PDF, 1,7 MB - Klinische und Gesundheitspsychologie
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Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Reise in die Welt der neurotischen und psychosomatischen Störungen und der schweren Persönlichkeitsstörungen • Der Horizont wird auf der einen Seite begrenzt durch den Bereich der psychischen Gesundheit/ Normalität … (vgl. Kernberg, 2006, S. 166) • … auf der anderen Seite durch den Bereich der Psychosen, einschließlich der Schizophrenien und schizophreniformen Störungen. 1 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Vorbemerkung: • Symptomatische Verhaltensweisen unterscheiden sich oftmals gar nicht so kategorial von unserem alltäglichen Verhalten, sondern nur graduell. 2 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Vorbemerkung: • Konsequenzen einer dimensionalen Betrachtungsweise: • Anregung zur Selbstreflexion • Gewisser Schutz vor Diskriminierung 3 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Akzentuierung der psychoanalytischen • Überblick: Neurosenlehre, aber auch Berücksichtigung von lerntheoretischen, mitunter auch systemischen ätiologischen Konzepten. 4 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Überblick: • Andere Modelle der Psychotherapie, wie z. B. die Gestalttherapie, die Gesprächspsychotherapie, das Psychodrama, haben bislang keine annähernd so differenzierten Konzepte zur Ätiologie psychischer Störungen vorlegen können. 5 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Überblick: • Die Verhaltenstherapie hat ursprünglich bekannte Veränderungsmechanismen, wie z. B. Konditionierungen oder Imitationslernen, als Ursachen für auffälliges Erleben und Verhalten angenommen. 6 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Überblick: • In der Verhaltenstherapie ist zunächst das frühere S-O-R-Schema erweitert worden um zwei weitere Aspekte: S-O-R-K-C, wobei (K) die Kontingenz, mit der nachfolgende, verstärkende oder bestrafende Konsequenzen (C) einem Verhalten (R) folgen, bezeichnet. 7 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Diese „Verhaltensgleichung“ forderte die • Überblick: Verhaltenstherapeuten auf, systematisch zwischen Entstehungs- und aufrechterhaltenden Bedingungen bei dem Problemverhalten zu unterscheiden. 8 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • „Die wichtigsten Weiterentwicklungen der Verhaltenstherapie • Überblick: resultieren aus dem Versuch, … auch Kognitionen als verhaltenssteuernde Variablen zu betrachten.“ (D. Schulte, 1999, S. 54) 9 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • D. Schulte (1999, S. 54) stellt fest: „Er (der praktisch tätige Therapeut) soll nicht • Überblick: erklären, sondern Veränderungen in Gang setzen – … Erklärung ist nur insoweit erforderlich und gerechtfertigt (!), als sie für die Therapieplanung und -durchführung hilfreich ist.“ • 1. Sitzung 10 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • In jüngster Zeit hat die moderne Verhaltenstherapie die ursprünglich linearen Verhal• Überblick: tensgleichungen dynamisiert, hat Rückkopplungsschleifen einbezogen und es ist eine prozeßorientierte Betrachtungsweise mit mehrfachen Interdependenzen an die Stelle der früheren linearen Verhaltensgleichungen getreten. • 1. Sitzung (vgl. Reinecker, 1999, S. 108 ff) 11 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Überblick: 12 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Freuds Entdeckung, daß • Definitionen: „normale wie pathologische Vorgänge denselben Regeln folgen“ (Freud, 1913a, GW VIII, S. 392) • Der Übergang von psychischer Gesundheit zu psychischer Krankheit ist fließend. 13 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Die Abgrenzung zwischen psychischer Gesundheit • Definitionen: und Krankheit kann prekär werden in Grenzbereichen. • Neben dem Symptomverhalten muss der situative Kontext, in dem dieses Verhalten auftritt, berücksichtigt werden. 14 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Neben dem situativen Kontext sind • Definitionen: selbstverständlich der spezifische kulturelle und evtl. subkulturelle Hintergrund und – darüber hinaus – der historischgesellschaftliche Kontext von eminenter Bedeutung. 15 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Da jede Bestimmung dessen, was in einer • Definitionen: Sozietät als psychische Störung gilt, auf – mehr oder weniger bewussten – gesellschaftlichen Wertungen beruht, kann es keine wertfreie, neutrale, theoriefreie Definition von 16 Neurose geben. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • „Neurosen sind mißlungene Verarbeitungs- und Lösungsversuche unbewußter, in ihrer • Definitionen: Genese infantiler Konflikte, die durch eine auslösende Situation reaktiviert wurden.“ • „Neurosen sind Lösungsversuche von unbewußten TriebimpulsAbwehr-Konflikten mit intraindividuell 17 unteroptimalem Ausgang.“ Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • „Neurotisches Verhalten ist • Definitionen: (a) erlernt und (b) fehlangepaßt. Die Ausbildung bedingter Reflexe ist an der Entstehung der überwiegenden Mehrheit neurotischer Erscheinungen beteiligt.“ 18 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung : • Abgrenzung zu den • Definitionen: somatischen und psychosomatischen Störungen: Es handelt sich bei Neurosen um psychische Störungen der Erlebnisverarbeitung bzw. einer erlernten Fehlanpassung, die keine nachweisbaren organisch-somatischen Ursachen haben. 19 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Im Unterschied zu den • Definitionen: Psychosen – dies wäre ein weiteres allgemeines Definitionsmerkmal – ist bei den neurotischen Störungen die Realitätsprüfung voll intakt und die neurotisch kranken Menschen verfügen in der Regel über eine erhebliche Einsichtsfähigkeit. 20 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • „Neurosen sind überwiegend psychogen und nur zu einem • Definitionen: geringeren Teil somatogen bedingt. • Die pathologische • ÜbereinstimAbweichung von der Norm mende läßt sich eher als quantitative, Elemente in denn als qualitative der beschreiben. Neurosendefinition 21 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • In der Regel ist die soziale Einordnung erhalten und der • Definitionen: Verlauf nicht so destruierend wie bei den Psychosen. • Die gegenwärtigen Störungen • Übereinstimstehen mit dem gestörten mende Entwicklungs- und Elemente in Lernprozessen der der Lebensgeschichte in einem Neurosenkausalen Zusammenhang.“ definition 22 H.H. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • • Modelle zur Pathogenese • von neurotischer Symptomatik: • Das Modell des aktualisierten Entwicklungskonflikts Auslösende Situation (Freud: „Versuchungs- und Versagungssituation“) ⇒ aktueller Konflikt ⇒ Angst (oder andere unlustvolle Affekte) ⇒ Regression ⇒ Reaktualisierung von infantilen Konflikten ⇒ Verstärkung der Konfliktspannung (Angst) ⇒ Abwehr ⇒ Misslingen der Verdrängung ⇒ Kompromissbildung zwischen den einzelnen 23 Konfliktanteilen ⇒ Symptombildung Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Das Symptom stellt einerseits • Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: • Das Modell des aktualisierten Entwicklungskonflikts eine in jeder Hinsicht unzureichende Lösung dar, andererseits „die jeweils beste Organisationsform eines psychischen Konfliktes“, „die dem Kranken zu einem bestimmten Zeitpunkt unter seinen gegebenen inneren und äußeren Bedingungen möglich ist“. 24 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: • Das TraumaModell • Als Entwicklungstrauma bezeichnen wir eine schwere und massiv belastende, in der Regel soziale Einwirkung. In der Praxis handelt es sich meist um realen sexuellen Missbrauch (…) oder um aggressive Misshandlung (oder Vernachlässigung). Gesamtpopulation einer psychosomatischen Klinik (n=407): 10% sexueller Missbrauch, 25% aggressive Misshandlung; fast alle Betroffenen hätten zusätzlich eine gestörte emotionale Beziehung zu25 beiden Eltern beschrieben. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • • Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: • • Das TraumaModell • Worin liegt die eigentlich pathogene Wirkung solcher traumatischer Ereignisse? 1. „sich wiederholendes Ausgeliefertsein an einen Zustand gewaltsam erzwungener Ohnmacht, in dem es keine Hoffnung auf Entrinnen oder auf nicht stattfindende Wiederholung gibt.“ 2. „die traumatisierende Bedeutung der verführerischen Überstimulierung („overstimulation“, Shengold). Diese führt durch die nicht kontrollierbare, überflutende Sexualisierung im Kind zu einem massiven Erlebnis von 26 Überwältigung, …“. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • • Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: • • Das TraumaModell • Worin liegt die eigentlich pathogene Wirkung solcher traumatischer Ereignisse? 3. „regelhafte Kombination mehrerer belastender Bedingungen“, wodurch die Chancen für gleichzeitige kompensierende (protektive) Faktoren, welche die Erlebnisverarbeitung verbessern könnten, sinken. 4. Zusätzlich kann sich „das Zusammenwirken von kindlichen Phantasien und deren Realisierung durch grenzenverletzende Handlungen anderer“ pathogen auswirken. 27 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • • Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: • • Das TraumaModell • Worin liegt die eigentlich pathogene Wirkung solcher traumatischer Ereignisse? 5. „anhaltende Schuldgefühle, die dem Opfer des Traumas im Erwachsenenalter Verursachung oder Mitverursachung seines Schicksals vorwerfen (Identifizierung mit dem Aggressor)“ 6. „die Verwirrung des Wirklichkeitssinnes (Ist das wirklich passiert oder habe ich es mir nur eingebildet, wie die anderen sagen?)“ (aus: Hoffmann, Hochapfel, 2004, S. 64-67) 28 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: • Das Modell der verfehlten Lernvorgänge • Hoffman u. Hochapfel betonen, „dass die Gesetzmäßigkeiten des Lernens sich besonders zur Beschreibung der Erhaltung von Symptomen eignen. ... Was oben als sekundärer Krankheitsgewinn beschrieben wurde, wird ausgezeichnet mit dem Prinzip der sozialen Verstärkung erfasst (social reinforcement). ... Man wird die Chronifizierung mancher Neurosen auf diese Weise zufriedenstellend“ erklären können. (S. 68) (aus: Hoffmann, Hochapfel, 2004, S. 64-67) 29 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 1. Sitzung • • Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: • • Das Modell der verfehlten • Lernvorgänge Nicht selten kommt es also dazu, „dass ein Symptom sich im Laufe der Zeit gegenüber den ursprünglich hervorbringenden Konfliktbedingungen verselbständigt, sich von ihnen gleichsam abkoppelt. ... Zur Konfliktgeschichte tritt eine Lerngeschichte hinzu.“ Kurzformel: Lerngeschichte ⇒ verfehlte Lernvorgänge ⇒ Symptom ( ⇒ symptomerhaltende Lernvorgänge ⇒ Symptomchronifizierung) 30 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Freud stellte 1923 fest: „Wir erkennen, daß das • Neuere theoretische Ubw nicht mit dem Verdrängten zusammen Erwägungen zum fällt; es bleibt wichtig, Begriff des daß alles Verdrängte Unbeubw ist, aber nicht alles wussten Ubw ist verdrängt.“ 31 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Das Unbewusste aus der Sicht der Objektbeziehungstheorien: • • Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten „Aus den verdrängten Triebwünschen, die in Freuds (1923) Strukturtheorie im Es lokalisiert wurden, werden bei Kernberg Objektbeziehungsrepräsentanzen, die mit Affekten einhergehen. Der unbewusste innerpsychische Konflikt geschieht jetzt nicht mehr zwischen Triebimpulsen und Abwehrmaßnahmen, sondern zwischen Beziehungserfahrungen (…).“ (Mertens, 2008, S. 124) 32 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Das Unbewusste aus der Sicht der Objektbeziehungstheorien: • • Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten „Triebwünsche werden von Kernberg als affektive Motivationen betrachtet; die in den Beziehungserfahrungen gespeicherten affektiven Erinnerungen (z.B. das Erleben von Lust, Wohlgefühl, Vitalisierung, Neugier im Fall von befriedigenden Objektbeziehungen) sind die treibende Kraft, nach ähnlichen Erfahrungen in der Gegenwart zu suchen. Triebe manifestieren sich somit als libidinöse oder aggressive Affekte.“ (Mertens, 2008, S. 124) 33 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Das Unbewusste aus der Sicht der Objektbeziehungstheorien: • • Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten „Das Unbewusste wird aus all den Objektbeziehungserfahrungen gebildet, welche nicht bewusst werden durften, weil die elterlichen Reaktionen auf diese Erfahrungen zu starke Unlust und Angst erzeugt haben. … Im Unbewussten sind auf jeden Fall diese Selbst-ObjektBeziehungsrepräsentanzen gespeichert und die unbefriedigenden traumatischen Erfahrungen üben einen dynamischen Einfluss auf die Wahrnehmung und Gestaltung gegenwärtiger Beziehungen 34 aus.“ (Mertens, 2008, S. 124) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere • theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten gangenheitsunbewusstem und Gegenwartsunbewusstem (1): „Während das VergangenheitsUnbewusste durch eine tiefe, bereits in der Kindheit grundgelegte Verdrängungsschranke vom Bewusstsein abgetrennt ist, verhindern Scham- und Schuldgefühle, die in der Hier-und-JetztInteraktion mit dem Analytiker entstehen, das Bewusstwerden von Inhalten des Gegenwarts-Unbewussten, das eher aus Phantasien des Adoleszenten und des Erwachsenen gebildet wird.“ 35 (Mertens, 2008, S. 125) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere • theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten gangenheitsunbewusstem und Gegenwartsunbewusstem (2): Nach Sandler und Sandler (1984) besteht das Vergangenheits-Unbewusste „zum größten Teil aus nichtdeklarativen, impliziten Wissens- und Fühlelementen, die so etwas wie eine nichtbewusste Schablone für alle späteren Gedächtnisinhalte bilden (…). (Mertens, 2008, S. 125) 36 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere • theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten gangenheits-Unbewusstem und Gegenwarts-Unbewusstem (3): Das Gegenwarts-Unbewusste, das überwiegend von deklarativen autobiographischen Gedächtniselementen gebildet wird, konstituiert sich im Hier und Jetzt einer Interaktion und Kommunikation immer wieder aufs Neue, wobei es aber einen Teil seiner Sozialisierung aus dem VergangenheitsUnbewussten erfährt. (Mertens, 2008, S. 125) 37 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere theoretische • Erwägungen zum Begriff des Unbewussten gangenheits-Unbewusstem und Gegenwarts-Unbewusstem (4): „Verdrängte Wünsche und Phantasien eines erwachsenen Menschen werden also nicht im Vergangenheits-Unbewussten in unveränderter Form aufbewahrt (…), sondern entstehen im Gegenwarts-Unbewussten, sind aber dennoch in ihren intrapsychischen und interaktionellen Eigentümlichkeiten von den im Vergangenheits-Unbewussten grundgelegten Erfahrungsmustern abhängig. Unbewusste konflikthafte Phantasien, …“ (Mertens, 2008, S. 125) 38 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere • theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten gangenheits-Unbewusstem und Gegenwarts-Unbewusstem (5): „Unbewusste konflikthafte Phantasien, die von Klinikern erschlossen und rekonstruiert werden, sind demnach im Gegenwarts-Unbewussten anzunehmen. Diese unbewussten Phantasien des Gegenwarts-Unbewussten sind mit den unbewussten subjektiven Repräsentationen der gegenwärtigen Personen – in der analytischen Situation mit der Person des Analytikers – eng verbunden und funktionieren auf einem höheren Level unbewusst kognitiv-emotionaler Abläufe und in einem anderen Gedächtnissystem als das Vergangenheits-Unbewusste. Dieses kann allerdings mehr oder weniger stark das Gegenwarts-Unbewusste 39 steuern.“ (Mertens, 2008, S. 125) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die Unterscheidung von Ver• Neuere • theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten gangenheits-Unbewusstem und Gegenwarts-Unbewusstem (6): „Der ganze Bereich der Abwehrmechanismen findet ebenfalls im Gegenwarts-Unbewussten seinen Einsatz, sowie alle Arten kompensatorischer und adaptiver Mechanismen und daraus resultierender Kompromissbildungen. Deren Ziel besteht in der Aufrechterhaltung eines inneren Gleichgewichts, von Gefühlen der Sicherheit und der Integrität des Selbst.“ (Mertens, 2008, S. 125) 40 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Mertens: Merkmale unbewusster Prozesse in verschiedenen psychoanalytischen Denkrichtungen • Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten 41 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Mertens: Bewusste und unbewusste Vorgänge aus der Sicht verschiedener methodischer und konzeptueller Zugänge • Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewussten 42 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Exkurs: • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose 43 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Exkurs: • • Ein erstes einheitliches Klassifikationsschema in Wien 1889 erstellt Internationale • Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose „Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges blieben fast alle nationalen wie internationalen Versuche, zu einer einheitlichen Klassifikation psychischer Störungen zu gelangen, weitgehend erfolglos.“ 44 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Bis zum Vorliegen der 9. Fassung des ICD wurde • Exkurs: massive Kritik geäußert • Internationale an den jeweiligen Bemühungen um eine Vereinheitvorausgehenden lichung der Systematisierungspsychiatrischen Klassifikation und versuchen der Kampf um den Begriff der • Kritikpunkte waren: Neurose 45 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Exkurs: • • • • Internationale Bemühungen um • eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und • der Kampf um den Begriff der Neurose die antipsychiatrische Position von Szasz (1960) die geringe Zuverlässigkeit psychiatrischer Diagnosen die soziale Stigmatisierungswirkung von psychiatrischen Diagnosen die kategoriale Klassifikation, stattdessen Plädoyer für eine typologische und dimensionale Systematik ein Ethnozentrismus: einseitig würden die amerikanischen und westeuropäischen kulturellen Standards dominieren 46 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Exkurs: • • • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der • psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Das bis zum Jahr 1999 noch offiziell gültige ICD 9 hat sich als internationales Klassifikations-system schon beachtlich durch-setzen können. In den Formulierungen fand vor allem der Einfluss biologisch und psychoanalytisch orientierter Psychiater seinen Niederschlag. Das ICD 9 blieb noch dem medizinischen Krankheitsmodell verpflichtet (Ätiologie, Pathogenese, Symptom, Diagnose, Prognose, Therapie). 47 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Exkurs: • • Neue Klassifikationssysteme: • Internationale Bemühungen um • eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Das DSM IV: Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders (2000) (American Psychiatric Association, APA). Das ICD 10, Kapitel V, (F): Internationale Klassifikation psychischer Störungen (International Classification of Diseases, Chapter V (F): Mental and behavioural Disorders) (Dilling et al., 1991, 1993). 48 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Exkurs: • • • Internationale Bemühungen um eine Vereinheit• lichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Das DSM IV: Seit 2003 liegt das DSM IV in der Fassung als Textrevision (TR), die von Saß, Wittchen, Zaudig und Houben besorgt wurde, vor. Fast alle Störungen, die in den Katalog der ICD 10 aufgenommen worden sind, sind auch im DSM IV - TR aufgeführt. Für die DSM IV besitzen forschungsorientierte Gesichtspunkte stärkeres Gewicht, was sich u. a. darin ausdrückt, dass die beschreibenden Texte in der ICD 10 „kürzer und weniger kategorisch sind“. An die Stelle von Formulierungen in der ICD 10 wie … normalerweise … oder: … sollten vorhanden sein … treten in dem DSM IV: … müssen … oder … sind 49 erforderlich … Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Beide Systeme – das DSM IV • Exkurs: • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose und das aktuell gültige ICD 10 – „vermeintlich atheoretische Klassifikationen psychischer Störungen“ (Kernberg) – möchten sich an rein phänomenologischen Kriterien orientieren, frei von ätiopathogenetischen Implikationen. 50 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • • Exkurs: • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose • Es gibt weltweit eine Tendenz, die „Neurose“ nicht mehr als eine quasi nosologische Entität zu behandeln, sondern in verschiedene Verhaltensdimensionen aufzulösen. Ein solches Vorgehen ist weder theoretisch noch therapeutisch neutral, es hat zahlreiche Konsequenzen, sowohl positive wie negative. 51 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • • Exkurs: • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose • Die präzisere Beschreibung der psychischen Störungen hat die Diagnostik verlässlicher gemacht und zu bedeutenden Fortschritten in der Forschung beigetragen. Die Akzentuierung des Deskriptiven bringt die Gefahr mit sich, die Frage zu vernachlässigen, worunter der Patient wirklich leidet bzw. welche psychischen Probleme evtl. hinter der vom Patienten geklagten Symptomatik 52 noch stehen könnten. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Exkurs: • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose • Es ist den Herausgebern der deutschen Textrevision des DSM IV allerdings zugute zu halten, dass sie selbstkritisch die „Konzentration auf einen deskriptiven, verhaltensorientierten Ansatz“ problematisieren, „der weitgehend stark interpretationsbedürftige und theoriebezogene Begrifflichkeiten in der Definition von Zeichen und Symptomen vermeidet“ (DSM IV – TR, S. XXI). Es sei zwar davon auszugehen, dass bei diesem Vorgehen „zunächst die klinische Beurteilerreliabilität“ sich erhöhe, doch gehe damit auch einher die Gefahr einer Hypostasierung von beobachtbare Zeichen und der Unterschätzung des Empfindens 53 der zu beurteilenden Person. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • • Exkurs: • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der • Neurose Unklar und ungeregelt bleibe, „wie der Kliniker zu seiner Beurteilung kommt. Welches Gewicht gibt er der subjektiv-verbalen Ebene (d.h. subjektiven Erlebnissymptomen)? Welche dieser Erlebnissymptome übernimmt er direkt, welche filtert er aufgrund bestimmter Kriterien? Diese Fragen betreffen direkt Validitätsaspekte sowohl hinsichtlich einzelner Symptome wie auch der Ableitung einer Diagnose vor allem bei Störungen, deren Symptomatik wesentlich im subjektiven Bereich bleibt. Im übrigen bringt in vielen Fällen die zusätzliche Forschung mit verhaltensorientierten desriptiven Kriterien kaum noch Erkenntnis54 gewinn, …“. (a.a.O., S. XXI) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • • • Exkurs: • Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose • • • • Das multiaxiale System des DSM IV Achse I enthält Klinische Störungen, Entwicklungsstörungen und andere klinisch relevante Probleme. Achse II soll Geistige Behinderungen und Persönlichkeitsstörungen abbilden. Auf Achse III werden medizinische Krankheiten aus anderen Kapiteln der ICD-10 codiert. Auf Achse IV werden psychosoziale und Umgebungsprobleme berücksichtigt. Auf Achse V soll eine Gesamtbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus auf einer GAF-Skala, die jetzt bis 100 reicht, 55 vorgenommen werden. (a.a.O., S. XIII) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik • Allgemeine • Psychogene Störungen mit Einteilung (vorwiegend) psychischer nach Symptomatik Hoffmann/ • Charakterneurosen und Hochapfel Persönlichkeitsstörungen (2004): • Konfliktreaktionen 56 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Allgemeine Einteilung: • • • Psychogene Störungen • mit körperlicher Symptomatik • Es werden 3 Untergruppen unterschieden: Psychosomatischer Erkrankungen im engeren Sinne (G. Engel: Psychosomatosen; heute genannt: „Organkrankheiten mit psychosozialer Komponente“) Funktionelle Störungen (heute genannt: „somatoforme autonome Funktionsstörungen) und Konversionsstörungen/dissoziative Störungen der Bewegung und der 57 Sinnesempfindungen. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Allgemeine Einteilung: • Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik • Die Psychosomatosen werden von Uexküll definiert als Folgezustände langandauernder vegetativer Spannungen. In der Folge ständiger „Alsob-Reaktionen“ (Furcht, Aggression) – Uexküll redet deshalb treffend von „Bereitstellungserkrankungen“ – kommt es zu organpathologischen bzw. – destruktiven Veränderungen. 58 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die so genannten „holy seven“: • Allgemeine Einteilung: • • • • • • Psychogene Störungen mit körperlicher • Symptomatik • • Die Psychosomatosen Asthma bronchiale, Ulcus pepticum ventriculi et duodeni, Colitis ulcerosa, essentielle Hypertonie, rheumatoide Arthritis (primär chronische Polyarthritis), das atopische Exzem (Neurodermitis) und die Hyperthyreose. 59 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • • Allgemeine Einteilung: • Psychogene • Störungen • mit körperlicher Symptomatik • Die Psychosomatosen Nach Auffassung von Hoffmann und Hochapfel (2004) müssten den „holy seven“ weitere Erkrankungen an die Seite gestellt werden, die ähnliche seelisch-körperliche Wechselwirkungen aufweisen, z. B.: Die koronaren Herzerkrankungen Chronische Entzündungskrankheiten, wie – die Multiple Sklerose, – Morbus Crohn und – abakterielle Prostatitis 60 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Die funktionellen Störungen betreffen: • Allgemeine Einteilung: • • • Psychogene Störungen mit • körperlicher Symptomatik • • Die funktionellen Störungen das Herz-Kreislaufsystem (z. B. Tachykardie) das Atmungssystem (z. B. Hyperventilation), den Magen-Darm-Trakt (z. B. Obstipation), die Harn- und Geschlechtsorgane (z. B. die sog. sexuellen Funktionsstörungen) 61 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 2. Sitzung • Konversionsneurosen bringen • Allgemeine Einteilung: • Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik • Die Konversionsneurosen neurotische Konflikte auf somatischer Ebene zum Ausdruck. • Die Symptome beziehen sich dabei vor allem auf sensorische oder motorische Störungen (psychogene Blindheit oder Taubheit, Lähmungen, Missempfindungen, Schmerzen), die einen direkt symbolischen Ausdrucksgehalt haben, also sekundäre Somatisierungen sind. 62 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • Die Psychoneurosen • • Allgemeine • Einteilung: • • Psychogene • • Störungen • mit vorwiegend psychischer Symptomatik Die Hysterie Die Phobien Die Zwangsneurosen Die neurotische Depression Die Angstneurose Das Depersonalisations- und Derealisationssyndrom 63 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • Die „ich-strukturellen Störungen“ (Fürstenau) • Allgemeine (unscharfe Kategorie) Einteilung: • Süchte • Psychogene • Perversionen Störungen • Delinquenz mit • Schwere Persönlichkeitsstörungen vorwiegend psychischer Symptomatik 64 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • Die Persönlichkeits• Allgemeine Einteilung: störungen einschl. der Charakterneurosen • • Psychogene • Störungen • mit vorwiegend • psychischer • Symptomatik Frühere nosologische Beschreibungen betrafen: Den hysterischen Charakter Den zwanghaften Charakter Den depressiven Charakter Den schizoiden Charakter 65 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • Die Persönlichkeits• Allgemeine Einteilung: störungen einschl. der Charakterneurosen • • Psychogene Störungen • mit vorwiegend • psychischer Symptomatik • Heute ist die Kategorie der Charakterneurosen weitgehend ersetzt durch die der Persönlichkeitsstörungen, z. B: Die histrionische Persönlichkeitsstörung Die anankastische Persönlichkeitsstörung Die depressiv-masochistische Persönlichkeitsstörung 66 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • Die Persönlichkeits• Allgemeine Einteilung: störungen einschl. der Charakterneurosen • • Psychogene Störungen • mit vorwiegend • psychischer • Symptomatik Darüber hinaus gehört hierzu das große Gebiet der sog. schweren Persönlichkeitsstörungen, die u. a. die narzißtische Persönlichkeitsstörung, die Borderline-Störung, die schizoide Persönlichkeitsstörung umfasst. 67 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • • Allgemeine Einteilung: • • Konfliktreaktionen Es handelt sich um erlebnisreaktive Störungen mit psychischer und körperlicher Symptomatik. Zu den Symptomen der „posttraumatischen Belastungsstörung“ gehören das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen („flashbacks“ bzw. Nachhallerinnerungen), Albträume, emotionale Stumpfheit, vegetative Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung usw. 68 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • Die Art der jeweiligen • Allgemeine Einteilung: • Konfliktreaktionen Reaktion auf die Traumatisierung kann zwar durch eine neurotische Struktur mit beeinflusst werden, diese ist jedoch weder nötig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. 69 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • In leichten Fällen kann die • Allgemeine Einteilung: • Konfliktreaktionen differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber der normalen Trauerreaktion schwierig sein, in schweren Fällen ist die Unterscheidung von der Neurose und der Persönlichkeitsstörung nicht einfach. 70 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • Nach psychoanalytischer • Vom Sinn der Symptome Auffassung verweist das Symptom auf den gesamten Lebenszusammenhang, Krankheits- und Lebensgeschichte sind nicht isoliert voneinander, sondern nur in ihrer wechselseitigen Verschränkung zu verstehen. 71 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 3. Sitzung • • Vom Sinn der Symptome • Die Neurose ist demnach ein misslingender Versuch der Bewältigung bestimmter, nämlich phasen- bzw. entwicklungsspezifischer Konflikte. Die neurotische Störung eines Menschen sagt etwas aus über die Gesamtentwicklung eines Menschen, in jedes Symptom ist gewissermaßen eine ganze, hochkomplexe Beziehungs-, Geschlechts- und Triebgeschichte 72 eingelassen. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • A) In seiner ersten Arbeit über • Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts die Hysterie lehnte sich Freud noch stark an die Heriditätsauffassung von Charcot an und wies Traumen, Kummer, Gemütsbewegungen nur den Rang von „Gelegenheitsursachen“ zu, durch die eine bisher unbemerkte psychische Disposition geweckt werden könnte. 73 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • B) In Freuds weiteren Arbeiten • Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts aus den Jahren 1892 / 93 und 1895 (Studien über Hysterie) tritt die Bedeutung krankhafter Erbfaktoren zurück gegenüber der Präponderanz von psychischen Belastungen für „die Erwerbung von Neuropathien“. 74 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • C) Breuers Konzept der • Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Hypnoid-Hysterie: Die hypnoiden Zustände der Anna O. hätten den „Boden geschaffen“, auf dem sich die traumatischen Erfahrungen, „der Angst- und Erwartungsaffect sich festsetzte“. (Studien über Hysterie, S. 33) 75 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • C) Breuers Erklärungsmodell • Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts der Hypnoidhysterie bedeutete, dass der Entstehung dieser Art von Störungen ein hypnoseähnlicher Zustand zugrunde liegt. Ein solcher Gemütszustand ist sozusagen der Boden, auf den bestimmte traumatische Erfahrungen fallen. 76 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der Abwehr• Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts hysterie: Nicht der hypnoide Zustand verursache die Dissoziation von Erinnerungen an ein traumatisches Ereignis, sondern „weil es sich um Dinge handelte, die der Kranke vergessen wollte, die er darum absichtlich aus seinem bewussten Denken verdrängte, hemmte und unterdrückte.“ 77 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der • Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Abwehrhysterie: In zunehmender Abgrenzung zu Breuer entwickelte Freud eine mehr und mehr psychologische Theorie, eine Verdrängungsund Abwehrtheorie der Hysterie und später der Neurose überhaupt. 78 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der • Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Abwehrhysterie: Die Konzepte der „peinlichen Kontrastvorstellung“ und des „Gegenwillens“, mit denen Freud auch in Fällen aus den „Studien über Hysterie“ (Emmy v. N. und Elisabeth v. R.) gearbeitet hat, gelten als Vorstufe der späteren Verdrängungstheorie. 79 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • D) Freuds Konzept der • Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts • Abwehrhysterie: Denn der ätiologische Grundgedanke ist der einer Verdrängung unliebsamer und konflikthaft erlebter Vorstellungen. Hier sind die Grundlagen für die Konzeptionalisierung des unbewussten Konflikts, wenn nicht für das Unbewusste überhaupt gelegt worden. 80 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • E) Die Verführungstheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Von 1895 – 1897 vertretene Annahme, dass der Hysterie, aber wohl nicht nur den Hysterien, eine kindliche sexuelle Verführungssituation zugrunde liege. Traumatisch wirke jedoch nicht die frühkindliche Erfahrung als solche, sondern ihr Wiederaufleben als unbewusste Erinnerung, nachdem der Betroffene die sexuelle Reife erlangt habe. 81 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • E) Die Verführungstheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neurose• verständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Die spezifische Ursache der Hysterie sei daher die aktuell wirksame, aber unbewusste Vorstellung passiv erlebter Verführung. Die „Verführungstheorie“ bedeutete gegenüber den damals geläufigen Hysterie-Dispositions-Konzepten einen wesentlichen Fortschritt, weil sie die Symptomentstehung kausal erklärt. 82 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • E) Die Verführungstheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Aufgrund der „Einsicht, dass es im Unbewussten ein Realitätszeichen nicht gibt, so dass man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann“, spricht Freud seit 1897 der Phantasie neben der realen Verführung eine wichtige Rolle in der Neuroseentstehung zu. 83 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • E) Die Verführungstheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Sie besagt im wesentlichen, dass die passive sexuelle Verführung eines unschuldigen Kindes in der Kindheit als „unbewusste Erinnerung“ im Seelenleben zurückbleibt. Werde diese Erinnerung nach Eintreten der sexuellen Reife wiederbelebt, so gelange sie zu traumatischer Wirksamkeit und werde zur spezifischen Ursache der Hysterie. 84 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • E) Die Verführungstheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Traumatisch wirke also nicht die frühkindliche Erfahrung als solche, sondern ihr Wiederaufleben als unbewusste Erinnerung, nachdem der Betroffene die sexuelle Reife erlangt habe. 85 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • E) Die Verführungstheorie: • Theorie• geschichtlich e Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Besonders der letzte Punkt ist von entscheidender Bedeutung für die gesamte Neurosen- und Abwehrlehre der Psychoanalyse und wird mit dem Begriff der Nachträglichkeit umschrieben. 86 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • E) Die Verführungstheorie: Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Freud hat die „Verführungstheorie“ niemals endgültig aufgegeben. • Was sich jedoch herausstellte, war, dass sie in ihrer Von der ursprünglichen Breite und Hereditätsauffassung zur Absolutheit sowie UniversaGrundannahme lität nicht mehr zu halten war. des psychischen Konflikts 87 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • E) Die Verführungstheorie: • Theorie• geschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Zusammenfassung: Freud erkannte etwa seit 1897 die Phantasie als weiteren Faktor in der Hysterieentstehung und begann an der von seinen Patienten erzählten und an den von ihm geschlussfolgerten Verführungsszenen zu zweifeln. (vgl. Brief an Fliess v. 21.9.1897). 88 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • F) Die Konflikttheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Mit der Berücksichtigung der Phantasie in der Neurosenätiologie war ein entscheidender Schritt zu einer Weiterentwicklung sowohl der Behandlungstechnik als auch der Konzeption des Triebes und der (infantilen) psychosexuellen Entwicklung getan. 89 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • F) Die Konflikttheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Nur mit der Relativierung der Verführungsannahme konnten Konzepte wie das der „unbewussten Phantasien“, von „Trauma und Konflikt“ und der „psychischen Realität“ sowie schließlich das der frühkindlichen Sexualität in den Mittelpunkt rücken. 90 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • F) Die Konflikttheorie: Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds • Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Psychoanalyse ist immer eine Konfliktpsychologie. Die neurotischen Symptome verweisen auf verinnerlichte Konflikte (die nicht mit äußeren Konflikten zu verwechseln sind) und stellen einen Kompromiss dar zwischen den daran beteiligten gegensätzlichen seelischen Kräften: Impuls bzw. Trieb und 91 Abwehr. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • F) Die Konflikttheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Dieses etwas simpel anmutende quasi-„hydraulische“ Pathogenesemodell wird später von Freud differenziert. Dabei wird die Angst als wichtiger Zwischenschritt eingeführt: Jeder Triebabkömmling, der dem Ich gefährlich wird, erzeugt Angst. 92 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • F) Die Konflikttheorie: • Theorie• geschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis • Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Um diese Angst zu beseitigen oder zu verringern, werden vom Subjekt Anstrengungen unternommen, diese Abkömmlinge des Triebes abzuwehren. Durch den Kompromiss zwischen Impuls und Abwehr wird die Angst reduziert bzw. im Symptom gebunden. 93 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neurose• verständnis Instanzentheorie die Unterscheidung zwischen Es, Psychoanaly• Ich und tische Auffassungen • Über-Ich zur Ätiologie von Ö Neurosen 94 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Instanzentheorie Das ES - dieses Konstrukt meint alles, was die Triebe psychisch repräsentiert. Freud, 1933a, S. 80: „Wir stellen uns vor, es sei am Ende gegen das Somatische offen, nehme die Triebbedürfnisse in sich auf, die in ihm ihren psychischen Ausdruck finden, wir können aber nicht sagen, in welchem Substrat.“ Auch das dynamisch Unbewusste wird dem 95 ES zugerechnet. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Instanzentheorie Das ÜBERICH - verdankt sich der Verinnerlichung von versagenden bzw. verbietenden Beziehungsepisoden und bildet sich aus deren psychischen Repräsentanzen heraus. Es ist die gebietende, verbietende, billigende oder missbilligende Instanz. 96 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Instanzentheorie Das ICHIDEAL - wird als eine Substruktur des ÜBERICH verstanden. Es gibt auch für das Überich die angestrebten Ideale vor und an ihm orientiert und misst sich auch das ICH. Die Inhalte des Ichideals werden in hohem Maße durch die vom Kind aufgenommenen Ideale der Großeltern und Eltern geprägt, die das Kind per Identifikation 97 übernimmt. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Instanzentheorie Das ICH - gilt als die Steuerungszentrale im psychischen System. Es umfasst „alle organisierenden, integrativen und synthetischen Funktionen der menschlichen Psyche“ (MüllerPozzi). 98 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung • von Freuds Neurose• verständnis Psychoanaly• tische • Auffassungen zur Ätiologie von • Neurosen • Instanzentheorie Nach Freud, 1940a, S. 68, hat das ICH die Verfügung über die willkürlichen Bewegungen; die Aufgabe der Selbstbehauptung, die es erfüllt, indem es nach außen die Reize kennen lernt, Erfahrungen über sie aufspeichert (im Gedächtnis), überstarke Reize vermeidet (durch Flucht). mäßigen Reizen begegnet (durch 99 Anpassung) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neurose• verständnis • Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen • Instanzentheorie Nach Freud (1940a) hat das ICH die Aufgabe der Selbstbehauptung, die es erfüllt, indem es lernt, die Außenwelt in zweckmäßiger Weise zu seinem Vorteil zu verändern (Aktivität); gegenüber dem Es entscheidet, ob bestimmte Triebbedürfnisse zur Befriedigung zugelassen werden oder nicht (Ich als Cerberus oder als Schaltzentrale); oder ob es die Befriedigung auf die in der Außenwelt günstigeren Zeiten und 100 Umstände verschiebt Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds • Neuroseverständnis • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Instanzentheorie … oder ihre Erregung überhaupt unterdrückt, abhängig von der in ihm vorhandenen oder induzierten Reizspannung (Affektlage), die es ständig zu beachten hat. „Das Ich strebt nach Lust, will der Unlust ausweichen.“ „Eine erwartete, vorausgesehene Unluststeigerung wird mit einem Angstsignal beantwortet, ihr Anlass, ob er von außen oder von innen droht, heißt Gefahr.“ (S. 68) 101 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds • Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Instanzentheorie Jegliche Abwehrtätigkeit geht vom Ich aus. Das Ich kann durch Amalgamierung von libidinösen mit aggressiven Strebungen für eine Neutralisierung von Triebimpulsen sorgen. 102 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen • G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie • Das dynamisch Unbewußte: Irgendwelche Reize, auf die das Ich mit einer (reiferen) Abwehrtätigkeit, die der Gruppe der Verdrängung zuzurechnen ist, reagiert, werden in den Bereich des dynamisch Unbewussten verbannt und sind damit auch nicht mehr ohne weiteres dem 103 Bewusstsein zugänglich. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • G) Die sog. Struktur- bzw. Theoriegeschichtliche • Entwicklung von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische • Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Instanzentheorie Neurotische Symptome entstehen dadurch, dass das Ich eine im Es mächtige Triebregung nicht aufnehmen und nicht zur motorischen Erledigung befördern will oder ihr das Objekt bestreitet, auf das sie zielt. Im Dienste des Über-Ich und der Realität ist das Ich in einen Konflikt mit dem Es geraten. Dies sei der Sachverhalt bei allen Übertragungsneurosen. 104 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche • Entwicklung • von Freuds • Neuroseverständnis Neurosen Freud unterscheidet zwischen den Aktualneurosen und den Psychoneurosen Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen 105 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Aktualneurosen Der Ursprung der Aktualneurosen ist nach Freud nicht in den infantilen Konflikten zu suchen, sondern in der Gegenwart. Die Symptome sind hier nicht symbolischer Ausdruck und überdeterminiert, sondern resultieren direkt aus einer fehlenden (Neurasthenie) oder inadäquaten sexuellen Befriedigung. 106 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Aktualneurosen Zu den Aktualneurosen hat Freud zunächst die Angstneurose und die Neurasthenie gezählt und später vorgeschlagen, die Hypochondrie ebenfalls dort einzuordnen. 107 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Innerhalb dieser Gruppe werden a) die Übertragungsneurosen und b) die narzißtischen Neurosen unterschieden. Gemeinsam ist beiden, dass ihnen ein unbewusster psychischer Konflikt zugrunde liegt. 108 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Zu den Übertragungsneurosen zählen die „Angsthysterie“ (Phobie), die Hysterie und die Zwangsneurosen. Bei diesen Störungen ist die Übertragungsfähigkeit in der analytischen Behandlungssituation gegeben. 109 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds • Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Die ÜBERTRAGUNGSNEUROSEN Heute würden wir sagen, dass es sich um „reife Neurosen“ handelt, bei denen von einem gut integrierten Ich mit vorwiegend ungelösten ödipal-libidinösen Konflikten auszugehen ist. 110 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds • Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Die narzißtischen Neurosen - ein Begriff, der aktuell kaum noch verwendet wird – stehen in der Gruppe der Psychoneurosen den Übertragungsneurosen gegenüber. 111 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds • Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Diese Gegenüberstellung hat theoretische und behandlungstechnische Gründe. 112 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds • Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Freud ging davon aus, dass bei den narzißtischen Neurosen die Libido von den Objekten (fast) vollständig abgezogen und auf das Ich (das Selbst) zurückgezogen werde. 113 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds • Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Infolgedessen seien Patienten mit narzißtischen Neurosen nicht in der Lage, die libidinösen Übertragungen zu entwickeln, die sonst gerade den Hauptgegenstand der Analyse bilden würden. 114 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • I) Freuds Klassifikation der Theoriegeschichtliche Entwicklung • von Freuds • Neuroseverständnis Psychoanalytische • Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Zunächst hat Freud den narzißtischen Neurosen die Psychosen und die schweren Melancholien zugeordnet. In einer späteren Arbeit („Neurose und Psychose“) hat er nur noch die Affektionen vom melancholischen Typ unter diese Kategorie subsummiert. 115 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen aus • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen ich-psychologischer Sicht: In der psychoanalytischen IchPsychologie werden die neurotischen Konflikte als Konflikte zwischen den Instanzen Es, Ich und Überich, d.h. als intersystemische Konflikte, konzeptualisiert oder als intrasystemische Konflikte, die z.B. auf konträre Inhalte des Überichs bzw. Ichideals zuzuführen sein können. 116 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen aus • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen ich-psychologischer Sicht: Nach Fonagy (2003) ist die moderne Ich-Psychologie „eine Konflikttheorie, nach der alle psychischen Inhalte, Gedanken, Handlungen, Pläne, Phantasien und Symptome als Kompromissbildungen betrachtet werden, als durch viele Faktoren bestimmte Konfliktkomponenten. … 117 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen aus ich-psychologischer Sicht: • Psycho• analytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen • • • „… Der Kompromiss tritt auf zwischen vier Konfliktelementen: das sind 1. intensive persönliche und einzigartige Kindheitswünsche nach Befriedigung (Triebabkömmlinge); 2. Angst oder depressiver Affekt und deren Vorstellungsinhalt von Objektverlust, Liebesverlust oder Kastration (Unlust); 3. psychische Operationen von variierender Komplexität, die zur Verringerung von Unlust eingesetzt werden (Abwehr); und 4. Schuld, Selbstbestrafung, Reue und Buße 118 sowie andere Manifestationen des Überich.“ Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der Neurosen • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen aus ich-psychologischer Sicht: „Die Repräsentationen des Selbst und des Anderen gelten als Produkte des Konflikts zwischen diesen Elementen, auch als Kompromissbildungen. Es wird allerdings akzeptiert, dass diese Kompromissbildungen wiederum weitere Kompromisse zwischen den obigen Tendenzen beeinflussen und deshalb die Konfliktergebnisse leicht wie primäre Determinanten wirken.“ 119 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: H. Kohut und seine Anhänger sind den Fragen nachgegangen, wie es dem Individuum gelingt, ein Gefühl von Selbstkohäsion aufrecht zu erhalten und sein Selbstwertgefühl so zu regulieren, dass es sich auch im Falle von Enttäuschungen oder Kränkungen mit Selbstachtung bzw. mit Selbstakzeptanz begegnen kann. 120 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen • Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: Die Relevanz von Triebkonflikten tritt in der Selbstpsychologie hinter den Problemen mit der narzißtischen Regulation zurück. Angst vor dem Objektverlust vorrangig: ⇒ Kohut, 1973, S. 38: „...., die Angst vor dem Objektverlust steht in Häufigkeit und Wichtigkeit an erster Stelle und die Kastrationsangst 121 an letzter.“ Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: Die Selbstpsychologie i. S. Kohuts betrachtet die narzißtischen Störungen letztlich als Folge einer Blockade in der Entwicklung des Narzißmus des Kindes, - einer Blockade, die auf die mangelnde Spiegelung des Kindes in den ersten Lebensjahren durch die Mutter zurückzuführen sei. 122 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Ätiologie der psychischen • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: Die Mütter dieser entwicklungsgestörten Kinder seien oft selbst derart auf narzißtische Zufuhr angewiesen, dass sie ihre Kinder selbst als narzißtische Selbstobjekte benötigen würden und deshalb nicht in der Lage seien, sich gerade in der Phase besonderer narzißtischer Bedürftigkeit, also zwischen dem 1. und dem 3. Lebensjahr, ihrem Kind als narzißtisches „Selbstobjekt“ zur Verfügung stellen zu können. 123 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Die Objektbeziehungstheoretiker, u.a. Balint, Fairbairn, Gunthrip, Winnicott und – später – Kernberg verlassen den vergleichsweise monadologischen Blick traditioneller Psychoanalytiker auf die psychische Entwicklung, indem sie für jegliche Entäußerung und Modifikation von Triebhaftem die Bezogenheit auf ein oder mehrere Objekte als konstitutiv ansehen. 124 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Während in der traditionellen psa. Theorie die Ausformungen des ödipalen Konflikts im Zentrum des Interesses standen, geraten nun sicherlich forciert durch Arbeiten von Melanie Klein - prägenitale Konflikte stärker ins Blickfeld. 125 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: In diesem theoretischen Kontext wird z. B. die höchst bedeutsame Frage aufgeworfen, wie sich kohärente Repräsentanzen von den Objekten und vom eigenen Selbst herausbilden und konturieren. 126 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie • 4. Sitzung • Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Grafik aus: Fiedler, Persönlichkeitsstörungen,4. Aufl., 1998, S. 230 127 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Die vor allem von O. F. Kernberg in den letzten 20 Jahren vorgelegten Befunde und Annahmen haben außerordentlich innovativ gewirkt für unser heutiges Verständnis von der Ätiologie schwerer Persönlichkeitsstörungen. 128 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Die systematische Erforschung der Psychodynamik und der strukturellen Besonderheiten bei Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen hat u. a. wichtige Erkenntnisse über deren spezifische, die sog. unreife Abwehr erbracht, hat die Diagnostik präzisiert und neue Behandlungsmöglichkeiten für diese Patienten eröffnet, die bislang als unbehandelbar oder prognostisch als extrem ungünstig galten. 129 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie • von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): Fonagy hat - gemeinsam mit Target unter Einbeziehung neuester empirischer Befunde aus der Bindungstheorie, der Entwicklungspsychologie, den Kognitionswissenschaften, der Neurobiologie und der Gedächtnisforschung das Konzept der Mentalisierung entwickelt. 130 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie • von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): Zunächst hat sich Fonagy jahrelang intensiv darum bemüht, eine fruchtbare Auseinandersetzung zwischen den theoretischen Positionen der Bindungstheorie und der modernen Psychoanalyse voranzutreiben. (zusammenfassend: Fonagy, 2003) 131 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie • von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): Zu diesem Zweck haben Fonagy und seine Mitarbeiter Unklarheiten und Inkonsistenzen von Forschungsergebnissen der bisherigen Bindungsforschung aufgegriffen und haben unter dem bindungstheoretischen Paradigma weitere empirische Untersuchungen durchgeführt. 132 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie • von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): In bindungstheoretischen Untersuchungen hatte sich gezeigt, dass die mütterliche Feinfühligkeit und die elterlichen Bindungsrepräsentanzen als determinierende Faktoren für das Bindungsmuster des Kindes nicht ausreichten. (vgl. Fonagy, 2003) 133 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): Die Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchungen (z.B. Fonagy et al., 1994) brachten zutage, dass Mütter, obwohl sie einer besonders stressbelasteten und soziökonomisch benachteiligten Gruppe zugehörten, sicher gebundene Kinder hatten, wenn sie über die Fähigkeit zur Mentalisierung verfügten. 134 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): Unter „Mentalisierung“ verstehen die Autoren „die Fähigkeit, den anderen (und die eigene Person) als Wesen mit geistigseelischen Zuständen zu betrachten“ (Dornes, 2004b, S. 176). Eigene Handlungen und die der anderen werden dann nicht mehr nur funktional teleologisch, sondern ca. von 1,5 Jahren an als subjektiv intentional verstanden. 135 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Entwicklungslinie der Mentalisierung vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 1. – 2. Lebensmonat: „Die Regulation des inneren physiologischen Milieus des Kindes wird auf die Interaktion zwischen dem kindlichen Selbst und der Pflegeperson delegiert.“ d.i. „an das dyadische System >>delegierte<< Homöostase. Wenn die Herstellung der Homöostase systematisch scheitert, „besteht die Gefahr schwerer dysphorischer Zustände. Winicott spricht von agonalen Ängsten, affektive Zustände, die oftmals später unbedingt gemieden, verhindert, abgewehrt werden müssen. Essstörungen, Sucht, fragiles Selbstwertgefühl, abgewehrter Objekthunger u.a. können die Folge sein. 136 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Entwicklungslinie der Mentalisierung vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 3. – 7. Lebensmonat: Lächelspiele. „Synchronie der aufsteigenden und abnehmenden Spannung – mit einer subliminalen Zeitverschiebung. Dyadisches Beziehungswissen wird erworben. „Beim geglückten Wechselspiel macht das Kind die Erfahrung, daß eine andere Person sich seinen Bedürfnissen, seinem Erleben, seinem Rhythmus und Ausdruck angleicht.“ Regulation des autonomen Nervensystems spielt sich ein.- Das Kind „lernt in den frühen Interaktionen, wie es seine emotio-nalen Signale einsetzen kann, um auf seine Umgebung einzuwirken. … Die Effektanz, .. beeinflusst die positive oder negative Tönung seines sich bildenden affektiven Kerns und formt seinen 137 sozialen Stil: seine Ausdauer im Verfolgen einer Handlung und die Vielzahl der Mittel, die es dafür einsetzt.“ Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Entwicklungslinie der Mentalisierung vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 3. – 7. Lebensmonat: Ereignisse von >>self-with-other-ina-certain-way<< (Stern, 1998) werden gespeichert. „Die so gebildeten frühesten Repräsentanzen sind vermutlich >>Ereignisrepräsentanzen<<, in denen Selbst, Objekt und die Vice-versa-Interaktion als Ganzes aufbewahrt wird. Diese präverbalen Erinnerungen, die auch einen Teil des prozeduralen Gedächtnisses ausmachen, können nicht in Gestalt konkreter Vorfälle ins Gedächtnis zurückgerufen werden, sondern drücken sich in gewissen Einstellungen und Verhaltensweisen, unter anderem im Bindungs- oder Trennungsverhalten aus.“ (Köhler, a.a.O., S. 165) 138 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Entwicklungslinie der Mentalisierung vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 8. – 18. Lebensmonat: Erstes Aufdämmern von etwas Geistigem, Innerem, Mentalen, erkennbar durch >>affect attunement<< der Mutter und >>joint attention<<. Beginn der Unterscheidung von Innen- und Außenwelt – Beginn einer „theory of mind“. Beginn von Intersubjektivität: „Das Empfinden des eigenen Selbst und des anderen schließt nun, zusätzlich zum äußeren Verhalten und den direkten Sensationen, auch innere oder subjektive Erlebenszustände ein.“ (Köhler, a.a.O.) 139 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Entwicklungslinie der Mentalisierung vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 8. – 18. Lebensmonat: Das Erleben von Subjektivität setzt die Affektabstimmung durch die Mutter voraus. Affektabstimmung besteht nicht allein darin, dass die Mutter sich in die Affektlage des Kindes einfühlt, „sie besteht vielmehr darin, dass die Mutter den einer Handlung des Kindes zugrunde liegenden Gefühlszustand erfasst und in anderer Weise wiedergibt,“ z.B. in einer mimisch-semantischen Form. Dadurch erfährt das Kind sich nicht nur von innen, also kör-perlich, sondern auch von außen durch die spezifischen Reaktionen der Mutter. „Es bildet nun eine sekundäre Repräsentanz seiner selbst,“ indem der affektspiegelnde Ausdruck140 der Mutter enkodiert wird. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psycho• analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Entwicklungslinie der Mentalisierung vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 8. – 18. Lebensmonat: Zwei Formen der Affektspiegelung: Kongruenz und Markierung – „Kongruenz meint: Die Spiegelung ist dem inneren Zustand des Kindes adäquat, d h. es bestehen ein zeitlicher Zusammenhang und eine kreuzmodale (modusübergreifende) Ähnlichkeit zwischen der Spiegelung und dem Affektausdruck des Kindes. – „Markierung bedeutet, dass der Affektausdruck des Kindes zwar kongruent, aber nicht identisch widergespiegelt wird. … Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Affektausdruck qualitativ widerzuspiegeln, aber in veränderter 141 Intensität, so dass er sich deutlich vom Affektausdruck des Kindes unterscheidet. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen • Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy und Target, (2006): • Unter Bezug auf entwicklungspsychologische Untersuchungen stellen die Autoren fest, dass sich die Fähigkeit zur Mentalisierung erweitert und ca. im 4. Lbj. die Stufe der Metakognition erreicht sei, die es dem Kind ermöglicht, über die eigenen mentalen Zustände und die der anderen nachzudenken. „Dann verfügt das Kind nicht nur über ein mentales, sondern auch über ein repräsentationales Weltbild, in dem es den subjektiven Charakter seiner geistigen Hervorbringungen durchschaut.“ (Dornes, a.a.O.) 142 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004, und Fonagy und Target (2006): Anders als die traditionellen Vertreter der „theory of mind“ gehen die Autoren nicht davon aus, dass die Fähigkeit zur Mentalisierung bloß auf ein biologisches Programm zurückzuführen sei, sondern dass die Herausbildung der Mentalisierung in hohem Maße „von den frühen Bindungserfahrungen, also von der affektiv-interaktiven Qualität der Primärbeziehungen abhängig ist“. 143 (Dornes, a.a.O.) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische • Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): Die in den letzten Jahren insbesondere im Rahmen der Bindungsforschung durchgeführten Untersuchungen sprechen dafür, dass die affektiv-interaktive Qualität der Primärbeziehungen wesentlichen Einfluss darauf ausübt, ob und in welchem Maß ein Kind die Fähigkeit gewinnt, die eigenen oder fremden Reaktionen im Kontext bestimmter geistig-seelischer Zustände adäquat zu interpretieren. 144 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische • Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004): Wenn die frühen Interaktionen mit den primären Bezugspersonen defizitär sind, indem es an der notwendigen Affektspiegelung, der Markierung der Affekte, der Möglichkeit zum Spiel mit der Realität mangelt, wie dies durch Vernachlässigung, Gewalt, Missbrauch, chronisches Missverstehen entstehen kann, wird nach Fonagy et al. die Herausbildung der Fähigkeit zur Mentalisierung wahrscheinlich eingeschränkt. 145 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Psychoanalytische Auffassungen • zur Ätiologie von Neurosen • • Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z.B. Fonagy et al., 2004, und Fonagy und Target (2006): Die Beeinträchtigung der Mentalisierung kann zwei Ausprägungsformen aufweisen: Die gehemmte Mentalisierung Die überaktive Mentalisierung (vgl. Dornes, 2004, Forum der Psychoanalyse, Bd. 20, S. 175 – 199) 146 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer Therapie Leichsenring hat 2002 eine Übersicht über vorliegende Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie, die zwischen 1960 und 2001 veröffentlicht wurden, vorgelegt. Die einbezogenen Studien mussten folgende methodische Mindestanforderungen erfüllen: – Beschreibung der angewendeten Therapie und der untersuchten Patienten – Verwendung reliabler und valider Erfolgsmaße – Unabhängige Rater bei Fremdbeurteilung des Therapie-Erfolges 147 – Ausreichende Stichprobengröße (s. Gütekriterien bei Ermann et al. (2001)) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie • Unterscheidung von kontrollierten und naturalistischen Studien In kontrollierten Studien werden die Patienten den Behandlungen und den Behandlern! zufällig zugewiesen und die Therapien werden nach Manualen durchgeführt. → „efficacy studies“ In naturalistischen Studien werden Therapien untersucht, wie sie unter den Bedingungen des psychotherapeutischen Alltags durchgeführt werden. → „effectiveness studies“. (vgl. Leichsenring, 2002, S. 141) 148 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer Therapie Die kontrollierten Studien sichern vor allem die interne Validität, die naturalistischen Studien die externe Validität. Leichsenring (2002) stellt die Forderung nach randomisierten kontrollierten Studien (RC Trials), wie sie die APA erhoben habe, u.a. unter Berufung auf den anerkannten Psychotherapieforscher Seligman, in Frage, da „ihre Ergebnisse … für die Praxis nur begrenzt repräsentativ“ seien. (S. 141) 149 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie • Auch die unbedingte Forderung nach einer unbehandelten Kontrolloder einer Placebogruppe“ stellt nach Leichsenring „einen Fetisch der Psychotherapieforschung dar. Sie sind ethisch bedenklich und wissenschaftlich überholt.“ Aufgrund der ermittelten Daten zu den Effekten des Wartens seien „Lambert und Bergin (1994) zu dem Schluss gekommen, dass es Zeit ist, Placebo-Kontrollen aufzugeben.“ 150 (S. 141) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie • Leichsenring vertritt die Auffassung, dass „RC Trials allenfalls für Kurztherapien angemessen“ seien, „nicht jedoch für Langzeittherapien: Über mehrere Jahre hinweg sind glaubhafte Vergleichsbedingungen ebenso wenig möglich wie die Durchführung von Therapien nach Manualen.“ (S. 141) 151 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie • Leichsenring (2002): „Solange nur RCT´s als Wirkungsnachweise zugelassen werden, werden (psychodynamische) Therapien längerer Dauer automatisch von einer „empirischen Validierung“ ausgeschlossen. Das ist Politik, nicht wissenschaftliche Forschung.“ Leichsenring plädiert dagegen für eine Kombination von naturalistischen und kontrollierten Studien. 152 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer • Therapie Zur Wirksamkeit von psychodynamischen Kurztherapien: Psychodynamischen Kurztherapien → in der Regel Therapien von bis zu 30 Sitzungen Leichsenring legt Wert darauf, die vorhandenen Untersuchungsergebnisse nach der methodischen Güte der Untersuchung zu sichten. 153 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie • • Im Gegensatz zu Grawe et al. (1994), Svartberg und Stiles (1991) und Anderson und Lambert (1995) habe Crits-Cristoph (1992) in seine MetaAnalyse nur Untersuchungen einbezogen, die strenge Auswahl-Kriterien erfüllen (Therapie-Manuale, erfahrene Therapeuten, Mindestzahl von Sitzungen). Ergebnis: PDKT führe im Vergleich mit unbehandelten Wartelisten-Patienten zu großen Therapie-Effekten (Verbesserungen) im Sinne von Cohen (1988). 154 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer • KurzTherapie „Crits-Christoph ermittelte Effektgrößen von 1.10 für die Zielsymptomatik, 0.82 für die allgemeine psychiatrische Symptomatik und 0.81 für die soziale Anpassung. Effekte ab 0.80 werden als groß angesehen (Cohen, 1988).“ (S. 142) Keine Unterschiede, wenn PDKT mit anderen Therapie-Formen wie kognitivbehavioraler (CBT) oder medikamentöser Behandlung verglichen wurde. 155 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Depression: – Unter Anwendung strenger Auswahlkriterien erbrachte eine Meta-Analyse von Leichsenring (2001) das Ergebnis, dass PDKT und kognitiv-behaviorale Therapie (CBT) bei der Behandlung von Depression gleich wirksam sind. → große Effekte (Prä – Post) bei der Reduzierung der depressiven Symptomatik (0.90 – 2.80) sowie bei der allgemeinen psychiatrischen Symptomatik (0.79 – 2.65). 156 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Generalisierten Angststörungen (GAS): Crits-Christoph et al. (1996) haben „signifikante Verbesserungen bei Pat. mit GAS nach PDKT in einer offenen manualgeleiteten Interventionsstudie nachgewiesen. Die gefundenen Prä – Post – Effektgrößen waren groß (Angst: 0.95 – 1.99) und liegen in der Größenordnung, wie sie für kognitive Therapien berichtet werden.“ Erfolgsquote hoch: 79 %. Bislang 157 keine RCT´s. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Panikstörung und Agoraphobie: „In einem RCT zur Panikstörung war PDKT kombiniert mit Clomipramin einer ausschließlichen Behandlung mit Clomipramin signifikant überlegen im Hinblick auf die Prophylaxe von Rückfällen (20% vs. 75%) … Auch in einer offenen Interventionsstudie von Milrod et al. (2000, 2001) erreichte PDKT bei Panikstörungen signifikante Verbesserungen, im Follow-up nach 40 Wochen stabil.“ Erfolgsraten hoch: 93% bei Therapieende,158 90% zur Katamnese. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Belastungsstörungen: Signifikante Besserungen bei Posttraumatischen Belastungsstörungen/ Anpassungsstörungen durch PDKT wurden in verschiedenen Untersuchungen demonstriert. In dem RCT von Brom et al. (1989) war die PDKT (nach Horowitz) ebenso wirksam wie die verhaltenstherapeutische Vergleichsbehandlung. 159 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Somatoformen Störungen: „In vier RCT´s wurde die Wirksamkeit von PDKT bei somatoformen Störungen gezeigt … PDKT war einer Kontrollbedingung (treatment as usual, TAU) signifikant überlegen. Therapieergebnisse nach ein bis vier Jahren stabil. 160 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Bulimie: „Signifikante und stabile Besserungen durch PDKT bei Bulimie wurden in mehreren manualgeleiteten RCT´s nachgewiesen … In zentralen bulimiespezifischen Maßen (Essanfälle, Erbrechen) war PDKT ebenso wirksam wie CBT. In manchen Studien war CBT der PDKT in einzelnen Maßen der Psychopathologie überlegen.“ In einer späteren Follow-up-Untersuchung erwiesen sich die beiden Therapieformen als gleich wirksam. 161 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Anorexie: „In einem RCT erreichte PDKT bei Anorexia Nervosa im Einjahres-Follow-up signifikante Besserungen und war im Hinblick auf Gewichtszunahme ebenso wirksam wie eine Diät-Beratung, sie war der Diät-Beratung in Maßen der sozialen und sexuellen Anpassung jedoch überlegen.“ (Hall u. Crisp, 1987) 162 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Persönlichkeitsstörungen: „Signifikante Effekte bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen mit PDKT wurden in einer Reihe von Untersuchungen gefunden.“ Leichsenring hat die Effektgrößen dieser Untersuchungen berechnet und meta-analytisch zusammengefasst. Danach betrage die mittlere Effektgröße über die sieben Studien 1.13 (SD=0.42) für Selbstrating-Verfahren und 1.57 (SD=0.82) für Fremdrating-Verfahren. Große Effekte. 163 (S. 146) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit • psychodynamischer KurzTherapie Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei gemischten Stichproben: „In mehreren dieser Studien war PDKT einer Wartelisten-Bedingung signifikant überlegen (…). In dem RCT von Sloane et al. (1975, 1981) erwies sich PDKT auch in der Langzeitwirkung als ebenso wirksam wie CBT.“ 164 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Empirische • Studien zur Wirksamkeit tiefenpsycho- • logisch fundierter und • analytischer • Therapie Die Studie von Dührssen und Jorswieck (1965): Zufallsstichprobe von Patienten des Instituts für Psychogene Erkrankungen (AOK) im Vergleich mit zufällig gezogener Wartegruppe und zufällig gezogener Stichprobe aus der allgemeinen Population. Analytische und psychodynamische Therapien mit einer Dauer von 150 – maximal 200 Stunden, Frequenz 2 – 3 Sitzungen pro Woche. Vergleich der Krankenhaustage 5 Jahre vor und 5 Jahre nach der psychotherapeutischen Behandlung. Ergebnisse: – Signifikanter Rückgang der Krankenhaustage nach der Behandlung – Weniger Krankenhaustage als die Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung aufwies – Die Effektgröße (Krankenhaustage) beträgt nach 165 Leichsenring d=0.78 (großer Effekt) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • Die Berliner Studie von Rudolf und Mitarbeitern • Drei Behandlungsgruppen nach gestellter Indikation: Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsycho- • logisch fundierter und analytischer Therapie – analytische Psychotherapie, durchschnittlich 265 Sitzungen, Frequenz 2 – 3 Sitzungen pro Woche – Psychodynamische Therapie, durchschnittlich 60 Sitzungen, – Stationäre Therapie, durchschnittliche Dauer: 2,6 Monate Ergebnisse: – In der globalen Abschlussbeurteilung durch die Patienten gaben 96% der ambulant behandelten Patienten an, dass sich ihre Beschwerden gebessert hätten. – Wurde als Kriterium für den Therapie-Erfolg eine klinisch signifikante Besserung in Selbstbeurteilungsmaßen zugrunde gelegt, ergaben sich folgende Besserungsraten: Analytische Psychotherapie 76%, psychodynamische Therapie 55%, stationäre Therapie 50%. – Große Effekte (≥ 0.80) erzielte die analytische Psychotherapie gemäß der Selbstbeurteilung in den Bereichen (körpernahe) Angst, Depression, Körpersymptomklagen, Angst im Kontakt. 166 (Rudolf et al., 1994) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie Die Praxisstudie analytische Langzeittherapie von Rudolf, Grande u. a. (2004) 167 Praxisstudie analytische Langzeittherapie (PAL) Materialien zur Präsentation anlässlich der Tagung „Zur Wirksamkeit von Psychoanalysen und Psychotherapien“ am 17. und 18. Oktober in Heidelberg 168 Fragestellung der Studie Die zentrale Fragestellung der Studie bezieht sich auf die Frage, ob und in welchem Umfang sich in unterschiedlich intensiven Psychotherapien Umstrukturierungen der Persönlichkeit jenseits der Symptomverbesserung erfassen lassen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das so genannte DosisWirkungsmodell, wie es von Howard et al (1986) vorgelegt wurde, offenkundig ungeeignet ist, die spezifischen Wirkungen psychoanalytischer Behandlungen zu erfassen, weil die in der Psychotherapieforschung üblichen Messinstrumente für Symptomveränderungen nur in der therapeutischen Anfangsphase, kaum jedoch im späteren Verlauf deutliche Veränderungen abbilden. Die kurzschlüssige Konsequenz solcher Untersuchungen lautete dann häufig: Man könne sich auf Kurztherapien beschränken, weil dadurch die wesentlichen Effekte der Symptombesserung erzielt werden. Um die aus psychoanalytischer Sicht basalen Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur zu erfassen, wurde als spezielles Messinstrument die Heidelberger Umstrukturierungsskala entwickelt. (Grande et al 1997, Rudolf, Grande, Oberbracht 2000). In der Studie sollten folgende Fragen beantwortet werden: • • • • • Welches Maß der Symptombesserung lässt sich im Verlauf von analytischen und psychotherapeutischen Behandlungen beobachten? In welchem Umfang werden in beiden Therapieformen Verbesserungen des persönlichkeitsstrukturellen Verhaltens (Umstrukturierung) erzielt? Wie verhalten sich symptomatische und strukturelle Veränderungen zueinander, d.h. wie wirken sich die strukturellen Veränderungen im Unterschied zu den symptomatischen im Leben der Patienten aus? Wie stabil sind die Behandlungsergebnisse auf symptomatischer und struktureller Ebene im Zeitraum nach Abschluss der Behandlung (1-Jahres-Katamnese, 3-Jahres-Katamnese)? Welche ökonomischen Therapieeffekte lassen sich anhand von Krankenkassendaten (Krankschreibungen, Klinikaufenthalte) im Therapieverlauf und im Katamnesezeitraum ermitteln (Effizienz)? 169 Stichworte zum Design der Studie Da für die Prüfung differenzieller Effekte in bezug auf die in vergleichbaren Studien regelmäßig verwendeten Instrumente zur Veränderungsmessung wie z.B. SCL-90R oder IIP sehr große Fallzahlen erforderlich sind, diese jedoch eine differenzierte Analyse des Materials wegen des enormen Aufwands praktisch unmöglich machen, wurde in der vorliegenden Studie entschieden, die Untersuchung von Effekten in den Mittelpunkt zu stellen, die psychoanalysespezifisch sind und mit dem Begriff der „Umstrukturierung“ bezeichnet werden. Dies geschieht mit Hilfe der bereits erwähnten Umstrukturierungsskala. Es wurde erwartet, dass diese Effekte deutlich genug sein würden, um eine statistisch verlässliche Differenzierung der Behandlungsgruppen durch eine Untersuchung von 30 Psychoanalysepatienten und 30 Psychotherapiepatienten zu ermöglichen. Da in psychotherapeutischen Langzeitstudien eine randomisierte Zuweisung nicht realisiert werden kann, wird die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen durch ein Matching-Verfahren sichergestellt. Die MatchingKriterien sind Alter, Geschlecht, Bildung und beruflicher Status. In beide Gruppen wurden nur Patienten einbezogen, bei denen, gemessen an Symptombelastung und Persönlichkeitsproblematik, eine schwer ausgeprägte Störung vorlag. Aus den regionalen Einzugsgebieten Heidelberg und Berlin (und als Vergleichsgruppe Zürich) wurden die Psychoanalytiker, die nach den Qualitätsstandards der Fachgesellschaft ausgebildet wurden, eingeladen, an der Studie mitzuarbeiten. Sie sollten je einen Fall Psychoanalyse und Psychotherapie in die Studie einbringen (letzteres konnte zum größeren Teil, aber nicht vollständig realisiert werden). Die Kriterien, nach denen die Therapeuten ihre Patienten auswählten, wurden sorgfältig dokumentiert. Als Messzeitpunkte wurden der Behandlungsbeginn, 3 Monate, 6 Monate, 12 Monate und fortan jedes weitere halbe Jahr bis zur Beendigung der Therapie festgelegt, ferner eine 1-jahres- und eine 3jahreskatamnestische Nachuntersuchung. Das Design wird weiter unten in einer Abbildung graphisch veranschaulicht. 170 Beobachtungsebenen und Datenquellen Die Daten werden aus vier Perspektiven (vgl. die Perspektiven in der Abbildung zum Studiendesign unten) erhoben: 1. Patientenselbsteinschätzung: Anhand von international gebräuchlichen standardisierten Instrumenten (SCL-90, IIP, PSKB-Se) werden Symptome und Persönlichkeitsmerkmale erfasst; darüber hinaus Daten der soziodemographischen und sozialen Situation, Krankheitsverhalten und Einschätzung der Lebensqualität (TPF). 2. Einschätzungen der Psychoanalytiker zu Behandlungsbeginn: Standardisierte Beschreibung der Symptome, Konflikte, des Strukturniveaus, der Beeinträchtigungsschwere, der initialen Arbeitsbeziehung und Gegenübertragung sowie der ICD-10-Diagnosen. Einschätzung der Psychoanalytiker im Behandlungsverlauf: Standardisierte Einschätzung der therapeutischen Arbeitsbeziehung, Gegenübertragung und Umstrukturierung im Problemfokus, jeweils vierteljährlich freier Bericht über Therapiesitzungen. 3. Einschätzungen der externen Untersucher zu Behandlungsbeginn: ICD-10-Diagnosen, OPDBefund, Fokusauswahl aus dem OPD-Befund. Einschätzung der externen Untersuchung im Therapieverlauf auf der Grundlage eines jeweiligen Beziehungsepisoden-Interviews: OPD-Befund, Fokus-Entwicklung, Einschätzung der Heidelberger Umstrukturierungsskala. 4. Krankenkassendaten: Erfassung von Krankheitstagen, Arbeitsunfähigkeit, medizinische Inanspruchnahme je zwei Jahre vor Beginn und nach Abschluss der Therapie 171 Abschließende Bewertung des Studiendesigns Im Sinne eines Bewertungskatalogs von Wallerstein (1999) zeigt die PAL-Studie folgende Charakteristika: • • • • • • • • • • Eine prospektive systematische Studie zur psychoanalytischen Therapie bei klinisch indizierten Behandlungen, ausgeführt durch qualifizierte Therapeuten. Eine signifikanten Fallzahl Einen Vergleich von Psychoanalysen und Psychotherapien Eine Erfassung von Prozess und Ergebnis gleichermaßen Die Möglichkeit, an Einzelfällen Längsschnittstudien durchzuführen Die Möglichkeit, gruppenstatistische Verfahren und Einzelfalldarstellungen zu kombinieren Verwendung operationalisierter psychoanalytischer Begrifflichkeiten Zugrundelegung einer gründlichen diagnostischen Beschreibung der Patienten bei Behandlungsbeginn Berücksichtigung der nach Behandlungsende erreichten Wirkungen und der Entwicklung in der posttherapeutischen Phase Möglichkeit, Prädiktoren der Prozesse und Ergebnisse zu identifizieren. Damit soll ein verbessertes Verständnis der Wirkungsweisen der unterschiedlich intensiven Therapieverfahren, der von ihnen initiierten Prozessverläufe und der darin enthaltenen Chancen für ein Behandlungsergebnis, aber auch der Risiken von Stagnation und Scheitern ermöglicht werden. 172 Forschungsdesign B. Perspektive des Analytikers tiefenpsych. fund. Psychotherapie 1 Stunde/Woche geplant: N = 30 Analytische Psychotherapie 3-4 Stunden/W. geplant: N = 30 D. Gesundheitspolitische Perspektive Beginn 1/4 1/2 3/4 1 Jahr Abschluss Katamnese 3 Jahre Beginn 1/4 1/2 1 Jahr Abschluss Katamnese A. Perspektive des Patienten Forschungsinterviews C. Perspektive des Beobachters 173 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin • 4. Sitzung • Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie Neurosenlehre • Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al. • Die Heidelberger Umstrukturierungsskala 1. Nichtwahrnehmen des Fokusproblems 1 1+ Völlige Abwehr bzw. Vermeidung des Fokusbereichs, es gibt kein Problem 2. Ungewollte Beschäftigung mit dem Fokus 2– 2 2+ Symptomdruck, interpersonelle Schwierigkeiten, Zumutungen, von außen kommend erlebt Bewäl- 3. Vage Wahrnehmung mit dem Fokus 33 3+ Passive Beschäftigung mit dem Fokus, Ahnung eigener Verantwortung tigung 4. Anerkennung und Erkundung des Fokus 4– 4 4+ Interessiertes Problemverstehen, Arbeitsbeziehung, aktive Bewältigung 5. Auflösung alter Strukturen im Fokusbereich 5– 5 5+ Abwehr wird brüchig, Prozess wird zur Passion, Trauer, Ausgeliefertsein, Verwirrung Strukturelle 6. Neutrukturierung im Fokusbereich 6– 6 6+ Versöhnliches Erleben, neue Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten stellen sich spontan ein VerÄnderung 7. Auflösung des Fokus 7– 7 7+ Integration, Selbstübereinstimmung, realitätsgerechtes Erleben, Neugestaltungen 174 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie • Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al. • Ergebnisse: – Signifikante und ähnlich deutliche Reduktion von Symptomen sowie von interpersonellen Problemen bei beiden Therapieformen – Behandlungen mit höherer Stundenzahl und -frequenz zeigen tiefgreifendere und nachhaltigere Wirkungen als niedriger frequente tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien. – Höherfrequente psa. Behandlungen erleichtern aufgrund der intensiven Auseinandersetzung im therapeutischen Prozess eine Umstrukturierung im eigentlichen Sinne. – Vorübergehende Verschlechterungen von der Stufe 5 der Umstrukturierungsskala auf frühere Stufen sind dabei häufig. Diese werden als produktive therapeutische Krisen im Sinne einer regressiven Reaktion in einem nicht-linearen Entwicklungsprozess verstan175 den. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • • • Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) Zwei Behandlungsgruppen nach gestellter Indikation: – analytische Psychotherapie, durchschnittlich 642 Sitzungen, durchschnittliche Behandlungsdauer 54 Monate, Frequenz 3 – 5 Sitzungen pro Woche, N = 24 – Psychodynamische Langzeittherapie, durchschnittlich 233 Sitzungen, Behandlungsdauer: 43 Monate, N = 100 – Vor der Therapie zwischen den Behandlungsgruppen bestehende Unterschiede 176 wurden statistisch kontrolliert. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) • • Ergebnisse: Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie – Die analytische Psychotherapie erreichte – bei gleicher Ausgangslage – im Hinblick auf die Symptombesserung (SCL-90 GSI) einen großen Effekt von 1.55, die psychodynamische Langzeittherapie einen Effekt von 0.60 (Sandell et al., 2001). – Die analytische Psychotherapie verbesserte ihre Effekte zwischen dem ersten und dem zweiten Jahr um fast ein Drittel, bei der psychodynamischen Therapie nahm der Effekt in diesem Zeitraum geringfügig ab. Die nachfolgenden Grafiken sind der Veröffentlichung von Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310 177 entnommen. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) • • Ergebnisse: – Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310 – Sandell-Studie_SCL-90 Grafik: Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie 178 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) • • Ergebnisse: – Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310 – Sandell-Studie_Sense of Coherence Scale: Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie 179 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 4. Sitzung • Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) • • Ergebnisse: – Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277-310 – Sandell-Studie_Social Adjustment Scale: Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie 180 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen • Symptomatik • Hinweise zur Differentialdiagnostik • Häufigkeit und Krankheitsverteilung • Psychogenese und Dynamik • Exemplarischer Fallbericht • Therapie 181 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Konversionssymptomatik • Anfälle • Ausfälle und Dysfunktionen der Motorik • Ausfälle und Dysfunktionen des Sensoriums • Darstellung multipler Krankheiten und Körperzustände 182 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Konversionssymptomatik • Anfälle – Klassisch: großer hysterischer Anfall – Absencen – psychomotorische Anfälle – ticartige motorische Entladungen – Hyperventilationstetanie: massiv verstärkte Atmung, sekundäre Alkalose des Blutes, 183 tetaniforme Krämpfe Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Konversionssymptomatik • Ausfälle und Dysfunktionen der Motorik – schlaffe Lähmungen • Hinken, • akute Dysbasie, • Abasie, • Schiefhals u.a. – spastische Störungen 184 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Konversionssymptomatik • Ausfälle und Dysfunktionen des Sensoriums – psychogene Blindheit und Taubheit; Skotomisierung – sensible Dysfunktionen • • • Parästhesien (Missempfindungen) Hypästhesien (herabgesetzte Sensibilität) Hemianästhesie 185 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Konversionssymptomatik • Darstellung multipelster Krankheiten und Körperzustände – Die Neurose kann jede Erkrankung darstellen oder imitieren – Gehäuft treten auf: die Scheinschwangerschaft, Kloßgefühl im Hals (Globus hystericus) u.a. 186 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Hysterische Phänomene • • • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Bewusstseinsstörungen Gedächtnisstörungen und Angstphänomene Sexuelle Störungen 187 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Hysterische Phänomene • Bewusstseinsstörungen • Deskriptive Ebene: – Dämmerzustände – Traumzustände – Trancen – „Ohnmachten“ – Unwirklichkeitserlebnisse bis zu Depersonalisation und Derealisation – Pseudodemenz 188 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Hysterische Phänomene • Bewusstseinsstörungen – Dynamisch geht es um den Versuch der Vermeidung einer unerträglichen Wirklichkeit. Es wird versucht, das Problem durch Nichtwissen zu lösen ... So erlebt der hysterische Neurotiker quasi eine Pseudo-Demenz, um sich etwa von den Schuldgefühlen, von den inneren Richtern zu befreien oder die Versuchungssituationen in der Außenwelt, die ihn quälen, nicht wahrzunehmen. 189 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Hysterische Phänomene • Gedächtnisstörungen und Angstphänomene – Hysterische Amnesie – psychogene Fehlhandlungen – Angstphänomene und Phobien • Im Rahmen des hysterischen Syndroms sind oft Angstphänomene nachweisbar. Differentialdiagnostik erforderlich 190 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik • Konversionsneurotische und hysterische Phänomene • Sexuelle Störungen – Anorgasmie aller Stadien, von Frigidität bis zu sexueller Inappetenz – Verstärktes sexuelles Agieren: PanSexualisierung, Hypersexualität, Nymphomanie, Erotomanie – Verbindung von sexueller Lust mit starken aggressiven und Angstaffekten – Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) – Menstruationsstörungen 191 – Differentialdiagnose beachten! Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Häufigkeit und Krankheitsverteilung: • • Die Konversionssyndrome finden sich in allen Kulturen, Schichten, Altersgruppen. Auftretenshäufigkeit nicht gesichert. Pseudoneurologische, monosymptomatische Konversionserscheinungen machen wahrscheinlich unter 10% aller psychogenen Körpersymptome, polysymptomatische Phänomene der Somatisierungsstörung ein Mehrfaches davon aus. Diagnose wird häufiger bei Frauen gestellt als bei Männern. - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Epidemiologie • • • 192 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • 1A) Im Zentrum der hysterischen Dynamik stehen unbewusste Vorstellungen und Phantasien ... Häufig handelt es sich um sexuelle Inhalte. Bei keiner anderen Neurose haben sexuelle Konflikte eine so weitreichende Bedeutung wie bei den Hysterien und Phobien. Oft dahinter liegende ödipale Problematik. 193 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • 1B) Aber: Während früher die sexuellen Konflikte ganz im Zentrum des Verständnisses der hysterischen Störungen standen, geht man heute davon aus, dass auch frühinfantile nicht bewältigte Konflikte in dieser sexualisierten Form erscheinen können. So steht bei Störungen der frühen Triangulation nicht die Beziehung des Mädchens zum Vater im Vordergrund, sondern die beginnende Autonomie und Loslösung von der Mutter. (vgl. Schampera, 1997 und 2003) 194 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • Rupprecht-Schampera (1997 und 2003) postuliert, dass „das Kind, das später eine hysterische Entwicklung nehmen wird, in einer bereits stark konflikthaften, von Angst, Depressivität oder Hass geprägten frühen Mutter-Kind-Beziehung den Vater in seiner triangulären Hilfsfunktion nicht ausreichend zur Verfügung hat oder ihn als nicht ausreichend verfügbar erlebt und daß es deshalb versucht, den als abwesend oder distant erlebten Vater aktiv auf sich aufmerksam zu machen, um ihn in seiner triangulären Hilfsfunktion für sich zu gewinnen“. Wenn es z.B. dem kleinen Mädchen gelingt, „als erotisch attraktives weibliches kleines Wesen für den zunächst desinteressierten Vater interessant zu werden“, verwendet es „die ödipale Triangulierung, um die präödipale (frühe) Triangulierung und damit die Separation von der Mutter zu erreichen.“ (2003, S. 72) 195 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • 2. Die Hauptabwehrmechanismen der hysterischen Neurose sind: – – – – Verdrängung, Verleugnung, Identifikation, Verschiebung (insbesondere im Bereich der Affekte: sog. Affektvertauschung), – Projektion, 196 – Agieren Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • 3. Hysteriker haben eine profuse Identifizierungsneigung. Durch Identifizierung können auch unterschiedliche Krankheitsbilder perfekt übernommen werden. Auf der Identifizierungsneigung beruht auch die Suggestibilität des hysterischen Pat. und - sekundär das Bild von Inauthentizität, Unzuverlässigkeit, Unschärfe, Flatterhaftigkeit. 197 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Psychodynamik • • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik 4. Die Rolle der Hyperemotionalität zur Abwehr von nicht akzeptablen Umwelteindrücken und Schuldgefühlen ist von größter Wichtigkeit. Bei der hyperemotionalen "Szene", dem affektiven Durchbruch, dem "Anfall", dem "Nervenzusammenbruch", versucht sich der hysterische Pat. auf eine spezifische Art und Weise mit seinem "inneren Beobachter" (Gewissen) und seinem "äußeren Beobachter" (soziales Gegenüber) auseinanderzusetzen. Weil er sich so erregt, weil er so betroffen ist, weil ihn alles so sehr mitnimmt, weil alles so fürchterlich anstrengend ist, hofft der Hysteriker von innen und außen Vergebung zu erfahren und erreicht jedoch damit oft das Gegenteil. 198 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • 5. Die hysterische Neurose dient unbewusst - der Veränderung des Selbstbildes. Der Pat. verändert sein Selbsterleben auf eine Weise, dass ein günstigeres (in Bezug auf den aktuellen inneren Konflikt) Bild von sich selbst entsteht. Meist erfolgt eine regressive Veränderung des Selbstbildes. Z.B.: "Ich bin klein, hilflos, armselig, auf euch angewiesen u.s.w. … 199 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • … Unbewusst wird zugleich versucht, auch die Außenwelt von dem veränderten Selbstbild durch u.U. dramatische Demonstrationen zu überzeugen. Wenn dies gelingt, kann dies noch einmal rückwirkend zur Entlastung des Überichs beitragen. 200 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik • Psychodynamik • 6. Die Frage, wie es zur Konversion ins Körperliche kommt, ist noch nicht hinlänglich geklärt. (s. Kap. 3.1.3. Psychosomatische Modelle) Die Hypothese ist wahrscheinlich geworden, dass jeder Konflikt auf jeder Entwicklungsstufe auch ins Körperliche konvertiert werden kann. 201 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen 202 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Therapie • • Analytische orientierte Behandlung Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen • • • Die Bewusstmachung der verdrängten Anteile des intrapsychischen Konflikts. Die gefühlsmäßige Wiederbelebung in der Übertragungssituation. Dadurch die Ermöglichung einer freien Fortentwicklung und Nachreifung der bis dahin vom Konflikt beeinflussten und behinderten Persönlichkeits203 anteile Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - • Der hysterische Charakter • Spezielle Neurosen• lehre: Hysterie und Konversionsneurosen Charakterneurose Als auffällige Persönlichkeitszüge treten in Erscheinung: Fordernde Abhängigkeit, Egozentrismus, Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu gewinnen, evtl. Theatralik, Exhibitionismus, Angst vor der Sexualität, Labilität des Affektes, (oft unbewusste) sexuelle Provokation und Suggestibilität, wodurch sie den Eindruck von Inauthentizität vermitteln, u.U. auch Pseudolo204 gia phantastica. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Charakterneurose • Der hysterische Charakter • Die Partnerbeziehungen der hysterischen Persönlichkeit: • Charakteristisch sind häufige Szenen und ein immer wieder erneutes Herstellen der als problematisch erkannten Arrangements. Daraus entwickelt sich oft die sog. "sado-masochistische Kampfehe". Hysterische Frauen wählen als Partner oft zwanghaft-depressive Männer und umgekehrt, nach Willi handelt es sich dabei um eine spezifische neurotische Kollusion. 205 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Charakterneurose • Der hysterische Charakter • • • Psychogenese und zugrundeliegende Dynamik Pathogenese: konstitutioneller Faktor. Entwicklungsstörungen lassen sich insbesondere in der oralen Phase, dort besonders bei der Abhängigkeitsthematik, und in der ödipalen Entwicklung mit einer Fixierung an den gegengeschlechtlichen Elternteil nachweisen. 206 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Die histrionische Persönlichkeit • Merkmale der histrionischen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.4) • • • • Dramatisierung bezügl. der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen Andauernde Sehnsucht nach Zuneigung und Akzeptiertwerden Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik Weigerung zur Aufnahme von Beziehungen, solange der betreffenden Person nicht unkritisches Akzeptiertwerden garantiert ist; sehr eingeschränkte persön207 liche Bindungen Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionneurosen Die histrionische Persönlichkeit • Merkmale der histrionischen Persönlichkeitsstörung • • • (Fortsetzung) Gewohnheitsmäßige Neigung zur Überbetonung potentieller Gefahren oder Risiken alltäglicher Situationen, bis zur Vermeidung bestimmter Aktivitäten, ohne das Ausmaß phobischer Bindungen Eingeschränkter Lebensstil wegen des Bedürfnisses nach Gewissheit und Sicherheit Dazugehörige Begriffe: – – Infantile Persönlichkeitsstörung Hysterische Persönlichkeit(sstörung) (nach ICD 10, F 60.4) 208 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • Klassifikation von Angststörungen • F 40 Phobische Störung – F 40.0 Agoraphobie • • – – – – F40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung F 40.01 Agoraphobie mit Panikstörung F 40.1 Soziale Phobien F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien F 40.8 andere Angststörungen F 40.9 nicht näher bezeichnete Angststörungen • • Dazu: nicht näher bezeichnete Phobie Nicht näher bezeichneter phobischer 209 Zustand Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • Klassifikation von Angststörungen • F 41 Andere Angststörungen – F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – F 41.1 Generalisierte Angststörung – F 41.2 Angst und depressive Störung, gemischt – F 41.3 andere gemischte Angststörungen – F 41.8 andere spezifische Angststörungen (Angsthysterie) – F 41.9 nicht näher bezeichnete 210 Angststörung Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40 Phobische Störung / Diagnostische Kriterien (1) – – – – Störungen, bei denen Angst ausschließlich oder vorwiegend durch eindeutig definierte, im allgemeinen ungefährliche Situationen oder Objekte hervorgerufen wird. Diese werden entweder gemieden oder voller Angst ertragen. Die phobischen Objekte oder Situationen liegen außerhalb der betreffenden Person. Phobische Angst ist subjektiv, physiologisch und reicht vom Unbehagen bis zu panischer Angst. 211 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40 Phobische Störung / Diagnostische Kriterien (2) – – – Befürchtungen des Betreffenden können sich auf Einzelsymptome wie Herzklopfen oder Schwächeanfälle richten, treten häufig zusammen auf mit sekundären Ängsten vor dem Sterben, vor Kontrollverlust oder dem Gefühl, wahnsinnig zu werden. „Die Angst wird nicht durch die Erkenntnis gemildert, daß andere Menschen die fragliche Situation nicht als gefährlich oder bedrohlich betrachten.“ (Dilling et al., S. 143) Erwartungsangst: „Allein die Vorstellung, dass die phobische Situation eintreten könnte, erzeugt gewöhnlich schon Erwartungsangst.“ 212 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40 Phobische Störung / Differentialdiagnostik – F 45.2 Hypochondrische Störung: „Ängste, die sich auf (das Entstehen und) das Vorliegen einer Krankheit oder auf eine körperliche Entstellung beziehen“ (a.a.O.) – Phobische Störung Ù Panikattacke (F 41.0) Eine Panikattacke, die in einer schon bestehenden phobischen Situation auftritt, wird als Ausdruck für den Schweregrad der Phobie gewertet, … Eine eigentliche Panikstörung soll nur bei Fehlen der unter F 40 angeführten Phobien diagnostiziert werden. 213 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • F 40.0 Agoraphobie: • Ängste vor offenen Plätzen oder vor Menschenmengen Angst vor der Schwierigkeit, sich wieder sofort und leicht an einen sicheren Ort, im allgemeinen nach Hause zurückziehen zu können. Entsprechend können die Ängste sich auch darauf beziehen, allein in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu reisen (Achtung: DD Klaustrophobie) Angst vor dem Fehlen eines sofort nutzbaren Fluchtweges Angst bei der Vorstellung zu kollabieren, ohnmächtig zu werden und hilflos in der Öffentlichkeit liegen zu bleiben. 214 Spezielle • Neurosenlehre: Angsterkrankungen • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40.0 Agoraphobie / Epidemiologie: • Lebenszeitprävalenz in klinischen Stichproben: 3,4% - 10,9% (vgl. Michael et al. in Reinecker, 2003) Auftretenswahrscheinlichkeit bei Frauen ca. 2 bis 3 x größer als bei Männern, früher 4 x größer. „Innerhalb der phobischen Störungen machen Agoraphobien in der klinischen Praxis ca. 50 bis 55% der Fälle aus.“ (Reinecker, 2003) In nicht-klinischen Populationen: „Wittchen (1986) fand Angstanfälle bei 9,3% in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe. Fragebogen-Reihenuntersuchungen an großen studentischen Populationen in USA und BRD zeigten Ein-Jahres-Prävalenzen von über 30%, wenn situativ ausgelöste Angstanfälle berücksichtigt wurden. 215 • • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40.0 Agoraphobie / Verlauf: • Agoraphobien und Angstanfälle setzen in der Regel im frühen Erwachsenalter ein zwischen 20 und 35 Jahren. Beginn vor dem 16. und nach dem 40. Lbj. selten. Beginn meist mit einem Angstanfall an einem öffentlichen Ort, schleichender Beginn selten. Michael, Ehlers und Margraf (2003) berichten von starken Fluktuationen der Symptomatik mit gelegentlichen beschwerdefreien Phasen. Insgesamt wird aber von einem langfristig ungünstigen Verlauf ausgegangen. Die Prognose sei ungünstiger als für schwere Depressionen. Nur 14% der Patienten mit Panikstörungen und 19% der Agoraphobiker erreichen nach Wittchen (1991) eine volle Remission. • • • 216 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • F 40.0 Agoraphobie / Psychodynamik und Pathogenese: • • K. König geht davon aus, dass allen Angstpatienten eine Unfähigkeit zur Selbststeuerung, insbesondere bezüglich der Impulskontrolle gemeinsam sei. Deshalb würden viele Phobiker dazu neigen, die Bestimmung über sich selbst an sog. schützende, steuernde Objekte abzutreten. Ein Teil der Agoraphobiker weist im Hintergrund eine ängstliche, selbstunsichere oder eine abhängige Persönlichkeit auf, mitunter findet sich eine zwanghafte Persönlichkeit (hier Ängste, jmd. zu verletzen oder zu gefährden). Nur bei einer kleineren Gruppe der Phobiker sind konkrete negative Erfahrungen mit dem angstauslösenden Objekt zu explorieren. 217 Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • F 40.0 Agoraphobie / Psychodynamik und Pathogenese: • • Aus psychodynamischer Sicht liegen den meisten Phobien abgewehrte, unbewusste Vorstellungen zugrunde. Dieser unbewusste Vorstellungsinhalt wird in einer be-stimmten Situation aktiviert, löst dadurch im Ich Angst aus, das sich nun damit behilft, die Quelle der Angst nach außen zu verlagern. Dieser Abwehrvorgang wird als „Verschiebung“ bezeichnet. Die intrapsychische Bedrohung wird also durch eine außen erlebte Gefahr ersetzt. Das nach außen verschobene Angstobjekt kann nun vermieden werden, was zur situativen Angstentlastung führt. Dieser Vermeidungsvorgang kann durch Lernprozesse (operante Konditionierung) sich verfestigen, auf diese Weise chronifizieren und sich 218 auf assoziativ benachbarte Situationen ausweiten (generalisieren). Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • F 40.0 Agoraphobie / Psychodynamik und Pathogenese (2): • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • Früher ist man davon ausgegangen, dass den phobischen Reaktionen unbewusste sexuelle oder aggressive Konflikte zugrunde lägen. Heute finden sich nach H. H. zunehmend „Ängste vor starker Exposition, Ängste vor Beschämung, oder auch Befürchtungen, sich zu verlieren, Trennungs- und Verlustängste“ hinter der phobischen Symptomatik. Annahme von Bowlby, dass die Gruppe der eigentlichen Phobien, bei denen der Patient die Präsenz einer Situation oder eines Gegenstandes fürchtet und die er dann zu vermeiden sucht, eher klein sei. Größer sei die Zahl der sog. Pseudophobien, denen Bowlby auch die Agoraphobie zurechnet. Bei der Pseudophobie leide der Patient unter der Abwesenheit oder dem Verlust einer Bindungsfigur oder einer sicheren Basis, auf die er sich normalerweise zubewegen würde. In der Agoraphobie vermisse der 219 Patient eine Sicherheit spendende Beziehungsperson. • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • Spezielle • Neurosenlehre: • Angsterkrankungen • F 40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung F 40.01 Agoraphobie mit Panikstörung: Dazugehöriger Begriff: Panikstörung mit Agoraphobie Achtung DD: Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) Æ unerwartet, nicht an Situationen gebunden, nicht vorhersehbar. 220 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40.1 Soziale Phobie / Symptomatik: • Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen (nicht dagegen in Menschenmengen), in der Regel verbunden mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik Die phobischen Reaktionen können sich äußern in Erröten, Vermeiden von Blickkontakt, Händezittern, Übelkeit, Harndrang o.ä. In der Folge kann es dazu kommen, dass soziale Situationen gemieden werden, in Extremfällen kann das Vermeidungsverhalten zu vollständiger sozialer Isolation führen. Cave: DD Agoraphobie Soziale Phobien können klar abgegrenzt sein, z.B. auf Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit oder sie sind unbestimmt und treten in fast allen sozialen Situationen außerhalb des Familienkreises 221auf. • • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • • Spezielle Neurosenlehre: • Angsterkrankungen F 40.1 Soziale Phobie / Epidemiologie: In klinischen Stichproben von Phobikern schildern nach Reinecker 25% der Patienten soziale Phobien. Die Lebenszeitprävalenz liegt nach verschiedenen Studien für Frauen bei 9% bis 13% und für Männer bei 5% bis 10%. Entgegen Reinecker nehmen Hoffmann/Hochapfel an, dass die soziale Phobie die häufigste Angststörung sei und nach der Depression und der Alkoholabhängigkeit die dritthäufigste psychische Störung überhaupt. 222 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40.1 Soziale Phobie / Beginn und Verlauf: • • • • Beginn oft schon in der Kindheit, spätestens in der Jugend, ausgesprochen selten nach dem 25. Lebensjahr. Der Verlauf ist ausgesprochen chronifizierend. In der Folge der sozialen Phobie kommt es häufig zum sozialen Rückzug, entweder auf wenige vertraute Personen wie die Familie oder Freunde oder in die vollständige Isolierung. Die Unsicherheit der sozialen Phobiker lässt sie in der Öffentlichkeit nicht selten entweder als linkisch erscheinen oder als arrogant verkannt werden. 223 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • F 40.1 Soziale Phobie / Erklärungsmodelle (1) Spezielle • Neurosenlehre: • Angsterkrankungen • Konstitutioneller Faktor: „Soziale Gehemmtheit“ nach dem Entwicklungspsychologen J. Kagan Wahrscheinlich kommt den frühen sozialen Interaktionen im Kindergarten, in der Schule und anderen sozialen Feldern Bedeutung für die Verstärkung und für die Bewältigung von sozialen Ängsten zu (noch nicht genügend erforscht). Verhaltenstheoretiker gehen davon aus, dass 58% der Sozialphobiker auf ungünstige Konditionierungserfahrungen zurückgehen, ca. 13% auf Faktoren des Modelllernens.224 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • F 40.1 Soziale Phobie / Erklärungsmodelle (2) Spezielle • Neurosen• lehre: Angsterkrankungen • • • Das kognitionstheoretische PathogeneseModell von Clark und Wells (1995): 1. Ausgeprägtes Sicherheitsverhalten mit dem Ziel, vermeintliche Blamagen zu vermeiden und Angstsymptome zu reduzieren. 2. Verschiebung der Aufmerksamkeit weg von den externalen hin zu den internalen Vorgängen 3. Verzerrte Konstruktionen des sozialen Selbst aus der Betrachterperspektive, die immer als kritisch und abwertend vorausgesetzt wird. 4. Antizipatorische, vor den Ereignissen die Qual vorwegnehmende und nachträgliche, das Erlebnis der Erniedrigung bestätigende gedankliche 225 Verarbeitung; regelhafte Fehleinschätzung der soz. Situation. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • • Spezielle Neurosen• lehre: Angsterkrankungen • • • F 40.1 Soziale Phobie/Erklärungsmodelle (3) Das psychodynamische PathogeneseModell von S.O. Hoffmann (2003): 1. „Die defizitäre Konzeption des des eigenen Selbst führt unmittelbar zu einer ausgeprägten Selbstunsicherheit, mittelbar stößt sie aber ungeeignete Kompensationsversuche an.“ (H.H., S. 106) 2. Der nachteiligste Kompensationsversuch: eine unbewusste Überhöhung der Selbstsicht, die nach außen projiziert wird. Die soziale Umwelt stellt nun vermeintlich höchste Ansprüche an ihn. 3. Entscheidende Bedeutung kommt dem Affekt der Scham zu. Alle sozialphobischen Vermeidungen seien von der Scham motiviert. 4. Wurde wenig Bindungssicherheit gewonnen, so muss notwendig auch die soziale Sicherheit beein226 trächtigt sein. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • Spezielle • Neurosenlehre: • Angsterkrankungen F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien / Symptomatik Alle auf eine konkrete Auslösesituation oder ein umschriebenes Auslöseobjekt gerichteten Ängste. Die häufigsten phobischen Angstauslöser sind: – – – – – Ängste vor Tieren, gehäuft vor Spinnen, Schlangen etc. Ängste vor Naturerscheinungen wie Höhensituationen, Dunkelheit und Gewitter, Feuer Ängste vor der Schule, vor Prüfungen, vor geschlossenen Räumen, vor dem Fliegen Ängste vor Arztbesuchen, vor Spritzen, vor Blut, vor Ansteckung 227 Ängste vor Krankheiten, vor allem Krebs, Hirntumoren, Aids, BSE, Multipler Sklerose Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • • Spezielle • Neurosenlehre: • • Angsterkrankungen F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien / Epidemiologie Nach H.H. liegt die Lebenszeitprävalenz bei über 10% In den USA wurde eine 6-Monats-Prävalenzrate von 4,5% bis 11,8% für spezifische Phobien ermittelt. Traditionell überwiegen Frauen. Beginn der spezifischen Phobien: – – – • Beginn von Tierphobien und von Dunkelängsten meist im Kindesalter, ebenso Ängste vor Ärzten, Zahnärzten Beginn der Schulängste naturgemäß im Schulalter. Ansonsten variiert das Ersterkrankungsalter. Verlauf der Störung: – Alle Spezifischen Phobien haben, wenn sie das Erwachsenenalter erreichen, eine ausgeprägte Tendenz zur Persistenz.. 228 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien / Psychodynamik und Pathogenese • • • Vgl. die Ausführungen zur Agoraphobie „Für die Entstehung verschiedner Angststörungen ist gesichert, dass ängstliche Eltern die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Ängsten bei ihrem Nachwuchs erhöhen.“ Bei den Spezifischen Phobien sind eine Reihe von Angstauslösern natürlich bzw. evolutionär begründbar. Dazu gehören die Ängste vor Dunkelheit, oder vor der Höhe oder Ängste vor unbekannten, möglicherweise gefährlichen Tieren. … Offenbar sind bestimmte Reize sehr viel geeigneter als andere , die phobische Dynamik in Gang zu setzen. Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • 229 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien / Psychodynamik und Pathogenese (2) • Bei der Mehrzahl der Arzt-, Blut- oder Ansteckungsphobien handelt es sich nach H.H. um die Angst, sterben zu müssen, nicht notwendig um Konditionierungen in der Kindheit. Bei den Krankheitsphobikern wird die Angst vor dem Tod unablässig antizipiert. Hinter der manifesten Schulphobie findet sich eine sehr unterschiedliche Psychodynamik: • – A) Der Schulphobiker fürchtet nicht eigentlich die Schule, sondern hat Angst, das Elternhaus, die Mutter zu verlassen; er hat also mehr eine Trennungsphobie (vgl. Bowlby) – B) Die Schulverweigerer haben hingegen mehr Ängste vor der Schule, die aber oft hinter mangelnder Motivation verborgen werden, was weniger beschämend ist. 230 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 41 Andere Angststörungen • F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – Symptomatik (nach ICD 10) • Wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb nicht vorhersehbar sind. Typisch ist ein plötzlicher Beginn mit Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühlen, Schwindel und Entfremdungsgefühlen. Häufig sekundär dann die Angst zu sterben, vor Kontrollverlust oder die Angst, wahnsinnig zu werden. Die Anfälle dauern meist nur Minuten. Die Patienten erleben meist ein Crescendo der Ängste und vegetativen Symptome. Sekundär können sich gerichtete Ängste vor dem Alleinsein oder Agoraphobien herausbilden. Einer Panikattacke folgt meist die ständige Furcht vor 231 einer erneuten Attacke (Erwartungsangst). • • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • Spezielle Neurosen• lehre: • Angsterkrankungen • F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – Epidemiologie und Verlauf Die Prävalenz liegt bei 1% bis 3% der Bevölkerung. H.H. sprechen von einer „gewissen spontanen Remissionsrate“, wenn mit dem ersten Angstanfall einigermaßen gelassen umgegangen werden konnte. „Je stärker die >Angst vor der Angst< das Leben der Patienten beherrscht, desto eher neigen sie zu Chronifizierungen und zum Übergang in phobische, vor allem agoraphobische Krankheitsbilder.“ (H.H., S. 89). 232 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – Psychodynamik und Pathogenese • • Die Angst wird erst einmal als grundlos erlebt. Bei kooperativen Patienten wird jedoch ausnahmslos ein Auslöser der Angstattacke objektivierbar. Meist handelt es sich um flüchtige Impulse, Affekte (Ärger, Wut), Ideen, die wegen der subjektiven Bedrohlichkeit rasch unterdrückt werden. Von der Psa. beobachteter Zusammenhang von unterdrückten aggressiven Impulsen und Entstehen von Angstsymptomatik Im Sinne des Konfliktmodells hätte dann der Pat. lieber Angst als einen Konflikt mit seinem Gewissen, mit einem anderen Bild von sich oder mit äußerer Autorität. 233 • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • • F 41 Andere Angststörungen F 41.1 Generalisierte Angststörung – Symptomatik (nach ICD 10) • Generalisierte und anhaltende, frei flottierende Angst. Symptome unterschiedlich, aber meist einhergehend mit ständiger Nervosität, Zittern, Muskelspannung Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden. Häufig Befürchtungen, ein Angehöriger könnte erkranken oder verunglücken, oder gehäuft andere Sorgen und Vorahnungen Diese Störung ist häufiger bei Frauen anzutreffen, oft im Zusammenhang mit lang andauernden 234 Belastungen durch äußere Umstände. • • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • • • Spezielle Neurosen• lehre: Angst• erkrankungen • • • • F 41 Andere Angststörungen F 41.1 Generalisierte Angststörung – Epidemiologie und Verlauf Die Prävalenz der Generalisierten Angststörung liegt bei 2,5% bis 5% der Bevölkerung. Spontane Remissionsrate geringer als bei der Panikstörung Frauen überwiegen deutlich Beginn eher schleichend Krankheitsbild nicht so dramatisch, aber dennoch schwer und meist chronisch verlaufend Im Alter oftmals eine spontane Milderung 235 der Symptomatik Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 5. Sitzung • F 41.1 Generalisierte Angststörung – Psychodynamik und Pathogenese • • Aus psychodynamischer Sicht liegt der Generalisierten Angststörung eine psychische Schädigung des Patienten in seiner Entwicklung zugrunde und evtl. zusätzlich eine neurophysiologische Vulnerabilität aufgrund einer angeborenen neurophysiologischen Erregbarkeit. Im Sinne des Defizitmodells erlaubten die Entwicklungsbedingungen dem Patienten nicht, eine hinreichend stabile Persönlichkeit mit wirksamen Angsbewältigungsmechanismen herauszubilden. Stattdessen erlebt der Pat. immer wieder seine innere „Brüchigkeit“, seine Ich-Schwäche als bedrohlich und ängstigend. Da die Angst nur unzureichend abgewehrt werden kann – eben wegen der vorhandenen IchSchwäche – kommt es zum mehr oder weniger starken Durchbruch der Angst als Symptom. 236 Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • Definitionen: Der psychiatrische Begriff „Zwang“ ist erstmals 1877 von Westphal eingeführt worden mit der Definition „Formaler Denkzwang, dessen Inhalt oder Gegenstand als widersinnig vom Patienten erkannt werden muss“. 237 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • Definitionen: Nach K. Schneider kann von einem Zwang gesprochen werden, wenn der Betroffene sich von einem „Bewusstseinsinhalt nicht lösen kann, obschon er ihn gleichzeitig als inhaltlich unsinnig oder wenigstens ohne Grund beherrschend oder beharrlich beurteilt“. Das subjektiv erlebte Zwangsgefühl ist also trotz voller Einsicht in seine Unsinnigkeit nicht unterdrückbar. 238 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • Definitionen: Zwang kann unter den verschiedensten Verhältnissen auftreten, in der Neurose wie in der Psychose, in funktionellen wie in hirnorganischen Zuständen, in der Schizophrenie wie in der endogenen Depression. Hier soll es zentral um den Zwang als im Kranken vorherrschendes neurotisches Symptom gehen, also um die Zwangsneurose. 239 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • • Definitionen: Für eine Definition der Zwangsneurose lassen sich 5 Aspekte anführen (Stekel 1930): Der Zwangskranke wird von Vorstellungen verfolgt, die ihm fremd erscheinen; er wird von einer inneren Stimme zu Handlungen gezwungen, die er als unsinnig (alogisch) beurteilt. Er empfindet eine Art Spaltung seiner Persönlichkeit, den Kampf zwischen „Ich“ 240 und „Gegen-Ich“. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • • Definitionen: Zwangshandlungen werden durch die „Todes- und Unheilsklausel“ durchgesetzt. Die Unterlassung der Zwangshandlung führt den Tod, die Erkrankung oder den Unfall eines dem Kranken nahestehenden Objekts herbei. Der Kranke hat den direkten Glauben an die Allmacht seiner Gedanken. 241 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • • Definitionen: Die Zwangshandlungen sind zu einem System ausgebaut. Neben dem Zwang besteht ein mächtiger Affekt des Zweifels, der sich auf die Ausführung der Zwangshandlung bezieht. Jeder Zwang ist mit einem Gegenzwang verbunden. 242 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • • • Epidemiologie: Der Anteil in der psychotherapeutischen Praxis liegt bei unter 5%. Die Gesamtmorbidität in der Bevölkerung ist sogar mit nur 0,05% hochgerechnet worden. Zwangshandlungen und Zwangsgedanken treten in den meisten Fällen gemeinsam auf. In 25% der Fälle klagen die Patienten allein über Zwangsgedanken. (vgl. Reinecker, 2003) 243 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • Epidemiologie: • Während man früher davon ausging, dass Männer häufiger betroffen sind (Hysterie bei Frauen; Zwang bei Männern), zeigen neuere Arbeiten, dass der Zwang bei Männern und Frauen gleich verteilt ist. Dabei fällt jedoch auf, dass Frauen eher an Waschzwängen und Männer an Kontrollzwängen erkranken. Bei Männern beginnt die Symptomatik durchschnittlich mit 20 Jahren, bei Frauen mit etwa 25 Jahren. 244 • • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • Symptomatik: • 1. Denkstörungen - formal und inhaltlich: unablässiges Grübeln, ständiges Wiederholen der gleichen Abläufe, Weitschweifigkeit, Verlust des Blicks für das Wesentliche, Verschiebung aufs Kleinste. Inhaltlich stehen starke Zweifel im Vordergrund und/oder eine Idee bildet das Zentrum des Denkens. Das Denken ist oft auf einer magischen Ebene angesiedelt. Den Gedanken wird eine magische Allmacht zugesprochen: ein falscher Gedanke kann töten, der Gedanke steht vielleicht schon für die Tat. 245 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • Symptomatik: 2. Zwangsantriebe, Zwangsimpulse, Zwangseinfälle: einschießende Vorstellungen meist aggressiven oder sexuellen Inhalts. Es sind dies als dranghaft erlebte Gedanken und Gefühle, einen anderen angreifen, verletzen, ermorden, anspucken, anurinieren, ansprechen, anschreien, anstarren, unsittlich anfassen, vergewaltigen usw. zu müssen. 246 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • Symptomatik: 3. Zwangshandlungen: Magische Rituale sollen das Böse bannen. Kontrollzwänge sollen Gefahren, schlimme Geschehnisse verhindern. Ordnungszwänge sollen äußerlich dem befürchteten (inneren) Chaos entgegenwirken. 247 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • Symptomatik: Charakteristisch für die Zwangsneurose ist, dass der Zwangsneurotiker sich intensiv, aber vergeblich gegen die einschießenden Gedanken, Phantasien, Impulse, Handlungen zur Wehr setzt; sie als ich-dyston, gleichwohl zur eigenen Person gehörig erlebt. 248 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose • • Symptomatik: Die Klassifizierung der Zwangsstörung in der ICD 10: – F 42.0 vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang – F 42.1 vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale) – F 42.2 Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, gemischt – F 42.8 andere Zwangsstörungen – F 42.9 nicht näher bezeichnete Zwangsstörung 249 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Pathogenese: Genetische Faktoren: Familiäre Häufungen und Zwillingsstudien sprechen dafür, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen. 250 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Pathogenese: Somatische Faktoren: Für die Beteiligung von somatischen Faktoren „sprechen höhere Raten von Zwangsstörungen bei einer Subgruppe von Patienten, die an einem rheumatischen Fieber oder an einer Sydenham-Chorea erkrankten. Bei dieser Subgruppe von Zwangsstörungen wird im Kindesalter eine immunologische Genese angenommen. 251 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Pathogenese: Somatische Faktoren: „Für einen neurobiologischen Kofaktor im Erwachsenenalter spricht die Tatsache, dass insbesondere Schwangerschaft und Geburt häufige Auslösefaktoren von Zwangsstörungen sind. Anatomische Veränderungen im Bereich kortikostriataler Hirnregionen weisen auf mögliche neuroanatomische Faktoren hin.“ (H.H., S. 156). 252 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Pathogenese: Somatische Faktoren: Außerdem „müssen auch Störungen im Bereich verschiedener Neurotransmittersysteme (insbesondere des Serotoninstoffwechsels) angenommen werden, wofür auch die Wirksamkeit der selektiven SerotoninWiederaufnahmehemmer spricht.“ (H.H., S. 156). 253 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Psychogenese: Die Zwangssymptomatik entwickelt sich meist aus Konflikten, die innerpsychisch durch die Virulenz analerotischer und anal-sadistischer (antisoziale, motorisch-destruktive) Wünsche entstehen. Mitunter sind auch - vermischt - genitale Strebungen beteiligt. Die spezifische Dynamik wird als ein regressives Ausweichen vor den ödipalen Konflikten aufgefasst. 254 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Psychogenese: Tendenziell: Im Gegensatz zur hysterischen Neurose ist der Kern des zwangsneurotischen Symptoms die auf einen Triebimpuls zurückgehende bewusste Zwangsvorstellung. 255 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Psychogenese: Der Zwangsneurotiker weist regelhaft ein sehr strenges ÜberIch auf. Den als antisozial erlebten Triebwünschen steht die Hypermoralität des Gewissens gegenüber. Die kreativen Möglichkeiten des Ichs zur Konfliktlösung sind eingeschränkt. Es ist so, als würden Es- und Über-Ich-Inhalte quasi kurzgeschlossen. 256 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Psychodynamik und Psychogenese: Vorherrschende Abwehrmechanismen sind: Reaktionsbildung, Regression, Isolierung, Ungeschehen-machen, Intellektualisierung. Affektiv erlebt der Zwangsneurotiker meist Ambivalenz, wodurch der Zugang, der Übergang zum Handeln oft verstellt ist. Außerdem vermag das Ich nicht sicher genug zu unterscheiden zwischen Vorstellung und Handlung (vgl. magisches Denken). 257 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Zur Psychogenese: Im Familienmilieu Häufung von zwanghaften Personen. "Insgesamt bestehen strenge, rigide legalistische, sachbezogene, teilweise aggressive oder auch willkürliche Entwicklungsbedingungen. Spontaneität, Eigenwille, lebhafte Motorik und Aggressivität müssen früh unterdrückt und mit Angst- und Schamgefühlen abgewehrt werden. 258 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Zur Psychogenese: Der äußere Zwang wird so zu einem inneren. Statt einem Autonomiegefühl entstehen im Kind Scham und Zweifel (Erikson)." Quint: "Beim Zwangsneurotiker fehlt eine ausreichend positive Beurteilung des ausprobierenden Handels". Eine biogenetisch mitbedingte Verursachung der Zwangsneurose ist wahrscheinlich. 259 Ergänzungsreihe. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Zugrunde liegende Persönlichkeit: Häufig der sog. Zwangscharakter, der sich durch Pedanterie, Rigidität und Enge im Denken auszeichnet. Starkes Bedürfnis nach Ordnung und Sauberkeit, auch im moralischen Bereich. 260 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Zugrunde liegende Persönlichkeit: Als weitere Persönlichkeitszüge imponieren oft: Ängstlichkeit, Unzulänglichkeitsgefühle, Skrupulösität, Entschlussunfähigkeit, peinliche Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit, Unfähigkeit, das Unwesentliche zu vernachlässigen, latent aggressive, evtl. "stänkernde", querulatorische Haltung. 261 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose Zugrunde liegende Persönlichkeit: Die dynamische Struktur des Zwangscharakters (in Anlehnung an Shapiro): • • • Emotionale Autarkie: "Ich brauche niemanden." Vermeidung echt autonomer Handlungen, um Fehler zu vermeiden. Gefühl des Getriebenseins: Dem Zwanghaften sitzt immer ein imaginärer Aufpasser im Nacken. Hoher Leistungsdruck - geringes Maß an Lustgefühlen. 262 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Angststörungen • • Klassifikation lt. ICD 10: F 40: Phobische Störungen – F 40.0: Agoraphobie – F 40.00: Agoraphobie ohne Panikstörung – F 40.01: Agoraphobie mit Panikstörung – F 40.1 Soziale Phobien – F 40.2: Spezifische (isolierte) Phobien – F 40.8: andere Angststörungen – F 40.9: nicht näher bezeichnete Angststörungen bzw. phobischer Zustand 263 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 6. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Angststörungen • Klassifikation lt. ICD 10: • F 41: Andere Angststörungen – – – F 41.0: Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) F 41.1: generalisierte Angststörung F 41.2: Angst und depressive Störung, gemischt • Dazugehöriger Begriff: leichte oder nicht anhaltende ängstliche Depression – – F 41.3: Andere gemischte Angststörungen F 41.8: Andere spezifische Angststörungen • Dazugehöriger Begriff: Angsthysterie – F 41.9: nicht näher bezeichnete Angststörung • Dazugehöriger Begriff: nicht näher bezeich264 nete Angst Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression 265 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Gliederung • Historisches • Diagnostische Merkmale • Klassifikation • Fallbeispiel • Psychodynamik • Behandlung • Diskussion 266 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Historisches • Bedeutung in Antike und Mittelalter: Depression = Melancholie • Seit Anfang des 20. Jahrhunderts: Bemühung um Systematisierung und Klassifikation, Definitionswandel 267 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Historisches • 1916 Erstveröffentlichung des Freud´schen Aufsatzes mit dem Titel: „Trauer und Melancholie“. • Hier wird der nicht krankhafte Zustand der Trauer dem Zustand der Melancholie gegenübergestellt. 268 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Historisches • „Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstwertgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert. Dies Bild wird unserem Verständnis näher gerückt, wenn wir erwägen, dass die Trauer dieselben Züge aufweist, bis auf einen einzigen; die Störung des Selbstwertgefühls fällt bei ihr weg. Sonst aber ist es dasselbe.“ 269 (Freud, S., 1916, GW VIII, S. 429) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Definition von „Depression“ gemäß Dorsch (1998) (modifiziert): Komplexer Begriff für vielfältige Symptomatik, die sich • emotional • kognitiv • motorisch • motivational und • vegetativ/somatisch äußert. 270 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998/2000): Äußerer Eindruck: Depressive wirken bedrückt, niedergeschlagen, traurig, resigniert; sprechen meist mit leiser, monotoner Stimme, das Gesicht ist oft verhärmt, „die niedergezogenen Mundwinkel und die reduzierte Mimik und Gestik bezeugen den Verlust an Vitalität und Lebensfreude“. Sie erscheinen oft vorgealtert; Körperhaltung gebeugt und kraftlos, Schultern hochgezogen, der Gang schwer, die Haut blass und welk, die Augen dunkel umrandet, der Blick verschleiert und müde. Die Körperbewegungen oft gehemmt und reduziert. Ihrer Umgebung gegenüber zeigen sie sich gleichgültig, teilnahmslos, mitunter verhalten sie sich aber auch missmutig und gereizt. 271 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998/2000): Psychische Symptomatik: Leitsymptom ist die traurige Verstimmung, verbunden mit Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit, gelegentlich stillem Vor-sich-hin-Weinen und einer Verzweiflung, die untröstbar ist. Manche schwer Depressive zeigen eine emotionale Versteinerung und Erstarrung, in der sie auch nicht weinen können. „Losigkeits-Symptome“: Freudlosigkeit, Lustlosigkeit, Energielosigkeit, Interesselosigkeit, Passivität und Apathie, mitunter auch innere Erregung und psychomotorische Unruhe. Mutlosigkeit, Verzagtheit, Resignation und Pessimismus sind sehr häufig anzutreffen. 272 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998/2000): Psychische Symptomatik (Fortsetzung): Konzentrationsstörungen mit Verlangsamung, Hemmung des Denkens, „Leere im Kopf“, Tendenz zum zirkulären, unproduktiven Grübeln. „Sie neigen dazu, Probleme überzubewerten und die eigene Person, die umgebende Welt und die Zukunft nur noch negativ zu sehen.“ (Will) Daraus resultieren nicht selten die depressive Entscheidungsunfähigkeit und Entschlusslosigkeit. Störungen des Selbstwertgefühls und Minderwertigkeitsgefühle, negative Selbsteinschätzung bis hin zum Kleinheits- oder Schuldwahn. Angstempfindungen in Form von Verlust-, VersagensVerarmungs-, Scham- und Schuldängsten treten häufig 273 auf. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998/2000): Psychische Symptomatik (Fortsetzung): In den Beziehungen zu anderen Menschen ziehen sich die Depressiven meist zurück oder verhalten sich außerordentlich anklammernd, was oft weitere Enttäuschungen verursacht. Ihre Gefühlsverarmung und die Konzentration auf die eigene Befindlichkeit beeinträchtigt den Kontakt, ebenso der drängende Wunsch nach Zuwendung, Fürsorge und liebevoller Bestätigung. Bewusste Schuldgefühle sind häufig und nur schwer korrigierbar, auch wenn sie für einen äußeren Beobachter nicht begründet erscheinen. Bei schweren Depressionen können die Patienten auch von Wahnideen und paranoiden Fehldeutungen erfasst 274 oder von hypochondrischen Überzeugungen beherrscht sein. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998/2000): Körperliche Symptomatik: Die Beschwerden werden oft diffus und wenig konkret geschildert. Vegetative Störungen und Missempfindungen: Kopfschmerzen, z.T. beschrieben als Helm- und Reifengefühl. Unspezifische Störungen des Sehens, Globusoder Würgegefühl im Hals, Druckgefühl auf den Ohren oder Ohrgeräusche, Verminderung des Hörvermögens oder Geräuschempfindlichkeit. Enge im Brustkorb (Reifengefühl), Atemenge, flache und unregelmäßige Atmung, Nicht-durchatmen-Können, Schmerzen in der Herzgegend, Herzjagen oder „Herzstolpern“, Kreislaufregulationsstörungen, Blutdruck- 275 schwankungen. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998/2000): Körperliche Symptomatik (Fortsetzung): Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden mit Übelkeit, Magendruck, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung; Störungen der Blasenfunktion mit Miaaempfindungen, Schmerzen und häufigem Harndrang. Häufig sind Muskelverspannungen im Schulter-Nacken-Armbereich, Rücken- und Nackenschmerzen, diffuse Gelenk- und Muskelschmerzen (evtl. larvierte Depression!). Störungen der Haut und der Schleimhäute: Zungenbrennen, trockene Schleimhäute in Nase und Mund, diffuser Juckreiz, trockene, blasse, eingefallene Haut, müder Gesichtsausdruck, tiefliegende verschattete Augen, glanzloses Haar bis hin zum Haarausfall. 276 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998/2000): Körperliche Symptomatik (Fortsetzung): Depressive klagen häufig über Ein- und Durchschlafstörungen, über Appetitverlust und in der Folge Gewichtsverlust. Das sexuelle Verlangen lässt meist nach, die Potenz vermindert sich und es kann zu Menstruationsstörungen und Schmerzen beim Verkehr kommen. Weitere vegetative Funktionsstörungen: Hitzewallungen, Kälteschauer, Zittern und erhöhte Temperaturempfindlichkeit. 277 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Nosologische Einordnung – Somatogene Depressionen • organische Depression • symptomatische Depression – Endogene Depressionen • schizophrene Depression • zyklische Depression • periodische Depression • Spätdepression – Psychogene Depressionen • neurotische Depression • Erschöpfungsdepression • Reaktive Depression 278 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Klassifikation nach ICD 10 Affektive Störungen • • • • F30 F31 F32 F33 manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen • F34 anhaltende affektive Störung • F38 sonstige affektive Störungen 279 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung Klassifikation nach ICD 10 • – F32 einmalige depressive Episode – F33 rezidiv. depressive Phasen; keine manischen Phasen; zwischen den Episoden i.d.R. vollständige Remission; mehrere Monate ohne eindeutig affektive Symptomatik – F34 Dysthymia zusammenhängende Perioden mit gutem Befinden, dann monatelange Müdigkeit; Alltag wird bewältigt • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression - Zyklothymia andauernde Instabilität der Stimmung, zahlreiche Perioden mit leichter Depression und leicht gehobener Stimmung 280 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostik nach ICD 10 – Mindestdauer zwei Wochen – mind. zwei Leitsymptome: • depressive/gedrückte Stimmung • Verlust von Interesse/Freude • erhöhte Ermüdbarkeit – mind. 2-3 der weiteren Symptome 281 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Diagnostik nach ICD 10 – mind. 2-3 der weiteren Symptome: • verminderte Konzentration/ Aufmerksamkeit • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen • Schuldgefühle/Gefühle von Wertlosigkeit • negative/pessimistische Zukunftsperspektiven • Suizidgedanken, Selbstverletzung, Suizidhandlung • Schlafstörungen • verminderter Appetit • zirkadiane Schwankungen 282 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Psychotische vs. Neurotische Depression • Verdachtsmomente für eine psychotische Depression • wahnhaftes Erleben • starke Vitalisierung • Tages- und Jahresrhythmen • häufig plötzlicher Beginn • rezidivierende Phasen • familiäre Häufung 283 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Psychotische vs. Neurotische Depression • Verdachtsmomente für eine neurotische Depression • schwache Vitalisierung • gewöhnlich kein zyklischer Verlauf • schleichender Beginn • keine klaren Phasen • keine auffällige familiäre Häufung 284 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Prävalenz (Vorkommen) • Lebenszeitprävalenz: 12-17% • Punktprävalenz in Bezug auf die Weltbevölkerung: 2-7% • Prävalenz der Altersdepression (> 65 J.): 15-25% 285 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Prävalenz (Vorkommen) • Depressionen = 10 -20% der neurotischen Erkrankungen • („neurotische“ Depression v.a. im dritten und vierten Lebensjahrzehnt; „psychotische“ Depression v.a. im fünften und sechsten Lebensjahrzehnt) • Frauen häufiger von Depressionen betroffen als Männer 286 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Ätiologie und Psychogenese Spezielle • Sigmund FREUD (1916): früher ObjektNeurosenverlust, Introjektion des ambivalent besetzten lehre: Liebesobjekts, Selbstgefühlsminderung Die • Karl ABRAHAM (1924): das Modell der Depression „bösen Mutter“: schwere Liebesenttäuschung an der Mutter, kindliche Urverstimmung, Wiederbeleben der Urverstimmung in der Erwachsenendepression • E. BIBRING (1954): Selbstwertverlust nicht nur durch Frustration bzw. Objektverlust, sondern auch Enttäuschung narzißtischer Bedürfnisse 287 (anale, phallische) Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Ätiologie und Psychogenese Spezielle • E. JACOBSON (1953/1971): NeurosenSelbstwertgefühlsverlust erklärt sich durch lehre: bestimmte Energieverteilungs- und insbesondere strukturelle Störungen der SelbstDie repräsentanz bzw. des Über-Ich (archaisch) Depression und des Ich-Ideals (zu hoch). • M. KLEIN: (Depressive Position (als universales Stadium bzw. Zustand). Melancholie: keine gelungene Internalisation des guten Objekts. Aggressionshemmung (Angst, das gute Objekt zu verlieren). 288 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Ätiologie und Psychogenese Spezielle • H. KOHUT: Mangelhafte Spiegelung, keine Neurosenbejahende freudige Reaktion auf die lehre: Existenz des Kindes = „leere“ Depression. Die Mangelhafte Teilhabe an Ruhe und Sicherheit eines idealisierten Erwachsenen Depression = Schulddepression. • A. Green (1983): das Modell der „toten“ Mutter • St. Mentzos: das 3-Säulen-Modell 289 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Ätiologie und Psychogenese Spezielle Neurosen- • Lerntheoretische ätiologische Modelle lehre: • M. SELIGMAN: erlernte Hilflosigkeit Die Depression • A. BECK: kognitive, pessimistische Grundkonzepte, depressiver Affekt sekundär, Therapie durch kognitive Korrektur 290 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach E. Bibring (1952): Neurosen– Voraussetzung: lehre: • erhöhte Verletzbarkeit des SelbstDie wertgefühls Depression – auslösende Situation: • narzißtische Kränkung – Bedingungen: • Ich-Hemmung • Absinken der Selbstachtung • Hilflosigkeit 291 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach E. Bibring: Neurosen– Hilflosigkeit entsteht durch Versagung lehre: gegenüber den „Urwünschen“: Die • Wunsch/Bedürfnis geliebt zu werden (emotionale Annahme) Depression • Wunsch, stark zu sein (narzißtische Annahme) • Wunsch, gut zu sein (moralische Annahme) – aus der Kluft zwischen Wünschen/ Ansprüchen und Selbsteinschätzung entsteht depressive Verstimmung 292 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach E. Bibring: Neurosen– Interaktion der psychodynamischen lehre: Elemente: Die • Unbewusste Verlustphantasien Depression • Ausgeprägte Abhängigkeitsbeziehungen • • • • • Unbewusste Größenphantasien Entstehung aggressiver Affekte Rigide Gewissensbildung Wendung der Aggression gegen das Selbst Erhöhte Verletzbarkeit des Selbstwertgefühls 293 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Der depressive Grundkonflikt basiert Neurosennach Will (2000) auf der lehre: • Unverträglichkeit zweier Wünsche: Die – einerseits dem Liebesobjekt nah Depression sein wollen bis zur Verschmelzung, – andererseits eine Wut (und eine Gier) ausleben zu wollen, die bis zur Zerstörung des Objekts oder seiner selbst gehen könnte. (a.a.O., S. 88) 294 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle Als Ursache und zugleich Folge dieses depressiven Neurosen- Grundkonflikts treten in Erscheinung: lehre: – Orale Konflikte und Regressionen: Orale Wünsche nach Versorgung und Geborgenheit führen zu Die starker Abhängigkeit der Depressiven vom Objekt. Die oralen Depression Wünsche sind dabei voller Gier (versteckt oder offen), über- mäßig und unerfüllbar, da sie die die ursprünglich erlebte Leere und den Mangel überdecken müssen.“ (S. 89) – Selbstwertkonflikte: chronische Differenz zwischen einem überhöhten Ich-Ideal und einem entwerteten Selbstbild – Überich- und Schuldkonflkte: „Die überaus strengen Forderungen, Gebote und Verbote des depressiven Gewissens äußern sich in einer Selbstkritik, die 295sich mit Härte gegen das Ich entfaltet. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 7. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach St. Mentzos: Neurosen– Herabsetzung des Selbstwertlehre: gefühls nimmt zentrale Stellung in Die den Theorien zur Psychodynamik Depression der Depression ein => Theorie zur Regulation des Selbstwertgefühls („Dreifuß-/Dreisäulenmodell“) 296 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Psychodynamik bei Depressiven Selbstwertregulation • 8. Sitzung I. Säule nach Mentzos II. Säule • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression III. Säule • Externe Stärkung durch Anerkennung Stärkung durch Identifikation Externe Stärkung durch Spiegelung 297 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin 8. Sitzung • Spezielle NeurosenLehre: • Die Depression Neurosenlehre Psychodynamik bei Depressiven Selbstwertregulation Externe Stärkung durch Anerkennung Leitbilder Frühe Elternimagines Symbiose Stärkung durch Identifikation Größenphantasien GrößenSelbst I. Säule Archaische s Überich III. Säule Ödipales Überich Reifes IdealSelbst II. Säule Reifes Idealobjekt Reifes Gewissen nach Mentzos, 1995 Externe Stärkung durch Spiegelung 298 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 8. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach St. Mentzos: Neurosen– Beeinträchtigung der lehre: Selbstwertregulation: Die • Säule 1: narzißtische Zufuhr von einem Depression realen Objekt wird verringert oder entfällt • Säule 2: Objektverlust, Trennung, Enttäuschung über das idealisierte Objekt • Säule 3: Verunsicherung durch Kritik/ Strafe wegen nicht erbrachter Leistungen 299 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 8. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach St. Mentzos: Neurosen– Regressive Aktivierung hat zur lehre: Folge bei Die • Säule 1: Manie Depression • Säule 2: Abhängigkeitsdepression • Säule 3: Schulddepression • Säulen 1/2/3: „leere Depression“ 300 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 8. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach St. Mentzos: Neurosen• Depressiver Affekt lehre: – Ursachen: Die • schwerer realer Verlust oder Kränkung Depression • unlösbar erscheinende Konflikte • psychophysische Erschöpfung • reale Hilfs- und Ausweglosigkeit – Wichtig: Depressiver Affekt entspricht nicht der klinischen Depression; entwickelt sich erst bei längerem Anhalten und zusätzlich auftretenden Mechanismen (häufig in Form von circuli vitiosi) 301 zur Depression. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 8. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach St. Mentzos: Neurosen• Drei psychische circuli vitiosi lehre: – Regressiver Rückzug von der äußeren Die Welt/ Realität -> Fehlen der narzißtischen Depression Zufuhr -> Auswirkung auf Säule 1 -> Überzeugung, nicht geliebt zu werden, verstärkt sich, da Korrektur von außen fehlt – Objektverlust/Trennung: es findet eine Introjektion des ambivalent besetzten Objekts statt -> Erhöhung des Konfliktpotentials -> Blockierung 302 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 8. Sitzung • • Psychodynamik bei Depressiven Spezielle • Psychodynamik nach St. Mentzos: Neurosen• Drei psychische circuli vitiosi lehre: – Rigides Über-Ich -> Hemmung der Die Frustrationsaggression -> ersatzlose Depression Verdrängung oder Autoaggression -> verstärkt auftretende aggressive Regungen -> immer größere Selbstunterwerfung und -bestrafung 303 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin 8. Sitzung • Spezielle NeurosenLehre: • Die Depression Neurosenlehre • Behandlungsansätze bei Depressiven Antidepressiva Psychotherapie Physiotherapie Lithium Depression Schlafentzug Elektrokrampftherapie 304 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 8. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre Die Depression Psychotherapie bei Depressiven Analyse neurotische Depression, Konflikteinsicht durch Entfaltung der Übertragung, Analyse der Übertragungs- und Gegenübertragungsmanifestationen, Aufdecken auch des Gegenwartsund des Vergangenheits-Unbewussten, Ziel: psychische Umstrukturierung Interpersonelle Therapie konkrete Beziehungsschwierigkeiten, Psychodynamik, Übertragung/Gegenübertragung, Bearbeitung der Vergangenheit nicht im Mittelpunkt 305 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre • 8. Sitzung • • Psychotherapie bei Depressiven Spezielle Neurosen- Verhaltenstherapie welche Verhaltensweisen beeinflussen lehre: Stimmung Die negativ, welche Aktivitäten können nicht mehr Depression erfolgen Kognitive Therapie Wahrnehmung, Veränderung depressiver Kognitionen Soziotherapie Umfeld, Rehabilitation, Wiedereingliederung 306 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Kognitive Psychotherapie bei Depressiven • 8. Sitzung • • Spezielle Neurosenlehre: Die Depression - Aufbau einer tragfähigen Beziehung kurzfristige, entlastende Maßnahmen Aufbau angenehmer, entlastender Aktivitäten Abbau von belastenden Aktivitäten und Strukturen Aufbau von sozialer Fertigkeit und Kontakten Veränderung einseitiger Wahrnehmung und Bewertungsmuster sowie Korrektur absolutistischer Grundüberzeugungen (Hautzinger, 1989) 307 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen im Rahmen der ICD 10: F 60 Spezif. Persönlichkeitsstörungen F 60.0 paranoide Persönlichkeitsstörung F 60.1 schizoide Persönlichkeitsstörung F 60.2 dissoziale Persönlichkeitsstörung F 60.3 emotional instabile Persönlichkeitsstörung F 60.30 impulsiver Typus F 60.31 Borderline-Typus F 60.4 histrionische Persönlichkeitsstörung F 60.5 anankastische Persönlichkeitsstörung F 60.6 ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung F 60.7 abhängige Persönlichkeitsstörung F 60.8 andere spezifische Persönlichkeitsstörungen F 60.9 nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung F 61 kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen F 61.0 kombinierte Persönlichkeitsstörungen F 61.1 störende Persönlichkeitsänderungen, nicht klassifizierbar in F 60 oder F 62 F 62 Andauernde Persönlichkeitsänderung, nicht Folge einer Schädigung oder Erkrankung des Gehirns F 62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung F 62.1 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Erkrankung 308 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen im Rahmen der ICD 10: F 60.3 F 60.30 emotional instabile Persönlichkeitsstörung impulsiver Typus Ö wesentliche Charakterzüge: emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle, insbesondere aggressive Durchbrüche häufig F Borderline-Typus 60.31 Ö einige Kennzeichen emotionaler Instabilität, oft das Selbstbild und die „inneren Präferenzen“ unklar und gestört; Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen; rezid. Krisen, u. U. mit Suiziddrohungen oder anderen autoaggressiven Impulshandlungen einhergehend. 309 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen Deskriptive Analyse Strukturelle Analyse Psychodynamik Ätiologie Therapeutische Ansätze Die folgenden Folien enthalten Exzerpte und Zusammenfassungen aus: Kernberg O. F., 1978, 1988; Kernberg u.a. 1993; Clarkin et al., 2001; RhodeDachser, 1982; Volkan, 1992 und aus weiterer angegebener Literatur 310 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen • Der Diagnostizierung einer BorderlinePersönlichkeit liegen zugrunde: • A) bestimmte typische Symptomkomplexe • B) eine typische Konstellation von Abwehrmechanismen • C) typische Störungen im Bereich der inneren Objektbeziehungen • D) charakteristische genetisch-dynamische Besonderheiten 311 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen • Zur Diagnostizierung einer BorderlinePersönlichkeit ist es erforderlich: • A) eine deskriptive Analyse • B) eine strukturelle Analyse des Patienten vorzunehmen 312 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen • die diagnostischen • Im Rahmen der Verdachtsmomente deskriptiven Analyse anhand der einer Borderlinevorhandenen Persönlichkeit gilt es: Symptomatik zu erfassen 313 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Der Nachweis von 2 – 3 der aufgeführten Symptome gilt als gewichtiger Hinweis auf eine möglicherweise Zugrunde liegende Borderline-Persönlichkeit: Symptome: 1. Angst (chronisch, diffus, frei flottierend) 2. Polysymptomatische Neurosen 3. Polymorph-perverse Tendenzen im Sexualverhalten 4. Impulsneurosen und Süchte 5. Primitive Selbstdestruktivität 314 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 2.: Polysymptomatische Neurosen a) Polyphobien b) Zwangssymptome c) Konversionsymptome (multiple, besonders ausgestaltete, bizarre K.s.) d) Dissoziative Reaktionen, insbesondere hysterische Dämmerzustände und Fuguezustände sowie Amnesien in Verbindung mit Bewusstseinsstörungen e) Hypochondrie f) Paranoide und hypochondrische Züge 315 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 3.: PolymorphPerverse Tendenzen im Sexualverhalten „Patienten mit einer manifesten sexuellen Deviation, in der sich verschiedenartige perverse Tendenzen kombinieren.“ ... Je chaotischer und vielgestaltiger die perversen Phantasien und Handlungen und je labiler die mit solchen Interaktionen verbundenen Objektbeziehungen sind, desto eher ist eine Borderline-Persönlichkeitsstruktur zu erwägen. Bizarre Perversionsformen, besonders wenn sie mit primitiven Aggressionsäußerungen oder auch mit einer Ersetzung genitaler durch urethrale und anale Triebziele (Urinieren, Defäzieren) einhergehen, erwecken ebenfalls den Verdacht auf das Vorliegen einer Borderline-Persönlichkeitsstruktur.“ (Kernberg, 1978, S. 28) 316 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 4.: Impulsneurosen und Süchte Hiermit sind „bestimmte Formen von schweren Charakterstörungen“ gemeint, „bei denen es chronisch immer wieder zu Impulsdurchbrüchen mit Befriedigung von Triebbedürfnissen kommt, und zwar mit der Besonderheit, dass diese Arten von Triebbefriedigung außerhalb der „triebhaften“ Episoden ich-dyston, während dieser Episoden aber ich-synton und sogar hochgradig lustvoll erlebt wird. Der Alkoholismus und andere Süchte, aber auch bestimmte Formen psychogener Fettsucht und Kleptomanie sind hierfür typische Beispiele. (Kernberg, 1978, S. 29) 317 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 5.: Primitive Selbstdestruktivität „Zu dieser Gruppe gehören unter anderem Patienten mit ausgeprägten selbstdestruktiven Zügen (die auch kein gut integriertes Über-Ich haben und auffallend wenig in der Lage sind, Schuldgefühle zu empfinden). Als typisches Beispiel hierfür sind Patienten anzuführen, die im Sinne einer unspezifischen Entlastung von Angstund Spannungsgefühlen sich selbst Schnittwunden oder sonstige Verletzungen zufügen oder die in einer Stimmung von großer Wut, aber ohne eigentliche Depression, impulshafte Suizidversuche unternehmen. (Kernberg, 1978, S. 38) 318 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Die strukturelle Analyse Die strukturelle Analyse basiert auf der Abklärung, inwiefern a) unspezifische Anzeichen von IchSchwäche b) primärprozesshafte Denkformen c) spezifische Anzeichen von IchSchwäche (wie sie durch das Überwiegen von primitiven Abwehrmechanismen repräsentiert werden) d) eine spezifische Störung der verinnerlichten Objektbeziehungen vorliegen. (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) 319 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 1. Mangelhafte Angsttoleranz 2. Mangelhafte Impulskontrolle 3. Mangelhaft entwickelte Sublimierungen 4. mangelhafte Differenzierung zwischen Selbst- und Objektrepräsentanzen (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) 320 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 1. Mangelhafte Angsttoleranz „Eine mangelhafte Angsttoleranz lässt sich daran ermessen, inwieweit jede Steigerung von Angst über das gewohnte Maß hinaus zu weiterer Symptombildung, alloplastischen Verhaltensweisen oder tieferer IchRegression führt. Ich möchte betonen, dass es hier nicht auf das Ausmaß der Angst an sich ankommt, sondern darauf, wie das Ich auf jede zusätzliche Angstbelastung reagiert.“ (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) 321 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 2. Mangelhafte Impulskontrolle „Charakterstörungen vom Typ des sog. >>triebhaften Charakters<< sind ein Beispiel für eine mangelhafte Impulskontrolle. Man muss hier jedoch unterscheiden zwischen einer unspezifischen, globalen Form und andererseits einem ganz umschriebenen und hochspezifischen >>Mangel an Impulskontrolle<<, wie er im Rahmen bestimmter charakterlicher Abwehrformationen vorkommt. …. (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) 322 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 2. Mangelhafte Impulskontrolle .... In solchen Fällen zeigt sich das Spezifische dieser Form von >>mangelhafter Impulskontrolle<< typischerweise an der Ichsynchronizität des betreffenden Triebimpulses im Moment des impulsiven Verhaltens, an der stereotypen Wiederkehr solcher episodischen Impulsdurchbrüche, am fehlenden emotionalen Kontakt zwischen dem impulsiven Persönlichkeitsanteil und dem sonstigen Selbsterleben des Patienten und schließlich an der blanken Verleugnung, mit der solche dissoziierten >>Durchbrüche<< nachher abgewehrt werden. (vgl. Kernberg, 1978, S. 42) 323 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 2. Mangelhafte Impulskontrolle „Etwas ganz anderes ist die unspezifische, globale Form mangelhafter Impulskontrolle, wie man sie typischerweise bei infantilen Persönlichkeiten findet. Sie erscheint hier in Form einer unberechenbaren, sprunghaften Impulsivität als unspezifische Reaktion auf jeden stärkeren Anstieg von Angst oder Triebspannungen gleich welcher Art.“ (Kernberg, 1978, S. 42) 324 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 3. Mangelhaft entwickelte Sublimierungen „Die mangelhafte Ausbildung von Sublimierungen ist wiederum schwer zu beurteilen, denn man muss hierzu unter anderem konstitutionell bedingte Fähigkeiten wie z.B. das Intelligenzniveau und besondere Fertigkeiten abschätzen und Begabungen gegen tatsächliche Leistungen abwägen. Auch die soziale Umwelt des Patienten ist in Rechnung zu stellen. (Kernberg, 1978, S. 42) 325 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 3. Mangelhaft entwickelte Sublimierungen „Kreative Genussfähigkeit und kreative Leistungsfähigkeit sind die beiden wichtigsten Aspekte der Sublimierungsfähigkeit: sie sind auch vielleicht die besten Indikatoren dafür, in welchem Ausmaß der Patient über eine konfliktfreie Ichsphäre verfügt, und daher ist umgekehrt ihr Fehlen ein wichtiger Indikator für eine Ichschwäche.“ (Kernberg, 1978, S. 43) 326 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad b): Primärprozesshafte Denkformen Primärprozesshafte Denkabläufe bei Borderline-Patienten zeigen sich seltener in Form von formalen Denkstörungen, sondern eher in Form von 1. Primitiven Phantasien 2. einer verminderten Fähigkeit zur Berücksichtigung der formalen Gegebenheiten des Testmaterials 3. der Verwendung formal auffälliger Formulierungen (vgl. Kernberg, 1978, S. 44) 327 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad c): Spezifische Anzeichen von Ich-Schwäche Spezifische Abwehrmechanismen auf dem Niveau der BorderlinePersönlichkeitsorganisation: Abwehr durch Teilung des Ichs – wobei ein Zustand, der ursprünglich schlicht Ausdruck mangelhafter Integration war, nun aktiv zu bestimmten Zwecken herbeigeführt wird –. 1. Mechanismus der Spaltung 2. Frühformen der Projektion, insbesondere die projektive Identifizierung. 3. Primitive Idealisierung 4. Grobe Verleugnung 5. Omnipotenz und Entwertung (vgl. Kernberg, 1978, S. 45) 328 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad d): Die spezifische Pathologie der verinnerlichten Objektbeziehungen - - Unfähigkeit zur Synthese der >>guten<< und der >>bösen/schlechten<< Introjektionen und Identifizierungen. Konsequenzen: a) mangelhafte Legierung libidinöser mit aggressiven Triebabkömmlingen, dadurch werden die Modulierung und Differenzierung der Affektdispositionen des Ichs erheblich beeinträchtigt. Daraus folgen: dauernde Neigung zu primitiven Affektausbrüchen und häufig eine mangelnde Fähigkeit zu echten Schuldgefühlen und tiefer Anteilnahme. b) schwerwiegendes Hindernis für die Überich-Integration. c) auch die Zusammensetzung des IchIdeals behindert die Überich-Integration. (vgl. Kernberg, 1978, S. 55) 329 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Ätiologie • Gespaltene Partial-Selbst- und Partial-Objekt-Repräsentanzen Part.-Selbst-Repr. - Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr.- Part.-Selbst-Repr. - Part.-Selbst-Repr.+ Part.-Objekt-Repr. + Part.-Objekt-Repr.+ Part.-Selbst-Repr. + 330 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Ätiologie • Gespaltene Partial-Selbst- und Partial-Objekt-Repräsentanzen, bei Dominanz negativ valenter Partial-Repräsentanzen Part.-Selbst-Repr. Part.-Selbst-Repr.+ Part.-Objekt-Repr. Part.-Objekt-Repr. + Part.-Objekt-Repr.Part.-Objekt-Repr.+ Part.-Selbst-Repr. - Part.-Selbst-Repr. + 331 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Ätiologie • Normale Organisation Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Selbst-Repr.+ + Part.-Selbst-Repr.- Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - 332 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Ätiologie Die wichtigsten ätiologischen Faktoren - ein Übermaß an primärer Aggression oder auch an sekundärer, frustrationsbedingter Aggression weitere pathogene Faktoren sind vermutlich auch bestimmte Entwicklungsdefekte der primären Ich-Apparate und eine mangelhafte Angsttoleranz (vgl. Kernberg, 1978, S. 57) 333 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Ätiologie Konsequenzen - Erstens wird durch die mangelhafte Legierung libidinöser mit aggressiven Triebabkömmlingen die normalerweise stattfindende Modulierung und Differenzierung der Affektdispositionen des Ichs erheblich beeinträchtigt, so dass eine dauernde Neigung zu primitiven Affektausbrüchen bestehen bleibt. (vgl. Kernberg, 1978, S. 57) 334 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Ätiologie Konsequenzen - Weiterhin kann auch die besondere Affektdisposition, die etwas mit der Ichfähigkeit, Depression, Anteilnahme, und Schuldgefühl zu empfinden, zu tun hat, gar nicht erlangt werden, solange positive und negative Introjektionen noch nicht zusammengekommen sind. ... Borderline-Patienten mangelt es oft an der Fähigkeit zu echten Schuldgefühlen und tiefer Anteilnahme gegenüber anderen Menschen. (vgl. Kernberg, 1978, S. 57) 335 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Ätiologie Alternative ätiologische Annahmen These von Abend et al.: - Die Spaltung im Erleben des Kleinkindes sei nicht Ausdruck der normalen Entwicklung, sondern stelle sich bereits als Folge einer pathologischen frühen Entwicklung dar. Kritik von Wurmser: - Mit der Akzentuierung des ich-strukturellen Defizits gehe die Gefahr einher, die Konflikthaftigkeit der Innenwelt von Borderline-Patienten nicht genau genug wahrzunehmen. Kritik und These von Fonagy, Target, Gergely und Jurist: - Die Disposition zur Herausbildung einer Borderline-Störung gehe darauf zurück, dass der Patient nicht die Möglichkeit hatte, sich hinreichend die Fähigkeit zur Mentalisierung anzueignen, sondern auf den sog. Äquivalenzmodus fixiert blieb.336 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Charakterzüge Typische Charakterzüge der Patienten mit BorderlinePersönlichkeitsstruktur - „Sobald sich eine Situation ergibt, aus der normalerweise eine tiefere zwischenmenschliche Beziehung entstehen könnte, zeigt sich die Unfähigkeit dieser Patienten zu wirklicher Einfühlung und echtem Mitgefühl, ihre unrealistisch verzerrte Wahrnehmung anderer Personen und die dem Selbstschutz dienende Flachheit ihrer emotionalen Beziehungen.“ (Kernberg, 1978, S. 58) 337 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Charakterzüge Typische Charakterzüge der Patienten mit BorderlinePersönlichkeits struktur - „Ein weiterer Wesenszug dieser Patienten betrifft die insgesamt stark mit Aggression durchsetzten prägenitalen und genitalen Triebziele, die in ihrem Verhalten mehr oder weniger subtil oder auch in primitiverer, direkterer Form zum Ausdruck kommen. Unverhüllte ausbeuterische Tendenzen, eine maßlose Ansprüchlichkeit und die rücksichtslose und taktlose Manipulation anderer Menschen sind nur einige der Züge, die sich leicht feststellen lassen. Die schon erwähnte Tendenz zur Entwertung der Objekte gehört ebenfalls dazu.“ (Kernberg, 1978, S. 59f.) 338 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Entwicklung psychotherapeutischer Techniken für die Behandlung von BorderlinePatienten Seit der Erstveröffentlichung des Buches ‘Borderline Conditions and pathological Narcissism‘, von Kernberg im Jahr 1975 wurde der psychodynamische Ansatz zur Behandlung von Borderline- und narzißtischen Persönlichkeiten stetig weiterentwickelt, wie sich dies in einer Unzahl an Literatur zu diesem Thema niederschlägt (s. Literaturverzeichnis). Später wurden die Behandlungskonzepte auch auf andere schwere Persönlichkeitsstörungen bezogen. Eine Autorengruppe um Kernberg hat sich in ihrer vorläufig letzten sehr detaillierten Darstellung der Behandlungsmethodik darum bemüht, ein Manual zur Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeit vorzulegen.339 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Prinzipien der übertragungsfokussierten Psychotherapie (Transference-Focused Psychotherapy, TFP) „Die Schwerpunkte und strategischen Prinzipien der übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP) basieren auf einem objektbeziehungstheoretischen, psychodynamischen Verständnis der Persönlichkeitsstörung .... .“340 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Das hier dargestellte Therapieverfahren ist primär darauf ausgerichtet, an den unreifen Abwehrmechanismen anzusetzen, wie sie für die Borderline-Störung charakteristisch sind.“ Es ist zu erwarten, dass „sich in der psychodynamischen Therapie eine spezifische Beziehung entwickelt, in der diese unreifen Abwehrmechanismen in ihrem vollen Ausmaß aktiviert werden. Der Therapeut versucht, diese Abwehr nicht zu unterdrücken, sondern sie dem Patienten verstehbar und in ihrer bisherigen Funktion bewusst zu machen.“ 341 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Das Hauptziel der TFP besteht darin, die typischen Muster in den internalisierten Objektbeziehungen bei Patienten mit einer BorderlinePersönlichkeitsorganisation zu verändern, die zu den wiederkehrenden fehlangepaßten Verhaltensweisen und den chronischen affektiven und kognitiven Störungen führen, die für diese Psychopathologie charakteristisch sind. … → 342 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Aus unserer Sicht beinhaltet eine tiefgreifende Veränderung der psychischen Grundstruktur auch eine Lockerung der fixierten internalisierten Objektbeziehungen und eine Integration der abgespaltenen Selbst- und Objektrepräsentanzen in ausgewogenere, reifere und flexiblere Vorstellungen von sich selbst und den anderen. ... Eine derartige Veränderung ... wird schrittweise erreicht, indem er (der Patient) in der therapeutischen Beziehung erlebt, wie ihn der Therapeut immer wieder unterstützt, sich seiner gespaltenen und polarisierten Selbst- und Objektrepräsentanzen bewusst zu werden, die für die Heftigkeit und das Chaos in seinem 343 subjektiven Erleben verantwortlich sind.“ ... Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Das grundlegende Konzept der psychodynamischen Therapie von Persönlichkeitsstörungen besteht darin, die Pathologie des Patienten als eine im „Hier-und-Jetzt“ stattfindende unbewusste Wiederholung pathogener, internalisierter Beziehungserfahrungen aus der Vergangenheit anzusehen. Unbewusste Konflikte der Vergangenheit, die als internalisierte Beziehungsmuster in der Psyche verankert sind, werden symbolisch immer wieder reinszeniert und vom Patienten als aktuelle Realität erlebt.“ 344 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Übertragungen … (sind) Wiederholungen von Objektbeziehungsmustern in der Gegenwart, die auf frühen internalisierten und in der psychischen Struktur niedergeschlagenen Erfahrungen – häufig in verzerrter Form – beruhen; die so entstandenen Strukturen bestimmen das gegenwärtige Erleben von Realität und Beziehungen des Betreffenden. Bei Borderline-Patienten enthalten die internalisierten Beziehungsmuster primitive Anteile und führen zu pathologischen Beziehungen zum Selbst und zu anderen Personen. Die pathologischen Muster entfalten sich in den Reaktionen des Patienten auf den Therapeuten und stellen die wichtigsten Mittel für das Verstehen und Intervenieren in der inneren Welt des Patienten dar.“ (S. 59) 345 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Die Therapieziele werden durch die drei folgenden strategischen Prinzipien erreicht: das Erkennen der dominanten Objektbeziehungsmuster des Patienten, wie sie sich in der Übertragungsbeziehung zwischen Therapeut und Patient darstellen die Analyse des Rollenwechsels (beispielsweise wenn der Pat. unbewusst zwischen der Opfer- und der Täterrolle hin und her wechselt.) die Integration positiver und negativer Sichtweisen von sich selbst (Opfer-Täter) und wichtigen Bezugspersonen. 346 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Die drei Grundbestandteile der Interventionstechnik … sind Klärung, Konfrontation und Deutung der Übertragungsbeziehung zwischen Therapeut und Patient im "Hier-und-Jetzt“.“ 347 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Klärung, Konfrontation, Deutung Klärung Ö besteht darin, dass der Therapeut das subjektive Erleben des Patienten mit seinen unklaren oder verwirrenden Anteilen so lange bespricht, bis entweder der Patient sich verwirrt fühlt, weil ein Widerspruch zutage getreten ist, oder aber beide, Therapeut und Patient, genau verstanden haben, was besprochen wurde. 348 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Klärung, Konfrontation, Deutung Konfrontation Ö bedeutet, dass der Therapeut zuvor geklärte Informationen, die einander widersprechen, in Konflikt miteinander stehen oder keinen Sinn ergeben, zusammenträgt und den Patienten dann taktvoll mit diesem Material konfrontiert. Vor allem in den frühen und mittleren Phasen der Therapie werden die Schritte Klärung und Konfrontation vor den Deutungen den Vorrang haben. 349 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Klärung, Konfrontation, Deutung Deuten Ö heißt in diesem Therapieverfahren in erster Linie, Objektbeziehungen bewusst zu machen, die unbewusst erlebt werden und sich entweder im Agieren oder in körperlichen Symptomen äußern. Der Deutungsprozess Ö besteht schließlich darin, klare Hypothesen zu den beobachteten Widersprüchen und Gegensätzen aufzustellen, so dass 350 diese verstehbar werden. Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Grundprinzip der psychodynamischen Therapie Ö von einer Position der technischen Neutralität aus zu intervenieren. – – „Technische Neutralität ist unentbehrlich in der TFP, weil diese Position es dem Therapeuten erlaubt, alle an den Konflikten des Patienten beteiligten Kräfte zu beobachten, zu verstehen und die Interaktion zwischen ihnen zu analysieren. Beibehalten der technischen Neutralität bedeutet nicht, mit dem Patienten oberflächlich und emotionslos umzugehen.“ 351 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Schritte in der Formulierung von Deutungen a) Erkennen und Benennen der aktuell aktivierten Objektbeziehung. b) Klärung, wer innerhalb der Dyade zu welchem Zeitpunkt gerade welche Position einnimmt. c) Integration der voneinander abgespaltenen Rollen in der Übertragungssituation. 352 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Prinzipien zum Erreichen therapeutischer Ziele Der Patient bestimmt den Inhalt der Stunde. Der Therapeut fokussiert die Themen, bei denen der Affekt des Patienten am intensivsten ist. Auf das Material achten, das direkt oder indirekt auf den Therapeuten Bezug nimmt, „da sich der Affekt des Pat. oftmals auf das Hier-und-Jetzt“ in der Therapie bezieht. 353Ö Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Prinzipien zum Erreichen therapeutischer Ziele „In der frühen Phase der Therapie eines Borderline-Patienten ist es - ... – typisch, dass der Patient verbal die am wenigsten wichtige Information übermittelt und dass sich die tieferen, die bedeutsameren und vorwiegend unbewussten Informationen durch sein Verhalten und in der Gegenübertragung des Therapeuten mitteilen.“ Registrieren, welcher der drei Informationskanäle am stärksten affektiv besetzt ist. Ö 354 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Prinzipien zum Erreichen therapeutischer Ziele „Während Übertragung und Gegenübertragung bei Borderline-Patienten in der Regel rasch wechseln, muss der Therapeut neben den sich ständig verändernden Gegenübertragungsgefühlen auch seine anhaltende Gegenübertragungsdisposition prüfen.“ „Bei Borderline-Patienten besteht ein recht hohes Risiko eines gefährlichen Gegenübertragungsagierens. ... „Der Therapeut läuft vor allem Gefahr, projizierte Aggression in Handlung umzusetzen, indem er bei Verhaltensweisen des Patienten, die gefährdend für die Therapie sind, „mitspielt“ oder sie nicht 355 konfrontiert.“ Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategische Prinzipien der Behandlung in Grundzügen Ziel der TFP ist es, Patienten mit BorderlinePersönlichkeitsorganisation zu helfen, mehrdimensionale, zusammenhängende und integrierte Bilder von sich und anderen zu entwickeln. ... Der Therapeut zeigt dem Patienten hierzu die jeweils aktivierten TeilSelbst- und Teil-Objektbilder und die Abwehrmechanismen auf, die deren Aufrechterhaltung als nicht integrierte Fragmente vollständiger Selbst- und Objektrepräsentanzen dienen. 356 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 1: Definieren der dominanten Objektbeziehungen ¾ Schritt 1: Erleben der Verwirrung Ö häufig schon in der ersten Stunde beunruhigende, gespannte, bedrohliche oder konfuse Atmosphäre. Die Verwirrung verstärkt im Therapeuten das Gefühl von Hilflosigkeit. Der Therapeut sollte die Verwirrung unvoreingenommen auf sich wirken lassen und sollte aufmerksam auf die spezifische Qualität der in ihm ausgelösten Gefühle achten (Gegenübertragung) achten, da sie ihm als wichtiger Hinweis auf einen derzeit im Patienten aktiven gleichartigen oder komplementären Gefühlszustand dienen kann. 357 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 1: Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 2: Erkennen der dominanten Objektbeziehungen Rückschlüsse über die internalisierten Objekte können lediglich aus den wiederhergestellten Interaktionsmustern des Patienten in seinen Beziehungen zu anderen Personen, insbesondere zum Therapeuten, gezogen werden. ... Indem der Therapeut sich die Rollen verdeutlicht, die der Patient gerade einnimmt bzw. dem Therapeuten zuschreibt, kann er ein lebendiges Bild der Repräsentanzenwelt des Patienten gewinnen. 358 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 1: Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 3: Benennen der Akteure Deuten dann, wenn der Patient noch emotional beteiligt, die Intensität des Affekts aber im Abnehmen begriffen ist. „Der Therapeut sollte den Prozess so genau wie möglich beschreiben und Details erfassen, welche die Individualität des Patienten widerspiegeln.“ Metaphern bieten oft eine schöne Möglichkeit der Verdichtung, um die Komplexität von Selbst- und Objektvorstellungen zu erfassen. ….“ 359 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 1: Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 4: Beobachten der Reaktion des Patienten Nach Benennen der aktivierten Teil-Selbst- bzw. Teil-Objekt-Dyade aufmerksam die Reaktionen des Patienten beobachten! Mögliche Varianten: a) Die beschriebene Selbst-Objekt-Interaktion wird noch verstärkt. b) Es kommt zum Rollentausch, z.B. benanntes Selbstbild wird auf den Therapeuten projiziert ... c) Die Charakterisierung kann zu erkennbarer Einsicht führen. Der Patient liefert weiteres entsprechendes, auch neues Material. 360 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 1: Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 4: Beobachten der Reaktion des Patienten Plötzliche Aktivierung einer andersartigen Objektbeziehungsdyade. Eine zutreffende Rollenbeschreibung kann auch auf totale Ablehnung stoßen. „Mit Fortschreiten der Therapie werden zutreffende Interventionen häufiger zu einer Verlagerung weg von den geschilderten Dyaden und hin zu einer Aktivierung einer entgegengesetzten Dyade führen. Einander entgegengesetzte Selbst- und einander entgegengesetzte Objektrepräsentanzen können dann innerhalb einer einzigen Sitzung präsent sein. In diesem Fall kann die Deutung der Spaltung für den Patienten 361 besonders bedeutsam sein.“ ... Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 2: Beobachten und Deuten der Rollenwechsel • • • „Der Therapeut sollte für jeden Patienten eine Reihe von Charakteren festlegen und die einzelnen Akteure mit Hilfe von Adjektiven so genau wie möglich beschreiben. Üblicherweise werden die Rollen alternierend gespielt. ... ... ist sich der Patient häufig nicht im klaren, welche Rolle er gerade einnimmt ...“ Ein Rollenwechsel geht häufig dann vor sich, wenn der Therapeut plötzlich den Eindruck hat, den Faden verloren zu haben. 362 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 3: Beobachten und Deuten der Zusammenhänge zwischen sich gegenseitig abwehrenden Objektbeziehungsdyaden „In der Arbeit mit Borderline-Patienten muss der Therapeut nicht nur die unterschiedlichen Zerrbilder, aus denen sich die Dyaden zusammensetzen, und die Oszillationen zwischen Selbst- und Objektrepräsentanzen innerhalb dieser Dyaden herausarbeiten, sondern er muss außerdem die Funktion erkennen, die eine Dyade in der Beziehung zu einer anderen ausüben kann, um die Fragmentierung und die Konflikte in der inneren Welt des Patienten vollständig 363 verstehen zu können.“ Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 4: Integrieren der abgespaltenen Teil-Objekte ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ Kennzeichen der schrittweisen Integration von Seiten des Patienten: „Äußerungen des Patienten, die entweder eine Erweiterung oder eine zusätzliche Klärung der Kommentare des Therapeuten enthalten. Bewahren und Tolerieren von bewusst gewordenem Hass. Toleranz von Phantasien und Öffnung eines Übergangsraums. Toleranz und Fähigkeit zur Integration von Deutungen primitiver Abwehrmechanismen, insbesondere der projektiven Identifizierung. Durcharbeiten des pathologischen Größenselbst in der Übertragung. 364 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001): Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 4: Integrieren der abgespaltenen Teil-Objekte ¾ ¾ ¾ Kennzeichen der schrittweisen Integration von Seiten des Patienten: Änderungen in dominanten Übertragungsthemen. Die Fähigkeit, Schuldgefühle zu erleben und in eine depressive Position einzutreten. ... Diese Position ist insofern depressiv, als das Individuum den Verlust des primitiven idealen Objekts betrauern und die Realität akzeptieren muss, dass es kein ideales Objekt gibt.“ ... Das „Gefühl von Schuld und Sorge geht einher mit dem Bemühen, ambivalent geliebten Objekten gegenüber etwas wieder gut zu machen; es bildet die Grundlage für eine reifere Abhängigkeit, Dankbarkeit und Kooperation in der Arbeit mit dem Therapeuten und auch für eine Ausdehnung dieser Fähigkeiten auf Beziehungen außerhalb des therapeutischen Rahmens.“ 365 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher (1996): Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie. Weinheim: Beltz. (S. 179-199). ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Die DVT kombiniert eine Gruppenbehandlung mit einer Einzelpsychotherapie, in der psychodynamische Ansätze, verhaltenstherapeutische Techniken und Pharmakotherapie zur Anwendung kommen. ¾ Der Fokus der DVT … wird auf die schweren dysfunktionalen Verhaltensmuster, einschließlich des suizidalen Verhaltens, gelegt. 366 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen (a.a.O.) ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ • Die theoretischen Grundlagen der Behandlung werden gebildet durch • eine biosoziale Theorie, • dialektisch philosophische Annahmen, • die Zen-Prinzipien und • die verhaltenstheoretisch fundierten Prinzipien, die nach wie vor die Auswahl der Strategien bestimmen. 367 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Der Begriff „kognitiv“ wurde ersetzt durch den Begriff „dialektisch“ • weil die Behandlung nicht mehr auf einer kognitiven Theorie der Verhaltens- und emotionalen Dysfunktion basiert; • weil ein breiterer, theoretischer Rahmen benötigt wurde, der die modifizierte philosophische, theoretische und technische Grundlage der Behandlung umfassen konnte. (a.a.O.) 368 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen (a.a.O.) ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Biosoziale Theorie Basishypothese: Die DVT geht davon aus, dass „die Verhaltensmuster bei der BorderlinePersönlichkeitsstörung entweder funktionell in Beziehung zu einer fundamentalen Dysregulation des emotionalen Systems stehen oder unvermeidbare Konsequenzen dieser Dysregulation sind. … 369 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ • „Diese systemische Dysregulation ist eine Folge von emotionaler Vulnerabilität in Kombination mit ausgeprägten Schwierigkeiten, emotionale Reaktionen zu steuern.“ (a.a.O.) • Emotionale Vulnerabilität Ö hohe Sensitivität für emotionale Reize Ö heftige emotionale Reaktionen Ö langsame Rückkehr zur Baseline Biosoziale Theorie 370 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen (a.a.O.) ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Biosoziale Theorie „Defizite in der Regulation von Emotionen sieht Linehan „möglicherweise verursacht“ dadurch, dass BorderlinePatienten nicht hinreichend in der Lage sind: • stimmungsabhängige dysfunktionale Verhaltensweisen zu hemmen; • ihr Verhalten auf Ziele auszurichten, unabhängig von momentanen Stimmungen; • ihre physiologische Erregung situationsadäquat zu steigern oder zu verringern; • die Aufmerksamkeit von emotional erregenden Reizen abzuziehen; • dem emotionalen Erleben (zu begegnen(?)), ohne sofortigen Rückzug oder ohne weitere extreme negative Emotion zu entwickeln. 371 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen (a.a.O.) ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Biosoziale Theorie • Die Mechanismen der initialen Dysregulation seien unklar geblieben! • Allerdings geht Linehan davon aus, „dass biologische Faktoren eine wichtige Rolle spielen würden.“ Diese könnten sich zusammensetzen aus genetischen Einflüssen, pränatalen Faktoren und traumatischen Kinheitserlebnissen, die die Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems betreffen. 372 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen (a.a.O.) ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Biosoziale Theorie • Aus der Perspektive von Linehan haben Emotionen eine kognitive Bewertungskomponente, eine physiologische oder biochemische Komponente, eine phänomenologische Erfahrungskomponente, eine muskuläre und mimische Komponente, und eine Handlungskomponente.[1] • „Es ist das System, das dysreguliert ist.“ [1] Eine kommunikative Komponente von Emotionen findet auffälligerweise keine Erwähnung. • Linehan betont, dass - angeblich im Unterschied zu anderen Theorien - die DVT annehme, daß die Regulation und Toleranz aller Emotionen dysfunktional vonstatten gehe. Daraus leite sich das Postulat ab, spezifisch emotionale Erfahrungen und Dysregulationen im jeweiligen Einzelfall „äußerst gründlich“ zu erfassen.373 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen (a.a.O.) ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Biosoziale Theorie ¾ Invalidierende Umfelder • Damit sich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt, reicht eine anfängliche temperamentsbedingte Vulnerabilität gegenüber emotionaler Dysregulation nicht aus. Hinzutreten müsse ein sog. „invalidierendes Umfeld“. 374 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Biosoziale Theorie ¾ Invalidierende Umfelder • (a.a.O.) • Ö Tendenz, persönliche Erfahrungen zu negieren und/oder unberechenbar und unangemessen (?) auf sie zu reagieren Ö Insbesondere emotionale Erfahrungen und Interpretationen von Ereignissen werden oft als nicht angemessene Reaktionen betrachtet, werden bestraft, trivialisiert, abgetan oder nicht beachtet, und/oder sie werden auf sozial unakzeptierte Eigenschaften zurückgeführt, z.B. auf Überempfindlichkeit, Boshaftigkeit etc. 375 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Biosoziale Theorie ¾ Invalidierende Umfelder • (a.a.O.) • • • Ö Es werden negative Emotionen unterstellt (Projektionen) und zugleich werden negative Affekte kaum geduldet. Ö Die Notwendigkeit der Kontrolle von Emotionen wird sehr betont. Ö Tendenz, das Verhalten vor allem durch Strafen zu regulieren. Linehan geht davon aus, dass sexueller Missbrauch der Prototyp des invalidierenden Umfeldes für Kinder sei. 376 Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen ¾ Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Biosoziale Theorie ¾ Invalidierende Umfelder • Die Betroffenen würden auf diese Weise lernen, ihren inneren Zuständen zu misstrauen, und würden stattdessen in ihrer Umgebung nach Anhaltspunkten dafür suchen, wie sie zu handeln, zu denken und zu fühlen hätten (gilt vor allem für die abhängige Persönlichkeitsstörung oder/und das sog. „falsche Selbst“ (Winicott)). In auffälliger Übereinstimmung mit gleichlautenden Formulierungen der Psychodynamik versteht Linehan „die für die Borderline-Persönlichkeitsstörung charakteristischen dysfunktionalen Verhaltensweisen als fehlangepasste Lösungsversuche für überwältigenden, äußerst schmerz377 haften negativen Affekt“. (a.a.O.) • Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie ¾ M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Richtlinien für die kognitive Therapie der Persönlichkeitsstörungen • • • (a.a.O.) • • Interventionen sind am wirksamsten, wenn sie auf einer individualisierten Konzepterstellung der Probleme des Klienten beruhen. Es ist sowohl für den Therapeuten als auch für den Klienten wichtig, miteinander auf klar festgelegte, gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. Es ist wichtig, der Therapeut-Klient-Beziehung mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich zu schenken. Ö Das, was im psychoanalytischen Bezugsrahmen „Übertragung“ genannt wird, seien „aus kognitiver Sicht Übergeneralisierte Überzeugungen und Erwartungen, die der Klient in Beziehungen zu Bezugspersonen erworben hat. Überlegen Sie, mit therapeutischen Schritten zu beginnen, die kein ausführliches Sich-Öffnen erfordern. Interventionen, die das Gefühl der Selbstwirksamkeit des Klienten stärken, reduzieren oft die Inten378 sität seiner Symptomatik und erleichtern andere Interventionen.“ Michael Heine - Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Institut für Psychologie u. Arbeitswissenschaft – TU Berlin Neurosenlehre Borderline-Störungen, Psychotherapie M. M. Linehan: Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen ¾ (a.a.O.) • • Die „dialektische Verhaltenstherapie“ Richtlinien für die kognitive Therapie der Persönlichkeitsstörungen • • • • • Verlassen Sie sich nicht hauptsächlich auf verbale Interventionen. Ö Hierarchie von Verhaltensexperimenten Bemühen Sie sich, die Ängste Ihres Klienten zu erkennen und anzusprechen, bevor sie Veränderungen initiieren. Helfen Sie dem Klienten, angemessen mit aversiven Emotionen umzugehen. Rechnen Sie mit Problemen hinsichtlich der Compliance. Gehen Sie nicht davon aus, dass der Klient in einem „vernünftigen“ Umfeld lebt. Ö Bei der Initiierung von Veränderungen ist es (daher) wichtig, die zu erwartenden Reaktionen der Bezugspersonen im Umfeld des Klienten einzuschätzen, anstatt nur anzunehmen, sie seien angemessen. Achten Sie während des Therapieverlaufs auf ihre eigenen emotionalen Reaktionen. Ö „Da emotionale Reaktionen nicht zufällig entstehen, ist eine außergewöhnlich starke Gefühlsregung wahrscheinlich eine Reaktion auf einen bestimmten Aspekt des Klientenverhaltens.“ Seien Sie realistisch hinsichtlich der Dauer und der Ziele der Therapie sowie der Maßstäbe, die Sie an sich legen. 379