Inhalt 1 Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung des Alien

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Inhalt 1 Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung des Alien
Inhalt
1
Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung
des Alien-Films
1
2
Science-Fiction und Emotionen
3
3
Fremde und eigene Gefühlswelten
5
3.1
„He’s feeling everything.“ – Von menschlicher
und übermenschlicher Emotion
5
3.2
Identität und Alterität im Science-Fiction-Film
11
3.3
Science-Fiction und Realität
15
4
Fazit: Die Zukunft steht in den Sternen
20
5
Quellenverzeichnis
22
6
Literaturverzeichnis
23
6.1
Monographien und Aufsätze
23
6.2
Internetquellen
24
Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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1
Potenz einer kulturgeschichtlichen Betrachtung des Alien-Films
Als am 30. Oktober 1983 ein Radiosprecher verkündete, Außerirdische seien auf der
Erde gelandet und dem Menschen feindlich gesinnt, versetzte dies einige Personen in
Aufruhr. Bis zur Aufklärung des Hörspiels verblieben sie in der Annahme,
extraterrestrisches Leben existiere und sei mit den Menschen in Kontakt getreten. Wenn
der Glaube an ein solches Phänomen bestätigt wird, ist es normal, in diesem
Bewusstsein mit einer Bandbreite von Gefühlen zu reagieren. Es entstehen Emotionen,
wie sie auch in Alien-Invasionsfilmen stets verbildlicht werden: Erstaunen, Furcht,
Panik – Erstaunen als Gefühlsregung in Bezug auf etwas Unglaubliches sowie Furcht
oder Panik als emotionale Reaktionen auf eine reale oder fiktive Bedrohung. Es machte
sich wohl Erleichterung breit, als sich herausstellte, dass die Sendung im Radio
lediglich ein Hörspiel von Orson Wells war, das auf einem Roman von H. G. Wells aus
dem Jahr 1898 basierte. Doch auch, wenn dadurch – wie oft vermittelt – keine
Massenhysterie ausgelöst wurde, die Reaktionen zeigen deutlich: die Konfrontation mit
dem äußerst Fremden vermag es, den Menschen in einen Ausnahmezustand zu
versetzen, in dem sich auch sein emotionaler Status verselbstständigen kann.
Inwiefern lassen sich aus dem, wie Aliens und deren Gefühle im Film dargestellt sind,
im Zusammenhang mit bestimmten kulturgeschichtlichen Entwicklungen in Bezug auf
das emotionale Selbstverständnis des Menschen Rückschlüsse ziehen?
Der Science-Fiction-Film greift das Motiv des Außerirdischen im Kontakt mit dem
Menschlichen zuhauf auf und soll darum im Zentrum der folgenden Betrachtung stehen.
Im Blick auf die Verkaufszahlen ist zu erkennen, dass bestimmte Filme, bei denen der
Fokus auf Aliens liegt, sehr erfolgreich sein können. Diese Tatsache lässt eine
Verknüpfung zwischen dem Medium, dessen Ikonographie, Plot sowie Story, und der
menschlichen Fremd- und Selbstwahrnehmung zu. Die Betrachtung des ScienceFiction-Genres ist gerade deshalb für eine kulturgeschichtliche Untersuchung wertvoll,
da viele seiner Produkte einerseits Einflüsse popkultureller Strömungen widerspiegeln,
andererseits neue schaffen. Als Massenmedium in Bezug auf die Vielzahl seiner
Rezipienten, greift der Science-Fiction-Film ebenso häufig gesellschaftliche oder
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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politische Themen auf. Diese Wechselbeziehung zwischen Mensch und Medium
rechtfertigt den Wert des Alien-Films als Quelle.
Zunächst soll mithilfe von Filmanalysen1 untersucht werden, welches Gefühlsspektrum
Außerirdischen 2 zugesprochen wird, welcher Wertung dieses unterworfen wird und
inwiefern Rückschlüsse auf die jeweiligen kulturhistorischen Hintergründe gezogen
werden können. Besonderes Augenmerk soll dabei immer auf der Darstellung
menschlicher Gefühle liegen, die sich meist durch die Gegenüberstellung von Identität
und Alterität im Film offenbart. Die Inszenierung extrem unterschiedlicher
Lebenswelten ermöglicht nicht nur eine Konstruktion des Fremden, sondern auch eine
Realität des menschlichen Selbst.
Als Quelle soll neben anderen in erster Linie der Film E. T.-Der Außerirdische3 (1982)
dienen, da hier der Fokus auf der Emotion liegt und zugleich Affekt und filmischer
Darstellungseffekt unmittelbar verknüpft sind. Science-Fiction als szenisches Genre ist
in der Forschungsliteratur stark vertreten. Außerirdische und ihre Charakteristika
werden zwar hinsichtlich ihrer Verknüpfung mit realen Phänomenen untersucht, in
Bezug auf ihre Fähigkeit zu Emotionen aber selten behandelt; jedoch steht zum
kulturgeschichtlichen Hintergrund von Alien-Invasionsfilmen wie zur szenischen
Ausführung von Identität und Alterität im Science-Fiction-Genre Fachliteratur zur
Verfügung.4
Jene fremden Welten, die der Science-Fiction-Film in einer riesigen Bandbreite an
Umsetzungen und meist mit großem Aufwand erlebbar machen will, sollen bei
Rezipierenden Reaktionen wie Neugier, Faszination oder pure Angst auslösen;
allerdings haben alle Filme bei genauer Betrachtung eines gemein: sie halten dem
Menschen einen Spiegel seiner selbst vor.
1
2
3
4
Die Analysen der Alien-Reihe basiert auf den Director’s Cuts.
Die zu betrachtenden Darstellungen von Aliens sollten sich dabei in einem Radius menschlicher
Charakteristika bewegen. Überaus komplexe Formen außerirdischer Intelligenz, wie
beispielsweise in der Verfilmung von Stanislaw Lems Solaris, stellen im Science-Fiction-Genre
eher die Ausnahme dar.
Spielberg, Steven: E.T. the Extra-Terrestrial. USA: Universal Studios 1982.
Markus Koch beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen der Art der Inszenierung von
Alien-Invasionen im Film und kulturhistorischen Phänomenen; Jeffrey A. Weinstock schreibt
von dem außerirdischen Fremden als Freak; Vivian Sobchack legt dar, wie Außerirdische im
Film inszeniert werden. Weitere Forschungsliteratur zum Thema findet sich im
Literaturverzeichnis aufgelistet.
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Science-Fiction und Emotionen
Merkmal des Science-Fiction-Films ist sein fantastisches Element. Er bildet meist den
technologischen Fortschritt ab und entwickelt fiktive Erwartungen vom Kommenden.
Letztere können dabei in naher oder ferner Zukunft verortet werden.5
Auffallend ist, dass oftmals „die Realitätsentwürfe der Science-Fiction Extrapolationen
aus jeweils zeitgenössischen Potentialen der Technik“ 6 sind, Fiktion und Realität
miteinander in Verbindung gebracht werden können; im Gegenzug kann der ScienceFiction-Film Wegbereiter für neue technische Errungenschaften sein.
Häufig stellt der Science-Fiction-Film in eindrucksvoller Weise Dystopien dar –
(suppressive)
Gesellschaftsformen,
(unkontrollierbare)
Technologien,
(feindlich
gesinnte) Fremdartigkeiten.7 So kann sich der Film im übertragenen Sinn Themen wie
Globalisierung,
Gentechnik,
Ausbeutung
von
Ressourcen
oder
ethnischer
Gewaltanwendung aufgreifen und in einen fantastischen Rahmen einbetten.
Der Film E.T.-Der Außerirdische lehnt sich durch seine märchenhafte Story an den
Bereich des Fantasy-Genres an und bedient sich seiner Stilmittel besonderes dann, gilt
es außergewöhnliche emotionale Fähigkeiten des Alien darzustellen. Statt der
Menschen, die in der Konfrontation mit Wesen aus dem All im Film zumeist in eine
Opferrolle gedrängt werden, muss in E.T. der Außerirdische, zurückgelassen auf der
Erde, um sein Überleben dort kämpfen. Zunächst ist er auf sich allein gestellt, doch der
zehnjährige Elliott (Henry Thomas) hilft dem Außerirdischen, sich in der E.T. fremden
Welt zurechtzufinden. Zwischen dem Jungen und dem Alien entwickelt sich eine innige
Freundschaft, die auf der emotional telepathischen Verbindung der beiden beruht. E.T.s
großes Ziel und Voraussetzung für sein Überleben ist es, zu seinem Heimatplaneten
zurückzukehren, da sein Körper von der empathischen Verknüpfung mit den Seinen
zehrt. Doch E.T. ist in Gefahr – die NASA ist ihm dicht auf den Fersen.
5
6
7
Brunner, Philipp/Schlichter, Ansgar: Artikel Science Fiction I. In: Lexikon der Filmbegriffe.
(Zuletzt
geändert
am
24.
August
2014)
<http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5716> (aufgerufen am 1. September 2014).
Brunner/Schlichter, Science Fiction I, Lexikon der Filmbegriffe, 2014, <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5716> (aufgerufen am 1. September 2014).
Brunner/Schlichter, Science Fiction I, Lexikon der Filmbegriffe, 2014, <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5716> (aufgerufen am 1. September 2014).
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Bei dem Film E.T. handelt es sich um ein mehrfach ausgezeichnetes Werk von überaus
großer Bekanntheit. Die genauere Betrachtung dieses Filmbeispiels im Zusammenhang
mit weiteren ausgewählten Exempeln des
Science-Fiction-Genres bietet die
Möglichkeit, nicht nur über E.T. Informationen zu gewinnen, sondern auch eine große
Bandbreite an Filmen und deren Inhalte zu vergleichen. Vielen Inszenierungen aus dem
fiktionalen Bereich ist neben dem Thema des Kontaktes zwischen Menschen und
Außerirdischen insbesondere der Versuch gemein, die im Film dargestellten Gefühle
durch szenische Mittel für das Publikum nachvollziehbar zu machen. Wichtig ist dabei
die Empathie, das Nachempfinden von Stimmungen der Akteure durch Rezipierende,
häufig unterstützt durch eine aufwendige Inszenierung mithilfe von Spezialeffekten.
Das mögliche Gemütsspektrum ist unbegrenzt. Im Allgemeinen wird in den
Filmwissenschaften zwischen den Begriffen Gefühl, Affekt und Emotion unterschieden –
„jeder der konkurrierenden Termini ist als Oberbegriff für drei Gruppen affektiver
Phänomene in Verwendung: körperbezogene Empfindungen, objektlose Stimmungen
und objektbezogene Emotionen.“8 Diese Einteilung soll für vorliegende Arbeit ebenso
Gültigkeit haben; folgende Untersuchungen von Science-Fiction-Filmen haben zum
Ziel, vor allem die Darstellung von Gefühlen sowie die Affektlenkung (Gefühle der
Rezipierenden) in Bezug auf die Zuschauenden zu betrachten.
8
„Spielfilme gehören zu den Kulturprodukten, die den größten Einfluss auf Gefühle haben, auf
spontane Rezeptionsreaktionen wie auch auf überdauernde Affektdispositionen. Der Wunsch zu
fühlen bildet eine Hauptmotivation dafür, sich Filme anzusehen. Als dramaturgische Gebilde
lenken Filme Zuschauergefühle. Sie bauen ein affektives Feld auf, besitzen eine spezifische
Affektstruktur. Zu unterscheiden ist u.a. zwischen Fiktionsaffekten, die auf die erzählte Welt
bezogen sind, und Artefaktaffekten, die auf die ästhetische Gestaltung bezogen sind. Sympathie
(Fühlen-für) und Empathie (Fühlen-mit) bilden unterschiedliche Formen der Anteilnahme an
Filmfiguren.“ Eder, Jens: Artikel zu Affekt / Gefühl / Emotion und Film. In: Lexikon der
Filmbegriffe. Zuletzt geändert am 12. Oktober 2012. <http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=651> (zuletzt aufgerufen am 1. September
2014).
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Fremde und eigene Gefühlswelten
Wie ein Alien im Science-Fiction-Film dargestellt wird, kann nicht kurz umrissen
werden. Die Bandbreite der Charakterisierung von Außerirdischen ist aufgrund der
Vielzahl von szenischen Beispielen überaus groß. Genauso umfangreich ist das
Spektrum ihrer Empfindungen, zu sehen am Beispiel von E.T. Zum Teil mangelt es
Außerirdischen aber auch an der Fähigkeit zu Affekten oder Emotionen, wobei dann
aufgrund der eingeschränkten Mittel der Kategorisierung von Gefühlsregungen der
Maßstab beim Menschen liegen muss, denn in einer Betrachtung fremder Emotionen
spiegelt sich stets das emotionale Selbst wider, gerade auch, weil die Fiktion dem
Menschen selbst entspringt. Die Inszenierung des Kontakts zwischen Menschen und
Außerirdischen zeigt im Falle von E.T. zum einen, welche Rolle Emotionen in Bezug
auf das Wesen des Außerirdischen, gleichzeitig auf das Selbstverständnis der Menschen
im Film, einnehmen können, da Identität auch von der Fähigkeit oder Unfähigkeit zur
Emotion bestimmt wird.
3.1
„He’s feeling everything.“9 – Von menschlicher und übermenschlicher Emotion
In Steven Spielbergs Inszenierung von E.T.-The Extraterrestrian wird von Beginn an
versucht, die übermenschlich emotionalen Fähigkeiten der außerirdischen Gruppe zu
visualisieren. Ein rotes Leuchten ihrer Herzen, das aus der Brust der Wesen strahlt, steht
für die telepathische Verbindung der Aliens als Form von Kommunikation anstelle des
gesprochenen Wortes im menschlichen Sinn. Hierbei handelt es sich jedoch, wie im
Laufe des Films deutlich wird, nicht um Gedankentransmission, sondern um Emotionsund Gefühlsübertragung. Angst oder Panik im Angesicht von (vermeintlichen) Gefahren
werden von E.T.10 lediglich durch ein Kreischen ausgedrückt, das dem Warnruf eines
Tieres ähnlich ist. Gerade im ersten Kontakt zwischen E.T. und einer Gruppe von
9
10
Spielberg, E.T., 1982, 00:51:25.
E.T. ist der Name, der Elliott dem Außerirdischen gibt. Er steht für Extraterrestrian. Dieser Akt
setzt voraus, dass Elliott im Laufe des Geschehens begreift, dass es sich bei dem Wesen weder
um ein Tier, noch um ein Fabelwesen handelt.
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Menschen lässt sich ein animalisches Bewusstsein von der Bedrängnis einer
Gefangennahme feststellen – natürliche Reaktion E.T.s auf seine Verfolgung ist die
Flucht.
Aufgabe der Zuschauenden über die erste Hälfte des Films hinweg scheint somit die
Kategorisierung E.T.s als tierisches oder menschenähnliches Wesen. Auch die Kinder
Elliott sowie seine Geschwister Gertie (Drew Barrymore) und Michael (Robert
MacNaughton) sehen sich vor diese Aufgabe gestellt. Bereits bevor die Hauptperson des
Films, besagter Elliott, E.T. erstmals zu Gesicht bekommt, wird das dem Jungen
unbekannte Wesen als Tier fehlgedeutet. Elliott versucht, jenes vermeintliche Tier
mithilfe von Schokoladenlinsen zu ködern. 11 Entgegen der Bedrohung entdeckt zu
werden, welche durch die erwachsenen Menschen auf E.T. ausgeübt wird, steht das
Anbieten von Nahrung für eine Geste des Respekts und ein Angebot des Friedens. E.T.
wird dabei jedoch in eine Abhängigkeitsrolle, ähnlich der eines Tieres, gerückt. Die
Unfähigkeit zu einer oralen Sprache und das Schnurren im Wohlbefinden verstärken
jenen Eindruck vom animalischen Charakter des Außerirdischen. Lediglich kleine
Hinweise lassen bereits zu Beginn des Films vermuten, dass E.T. eine dem Menschen
gleichkommende Intelligenz besitzt, wenn er beispielsweise den Ball, den Elliott in das
Gartenhäuschen wirft, zurückstößt. 12 Ein deutliches Zeichen für die Fähigkeit zum
humanen Denken findet sich, als der erste Kontakt bereits überwunden, die Phase des
Kennenlernens im Anfang begründet ist: E.T. ahmt – gleichsam wie ein Kind einen
Erwachsenen imitiert – Elliott in seinen Gesten nach. 13 Der Junge begreift auf diese
Weise ebenso wie die Zuschauenden erstmals, dass es sich bei dem Außerirdischen um
ein Wesen mit menschenartigem Bewusstsein handeln muss.
Das Miteinander ist bei E.T. und Elliott zunächst geprägt von Missverständnissen und
Aufregung. Dargestellt wird, wie der Außerirdische sich in der für ihn gänzlich fremden
Umgebung mit Unterstützung durch den Jungen zurechtfindet. Der englischen Sprache
nicht mächtig, werden Gefühle und Emotionen E.T.s neben Lauten vor allem durch
seine Mimik ausgedrückt.14
11
12
13
14
Spielberg, E.T., 1982, 00:15:00-00:15:35.
Spielberg, E.T., 1982, 00:10:21-00:10:27.
Spielberg, E.T., 1982, 00:22:13-00:23:04.
Ein Beispiel dafür das Wohlgefallen des Bades, das E.T. zum lächeln bringt. Vgl. Spielberg, E.T.,
1982, 00:32:25-00:32:75.
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Weiterhin bleibt für die Kinder offen, auf welche Weise sie das Wesen kategorisieren
sollen, wie sich in ihrer Kommunikation miteinander verdeutlicht. In der Aussage
Elliotts über E.T., er wolle den Außerirdischen behalten, findet sich die Einschätzung
des unbekannten Wesens als etwas animalisches, denn besitzen lässt sich nach
menschlichen Begriffen nur ein Tier, nicht aber ein Mensch.15 Gerties Unsicherheiten in
der Einordnung des Außerirdischen beziehen sich vor allem auf Arten von zunächst
gattungsbezogener, dann geschlechtsspezifischer Zuordnung in der Frage „What is
it?“ 16 und „Is he a boy or a girl?“ 17 . Die Vermutung Michaels, das Wesen sei ein
“monkey or a Orang-Utan“18 stellt zum letzten Mal die Frage nach E.T.s Definition dar,
bevor der Außerirdische seine übermenschlichen, für die Kinder wohl scheinbar
magischen Fähigkeiten einsetzt; mithilfe seiner geistigen Potenz kann E.T. Objekte
schweben, Pflanzen gedeihen lassen. Erst in diesem Moment wird Elliott bewusst, dass
die Kategorisierung des Wesens in Mensch oder Tier im Angesicht der Tatsache, dass es
sich bei E.T. um einen Außerirdischen handelt, hinfällig wird. Auch das Erlernen
rudimentärer sprachlicher Verständigung lässt die Kinder ihre Meinung in Bezug auf
das Wesen als Tier überdenken. Bestimmte Kategorisierungen, wie die Zuordnung des
männlichen Geschlechts, können zwar nicht überwunden werden, 19 jedoch wird E.T.
„dignity“20 zugesprochen. Jener Akt ist als Zeichen der Anerkennung des Menschlichen
im Wesen des Außerirdischen zu betrachten. In Elliotts Auflehnung gegen die Lehrkraft
im Biologieunterricht, seine Rettung der Versuchsfrösche21, findet sich – parallel zum
Hauptstrang der Story – die Botschaft, jedes Leben, auch wenn es nicht menschlich ist,
als lebenswert anzusehen, gleichzeitig jedem beseelten Wesen aufgrund seiner Fähigkeit
zu Gefühlen oder Emotionen Würde zuzusprechen.
Mit der Erkenntnis, dass E.T. ein Außerirdischer ist, drängt sich zugleich die bereits
mehrmalig dargestellte Bedrohung des Alien durch andere Menschen auf. Jede
15
16
17
18
19
20
21
Die Aussage Elliotts ist „I’m keeping him.” Spielberg, E.T., 1982, 00:36:05-00:36:06.
Spielberg, E.T., 1982, 00:36:09-00:36:11.
Spielberg, E.T., 1982, 00:36:21-00:36:23.
Spielberg, E.T., 1982, 00:38:51-00:39:05.
E.T. weist keinerlei äußerlichen Geschlechtsmerkmale auf.
Spielberg, E.T., 1982, 00:54:56-00:55:00.
Spielberg, E.T., 1982, 00:47:29-00:50:02. Innerhalb dieser Szene wird gleichzeitig die Wirkung
der telepathischen Gedankenübertagung auf Elliott gezeigt. Der Junge empfindet den
Freiheitsdrang und das Heimweh E.T.s nach und schenkt daher den Fröschen ihre Freiheit.
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Filmsequenz, in der die Verfolgenden charakterisiert werden, ist ähnlich aufgebaut. Zu
hören ist dramatische Musik, während männliche Personen, ausgerüstet mit
Taschenlampen und sich im Laufe der Suche qualitativ steigernden technischen
Hilfsmitteln, auf der Jagd nach E.T. sind. Dabei werden jene Menschen anonymisiert,
indem stets ihre Gesichter durch die Kameraführung oder das Tragen von Masken
verborgen bleiben. Nur eine einzige Person kann durch ihr Merkmal des
Schlüsselbundes am Gürtel von den Zuschauenden immer wieder erkannt werden.22 Die
Anonymität, in der diese erwachsenen Menschen dargestellt sind, lässt sich als Motiv
dafür interpretieren, dass diese keine Individuen demonstrieren, sondern spezifische
Gruppen repräsentieren. Der Einzelne rückt dabei – mit Ausnahme des Mannes mit dem
Schlüsselbund – in den Hintergrund, ein Kollektiv (hier wohl, neben Vertretenden von
Geheimdiensten und dem U.S.-amerikanischem Militär, der NASA Angehörende) ist in
Aktion. In dem Moment, in dem jene Gruppe in das Haus der Familie eindringt, wird
sie zum Hauptakteur des Filmes, bestimmt das fortlaufende Geschehen bis zu einem
späteren Zeitpunkt, da Elliott wieder die Initiative ergreift. Alle Entscheidungen
basieren auf der Verantwortung des Wissenschaftsteams, jene Gemeinschaft stellt das
Element zwischen Leben und Tod E.T.s dar. So wird das Ableben des Außerirdischen
zwar zu verhindern versucht, jedoch billigend in Kauf genommen. Im Tod nimmt E.T.
damit dieselbe Rolle ein, wie die Frösche in Elliotts Biologielehrstunde – nämlich die
eines Tieres, welchem ein humanes Maß an Würde abgesprochen wird.
Im Laufe der Inszenierung werden dem Zuschauenden die übermenschlichen
Fähigkeiten E.T.s immer deutlicher präsentiert. Seine emotional-magische Potenz –
filmisch vor allem mithilfe von Spezialeffekten 23 inszeniert – überschattet mehr und
mehr die anfänglich als defizitär dargestellten Eigenschaften des Außerirdischen.
Körperliche Beeinträchtigungen werden ausgeglichen durch die Macht der Telekinese,
Sprache durch die telepathische Verbindung zwischen Elliott und E.T. Die Art der
Empathie, zu der E.T. und seine Artgenossen imstande scheinen, wird bereits zu Beginn
22
23
Spielberg, E.T., 1982, 00:05:18-00:05:33.
Vivian Sobchack führt den Zusammenhang zwischen „Special Effect“ und „Special Affect“
genauer aus. “E.T. [...] uses special effects to fantasize kids on flying bicycles – certainly less a
celebration of rational science and hard technology than an affective reflexivity meant to evoke
Peter Pan, and Dorothy Gale attempting to save Toto from Miss Gulch. It also gives its little
alien a “faith healing” finger matched only in special affect by his “heartlight” […]. Sobchack,
Vivian C.: Screening Space. The American Science Fiction Film. New Brunswick 2004, S. 284f.
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des Films durch das Leuchten ihrer Herzen ersichtlich.24 Wie sich im folgenden Verlauf
der Erzählung zeigt, ist dieser Typ von emotionaler Bindung Bedingung für das
Wohlbefinden und schließlich das Überleben des Außerirdischen. Die Trennung von
seinen Mitreisenden versetzt E.T. in einen Zustand vergleichbar mit dem Heimweh. Um
seinem Wunsch, nach Hause zurückzukehren, sprachlich Ausdruck zu verleihen, muss
E.T. als Voraussetzung dafür erst einmal verstehen, was „home“ 25 in emotionaler
Hinsicht bedeutet. Die Sehnsucht nach seinem Zuhause drückt sich – wie beim
Menschen auch möglich – bei E.T. in einem Zustand sich steigernder körperlicher
Qualen aus. Physis und Psyche, körperbezogene und seelische Empfindungen, stehen
demnach in unmittelbarer Verbindung. Der Ausruf „Outch!“26 bringt diese Verknüpfung
zum Ausdruck. Letztere ist auch der Grund dafür, dass E.T. trotz der besonderen,
empathischen Zusammenfindung zu Elliott nicht bei dem Jungen bleiben kann.
Die dauerhaft stattfindende Telepathie zwischen den beiden beruht nicht nur auf der
Übertragung von Gedanken, ist also nicht reine inhaltliche Kommunikation. Die
Verbindung basiert vor allem auf der Transmission von Empfindungen, Gefühlen,
Affekten und Emotionen gleichermaßen. So erfährt der Agent mit dem Schlüsselbund
auf seine Frage hin, ob Elliott E.T.s Gedanken denken könne, von Michael: „No, Elliott
feels his feelings.“ 27 Das Wissenschaftsteam um den Außerirdischen bezieht diese
Fähigkeiten auf eine medizinische Synchronisation der Gehirnwellenaktivität. 28 Mit
dem
Ableben
E.T.s
wird
auch
dieses
Zusammenspiel
der
Emotionen
in
übermenschlicher Form unterbrochen, 29 während die Liebe 30 zwischen den beiden
Akteuren als humane Art der emotionalen Verknüpfung weiterhin besteht.
E.T. hinterlässt auch nach seiner Abreise Spuren auf der Erde. Zu Beginn nimmt Elliott
eine lehrende Rolle ein, vermittelt E.T. eine Art menschlicher Lebensweise, lässt ihn
menschliches
Empfinden
nachvollziehen.
Ihre telepathische
Verbindung lässt
gleichzeitig auch Elliott von E.T. lernen; so nehmen in diesem Zusammenspiel weder
der Außerirdische noch der Mensch eine Position der Überlegenheit ein, wenngleich
24
25
26
27
28
29
30
Spielberg, E.T., 1982, 00:03:40-00:30:46.
Spielberg, E.T., 1982, 00:55:30-00:55:35.
Spielberg, E.T., 1982, 01:45:54-01:45:55
Spielberg, E.T., 1982, 01:20:34-01:20:40.
Spielberg, E.T., 1982, 01:23:52-01:23:53.
„You must be dead because I don’t know how to feel. I can’t feel anything anymore.” Spielberg,
E.T., 1982, 01:32:31-01:32:44.
Spielberg, E.T., 1982, 01:33:09-01:33:13.
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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E.T. allem Anschein nach einer suprahumanen Alienkultur entstammt.31 Dem einsamen,
verwirrten Elliott, der nach der Trennung der Eltern mit familiären Problemen
konfrontiert und als Außerseiter dargestellt ist, wird die Aufgabe des Beschützenden
zuteil,32 denn der übermenschlich befähigte E.T. ist, zurückgelassen auf der Erde, im
Grunde „just like the boy – confused and lonely.“ 33 Die Rettung des Außerirdischen
macht Elliott zum Helden, schenkt ihm Selbstwertgefühl. So lässt sich die Fähigkeit
E.T.s zur Heilung nicht nur auf körperliche Verletzungen, sondern auch seelische
Wunden beziehen.
34
Die Tatsache, dass die Begegnung zwischen Mensch und
Außerirdischem das Leben der beiden für alle Zeit prägt ist die Aussage E.T.s beim
Abschied, er sei immer in Elliotts Erinnerung.35 Der Kontakt mit dem Anderen nimmt
so Einfluss auf die jeweiligen Parteien und bestimmt beider Selbst in vielerlei Hinsicht.
Der Film E.T. kann Betrachtende mit der Frage zurücklassen, welche Rolle sie selbst in
dem Film einnehmen würden. Außerdem könnte die Reaktion überdacht werden,
würden sie selbst mit einem Außerirdischen wie E.T. konfrontiert. Jene Ansätze lassen
beispielsweise Überlegungen zum menschlichen Umgang mit Tieren zu, deren Affekte,
Emotionen und Gefühle aus einem humanen Blickwinkel zum Teil schwer
nachzuvollziehen sind. So ist es dem Science-Fiction-Film generell in vielerlei Hinsicht
möglich, die menschliche Selbstwahrnehmung durch die Gegenüberstellung von
Außerirdischen infrage zu stellen.
31
32
33
34
35
Ruppersberg, Hugh: The Alien Messiah. In: Alien Zone. Cultural Theory and Contemporary
Science Fiction Cinema. Hrsg. von Annette Kuhn. London/New York 1990, S. 32-38, hier S. 35.
Ruppersberg, The Alien Messiah, 1990, S. 36.
Ruppersberg, The Alien Messiah, 1990, S. 35.
So weit zu gehen, wie Hugh Ruppersberg, Epiphanien von Außerirdischen im Film aufgrund der
Motivik der Erscheinung eines Messias gleichzusetzen, liegt zwar im Rahmen interpretatorischer
Freiheit, jene Auslegung soll jedoch die folgende Interpretation nicht beeinflussen. Steven
Spielberg selbst verneinte, dass es seine Absicht gewesen sei, in der Darstellung E.T.s religiöse
Parallelen zu ziehen. Vgl. Wingrove, David (Hrsg.): The Science Fiction Film Source Book.
Harlow 1985, S. 89.
E.T. fasst Elliott an den Kopf und sagt „I’ll be right here.“ Spielberg, E.T., 1982, 01:47:0901:47:22.
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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3.2
Identität und Alterität im Science-Fiction-Film
Neben E.T. thematisieren viele weitere Filme des Science-Fiction-Genres den Kontakt
zwischen außerirdischen Lebensformen und Menschen. Das Spektrum, wie Aliens dabei
inszeniert werden können, bleibt unbegrenzt; gemein ist den meisten Formen die
Darstellung als das Fremde, das Andere, sowohl in Bezug auf äußere als auch
charakterliche
Züge
oder
Verhaltensmerkmale.
Eine
ethische
Wertung
über
außerirdisches Fühlen und Handeln muss dabei ausbleiben, wenn das fremde Wesen –
wie beispielsweise in Alien36 – tendenziell als tierisches Subjekt gewertet wird, dessen
Bewusstsein von einer Schwarmintelligenz geprägt ist. 37 Das Handeln E.T.s jedoch,
dessen Gefühlsspektrum dem des Menschen ähnlich ist, mehr noch, darüber hinausgeht,
kann theoretisch wohl einer moralischen Einschätzung unterliegen. Viel wichtiger
scheint aber dasjenige Urteil, dass sich Rezipierende über das gefühlsbedingte Verhalten
von Menschen im Film bilden. Außerirdische nämlich unterliegen der menschlichen
Fiktion, Akte von Menschen – auch gegenüber dem Imaginären – spiegeln stets die
Einschätzung der humanen Realität durch die Produzierenden wider.
Ganz gleich, ob es sich um Ridley Scotts Kreatur oder Steven Spielbergs
sympathietragenden E.T. handelt, beiderlei Vertretende außerirdischer Lebensformen
36
37
Scott, Ridley: Alien. Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt. USA: 20th Century Fox
Film Corporation 1979.
Der Film Alien und alle nachfolgenden Teile der Reihe verbinden das Genre der Science-Fiction
mit dem des Horrorfilms. Sie thematisieren neben dem katastrophalen Aufeinandertreffen von
außerirdischer und menschlicher Lebensform auch wissenschaftlich-technische, politische,
soziologische und kulturelle Probleme. Die siebenköpfige Besatzung des Raumfrachters
Nostromo befindet sich auf dem Rückweg zur Erde, als der Schiffscomputer auf ein Notsignal
aus dem Weltraum hin alle Passagiere aus dem Hyperschlaf erweckt. Die Nostromo folgt dem
Signal auf den Planeten LV-426 – drei Crewmitglieder unternehmen eine Expedition zur Quelle
des Notrufs. Sie müssen feststellen, dass dort außerirdisches, parasitäres Leben existiert, dem
eine Person zum Opfer fällt. Im Raumschiff verlässt das Alien seinen Wirt und tötet nach und
nach zum Zweck seiner Fortpflanzung nach und nach die Besatzung. Im Zentrum des
Geschehens findet sich Offizierin Ellen Ripley (Sigourney Weaver) in einem Überlebenskampf
im All wieder.
Blackmore, Tim: Is this Going to be Another Bug-Hunt. In: Journal of Popular Culture. 29/4
(1996), S. 211-226, hier S. 220: Mit Schwarmintelligenz (“unitary hive intelligence”) meint Tim
Blackmore, dass “all the aliens seem to know what one knows; one brain governs them all.
Science fiction examines the classic mistake of assuming one central mind is a lesser intelligence
than many individual minds […]: a desperate Hudson bellows “whaddaya mean they cut the
power? How could they cut the power, man? They’re animals!“ Vgl. Cameron, James: Aliens –
Die Rückkehr. USA: 20th Century Fox Corporation 1986, 01:48:23-01:48:25.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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stehen im Zentrum des Plots, verkörpern jedoch in Interaktion mit Menschen
Außenstehende. Das animalisch-triebhafte Außerirdische stellt – beispielsweise durch
seine Art der parasitären Fortpflanzung – eine Gefahr für den Menschen dar.
Verständlich ist also in einem solchen Fall die Feindschaft zwischen Alien und Mensch.
E.T. repräsentiert in seiner Darstellung das Fremde hingegen im positiven Sinn, ist
jedoch trotz seiner Friedfertigkeit oder humanoiden Gestalt den (erwachsenen)
Menschen im Film noch nicht Mensch genug, um ihm als Ihresgleichen Würde
zuzusprechen.38
Laut Jeffrey A. Weinstock fristeten insbesondere dem Menschen ähnliche Aliens in
szenischen Darstellungen stets ihr Dasein als „Freaks“ 39. Sie reihten sich ein in eine
“amorphous and disturbing family of “boundary breakers””. 40 In der Konfrontation
zwischen Mensch und Alien, dem Gegenüberstellen von Menschlich-Normalem und
Außerirdisch-Anormalem, spiegelt sich so eine Art der kulturellen Kategorisierung und
Klassifizierung wider. 41 Menschen wiederum werden im Science-Fiction-Film unter
anderem durch ihr Agieren im Kontakt mit Außerirdischen charakterisiert. Ihr Selbst
definiert sich so durch die Abgrenzung vom Anderen, Identität durch Alterität.
Allerdings ist die Darstellung der „alienation“ 42 im Film einem Wandel unterlegen.
Vivian Sobchacks Meinung besteht darin, dass Außerirdische nicht länger – wie in der
Science-Fiction der 1950er Jahre – Bedrohungen für die politische oder soziale
Ordnung widerspiegeln; in jenen Filmen weisen fremde Wesen zumeist emotionale
Defizite wie Gefühlsarmut oder Gnadenlosigkeit auf. Die Art, wie der Mensch in
solchen Science-Fiction-Filmen aufgefasst wird, muss dagegen als eine positive
38
39
40
41
42
Zwar wird alles daran gesetzt, E.T. am Leben zu erhalten, doch oberstes Priorität der
Forschenden stellt im Grunde der wissenschaftliche Wert des Außerirdischen dar.
Weinstock, Jeffrey A.: Freaks in Space. “Extraterrestrialism” and “Deep-Space
Multiculturalism”. In: Freakery. Cultural Spectacles of the Exraordinary Body. Hrsg. von
Rosemarie G. Thomson. New York/London 1996, S. 327-337, hier S. 327f. Jeffrey A. Weinstock
unterscheidet dabei zwischen den Begriffen Freak und Monster. Freaks stellen eine Abweichung
von der gesellschaftlichen Norm, jedoch im Gegensatz zum Monster keine physische Bedrohung
für den Menschen dar und sind meist in ihrer Gestalt durch menschliche Merkmale
charakterisiert. Der Vergleich der Filme Alien und E. T. zeigt den Unterschied zwischen Monster
und Freak. „Although never „human“, the extraterrestrial can fall anywhere on the continuum
between human and monster: the alien can be unproblematically monstrous […], or close to
human as possible without actually being human […].”
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 327.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 327.
Ausnahmen stellen Filme wie Alien dar, in denen das außerirdische Wesen den Menschen
bedroht; allerdings ist es dabei nicht mehr immer möglich, Aliens stets als böse, Menschen
konstant als gut zu betrachten. Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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betrachtet werden und „can be seen to conform to a traditional Freudian/Lacanian model
of identity that is secured through opposing, and ultimately subjugating, the threat of the
Other.”43 Dies schließt mit ein, dass die Identität eines Menschen einer gewissen Statik
unterliegt und auch im Film von Anfang an wenig variiert. Das Motiv der feststehenden,
strikten Rolleneinteilung in gute Menschen und böse Aliens wird immer wieder
aufgegriffen – bestes Beispiel ist wohl Predator 44 (1987), in dem skrupellose
Außerirdische auf der Erde oder, in der Neuverfilmung Predators45 (2010), auf ihrem
eigenen Planeten die Jagd auf Menschen wie ein Hobby praktizieren. So wie
Außerirdische im Film kategorisiert werden, findet auch unter den menschlichen
Akteuren häufig eine Einteilung in klar definierte, größtenteils konstante Rollen statt.
Postmoderne Science-Fiction-Filme zeigten Vivian Sobchacks Meinung nach zwar
fremde Wesen aus dem All genuin positiv, jedoch offensichtlich (durch Aussehen oder
Verhalten) als das Fremde im Kontrast zum Eigenen.46 Dies schließe jedoch nicht aus,
dass neben menschlich charakterisierten Wesen, auch außerirdische Bösewichte in der
Handlung ihre Rolle spielen können.
47
Desweiteren sieht Vivian Sobchack
Außerirdische in der Entwicklung des Genres seit den 1980er Jahren immer mehr als
der Menschen „familiars, simulacra“.48 Die Darstellung außerirdischer Andersartigkeit
sei gleichzusetzten mit der Illustration menschlicher Vielfalt.49 Im Fall von E.T. würden
beispielsweise die Unterschiede des Fremden in der Homogenität eines neuen,
universalen Humanismus absorbiert.50 Dies hat automatisch zur Folge, dass auch für
den Außerirdischen die Maßstäbe humanistischen Denkens gelten. In Steven Spielbergs
Film wird das Motiv des übermenschlichen Umgangs mit Emotion zum Zeichen für
jenen neuen Humanismus. Identität und Alterität entstehen darin nicht durch die
Gegenüberstellung von E.T. und Elliott als Alien und Mensch, sondern durch den
Kontrast des wunderbaren, emotionalen Gedankenaustauschs der beiden Hauptakteure
und der Ignoranz, mit der die männlichen Erwachsenen ihre Aufgabe vollstrecken. Die
43
44
45
46
47
48
49
50
Constable, Catherine: Becoming the monster‘s mother: morphologies of identity in the Alien
series. In: Alien Zone II. The Spaces of Science Fiction Cinema. Hrsg. von Annette Kuhn.
London/New York 1999, S. 173-202, hier S. 173.
McTiernan, John: Predator. USA: 20th Century Fox 1987.
Antal, Nimród: Predators. USA: 20th Century Fox 2010.
Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Bedrohung geht hier, nicht wie in den meisten Science-Fiction-Filmen der
Nachkriegszeit vom Außerirdischen, sondern von den Menschen selbst aus. „The
masked invader that comes to take him [E.T.] away becomes the real alien for Elliott
and his family […].”
51
Auch in der Alien-Reihe besteht die Möglichkeit für
Rezipierende, nicht das xenomorphe, außerirdische Wesen als größte Gefahr für den
Menschen einzuschätzen, sondern die Raffgier Carter Burkes als Stellvertreter der
Company.52 Diese verfolgt das Ziel, die außerirdische Lebensform als biologische Waffe
zu vermarkten. Somit ist die Tendenz zu erkennen, dass die Grenzen zwischen dem
Menschen und dem Außerirdischen immer mehr verwischen, die Heterogenität von
Eigenem und Fremdem lässt sich in einer fiktiven, von Vielfalt geprägten Welt nicht
länger aufrecht erhalten. Vivian Sobchack bezieht sich in ihren Ausführungen auf
Michel Foucaults Unterscheidung zwischen dem Verhältnis von „resemblance“ und
„similitude“53. Ersteres bedeute die Ähnlichkeit zu einem Modell oder Vorbild, letzteres
die Ähnlichkeit als unbegrenzte und reversible Beziehung des Gleichen zum Gleichen.54
Durch diese Differenzierung lässt sich der Kontrast zwischen der Darstellung des
Außerirdischen als dem Menschen hierarchisch unterlegenen Wesen und dem
ursprünglich fremden
Wesen als
gleich im
universal-homogenetischen Sinn
verdeutlichen.55
Daraus folgt umso mehr, dass die Frage nach dem (ähnlich) fremden Gegenüber, immer
auch diejenige nach der persönlichen Identität nach sich zieht – sich daraus ergebende
Fragen sind: wer bin ich, was macht mich als Mensch aus. Die Trennung zwischen
Identität und Alterität, die durch die Gegenüberstellung von Menschen und
Außerirdischen symbolisiert wird, zeigt sowohl in der Fiktion als auch in der Realität
seine Wirkung parallel zueinander.
51
52
53
54
55
Geraghty, Lincoln: American Science Fiction Film and Television. Oxford/New York 2009, S.
70f.
Vgl. Geraghty, American Science Fiction Film and Television, 2009, S. 75.
Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Vgl. Sobchack, Screening Space, 2004, S. 293.
Der Unterschied liegt in er Aussage, Außerirdische seien wie Menschen, gegen diejenige, welche
Außerirdische den Menschen gleichsetzt, Menschen ebenso in der Rolle fremder Wesen sieht
(„aliens are like us“ und „aliens are us“). Zum Begriff der Ähnlichkeit bei Foucault siehe
Foucault, Michel: Dies ist keine Pfeife. In: Schriften zur Medientheorie. Hrsg. von Bernhard J.
Dotzler. Berlin 2013, S. 47-50.
Sobchack, Screening Space, 2004, S. 294ff.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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3.3
Science-Fiction und Realität
Nicht nur in Abhängigkeit der Darstellungsweise von Außerirdischen im Film, sondern
auch je nach Art der Interpretation der jeweiligen Werke durch ihre Rezipierenden kann
einerseits das Handeln der Fremden aus dem All auf Basis ihres emotionalen
Spektrums, andererseits das Tun der Menschen in Konfrontation mit Aliens bewertet
werden. Jeffrey A. Weinstock sieht in Science-Fiction-Filmen, bei denen Menschen auf
Außerirdische treffen, einen Zusammenhang zwischen Idee und Realität. Dabei knüpft
er eine Verbindung zwischen der fantastisch-mythischen, verklärten Vorstellung von
Orient und der sozialen Konstruktion des exotischen, außerirdischen Wesens in der
Science-Fiction.
Daraus
entwickelt
Jeffrey
A.
Weinstock
den
Begriff
des
„Extraterrestrialism“.56 Während der Orientalismus „as a system of discursive practices
involving the stereotyping of the “Oriental” as biologically inferior and serving to
justify imperialism”
57
und als sozial konstruierte Idee Auswirkungen auf die
menschliche Wirklichkeit hat, mag der Extraterrestrialismus rein fiktional erscheinen;
allerdings sieht Jeffrey A. Weinstock eine Verbindung zwischen Fiktion und Realität in
der Tatsache, dass Außerirdische im Film häufig zu Sinnbildern irdischer Ethnien
gemacht werden.58 Diese Simulakren bei Aliens „can tell us a great deal about the extent
to which a given culture values and fears human difference and diversity.”59
Als Beispiel für jene Theorie dient vor allem der Film Star Wars (1977) 60 . Die
Kontrastierung zwischen menschlicher Norm und außerirdischer Abnorm wird
insbesondere anhand der klischeehaft westernähnlich inszenierten Filmsequenz in der
Mos Eisley Cantina in einem Raumhafen deutlich: das Menschsein, ausgedrückt durch
die Jedi, steht der äußersten Fremdartigkeit dargestellten Außerirdischen gegenüber.61
Die „coded racial sensibility woven into this scene, and present througout Star Wars, is
shrouded by the overwhelming and, as a result, overpowering display of nonhuman
56
57
58
59
60
61
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 330.
Lucas, George: Krieg der Sterne. (Originaltitel: Star Wars). USA: Lucasfilm Ltd. 1977.
Lucas, Krieg der Sterne, 1977, 00:43:00-00:45:19.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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differnce as spectacle.“62 Mit einem Blick auf die diegetische Realität, die in Star Wars
konstruiert ist, wird die ihr unterlegene, ethnische Komponente der Szene offengelegt.63
Adilifu Nama beschreibt, so wie Jeffrey A. Weinstock, die Roboter und
nichtmenschlichen Aliens in den Star Wars-Filmen als
„type of racial impersonation found in early Hollywood cinema […], and
African Americans, Native Americans, Asians, and Latinos have all had the
dubious honor of having white actors use makeup and adopt exaggerated
mannerisms to achieve their racial identities for particular narratives”.64
Desweiteren
werden
phänotypische
Merkmale
in
vorurteilhafter
Weise
mit
(moralischer) Degradierung verknüpft, wenn Obi-Wan Kenobi über den Ort als ein
„wretched hive of scum and villainy“65 urteilt.66 Die Wertung von Außerirdischen als
niedere Lebensformen, dem Menschen untergeordnet, zeigt sich im Star WarsUniversum vor allem darin, dass die Tötung eines Alien nicht einem Mord, sondern dem
Erschlagen einer Mücke gleichgesetzt wird. 67 Während Hässlichkeit ihr bösartiges
Wesen symbolisieren soll, ist niedliches Aussehen Außerirdischer ein Zeichen für deren
Gutartigkeit. Laut Jeffrey A. Weinstock seien Aliens in Star Wars, beispielsweise
Ewoks, die dem stereotypen Konstrukt des Primitiven Menschen68 entsprechen, stets ein
Mittel, um „the valor and superiority of the white male heroes“
69
(die Jedi)
hervorzuheben.
„It matters little whether the audience recognizes specific racist overtones
behind the representation of any individual alien species, because the general
equation of the Star Wars movies is unmistakable: difference equals danger.”70
In die Extreme geht der Rassismus gegenüber Außerirdischen, wenn zur
Diskriminierung noch eine suppressive Kontrollinstanz wie diejenige im Film Men in
62
63
64
65
66
67
68
69
70
Nama, Adilifu: Black Space. Imagining Race in Science Fiction Film. Austin 2008, S. 29.
Vgl. Nama, Black Space, 2008, S. 29.
Nama, Black Space, 2008, S. 30.
Lucas, Krieg der Sterne, 1977, 00:40:57-00:40:59.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 331.
Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 331f.
Von derartigen Bezeichnungen soll hier Abstand genommen werden. Die Kennzeichnung im
Text macht deutlich, dass es sich dabei um ein Produkt sozialer Konstruktion handelt und als
überaus diskriminierend gewertet werden muss.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 333.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 333.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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Black 71 (1997) hinzutritt. Die Lizenzierung, Überwachung und polizeiliche Kontrolle
Außerirdischer sei laut Markus Koch Zeichen eines totalitären Systems.72 Die Men in
Black stellen dabei eine Art Einwanderungsbehörde dar, die den Aufenthalt
intergalaktischer Flüchtlinge reglementiert und Verstöße wie „boundary violation“ 73
bestraft. Emotionen der Menschen Außerirdischen gegenüber spielen in dieser Art von
System eine sehr geringe Rolle. Der Bezug zu illegal Eingewanderten in der Realität
liegt bei fiktiven Bezeichnungen wie „illegal aliens“74 äußerst nahe. Der Film Men in
Black greift zwar zunächst die Furcht vor Einwanderungswellen in die USA in
ironischer Weise auf, inszeniert jedoch gleichzeitig eine Gefahr der Migration, deren
Einfluss des Fremden auf das Eigene es durch Gewaltanwendung und Restriktion zu
unterbinden gilt.75
Den Kontrast zu George Lucas‘ Werk Star Wars und dem darin verkörperten
Imperialismus bildet wohl Star Trek76. Jeffrey A. Weinstock bezeichnet das System des
Diversity Managements auf der U.S.S. Enterprise als „deep-space multiculturalism“77
als
Gegensatz
zum
Extraterrestrialismus.
Rassistische
oder
imperialistische
Einstellungen ließen sich trotz jener Fassade der Vielfalt jedoch auch in diesem Fall
nicht ausschließen. 78 Der Charakter des Commander Spock dient wohl als passendes
Beispiel für die Rolle von Gefühlen in der Wertung von Außerirdischen. Der Vulkanier
ist nicht zu Empfindungen menschlicher Art befähigt. Die Auseinandersetzung
zwischen Ratio und Emotion in Spocks Entwicklung stellt trotz seiner herausragenden
gedanklichen Fähigkeiten immer wieder ein Hindernis dar, insbesondere, wenn es um
die ethisch-moralische Wertung von Handlungen geht. Dabei steht der Begriff des
Humanen als Maßstab nicht nur für eine biologische Zuordnung, sondern dient als
„moral marker“. 79 Von allen außerirdischen Kulturen wird erwartet, dass sie die als
71
72
73
74
75
76
77
78
79
Sonnenfeld, Barry: Men in Black. USA: Columbia Pictures Corporation 1997.
Vgl. Koch, Markus: Alien-Invasionsfilme. Die Renaissance eines Science-Fiction-Motivs nach
dem Ende des Kalten Krieges. München 2001, S. 161f.
Sonnenfeld, Men in Black, 1997, 00:39:45.
Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 162.
Vgl. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 165f.
Gemeint sind hier die Verfilmungen auf der Grundlage der Serie. Dazu zählen unter anderen
Wise, Robert: Star Trek. USA: Paramount Pictures Corporation 1979 und Berman, Rick: Star
Trek. Der erste Kontakt. USA: Paramount Pictures Corporation 1997 als Beispiel für die Next
Generation.
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 333f.
Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 334.
Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 335.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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offensichtlich dargestellte Überlegenheit der menschlichen Parameter, „such as beliefs
in the ideas of individual responsibility and equity, and the experiences of guilt and
compassion”80 erkennen und anerkennen. Jeffrey A. Weinstock unterscheidet in Bezug
auf Star Trek zwischen den außerirdischen Gruppen, die einer emotionalen Zähmung
bedürfen (Klingonen), und denjenigen, die sich anstelle der reinen Logik mehr ihren
Gefühlen hingeben sollten (Spock oder der Androide Lieutenant Commander Data).81
So stellt im Vergleich dazu das instinktgesteuerte Wesen aus Alien den schlimmsten Fall
von gefühls- und affektgesteuertem Verhalten dar, während E. T. sein übermenschliches
Emotionspotential im moralischen Sinne äußerst positiv erscheinen lässt. Doch die
Maßstäbe, zu beurteilen, was positiv oder negativ sei, richten sich immer nach dem
Menschen und seiner Normvorstellung von Emotionalität – sowohl unter den Akteuren
der fiktiven, als auch bei den Rezipierenden der realen Welt.
Markus Koch sieht in der Inszenierung des Kontakts zwischen Menschen und
Außerirdischen Verbindungen zu ganz konkreten kulturhistorischen Phänomenen, die
mit den Begriffen des Extraterrestrialism und Deep-Space Multiculturalism verknüpft
werden können. Die stereotype Darstellung von Außerirdischen, die sich vor allem im
Film Independence Day82 (1996) durch eine Achtlosigkeit gegenüber einer überlegenen,
nicht
irdischen
Kultur
ausdrücke,
setzt
Koch
mit
der
„propagandistischen
Dämonisierung Saddam Husseins durch die US-amerikanische Regierung im Golfkrieg
(1990/91)“83 gleich. Eine plakative Darstellung des fremden Feindes diene der Polemik,
die zur Rechtfertigung militärischer, gleichzeitig auch ethnischer Gewaltanwendung
gereiche.84 Die Menschheit, welche sich in Independence Day gegen die außerirdischen
Eindringlinge verteidigt, wird durch das Spiel mit emotionsbehafteten Motiven, wie
dem Feiertag des 4. Juli oder der Freiheitsstatue, im Film eine „universal USamerikanische“85. Die Darstellung von den Außerirdischen als fremde Feindbilder wirke
80
81
82
83
84
85
Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 335.
Vgl. Weinstock, Freaks in Space, 1996, S. 335.
Emmerich, Roland: Independence Day. USA: 20th Century Fox Film Corporation 1996.
Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 96f.
Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 97-100. Als Beispiel für seine Ausführungen dient Koch in
Bezug auf Independence Day vor allem die Vivisektion (Independence Day 01:16:13) an einem
Außerirdischen, dessen Organismus dem des Menschen relativ ähnlich ist. Koch vergleicht die
Abgrenzung von den Außerirdischen mit einer Ablehnung bestimmter Ethnien.
Vgl. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 107.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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so zwar scheinbar identitätsstiftend auf alle Menschen, sei jedoch anstelle von humanem
Universalismus als westlicher Imperialismus zu betrachten.86
Eine Inszenierung des außerirdischen Anderen in der Rolle der Unterlegenheit verstärkt
die des menschlichen Selbst in seiner vermeintlichen Überlegenheit. Dieses Prinzip
wird in Alien aufgebrochen, da die Menschen mit Ausnahme von Ellen Ripley
gegenüber dem physisch hochentwickelten Wesen aus dem All sehr viel schwächer
erscheinen. Die Maßstäbe, welche der Mensch setzt, spielen im Angesicht dieser
Bedrohung keine wesentliche Rolle mehr – alle Emotionen richten sich nur auf das
eigene Überleben. Nur die Hauptperson Ripley zeigt neben ihrer Todesangst vor der
Kreatur auch die Fähigkeit zu Mitgefühl und Liebe, was in ihrer Fürsorge um das
Findelkind Newt zum Ausdruck kommt.87 Während Filme wie Independence Day den
Menschen siegreich über die außerirdischen Invasoren triumphieren lassen, entkommt
Ellen Ripley als einzige der ganzen Besatzung dem Monster nur um Haaresbreite und
wird für ihr restliches Leben und noch nach dem Tod von ihrer Begegnung beeinflusst.
Seine individuelle Überlegenheit kann dem Alien lediglich aus dem Grund
abgesprochen werden, da es sich nicht in die Reihe der menschen-, sondern der
tierähnlichen Außerirdischen einordnen lässt und somit eher dem scheinbar intelligenten
Weißen Hai 88 entspicht. So wird dem Wesen von Beginn an zwar eine Art der
Schwarmintelligenz zugemutet, die Potenz des emotionalen Empfindens, damit auch
seine moralische Instanz, abgesprochen.
Die Begegnungen zwischen Außerirdischen und Menschen löst in fast allen ScienceFiction-Filmen verschiedene Stadien emotionaler Ausnahmezustände aus. Der Verlauf
ist vergleichbar mit den Stadien des Sokratischen Dialogs: zu Beginn des Film ist das
Denken der Menschen meist geprägt vom Glauben an eine anthropozentrische Welt.
Dieser Glaube wird mit dem Wissen von außerirdischem Leben infrage gestellt. Es folgt
der Zustand der Aporie, der Ratlosigkeit in Bezug auf seine Identität. Darauf aufbauend
erhält der Mensch die Chance, sich selbst ganz neu zu definieren – meist geschieht dies
anhand von einer Neuverteilung der Rollen im Film und der Wahl von für die
Rezipierenden eher positiven oder negativen Handlungsweisen.
86
87
88
Vgl. Koch, Alien-Invasionsfilme, 2001, S. 107.
Vgl. Cameron, Aliens, 1986.
Spielberg, Steven: Der weiße Hai. USA: Universal Pictures 1975.
Christina Winkler
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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4
Fazit: Die Zukunft steht in den Sternen
Dass der Alien-Film als Massenmedium seinen Wert als Quelle zum Zweck einer
kulturgeschichtlichen Betrachtung besitzt, ist bestätigt; häufig dient er in der
Wissenschaft als Forschungsobjekt in Bezug auf Gender, Technik (und die damit
verbundene politische, soziale oder kulturelle Entwicklung bestimmter Systeme) sowie
die Konstruktion von Feindbildern. Zwar kann vorliegende Arbeit im Fokus auf die
Gegenüberstellung von Identität und Alterität in der szenischen Science-Fiction
aufgrund der Vielzahl an Beispielen lediglich überblickshaft bleiben, wenige
ausgewählte Filme dienen jedoch stellvertretend für einen Großteil der Inszenierung
vom ersten Kontakt Außerirdischer mit Menschen und dem, was diesem
Zusammentreffen folgt.89 Aus der Analyse von E.T.-Der Außerirdische im Verbund mit
weiteren Science-Fiction-Filmen wird klar, dass es Menschen darin zumeist schwer
fällt, fremde Existenzen zu akzeptieren. Auch wenn sich der Mensch, wie in Alien,
bereits in die Weiten des Alls ausgebreitet hat, sieht er sich als das Maß aller Dinge. Ihm
kommt es zu, über fremdes Handeln zu urteilen, Regeln für alle aufzustellen,
Sanktionen bei Verstößen zu verhängen, über Leben und Tod von Außerirdischen zu
entscheiden. Das ist eine Form des Geozentrismus, die auf der vermeintlich eigenen
Überlegenheit über andere beruht. Durch dieses Prinzip werden Suppression, Gewalt
und kriegerische Akte gerechtfertigt. Assoziationen mit ganz realen Phänomenen, mit
dem Imperialismus, dem Rassismus als Ablehnung und Unterdrückung von Menschen
aufgrund ihrer Ethnien und anderen Arten der Diskriminierung, sind demnach
naheliegend. Deshalb entwickelt wohl Jeffrey A. Weinstock seine Theorie vom
Extraterrestrialism und stellt damit den inszenierten Umgang mit Außerirdischen in der
Science-Fiction auf gleiche Stufe mit der Konstruktion von Stereotypen und
Feindbildern. So reproduziert der Science-Fiction-Film reale Verhältnisse, kann aber
auch auf bestehende Problematiken hinweisen sowie Rezipierende zum Überdenken
ihrer Weltbilder anregen. Er ist keineswegs trivial, sondern besticht durch seine
Möglichkeit, feststehende Umstände in Frage zu stellen. Dabei ist es nebensächlich, ob
89
Darauf aufbauend können in Bezug auf viele Science-Fiction-Filme weitere Themen
ausgearbeitet werden.
Christina Winkler
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Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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das Publikum an die Existenz von außerirdischem Leben glaubt oder nicht, da letzteres
im Film lediglich eine Metapher für alles darstellt, das fremd- und andersartig scheint.
Die Übermittlung von Gefühlen, Affekten und Emotionen durch ihre nachvollziehbare
Inszenierung – beispielsweise durch Methoden des Horrorfilms, der Komödie oder des
Fantasy-Films – spielt dabei eine große Rolle; sie kann den Effekt auf Rezipierende
durch das Nachempfinden verstärken, die Möglichkeit der Identifikation eröffnen. Die
Emotion ist somit ein Medium für die Botschaft des Films.
Dystopische Zukunftsimaginationen können ebenso wie realitätsnahe Vorstellungen in
Bezug auf technische, politische oder soziale Entwicklungen eine wegweisende, aber
auch mahnende Rolle einnehmen. Sie zeigen wohl, dass die Menschheit weniger Sorge
tragen sollte um fremde Bedrohungen als die Gefahr, die von ihr selbst ausgehen kann.
Christina Winkler
21
Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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5
Quellenverzeichnis
Antal, Nimród: Predators. USA: 20th Century Fox 2010.
Berman, Rick: Star Trek. Der erste Kontakt. USA: Paramount Pictures Corporation
1997.
Cameron, James: Aliens – Die Rückkehr. USA: 20th Century Fox Corporation 1986.
Emmerich, Roland: Independence Day. USA: 20th Century Fox Film Corporation 1996.
Lucas, George: Krieg der Sterne. (Originaltitel: Star Wars). USA: Lucasfilm Ltd. 1977.
McTiernan, John: Predator. USA: 20th Century Fox 1987.
Scott, Ridley: Alien. Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt. Director’s Cut.
USA: 20th Century Fox Film Corporation 1979.
Sonnenfeld, Barry: Men in Black. USA: Columbia Pictures Corporation 1997.
Spielberg, Steven: Der weiße Hai. USA: Universal Pictures 1975.
Spielberg, Steven: E.T. the Extra-Terrestrial. USA: Universal Studios 1982.
Wise, Robert: Star Trek. USA: Paramount Pictures Corporation 1979.
Christina Winkler
22
Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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6
Literaturverzeichnis
6.1
Monographien und Aufsätze
Blackmore, Tim: Is this Going to be Another Bug-Hunt. In: Journal of Popular Culture.
29/4 (1996), S. 211-226.
Constable, Catherine: Becoming the monster‘s mother: morphologies of identity in the
Alien series. In: Alien Zone II. The Spaces of Science Fiction Cinema. Hrsg. von
Annette Kuhn. London/New York 1999, S. 173-202.
Foucault, Michel: Dies ist keine Pfeife. In: Schriften zur Medientheorie. Hrsg. von
Bernhard J. Dotzler. Berlin 2013, S. 47-50.
Geraghty, Lincoln: American Science Fiction Film and Television. Oxford/New York
2009.
Koch, Markus: Alien-Invasionsfilme. Die Renaissance eines Science-Fiction-Motivs
nach dem Ende des Kalten Krieges. München 2001.
Nama, Adilifu: Black Space. Imagining Race in Science Fiction Film. Austin 2008.
Ruppersberg, Hugh: The Alien Messiah. In: Alien Zone. Cultural Theory and
Contemporary Science Fiction Cinema. Hrsg. von Annette Kuhn. London/New
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Im Universum der Gefühle
Außerirdische und irdische Emotionen in Science-Fiction-Filmen
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