erfolgreiche Anwendungsmöglichkeiten der Hypnose bei Spannungskopfschmerzen und Migräne
gibt die Arbeit von Hammond (2007).
Hypnotherapie in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Beim Tinnitus handelt es sich ebenfalls um eine Erkrankung, bei der rein schulmedi224
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zinische Therapieansätze oft wenig erfolgreich bleiben. Mit Hilfe der Hypnose konnten in einer Patientengruppe 7 von 10 Hauptsymptomen reduziert werden (Attias et al.
1993). Die Hypnosegruppe war damit erfolgreicher als eine Gruppe supportiv behandelter Patienten und als eine Gruppe, in der Maskierungstechniken zur Anwendung
kamen.
Hypnotherapie in der Gynäkologie und Geburtshilfe
Hypnotische Techniken werden traditionell zur Erleichterung von Schwangerschaft
und Geburt eingesetzt (Stewart 2005). Es kann z.B. die Hyperemesis gravidarum reduziert werden (Simon & Schwartz 1999, Torem 1994) und eine aktuellere Untersuchung berichtet von niedrigeren Komplikationsraten zum Geburtszeitpunkt, einem geringeren Bedarf an chirurgischen Interventionen und kürzerer Aufenthaltsdauer im
Krankenhaus, falls Hypnose mit zur Anwendung kam (Martin et al. 2001). Bei 200
Schwangeren in Hüsken-Janßens Untersuchung konnte durch Anwendung der Hypnose die Geburtsdauer, die Angstbelastung und der Schmerzmittelbedarf im Vergleich
zur Kontrolle reduziert werden (Hüsken-Janßen 2005). 13% der Frauen konnten die
Klinik bereits am Tag der Geburt ihres Kindes verlassen, drei Mal mehr als in der
Kontrollgruppe (Hüsken-Janßen 2005).
Eine weitere bemerkenswerte Studie zur Unterstützung einer hochkomplexen medizinischen Prozedur durch Hypnose stammt von einer Gruppe israelischer Reproduktionsmediziner (Levitas et al. 2006). In deren Untersuchung wurden 89 Frauen, die sich
einer in-vitro Fertilisation unterzogen, zum Zeitpunkt der Einbringung des befruchteten Eis in den Uterus hypnotherapeutisch behandelt. Bei 96 Frauen, die eine Standardbehandlung erhielten, konnte in 32,1% der Fälle eine Schwangerschaft erzielt werden. Durch die zusätzliche hypnotherapeutische Intervention während des psychisch
besonders belastenden Embryotransfers stieg die Erfolgsquote signifikant auf 53,2%.
Dermatologie
Durch die Arbeiten von Bongartz (1996) und Kiecolt-Glaser et al. (1992) ist bekannt,
dass mit Hilfe der Hypnose Anteile von Immunzellen am Differentialblutbild verändert werden können.
Bei acht von 12 hochsuggestiblen Probanden konnte durch direkte Suggestionen
die Sofort-Reaktion der Haut auf ein Allergen signifikant reduziert werden (Black et
al. 1963). Prick-Tests, mit denen Typ I und Typ IV Reaktionen nachgewiesen werden,
konnten mit Hilfe direkter Suggestionen dergestalt verändert werden, dass die Haut
auf einem Arm signifikant mehr und auf dem anderen Arm signifikant weniger reagierte als bei der Ausgangsuntersuchung (Zachariae et al. 1989).
Durch Hypnosetechniken ließ sich die Lebensqualität von 15 Patienten mit Dermatitis im Vergleich zu 18 Patienten einer Warteliste anheben (Senser et al. 2004).
Ebenfalls mit Hilfe hypnotischer Techniken gelang es bei einer therapierefraktären
Gruppe mit 18 Dermatitispatienten, Symptome wie Juckreiz, Kratzen der Haut,
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Hypnose in der Medizin: Evidenz und Effizienz
Schlafstörungen und psychische Belastung bis zu einem Follow-up nach 18 Monaten
signifikant zu reduzieren (Stewart & Thomas 1995). Zum Zeitpunkt von 16 Wochen
nach Intervention konnten die Patienten auf 60% der bisher verwendeten Menge an
topischen Steroiden verzichten.
Die Übersichtsarbeiten von Shenefeld geben einen Überblick über die zahlreichen
Anwendungsmöglichkeiten der Hypnotherapie bei dermatologischen Erkrankungen
(Shenefelt 2000, 2008). Beispielhaft sollen hier noch Studien zur Therapie von Warzen vorgestellt werden. Warzen zeigen eine hohe Spontanheilungsrate. Dennoch konnten bei 9 von 14 Hypnosepatienten mit Hilfe spezifischer, direkter Suggestionen die
Warzen einer Körperhälfte zur Abheilung gebracht werden, wogegen sich der Befund
der anderen Körperhälfte nicht zurückbildete (Sinclair-Gieben & Chalmers 1959).
Ewin et al. (1992) berichteten von einer Erfolgsrate von 80% bei der Warzenbehandlung 41 konsekutiver Hypnosepatienten.
Hypnotherapie in der Suchtmedizin
Eine Meta-Analyse von 633 Studien mit über 72.000 Patienten bescheinigte der Hypnotherapie beim Einsatz zur Raucherentwöhnung Erfolgsraten zwischen 12 und 60%.
Damit war der hypnotherapeutische Ansatz etwa 3,5-fach erfolgreicher als andere
Selbsthilfemaßnahmen (Viswesvaran & Schmidt 1992). Ein aktuelleres Review von
59 Studien ermittelte Erfolgraten von über 50% durch Hypnose (Green & Lynn 2000).
In einer anderen Studie gelang es 16 von 35 Teilnehmern, die sich neben dem Methadonentzug hypnotherapeutisch behandeln ließen, ihre langjährige Heroinsucht einzudämmen (Manganiello 1984). Nach sechs Monaten blieben 94% der Experimentalgruppe abstinent. Dagegen gelang keinem der 35 Kontrollpatienten einer reinen Psychotherapiegruppe der Heroinentzug.
Studien zur Effektivität der Hypnose
Der wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (2006) hat auf der Basis des Gutachtens
von Revenstorf (2006) die Hypnose in unterschiedlichen Anwendungsbereichen der
Psychotherapie bei Erwachsenen als wissenschaftliche Methode anerkannt.
Die aktuellste Übersicht zu den vielfältigen Anwendungsbereichen der Hypnose in
der Medizin bietet das systematische Review von Wark (2008), in dem 18 MetaAnalysen nach den Kriterien der American Psychocological Association (APA) von
Chambless und Hollon (1998) untersucht wurden.
Dagegen liefern nach Ansicht der Autoren von Cochrane-Analysen die Daten zu
annähernd allen der genannten Anwendungsgebiete keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis (Abbot et al. 2000, Ersser et al. 2007, Smith et al. 2006, Webb et al.
2007, Yip et al. 2009).
Diese widersprüchlichen Angaben beruhen auf methodischen Unterschieden bei
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Jochen Hefner
der Datenanalyse. Die äußerst methodenkritischen, aber innerhalb der Medizin viel
beachteten Cochrane-Analysen kritisieren, dass viele Hypnosestudien nicht dem
Goldstandard der evidenz-basierten Medizin entsprechen, da sie nicht als randomisierte, kontrollierte Therapiestudien konzipiert wurden. Werden die Einschlusskriterien von Meta-Analysen jedoch weiter gefasst, so können mittlere Effektstärken der
Hypnotherapie bei der Behandlung psychosomatischer Störungen errechnet werden
(Bongartz et al. 2002, Flammer & Alladin 2007). Die Autoren dieser beiden MetaAnalysen weisen dabei ausdrücklich darauf hin, dass ihre Berechnungen als sehr kon-
Tab. 1: Zusammenfassung der Bewertung der eingereichten Studien für die Anwendungsbereiche der Psychotherapie bei Erwachsenen durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie
(2006)
Anwendungsbereich
Eingereichte
Studien
1. Affektive Störungen
1
2. Angststörungen
7
3. Anpassungs- und
Belastungsstörungen 1
4. Somatoforme
2
Störungen
5. Essstörungen
1
6. Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen
Störungen
3
7. Psychische u. soziale
Faktoren bei somatischen
Krankheiten
24
8. Persönlichkeits- u.
Verhaltensstörungen
9. Substanzstörungen
7
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Anerkannte
Studien
Untersuchte
Störungen in
anerkannten Studien
1
1
PTBS
Reizdarm
0
2
12
5
Insomnie
Bewältigung der Geburtsschmerzen: 1
Nebenwirkungen der
Chemotherapie: 1
Migräne: 1
Operation: 4
Spannungskopfschmerz: 2
Verbrennungsschmerz: 2
Zwölffingerdarmgeschwür: 1
Methadon: 1
Rauchen: 4
227
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Hypnose in der Medizin: Evidenz und Effizienz
servativ anzusehen sind, da alle abhängigen Variablen zur Bewertung der Wirksamkeit
der Hypnose berücksichtigt wurden.
Dies gilt besonders für die Angaben von Bongartz et al. (2002) bezüglich der Anwendung der Hypnose im Rahmen medizinischer Maßnahmen, da hier lediglich eine
schwache Wirkung herausgearbeitet werden konnte.
Diskussion
Bereits in den Relikten früher Hochkulturen lassen sich Hinweise für die Nutzung
rituell induzierter Trancephänomene zur Patientenbehandlung entdecken. Die sprachliche Induktion einer Trance und die therapeutische Nutzung dieses Zustands sind
zentrale Bestandteile der klinischen Hypnose unserer Zeit. Ziel dieses Beitrages ist,
die klinische Hypnotherapie im Kontext der modernen Medizin zu betrachten. Diese
wiederum hat Zugriff auf modernste Technik sowie eine unübersichtliche Fülle an
Pharmazeutika und ihr Handeln ist nach Möglichkeit evidenz-basiert. Eine Ergänzung
oder gar der Ersatz dieser High-End Medizin durch einen - prinzipiell - derart alten
Therapieansatz erscheint vordergründig fragwürdig. Doch es findet sich eine Vielzahl
positiver Belege in der Literatur. Mit Hilfe der Hypnotherapie lassen sich apparative
medizinische Standardverfahren für die Patienten erträglicher gestalten. Dies gilt für
chirurgische wie für internistische Interventionen, bei denen mit Hypnose unterstützTab. 2: Wirksamkeitsnachweise der Hypnose in der Medizin (nach Wark 2008)
Akuter Schmerz (Erwachsene)
Akuter Schmerz (Kinder)
Spannungskopfschmerz und Migräne
Operationsschmerz (Erwachsene)
Operationsschmerz (Kinder)
Stressreduktion während Operationen
Tumorschmerz
Nebenwirkungen und Stressbelastung bei Chemotherapien
Arthritisschmerz
Geburtsschmerz
APGAR-Score nach Geburt
Hyperemesis gravidarum
Reizdarmsyndrom
Ulcus duodeni
Gewichtsreduktion
Hypertonie
Warzenbehandlung
Angst während Asthmaanfall
Raucherentwöhnung
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te Patienten unter weniger Nebenwirkungen (v.a. Schmerz) leiden, Medikamentendosen reduzieren und das Krankenhaus früher wieder verlassen können (Ashton et al.
1997, de Klerk et al. 2004, Enqvist et al. 1997, Greenleaf et al. 1992, Saadat et al.
2006, Weinstein & Au 1991).
An Beispielen wie der Koronardilatation oder der in-vitro-Fertilisation wird deutlich, dass die Erfolgsquote modernster medizinischer Verfahren durch die Hypnose
gesteigert werden kann (Levitas et al. 2006, Weinstein & Au 1991).
Therapeutisch ist die Hypnose bei Erkrankungen innerhalb verschiedenster medizinischer Disziplinen wirksam. In diesem Beitrag wurden Belege aus der Inneren
Medizin, Neurologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Gynäkologie, Dermatologie und
der Suchtmedizin dargestellt. Dabei handelte es sich bei den Studienteilnehmern häufig um Patienten, die therapierefraktär gegenüber schulmedizinischen Therapieansätzen gewesen sind.
Wie erklärt sich nun der Umstand, dass Hypnose im medizinischen Alltag kaum
anzutreffen ist? Die in der heutigen Medizin viel beachteten Cochrane-Analysen monieren die mangelhafte Einhaltung des Goldstandards bei der Konzeption von klinischen Studien – den der randomisierten, (placebo-) kontrollierten Therapiestudie
(Abbot et al. 2000, Ersser et al. 2007, Smith et al. 2006, Webb et al. 2007, Yip et al.
2009). Geleitet durch diese Rezeption der vorhandenen Daten wissen womöglich zu
wenige Mediziner, dass die Hypnose nach Kriterien des Wissenschaftlichen Beirats
Psychotherapie (2006) eine wissenschaftliche Methode zur Behandlung in verschiedenen medizinischen Anwendungsbereichen darstellt (vgl. Tab. 1). Aktuelle Übersichtsarbeiten nach den Kriterien der American Psychological Association beschreiben ebenfalls eine Vielzahl erfolgreicher Einsätze der Hypnose in der Medizin (Wark
2008, vgl. Tab. 2).
Doch es muss noch weitere Gründe für die geringe Rezeption selbst methodisch
sehr guter Hypnosestudien in der Medizin geben.
Vielleicht liegt es ja daran, wie David Spiegel (2007) vermutet, dass hinter den
Erfolgen der Hypnose keine Industrie steht, die ihre Produkte verkaufen und vermarkten kann. Ein der Hypnotherapie vergleichbares Medikament, welches Schmerzen und
Angst sowie Arzneimittelbedarf, Behandlungszeit und Versorgungskosten reduzieren
könnte, wäre wohl weit verbreitet im Einsatz. So aber haftet der Hypnotherapie –
nicht nur in medizinischen Fachkreisen – noch immer der Nimbus einer Showeinlage
oder eines antiken, religiös-mystischen Schamanismus an.
In diesem Zusammenhang sind die folgenden Entwicklungen wohl von besonderer Bedeutung. Gerade in letzter Zeit erschienen Übersichtsartikel in prominenten
medizinischen Journals oder Zeitschriften der entsprechenden Fachgesellschaften, die
sich bei allen methodischen Vorbehalten positiv gegenüber der Anwendung von
Hypnose im jeweiligen Gebiet äußern (Lang et al. 2000, Lang et al. 2006, Leung
2008, Montgomery et al. 2007, Stewart 2005, Wobst 2007). Marie Faymonville, die
in dieser Ausgabe ebenfalls mit einem Beitrag vertreten ist, gelang es, hypnotheraHypnose-ZHH, 5 (1+2), Oktober 2010
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Hypnose in der Medizin: Evidenz und Effizienz
peutische Therapieangebote innerhalb der Universitätsklinik für Anästhesiologie in
Lüttich zu etablieren. Diese Anstrengung ist kaum hoch genug einzuschätzen, gerade
da Faymonville auch immer wieder an Arbeiten zur Grundlagenforschung mit
beteiligt ist (Faymonville et al. 1999, Vanhaudenhuyse et al. 2009).
Schließlich ist die Hirnforschung in den letzten Jahren zunehmend auf die
Hypnotherapie aufmerksam geworden. In einer aktuellen Ausgabe zu den „Trends in
cognitive sciences“ wird ausführlich über die unvergleichlichen Vorteile der Hypnose
bei der Erforschung zentraler Verarbeitungsprozesse berichtet (Oakley et al. 2009). Es
ist sehr wahrscheinlich, dass zukünftige Ergebnisse der Hirnforschung zu den Grundlagen und Anwendungen von Hypnose den Transfer in die Praxis erleichtern helfen
(Oakley & Halligan 2009).
Fazit
Die Hypnotherapie hat aufgrund ihrer für viele Schulmediziner zweifelhaften Herkunft, ihrer methodischen Einschränkungen, und einer recht kleinen Lobby im Hintergrund noch kaum Platz im modernen medizinischen Alltag gefunden. Dabei sind deren Anwendungen in der Suchtmedizin und bei der Bewältigung somatischer Erkrankungen wissenschaftlich anerkannt. Zudem liegen ausreichende Wirkungsnachweise
für viele weitere medizinische Fragestellungen vor. Dennoch müssen zukünftige
Hypnosestudien noch mehr an die Standards der evidenz-basierten Medizin angepasst werden, um die Akzeptanz innerhalb der Medizin zu verbessern. Vorschläge zu den
Studiendesigns im Sinne einer Plazebokontrolle liegen bereits vor (Gholamrezaei &
Emami 2008).
Ein zusätzlicher Impuls zur Verbesserung der Akzeptanz ist aus der Grundlagenforschung zu erwarten. Hier wird die Hypnose gerade als hervorragende Methode zur
Untersuchung neuronaler Vorgänge entdeckt. Und nicht zuletzt werden zukünftig vielleicht auch wirtschaftlich Interessierte auf die Kostenersparnisse durch Hypnosetechniken innerhalb der Medizin aufmerksam.
Davon unabhängig sprechen die vorhandenen Daten schon jetzt für eine umfangreichere Implementierung der prinzipiell alten Methode der Hypnose in Bereiche der
High-End Medizin.
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Dr. Jochen Hefner
Universitätsklinik Tübingen
Abteilung Innere Medizin VI
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Otfried-Müller-Str. 10
72076 Tübingen
jochen.hefner@t-online.de
erhalten: 29.12.2009
revidierte Version akzeptiert: 30.3.2010
Hypnose-ZHH, 5 (1+2), Oktober 2010
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Buchbesprechung
Sánchez Mendioroz, Angel E. (2009). Das Selbst der Hypnose & Der strukturgenetische Ansatz. Berlin: Weißensee Verlag, ISBN: 978-3-89998-168-1, 124
Seiten, Preis: 24,80 €
Wer den Titel der vorliegenden Abhandlung etwas stelzig empfindet, die Begriffe
„Selbst“ und „strukturgenetisch“ für vieldeutig und breitgetretend bewertet, dem sei
gesagt, daß es sich bei dieser Schrift um eine theoretisch wohl durchdachte Darstellung des eigenen hypnotherapeutischen Vorgehens des Autors handelt.
Im Anschluß an eine Einleitung, die sich mit dem Heilverfahren der Hypnose beschäftigt, liest man kurz gefaßte Reflexionen zur Geschichte der Hypnose. So ist es
anregend, über die drei Grundprinzipien der auf Erickson fußenden Hypnose einiges
zu erfahren, nämlich Kontextualismus, Multiperspektivismus und Konstruktivismus.
Das zweite Kapitel setzt sich mit dem Selbst auseinander, insoweit die verschiedenen Aspekte für die Hypnose - Körper-Selbst, dynamisches Selbst und kognitives
Selbst - vom Autor als bedeutsam erachtet werden.
Im dritten Kapitel entwirft der Autor eine Psychopathologie und Ätiopathogenese
von psychotherapeutisch relevanten Störungen und Symptomen und setzt sich damit
auseinander, welche Implikationen für eine Hypnotherapie daraus erwachsen. Als
theoretische Konzepte werden Piagets Theorie der Entwicklung (Strukturgenese),
Bowlbys und Ainsworths Bindungstheorie sowie Sterns Theorie der Selbst-Entwicklung herangezogen.
Im vierten Kapitel stellt der Autor sein Interventionskonzept dar und beschreibt
darin die von ihm verwendeten „hypnotherapeutischen Werkzeuge“, nämlich das
Konzept der Trancearbeit, das strukturgenetische Mehrebenen-Kommunikationsmodell und die strukturgenetische Strategie. Mithilfe von Skizzen und Transkriptionen
therapeutischer Interventionen konkretisiert der Autor seine theoretischen Vorstellungen, wobei impliziten informationsverarbeitenden Prozessen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Das fünfte Kapitel ist den hypnotherapeutischen Methoden und Techniken vorbehalten. In aller Kürze werden Induktionstechniken, therapeutische Symbole und
Rituale, Metaphernanwendungg, Ressourcenarbeit, Teilearbeit, Reframing, therapeutische Doppelbindungen und paradoxe Intervention, Posthypnose-Aufgabe und Amnesie sowie Selbsthypnose besprochen. Anliegen des Autors ist es hier, die hypnotherapeutische Vorgensweise mit der in den voran gehenden Kapiteln entwickelten Begrifflichkeit zu verbinden.
Fortsetzung S. 270
236
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