Eine Stadt und ihr Dom
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Eine Stadt und ihr Dom
TLZ ERFURT ZA ER 2 Freitag, 5. Januar 2007 Umwelt baut Brücken: Schüler der Edith-Stein-Schule recherchieren zu Sanierungsarbeiten im Dom Riesen-Skelett aus Edelstahl DAS PROJEKT Jugend der EU kommt sich im Projekt näher Spannanker sichern jetzt die Wände Erfurt. (tlz) An dem Projekt „Umwelt baut Brücken – Jugendliche im Europäischen Dialog“ sind 68 Schulen aus Deutschland, Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien und der Slowakei beteiligt. Auch die katholische EdithStein-Schule Erfurt macht mit. Ziel des Projektes ist es, über gemeinsame Recherchen zu innovativen Umweltvorhaben miteinander in Kontakt zu kommen. Von Johanna Hoffmeier Recherchieren wie Umweltjournalisten Die Edith-Stein-Schüler waren zunächst in Polen, um mit Schülern des polnischen Kollegs für europäische Sprachen in Tschenstochau zum Thema erneuerbare Energieträger zu forschen. Jetzt waren Schüler dieser polnischen Partnerbildungseinrichtung in Erfurt. Und zusammen haben sich die deutschen und polnischen jungen Menschen mit den Sanierungsarbeiten im Erfurter Dom befasst. Ein weiterer Teil des Projektes ist es, diese Recherchen als „Umweltjournalisten“ zusammen zu tragen und in Form von Zeitungsartikeln zu veröffentlichen. Zusammen mit der TLZ haben die Schüler Interviews, Infokästen, Reportagen und Artikel verfasst. Das Projekt „Umwelt baut Brücken“ wurde von Bundespräsident Horst Köhler in Zusammenarbeit mit dem slowenischen Staatspräsidenten Laszlo Lolyom und dem polnischen Präsidenten Alexander Kwasniewski ins Leben gerufen. Es wird unterstützt und geleitet vom Institut zur Objektivierung von Lern- und Prüfungsverfahren (IZOP) in Aachen, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und dem Zentrum für Umweltkommunikation (ZUK). Weitere Infos: www.umwelt-baut-bruecken.de Erfurter Dom: Das Wahrzeichen der Stadt war einsturzgefährdet, umfangreiche Sanierungsarbeiten wurden notwenig. Foto: Brandt Eine Stadt und ihr Dom Erfurts Wahrzeichen: Sah es schon immer so aus wie wir es heute sehen? Von Anne-Christin Weber Altstadt. (tlz) Der MarienDom ist das Wahrzeichen der Stadt Erfurt. Er zieht jährlich viele Touristen aus der ganzen Welt an. Doch stellt man sich nicht die Frage, sah der Dom schon immer so aus wie wir ihn heute sehen? Und Forscher und Archäologen würden darauf antworten: „Nein“. Der Dom unterlag im Laufe der Zeit ständigen Veränderungen. Es begann im Jahre 742. Bonifatius bat Papst Zacharias um die Errichtung des Bistums Erfurt, wodurch die Marienkirche zur Bischofskirche wurde. St. Marien wurde erstmals 1117 urkundlich be- zeugt. 1154 erfolgte der Baubeginn einer spätromantischen Basilika auf dem Domberg. Der Bau ging schnell voran, da man bei den Bauarbeiten 1154 zwei Bestattungen aufgedeckt hatte, die als Überreste der heiligen Bischöfe Eoban und Adolar identifiziert wurden, was mit den darauf einsetzenden Spenden und Opfergaben wesentlich zur Baufinanzierung beitrug. Am 20. Juni 1182 wurde der Dom geweiht. 1201 wurde der Südturm und 1237 der Nordturm fertig gestellt, beide wurden später jedoch mehrfach verändert bzw. sogar im 15. Jahrhundert neu aufbaut. In den 80er Jahren des 13. Jahrhunderts wurde begonnen einen neuen größeren Chor anzufügen. Daraufhin wurde mit dem Ausbau des Mittelturms begonnen und dieser 1307 fertig gestellt. Er dient als Glockenhaus mit der berühmten Glocke Gloriosa, die 1251 geweiht wurde. Doch schon bald reichte der Platz erneut nicht aus. Deshalb schuf man im 14. Jahrhundert den heute bestehenden Hohen Chor und stellte auch umfangreiche Bauarbeiten an der restlichen Kirche an. 1349 wurde der Hohe Chor geweiht und 1360/70 das Chorgestühl erbaut. Stadt und Kirche erlebten im Dreißigjährigen Krieg mehrfache Besitzwechsel, zeitweise sollte das Stift aufgehoben und den Jesuiten übergeben werden, was jedoch durch das Domkapitel verhindert wurde. Zwischen 1697 und 1706 wurde der gewaltige barocke Hochaltar geschaffen und im Chor aufgestellt. Nachdem 1717 die Turmhelme abgebrannt waren, wurde nur ein Notdach aufgesetzt. Während der napoleonischen Kriege wurde der Domberg wie auch der Petersberg in eine Festung umgewandelt und der Dom durch französische Truppen als Pferdestall missbraucht. 1803 und endgültig 1837 wurde das Domstift aufgelöst und diente fortan als Pfarrkirche. Wie die Lederschuhe ins Gestühl kamen Glockenwart Ernst Bünge verrät Geheimnisse – Zum Beispiel über eine mumifizierte kleine Maus Von Caroline Häfele und Constance Böhm Altstadt. (tlz) Ungewöhnlich hohe Stufen muss der Besucher meistern, um den Glockenturm des Domes zu erreichen. Ein kleiner Zwischenabsatz bietet eine gute Ausrede für eine Verschnaufpause. Nach mehrmaligem tiefen Durchatmen entdeckt der Besucher eine große Vitrine, die sich über alle Seiten des Absatzes erstreckt. Beim Nähergehen und genaueren Betrachten der Ausstellungsstücke entfährt ihm ein kleines Verwunderungsjauchzen. Al- Altstadt. (tlz) Ein Turm aus Legosteinen steht vor Andreas Gold. Als er mit der Hand den Druck von oben auf die Turmecken verstärkt, spritzen die Steine des Legostein-Hauses auseinander und vom ursprünglich stabilen Legoturm bleibt nichts übrig als viele kleine Bausteine. Was Andreas Gold, der Leiter des Dombauamtes, hier am Spielzeugmodell demonstriert, hätte bald das Schicksal der 65 Meter hohen Domtürme werden können. Was das bedeutet hätte, ist für die Erfurter und ihre Gäste kaum vorzustellen. Erfurt ohne Dom, das ist wie Paris ohne Eiffelturm. Als man sich 2002 an die Notsicherung machte, waren 17 Jahre seit Entdeckung der ersten bedrohlichen Risse im Südturm vergangen. „Es war höchste Zeit. Denn Mauerwerk verrät nicht, wann es einzustürzen gedenkt“, sagt Gold. Wie war es zu der bedrohlichen Lage gekommen? „Durch Umbaumaßnahmen seit dem späten Mittelalter und Läuten der Glocken über Jahre, entstanden nach und nach Risse und Hohlräume im Mauerwerk der Türme.“ Um den Einsturz abzuwenden, wurden 2003 und 2004 Sanierungsarbeiten durchgeführt. Durch Radarmessungen der Gesellschaft für geophysikalische Untersuchungen Karlsruhe kam man den Hohlräumen auf die Spur. Zur Aufnahme der Spannungen aus der hohen Belastung durch den Mittelturm wurden in mehreren Ebenen der Chorhalswände Spannanker aus Edelstahl eingebaut. Ebenso wurden die romanischen Wände des Süd- und Nordturmes mit Doppelankerlagen gesichert. Die insgesamt 900 Meter langen verbauten Edelstahlrohr bilden eine Art Skelett. Die Kosten der Sanierung betrugen insgesamt rund zwei Millionen Euro, die vom Land Thüringen, von der Bundesstiftung Umwelt, der Vereinten Kirchen- und Klösterkammer und vom Bundesverwaltungsamt aufgebracht wurden. te Lederschuhe, ein Kamm, eine mumifizierte Maus, eine Taschensonnenuhr, gelbe Gebetszettel und Tierknochen sind zu bestaunen. Wie kommen diese hierher? Jahrhundertalter Staub und Abfall „Diese Fundstücke wurden im Rahmen der Sanierungsarbeiten am Chorgestühl im Jahr 2004 entdeckt, als wir das Chorgestühl von der Wand rücken mussten und darunter jahrhundertalten Staub und Abfall fanden“, er- läutert Glockenwart Ernst Bünge. Er hatte mit einigen Helfern den Staub und Abfall in mehreren Wochen mühsam mit der Hand durchgesiebt. Woher diese Gegenstände genau stammen, wird sich wohl nie klären lassen. Hat sich ein Mitglied des Domkapitels während des Chorgebetes seiner Schuhe entledigt? Hat ihm der Fuß gejuckt, sodass er den Schuh ausziehen musste? Und hat er ihn anschließend vergessen? Doch dann hätte doch jemandem ein humpelnder Geistlicher mit nur einem Schuh auffallen müsssen. „Die Tierkno- chen stammen wahrscheinlich aus der Zeit, als der Dom von der Kavallerie der Franzosen 1813 und 1814 als Lager und Stall benutzt wurde“, erklärt Ernst Bünge. Ungelüftete Rätsel bleiben Die Untersuchung des Chorgestühles brachte Erstaunliches zu Tage. Die Restauratoren stießen auf bislang unentdeckte Bemalungen oberhalb des Chorgestühls: Goldene Sterne leuchteten ein auf blauem Himmelszelt. Auch die bislang auf 1350 datierte Entstehungszeit muss neuberechnet werden. Die Eichen für das Chorgestühl stammen bereits aus dem Jahr 1328. Die Zimmerleute haben sie damals sofort verbaut. Der hohe Chor wurde aber erst um 1360 oder 1370 eingeweiht. Es bleibt also im Unklaren, warum das Chorgestühl so lange vorher angefertigt wurde. Alle diese Einzelheiten werden wir wohl nie erfahren, sie bleiben ungelüftete Rätsel. Nur eins ist klar, es gab wohl schon immer kleine Kirchenmäuse, die in der Kirche Unterschlupf fanden. INFOKASTEN Warum war der Erfurter Dom einsturzgefährdet? Drei wesentliche Ursachen führten zur akuten Einsturzgefährdung der Türme des Domes. Hauptursache war der umfassende Umbau des Gebäudes von einer romanischen Basilika zur gotischen Kathedrale. Der Abriss der Ostwand der Basilika des 12. Jahrhunderts hat die Stabilität der Doppelturmanlage, der heutige Nord- und Südturm, entscheidend gefährdete. Die Domherren ließen die Ostwand abreißen, um im 13. Jahrhundert Platz für einen Vorgängerchor des heute existierenden Hohen Chores zu schaffen. Mit dem Bau des hohen Chors im 14. Jahrhundert wurde der Mittelteil zwischen den beiden ursprünglichen romanischen Türmen erhöht und zum heute höchsten Mittelturm mit eigenem Turmhelm ausgebaut. Die Abfangung des Mittelteils auf die Seitentürme bei gleichzeitiger Erhöhung der Lasten durch Errichtung des Mittelturmes führte in Verbindung mit dem Abbruch der ehemaligen Ostwand zu Lastumlagerungen im Bauwerk. Das innere Füllmauerwerk (Mörtelkonglomerat) verlor wegen der fehlenden Außenschale den Verbund und riss auf. Die hoch belasteten Mauerwerksecken der beiden ursprünglichen Tür- me wurden geschwächt, die Türme drohten einzustürzen. – Eine zweite Ursache ist die Zerstörung der Turmhelme durch Brand im Jahr 1717. Zum einen war das Gestein der Türme noch stärker der Witterung ausgesetzt, zum anderen wurde der empfindliche Sandstein aus dem Seeberger Steinbruch bei Gotha bei dem Brand sehr hohen Temperaturen ausgesetzt, so dass etliche Steine zerplatzen und weitere Risse erhielten. Das Glockenläuten gilt zwar für die aufgetretenen Schäden nicht als Hauptursache, verstärkte aber die gefährlichen Folgen der ersten beiden genannten Ursachen. Die Messungen des Institutes für Strukturmechanik der Weimarer Bauhaus-Uni ergaben, dass das Läuten der Glocke im Südturm zu einer Bewegung des Nordturmes führte. Wenn die Glocken im Nordturm geläutet wurden, bewegte sich der Südturm. Der mittlere Turm bewegte sich in Ost-WestRichtung, sobald die Gloriosa geläutet wurde. Diese millimeterstarken Bewegungen reichten aus, um dem Mauerwerk durch um etwa 17 Prozent höhere Mauerwerksbeanspruchungen weitere Risse zuzufügen. Ein Beitrag von: Anne-Christin Weber, Caroline Häfele, Johanna Hoffmeier und Constance Böhm Schwingungen in alten Glockentürmen Im Interview mit Dr.-Ing. Volkmar Zabel, Institut für Strukturmechanik der Bauhaus-Uni Weimar Von Titus Nowotny Gloriosa: Auch ihre Schwingungen erzeugten Risse. Foto: HS Erfurt/Weimar. (tlz) Ein Rätsel der Sanierungsarbeiten am Dom war die Frage, inwieweit das Glockenläuten ursächlich für die Einsturzgefährdung des Nord- und Südturmes gewesen ist. Messungen des Institutes für Strukturmechanik der Bauhaus-Uni Weimar ergaben um 17 Prozent erhöhte Mauerwerksbeanspruchungen, die durch anderweitig entstandene Risse nicht mehr aufgefangen werden könnten. Ein Ergebnis war auch, dass das Schlagen einer Glocke ein Schwingen im Nachbarturm verursacht. Läuteten alle Glocken, verdrehte sich der Baukörper in sich selbst. Volkmar Zabel von erwähntem Institut fand durch aufwändige Schwingungsmessungen diesen Zusammenhang heraus. Herr Zabel, Sie gelten als Experte zur Schwingungsmessung von Glockentürmen. Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit gekommen? Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zum Baufacharbeiter mit Abitur gemacht, bin also auf dem Bau groß geworden. Nach dem Studium des Bauingenieurwesens in Weimar und England begann ich am Institut für Strukturmechanik als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Hier bin ich 1997 in einem Forschungsprojekt erstmals mit einem Glockenturm in Berührung gekommen. Seitdem beschäftige ich mich immer wieder mit Schwingungen von historischen Glockentürmen. Und was waren Ihre letzten Arbeiten auf diesem Gebiet? Die letzten Schwingungsmes- sungen führte ich an der Dreiturmgruppe der Erfurter St. Severikirche durch, wo ich noch beratend tätig bin. Welche Bedeutung hat das Thema Schwingungen in Glockenstühlen? Es geht oft darum, dass spezielle Fragen bei Sanierungsvorhaben auftreten, die über das Leistungsspektrum der ’normalen’ Tragwerksplanungsbüros hinausgehen. Es gibt einige Büros, die solche Aufgabenstellungen bearbeiten, die sind meist auf dem Gebiet der Baudynamik tätig. Gibt’s in diesem Gebiet eine Festlegung, an die sich alle Planungen halten müssen? In Deutschland gibt es eine Norm über Glockentürme: die DIN 4178. Sie wurde im vergangenen Jahr neu gefasst. Mit welchen Problemen beschäftigt sich denn Ihr Lehrstuhl außerdem? Hauptsächlich mit der Problematik, Bauwerke und -teile realitätsgetreu abzubilden, also Computer-Modelle zu entwickeln, mit denen Berechnungen von verschiedensten Beanspruchungen in der Lebenszeit eines Bauwerks, einschließlich bestimmter Schädigungen, durchführen kann. Wie kann man sich die Entwicklung dieser ComputerModelle vorstellen? Dazu gehören mehrere Teilaspekte. Zum einen muss man bestimmte Eigenschaften von bestehenden Bauwerken ermitteln – wie zum Beispiel Eigenformen und Eigenfrequenzen. Dann ist das Computermodell so anzupassen, dass es das in der Realität be- obachtete Verhalten widerspiegelt. Diese beiden Punkte werden auch als Systemidentifikation bezeichnet. Ein ganz wichtiger Punkt ist natürlich dann die Entwicklung von speziellen Berechnungsmethoden, die eine effiziente Berechnung ermöglichen. Möchten Sie dem Leser noch etwas mitteilen? Leider genießt der Beruf des Bauingenieurs in unserer Gesellschaft nicht das höchste Ansehen, was meiner Meinung nach aber auch daraus resultiert, dass viele Leute gar nicht wissen, wie interessant unsere Arbeit ist. Wir freuen uns auf jeden Fall, wenn junge Leute Interesse am Bauingenieurwesen entwickeln. Vielen Dank für dieses Gespräch.