Inhalt 1 Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung des Alien
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Inhalt 1 Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung des Alien
Inhalt 1 Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung des Alien-Films 1 2 Science-Fiction und Emotionen 3 3 Fremde und eigene Gefühlswelten 5 3.1 „He’s feeling everything.“ – Von menschlicher und übermenschlicher Emotion 5 3.2 Identität und Alterität im Science-Fiction-Film 11 3.3 Science-Fiction und Realität 15 4 Fazit: Die Zukunft steht in den Sternen 20 5 Quellenverzeichnis 22 6 Literaturverzeichnis 23 6.1 Monographien und Aufsätze 23 6.2 Internetquellen 24 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 1 Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung des Alien-Films Als am 30. Oktober 1983 ein Radiosprecher verkündete, Außerirdische seien auf der Erde gelandet und dem Menschen feindlich gesinnt, versetzte dies einige Personen in Aufruhr. Bis zur Aufklärung des Hörspiels verblieben sie in der Annahme, extraterrestrisches Leben existiere und sei mit den Menschen in Kontakt getreten. Wenn der Glaube an ein solches Phänomen bestätigt wird, ist es normal, in diesem Bewusstsein mit einer Bandbreite von Gefühlen zu reagieren. Es entstehen Emotionen, wie sie auch in Alien-Invasionsfilmen stets verbildlicht werden: Erstaunen, Furcht, Panik – Erstaunen als Gefühlsregung in Bezug auf etwas Unglaubliches sowie Furcht oder Panik als emotionale Reaktionen auf eine reale oder fiktive Bedrohung. Es machte sich wohl Erleichterung breit, als sich herausstellte, dass die Sendung im Radio lediglich ein Hörspiel von Orson Wells war, das auf einem Roman von H. G. Wells aus dem Jahr 1898 basierte. Doch auch, wenn dadurch – wie oft vermittelt – keine Massenhysterie ausgelöst wurde, die Reaktionen zeigen deutlich: die Konfrontation mit dem äußerst Fremden vermag es, den Menschen in einen Ausnahmezustand zu versetzen, in dem sich auch sein emotionaler Status verselbstständigen kann. Inwiefern lassen sich aus dem, wie Aliens und deren Gefühle im Film dargestellt sind, im Zusammenhang mit bestimmten kulturgeschichtlichen Entwicklungen in Bezug auf das emotionale Selbstverständnis des Menschen Rückschlüsse ziehen? Der Science-Fiction-Film greift das Motiv des Außerirdischen im Kontakt mit dem Menschlichen zuhauf auf und soll darum im Zentrum der folgenden Betrachtung stehen. Im Blick auf die Verkaufszahlen ist zu erkennen, dass bestimmte Filme, bei denen der Fokus auf Aliens liegt, sehr erfolgreich sein können. Diese Tatsache lässt eine Verknüpfung zwischen dem Medium, dessen Ikonographie, Plot sowie Story, und der menschlichen Fremd- und Selbstwahrnehmung zu. Die Betrachtung des ScienceFiction-Genres ist gerade deshalb für eine kulturgeschichtliche Untersuchung wertvoll, da viele seiner Produkte einerseits Einflüsse popkultureller Strömungen widerspiegeln, andererseits neue schaffen. Als Massenmedium in Bezug auf die Vielzahl seiner Rezipienten, greift der Science-Fiction-Film ebenso häufig gesellschaftliche oder Christina Winkler 1 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ politische Themen auf. Diese Wechselbeziehung zwischen Mensch und Medium rechtfertigt den Wert des Alien-Films als Quelle. Zunächst soll mithilfe von Filmanalysen1 untersucht werden, welches Gefühlsspektrum Außerirdischen 2 zugesprochen wird, welcher Wertung dieses unterworfen wird und inwiefern Rückschlüsse auf die jeweiligen kulturhistorischen Hintergründe gezogen werden können. Besonderes Augenmerk soll dabei immer auf der Darstellung menschlicher Gefühle liegen, die sich meist durch die Gegenüberstellung von Identität und Alterität im Film offenbart. Die Inszenierung extrem unterschiedlicher Lebenswelten ermöglicht nicht nur eine Konstruktion des Fremden, sondern auch eine Realität des menschlichen Selbst. Als Quelle soll neben anderen in erster Linie der Film E. T.-Der Außerirdische3 (1982) dienen, da hier der Fokus auf der Emotion liegt und zugleich Affekt und filmischer Darstellungseffekt unmittelbar verknüpft sind. Science-Fiction als szenisches Genre ist in der Forschungsliteratur stark vertreten. Außerirdische und ihre Charakteristika werden zwar hinsichtlich ihrer Verknüpfung mit realen Phänomenen untersucht, in Bezug auf ihre Fähigkeit zu Emotionen aber selten behandelt; jedoch steht zum kulturgeschichtlichen Hintergrund von Alien-Invasionsfilmen wie zur szenischen Ausführung von Identität und Alterität im Science-Fiction-Genre Fachliteratur zur Verfügung.4 Jene fremden Welten, die der Science-Fiction-Film in einer riesigen Bandbreite an Umsetzungen und meist mit großem Aufwand erlebbar machen will, sollen bei Rezipierenden Reaktionen wie Neugier, Faszination oder pure Angst auslösen; allerdings haben alle Filme bei genauer Betrachtung eines gemein: sie halten dem Menschen einen Spiegel seiner selbst vor. 1 2 3 4 Die Analysen der Alien-Reihe basiert auf den Director’s Cuts. Die zu betrachtenden Darstellungen von Aliens sollten sich dabei in einem Radius menschlicher Charakteristika bewegen. Überaus komplexe Formen außerirdischer Intelligenz, wie beispielsweise in der Verfilmung von Stanislaw Lems Solaris, stellen im Science-Fiction-Genre eher die Ausnahme dar. Spielberg, Steven: E.T. the Extra-Terrestrial. USA: Universal Studios 1982. Markus Koch beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen der Art der Inszenierung von Alien-Invasionen im Film und kulturhistorischen Phänomenen; Jeffrey A. Weinstock schreibt von dem außerirdischen Fremden als Freak; Vivian Sobchack legt dar, wie Außerirdische im Film inszeniert werden. Weitere Forschungsliteratur zum Thema findet sich im Literaturverzeichnis aufgelistet. Christina Winkler 2 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 2 Science-Fiction und Emotionen Merkmal des Science-Fiction-Films ist sein fantastisches Element. Er bildet meist den technologischen Fortschritt ab und entwickelt fiktive Erwartungen vom Kommenden. Letztere können dabei in naher oder ferner Zukunft verortet werden.5 Auffallend ist, dass oftmals „die Realitätsentwürfe der Science-Fiction Extrapolationen aus jeweils zeitgenössischen Potentialen der Technik“ 6 sind, Fiktion und Realität miteinander in Verbindung gebracht werden können; im Gegenzug kann der ScienceFiction-Film Wegbereiter für neue technische Errungenschaften sein. Häufig stellt der Science-Fiction-Film in eindrucksvoller Weise Dystopien dar – (suppressive) Gesellschaftsformen, (unkontrollierbare) Technologien, (feindlich gesinnte) Fremdartigkeiten.7 So kann sich der Film im übertragenen Sinn Themen wie Globalisierung, Gentechnik, Ausbeutung von Ressourcen oder ethnischer Gewaltanwendung aufgreifen und in einen fantastischen Rahmen einbetten. Der Film E.T.-Der Außerirdische lehnt sich durch seine märchenhafte Story an den Bereich des Fantasy-Genres an und bedient sich seiner Stilmittel besonderes dann, gilt es außergewöhnliche emotionale Fähigkeiten des Alien darzustellen. Statt der Menschen, die in der Konfrontation mit Wesen aus dem All im Film zumeist in eine Opferrolle gedrängt werden, muss in E.T. der Außerirdische, zurückgelassen auf der Erde, um sein Überleben dort kämpfen. Zunächst ist er auf sich allein gestellt, doch der zehnjährige Elliott (Henry Thomas) hilft dem Außerirdischen, sich in der E.T. fremden Welt zurechtzufinden. Zwischen dem Jungen und dem Alien entwickelt sich eine innige Freundschaft, die auf der emotional telepathischen Verbindung der beiden beruht. E.T.s großes Ziel und Voraussetzung für sein Überleben ist es, zu seinem Heimatplaneten zurückzukehren, da sein Körper von der empathischen Verknüpfung mit den Seinen zehrt. Doch E.T. ist in Gefahr – die NASA ist ihm dicht auf den Fersen. 5 6 7 Brunner, Philipp/Schlichter, Ansgar: Artikel Science Fiction I. In: Lexikon der Filmbegriffe. (Zuletzt geändert am 24. August 2014) <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5716> (aufgerufen am 1. September 2014). Brunner/Schlichter, Science Fiction I, Lexikon der Filmbegriffe, 2014, <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5716> (aufgerufen am 1. September 2014). Brunner/Schlichter, Science Fiction I, Lexikon der Filmbegriffe, 2014, <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5716> (aufgerufen am 1. September 2014). Christina Winkler 3 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ Bei dem Film E.T. handelt es sich um ein mehrfach ausgezeichnetes Werk von überaus großer Bekanntheit. Die genauere Betrachtung dieses Filmbeispiels im Zusammenhang mit weiteren ausgewählten Exempeln des Science-Fiction-Genres bietet die Möglichkeit, nicht nur über E.T. Informationen zu gewinnen, sondern auch eine große Bandbreite an Filmen und deren Inhalte zu vergleichen. Vielen Inszenierungen aus dem fiktionalen Bereich ist neben dem Thema des Kontaktes zwischen Menschen und Außerirdischen insbesondere der Versuch gemein, die im Film dargestellten Gefühle durch szenische Mittel für das Publikum nachvollziehbar zu machen. Wichtig ist dabei die Empathie, das Nachempfinden von Stimmungen der Akteure durch Rezipierende, häufig unterstützt durch eine aufwendige Inszenierung mithilfe von Spezialeffekten. Das mögliche Gemütsspektrum ist unbegrenzt. Im Allgemeinen wird in den Filmwissenschaften zwischen den Begriffen Gefühl, Affekt und Emotion unterschieden – „jeder der konkurrierenden Termini ist als Oberbegriff für drei Gruppen affektiver Phänomene in Verwendung: körperbezogene Empfindungen, objektlose Stimmungen und objektbezogene Emotionen.“8 Diese Einteilung soll für vorliegende Arbeit ebenso Gültigkeit haben; folgende Untersuchungen von Science-Fiction-Filmen haben zum Ziel, vor allem die Darstellung von Gefühlen sowie die Affektlenkung (Gefühle der Rezipierenden) in Bezug auf die Zuschauenden zu betrachten. 8 „Spielfilme gehören zu den Kulturprodukten, die den größten Einfluss auf Gefühle haben, auf spontane Rezeptionsreaktionen wie auch auf überdauernde Affektdispositionen. Der Wunsch zu fühlen bildet eine Hauptmotivation dafür, sich Filme anzusehen. Als dramaturgische Gebilde lenken Filme Zuschauergefühle. Sie bauen ein affektives Feld auf, besitzen eine spezifische Affektstruktur. Zu unterscheiden ist u.a. zwischen Fiktionsaffekten, die auf die erzählte Welt bezogen sind, und Artefaktaffekten, die auf die ästhetische Gestaltung bezogen sind. Sympathie (Fühlen-für) und Empathie (Fühlen-mit) bilden unterschiedliche Formen der Anteilnahme an Filmfiguren.“ Eder, Jens: Artikel zu Affekt / Gefühl / Emotion und Film. In: Lexikon der Filmbegriffe. Zuletzt geändert am 12. Oktober 2012. <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=651> (zuletzt aufgerufen am 1. September 2014). Christina Winkler 4 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 3 Fremde und eigene Gefühlswelten Wie ein Alien im Science-Fiction-Film dargestellt wird, kann nicht kurz umrissen werden. Die Bandbreite der Charakterisierung von Außerirdischen ist aufgrund der Vielzahl von szenischen Beispielen überaus groß. Genauso umfangreich ist das Spektrum ihrer Empfindungen, zu sehen am Beispiel von E.T. Zum Teil mangelt es Außerirdischen aber auch an der Fähigkeit zu Affekten oder Emotionen, wobei dann aufgrund der eingeschränkten Mittel der Kategorisierung von Gefühlsregungen der Maßstab beim Menschen liegen muss, denn in einer Betrachtung fremder Emotionen spiegelt sich stets das emotionale Selbst wider, gerade auch, weil die Fiktion dem Menschen selbst entspringt. Die Inszenierung des Kontakts zwischen Menschen und Außerirdischen zeigt im Falle von E.T. zum einen, welche Rolle Emotionen in Bezug auf das Wesen des Außerirdischen, gleichzeitig auf das Selbstverständnis der Menschen im Film, einnehmen können, da Identität auch von der Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Emotion bestimmt wird. 3.1 „He’s feeling everything.“9 – Von menschlicher und übermenschlicher Emotion In Steven Spielbergs Inszenierung von E.T.-The Extraterrestrian wird von Beginn an versucht, die übermenschlich emotionalen Fähigkeiten der außerirdischen Gruppe zu visualisieren. Ein rotes Leuchten ihrer Herzen, das aus der Brust der Wesen strahlt, steht für die telepathische Verbindung der Aliens als Form von Kommunikation anstelle des gesprochenen Wortes im menschlichen Sinn. Hierbei handelt es sich jedoch, wie im Laufe des Films deutlich wird, nicht um Gedankentransmission, sondern um Emotionsund Gefühlsübertragung. Angst oder Panik im Angesicht von (vermeintlichen) Gefahren werden von E.T.10 lediglich durch ein Kreischen ausgedrückt, das dem Warnruf eines Tieres ähnlich ist. Gerade im ersten Kontakt zwischen E.T. und einer Gruppe von 9 10 Spielberg, E.T., 1982, 00:51:25. E.T. ist der Name, der Elliott dem Außerirdischen gibt. Er steht für Extraterrestrian. Dieser Akt setzt voraus, dass Elliott im Laufe des Geschehens begreift, dass es sich bei dem Wesen weder um ein Tier, noch um ein Fabelwesen handelt. Christina Winkler 5 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ Menschen lässt sich ein animalisches Bewusstsein von der Bedrängnis einer Gefangennahme feststellen – natürliche Reaktion E.T.s auf seine Verfolgung ist die Flucht. Aufgabe der Zuschauenden über die erste Hälfte des Films hinweg scheint somit die Kategorisierung E.T.s als tierisches oder menschenähnliches Wesen. Auch die Kinder Elliott sowie seine Geschwister Gertie (Drew Barrymore) und Michael (Robert MacNaughton) sehen sich vor diese Aufgabe gestellt. Bereits bevor die Hauptperson des Films, besagter Elliott, E.T. erstmals zu Gesicht bekommt, wird das dem Jungen unbekannte Wesen als Tier fehlgedeutet. Elliott versucht, jenes vermeintliche Tier mithilfe von Schokoladenlinsen zu ködern. 11 Entgegen der Bedrohung entdeckt zu werden, welche durch die erwachsenen Menschen auf E.T. ausgeübt wird, steht das Anbieten von Nahrung für eine Geste des Respekts und ein Angebot des Friedens. E.T. wird dabei jedoch in eine Abhängigkeitsrolle, ähnlich der eines Tieres, gerückt. Die Unfähigkeit zu einer oralen Sprache und das Schnurren im Wohlbefinden verstärken jenen Eindruck vom animalischen Charakter des Außerirdischen. Lediglich kleine Hinweise lassen bereits zu Beginn des Films vermuten, dass E.T. eine dem Menschen gleichkommende Intelligenz besitzt, wenn er beispielsweise den Ball, den Elliott in das Gartenhäuschen wirft, zurückstößt. 12 Ein deutliches Zeichen für die Fähigkeit zum humanen Denken findet sich, als der erste Kontakt bereits überwunden, die Phase des Kennenlernens im Anfang begründet ist: E.T. ahmt – gleichsam wie ein Kind einen Erwachsenen imitiert – Elliott in seinen Gesten nach. 13 Der Junge begreift auf diese Weise ebenso wie die Zuschauenden erstmals, dass es sich bei dem Außerirdischen um ein Wesen mit menschenartigem Bewusstsein handeln muss. Das Miteinander ist bei E.T. und Elliott zunächst geprägt von Missverständnissen und Aufregung. Dargestellt wird, wie der Außerirdische sich in der für ihn gänzlich fremden Umgebung mit Unterstützung durch den Jungen zurechtfindet. Der englischen Sprache nicht mächtig, werden Gefühle und Emotionen E.T.s neben Lauten vor allem durch seine Mimik ausgedrückt.14 11 12 13 14 Spielberg, E.T., 1982, 00:15:00-00:15:35. Spielberg, E.T., 1982, 00:10:21-00:10:27. Spielberg, E.T., 1982, 00:22:13-00:23:04. Ein Beispiel dafür das Wohlgefallen des Bades, das E.T. zum lächeln bringt. Vgl. Spielberg, E.T., 1982, 00:32:25-00:32:75. Christina Winkler 6 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ Weiterhin bleibt für die Kinder offen, auf welche Weise sie das Wesen kategorisieren sollen, wie sich in ihrer Kommunikation miteinander verdeutlicht. In der Aussage Elliotts über E.T., er wolle den Außerirdischen behalten, findet sich die Einschätzung des unbekannten Wesens als etwas animalisches, denn besitzen lässt sich nach menschlichen Begriffen nur ein Tier, nicht aber ein Mensch.15 Gerties Unsicherheiten in der Einordnung des Außerirdischen beziehen sich vor allem auf Arten von zunächst gattungsbezogener, dann geschlechtsspezifischer Zuordnung in der Frage „What is it?“ 16 und „Is he a boy or a girl?“ 17 . Die Vermutung Michaels, das Wesen sei ein “monkey or a Orang-Utan“18 stellt zum letzten Mal die Frage nach E.T.s Definition dar, bevor der Außerirdische seine übermenschlichen, für die Kinder wohl scheinbar magischen Fähigkeiten einsetzt; mithilfe seiner geistigen Potenz kann E.T. Objekte schweben, Pflanzen gedeihen lassen. Erst in diesem Moment wird Elliott bewusst, dass die Kategorisierung des Wesens in Mensch oder Tier im Angesicht der Tatsache, dass es sich bei E.T. um einen Außerirdischen handelt, hinfällig wird. Auch das Erlernen rudimentärer sprachlicher Verständigung lässt die Kinder ihre Meinung in Bezug auf das Wesen als Tier überdenken. Bestimmte Kategorisierungen, wie die Zuordnung des männlichen Geschlechts, können zwar nicht überwunden werden, 19 jedoch wird E.T. „dignity“20 zugesprochen. Jener Akt ist als Zeichen der Anerkennung des Menschlichen im Wesen des Außerirdischen zu betrachten. In Elliotts Auflehnung gegen die Lehrkraft im Biologieunterricht, seine Rettung der Versuchsfrösche21, findet sich – parallel zum Hauptstrang der Story – die Botschaft, jedes Leben, auch wenn es nicht menschlich ist, als lebenswert anzusehen, gleichzeitig jedem beseelten Wesen aufgrund seiner Fähigkeit zu Gefühlen oder Emotionen Würde zuzusprechen. Mit der Erkenntnis, dass E.T. ein Außerirdischer ist, drängt sich zugleich die bereits mehrmalig dargestellte Bedrohung des Alien durch andere Menschen auf. Jede 15 16 17 18 19 20 21 Die Aussage Elliotts ist „I’m keeping him.” Spielberg, E.T., 1982, 00:36:05-00:36:06. Spielberg, E.T., 1982, 00:36:09-00:36:11. Spielberg, E.T., 1982, 00:36:21-00:36:23. Spielberg, E.T., 1982, 00:38:51-00:39:05. E.T. weist keinerlei äußerlichen Geschlechtsmerkmale auf. Spielberg, E.T., 1982, 00:54:56-00:55:00. Spielberg, E.T., 1982, 00:47:29-00:50:02. Innerhalb dieser Szene wird gleichzeitig die Wirkung der telepathischen Gedankenübertagung auf Elliott gezeigt. Der Junge empfindet den Freiheitsdrang und das Heimweh E.T.s nach und schenkt daher den Fröschen ihre Freiheit. Christina Winkler 7 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ Filmsequenz, in der die Verfolgenden charakterisiert werden, ist ähnlich aufgebaut. Zu hören ist dramatische Musik, während männliche Personen, ausgerüstet mit Taschenlampen und sich im Laufe der Suche qualitativ steigernden technischen Hilfsmitteln, auf der Jagd nach E.T. sind. Dabei werden jene Menschen anonymisiert, indem stets ihre Gesichter durch die Kameraführung oder das Tragen von Masken verborgen bleiben. Nur eine einzige Person kann durch ihr Merkmal des Schlüsselbundes am Gürtel von den Zuschauenden immer wieder erkannt werden.22 Die Anonymität, in der diese erwachsenen Menschen dargestellt sind, lässt sich als Motiv dafür interpretieren, dass diese keine Individuen demonstrieren, sondern spezifische Gruppen repräsentieren. Der Einzelne rückt dabei – mit Ausnahme des Mannes mit dem Schlüsselbund – in den Hintergrund, ein Kollektiv (hier wohl, neben Vertretenden von Geheimdiensten und dem U.S.-amerikanischem Militär, der NASA Angehörende) ist in Aktion. In dem Moment, in dem jene Gruppe in das Haus der Familie eindringt, wird sie zum Hauptakteur des Filmes, bestimmt das fortlaufende Geschehen bis zu einem späteren Zeitpunkt, da Elliott wieder die Initiative ergreift. Alle Entscheidungen basieren auf der Verantwortung des Wissenschaftsteams, jene Gemeinschaft stellt das Element zwischen Leben und Tod E.T.s dar. So wird das Ableben des Außerirdischen zwar zu verhindern versucht, jedoch billigend in Kauf genommen. Im Tod nimmt E.T. damit dieselbe Rolle ein, wie die Frösche in Elliotts Biologielehrstunde – nämlich die eines Tieres, welchem ein humanes Maß an Würde abgesprochen wird. Im Laufe der Inszenierung werden dem Zuschauenden die übermenschlichen Fähigkeiten E.T.s immer deutlicher präsentiert. Seine emotional-magische Potenz – filmisch vor allem mithilfe von Spezialeffekten 23 inszeniert – überschattet mehr und mehr die anfänglich als defizitär dargestellten Eigenschaften des Außerirdischen. Körperliche Beeinträchtigungen werden ausgeglichen durch die Macht der Telekinese, Sprache durch die telepathische Verbindung zwischen Elliott und E.T. Die Art der Empathie, zu der E.T. und seine Artgenossen imstande scheinen, wird bereits zu Beginn 22 23 Spielberg, E.T., 1982, 00:05:18-00:05:33. Vivian Sobchack führt den Zusammenhang zwischen „Special Effect“ und „Special Affect“ genauer aus. “E.T. [...] uses special effects to fantasize kids on flying bicycles – certainly less a celebration of rational science and hard technology than an affective reflexivity meant to evoke Peter Pan, and Dorothy Gale attempting to save Toto from Miss Gulch. It also gives its little alien a “faith healing” finger matched only in special affect by his “heartlight” […]. Sobchack, Vivian C.: Screening Space. The American Science Fiction Film. New Brunswick 2004, S. 284f. Christina Winkler 8 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ des Films durch das Leuchten ihrer Herzen ersichtlich.24 Wie sich im folgenden Verlauf der Erzählung zeigt, ist dieser Typ von emotionaler Bindung Bedingung für das Wohlbefinden und schließlich das Überleben des Außerirdischen. Die Trennung von seinen Mitreisenden versetzt E.T. in einen Zustand vergleichbar mit dem Heimweh. Um seinem Wunsch, nach Hause zurückzukehren, sprachlich Ausdruck zu verleihen, muss E.T. als Voraussetzung dafür erst einmal verstehen, was „home“ 25 in emotionaler Hinsicht bedeutet. Die Sehnsucht nach seinem Zuhause drückt sich – wie beim Menschen auch möglich – bei E.T. in einem Zustand sich steigernder körperlicher Qualen aus. Physis und Psyche, körperbezogene und seelische Empfindungen, stehen demnach in unmittelbarer Verbindung. Der Ausruf „Outch!“26 bringt diese Verknüpfung zum Ausdruck. Letztere ist auch der Grund dafür, dass E.T. trotz der besonderen, empathischen Zusammenfindung zu Elliott nicht bei dem Jungen bleiben kann. Die dauerhaft stattfindende Telepathie zwischen den beiden beruht nicht nur auf der Übertragung von Gedanken, ist also nicht reine inhaltliche Kommunikation. Die Verbindung basiert vor allem auf der Transmission von Empfindungen, Gefühlen, Affekten und Emotionen gleichermaßen. So erfährt der Agent mit dem Schlüsselbund auf seine Frage hin, ob Elliott E.T.s Gedanken denken könne, von Michael: „No, Elliott feels his feelings.“ 27 Das Wissenschaftsteam um den Außerirdischen bezieht diese Fähigkeiten auf eine medizinische Synchronisation der Gehirnwellenaktivität. 28 Mit dem Ableben E.T.s wird auch dieses Zusammenspiel der Emotionen in übermenschlicher Form unterbrochen, 29 während die Liebe 30 zwischen den beiden Akteuren als humane Art der emotionalen Verknüpfung weiterhin besteht. E.T. hinterlässt auch nach seiner Abreise Spuren auf der Erde. Zu Beginn nimmt Elliott eine lehrende Rolle ein, vermittelt E.T. eine Art menschlicher Lebensweise, lässt ihn menschliches Empfinden nachvollziehen. Ihre telepathische Verbindung lässt gleichzeitig auch Elliott von E.T. lernen; so nehmen in diesem Zusammenspiel weder der Außerirdische noch der Mensch eine Position der Überlegenheit ein, wenngleich 24 25 26 27 28 29 30 Spielberg, E.T., 1982, 00:03:40-00:30:46. Spielberg, E.T., 1982, 00:55:30-00:55:35. Spielberg, E.T., 1982, 01:45:54-01:45:55 Spielberg, E.T., 1982, 01:20:34-01:20:40. Spielberg, E.T., 1982, 01:23:52-01:23:53. „You must be dead because I don’t know how to feel. I can’t feel anything anymore.” Spielberg, E.T., 1982, 01:32:31-01:32:44. Spielberg, E.T., 1982, 01:33:09-01:33:13. Christina Winkler 9 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ E.T. allem Anschein nach einer suprahumanen Alienkultur entstammt.31 Dem einsamen, verwirrten Elliott, der nach der Trennung der Eltern mit familiären Problemen konfrontiert und als Außerseiter dargestellt ist, wird die Aufgabe des Beschützenden zuteil,32 denn der übermenschlich befähigte E.T. ist, zurückgelassen auf der Erde, im Grunde „just like the boy – confused and lonely.“ 33 Die Rettung des Außerirdischen macht Elliott zum Helden, schenkt ihm Selbstwertgefühl. So lässt sich die Fähigkeit E.T.s zur Heilung nicht nur auf körperliche Verletzungen, sondern auch seelische Wunden beziehen. 34 Die Tatsache, dass die Begegnung zwischen Mensch und Außerirdischem das Leben der beiden für alle Zeit prägt ist die Aussage E.T.s beim Abschied, er sei immer in Elliotts Erinnerung.35 Der Kontakt mit dem Anderen nimmt so Einfluss auf die jeweiligen Parteien und bestimmt beider Selbst in vielerlei Hinsicht. Der Film E.T. kann Betrachtende mit der Frage zurücklassen, welche Rolle sie selbst in dem Film einnehmen würden. Außerdem könnte die Reaktion überdacht werden, würden sie selbst mit einem Außerirdischen wie E.T. konfrontiert. Jene Ansätze lassen beispielsweise Überlegungen zum menschlichen Umgang mit Tieren zu, deren Affekte, Emotionen und Gefühle aus einem humanen Blickwinkel zum Teil schwer nachzuvollziehen sind. So ist es dem Science-Fiction-Film generell in vielerlei Hinsicht möglich, die menschliche Selbstwahrnehmung durch die Gegenüberstellung von Außerirdischen infrage zu stellen. 31 32 33 34 35 Ruppersberg, Hugh: The Alien Messiah. In: Alien Zone. Cultural Theory and Contemporary Science Fiction Cinema. Hrsg. von Annette Kuhn. London/New York 1990, S. 32-38, hier S. 35. Ruppersberg, The Alien Messiah, 1990, S. 36. Ruppersberg, The Alien Messiah, 1990, S. 35. So weit zu gehen, wie Hugh Ruppersberg, Epiphanien von Außerirdischen im Film aufgrund der Motivik der Erscheinung eines Messias gleichzusetzen, liegt zwar im Rahmen interpretatorischer Freiheit, jene Auslegung soll jedoch die folgende Interpretation nicht beeinflussen. Steven Spielberg selbst verneinte, dass es seine Absicht gewesen sei, in der Darstellung E.T.s religiöse Parallelen zu ziehen. Vgl. Wingrove, David (Hrsg.): The Science Fiction Film Source Book. Harlow 1985, S. 89. E.T. fasst Elliott an den Kopf und sagt „I’ll be right here.“ Spielberg, E.T., 1982, 01:47:0901:47:22. Christina Winkler 10 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 3.2 Identität und Alterität im Science-Fiction-Film Neben E.T. thematisieren viele weitere Filme des Science-Fiction-Genres den Kontakt zwischen außerirdischen Lebensformen und Menschen. Das Spektrum, wie Aliens dabei inszeniert werden können, bleibt unbegrenzt; gemein ist den meisten Formen die Darstellung als das Fremde, das Andere, sowohl in Bezug auf äußere als auch charakterliche Züge oder Verhaltensmerkmale. Eine ethische Wertung über außerirdisches Fühlen und Handeln muss dabei ausbleiben, wenn das fremde Wesen – wie beispielsweise in Alien36 – tendenziell als tierisches Subjekt gewertet wird, dessen Bewusstsein von einer Schwarmintelligenz geprägt ist. 37 Das Handeln E.T.s jedoch, dessen Gefühlsspektrum dem des Menschen ähnlich ist, mehr noch, darüber hinausgeht, kann theoretisch wohl einer moralischen Einschätzung unterliegen. Viel wichtiger scheint aber dasjenige Urteil, dass sich Rezipierende über das gefühlsbedingte Verhalten von Menschen im Film bilden. Außerirdische nämlich unterliegen der menschlichen Fiktion, Akte von Menschen – auch gegenüber dem Imaginären – spiegeln stets die Einschätzung der humanen Realität durch die Produzierenden wider. Ganz gleich, ob es sich um Ridley Scotts Kreatur oder Steven Spielbergs sympathietragenden E.T. handelt, beiderlei Vertretende außerirdischer Lebensformen 36 37 Scott, Ridley: Alien. Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt. USA: 20th Century Fox Film Corporation 1979. Der Film Alien und alle nachfolgenden Teile der Reihe verbinden das Genre der Science-Fiction mit dem des Horrorfilms. Sie thematisieren neben dem katastrophalen Aufeinandertreffen von außerirdischer und menschlicher Lebensform auch wissenschaftlich-technische, politische, soziologische und kulturelle Probleme. Die siebenköpfige Besatzung des Raumfrachters Nostromo befindet sich auf dem Rückweg zur Erde, als der Schiffscomputer auf ein Notsignal aus dem Weltraum hin alle Passagiere aus dem Hyperschlaf erweckt. Die Nostromo folgt dem Signal auf den Planeten LV-426 – drei Crewmitglieder unternehmen eine Expedition zur Quelle des Notrufs. Sie müssen feststellen, dass dort außerirdisches, parasitäres Leben existiert, dem eine Person zum Opfer fällt. Im Raumschiff verlässt das Alien seinen Wirt und tötet nach und nach zum Zweck seiner Fortpflanzung nach und nach die Besatzung. Im Zentrum des Geschehens findet sich Offizierin Ellen Ripley (Sigourney Weaver) in einem Überlebenskampf im All wieder. Blackmore, Tim: Is this Going to be Another Bug-Hunt. In: Journal of Popular Culture. 29/4 (1996), S. 211-226, hier S. 220: Mit Schwarmintelligenz (“unitary hive intelligence”) meint Tim Blackmore, dass “all the aliens seem to know what one knows; one brain governs them all. Science fiction examines the classic mistake of assuming one central mind is a lesser intelligence than many individual minds […]: a desperate Hudson bellows “whaddaya mean they cut the power? How could they cut the power, man? They’re animals!“ Vgl. Cameron, James: Aliens – Die Rückkehr. USA: 20th Century Fox Corporation 1986, 01:48:23-01:48:25. Christina Winkler 11 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ stehen im Zentrum des Plots, verkörpern jedoch in Interaktion mit Menschen Außenstehende. Das animalisch-triebhafte Außerirdische stellt – beispielsweise durch seine Art der parasitären Fortpflanzung – eine Gefahr für den Menschen dar. Verständlich ist also in einem solchen Fall die Feindschaft zwischen Alien und Mensch. E.T. repräsentiert in seiner Darstellung das Fremde hingegen im positiven Sinn, ist jedoch trotz seiner Friedfertigkeit oder humanoiden Gestalt den (erwachsenen) Menschen im Film noch nicht Mensch genug, um ihm als Ihresgleichen Würde zuzusprechen.38 Laut Jeffrey A. Weinstock fristeten insbesondere dem Menschen ähnliche Aliens in szenischen Darstellungen stets ihr Dasein als „Freaks“ 39. Sie reihten sich ein in eine “amorphous and disturbing family of “boundary breakers””. 40 In der Konfrontation zwischen Mensch und Alien, dem Gegenüberstellen von Menschlich-Normalem und Außerirdisch-Anormalem, spiegelt sich so eine Art der kulturellen Kategorisierung und Klassifizierung wider. 41 Menschen wiederum werden im Science-Fiction-Film unter anderem durch ihr Agieren im Kontakt mit Außerirdischen charakterisiert. Ihr Selbst definiert sich so durch die Abgrenzung vom Anderen, Identität durch Alterität. Allerdings ist die Darstellung der „alienation“ 42 im Film einem Wandel unterlegen. Vivian Sobchacks Meinung besteht darin, dass Außerirdische nicht länger – wie in der Science-Fiction der 1950er Jahre – Bedrohungen für die politische oder soziale Ordnung widerspiegeln; in jenen Filmen weisen fremde Wesen zumeist emotionale Defizite wie Gefühlsarmut oder Gnadenlosigkeit auf. Die Art, wie der Mensch in solchen Science-Fiction-Filmen aufgefasst wird, muss dagegen als eine positive 38 39 40 41 42 Zwar wird alles daran gesetzt, E.T. am Leben zu erhalten, doch oberstes Priorität der Forschenden stellt im Grunde der wissenschaftliche Wert des Außerirdischen dar. Weinstock, Jeffrey A.: Freaks in Space. “Extraterrestrialism” and “Deep-Space Multiculturalism”. In: Freakery. Cultural Spectacles of the Exraordinary Body. Hrsg. von Rosemarie G. Thomson. New York/London 1996, S. 327-337, hier S. 327f. Jeffrey A. Weinstock unterscheidet dabei zwischen den Begriffen Freak und Monster. Freaks stellen eine Abweichung von der gesellschaftlichen Norm, jedoch im Gegensatz zum Monster keine physische Bedrohung für den Menschen dar und sind meist in ihrer Gestalt durch menschliche Merkmale charakterisiert. Der Vergleich der Filme Alien und E. T. zeigt den Unterschied zwischen Monster und Freak. „Although never „human“, the extraterrestrial can fall anywhere on the continuum between human and monster: the alien can be unproblematically monstrous […], or close to human as possible without actually being human […].” Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 327. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 327. Ausnahmen stellen Filme wie Alien dar, in denen das außerirdische Wesen den Menschen bedroht; allerdings ist es dabei nicht mehr immer möglich, Aliens stets als böse, Menschen konstant als gut zu betrachten. Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Christina Winkler 12 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ betrachtet werden und „can be seen to conform to a traditional Freudian/Lacanian model of identity that is secured through opposing, and ultimately subjugating, the threat of the Other.”43 Dies schließt mit ein, dass die Identität eines Menschen einer gewissen Statik unterliegt und auch im Film von Anfang an wenig variiert. Das Motiv der feststehenden, strikten Rolleneinteilung in gute Menschen und böse Aliens wird immer wieder aufgegriffen – bestes Beispiel ist wohl Predator 44 (1987), in dem skrupellose Außerirdische auf der Erde oder, in der Neuverfilmung Predators45 (2010), auf ihrem eigenen Planeten die Jagd auf Menschen wie ein Hobby praktizieren. So wie Außerirdische im Film kategorisiert werden, findet auch unter den menschlichen Akteuren häufig eine Einteilung in klar definierte, größtenteils konstante Rollen statt. Postmoderne Science-Fiction-Filme zeigten Vivian Sobchacks Meinung nach zwar fremde Wesen aus dem All genuin positiv, jedoch offensichtlich (durch Aussehen oder Verhalten) als das Fremde im Kontrast zum Eigenen.46 Dies schließe jedoch nicht aus, dass neben menschlich charakterisierten Wesen, auch außerirdische Bösewichte in der Handlung ihre Rolle spielen können. 47 Desweiteren sieht Vivian Sobchack Außerirdische in der Entwicklung des Genres seit den 1980er Jahren immer mehr als der Menschen „familiars, simulacra“.48 Die Darstellung außerirdischer Andersartigkeit sei gleichzusetzten mit der Illustration menschlicher Vielfalt.49 Im Fall von E.T. würden beispielsweise die Unterschiede des Fremden in der Homogenität eines neuen, universalen Humanismus absorbiert.50 Dies hat automatisch zur Folge, dass auch für den Außerirdischen die Maßstäbe humanistischen Denkens gelten. In Steven Spielbergs Film wird das Motiv des übermenschlichen Umgangs mit Emotion zum Zeichen für jenen neuen Humanismus. Identität und Alterität entstehen darin nicht durch die Gegenüberstellung von E.T. und Elliott als Alien und Mensch, sondern durch den Kontrast des wunderbaren, emotionalen Gedankenaustauschs der beiden Hauptakteure und der Ignoranz, mit der die männlichen Erwachsenen ihre Aufgabe vollstrecken. Die 43 44 45 46 47 48 49 50 Constable, Catherine: Becoming the monster‘s mother: morphologies of identity in the Alien series. In: Alien Zone II. The Spaces of Science Fiction Cinema. Hrsg. von Annette Kuhn. London/New York 1999, S. 173-202, hier S. 173. McTiernan, John: Predator. USA: 20th Century Fox 1987. Antal, Nimród: Predators. USA: 20th Century Fox 2010. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Christina Winkler 13 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ Bedrohung geht hier, nicht wie in den meisten Science-Fiction-Filmen der Nachkriegszeit vom Außerirdischen, sondern von den Menschen selbst aus. „The masked invader that comes to take him [E.T.] away becomes the real alien for Elliott and his family […].” 51 Auch in der Alien-Reihe besteht die Möglichkeit für Rezipierende, nicht das xenomorphe, außerirdische Wesen als größte Gefahr für den Menschen einzuschätzen, sondern die Raffgier Carter Burkes als Stellvertreter der Company.52 Diese verfolgt das Ziel, die außerirdische Lebensform als biologische Waffe zu vermarkten. Somit ist die Tendenz zu erkennen, dass die Grenzen zwischen dem Menschen und dem Außerirdischen immer mehr verwischen, die Heterogenität von Eigenem und Fremdem lässt sich in einer fiktiven, von Vielfalt geprägten Welt nicht länger aufrecht erhalten. Vivian Sobchack bezieht sich in ihren Ausführungen auf Michel Foucaults Unterscheidung zwischen dem Verhältnis von „resemblance“ und „similitude“53. Ersteres bedeute die Ähnlichkeit zu einem Modell oder Vorbild, letzteres die Ähnlichkeit als unbegrenzte und reversible Beziehung des Gleichen zum Gleichen.54 Durch diese Differenzierung lässt sich der Kontrast zwischen der Darstellung des Außerirdischen als dem Menschen hierarchisch unterlegenen Wesen und dem ursprünglich fremden Wesen als gleich im universal-homogenetischen Sinn verdeutlichen.55 Daraus folgt umso mehr, dass die Frage nach dem (ähnlich) fremden Gegenüber, immer auch diejenige nach der persönlichen Identität nach sich zieht – sich daraus ergebende Fragen sind: wer bin ich, was macht mich als Mensch aus. Die Trennung zwischen Identität und Alterität, die durch die Gegenüberstellung von Menschen und Außerirdischen symbolisiert wird, zeigt sowohl in der Fiktion als auch in der Realität seine Wirkung parallel zueinander. 51 52 53 54 55 Geraghty, Lincoln: American Science Fiction Film and Television. Oxford/New York 2009, S. 70f. Vgl. Geraghty, American Science Fiction Film and Television, 2009, S. 75. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293. Der Unterschied liegt in er Aussage, Außerirdische seien wie Menschen, gegen diejenige, welche Außerirdische den Menschen gleichsetzt, Menschen ebenso in der Rolle fremder Wesen sieht („aliens are like us“ und „aliens are us“). Zum Begriff der Ähnlichkeit bei Foucault siehe Foucault, Michel: Dies ist keine Pfeife. In: Schriften zur Medientheorie. Hrsg. von Bernhard J. Dotzler. Berlin 2013, S. 47-50. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 294ff. Christina Winkler 14 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 3.3 Science-Fiction und Realität Nicht nur in Abhängigkeit der Darstellungsweise von Außerirdischen im Film, sondern auch je nach Art der Interpretation der jeweiligen Werke durch ihre Rezipierenden kann einerseits das Handeln der Fremden aus dem All auf Basis ihres emotionalen Spektrums, andererseits das Tun der Menschen in Konfrontation mit Aliens bewertet werden. Jeffrey A. Weinstock sieht in Science-Fiction-Filmen, bei denen Menschen auf Außerirdische treffen, einen Zusammenhang zwischen Idee und Realität. Dabei knüpft er eine Verbindung zwischen der fantastisch-mythischen, verklärten Vorstellung von Orient und der sozialen Konstruktion des exotischen, außerirdischen Wesens in der Science-Fiction. Daraus entwickelt Jeffrey A. Weinstock den Begriff des „Extraterrestrialism“.56 Während der Orientalismus „as a system of discursive practices involving the stereotyping of the “Oriental” as biologically inferior and serving to justify imperialism” 57 und als sozial konstruierte Idee Auswirkungen auf die menschliche Wirklichkeit hat, mag der Extraterrestrialismus rein fiktional erscheinen; allerdings sieht Jeffrey A. Weinstock eine Verbindung zwischen Fiktion und Realität in der Tatsache, dass Außerirdische im Film häufig zu Sinnbildern irdischer Ethnien gemacht werden.58 Diese Simulakren bei Aliens „can tell us a great deal about the extent to which a given culture values and fears human difference and diversity.”59 Als Beispiel für jene Theorie dient vor allem der Film Star Wars (1977) 60 . Die Kontrastierung zwischen menschlicher Norm und außerirdischer Abnorm wird insbesondere anhand der klischeehaft westernähnlich inszenierten Filmsequenz in der Mos Eisley Cantina in einem Raumhafen deutlich: das Menschsein, ausgedrückt durch die Jedi, steht der äußersten Fremdartigkeit dargestellten Außerirdischen gegenüber.61 Die „coded racial sensibility woven into this scene, and present througout Star Wars, is shrouded by the overwhelming and, as a result, overpowering display of nonhuman 56 57 58 59 60 61 Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330. Lucas, George: Krieg der Sterne. (Originaltitel: Star Wars). USA: Lucasfilm Ltd. 1977. Lucas, Krieg der Sterne, 1977, 00:43:00-00:45:19. Christina Winkler 15 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ differnce as spectacle.“62 Mit einem Blick auf die diegetische Realität, die in Star Wars konstruiert ist, wird die ihr unterlegene, ethnische Komponente der Szene offengelegt.63 Adilifu Nama beschreibt, so wie Jeffrey A. Weinstock, die Roboter und nichtmenschlichen Aliens in den Star Wars-Filmen als „type of racial impersonation found in early Hollywood cinema […], and African Americans, Native Americans, Asians, and Latinos have all had the dubious honor of having white actors use makeup and adopt exaggerated mannerisms to achieve their racial identities for particular narratives”.64 Desweiteren werden phänotypische Merkmale in vorurteilhafter Weise mit (moralischer) Degradierung verknüpft, wenn Obi-Wan Kenobi über den Ort als ein „wretched hive of scum and villainy“65 urteilt.66 Die Wertung von Außerirdischen als niedere Lebensformen, dem Menschen untergeordnet, zeigt sich im Star WarsUniversum vor allem darin, dass die Tötung eines Alien nicht einem Mord, sondern dem Erschlagen einer Mücke gleichgesetzt wird. 67 Während Hässlichkeit ihr bösartiges Wesen symbolisieren soll, ist niedliches Aussehen Außerirdischer ein Zeichen für deren Gutartigkeit. Laut Jeffrey A. Weinstock seien Aliens in Star Wars, beispielsweise Ewoks, die dem stereotypen Konstrukt des Primitiven Menschen68 entsprechen, stets ein Mittel, um „the valor and superiority of the white male heroes“ 69 (die Jedi) hervorzuheben. „It matters little whether the audience recognizes specific racist overtones behind the representation of any individual alien species, because the general equation of the Star Wars movies is unmistakable: difference equals danger.”70 In die Extreme geht der Rassismus gegenüber Außerirdischen, wenn zur Diskriminierung noch eine suppressive Kontrollinstanz wie diejenige im Film Men in 62 63 64 65 66 67 68 69 70 Nama, Adilifu: Black Space. Imagining Race in Science Fiction Film. Austin 2008, S. 29. Vgl. Nama, Black Space, 2008, S. 29. Nama, Black Space, 2008, S. 30. Lucas, Krieg der Sterne, 1977, 00:40:57-00:40:59. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 331. Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 331f. Von derartigen Bezeichnungen soll hier Abstand genommen werden. Die Kennzeichnung im Text macht deutlich, dass es sich dabei um ein Produkt sozialer Konstruktion handelt und als überaus diskriminierend gewertet werden muss. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 333. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 333. Christina Winkler 16 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ Black 71 (1997) hinzutritt. Die Lizenzierung, Überwachung und polizeiliche Kontrolle Außerirdischer sei laut Markus Koch Zeichen eines totalitären Systems.72 Die Men in Black stellen dabei eine Art Einwanderungsbehörde dar, die den Aufenthalt intergalaktischer Flüchtlinge reglementiert und Verstöße wie „boundary violation“ 73 bestraft. Emotionen der Menschen Außerirdischen gegenüber spielen in dieser Art von System eine sehr geringe Rolle. Der Bezug zu illegal Eingewanderten in der Realität liegt bei fiktiven Bezeichnungen wie „illegal aliens“74 äußerst nahe. Der Film Men in Black greift zwar zunächst die Furcht vor Einwanderungswellen in die USA in ironischer Weise auf, inszeniert jedoch gleichzeitig eine Gefahr der Migration, deren Einfluss des Fremden auf das Eigene es durch Gewaltanwendung und Restriktion zu unterbinden gilt.75 Den Kontrast zu George Lucas‘ Werk Star Wars und dem darin verkörperten Imperialismus bildet wohl Star Trek76. Jeffrey A. Weinstock bezeichnet das System des Diversity Managements auf der U.S.S. Enterprise als „deep-space multiculturalism“77 als Gegensatz zum Extraterrestrialismus. Rassistische oder imperialistische Einstellungen ließen sich trotz jener Fassade der Vielfalt jedoch auch in diesem Fall nicht ausschließen. 78 Der Charakter des Commander Spock dient wohl als passendes Beispiel für die Rolle von Gefühlen in der Wertung von Außerirdischen. Der Vulkanier ist nicht zu Empfindungen menschlicher Art befähigt. Die Auseinandersetzung zwischen Ratio und Emotion in Spocks Entwicklung stellt trotz seiner herausragenden gedanklichen Fähigkeiten immer wieder ein Hindernis dar, insbesondere, wenn es um die ethisch-moralische Wertung von Handlungen geht. Dabei steht der Begriff des Humanen als Maßstab nicht nur für eine biologische Zuordnung, sondern dient als „moral marker“. 79 Von allen außerirdischen Kulturen wird erwartet, dass sie die als 71 72 73 74 75 76 77 78 79 Sonnenfeld, Barry: Men in Black. USA: Columbia Pictures Corporation 1997. Vgl. Koch, Markus: Alien-Invasionsfilme. Die Renaissance eines Science-Fiction-Motivs nach dem Ende des Kalten Krieges. München 2001, S. 161f. Sonnenfeld, Men in Black, 1997, 00:39:45. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 162. Vgl. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 165f. Gemeint sind hier die Verfilmungen auf der Grundlage der Serie. Dazu zählen unter anderen Wise, Robert: Star Trek. USA: Paramount Pictures Corporation 1979 und Berman, Rick: Star Trek. Der erste Kontakt. USA: Paramount Pictures Corporation 1997 als Beispiel für die Next Generation. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 333f. Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 334. Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 335. Christina Winkler 17 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ offensichtlich dargestellte Überlegenheit der menschlichen Parameter, „such as beliefs in the ideas of individual responsibility and equity, and the experiences of guilt and compassion”80 erkennen und anerkennen. Jeffrey A. Weinstock unterscheidet in Bezug auf Star Trek zwischen den außerirdischen Gruppen, die einer emotionalen Zähmung bedürfen (Klingonen), und denjenigen, die sich anstelle der reinen Logik mehr ihren Gefühlen hingeben sollten (Spock oder der Androide Lieutenant Commander Data).81 So stellt im Vergleich dazu das instinktgesteuerte Wesen aus Alien den schlimmsten Fall von gefühls- und affektgesteuertem Verhalten dar, während E. T. sein übermenschliches Emotionspotential im moralischen Sinne äußerst positiv erscheinen lässt. Doch die Maßstäbe, zu beurteilen, was positiv oder negativ sei, richten sich immer nach dem Menschen und seiner Normvorstellung von Emotionalität – sowohl unter den Akteuren der fiktiven, als auch bei den Rezipierenden der realen Welt. Markus Koch sieht in der Inszenierung des Kontakts zwischen Menschen und Außerirdischen Verbindungen zu ganz konkreten kulturhistorischen Phänomenen, die mit den Begriffen des Extraterrestrialism und Deep-Space Multiculturalism verknüpft werden können. Die stereotype Darstellung von Außerirdischen, die sich vor allem im Film Independence Day82 (1996) durch eine Achtlosigkeit gegenüber einer überlegenen, nicht irdischen Kultur ausdrücke, setzt Koch mit der „propagandistischen Dämonisierung Saddam Husseins durch die US-amerikanische Regierung im Golfkrieg (1990/91)“83 gleich. Eine plakative Darstellung des fremden Feindes diene der Polemik, die zur Rechtfertigung militärischer, gleichzeitig auch ethnischer Gewaltanwendung gereiche.84 Die Menschheit, welche sich in Independence Day gegen die außerirdischen Eindringlinge verteidigt, wird durch das Spiel mit emotionsbehafteten Motiven, wie dem Feiertag des 4. Juli oder der Freiheitsstatue, im Film eine „universal USamerikanische“85. Die Darstellung von den Außerirdischen als fremde Feindbilder wirke 80 81 82 83 84 85 Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 335. Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 335. Emmerich, Roland: Independence Day. USA: 20th Century Fox Film Corporation 1996. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 96f. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 97-100. Als Beispiel für seine Ausführungen dient Koch in Bezug auf Independence Day vor allem die Vivisektion (Independence Day 01:16:13) an einem Außerirdischen, dessen Organismus dem des Menschen relativ ähnlich ist. Koch vergleicht die Abgrenzung von den Außerirdischen mit einer Ablehnung bestimmter Ethnien. Vgl. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 107. Christina Winkler 18 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ so zwar scheinbar identitätsstiftend auf alle Menschen, sei jedoch anstelle von humanem Universalismus als westlicher Imperialismus zu betrachten.86 Eine Inszenierung des außerirdischen Anderen in der Rolle der Unterlegenheit verstärkt die des menschlichen Selbst in seiner vermeintlichen Überlegenheit. Dieses Prinzip wird in Alien aufgebrochen, da die Menschen mit Ausnahme von Ellen Ripley gegenüber dem physisch hochentwickelten Wesen aus dem All sehr viel schwächer erscheinen. Die Maßstäbe, welche der Mensch setzt, spielen im Angesicht dieser Bedrohung keine wesentliche Rolle mehr – alle Emotionen richten sich nur auf das eigene Überleben. Nur die Hauptperson Ripley zeigt neben ihrer Todesangst vor der Kreatur auch die Fähigkeit zu Mitgefühl und Liebe, was in ihrer Fürsorge um das Findelkind Newt zum Ausdruck kommt.87 Während Filme wie Independence Day den Menschen siegreich über die außerirdischen Invasoren triumphieren lassen, entkommt Ellen Ripley als einzige der ganzen Besatzung dem Monster nur um Haaresbreite und wird für ihr restliches Leben und noch nach dem Tod von ihrer Begegnung beeinflusst. Seine individuelle Überlegenheit kann dem Alien lediglich aus dem Grund abgesprochen werden, da es sich nicht in die Reihe der menschen-, sondern der tierähnlichen Außerirdischen einordnen lässt und somit eher dem scheinbar intelligenten Weißen Hai 88 entspicht. So wird dem Wesen von Beginn an zwar eine Art der Schwarmintelligenz zugemutet, die Potenz des emotionalen Empfindens, damit auch seine moralische Instanz, abgesprochen. Die Begegnungen zwischen Außerirdischen und Menschen löst in fast allen ScienceFiction-Filmen verschiedene Stadien emotionaler Ausnahmezustände aus. Der Verlauf ist vergleichbar mit den Stadien des Sokratischen Dialogs: zu Beginn des Film ist das Denken der Menschen meist geprägt vom Glauben an eine anthropozentrische Welt. Dieser Glaube wird mit dem Wissen von außerirdischem Leben infrage gestellt. Es folgt der Zustand der Aporie, der Ratlosigkeit in Bezug auf seine Identität. Darauf aufbauend erhält der Mensch die Chance, sich selbst ganz neu zu definieren – meist geschieht dies anhand von einer Neuverteilung der Rollen im Film und der Wahl von für die Rezipierenden eher positiven oder negativen Handlungsweisen. 86 87 88 Vgl. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 107. Vgl. Cameron, Aliens, 1986. Spielberg, Steven: Der weiße Hai. USA: Universal Pictures 1975. Christina Winkler 19 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 4 Fazit: Die Zukunft steht in den Sternen Dass der Alien-Film als Massenmedium seinen Wert als Quelle zum Zweck einer kulturgeschichtlichen Betrachtung besitzt, ist bestätigt; häufig dient er in der Wissenschaft als Forschungsobjekt in Bezug auf Gender, Technik (und die damit verbundene politische, soziale oder kulturelle Entwicklung bestimmter Systeme) sowie die Konstruktion von Feindbildern. Zwar kann vorliegende Arbeit im Fokus auf die Gegenüberstellung von Identität und Alterität in der szenischen Science-Fiction aufgrund der Vielzahl an Beispielen lediglich überblickshaft bleiben, wenige ausgewählte Filme dienen jedoch stellvertretend für einen Großteil der Inszenierung vom ersten Kontakt Außerirdischer mit Menschen und dem, was diesem Zusammentreffen folgt.89 Aus der Analyse von E.T.-Der Außerirdische im Verbund mit weiteren Science-Fiction-Filmen wird klar, dass es Menschen darin zumeist schwer fällt, fremde Existenzen zu akzeptieren. Auch wenn sich der Mensch, wie in Alien, bereits in die Weiten des Alls ausgebreitet hat, sieht er sich als das Maß aller Dinge. Ihm kommt es zu, über fremdes Handeln zu urteilen, Regeln für alle aufzustellen, Sanktionen bei Verstößen zu verhängen, über Leben und Tod von Außerirdischen zu entscheiden. Das ist eine Form des Geozentrismus, die auf der vermeintlich eigenen Überlegenheit über andere beruht. Durch dieses Prinzip werden Suppression, Gewalt und kriegerische Akte gerechtfertigt. Assoziationen mit ganz realen Phänomenen, mit dem Imperialismus, dem Rassismus als Ablehnung und Unterdrückung von Menschen aufgrund ihrer Ethnien und anderen Arten der Diskriminierung, sind demnach naheliegend. Deshalb entwickelt wohl Jeffrey A. Weinstock seine Theorie vom Extraterrestrialism und stellt damit den inszenierten Umgang mit Außerirdischen in der Science-Fiction auf gleiche Stufe mit der Konstruktion von Stereotypen und Feindbildern. So reproduziert der Science-Fiction-Film reale Verhältnisse, kann aber auch auf bestehende Problematiken hinweisen sowie Rezipierende zum Überdenken ihrer Weltbilder anregen. Er ist keineswegs trivial, sondern besticht durch seine Möglichkeit, feststehende Umstände in Frage zu stellen. Dabei ist es nebensächlich, ob 89 Darauf aufbauend können in Bezug auf viele Science-Fiction-Filme weitere Themen ausgearbeitet werden. Christina Winkler 20 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ das Publikum an die Existenz von außerirdischem Leben glaubt oder nicht, da letzteres im Film lediglich eine Metapher für alles darstellt, das fremd- und andersartig scheint. Die Übermittlung von Gefühlen, Affekten und Emotionen durch ihre nachvollziehbare Inszenierung – beispielsweise durch Methoden des Horrorfilms, der Komödie oder des Fantasy-Films – spielt dabei eine große Rolle; sie kann den Effekt auf Rezipierende durch das Nachempfinden verstärken, die Möglichkeit der Identifikation eröffnen. Die Emotion ist somit ein Medium für die Botschaft des Films. Dystopische Zukunftsimaginationen können ebenso wie realitätsnahe Vorstellungen in Bezug auf technische, politische oder soziale Entwicklungen eine wegweisende, aber auch mahnende Rolle einnehmen. Sie zeigen wohl, dass die Menschheit weniger Sorge tragen sollte um fremde Bedrohungen als die Gefahr, die von ihr selbst ausgehen kann. Christina Winkler 21 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 5 Quellenverzeichnis Antal, Nimród: Predators. USA: 20th Century Fox 2010. Berman, Rick: Star Trek. Der erste Kontakt. USA: Paramount Pictures Corporation 1997. Cameron, James: Aliens – Die Rückkehr. USA: 20th Century Fox Corporation 1986. Emmerich, Roland: Independence Day. USA: 20th Century Fox Film Corporation 1996. Lucas, George: Krieg der Sterne. (Originaltitel: Star Wars). USA: Lucasfilm Ltd. 1977. McTiernan, John: Predator. USA: 20th Century Fox 1987. Scott, Ridley: Alien. Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt. Director’s Cut. USA: 20th Century Fox Film Corporation 1979. Sonnenfeld, Barry: Men in Black. USA: Columbia Pictures Corporation 1997. Spielberg, Steven: Der weiße Hai. USA: Universal Pictures 1975. Spielberg, Steven: E.T. the Extra-Terrestrial. USA: Universal Studios 1982. Wise, Robert: Star Trek. USA: Paramount Pictures Corporation 1979. Christina Winkler 22 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ 6 Literaturverzeichnis 6.1 Monographien und Aufsätze Blackmore, Tim: Is this Going to be Another Bug-Hunt. In: Journal of Popular Culture. 29/4 (1996), S. 211-226. Constable, Catherine: Becoming the monster‘s mother: morphologies of identity in the Alien series. In: Alien Zone II. The Spaces of Science Fiction Cinema. Hrsg. von Annette Kuhn. London/New York 1999, S. 173-202. Foucault, Michel: Dies ist keine Pfeife. In: Schriften zur Medientheorie. Hrsg. von Bernhard J. Dotzler. Berlin 2013, S. 47-50. Geraghty, Lincoln: American Science Fiction Film and Television. Oxford/New York 2009. Koch, Markus: Alien-Invasionsfilme. Die Renaissance eines Science-Fiction-Motivs nach dem Ende des Kalten Krieges. München 2001. Nama, Adilifu: Black Space. Imagining Race in Science Fiction Film. Austin 2008. Ruppersberg, Hugh: The Alien Messiah. In: Alien Zone. Cultural Theory and Contemporary Science Fiction Cinema. Hrsg. von Annette Kuhn. London/New York 1990, S. 32-38. Sobchack, Vivian C.: Screening Space. The American Science Fiction Film. New Brunswick 2004. Christina Winkler 23 Im Universum der Gefühle Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen ______________________________________________________________________ Weinstock, Jeffrey A.: Freaks in Space. “Extraterrestrialism” and “Deep-Space Multiculturalism”. In: Freakery. Cultural Spectacles of the Exraordinary Body. Hrsg. von Rosemarie G. Thomson. New York/London 1996, S. 327-337. Wingrove, David (Hrsg.): The Science Fiction Film Source Book. Harlow 1985. 6.2 Internetquellen Brunner, Philipp/Schlichter, Ansgar: Artikel Science Fiction I. In: Lexikon der Filmbegriffe. (Zuletzt geändert am 24. August 2014) <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5716> (aufgerufen am 1. September 2014). Eder, Jens: Artikel zu Affekt / Gefühl / Emotion und Film. In: Lexikon der Filmbegriffe. Zuletzt geändert am 12. Oktober kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=651> 2012. (zuletzt <http://filmlexikon.uniaufgerufen am 1. September 2014). Christina Winkler 24