Die teuerste Liege der Welt - Dorothea Sundergeld Journalistin
Transcription
Die teuerste Liege der Welt - Dorothea Sundergeld Journalistin
style Design Die teuerste Liege der Welt Eigentlich hatte Schmuckdesign-Student Marc Newson nur ein bisschen mit Polyurethanschaum und Aluminium experimentiert – und keiner konnte ahnen, dass dabei das hochdotierteste Möbelstück unserer Zeit herauskommen würde. Inzwischen hat der Australier sein Repertoire um Türstopper, Schaukelpferde und Raumflugzeuge erweitert … A ls Sitzgelegenheit ist „Lockheed Lounge“ nur bedingt zu empfehlen. Die fließend geformten Rundungen, inspiriert von Jacques-Louis Davids Gemälde „Mme Récamier“, sehen einladend aus, doch die kühle Oberfläche aus genieteten Aluminiumplatten ist alles andere als gemütlich. Dennoch ist die Liege ein Star. Schon Ende der Achtziger wurde sie als DesignIkone in der internationalen Presse gefeiert. 1993 räkelte sich Madonna im Video zu ihrer Single „Rain“ auf einer „Lockheed Lounge“, und über die Jahre wurde das rundliche Sitzmöbel, von dem weltweit nur 15 Exemplare existieren, zum begehrtesten DesignSammlerstück unserer Zeit. Als die Chaiselongue 2006 bei einer Auktion in New York für eine knappe Million Dollar versteigert wurde, galt das als Durchbruch der Design Art. Niemals zuvor hatte ein Möbel eines lebenden Gestalters einen so hohen Preis erzielt. 2009 brach das Möbelstück den eigenen Rekord – und kam bei Phillips de Pury in London für 1,1 Millionen britische Pfund (1,36 Millionen Euro) unter den Hammer. Für den inzwischen 48-jährigen Australier ist der Erfolg seines Frühwerks „beyond me“. Es ist ein Phänomen, das über ihn hinausgewachsen ist, ein Eigenleben entwickelt hat. Als er Anfang der achtziger Jahre in Sydney Schmuckdesign und Bildhauerei studierte, wollte er vor allem wissen, „wie 50 Dinge gefertigt werden“. „Lockheed Lounge“ war der Versuch, ein fließendes Metallobjekt zu schaffen, ebenmäßig glatt wie ein Tropfen Quecksilber. Monatelang sägte Newson organische Formen aus Polyurethanschaum und feilte an Methoden, diese Form mit dünnen Aluminiumplatten zu verkleiden. Schließlich fixierte er sie mit Nieten, wodurch das Ergebnis an die glänzenden Lockheed-Electra-Propellermaschinen aus den dreißiger Jahren erinnerte – und so seinen Namen bekam. Dass dieses Objekt einmal das teuerste Möbelstück der Welt werden würde, konnte er damals nicht ahnen. „Ich wusste noch nicht einmal, dass ich Designer werden würde. Ich hatte einfach nur die Vision, ein skulpturales Möbel zu bauen.“ Die kleine Chaiselongue schreibt rasch ihre eigene Geschichte. Sie wird in Sydney ausgestellt, von der Art Gallery of South Australia gekauft, von der internationalen Presse gefeiert, wodurch die japanische Designfirma Idée auf Newson aufmerksam wird und mit ihm zusammenarbeitet. In Tokio entstehen der „Black Hole Table“ aus Karbonfaser, der „Wicker Chair“ aus Korbgeflecht und die „Super Guppy Lamp“, eine Stehleuchte nach dem Vorbild der japanischen Straßenlaternen. Der „Embryo Chair“, ein knuffiger Sessel in Form eines Blobs mit Beinen, wird zunächst von Idée mit einem Neopren-Bezug hergestellt, später von Cappellini mit einem Bezug aus elastischem Textil. Newson zieht von Tokio über London nach Paris – und bringt mehr und mehr Serienprodukte heraus. Die Welt, in der er aufwuchs, mit dem Optimismus des Mondlandungsjahrzehnts und der Sorglosigkeit der australischen Surfkultur, hat ihn geprägt. Die Formensprache, die daraus entsteht, ist so dynamisch geschwungen wie eine Riesenwelle – und passt wunderbar in das hedonistische Jahrzehnt der Neunziger. Seinen biomorphen Stil, der ihn mit „Lockheed Lounge“ bekannt gemacht hat, setzt Newson nun in Massenprodukten um – in Parfümflakons und Türstoppern, Trinkgläsern und Sextoys, Badezimmerarmaturen und Pfeffermühlen, Turnschuhen und Champagnerkühlern. Er entwirft Mode für G-Star und gründet eine Uhrenfirma, verliert aber auch seine Kunstprojekte nicht aus den Augen. Als er entdeckt, dass Autokarosseriebauer Aluminium so bearbeiten können, wie es seiner Vision von fließendem Metall entspricht, lässt er Unikate und Kleinserien in einer Aston-Martin-Werkstatt fertigen. „Orgone Table“ und „Orgone Chair“ aus poliertem Aluminium entwickeln ähnlichen Ikonenstatus wie die „Lockheed Lounge“. Aber man muss kein Millionär sein, um ein Kultobjekt von Newson zu besitzen. „Gerade die Grenzen, die MassenLufthansa Exclusive 8/2012 Fotos: Jonathan Root/eyevine/picture press; Marc Dommage; Courtesy Vitra Museum , Weil am Rhein ©Marc Newson, Foto: Thomas Dix Text Dorothea Sundergeld Verstecken muss Marc Newson sich nicht. In den Achtzigern entwarf der Australier das begehrteste Design-Sammlerstück unserer Zeit, später landete er mit dem Tisch „Extruded 3“ (links) einen Verkaufserfolg – und kniete sich auch sonst mächtig rein Ehre, wem Ehre gebührt: „Lockheed Lounge“ (unten) ist das teuerste Möbelstück unserer Zeit und hatte einen Auftritt in dem Madonna-Video „Rain“ Der „Orgone Table“ (oben) von 1991 verweist schon mit seiner geschwungenen Form auf Newsons Ausbildung zum Schmuckdesigner style Design „Rocky“ heißt das Schaukelpferd, das Newson jüngst für die italienische Firma Magis entworfen hat TIKIR TIKIR Alles zu seiner Zeit: Newson interpretiert die Tischuhr „Atmos“ für Jaeger-LeCoultre neu Ein Kindheitstraum wird wahr: Newson entwarf im Auftrag der Pariser „Fondation Cartier pour l’art contemporain“ einen Privatjet – den 2004 präsentierten „Kelvin 40“ produktion einem Designer setzt, bringen Marc zu Bestleistungen“, sagt Alice Rawsthorn, Designkritikerin der International Herald Tribune. Über den „Dish Doctor“, ein nützlich-elegantes Abtropfgestell für den Handabwasch, sagt der Entwickler: „Ich bin sehr glücklich mit diesem Entwurf. Er ist irgendwie bizarr, dabei aber in höchstem Maße funktional – und noch heute, 15 Jahre nachdem ihn Magis auf den Markt gebracht hat, ein zeitgemäßes Objekt.“ Was macht ein Designer, wenn er sowohl mit limitierten Editionen in der Kunstszene erfolgreich ist als auch mit Massenprodukten den Geschmack der Zeit trifft? Er vergrößert den Maßstab seiner Projekte. Nachdem Newson in den neunziger und nuller Jahren vom Turnschuh bis zum Restaurant-Interieur alles gestaltet hatte, wurde er 2006 Creative Director der australischen Airline Qantas, seitdem konzentriert er sich 52 auf eine seiner Leidenschaften: Transportmittel. „Bewegung und Transport als Manifestation von Technologie, Material und Performance haben mich immer begeistert“, sagt Newson. Zu den Projekten, die ihm persönlich die wichtigsten sind, zählt er seine Fahrzeugstudien. Für Ford entwickelt er ein Concept Car, das äußerlich daherkommt wie ein von den Jetsons inspirierter Trabi, im Inneren aber extrem reduziert und fortschrittlich ist. Für eine Ausstellung in der Pariser Fondation Cartier entwickelt er „Kelvin 40“, seine Vision eines idealen Privatjets. Für Riva gestaltet er 2010 eine limitierte Edition futuristischer Luxusboote und für die EADS-Tochter Astrium das Interieur eines Raumflugzeugs, das bald schon Touristen zu kurzen Ausflügen in den Weltraum schicken soll. Aber nicht alles, was Marc Newson zurzeit treibt, ist so abgehoben. Auf der internationalen Möbelmesse, die im April in Was dieser Mann anfasst, wird zu Gold. Seine für G-Star Raw entworfenen Klamotten (einfaches Design, hochwertiges Material) sind weltweit Bestseller Mailand stattfand, präsentierte er für die Kinderkollektion von Magis ein Schaukelpferd. Vielleicht liegt es auch daran, dass er inzwischen zwei kleine Kinder hat – Familie macht bodenständig. Buchtipp Im August erscheint im Taschen Verlag „Marc Newson – Works“ (limitierte Auflage von 1000 nummerierten und signierten Exemplaren in leinenbezogenem Schuber; 750 Euro). Die Herausgeberin Alison Castle listet darin das komplette Œuvre des australischen Designers chronologisch und nach Kategorien geordnet auf. Lufthansa Exclusive 8/2012 Fotos: Ford, Courtesy of Marc Newson Limited; Philippe Joner, blacksquare.ch; G-Star, Daniel Adric Für Ford entwickelt der australische Alleskönner ein Concept Car, das von außen wie ein Trabi aussieht, innen aber fortschrittlich ausgestattet ist “TIKIR TIKIR” is the ticking sound of perfectly working Turkish Machinery in all languages in 200 different countries. www.turkishmachinery.com