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auf wiedersehen bei den
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FESTIVALZEITUNG
NR. 08 / 23.06.2007
Os Bandidos, Teatro Oficina Brasilien
Foto: Frank Heller
AUF WIEDERSEHEN BEI DEN
15. INTERNATIONALEN SCHILLERTAGEN
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MORALISCHE ANSTALT FESTIVALZEITUNG 23.06.2007
BESTIE MENSCH 14. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM
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INHALTSVERZEICHNIS
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HERR DER TEXTE – Editorial
RÄUBERISCHER KÖRPEREINSATZ – Os Bandidos
VOM RAND INS BECKEN – Gespräch mit Kühnel und Kuttner
ZIRKUS ODER THEATER – Festivalauftritt
SCHILLERBIRLS – Allein unter Girls
SCHILLER UND ICH – Die Seminaristen
GESTERN, HIER UND HEUTE – Schiller vor mir – Eine Reise
DIE BÜHNE EINE MOSCHEE – Gespräch mit Lisa Masetti
DICHTUNG UND WAHRHEIT – Gerüchteküche
WIE GESCHNITTEN BROT – Pension Schiller
SCHILLER UND ICH – Die Festivalmacher
ZUM SCHLUSS EIN MOJITO – Festivalbilanz
CHO SEUNG HUI – Essay
SPIELPLAN – Samstag 23. Juni
Die 14. Internationalen Schillertage wurden ermöglicht und gefördert durch:
den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien,
dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg,
der Stadt Mannheim/Büro 2007, die Brasilianische Botschaft Berlin und
das Brasilianische Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten
sowie das Goethe Institut
Wir bedanken uns für die großzügige Unterstützung bei unseren Partnern:
Hauptsponsoren: MVV Energie AG, John Deere, Freunde und Förderer
des Nationaltheaters Mannheim e.V.
Co-Sponsoren:
Augusta Hotel Mannheim, comvos online medien GmbH, Dr. Haas GmbH,
Engelhorn Mode GmbH, Fashionlabel Schumacher, HM Interdrink, Kurpfalzsekt Sektkellerei AG,
Mercedes-Benz Niederlassung Mannheim-Heidelberg, Rhein-Neckar-Verkehr GmbH,
The Cruise Cafe Hotel Mannheim und beim SWR 2.
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SERVICE
IMPRESSUM
KARTENVORVERKAUF
THEATERKASSE AM
GOETHEPLATZ
Mo & Sa 11–13 Uhr
Di & Fr 11–18 Uhr
An allen Vorstellungstagen
außerdem von 18–20 Uhr
KARTENTELEFON
Telefon 0621/1680 150
Telefax 0621/1680 258
PER E-MAIL
Nationaltheater.kasse@
mannheim.de
FESTIVALZEITUNG DER
14. INTERNATIONALEN
SCHILLERTAGE
Ein Projekt des Nationaltheater
Mannheim zur Förderung des
kulturjournalistischen Nachwuchses
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HERZLICHEN DANK
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HERAUSGEBER
Nationaltheater Mannheim,
Mozartstraße 9, 68161 Mannheim
GENERALINTENDANTIN
Regula Gerber
CHEFREDAKTION
Jürgen Berger
CHEFIN VOM DIENST
Sabine Demm
REDAKTION
Lydia Dartsch, Kristina Faber, Jan Fischer,
Moritz Hummrich, Jule D. Körber,
Marcel Maas, Moni Münch, Melanie
Troger, Manuel von Zelisch
KONZEPT
Jürgen Berger, Sabine Demm, Kristina
Faber, Gerhard Fontagnier, Jochen Zulauf
GESTALTUNG
fathalischoen, Frankfurt
LAYOUT
gerhard@fontagnier.de, Mannheim
DRUCK Mannheimer Morgen
Großdruckerei GmbH
ANZEIGEN Mannheimer Morgen
AUFGEWECKT IN DEN TAG
DR. HAAS GMBH
Die Zeitung erscheint als
Beilage im Mannheimer Morgen
und wird unterstützt von
Deere & Company
und der Dr. Haas GmbH
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HERR
DER TEXTE
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ie dachten sich zu kennen, bevor
sie sie einander kennenlernten.
Sie hatten sich gegenseitig mit den
Namen ohne Gesichter ins Suchfeld eingetippt, auf den Button „GoogleSuche“ geklickt und mehr oder weniger
diffuse Informationen übereinander erhalten. Sie, die Kinder der Informationsgesellschaft, sahen sich das erste Mal im
Quadrat C7, konnten zum ersten Mal die
ergoogelten Informationen mit den vor
ihnen stehenden, fleischgewordenen
Menschen verbinden, eine Mischung aus
viel Neugier und ein wenig Misstrauen.
Sie sollten eine Gemeinschaft werden. Und so kamen sie zusammen, im
Turm, im wasserlosen Redaktionsaquarium. Trafen sich zwischen Biologielehrfilmen und pädagogischen Faltblättern an
großen grauen Tischen, organisierten, debattierten, aber stritten nie. Die Gemeinschaft der Gefährten war stark und sie
sollte noch stärker werden. Ihre Missionen waren verschiedene, ihr Ziel, jeden
Tag eine neue Ausgabe der „Moralischen
Anstalt“.
Sie erkämpften gemeinsam oder allein Wortwege, halfen sich, retteten sich,
keiner der Gefährten würde fallen. Sie
mussten jeden Tag aufs Neue ihr Ziel erreichen. An manchen Tagen war der Weg
dorthin beschwerlich, an anderen beschwerlich und steil. Die Gemeinschaft
der Gefährten war gehandicapt – die Redaktionsräume, keine Kaffeemaschine und
nur bis Mitternacht offen. Manch einer
opferte die Nacht und seinen Schlaf dem
Aquarium, ließ sich einschließen, in
Schreibwut, in Schreibmut. Schlaf war
ein fernes Verlangen. Ein Mitglied der
Gemeinschaft vermisste sogar 70 Stunden Schlaf am Stück. Die Mission war
wichtiger als die lapidare „körperliche
Schwäche“.
Wie oft jeder einzelne von ihnen in
der Nacht hoch schreckte, aus dem Schlaf
oder aus dem Schreiben, ist unzählbar.
Finde ich den richtigen Zugang zum
Thema? Werde ich all dem gerecht? Was
für einen Text produziere ich gerade?
Habe ich irgendetwas vergessen? Was soll
ich morgen noch mal abliefern? Arbeite
ich überhaupt gerade am richtigen
Thema? Was mache ich hier eigentlich?
Warum mache ich das freiwillig mit?
Ihre Nächte waren im Schlafen kurz
und im Wachen lang. Am Donnerstag
brachte die Gemeinschaft die Chefredaktion an ihre Grenzen. Die Gefährten
waren unpünktlich, Texte fehlten. Doch
auch die drohende Havarie meistert die
Gemeinschaft. Sie ist stark geworden,
hat die Grenzen ihrer Belastbarkeit kennengelernt – und überwunden. Die Gefährten sollten auf harte Proben gestellt
werden, Mittwoch Morgen, der Redaktionsschluss, zwei Stunden früher. Doch
daran zerbricht eine Gemeinschaft wie
diese auch nicht.
Sie hielten fünf Stunden Inszenierung durch, sie werden Puppen tanzen
sehen. Es ist Samstag, ihre Mission ist beendet, das Abenteuer bestanden. Sie
werden wieder in alle Himmelsrichtungen entschwinden, doch eine Gemeinschaft bleiben.
✶ JULE D. KÖRBER
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RÄUBERISCHER KÖRPEREINSATZ
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Os Bandidos, Teatro Oficina Brasilien
D
ie Türen des Schauspielhauses
gehen zu. Das Licht bleibt an.
Auf der Bühne steht eine zweiköpfige Band, die Freude schöner Götterfunken im Samba-Stil spielt. Das Ensemble läuft ein, verteilt Süßigkeiten im
Raum; brasilianischer Karneval. Doch das
gehört noch nicht zum Stück, es ist ein
Ritual der Schauspielgruppe.
Im ersten Aufzug wird klar, worum
es geht. Nicht Maximilian von Moor,
Doum von Heilig ist es, der sich um seinen Sohn Damian sorgt. Doum ist oberster Chef des brasilianischen Medienimperiums „Corporate SS“, Damian sein
ältester Sohn. Das gefällt dem kleinen
Bruder Kosmos überhaupt nicht: Er will
den verhassten Bruder loswerden und
dessen Erbe und Frau an sich reißen.
Statt mit einem Brief verstößt Doum seinen Sohn per Email, die er im Großstadtdschungel von Sao Paulo am Handy
liest. An sich also nichts Neues seit
Schiller.
Kosmos beschließt, eine Telenovela
über Damians Schicksal zu drehen, um
sie dem Vater zu zeigen. Eine Frau preist
das neue Werk in einer Videoprojektion
Fotos: Frank Heller
Das Schicksal von Karl Moor ist bekannt. 227 Jahre nach der Uraufführung in Mannheim wurde das Stück am Ort des Geschehens erneut uraufgeführt: vom Teatro Oficina Uzyna Uzona aus
Brasilien. Regisseur Zé Celso überträgt das Werk in eine südamerikanische Telenovela voller Selbstreferenz und Anspielungen.
an. Immer mehr dämmert es dem Publikum, dass es hier keine Theateraufführung sieht, sondern die Dreharbeiten zu
einer Telenovela. Eine Band auf der
Bühne sorgt für musikalische Untermahlung der Szenerie und die passenden
Geräusche. Eine junge Frau mit dem
Festival-T-Shirt filmt alles. Die Bilder werden direkt auf die Rückwand der Bühne
geworfen.
Die Inszenierung strotzt vor Selbstreferenzialität: Damian fühlt sich als Schauspieler, gefangen in der Rolle des Bösewichts in einem Drehbuch seines
Bruders. Er will Germania, seine schöne
Verlobte und die analoge Figur zu Amalia, aus Kosmos Villa retten. Kurz vor
Schluss fühlt er sich nur noch durch die
vierte Wand von ihr getrennt. In der
Maske von „Herrn Castorf von der
Volksbühne Berlin“ schleust er sich in
Kosmos Villa ein, um seine Germania zu
befreien. Immer wieder rät er dem Hausherrn, das Teatro Oficina nicht zu engagieren, es treibe ihn nur in den Ruin. Das
Stück definiert die Figuren zu Schauspielern und umgekehrt. Ständig treten Medienhelden auf wie He-Man, Sheera oder
Trotski.
Auch mit Klischees geizt die Inszenierung nicht. Zunächst fällt der deutsche
Name der Familie auf. Dass das Imperium der Heiligs „Corporate SS“ heißt,
legt eine Verbindung zu deutschen Nationalsozialisten nahe, die nach dem
zweiten Weltkrieg in Südamerika untergetaucht waren. Die Ahnung bestätigt
sich allerdings nicht. Ähnlich verhält es
sich mit der Figur der Germania. Damians Geliebte tritt stets mit einer Einspielung des „Deutschlandliedes“ auf. Nach
ihrer Befreiung aus der Villa des verhas-
sten Bruders wird sie begleitet von „Auferstanden aus Ruinen“. Die Figur ist
Sinnbild der deutschen Nation möchte
man meinen, spätestens wenn sie mit
Blätterkrone, langem Schwert und Adlerschild am Grab ihres Oheims auftritt.
Aber auch hier läuft die Anspielung ins
Leere.
Insgesamt folgt das Stück dem Handlungsverlauf des Schillertextes. Durch Zé
Celsos Inszenierung wird der Unterschied
in der Spielweise zum europäischen Theater deutlich: viel mehr Körpereinsatz, sei
es durch nackte Frauenkörper oder tänzerische und akrobatische Einlagen –
zwei Schauspieler hatten sich in den Proben Finger und Fuß gebrochen. Eine moralische Auflösung allerdings fehlt. Viele
Anspielungen und Klischees laufen ins
Leere. Weniger Klischees und dafür mehr
Sinn hätten dem Ganzen gut getan, auch
die Länge betreffend. Wie man von südamerikanischen -– und auch deutschen –
Telenovelas weiß, ist das Ende nicht absehbar. Im Fall der brasilianischen Räuber
kommt es immerhin nach fünf Stunden
mit Pause.
✶ LYDIA DARTSCH
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VOM RAND INS BECKEN
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Keine schlimmen Schiller-Erfahrungen in der Schule? Wir haben zum
Beispiel „Kabale und Liebe“ gelesen
und es war grässlich.
Kühnel: In der Schule hat man noch keinen Bezug dazu. Genau deswegen ist es
ja besser, dass ich erst jetzt dazu komme.
Mir ist das jetzt viel näher. Dieser Typ, der
plötzlich weiß, dass er mit Fünfzig sterben wird. Und in einen Wahn gerät, sein
Lebenswerk zu vollenden.
Kuttner: Schiller finde ich immer sehr
interessant, weil er nah an der eigentümlichen, deutschen Widersprüchlichkeit ist.
Dieses Pendeln zwischen einer Idealwelt
und einer niederdrückenden Realität, das
er selber auch ausgelebt hat. Goethe ist ja
deutscher Nationaldichter, aber dieses lässige, olympische, weise Draufschauen hat
sich nicht in den deutschen Nationalcharakter gerettet. Bei Schiller ist da
immer nur diese komische Verzweiflung
und so ein realitätsferner Idealismus, der
aber auch eine Form von produktiver
Kraft ist und immer wieder enttäuscht
wird. Das ist den Deutschen doch heute
viel näher.
Jürgen Kuttner (links) und Tom Kühnel mit Rauke-Rigatoni
Foto: Lydia Dartsch
Tom Kühnel und Jürgen Kuttner haben tiefe Augenringe. Sie sind mit den „Helden Mannheims“
beschäftigt, die heute Abend uraufgeführt werden. Kühnel als Regisseur, Kuttner als jemand,
der alles mögliche und nichts genaues ist. Moderator vielleicht. Er hat sich was bestellt, dass er
als „Joghurt mit Eis und Erdbeeren, ganz geil“ bezeichnet. Kühnel nimmt „Rigatoni mit Rauke“.
Rauke? Nicht Rucola?
Tom Kühnel: Rauke steht auf der Karte.
Ich wusste gar nicht, dass Rauke dasselbe
wie Rucola ist. Hätte auch Bärlauch sein
können.
Sie haben sich kennen gelernt, als
Tom Kühnel in Frankfurt Intendant
im „Theater am Turm“ war.
Jürgen Kuttner: Das ging gleich direkt
los mit Projekten. Ein Schauspieler war
ausgefallen.
Kühnel: Ich habe Jürgen als Moderator
genommen, es ging darum, Podiumsdiskussionen zu machen. Seitdem haben
wir immer wieder zusammen gearbeitet.
Und jetzt das hier. Wie sind Sie darauf gekommen nach Mannheim zu
gehen?
Kühnel: Der künstlerische Leiter von
„Mannheim 2007“, der 400-Jahr-Feier,
hat uns angesprochen. Interessant ist,
kein Theater zu machen. Die Zusammenarbeit mit der Medienkunstgruppe
„datenstrudel“ hat sich daraus ergeben.
Die machen auch kein Theater. Im
Grunde genommen haben die eine Affinität zu Sachen, die wir vorher gemacht
haben. Und hier hat mans jetzt mit einer
Jubiläumsveranstaltung zu tun, die keine
reine Jubelveranstaltung sein kann.
Haben Sie vor, hirnlos zu bejubeln?
Kühnel: Natürlich nicht.
Kuttner: Hirnlos schon, bejubeln nicht.
Im Grunde ist es eine Paraphrase auf das,
was auf so einer Jubiläumsveranstaltung
erwartet wird. Wir versuchen mit dem
Publikum zu spielen. Die sollen den vierhundertsten Jahrestag von Mannheim selber gestalten.
Kühnel: Das Publikum soll zusammen
mit Schiller eine Hymne schreiben.
Kuttner: Das ist eine der Hauptaufgaben
des Abends. Die Idee ist, dass man nicht
jemanden beauftragt, der hier geboren ist,
so uwe-ochsenknecht-mäßig, sondern
einfach 200 Mannheimer nimmt, die selber ran müssen. Der Text, den wir Schiller in den Mund legen, hat nicht ganz
Schillersche Höhe. Man muss sich doch
anstrengen.
Stichwort Schiller: Sind sie in die
Schillertage zufällig reingerutsch
oder war das so konzipiert, dass Sie
das Stadtjubiläum und die Schillertage machen?
Kühnel: Am Anfang war es für das Stadtjubiläum konzipiert. Die Schillertage
kamen dann dazu. Das war ein glückliches Zusammentreffen.
Also sind Sie keine
großen Schillerfans?
Kühnel: Ich habe gerade erst angefangen, mich damit zu beschäftigen. Ich
habe vorher noch nie Schiller inszeniert.
Ist das ihre Ideologie? Das Publikum
zu beteiligen?
Kuttner: Grundsätzlich nicht, aber das
ist eine schöne Situation. Das Schwimmbad ist ein Ort, der keine Vorführungen,
kein Publikum kennt. Da springt jeder
vom Rand ins Becken, auch wenns verboten ist.
Sind Sie ins Schwimmbad einfach so
reingestolpert?
Kuttner: Wir haben uns einige Orte angeschaut. Das Bad war der theatralischste
untheatrale Ort. Großartige Dekoration
war von vorne herein da, das Bühnenbild
stand. Diese Schwimmbad-Atmosphäre
hat etwas Konkretes, womit man sich auseinander setzten kann. Kein üblicher
Kunst-Ort, wie ein Theater oder eine Industrieruine nach dem Motto: Früher
haben die da gearbeitet, heute wird da
Kunst gemacht. Im Schwimmbad sieht
man lustige Plastiksonnen, tolle Palmen.
Man ist sofort in so einer anderen Welt
und trotzdem mitten in Mannheim. Das
Arbeiten hier war immer sehr glücklich.
Das Bad ist anregender als ein weißes Blatt
Papier oder ein schwarzer Theaterraum.
Empfinden Sie sich als Pop-Ergänzung zu den anderen Aufführungen?
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Kuttner: Wir planen das ja nicht in Hinblick auf andere Aufführungen.
Kühnel: Uns geht es um das Selbstbewusstsein von Mannheim. Wir leben ja
nicht in Mannheim, deshalb können wir
nicht sagen, wie es ist, hier zu leben. Wir
haben versucht, uns der Stadt anders zu
nähern. Über Assoziationen, über Begriffe. Der Pop-Begriff spielt in Mannheim
eine sehr wichtige Rolle. Man kommt
schnell zu Xavier Naidoo, und Andy Warhol als Propheten des Pop.
Andy Warhol?
Kühnel: Es wird eine Puppe auftreten namens Mandy Warhol. Außerdem wird
Schiller zur Bestie.
Das musste ja irgendwann passieren,
bei dem Festivalthema.
Kühnel: Das hat damit zu tun, dass wir
gesagt haben, wir wollen kein Stück machen. Das machen wir ja sowieso die
ganze Zeit. Aber das wird bestimmt funktionieren. Das wäre auch eine gute Über-
schrift für das Interview. Oder eine gute
Frage: Wird Schiller zur Bestie? Dann sag
ich: Ja. Das wäre dann das Ende.
Also gut, Ende. Fällt Ihnen noch eine
Abschlussfrage ein?
Kuttner: Meine Lieblingsfrage ist eigentlich: „Wie spät ist es?“ Die kann ich präzise mit einem Blick auf die Uhr beantworten. Da mache ich dem Anderen
nichts vor, da muss ich nicht auf die
Kacke hauen, da muss ich nicht angeben
oder die Hyper-Formulierung finden. Das
ist bodenständig, reell und bringt dem Anderen was, wenn er die Zeit nicht weiß.
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ZIRKUS ODER THEATER
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Wir könnten auch fragen: Wie waren
die Nudeln?
Kuttner: Da muss Tom jetzt schon überlegen, vielleicht kommt er ja noch mal
nach dem Erscheinen des Interviews her.
Das ist eine schlechte Frage.
Kühnel: Da spielt auch was Ästhetisches
mit rein: Geschmack.
Gespräch: ✶ JAN FISCHER
✶ MARCEL MAAS
Foto: Lydia Dartsch
E
Rauke-Rigatoni, fast weg
Foto: Lydia Dartsch
in rot-weißes Zirkuszelt, gelbe
Sterne und ein großer Schriftzug
auf dem Theater-Café: „Bestie
Mensch.“ Hier gastiert ein Zirkus, meint
man. Sogar ein Löwenbändiger war da
und im Glaskasten kann man Autoren
beim Schreiben zusehen. Weit sind Zirkus und Theater nicht voneinander entfernt. Beides erfreute sich schon im alten
Rom großer Beliebtheit bei den Bürgern,
die die Arena zur Zerstreuung nutzten,
ganz gleich, ob wilde Tiere andere Tiere
zerfleischten, Menschen sich gegenseitig
umbrachten oder ein Dichter seine Stücke
vortrug. „Bestie Mensch“ und das Thema
„Zirkus“ passen schon deshalb gut zueinander, weil in jeder Manege die Raubtiernummer die Attraktion des Abends ist.
Schon die Atmosphäre in Mannheim
ist gewürzt mit einem bestimmten Gefühl: Dem Gefühl von Glitzer, Clownsnasen und Raubtieren. Am Bahnhof
hängt ein gelbes Banner, das in großen
schwarzen Lettern auf das Festival aufmerksam macht. Von dort aus fährt eine
gelbe Straßenbahn über die Planken ans
Theater. Auf dem Weg zum Theater begegnen einem überall Graffitis auf dem
Boden; das Motto des Festivals auf
Asphalt gesprayt. Am Wasserturm steht
ein rot gewandeter Glaskasten, der, eingerichtet wie eine kleine Wohnung, den
Autoren der Schiller-Soap als nächtlicher
Käfig und Schreibplatz dient. Am Ort des
Geschehens angekommen, begrüßt der
Theaterzirkus „Bestie Mensch“ die Zuschauer. Mit roten Schals an den weißgrauen Betonmauern ähnelt das Nationaltheater einem Zirkuszelt. Überall
kleben Zirkussterne, auch im Foyer und
im Café. In Sternform angelegte Sitzgruppen laden zum Ausruhen und Plaudern
ein. Selbst die Essensausgabe für Seminaristen, Gastgruppen und Theaterleute
heißt Löwenkäfig. „Gehst du zur Raubtierfütterung?“ ist eine Frage, die einem
zur Mittagszeit gestellt wird. Meistens
sitzen die Fragesteller auf einem Sattel
der gelben Fahrräder, die überall für
das Festival werben. Richtige Zirkusatmosphäre kommt hier auf.
Einzig der Rollrasen vor dem Theater
mit Liegestühlen und Biergartenatmosphäre ist ein Stilbruch. Sehr gemütlich
laden die Sitzgelegenheiten ein, sich hinein zu legen oder drauf zu setzen und im
Schatten zu entspannen. Aber grüner
Rasen statt einer Manege aus Sägespänen? Mit der Hitze der letzten Tage
könnte der Rasen vielleicht an Farbe verlieren und sich so der Zirkusatmosphäre
optisch annähern. Das wäre auch viel
pflegeleichter als Sägespäne; aber auch
viel ungemütlicher als grüner Rasen.
✶ LYDIA DARTSCH
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SCHILLERBIRLS
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E
r ist überall. Er ist eines der Gesichter des Festivals. Ohne ihn
hätte die Redaktion unserer Zeitung ihren Betrieb nicht pünktlich aufnehmen können. Ohne ihn und seine
Kolleginnen wäre der Ablauf des Festivals
undenkbar: Er ist Schillergirl. Höflich
stellt er sich vor. Pascal Payer heißt er.
Auf seinem Transporter und seinem
T-Shirt steht groß „Bestie Mensch“. Er
selbst scheint allerdings keine zu sein.
Er ist gekommen, um uns vor dem
Gewitter zu retten. Es ist Freitag, der Eröffnungstag der Schillertage. Die Redaktion unserer Zeitung brennt auf ihren ersten Einsatz, doch der droht ins Wasser
zu fallen. Sicher und trocken kutschiert
Pascal uns zur Redaktion ins Collini Center. Die Fahrt wird zum Sightseeing.
Unser Fahrer ist ein 21 Jahre junger
waschechter Mannheimer, der uns stolz
seine quadratisch-praktisch-gute Stadt
präsentiert.
Schnell wird klar: Pascal ist ein Insider. Seit Februar ist die Vorbereitung der
Schillertage für ihn ein Full-Time-Job, und
zwar ein ehrenamtlicher. Was genau
seine Aufgabe sei, fragen wir. Die Antwort sorgt für allgemeines Schmunzeln:
„Ich bin Schillerboy“, sagt er etwas verlegen.
Abends treffen wir Pascal auf dem ersten Schill-Out. Was uns verwundert:
Wir sehen einige Schillergirls, unser
Schillerboy scheint also ein Unikat zu
sein und müsste als solcher eigentlich
auch im Programmheft bezeichnet sein.
Mit sicherem Instinkt für eine gute Story
schlagen wir nach. Unsere Hoffnung
wird nicht enttäuscht: Pascal hat geschwindelt. Die Bezeichnung für ihn und
seinen Kollegen, Stefan Jooß, ebenfalls
ein junger Kurpfälzer „at heart“, ist eindeutig „Schillergirl“.
„Das wurde uns vorher nicht gesagt“,
lacht er. Er war allerdings vorgewarnt:
Schillerbirls Pascal Payer (links) und Stefan Jooß
Die Schillergirls, die charmant die Gäste
betreuen, sind eine Institution des Mannheimer Festivals. Aber männliche Schillergirls? Wir machen die Probe aufs
Exempel: Festivalleiter Holger Schulz gesellt sich zu uns. Die Frage, ob er sich mit
dem Titel des „Oberschillergirls“ anfreunden könne, bejaht er lachend.
Für ein spontanes Interview an der
Schillertheke steht Pascal sofort zur Verfügung. Schnell wird klar: Er liebt das
Theater, und er liebt Schiller. „Die FranzMonologe in den „Räubern“ gibt er als
Lieblingstextstellen an. „Wie man einen
Mord psychologisch rechtfertigen kann,
Foto: Lydia Dartsch
ist schon faszinierend“, sagt er. Mit zwei
Wünschen verabschiedet er sich auf die
Tanzfläche. Er hofft, nach den Schillertagen nicht in ein „schwarzes Loch“ zu fallen – wir sind sicher, dass das Theaterfieber ihn sicherlich bald aufs Neue packen
wird. Und er hofft, dass die Mannheimer
Quadrate bald komplett autofrei sind.
Warum? „Damit ich mit meinem Schillerbus die Gäste ungestört zu Hotels und
Aufführungen shutteln kann!“ Vielleicht
trägt er dann ja auch ein Schildchen mit
der Aufschrift „Erster offizieller Schillerboy“.
✶ MANUEL VON ZELISCH
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SCHILLER UND ICH
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men erfahren. Er kann bestimmt gut
tratschen und wir würden uns sicher
gut verstehen.
Mit welchem Schiller-Text können Sie tatsächlich was anfangen?
Ich finde „Kabale und Liebe“ sehr
interessant. Als ich noch jung war
konnte ich dem Stück nichts abgewinnen, jetzt sehe ich Parallelen zu
vielen Geschichten.
Wann hat Schiller Sie zum
ersten Mal berührt?
Ich war noch in der Grundschule als
ich zum ersten Mal auf Schiller traf.
Ich musste Gedichte auswendig lernen. Richtig lernte ich Schiller aber
erst im Gymnasium kennen.
Über was würden Sie mit
Schiller sprechen wollen?
Ich würde gerne mehr über die wahren Geschichten hinter seinen Dra-
Was nervt Sie an Schiller?
Wenn ich eine Schiller-Inszenierung
sehe oder ein Stück von ihm lese,
weiß ich immer wie es endet.
Wann werden Sie zur Bestie?
Wenn ich wenig geschlafen habe und
hungrig bin, kann ich leicht ungenießbar werden. Vor allem wenn
etwas nicht nach Plan läuft.
Lydia Dartsch ist Seminaristin
und Mitarbeiter der Fesivalzeitung
Wann hat Schiller Sie zum
ersten Mal berührt?
Als ich im Grundschulalter war, erklärte
mir meine Großmutter eines Tages, was
eine unbedingte Freundschaft ausmache, indem sie mir Schillers Ballade „Die
Bürgschaft“ erzählte. Die Prinzipien
selbstloser Freundschaft und Hilfsbereitschaft leuchteten mir sofort ein.
Über was würden Sie mit
Schiller sprechen wollen?
Da mich Schillers persönliche Lebensund Leidensgeschichte äußerst fasziniert,
würde ich ihm gerne die Frage stellen,
inwieweit er rückblickend seinen Kampf
gegen obrigkeitsstaatliche Unterdrükkung sowie gegen seine tödliche und
langwierige Krankheit als Grundbedingung für seine Entwicklung als Mensch
und als Künstler ansehen würde.
Mit welchem Schiller-Text können
Sie tatsächlich was anfangen?
Jenseits trockener Überprüfung auf theoretische oder philosophische Konstruktionen sind es besonders die frü-
hen Dramen. Ich halte Schillers Experimentierlust hier für am ausgeprägtesten, insbesondere gefällt mir
die kräftige Prosa in den „Räubern“.
Was nervt Sie an Schiller?
Die deutliche Theoriebezogenheit seiner Texte lässt diese mitunter zu konstruiert und wenig lebensnah erscheinen. Auch vermisse ich bei Schiller
humoristische Elemente.
Wann werden Sie zur Bestie?
Im Allgemeinen halte ich die Bestie in
mir sehr gut im Zaun ...
Manuel von Zelisch ist Seminarist
und Mitarbeiter der Festivalzeitung
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GESTERN, HIER UND HEUTE
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Volker Gerlings Vortrag „Schiller vor mir – Eine Reise“ bietet
einen ungewöhnlichen Zugang zu Schiller. Er wanderte wie
Schiller von Stuttgart nach Mannheim zu Fuß. Die Jahre 1782,
1923 und 2007 überlagern sich in Briefen, Videos und
Daumenkinos.
I
n der Nacht vom 22. auf den 23. September 1782 floh der junge Regimentsarzt Friedrich Schiller gemeinsam mit seinem Freund, dem Musiker
Andreas Streicher, von Stuttgart nach
Mannheim. Mehrmals hatte ihm der
schwäbische Sonnenkönig Karl Eugen
verboten, sich als Schriftsteller zu betätigen. Arrest und Schreibverbot brachten
das Fass zum Überlaufen, der 22-jährige
wollte sich von seiner Lebensbestimmung nicht abbringen lassen. Eine abenteuerliche Odyssee, die bis nach Mainz
und Frankfurt führt – und das aus chronischem Geldmangel größtenteils zu
Fuß.
Diese einführenden Worte füllen die
gespannte Stille im abgedunkelten Bühnenraum des TiG7. Bedächtig, einfühlsam werden sie vorgebracht von einem
jungen Mann, dessen braunes Sakko mit
dem Vorhang hinter ihm verschmilzt.
Nur Gesicht und Hände bieten Orientierungspunkte für das Publikum, das wie
im Kino vor einer Leinwand sitzt. Volker
Gerling tritt vollständig hinter seinen Vortrag zurück. Die Reise beginnt, wo Schillers Reise vor 225 Jahren begann, auf der
Solitude, hoch über Stuttgart.
Gerling nutzt verschiedene Medien,
um das Publikum an seiner Reise teilhaben zu lassen. Das wichtigste und originellste ist das aus einer Vielzahl von Einzelfotos bestehende Daumenkino. Drei
Fotos pro Sekunde habe er für seine Daumenkinos gemacht, erläutert er, ein insgesamt wenige Sekunden dauernder Moment wird zugleich gebündelt und
gespalten in rund drei Dutzend Einzelfotos. Das Startfoto verrät nichts darüber,
wie sich der Augenblick auf den Nachfolgefotos entwickelt. Das springende
Bild des Daumenkinos als Medium der
Freiheit?
Er habe sich Schiller sehr nahe gefühlt, sagt Gerling. Die Freiheit, mit nur
den Himmel über sich, die Freude über
die Ungewöhnlichkeit des eigenen Tuns,
vermischen sich mit Bewunderung für
Schiller, der im Gegensatz zu Gerling
nicht über die beruhigende Gewissheit
verfügte, notfalls zum Handy greifen zu
können. Die erste Zeitüberlagerung er-
folgt also im Bereich der Gefühle: Gerling
fühlt ähnlich wie Schiller fühlte.
Die zweite Zeitüberlagerung ist eine
visuelle: Szenen eines Schwarzweißfilms
über Schiller aus dem Jahr 1923 werden
ebenfalls in Daumenkinos umgewandelt.
Schiller, schwitzend, beim beschwerlichen Aufstieg auf die heutige „Schillerhöhe.“ Schiller wandernd, Foto für Foto
aus dem Bild verschwindend. Der Clou:
Gerling zeigt jedes Daumenkino mehrmals hintereinander. Der erlebte Augenblick aus dem Jahr 1782, verfilmt 1923,
wird im Daumenkino 2007 beliebig oft
verfügbar.
Eine dritte Zeitüberlagerung entsteht
in heutigen zwischenmenschlichen Begegnungen. Gerling trifft Menschen. Obdachlose, Betrunkene, Migranten und
Kinder porträtiert er in schwarzweißen
Daumenkinos. Kurz stellt er sie vor, erzählt von gescheiterten Hoffnungen und
erfahrenem Unrecht. Gerling spricht es
nicht bewusst aus, aber seine Auswahl ist
eindeutig: Seit Schillers Zeiten ist es nicht
viel besser geworden, lautet der Tenor.
Damals wie heute leiden Menschen.
Sehr plakativ und vielleicht etwas zu
gewollt sind denn auch die Orte, an
denen Gerling diese Menschen trifft und
die Themen, über die er mit ihnen
spricht: Stuttgart-Stammheim, eingeschränkte Demonstrierfreiheit beim G8Gipfel, Diskriminierung, die Abscheu
zweier Frauen vor einem Betrunkenen
ausgerechnet auf dem Platz, an dem früher das Nationaltheater stand. Ein Gaststättenbesitzer erweist sich als moderner
Karl Eugen und gebietet selbstherrlich
über sein Gaststättengelände: öffentliche
Vorführung von Daumenkinos verboten,
werbewirksames Spätzlewettkochen gestattet.
Charakteristisch für den Abend sind
die Fotos, mit denen Gerling Momente
in seinen Daumenkinos festhält und sie
in ästhetisch höchst ansprechenden
Schwarzweißporträts präsentiert. Ein
Mensch offenbart seine Eigenheiten in
wenigen Sekunden eines flüchtigen Lächelns. Kurz wird sie verständlich, diese
komplizierte Schillersche Formel von
Schönheit als „Freiheit in der Erschei-
Schiller vor mir – Eine Reise, Volker Gerling
nung.“ Gerling sucht und sieht die
Schönheit eben dort, wo andere nur
Hässlichkeit sehen, Demut vor dem Augenblick lautet die künstlerische Prämisse. All dies erfordert das Einfühlungsvermögen des Publikums, das sich vom
ruhigen Vortrag aber bereitwillig entführen lässt. Es bleibt Raum für eigene Gedanken. Gerling zeigt, ohne anzuklagen.
Foto: Karola Prutek
Da ist es ganz egal, welchem Jahr der
jeweils gezeigte Augenblick entspringt,
Menschen fühlen und fühlten zu allen
Zeiten. So wird nicht nur Schiller unser
Zeitgenosse, sondern auch wir Zeitgenossen Schillers.
✶MANUEL VON ZELISCH
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DIE BÜHNE EINE MOSCHEE
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Die Theaterpädagogin Lisa Masetti ist eine ausdrucksvolle Frau
mit italienischem Akzent. Ihr Heiligtum ist das „Gemeinschaftszentrum Jungbusch“. Seit zwölf Jahren macht sie dort
Theater mit Jugendlichen. Zuletzt „schwererpanzerflügelkleid“.
Wenn man in Mannheim ist, hört
man aus allen Ecken und Enden, wie
kriminell es im Jungbusch zugeht.
Wie sieht das denn wirklich aus?
Lisa Masetti: Menschen, die so
etwas sagen, haben wahrscheinlich noch
nie einen Fuß in den Jungbusch gesetzt.
Hier wohnen Menschen aus 142 Nationalitäten auf engstem Raum zusammen.
Natürlich gibt es da Konflikte. Aber die
sind innerhalb der Gemeinschaften. Ein
Außenstehender kann hier ohne Probleme nachts um vier durch die Straßen
laufen.
Was bedeutet das Theater für die
Jugendlichen hier?
Masetti: Wenn man aus dem Jungbusch kommt, hat man mit Vorurteilen zu
kämpfen, in der Schule, auf der Arbeit.
Theater ist eine Möglichkeit für die Jugendlichen zu zeigen, dass sie etwas können. Ich arbeite größtenteils mit Muslimen, ich sage ihnen immer: Die Bühne
ist heilig. Geht auf die Bühne wie in eine
Moschee. Streift alles ab und lasst euch
von etwas Anderem erfüllen.
Lisa Masetti
Foto: Jan Fischer
Zum Beispiel Schiller?
Masetti: Warum nicht? Ich habe
mich intensiv mit Schiller beschäftigt. Er
war ein Genie. In Deutschland sagt man
immer, er ist sprachlich unglaublich versiert. Für mich sind die Charaktere und
die Themen das Entscheidende. Damit
müssen sich die Jugendlichen identifizieren können, sie müssen etwas für sich
daraus ziehen können.
Und was ziehen sie aus der „Jungfrau
von Orleans“?
Masetti: Für „schwererpanzerflügelkleid“ haben drei verschiedene Theatergruppen zusammengearbeitet. Ich habe
den Text gelesen und ihnen gesagt, was
für Themen es gibt, was für Charaktere.
Das Thema Religion trat zuerst in den
Vordergrund, aber das wollten die Jugendlichen nicht. Die sind zwar alle religiös, aber das Thema ist sehr weit weg
von ihnen. In der „Jungfrau von Orleans“
geht es auch darum, zwischen Gesellschaft und sich selbst einen Platz zu finden. Das Thema stand ihnen viel näher.
Das sind Jugendliche, die auf der Suche
nach sich selbst sind, die zwischen zwei
Kulturen stehen.
Also geht es auch um Integration?
Masetti: Integration ist kein gutes
Wort dafür. Da werden zwei Klassen behauptet, von der die eine in die andere
integriert werden soll. „schwererpanzerflügelkleid“ war ein Glücksfall. Die Menschen aus dem Viertel haben sich mit Besuchern von überall her vermischt. In
Zukunft werden wir diese Vermischung
brauchen. Theater kann einen Beitrag
dazu leisten, es ist ein Wundermittel.
Gespräch: ✶ JAN FISCHER
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DICHTUNG UND WAHRHEIT
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W
as für den Tormann die Angst
beim Elfmeter, ist für den
Journalisten die Furcht vor
der Zeitungsente. Als Nutznießer des
Brodelns in den Gerüchteküchen ist der
Reporter allerdings auch ständigen Gefahren ausgesetzt. Etwa unverlässlichen
Quellen leichtfertig Vertrauen zu schenken oder schlichtweg falschen Infos auf
den Leim zu gehen. Licht ins Dunkel der
Mythen und Ondits zu bringen lautet der
Auftrag.
„Es liefen haufenweise nackte
Frauen rum“, erklärte gerade meine Kollegin auf die Frage, wie denn die legen-
denumwobene Aufführung von „Os Bandidos“ gelaufen sei. „So viele grausige
Szenen gabs gar nicht.“ meinte eine andere. Das Wort „legendenumwoben“
darf im Zusammenhang mit „Os Bandidos“
getrost strapaziert werden. Von realistischen Abtreibungsszenen und einschlägigen Situationen wie in Erwachsenenfilmen war im Vorfeld die Rede. Massig
Blut und Sperma auf der Bühne. Die Gerüchte rankten, blühten und gediehen.
Von jeder Seite hörte man etwas anderes. Und jeder konnte zumindest eine
Geschichte zum Besten geben, wenn es
um das brasilianische Ensemble rund um
den großen Zé Celso ging. Er allein
sorgte schon für Gesprächsstoff. Wie ein
antiker Philosoph mit weißer Löwenmähne sähe er aus, der agile 85-Jährige.
Gut, Zé Celso ist 70. Und mittlerweile
Glatzenträger. Agil ist er wirklich. Beim
Essen im Speisesaal wurden die exotischen Brasilianer auch schon neugierig
umschwirrt. Dass man nicht verstand,
worüber sie sprachen, machte sie noch
interessanter.
An dieser Stelle der Zeitung war ursprünglich ein Porträt mit einem Mitglied
der brasilianischen Theatergruppe geplant. Die Info lautete: „Sie ist Deutsche,
ausgewandert aus Hildesheim und blond.
Möglich, dass sie Julia oder Jule heißt.“
Nun, an Julia, respektive Jule war partout
nicht ranzukommen. Sie bleibt ein Mythos. Die Erklärung: Das Ensemble stehe
total unter Strom. Der Hauptdarsteller
hat sich erwiesener Weise den Fuß gebrochen und tritt nun im Rollstuhl auf.
Zusätzlich gibt es auch noch einen gebrochenen Finger und eine geprellte
Hüfte.
Das stimmt wirklich. Aber eigentlich
darf es daran sowieso keinen Zweifel
geben. Es steht ja in der Zeitung.
✶ MELANIE TROGER
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WIE GESCHNITTEN BROT
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Theater muss ausprobieren, was es kann, die Muskeln spielen
lassen. Dafür ist die Pension Schiller da: Vier Folgen, vier Autoren, vier Regisseure, vier außergewöhnliche Spielorte, hunderte von schrägen Einfällen.
D
Foto: Hans Jörg Michel
avid Gieselmann, Kai Ivo Baulitz, Dirk Laucke, Polle Wilbert
schrieben nachts im Kiosk am
Wasserturm. Die Autoren waren Freiwild
im Menschenzoo, produzierten die Folgen der Fortsetzungsgeschichte unter extremen Bedingungen. Jeweils 36 Stunden
hatten die Regisseure Malte Jelden, Oliver Krietsch-Matzura, Christiane J.
Schneider, Simon Solberg und die Schauspieler im Anschluss Zeit, den Text auf
die Bühne zu bringen – auch wenn es gar
keine Bühne gab. Wie sagte Shakespeare:
Die ganze Welt ist eine Bühne. Das muss
reichen.
Die Autoren haben eine Geschichte
entwickelt, die wie eine Seifenoper schillert, mäandert. Eine Rahmenhandlung
gibt es tatsächlich: Moses P will Mannheim in die Luft jagen – Elchteststrecke,
Popakademie, Nationaltheater – weil Xavier Naidoo ihn „gedisst“ hat. Verhindern
müssen das die drei Ein-Euro-Jobberinnen Heidi, Lisa und Mette. Es wird viel
gesungen, es gibt ein sprechendes Auto,
viel zu viele Poster von Peter Maffay,
roten Nebel und auch ein Schillerfahrrad.
Das alles ist Pop und Trash, zählt zum
Lebendigsten der diesjährigen Schillertage. Weitgehend sinnfrei, meistens genial. Hinter dem Konzept stehen Malte
Jelden und Oliver Krietsch-Matzura von
Drama Köln. Wo sie herkommen, haben
sie Theater im Stil von „Pension Schöller“ zum Programm gemacht: An neue
Orte gehen, Autoren probieren lassen.
Die Soap ist nicht irgendein Stück, sie
ist ein Mannheimer Stück. Die Autoren
setzen sich nicht nur im Text mit der
Dimension „Raum“ auseinander. Ist es
überhaupt ein Problem, wenn irgendwer
die Quadratestadt platt machen will?
Irgendwie schon, finden Heidi, Lisa und
Mette und setzen Handlung in Gang.
Wirkung hat auch die extrem starke
Einbeziehung der jeweiligen Örtlichkeit:
Großmarkt und Trafohalle, ein verwaistes
Ladenlokal, ein verwitternder Bauernhof
mitten in der Stadt. „Pension Schiller“
holt Theater dahin, wo es nie war, nie
mehr sein wird und wo niemand mehr
ist. Schafft Öffentlichkeit, wo das allgemeine Interesse sich längst abgewendet
hat, ist aber dennoch Theater in der
Mitte des Lebens: wie sich in T 2 am
Mittwochabend die Zuschauermenge
drängte und Blicke auf sich zog; wie die
Nachbarn vom Balkon aus zugeschaut
haben; wie die alte Dame, die am Montagnachmittag eine Freikarte in die Hand
gedrückt bekam und am Abend mit
ihrem Ehemann – überfordert zwar, aber
doch da – in der Trafohalle stand.
Das sind Berührungspunkte, die das
Nationaltheater nicht oft genug schaffen
kann. Und die es nur schwerlich schafft,
wenn es in seinen angestammten Räumlichkeiten bleibt, am Rand der Quadrate,
abgeklemmt vom echten Leben. Für alle
Beteiligten ist die „Pension Schiller“ eine
Pension Schiller Folge 2, Drama Köln
knallharte Spielwiese. Hart, weil es Theater jenseits der Grenzen ist, mit maximalen Vorgaben an Logistik und Leistung. Spielwiese, weil alles geht. Schön
daran: Alle zeigen, was sie können. Bringen alles mit, was sie haben. Und das ist
viel.
Die Hauptrolle hat man Gabriel Vetter gegeben, renommierter Slam Poet aus
der Schweiz. Vetter geht ab wie geschnitten Brot. Eigentlich tun das alle, die
Besetzung wechselt, Charaktere kom-
Foto: Frank Heller
men und gehen. Nadine Schwitter, Isabelle Höpfner und Meridian Winterberg,
die drei Engel im Brautkleid, bleiben und
bezirzen, bezaubern, rasten aus, rocken.
Total. Was das mit Schiller zu tun hat?
Nicht viel, vielleicht aber das: Man reibt
sich an Mannheim, wie es einst Schiller
tat. Reibt sich auch an diesem SchillerMannheim. Und zeigt dabei: Das Theater gehört den Jungen, den Wilden.
Denen, die am meisten wollen.
✶ MONI MÜNCH
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SCHILLER
UND ICH
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Wann hat Schiller Sie zum
ersten Mal berührt?
In Andras Fricsays fulminanter
„Räuber“-Inszenierung am Münchner
Prinzregententheater.
Über was würden Sie mit
Schiller sprechen wollen?
Da mich die Auseinandersetzung mit Autoren interessiert, wäre ich natürlich neu-
gierig, was er zu meiner „Kabale und
Liebe“ Inszenierung (2001 am Düsseldorfer Schauspielhaus) gesagt hätte. Aber
mich würde auch interessieren wie sein
Verhältnis zur Stadt Mannheim und dem
Nationaltheater wirklich war.
Mit welchem Schiller-Text können
Sie tatsächlich was anfangen?
„Kabale und Liebe“
Was nervt Sie an Schiller?
Zu viel Schullektüre, zu wenig sinnliche Theateraufführungen.
Wann werden Sie zur Bestie?
Wenn die Leute nicht mehr ins Theater
gehen.
Burkhard C. Kosmisnki ist Schillertage-Macher und Schauspieldirektor
des Nationaltheaters.
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ZUM SCHLUSS EIN MOJITO
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U
m ein Resümee des Festivals zu
ziehen sprachen wir mit Jan-Philipp Possmann, der zusammen
mit Haiko Pfost das Kuratorium des Festivals bildete, den Schillerboys und vielen
mehr. Alle haben etwas gemeinsam – viel
zu wenig Schlaf. Jan-Phillip Possman etwa
fand ihn kaum, ist aber immer noch ungetrübt begeistert und erwähnt vor allem
die Reaktionen des Mannheimer Publikums. Eine unglaubliche Stimmung sowohl bei den Besuchern als auch Machern sei entstanden. Man merkt, dass er
das in dieser Stärke nicht erwartet hat.
Und auch nicht, dass alles so gut funktioniert. Possman weiter: Der enorme Zuspruch zeige, dass das Festival sich auf
dem richtigen Weg befinde, weg vom reinen Gastspielsammelsurium hin zu mehr
Auftragsproduktionen und jungen Künstlern, die sich auf ihre ganz eigene Art und
Weise mit Schiller auseinandersetzen.
Es sieht so aus, als sei auch nach dem
großen Schillerjahr 2005 das Interesse ungebrochen. Zurückführen kann man das
unter anderem auf die Gäste aus Südamerika. Bekanntlich herrschen dort
enorme soziale Spannungen, die Schere
zwischen Arm und Reich klafft immer
weiter. Genau das, erklärt Jan-Philipp
Possmann, führe in den entsprechenden
Ländern zu einer Wiederentdeckung bürgerlicher Ideen und Meinungen, ähnlich
wie zu Schillers Zeiten. Nichts habe also
näher gelegen, als Autoren und Regisseure aus dieser Region zu beauftragen,
sich frisch und unvoreingenommen mit
Schiller und vor allem mit seinen theoretischen Schriften und eher unbekannten
Werken auseinander zu setzen.
Spannend wäre in diesem Zusammenhang allerdings auch die Frage,
inwiefern es während der Schillertage zu
einem Gedankenaustausch über die tatsächliche Situation in den unterschiedlichen Theaterszenen Südamerikas gekommen ist. Immerhin können Schauspieler dort nicht von ihrer Kunst leben,
brauchen einen Zweitjob. Theater mit
einem festen Ensemble gibt es nicht.
Es heißt Abschied nehmen. Abschied für die Dauer zweier langer festivalfreier Jahre. Eigentlich könnten die Schillertage weiter gehen, sorgen sie doch für Stimmung und Emotionen – fast
wie die Fußball-WM, nur in einem etwas kleineren und ja,
doch, auch anderen Rahmen.
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14. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE
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Etat
Besucher:
Theaterprojekte:
Uraufführungen:
Veranstaltungen:
Theatermacher aus dem Ausland:
Theatermacher aus Deutschland:
Stipendiaten:
Beteiligte Mitarbeiter
vom Nationaltheater:
Schillergirls
Verklebte Dekosterne:
Gestohlene Räder:
Verkaufte Festival-T-Shirts:
Festival-T-Shirts pro Schillermacher:
Geschlafene Stunden
der Festivalmacher pro Nacht:
Abgenommene Kilo
pro Festivalmacher:
Hauptdarsteller
mit gebrochenem Bein:
Totalausfälle:
Lunchpakete:
Brötchensorten:
Ausgeschenktes Bier
im Theater-Café:
Geschriebene Zeichen für
die Festivalzeitung
Datenmenge des Layouts
die Festivalzeitung
etwa 700.000 €
etwa 13.000
21
14
82
80
90
56
630
10, zwei männliche
etwa 12.000
3,5 davon zurückgebracht: 1
1.000
4–5, durchgeschwitzt: 4–5
3–4
2–4
1
0
700–800
4
270 Kästen Schillerbier
und 2.700 Liter Fassbier
300.000
3,17 Gigabytes
Staatliche Förderung ist ein Wunschtraum. Im Vergleich dazu herrschen in
Deutschland traumhafte Verhältnisse.
Zurück nach Mannheim: Das Motto
„Bestie Mensch“ ist eine Steilvorlage und
eine Thema, das sich in fast jedem Werk
Schillers finden lässt. Da fällt das Fehlen
von Schwergewichten wie „Don Carlos“
oder „Wilhelm Tell“ schon schmerzlich
auf. Die Aussage, der Festivalleitung,
genau die könne man sowieso auf jeder
noch so kleinen Bühne sehen, deshalb
habe man den Festivalschwerpunkt bewusst auf Auftragswerke und nicht auf
Gastspiele gelegt, überzeugt nicht wirklich. Mannheim ist schließlich „die“ Schillerbühne und trägt eine gewisse Verantwortung für das Gesamtwerk des
Dichters, die Originale. Ein ausgewogenes Nebeneinander von Klassikern und
neuen Ideen schließt sich nicht aus.
Das Programm des Festivals war überbordend. Man hätte sich gerne zweigeteilt, um alles sehen zu können. Über die
Highlights der Schillertage sind die Macher sich uneins. Für Jan-Philipp Possmann war es Martin Nachbars „Iller“; für
Kristina Faber, zuständig für Pressearbeit
und Marketing, war es „Ulrike Maria Stuart“ und das Schill-Out mit „Mini Moustache“; für Pressesprecher Jochen Zulauf
„Kallias – Krankheit im Blick“. Aber auch
für Schillermacher gibt es Tiefpunkte. Im
Fall von Kristina Faber kam er nach einen
durchgearbeiteten Nacht, als sie am
Schreibtisch einschlief.
Das Schönste, da sind sich vom Schillerboy Stefan Jooß bis zum Projektleiter
Holger Schulz alle einig, ist die Gewissheit: Alles lief gut, die Mühen haben sich
gelohnt, das Publikum war begeistert. Für
einen Moment und mit ruhigem Gewissen können sich alle zurücklehnen und
ein Schillerbier genießen – oder einen
Mojito, der zum beliebtesten Cocktail des
Festivals avancierte. Zufrieden sind sie
alle, auch der Hausmeister des Nationaltheaters. Er bringt es auf den Punkt: „Das
geilste Festival seit 10 Jahren!“
✶ MORITZ HUMMRICH
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CHO SEUNG HUI
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An einem Morgen, der aussieht wie jeder andere,
sich anfühlt wie jeder andere und an dem ich leben
möchte, wie an jedem anderen Morgen auch,
schalte ich den Fernseher oder das Radio ein.
Etwas ist geschehen.
n diesem Morgen, an dem ich
wie immer einfach nur weiter
leben möchte, tritt ein junger
Mann auf den Campus der
Technischen Hochschule in Blacksburg,
Virginia, tötet 32 Menschen und sich
selbst. Der gebürtige Südkoreaner Cho
Seung Hui war ein Einzelgänger, ein introvertierter, ein verschlossener Mensch,
einer, von dem seine Kommilitonen jetzt
sagen, sie hätten ihn nicht gekannt. Er
studierte englische Literatur, verfasste in
Creative Writing-Kursen „Blutrünstige
Theaterstücke“, wie die Direktorin der
Fachschaft sich in einem Interview ausdrückt.
In seinem Stück „Mr. Brownstone“,
schreibt er: „Act One, Scene One. Jane
[17]: He [Mr. Brownstone] has to make
our lives miserable. / John [17]: Make
room for the new generation, you old
fart! / Jane: We’re just kids. Leave us
alone damn it. / John: Giving me an after
school detention and ass-raping me for a
harmless joke.“ Die Botschaft ist eindeutig. Leid evoziert Leid und bevor man
selbst leiden muss, lässt man lieber die
anderen leiden. Genauso eindeutig:
„Macht kaputt, was euch kaputt macht.“
Eine archaische, destruktive Denkweise
gepaart mit einem Minderwertigkeitsgefühl und übersteigerter Paranoia.
Cho Seung Hui tötet 32 Menschen
mit zwei „9-Millimeter-Handfeuerwaffen“, zwischendurch schickt er Nachrichten an die Medienanstalten des Landes. Rache ohne erkennbaren Bezug,
ohne Erklärung, erscheint unzulässig,
sinnlos. Er will erklären, wofür und
woran er sich rächt. Er sagt: „Ihr habt
mein Herz zerstört, meine Seele vergewaltigt und mein Gewissen in Brand gesetzt.“ Das Prinzip der Vergeltung ist ein
Prinzip der Befreiung. Als einzige Möglichkeit bleibt ein „Befreiungsschlag“.
Cho wörtlich: „Ihr habt mich in die Ecke
getrieben.“ IHR. Das ist die Macht gegen
die der Einzelne nicht bestehen kann, die
dunkle Autorität, das kafkaesk Größere.
„We´re just kids. Leave us alone“. Mit seinem Handy filmt er sich selbst, in einen
fiktiven Zustand der
Kommunikationslosigkeit
versetzt: „Ihr hattet hundert Milliarden Chancen,
das hier zu verhindern.“
Aber erst nach einem
lapidaren „Warum?“ kommen die wirklich schwierigen Fragen. Stimmen
werden laut, weil sie nicht
verstehen. Nicht verstehen, wie diese Welt ist, in
der sie leben. Selbst wenn
man glaubt, die Tat durch
Paranoia, Drogeneinfluss
und emotionale Inkompetenz erklären zu können, bleibt die Schwierigkeit, ihr Wesen zu
verstehen. Wie war es
faktisch möglich, diese
Energie und Willenskraft
gären zu lassen und in
einer bis dahin „ungekannten“ Blutorgie zu
entfesseln? Die Reaktion
aus dem Radio oder Fernseher kommt sofort:
„Eine Gemeinsamkeit
zwischen dem Amokläufer und dem Rest der
Menschheit ist nicht festzustellen. Zur allgemeinen Beruhigung können wir verkünden,
dass der Mensch immer noch «von
Grund auf gut» ist und Cho Seung Hui
demnach etwas anderes gewesen sein
muss.“ Und dann pädagogisch: „Doch,
wie wurde er zur Bestie?“
Faul, wie ich nun mal bin, wenn ich
aufwache und etwas geschehen ist, liege
ich da und nicke: „Das macht Sinn. Da
fühl ich mich gut.“ Im nächsten Moment
aber schrecke ich auf. Jetzt bin ich wach
und wundere mich über die Fragestellung. Wundere mich, was für ein rückständiges Menschenbild da immer noch
vertreten wird, wo wir doch spätestens
seit der Aufklärung wissen, dass die Bestie, ebenso wie der Heilige und der
Held, Teil des Menschen ist. Cho Seung
Hui hat seine Menschlichkeit nie verloren, er hat nur ein Extrem getestet, möglicherweise eine Grenze verschoben, niemals aber überschritten.
Hätte er das wirklich getan, würden
wir instinktiv andere Bewertungskriterien finden, anstatt bewährten Reaktionsmustern zu folgen. Nach einer gewissen „Logik“ würden wir nicht fragen,
Recht und Unrecht hätten keine Relevanz, denn die Kultur des Menschen, erlaubt ihm nur, das eigene Handeln in gut
und böse zu teilen, nicht aber die eines
Wesens, das sich grundsätzlich anders definiert. Einem teuflischen Gott kann man
schließlich auch nicht mit Vergeltung
drohen.
✶ MARCEL MAAS
GEORGE W. BUSH, geb. 1946,
Ölunternehmer,
Oberbefehlshaber der US-Army.
Verweigert Kyoto und verletzt
Menschenrechte in Guantánamo.
Bild: ERNST VOLLAND
„12 Apostel“
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SPIELPLAN SAMSTAG 23.06.07
✶ AB 14.00 ✶
✶ AB 17.00 ✶
✶ AB 18.30 ✶
14:00 Unteres Foyer
17:00 Oberes Foyer
18:30 Studio Werkhaus
KARNEVAL
DER TIERE (UA)
LIGNA
€ 5,– / 2,50
SCHILLER ON AIR
SWR2 FORUM
€ 5,– / 2,50 / frei in Verbindung
mit Vorstellungsbesuch
PENSION SCHILLER
DAS FINALE
Drama Köln
€ 13,– / 8,–
✶ AB 19.00 ✶
18:30 Jungbuschstraße 19
SCHWERERPANZERFLÜGELKLEID
GZ Jungbusch/Creative Factory
Eintritt frei!
19:30 Schauspielhaus
OS BANDIDOS / DIE RÄUBER (UA)
Teatro Oficina – Brasilien
PREISE G
20:00 Kurpfalztherme Collini-Center
REVUE PREMIERE
HELDEN MANNHEIMS (UA)
Jürgen Kuttner & Tom Kühnel
€ 10,– AK / AUSVERKAUFT!
✶ AB 22.00 ✶
✶ AB 22.30 ✶
20:00 Probenzentrum Neckarau
22:00 TiG7 Hof
22:30 Unteres Foyer/Theatercafé
WALLENSTEIN
Eine dokumentarische Inszenierung
Rimini Protokoll
€ 13,– / 8,– anschließend Publikumsgespräch
SCHILLER VOR MIR
– EINE REISE (UA)
Volker Gerling
€ 13,– / 8,–
SCHILL-OUT
mit SORGENTE
und SINN GING DJ
Eintritt frei!
AUF WIEDERSEHEN BEI DEN
15. INTERNATIONALEN SCHILLERTAGEN
und tschüss – der layouter
anstalt08