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31 Tages-Anzeiger – Dienstag, 22. Mai 2012 Kultur & Gesellschaft Energie bis in die Fingerspitzen Das junge Zürcher Galatea-Streichquartett brilliert nicht nur klassisch. Morgen tritt es im Kaufleuten auf. Lieber Herr V., ich finde, dass die Antworten in dieser Rubrik fadengerade ausfallen sollten – das Leben ist schon kompliziert genug. Allerdings muss man auch in der Mode differenzieren, gerade wenn es um Fragen im Zusammenhang mit dem Alter geht. Dann nämlich gilt der Satz «Es kommt darauf an» erst recht. Bettina Weber Die TA-Autorin beantwortet jede Woche Fragen zu Mode und Stil. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tagesanzeiger.ch. Ein breiter Horizont Das Galatea-Quartett (von links): David Schneebeli, Julien Kilchenmann, Yuka Tsuboi und Sarah Kilchenmann. Foto: Raphaël Fleury «In der Probearbeit landen wir dann trotzdem schnell auf demselben Nenner», sagt Kilchenmann. Und das glaubt man ihm, wenn man die vier Musiker spielen hört. Wie eine grosse Welle strömt beispielsweise eine mendelssohnsche Begleitfigur durch das Ensemble. Es klingt, als wären nicht viermal zehn Finger am Werk, sondern einmal vierzig. Vielleicht war es genau dieses Vielgestaltige unter einem gemeinsamen grossen Bogen, das den ehemaligen Bratschisten des Alban-Berg-Quartetts, Hatto Beyerle, aufhorchen liess. Er ist der Mentor des Ensembles. Und das ist für sich allein genommen schon ein Gütesiegel: Wen Beyerle unter seine Fittiche nimmt, der hat einen eigenen Tonfall in der Musik. (Und dazu mit Beyerle das Glück, nicht auf marktgerechte Uniformität getrimmt zu werden.) Deshalb spricht auch die in gemeinsamer Arbeit mit ihm entstandene CD mit Werken von Ernest Bloch (erschienen letzten Herbst bei Sony) mehrere Musiksprachen. Und damit ist nicht Amerikanisch und Schweizerisch gemeint, wie man aus der Biografie des 1916 nach Portland ausgewanderten Genfer Komponisten schliessen könnte. Denn Bloch schuf Werke von ganz unterschiedlicher Klanglichkeit. Szenen jüdischen Lebens Mittels zarter Klangmalerei verwandelte er Landschaften in Töne, frönte aber auch gerne dem satt schmelzenden (und manchmal auch etwas schmalzigen) Tonfall, mit dem er Szenen aus dem jüdischen Leben eine neue Musiksprache gab. Für die vier Musiker des GalateaQuartetts eine willkommene Vielfalt, um die Bandbreite ihrer Ausdrucksmöglichkeiten zu zeigen. Und an Ausdruck fehlt es ihnen nicht. Wenn im Konzert die Fingerspitzen der vier zu vibrieren scheinen, dann kaum je wegen eines durchgehenden, romantisierenden Vibratos, sondern vielmehr, weil sie bis in besagte Fingerspitzen angefüllt sind mit Elan und Energie. Einer Energie, die je nach Werk verschiedene Gesichter annimmt. Soiree classique morgen Mittwoch 20 Uhr im Kaufleuten. Moderation: Susanne Kübler. Ermässigung mit Carte blanche. Eine Ausstellung, die dem Ohr mehr gibt als dem Auge Der Berner Künstler San Keller lädt zu seiner ersten Zürcher Museumsschau – und zeigt sich darin überaus gesprächig. Von Paulina Szczesniak Wenn Sie in diese Ausstellung keine Zeit investieren wollen – vergessen Sies. Nur kurz durchhasten liegt nicht drin. Wer von San Kellers Soloschau im Helmhaus – seiner ersten in einer grösseren Zürcher Institution – etwas haben will, der schalte einen Gang zurück und das Handy am besten aus. Das ist viel verlangt, und das weiss der bernstämmige Wahlzürcher nur zu gut. Zeit dürfte die einzige Währung sein, mit der wir noch knausriger wirtschaften als mit der zahlungsüblichen; emsig häufen wir Überstunden an, um sie, irgendwann einmal, fernab vom hektischen Alltag verbraten zu können. Und nun hängt beim Treppenaufgang zum Helmhaus das Fotoposter eines Traumstrandes. Ein Blick genügt, und das Fernweh wird so stark, dass man meint, Salzwasser zu schmecken. Damit setzt San Keller die Besucherin schachmatt, noch bevor sie die Ausstellung richtig betreten hat. Und zwar ganz ohne Worte. Das ist insofern erstaunlich, als alles, was danach kommt, im Ausstellungstitel pragmatisch zusammengefasst wird als «Spoken Work»: all jene kellerschen Werke, bei denen die Sprache Trumpf ist. Hotelbetten und Yogamatten Im ersten Obergeschoss liess Keller eine Tür einbauen. Tritt man durch sie hindurch, steht man in einem perfekt nachgebauten Hotelzimmer: TV, Schreibtisch, Schrank, der Kunstdruck an der Wand – alles da. Sogar das obligate Schildchen «Bitte nicht stören», das man Eine Lederjacke wie Brando mit 65? Ich bin 65 Jahre alt, schlank und von sportlicher Figur. In der Freizeit trage ich gerne eine Jeans (sauber, nicht verwaschen) und eine Lederjacke Perfecto von Schott (ohne Aufschrift), wie Marlon Brando eine in «The Wild One» trug. Meine Ehefrau findet, dass man in meinem Alter so ein Tenü nicht mehr trägt – sicher nicht für einen Spaziergang in der Stadt tagsüber. Bin ich wirklich so daneben? J.-P. V. aus Z. Von Anna Kardos Zunächst sah alles nach einem Studienpflänzchen aus. Als sich 2005 vier Studenten der Zürcher Hochschule für Musik – eine Japanerin und drei Schweizer – zusammenschlossen, folgten sie damit dem Rat ihres Professors Stephan Görner: Man solle sich in der Kammermusikform üben, um Gehör, Intonation und Zusammenspiel zu verfeinern. Doch das Experiment mit dem Namen «GalateaQuartett» entwickelte ungeahnte Qualitäten: Bereits nach zwei Monaten gewann es den dritten Platz beim MigrosKammermusik-Wettbewerb und ein Jahr später belegte es einen der vorderen Ränge beim internationalen Concours de Genève. Aus dem Experiment wurde Ernst, das Studienpflänzchen wuchs und wuchs. Es schlug Wurzeln in der Musiklandschaft und verzweigte sich sozusagen musikalisch nach links und nach rechts, als es mit Tina Turner eine CD einspielte, Pink Floyds «Dark Side of the Moon» in Kammermusikfassung aufführte und daneben den Klassikern mit Transparenz und Klarheit begegnete. «Das gibt es tatsächlich eher selten, dass ein Streichquartett gleichzeitig in mehreren musikalischen Richtungen zu Hause ist», bestätigt Julien Kilchenmann, der Cellist des Galatea-Quartetts. Bei ihnen sei es beinahe eine logische Konsequenz gewesen. Denn die vier Musiker – die Geigerin Yuka Tsuboi, die Geschwister Sarah und Julien Kilchenmann und der Bratschist David Schneebeli – haben alle einen unterschiedlichen musikalischen Hintergrund. «Der eine kommt mehr von der historischen Aufführungspraxis, die andere hat die virtuose Violinschule der grossen Solokonzerte durchlaufen, und der Dritte bringt Jazz und Pop mit ins Spiel», so der Cellist. Das Galatea-Quartett glaubt, dass diese heterogene Stil-Herkunft guttut: «Sie ermöglicht uns, den Werken mit einem breiteren Horizont zu begegnen.» Und sogar in der fertigen Interpretation noch als vier eigenständige Personen erkennbar zu sein, möchte man am liebsten anfügen. Stilfrage «Spoken Work» heisst San Kellers Schau im Zürcher Helmhaus. Foto: PD an den Türknauf hängen kann, bevor man die Tür hinter sich ins Schloss zieht und es sich auf dem schmalen Bett bequem macht. Letzteres ist untypisch für einen Museumsbesuch, jedoch explizit erwünscht, denn so lässt sich am besten den Stimmen von Shirana Shahbazi, Stefan Burger und weiteren Schweizer Künstlern lauschen, die akustisch Einblick in ihren Feierabend gewähren. Im Auftrag von San Keller haben sie auf Tonband das festgehalten, was ihnen vor dem Zubettgehen durch den Kopf ging – Selbstzweifel, Philosophisches oder blosse Banalitäten. Es ist ein fairer Deal: Man nimmt sich Zeit zum Zuhören und darf dafür hinter die Fassaden des Künstlerseins blicken. Nein, konventionell ist San Kellers Kunstbegriff sicherlich nicht. Das war schon vor zwölf Jahren klar, als er, da- mals noch Student an der Schule für Gestaltung, gegen Bezahlung schlief – in Büros, Ateliers, ja sogar vor laufenden Kameras bei «10 vor 10». Oder als er für das Projekt «San Keller trägt Sie hoch zur Kunst» im Kunsthaus verdatterte Besucher die Treppen hochschleppte. Doch nicht nur das Publikum soll die Kunst aus neuen Blickwinkeln betrachten, sondern auch der Künstler selbst. So mietete Keller letztes Jahr an der Zürcher Berufsmesse einen Stand und lud Kollegen ein, dort für den Künstlerberuf zu werben – was diese, unter den skeptischen Blicken der jugendlichen Kundschaft, auf mehr oder minder originelle Weise taten. Videos zeigen, wie sie die Teenager im Zeichnen instruieren, sie dadaartig mit Pferdemaske ablichten oder einfach geduldig jede noch so alberne Frage beantworten. Ein andermal bestellte Keller seine Freunde ins Sitzungszimmer eines Businesshotels – zum gemeinsamen Meditieren. Ziel der Übung war, die geballte künstlerische Geisteskraft per Telekinese in ein unweit gelegenes Grafik atelier zu übermitteln, wo zeitgleich ein Dutzend Festfahnen gestaltet wurden. Letztere schmücken nun die Helmhausfassade, während die Aufzeichnung der Gruppenmeditation an Bildschirmen verfolgt werden kann – auf lila Yoga matten sitzend, Auge in Auge mit den projizierten Kreativdenkern. Ein Diskurs auf der Metaebene. Etwas schräg ist das schon, und mancher Besucher mag ob der Tatsache, dass man ihn durchs offene Museumsfenster beim Kunstgucken beobachten kann, gar peinlich berührt sein. Eine Portion Extrovertiertheit mitzubringen an diese Schau, empfiehlt sich: An Karaokestationen darf man Gespräche, die San Keller mit Besuchern eines deutschen Museums führte, sprechenderweise Revue passieren lassen. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass man nicht den Föifer und s Weggli haben kann: Entweder gibt man sich Mühe, fliessend und fehlerfrei zu sprechen, und kriegt dafür den Inhalt nicht recht mit. Oder man konzentriert sich auf das Gesagte und macht dafür Abstriche bei der Wiedergabe. Dabei erhält man, via subjektives Urteil, nachträglich Einsicht in eine Ausstellung, die bereits vorbei ist, und gestaltet gleichzeitig die aktuelle Schau mit. Flüchtiges Gemeinschaftswerk Das ist ganz schön subversiv: War einst der Künstler das Werkzeug, das den Ruhm der Mächtigen (oder zumindest Zahlungskräftigen) für die Ewigkeit festhielt, funktioniert die Werkzeugwerdung hier genau anders rum: Der Künstler bestimmt die Spielregeln, der Konsument führt aus. Statt Skulpturen oder hübscher Leinwände entsteht ein flüchtiges Gemeinschaftswerk, von dem jeder nur jenes Bruchstück mitbekommt, das er selber beisteuert. Die Idee des Pars pro Toto zelebriert Keller auch im letzten Ausstellungsraum: Kaum eingetreten, steht man vor einem riesigen weissen Quader, der den Raum fast gänzlich einnimmt. In dem schmalen Spalt die Wand entlang laufend, vernimmt man gedämpfte Stimmen: die des Künstlers und jene von einigen Kunstkritikern, denen er 24 Stunden lang Rede und Antwort stand. Dieses selbst auferlegte «Kunstverhör» brachte Befragten wie Befrager an ihre Grenzen – und nun auch die Besucher, da es derart leise abgespielt wird, dass man nur Fetzen davon mitbekommt. Das Ohr dicht an der Wand, rücken wir schrittweise vor. Und mit uns die Schweizer Kunst ein kleines Stück weiter nach vorne. Bis 1. Juli. Zunächst: Eine Lederjacke ist nicht einfach eine Lederjacke. Es gibt gruselige Modelle mit schlechtem, sprich blousonartigem Schnitt, die keineswegs Coolness und Verwegenheit verströmen, sondern unangenehm an die deutschen Polizistenmodelle erinnern, die der Gipfel der Steifheit sind. Oder denken Sie an den Fernsehdetektiv Matula, ein ganz abschreckendes Beispiel, dem die Lederjacke etwas Rebellisches verleihen soll. Das Ergebnis ist allerdings, dass er bloss noch hölzerner wirkt. Und dann gibt es das Modell Ihrer Wahl, nämlich die Perfecto von Schott. Ein Klassiker, unzählige Male kopiert und deshalb von einem ganz anderen Kaliber. Der Punkt ist: Die Perfecto ist kurz und eng geschnitten. Das macht ihr Rock-’n’-Roll-Flair aus, lässt sie aber eben auch eindeutig jugendlich wirken; als Marlon Brando sie im Film «The Wild One» trug, war er knapp 30 – und das machte sowohl ihn als auch die Jacke glaubwürdig. Kleidungsstücke, die für ein Lebensgefühl stehen wie die Perfecto, funktionieren deshalb nur bis zu einem gewissen Alter. Solange nämlich, wo sie selbstverständlich und unangestrengt wirken. Danach besteht die Gefahr, dass sich die Wirkung ins Gegenteil verkehrt. Sie können Ihr Alter – was bösartiger klingt, als es gemeint ist – indes auf zwei Arten wettmachen. Zum einen mit Ihrer Attitüde. Zum anderen mit dem Rest der Kleidung. Dass Sie keine verwaschenen Jeans tragen, ist schon einmal lobenswert. Zusätzlich empfehle ich als charmanten Stilbruch Hemden, und zwar schlichte weisse. Und: Tragen Sie doch anstatt der Perfecto hin und wieder einen Blazer, wenn Sie mit Ihrer Frau unterwegs sind. Darunter können Sie dann wiederum ein T-Shirt montieren – wieder ein Stilbruch, aber grad andersrum. Das Gedicht der tisch für marianne und max frisch viel sympathie für diesen tisch mit dem die hand verwandtschaft spürt die platte trägt man nur zu zweit kein zweites mal nach nebenan gravierte schrift vom holzwurm stammt der insgesamt ein schreibgerät von fern berührt der daran sitzt mit leichtem stift ein blatt papier Ernst Jandl (1925–2000). Aus: Für alle. Luchterhand-Verlag.