Paul Krugman, 11.Juli 2013
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Paul Krugman, 11.Juli 2013
Delusions of Populism - Der Wahn der Volksnähe Paul Krugman, NYT , 11.Juni 2013 ( Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Tober ) Haben Sie schon einmal von ”libertärem Populismus” gehört? Wenn nicht, kommt das bald. Mit Sicherheit wird er im Radio und in Zeitungskolumnen im ganzen Land angepriesen werden, und zwar von denselben Leuten, die uns vor ein paar Jahren versichert haben, Paul Ryan sei die Verkörperung des ernstzunehmenden, ehrlichen Konservativen. Hier also eine nützliche öffentliche Bekanntmachung: Das ist purer Unsinn. Zum Hintergrund: Dies sind schwere Zeiten für konservative Intellektuelle - für jene in Thinktanks und Meinungsseiten Verankerten, die davon träumen, die Republikaner könnten noch einmal zur “Partei der Ideen” werden. (Ob sie das jemals waren, sei dahingestellt.) Eine Zeit lang glaubten sie, ihren Superhelden in Paul Ryan gefunden zu haben. Der berühmte Ryan-Plan hat sich aber als nichts als Lug und Trug herausgestellt, und ich vermute, auch Konservative realisieren insgeheim, dass der Verfasser mehr Schaumschläger als Visionär ist. Was also ist die nächste große Idee? Vorhang auf für den libertären Populismus. Der Grundgedanke dabei ist, dass es ein Reservoir unzufriedener Wähler in der weißen Arbeiterschicht gibt, das zwar letztes Jahr nicht zur Wahl gegangen ist, aber jederzeit mit dem richtigen konservativen Wirtschaftsprogamm wieder mobilisiert werden kann - und dass eine solche Remobilisation die Wahlgeschicke der Republikanischen Partei wieder zum Guten wenden kann. Es leuchtet ein, warum viele Rechte diese Idee reizvoll finden. Legt es doch nahe, dass die Republikaner den verlorenen Glanz wiedererlangen können, ohne dass viel verändert werden müsste - man braucht sich nicht um die nicht-weißen Wähler zu bemühen, und man muss die eigene Wirtschaftsideologie nicht neu überdenken. Zu gut, um wahr zu sein, sollte man da denken - und das ist es denn auch. Die Vorstellung einer libertären Volksnähe ist in mindestens zweierlei Hinsicht wahnhaft. Erstens beruht der Gedanke, eine Mobilmachung weißer Wähler sei alles, was es brauche, weitgehend auf der Behauptung des politischen Analysten Sean Trend, Mitt Romney sei im letzten Jahr hauptsächlich deshalb gescheitert, weil er “die weißen Wähler nicht erreicht” habe - jene Millionen “ländlicher, weißer Unterschichtwähler aus den Nordstaaten”, die der Wahl ferngeblieben seien. Mr. Trends Sichtweise wurde sofort aufgegriffen von Konservativen, die jede größere Veränderung der GOP-Position ablehnen - insbesondere von den Gegnern der Einwanderungsreform - und als Beweis dafür genutzt, dass nicht etwa eine grundlegende Veränderung nötig sei, sondern lediglich eine Verbesserung der Kommunikation. Ernstzunehmende Politikwissenschaftler wie Alan Abramowitz und Rudy Teixeira haben sich aber nun zu Wort gemeldet und festgestellt, dass die Sage von den nicht-erreichten weißen Wählern ein Ammenmärchen ist. Es stimmt zwar, dass die weiße Wahlbeteiligung 2012 geringer war als 2008; Aber das Gleiche trifft auch auf die nicht-weißen Wähler zu. Mr. Trends Analyse basiert auf der Vorstellung einer Welt, in der der Anteil der weißen Wähler wieder auf das Niveau von 2008 ansteigt, derjenige der nicht-weißen Wähler das aber nicht tut, und es fällt schwer, einzusehen, warum dem so sein sollte. Lassen wir diese Entzauberung aber einmal beiseite und unterstellen wir, dass die Republikaner besser abschneiden würden, wenn sie größere Begeisterung bei den weißen “Unterschichtwählern” entfachen könnten. Was hat die Partei zu bieten, das eine solche Begeisterung hervorrufen könnte? Soweit das nun bis jetzt beurteilt werden kann, besteht der derzeitige libertäre Populismus wie beispielsweise belegt durch die politischen Äußerungen des Senators Rand Paul - darin, die noch immer gleiche Politik zu vertreten und dabei zu behaupten, sie sei wirklich gut für die Arbeiterschicht. Was sie tatsächlich nicht ist. Auf jeden Fall ist es aber nur schwer nachvollziehbar, wie das wiederholte Loblied auf den Wert stabilen Geldes und niedriger Grenzsteuersätze irgend jemanden umstimmen sollte. Und wenn man sich ansieht, wofür die moderne Republikanische Partei tatsächlich eintritt, dann steht das ganz klar im Gegensatz zu den Interessen jener weißen Unterschichtwähler, die die Partei angeblich zurückgewinnen kann. Weder ein Pauschalsteuersatz noch eine Rückkehr zum Goldstandard sind Themen, die jetzt wirklich anstehen; Einschnitte bei der Arbeitslosenunterstützung, bei Lebensmittelkupons und Medicaid dagegen schon. (Soweit der Ryan-Plan überhaupt irgend etwas Konkretes beinhaltete, handelte es sich dabei hauptsächlich um grausame Kürzungen bei der Unterstützung von Armen.) Und während viele nicht-weiße Amerikaner von diesen Sicherheitsnetzprogrammen abhängig sind, trifft das auch auf viele weniger wohlhabende Weiße zu - auf genau die Wähler also, die der libertäre Populismus angeblich erreichen will. Mehr als 60 Prozent der Nutznießer der Arbeitslosenversicherung sind tatsächlich weiß. Knapp die Hälfte der Nutznießer der Lebensmittelkupons sind weiß. Aber in Swing-States (Bundesstaaten, in denen nicht feststeht, welche Partei die Wahlen gewinnen wird) liegt der Anteil der Weißen bedeutend darüber. In Ohio sind beispielsweise 65 Prozent der Lebensmittelkupons nutzenden Haushalte weiß. Landesweit sind 42 Prozent der Nutznießer von Medicaid nicht-hispanisch weiß, in Ohio aber sind es 61 Prozent. Wenn die Republikaner also scharfe Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung vornehmen, die Ausweitung von Medicaid blockieren und große Einschnitte bei den Geldern für Lebensmittelkupons machen - was sie tatsächlich alles getan haben - dann treffen sie damit diese Leute besonders hart; Aber sie schaden auch den in Not geratenen weißen Familien der Nordstaaten, die sie doch angeblich mobilisieren wollen. Was uns wieder zu dem Punkt zurückbringt, warum libertärer Populismus, wie schon gesagt, Unsinn ist. Man könnte ja argumentieren, die Zerstörung des Sicherheitsnetzes sei ein libertärer Akt - vielleicht stimmt es ja, dass “freedom’s just another word for nothing left to lose” ( Freiheit bloß bedeutet, nichts mehr verlieren zu können ). Volksnah ist das jedenfalls nicht.