Mein College-Alltag in Bellingham

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Mein College-Alltag in Bellingham
von Hendrik Benz
Mein CollegeCollege-Alltag in Bellingham
mein erster Zwischenbericht während meines USA-Jahres in Bellingham
Bellingham, 10. November 2008
Ich gebe zu: mein Aufmacher klingt nicht gerade abenteuerlich – aber
das, was ich in den 79 Tagen erlebt habe, seitdem ich hier in den USA bin,
hat auf jeden Fall Abenteuer-Charakter. Faszinierend sind letztlich die
interkulturellen Unterschiede, die man immer wieder erfährt – mögen sie
auch ganz banal und alltäglich sein. Es ist erstaunlich, wie ähnlich und
zugleich unterschiedlich das Leben in meiner Hostfamily im Vergleich zu
meinem zu Hause in Deutschland ist; und mir wird oft (immer wieder)
deutlich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht der verlängerte
Arm Europas ist.
Auf gehts
Aber wie ist das Gefühl eigentlich,
wenn man die restlichen Tage zu Hause an
einer Hand abzählen kann? Aufregend! Es
ist schon merkwürdig, wenn man wie ich
im Haus Gegenstände ‚aus dem Weg
räumt’, die ein ganzes Jahr nicht
gebraucht werden - der erste Schritt des
‚Goodbye’ sagen und Abschiednehmen.
Oder wenn man alle Freunde ‚ein letztes
Mal’ zur Abschiedsparty einlädt; oder
wenn man das letzte Mal zum Sport fährt;
oder wenn man das letzte Mal den Rasen
mäht. Auf der anderen Seite habe ich aber
Abschied am Bremer Flughafen
auch oft gedacht: „Warum das alles? Ich
bin doch nur ein Jahr weg! Ich wandere ja
schließlich nicht aus“. Trotz alledem habe ich nicht eine Sekunde an meinem
Vorhaben gezweifelt. Ich habe mich schon seit langer Zeit danach gesehnt,
die Welt zu entdecken und Neues zu erleben und mal von zu Hause weg zu
sein. In der letzten Nacht, bevor es losging, habe ich so gut wie gar nicht
geschlafen und war froh, um vier Uhr aufstehen zu müssen. Meine größte
Sorge war, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Glücklicherweise war das
nicht der Fall.
Im Flugzeug von Bremen nach Frankfurt hatte ich noch nicht realisiert,
Familie und Freunde für ein Jahr verabschiedet zu haben. In Frankfurt traf ich
einige andere PPP-ler (so nennen wir uns) und zusammen stiegen wir als
Gruppe in den Flieger nach New York City (JFK Airport). Dort wurden wir von
unserer Austauschorganisation CDS bereits erwartet. Vorher mussten wir
allerdings
zwei
Stunden
in
der
Schlange
stehen,
um
den
Einwanderungsprozess hinter uns zu bringen. Dann ging es mit einem Bus
zum YMCA-Hotel, unsere Herberge für die nächsten drei Tage. Das YMCA
liegt sehr zentral mitten in Manhattan – es waren nur einige Minuten zu Fuß
zum Times Square, den wir noch am gleichen Abend erkundeten. New York ist
genauso, wie es erzählt wird: schlaflos, hektisch, laut und schwül zu dieser
Jahreszeit. Aber dennoch fühlte ich mich sehr wohl und erstaunlicherweise,
auf Grund der nummerierten Streets und Avenues, fanden wir uns sehr gut
zurecht. Die nächsten drei Tage hat uns CDS mit nötigen Information für die
Home Stay Tour, Jobsuche, Versicherungen und Autokauf versorgt. Dennoch
war ein wenig Zeit, New York zu erkunden. Bei unserer Bustour durch
Manhattan wurden wir von einem - ich nenne ihn mal ‚New York Experten’ durch viele Detailinfos und Geschichten unterhalten, was die Tour auf jeden
Fall zu einem Highlight der drei Tage machte. Aber was soll ich sagen – um
New York City, die Stadt die niemals schläft, zu erleben, ist es sicher
realistisch zu behaupten, das man selbst nach drei Wochen lediglich einen
Bruchteil erlebt hat.
Home Stay Tour
Meine Home Stay Tour ist im Grunde
ein Kapitel für sich – aber einen kleiner
Einblick muss sein. Am letzten Tag haben
wir uns, abhängig von Entfernung und
Richtung,
mit
verschiedenen
Transportmitteln auf unsere Home Stay
Tour gemacht. Für meine Gruppe von
Vieren hieß es: von der Penn Station mit
dem Amtrak über Washington D.C. und
Die Browns in Kalamazoo
Chicago, IL nach Kalamazoo, MI zu fahren.
Die Tour hat länger als 30 Stunden gedauert und war von
Verspätungen geprägt. Darüber hinaus waren wir überhaupt nicht darauf
vorbereitet, dass es im Amtrak unheimlich kalt ist. Da ich mein Gepäck
aufgegeben hatte, blieb mir nichts anderes übrig als zu frieren. Wer ahnt das
schon?
In Kalamazoo angekommen stellte sich dann heraus, dass eine der
Gastfamilien ausgefallen ist und das wir alle vier bei Allen und Sheryl Brown
aufgenommen werden. Wir hatten unheimlich viel Spaß zusammen. An einem
Tag sind wir beispielsweise mit Fahrrädern durch Kalamzoo gezogen und
haben die Stadt erkundet. Mit Studenten der Western Michigan University
besuchten wir den beeindruckenden Lake Michigan, der eher einem Ozean
gleicht. Mit den beiden Töchtern der Browns hatten wir eine Menge Spaß in
einem Freizeitpark. Man sieht – eine Home Stay Tour bringt eine Menge
Vergnügen mit sich!
Am Morgen des fünften Tags hieß es dann Abschied nehmen – von der
Gruppe und den Brown’s. Ich führ mit dem Amtrak zurück nach Chicago. Am
Bahnhof wartete ich zwei Stunden auf meinen Shuttle, der mich in 45
Minuten quer durch Chicago zum Flughafen O’Hare brachte. Dort
eingecheckt wartete ich wieder auf meinen Flug nach Seattle, der etwa vier
Stunden dauerte. Dort angekommen habe ich fast fünf Stunden auf meinen
25-minütigen Flug nach Bellingham gewartet. Sicher hätte man mich abholen
können – aber so war es halt nicht geplant. Mit dem Auto braucht man von
Bellingham zum Airport Seattle/Tacoma etwa zwei Stunden.
My New Home Town
Am 20. August 2008 bin ich bei starkem Regen nun endlich an dem
Ort angekommen, wo ich das Jahr leben werde. Am Flughafen wurde ich von
meiner Gastschwester Collette und einer Mitarbeiterin des Whatcom
Community College in Empfang genommen. Abhängig von der Platzierung ist
die Dauer bis zum College-Start unterschiedlich. In meinem Fall hatte ich
fast sechs Wochen Zeit, mich einzuleben und mich um Führerschein, Social
Security Number, Autokauf, Bankkonto und ähnliche Dinge zu kümmern. Es
gibt eine Regel, die man sich gut merken kann: Alles ist von Staat zu Staat
unterschiedlich. Deutschland ist das einzige Land, mit dem Washington
State ein Abkommen bezüglich des Führerscheins hat. Ich brauchte keine
Tests oder Fahrprüfung machen. Mit einer Bestätigung vom College über
meinen Wohnsitz in Bellingham und einer Gebühr von $ 45,00 bin ich
Besitzer eines fünf Jahre gültigen amerikanischen Führerscheins.
Auch wenn ein wenig Luft bis zum Collegebeginn hilfreich ist und wir
beispielsweise Zeit für ein verlängertes Camping-Wochenende in Kanada
hatten – sechs Wochen sind definitiv zu lang. Schließlich brauche ich meinen
Alltag, und das College ist der ideale Treffpunkt, um Leute kennen zulernen.
Bevor es losging, habe ich zusammen mit Mitarbeitern des Colleges meinen
Stundenplan erstellt. Das gestaltete sich gar nicht so einfach, da es in
meinem Fall oft dazu kam, das sich Kurse überschnitten haben. Daher konnte
ich nicht ‚Computer Programming’ und ‚Marketing’ wählen, stattdessen
besteht mein Stundenplan nun aus ‚English’, ‚Acting’ und ‚Web Design’.
Insbesondere die Schauspielklasse macht mir riesigen Spaß und ist sehr
abwechslungsreich. Es ist aber auch nicht ganz leicht zwischen all der
amerikanischen Umgangssprache. Anders, als man es sich vielleicht
vorstellt, nämlich die englische Sprache einfach aufzusaugen wenn man in
einem solchen Umfeld lebt, muss ich in meinem Fall schon daran arbeiten.
Insbesondere am Vokabular. Da ist meine Englisch-Klasse, die sich auf das
Schreiben von Aufsätzen konzentriert, sehr gut angebracht. In der Web
Design Klasse lernen wir außerdem den Umgang mit ‚Dreamweaver’.
Nebenbei bin ich auch als Deutsch-Tutor eingetragen und gebe
interessierten Studenten Nachhilfe in Deutsch.
Das Leben bei den Moldys
Ich möchte natürlich kurz etwas zu meiner Familie erzählen. Wir leben
hier auf einem großen Grundstück am Rande von Bellingham in Whatcom
County, 25 Meilen bis zur kanadischen Grenze. Meine Gastmutter Deborah
Moldenhauer (48) ist eine absolute Tierliebhaberin und begeisterte Reiterin.
Bis vor einigen Jahren arbeitete sie als Tierarzthelferin, ist jetzt jedoch als
Reitlehrerin zu Hause tätig. Mein Gastvater Mark Moldenhauer (53) arbeitet
in einer Fabrik und ist dort für Betriebssicherheit verantwortlich. Meine
Gastschwester Collette (22) macht am Bellingham Technical College eine
Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Sohn Brent (26) wohnt in Eastern
Washington, und Tochter Sarah (25) in Berlin.
Wie schon der Nachname ahnen lässt haben die Moldenhauers, sowie
auch die Familie meiner Gastmutter, zwei Generationen zurück, deutsche
Vorfahren. Da Tochter Sarah in Berlin lebt und die Familie Verwandtschaft in
Deutschland hat, pflegen die Moldenhauers stets Kontakte nach
Deutschland.
Es sind schon fast drei Monate
vergangen seitdem ich hier angekommen bin.
Seit einigen Wochen kümmere ich mich
intensiv darum, einen Job in meinem
Berufsfeld
als
Fachinformatiker
zu
bekommen. Vielleicht springt der Optimismus
des neuen, demokratischen Präsidenten
Barack
Obama
schnellstens
auf
die
Arbeitgeberwelt über, damit die Zeit, wo
jeder über ‚bad economy’ spricht, bald zu
My hostmom and ‚The Joker’
Ende ist. Bis Januar ist aber noch ein wenig
Zeit und ich bin sicher, dass ich bis dahin einen Job finde.
Den Präsidentschaftswahlkampf habe ich, sicher ganz im Gegensatz zu
anderen Familien hier in den Staaten, sehr verhalten erlebt. Dennoch habe
ich das Geschehen insbesondere durch Fernsehnachrichten verfolgt und mich
durchs Internet über Standpunkte informiert. Mit Begeisterung habe ich die
Reden beider Kandidaten im Fernsehen erlebt, und mit letztlich gefreut das
Barack Obama das Rennen gemacht hat, da ich der Meinung bin, das er der
vorausdenkendere und loyalere Präsident sein wird.
Letztes Wochenende habe ich mein erstes, richtiges Halloween erlebt.
Verwandelt als ‚The Joker’ habe ich zusammen mit College-Freunden
ausgiebig gefeiert. Dieses Halloween werde ich sicher nie vergessen!
Mit meiner Familie komme ich wunderbar aus und ich fühle mich wirklich
wie zu Hause. Das einzige was mich stört, ist der zu dieser Jahreszeit
übliche, endlose Regen. Auch wenn man manchmal ein kleines Gefühl von
Verlorenheit hat, und einem die enorme Entfernung zur Heimat bewusst
wird, bin ich trotzdem froh die Chance zu haben, hier ein Jahr in den USA zu
leben - die Erfahrung, die man hier macht, ist für jeden einzelnen Teilnehmer
dieses Programms einzigartig.