Aachener Schriften zur Stadtentwässerung
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Aachener Schriften zur Stadtentwässerung
Elke Kruse / Jacqueline Hoyer / Wolfgang Dickhaut, Hamburg Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung ist mehr als die technische Aufgabe, den städtischen Wasserkreislauf naturnäher und kleinräumiger zu organisieren. Soll diese Zielsetzung erfolgreicher und häufiger als bisher im Stadtneu- und besonders -umbau realisiert werden, muss eine bessere Integration in die Stadt- und Freiraumplanung gelingen. Der Ansatz, Regenwasserbewirtschaftungssysteme zur Aufwertung von Stadträumen zu nutzen, wird mit dem Begriff „Wassersensible Stadtentwicklung“ bezeichnet. Wie eine wassersensible Stadtentwicklung umgesetzt werden kann, zeigt die Publikation „Water Sensitive Urban Design - Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future“, die von der HafenCity Universität Hamburg im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes SWITCH (www.switchurban water.eu) entwickelt wurde (Hoyer et al. 2011). In diesem Beitrag werden die Ansätze und Inhalte des Planungsansatzes sowie verschiedene Beispielprojekte aus Deutschland vorgestellt. 1 Umgang mit Regenwasser in der Stadt 1.1 Konventionelle Regenwasserbewirtschaftung Wasser ist ein inspirierendes Element im Wohn- und Arbeitsumfeld. Es kann die Qualität von öffentlichen Räumen erheblich beeinflussen. Dennoch setzte die Wasserwirtschaft in der Vergangenheit vorwiegend auf zentrale Systeme zur unterirdischen Ableitung von Regenwasser. Zentrale Systeme haben jedoch viele Nachteile: Sie wirken sich negativ auf den städtischen Wasserkreislauf aus und lassen die Gefahr von Hochwasser und örtlichen Überschwemmungen ansteigen. Nur mit einem hohen finanziellen Aufwand können sie an veränderte Rahmenbedingungen (Klimawandel, Zuwachs oder Schrumpfung) angepasst werden. Zudem ist der sehr hohen Kosten(anteil) der Kanalisation an der Siedlungsentwässerung und deren aktueller Sanierungsbedarf zu nennen (vgl. Geiger et al. 2009, DWA 2011, 2007, 2006 sowie Heiden et al. 2001). 1.2 Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung Ausgelöst durch diese Nachteile wurde in den vergangenen Jahren an Lösungen gearbeitet, die eine nachhaltigere Bewirtschaftung von Regenwasser in der Stadt ermöglichen. Vor allem im Rahmen der IBA Emscher Park wurden dazu viele neue Techniken entwickelt, die Regenwasser dezentral zurückhalten, versickern, verdunsten oder nutzen (siehe u.a. Londong/Nothnagel 1999). In der Folge sind Versickerungs- und Regenwassernutzungsanlagen insbesondere auf Privatgrundstücken ent- Aachener Schriften zur Stadtentwässerung, Band 15, Aachen 2011, ISBN 978-3-938996-08-9 5. Wassersensible Stadtentwicklung: Beispiele aus Deutschland 2 standen. Die gestalterischen, sozialen und ökonomischen Potentiale von dezentralen Bewirtschaftungsmöglichkeiten wurden jedoch bisher kaum genutzt, um öffentliche Räume attraktiv und erlebbar zu machen. 2 Wassersensible Stadtentwicklung Wassersensible Stadtentwicklung zeichnet sich durch eine „interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wassermanagement, Städtebau und Freiraumplanung aus, die alle Teile des urbanen Wasserkreislaufes berücksichtigt, Wassermanagement-funktionen und städtebauliche sowie freiraumplanerische Gestaltung kombiniert und damit Synergien für eine ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Nachhaltigkeit ermöglicht“ (Hoyer et al. 2011, S. 18 auf Grundlage von Langenbach/ Eckart/Schröder 2008). Das übergeordnete Ziel des Planungsansatzes ist es, Anforderungen des urbanen Wassermanagements mit städtebaulichen Anforderungen zu verbinden und damit funktionale, aber auch durch die Bevölkerung nutzbare, attraktive Freiräume zu entwickeln. Der Planungsansatz zielt dabei nicht nur auf einen ökologischeren Umgang mit Regenwasser, sondern setzt urbanes Wasser ins Zentrum zukünftiger städtischer Entwicklungen. 3 Prinzipien für eine wassersensible Stadtentwicklung Im Rahmen des EU-Forschungsprojektes „SWITCH“ wurde untersucht, welche Aspekte für eine erfolgversprechende Umsetzung von Maßnahmen des dezentralen Regenwassermanagements von Bedeutung sind. Entstanden ist ein Katalog von zwölf Prinzipien, der verdeutlicht, dass dezentrale Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung nur dann erfolgversprechend umgesetzt werden können, wenn die folgenden Aspekte gleichberechtigt berücksichtigt werden (Hoyer et al. 2011, 35ff.): Ökologie – Nutzung von dezentralen Regenwasserbewirtschaftungssystemen zur Wiederherstellung des natürlichen Wasserkreislaufs. Gestaltung – Nutzung der gestalterischen Potentiale von Regenwasserbewirtschaftungssystemen zur Aufwertung von Stadtquartieren. Funktionalität – Verwendung geeigneter, möglichst anpassungsfähiger Techniken und Berücksichtigung von Pflegeaspekten, um eine langanhaltende Funktionalität der Regenwasserbewirtschaftungssysteme sicherzustellen. Nutzbarkeit – Entwicklung mehrfach nutzbarer Freiräume mithilfe von dezentralen Regenwasserbewirtschaftungssystemen. Öffentliche Wahrnehmung/Akzeptanz – Berücksichtigung verschiedener Ansprüche im Planungsprozess durch Bürgerbeteiligung und die Sicherstellung akzeptabler Kosten. Integrative Planung – Durchführung der Planung als integrativer Prozess, der verschiedenste Ansprüche berücksichtigt, alle privaten und öffentlichen Akteure sowie Fachleute aus verschiedenen Bereichen der Stadtplanung sowie Wasserwirtschaft beteiligt. 3 4 Deutschlandweite Beispiele Im Folgenden werden vier Projekte vorgestellt, in denen die Prinzipien einer wassersensiblen Stadtgestaltung auf verschiedenste Weise umgesetzt wurden. 4.1 Wohnpark Trabrennbahn Farmsen / Hamburg STANDORT Max-Herz-Ring in Hamburg-Wandsbek ART DER BAULICHEN NUTZUNG allgemeines Wohngebiet (WA) BAUHERR Trabrennbahn Hamburg Farmsen GbR und GATOR Beteiligungsgesellschaft mbH PLANUNG Büro Kontor Freiraumplanung, Hamburg (Freiraumgestaltung und Entwässerung) Abb. 1: Lageplan der Trabrennbahn (dunkelgrau) mit den Ziegelteichen und dem Grabensystem (schwarz) Die ehemalige Trabrennbahn in Farmsen wurde zwischen 1995 - 2000 auf einer Fläche von 15,1 ha zu einem Wohnpark mit reiner Wohnnutzung für ca. 1.160 Wohneinheiten entwickelt. Der Wohnpark stellt eine gelungene Umsetzung des städtebaulichen Leitbildes „Urban-Kompakt-Grün“ dar. Städtebaulich und freiraumplanerisch wird ein enger Bezug zur Geschichte des Ortes als Trabrennbahn und zuvor als Standort einer Ziegelei hergestellt. Mit ca. 1,7 ha Wasserflächen spielt das Thema „Wasser“ eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Außenanlagen. Städtebauliche und Freiraumplanerische Gestaltung Durch die Anordnung der neuen Gebäuderiegel ist das Oval der ehemaligen Rennbahn nachgezeichnet und die offene Wiesenfläche im Zentrum des Wohnparks bewahrt worden. Die alten Ziegelteiche, bestehende Gehölze und wertvolle Habitate, die sich nach der Schließung der Trabrennbahn entwickelt haben, konnten so erhalten und weiterentwickelt werden. Das ganze Wohngebiet ist autofrei gestaltet. Nur am Rand ist ein mehrstöckiges Parkhaus /-deck angeordnet. Die Gebäude des äußeren und des inneren Ovals werden durch eine Promenade miteinander verbunden, in die Spielbereiche für Kinder jeden Alters integriert sind. Parallel zur Promenade ist ein offenes Wassersystem angeordnet, welches ein wichtiges Gestaltungselement der Landschaftsarchitekten darstellt. Die hochwertige Ausführung dieser permanent Wasser führenden Gräben trägt 4 zu einem attraktiven Wohnumfeld bei. Da das Wasser fast überall leicht zugänglich ist, ist es vor allem für Kinder erlebbar und regt zum Spielen an. Dies wurde durch die Gestaltung der Gräben zusätzlich unterstrichen: die äußere Kante ist als „harte“ Kante mit Betonsitzstufen ausgebildet, die innere Seite dagegen besteht aus einem „weichen“, flach abfallendem Schilfufer, das sich zu den angrenzenden Grünflächen hin öffnet. Nur wenige Geländer und Zäune sind vorhanden. Bereiche, die der natürlichen Entwicklung überlassen werden sollen, sind nicht zugänglich. Abb. 2+3: Die permanent wasserführenden Gräben mit ihren harten und weichen Kanten (links) und der Zulauf von den Gräben zu den Ziegelteichen entlang der zentralen Grünfläche (rechts). Das Entwässerungssystem Ziel war es, mit der neuen Bebauung möglichst wenig in den Wasserhaushalt vor Ort einzugreifen und nur ein geringer Anteil des Niederschlagswassers in das nächste Fließgewässer einzuleiten. Da die Böden vor Ort nur eine geringe Wasserdurchlässigkeit aufweisen, haben sich die Landschaftsarchitekten für ein offenes Entwässerungssystem entschieden unter Berücksichtigung hoher ökologischer Kriterien. Das Grabensystem besteht aus Haupt- und Stichgräben. Die Stichgräben sind als trocken fallende Gräben ausgebildet und dienen der Grundstücks- und Straßenentwässerung. Die Hauptgräben dagegen sind permanent Wasser führend. Sie sammeln das Wasser aus den Stichgräben und leiten dieses zu den Ziegelteichen in der zentralen Grünfläche. Die Sohle der Hauptgräben ist mit Ton abgedichtet, der obere Bereich am parkseitigen Ufer ist dagegen versickerungsfähig ausgebildet. Das Wasser der Ziegelteiche wird anschließend über eine Rohrdrossel (DN 400) in den Hopfengraben im Westen eingeleitet, der als Vorfluter dient und in die Osterbek mündet. Eine Einleitbegrenzung von Qmax = 160 L / sec besteht. Dadurch wird sichergestellt, dass die bisher aus dem Gelände abfließende Regenwassermenge nicht erhöht wird. Die Teiche sind auf 10-jähriges Regenereignis, von 15-minütiger Dauer ausgelegt, die Gräben auf ein 5-jähriges Regenereignis. Ein Großteil des Wassers verdunstet, nur geringfügig versickert es in den Uferbereichen. 5 4.2 Weiherfeld / Langenhagen STANDORT Weiherfeld in Langenhagen, Stadtteil Kaltenweide, Region Hannover ART DER BAULICHEN NUTZUNG: allgemeines Wohngebiet (WA) BAUHERR Entwicklungsgesellschaft Langenhagen mbH PLANUNG Gruppe Freiraumplanung, Langenhagen (Freiraumgestaltung und Entwässerung) in Zusammenarbeit mit der Ingenieurgesellschaft für Stadthydrologie mbH, Hannover Abb. 4: Lageplan von Weiherfeld (dunkelgrau) mit den drei Grünkeilen, in die Versickerungsflächen großflächig integriert sind. Im Südwesten befindet sich die Bürgerwiese mit Teichlandschaft (schwarz). Weiherfeld ist ein neuer Stadtteil Langenhagens in der Region Hannover und befindet sich nördlich des alten Ortsteils Kaltenweide. In dem 170 ha großen Neubaugebiet wurden gemischte Bauformen für 3.000 Einwohner entwickelt. Aufgrund der begrenzten Vorflut war die fast vollständige Regenwasserversickerung eine Voraussetzung für die Entwicklung des Baugebietes. Die multifunktionale Nutzung bzw. Doppelnutzung von Versickerungsflächen für Spiel und Sport stellt dabei ein wichtiges Element der Freiraumgestaltung für dieses Gebiet dar. Städtebauliche und Freiraumplanerische Gestaltung Der alte Ortsteil und das Neubaugebiet sind durch den 2,2 ha großen Stadtteilpark `Bürgerwiese´ im südwestlichen Teil miteinander verbunden. Die Gliederung des Baugebietes erfolgt durch drei Grünkeile, in denen sich sowohl Bereiche für die Regenwasserbewirtschaftung als auch Kinderspielbereiche befinden. Bei der Gestaltung der Kinderspielbereiche wird jeweils das Thema Wasser aufgegriffen, bspw. durch eine Wasserspielanlage, die in einer Versickerungsfläche mündet. Durch die frühzeitige Zusammenarbeit von Freiraumplanern und Entwässerungsingenieuren konnte diese Nutzungsüberlagerung von Beginn am im Gesamtkonzept berücksichtigt werden. 6 Abb. 5+6: Blick über die Grünkeile mit den integrierten Versickerungsflächen und ein anschließender Kinderspielbereich mit Wasserspiel Das Entwässerungskonzept Der Regenabfluss der Wohngebiete und der Straßen wird oberirdisch zu den Grünkeilen geführt, dort gesammelt, zurückgehalten und versickert anschließend. Ein Teil des Regenwassers speist die ganzjährig wasserführende Teichlandschaft in der `Bürgerwiese´, der restliche Teil versickert auf den Rasenflächen der Grünkeile. Der Flächenanteil der Regenwasserversickerungsanlagen liegt zwischen ca. 70% im ersten und zweiten Grünkeil und ca. 40% im dritten. Da das Gelände ein Gefälle aufweist, sind die Versickerungsflächen kaskadenförmig angeordnet worden, um so das Regenwasser gleichmäßig auf die Flächen zu verteilen. Kleine Wälle trennen die Flächen, damit das Wasser bis zu einer Höhe von 30 bis 40 cm einstauen kann. Bei einem Extremereignis fließt das überschüssige Wasser an einer definierten Notüberlaufstelle in die nächste Sickerfläche und zum Schluss in den Vorfluter. Die Sickerflächen sind jeweils mit einem Gefälle von 0,3% planiert worden. An den Tiefpunkten der Sickerflächen sind Einläufe in das unterirdische Rigolen-System integriert. Abb. 7+8: Oberirdische Zuleitung der Regenabflüsse von den Wohngebieten und Straßen zu den Grünkeilen (links) und die Nutzung der Versickerungsflächen für Spiel und Sport (rechts) 7 4.3 Potsdamer Platz / Berlin STANDORT Potsdamer Platz in Berlin-Mitte ART DER BAULICHEN NUTZUNG: Kerngebiet (u.a. Einzelhandel, Geschäfts- und Verwaltungsgebäude) INITIIERT UND FINANZIERT DURCH Debis Real Estate und die Stadt Berlin PLANUNG (Wasserkonzept) Gemeinschaft Urbanes Gewässer am Potsdamer Platz Berlin: Dreiseitl, Piano, Kohlbecker Abb. 9: Lageplan vom Potsdamer Platz (dunkelgrau) mit den begrünten Dachflächen (gemustert) und dem „Urbanen Gewässer“, inkl. Landwehrkanal (schwarz) Das Projekt am Potsdamer Platz wurde nach der Wiedervereinigung auf einer Fläche von 6,8 ha als „City für das 21. Jahrhundert“ entworfen und zeichnet sich durch eine starke urbane Verdichtung aus. Die Berücksichtigung ökologischer Aspekte war ein wichtiges Thema bei der Beplanung des Gebietes. Trotz des hohen Versiegelungsgrades wurden verschiedene Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung umgesetzt, die zu einen fortschrittlichen und technologisch anspruchsvollem Wasserkonzept zusammengefügt wurden. Abb. 10+11: Ein Blick auf den Potsdamer Platz von oben (links) und das „Urbane Gewässer“ (rechts) Städtebauliche und Freiraumplanerische Gestaltung Vor allem das sogenannte „Urbane Gewässer“ mit insgesamt 1,2 ha Wasserfläche stellt ein wichtiges Element der Freiraumgestaltung dar. Es dient zum einen dem Regenwasserrückhalt und der gedrosselten Ableitung in den angrenzenden Landwehr- 8 kanal, zum anderen bietet es der städtischen Bevölkerung einen innerstädtischen Freiraum. Neben den Wasserflächen sind ebenso viele Dachflächen begrünt worden. Zusammen bewirken sie durch die Verdunstung des Wassers eine Verbesserung des Stadtklimas und haben damit eine ausgleichende Wirkung auf Temperatur, Luftfeuchte und Staubentwicklung. Für die Umsetzung des Gesamtkonzeptes war eine enge Zusammenarbeit von Architekten, Landschaftsarchitekten, Bauökologen und Planern der Haustechnik notwendig, um sowohl die Ansprüche der Stadtplaner und Investoren als auch naturwissenschaftliche Aspekte berücksichtigen zu können. Das Wasserkonzept Das Wasserkonzept besteht aus verschiedenen Bausteinen, die miteinander kombiniert wurden. Ein Teil der Dachflächen ist begrünt, so dass der größte Anteil des Regens dort zurückgehalten und verdunstet wird. Der restliche Abfluss wird zusammen mit den Regenabflüssen der unbegrünten Flachdächer und der befestigten Oberflächen in fünf unterirdischen Zisternen gesammelt, die insgesamt ein Fassungsvermögen von 2.600 m³ haben. Das urbane Gewässer, welches aus dem Dreieckigen See mit dem südlichen Arm und dem nördlichen Kanal besteht, hat etwa weitere 13.650 m³ Fassungsvermögen. Ausgehend von den Zisternen wird das gesammelte Wasser von den Zisternen in das urbane Gewässer gepumpt und permanent ausgetauscht. Um eine dauerhafte Funktionsfähigkeit des Systems zu gewährleisten, erfolgt eine kontinuierliche Reinigung des eingeleiteten Regenwassers. Ziel dabei ist es, die Nährstoffbelastung des Wassers zu reduzieren und so den Algenaufwuchs während der Sommermonate zu minimieren. Neben technischen Lösungen in Form von Filtern kommen natürliche Reinigungsbiotops zum Einsatz. So kann die anschließende Nutzung des Regenwassers für die Gebäude gesichert werden. Bei stärkeren bzw. langanhaltenden Niederschlägen kann im urbanen Gewässer der Wasserstand um bis zu 15 cm erhöht werden, um so ein zusätzliches Speichervolumen vorzuhalten. Abb. 12+13: Das „Urbane Gewässer“ als Ort der Erholung und zum Rückhalt und Reinigung der Regenabflüsse 9 4.4 Max Bahr in Stellingen / Hamburg STANDORT Baumarkt Max Bahr in Hamburg-Stellingen ART DER BAULICHEN NUTZUNG SO (Sondergebiet) BAUHERR (2006) MAX BAHR Holzhandlung GmbH & Co.KG, Hamburg PLANUNG Masuch & Olbrisch, Ingenieurgesellschaft mbH (Entwässerung) Abb. 14: Lageplan von Max Bahr (dunkelgrau) mit der Dachbegrünung auf dem Gartencenter (gemustert) und den mitbenutzten Flächen im Bereich des Parkplatzes und der LKW-Umfahrt im Falle eines stärkeren Regenereignisses (schwarz) Das Hamburger Baumarktunternehmen MAX BAHR hat im März 2007 seine bis dato größte Filiale mit einer Verkaufsfläche von 15.400 m² in Hamburg-Stellingen eröffnet. Der Baumarkt wurde gemäß der Firmenphilosophie nach modernsten energetischen Gesichtspunkten gebaut, wozu u.a. die Nutzung des anfallenden Regenwassers und die extensive Dachbegrünung des Gartencenters zählen. Das Entwässerungskonzept, dass nach dem Prinzip der Mitbenutzung von Flächen zur Regenwasserbewirtschaftung konzipiert worden ist, zeigt einen Ansatz, wie mit dem Thema der Regenwasserrückhalt auf dem Grundstück kostengünstig und unterhaltungsarm umgegangen werden kann, auch unter schwierigen Standortbedingungen. Abb. 15+16: Blick auf den Parkplatz und die Umfahrt von Max Bahr. An den Tiefpunkten, wird sich das Wasser bei einem Starkregenereignis aufstauen. 10 Das Entwässerungskonzept Verschiedene Kriterien mussten bei der Entwicklung des Entwässerungskonzeptes vom Ingenieurbüro berücksichtigt werden. Diese bezogen sich zum einen auf allgemeine Planungsgrundlagen für die Außenanlagen, wie beispielsweise Lärmschutz, Nachhaltigkeit und Stellplatznachweis, zum anderen auf Randbedingungen der Oberflächenentwässerung. Der Anschluss des Grundstücks an das öffentliche Sielnetz (Hamburger Kanalnetz) war nur mit einer Einleitbegrenzung möglich. Das Niederschlagswasser konnte jedoch weder direkt in ein Gewässer eingeleitet, noch vor Ort versickert werden aufgrund der Kontamination des Baugrundes. Aus diesem Grund war das Ziel der Entwässerungsplanung, den Oberflächenabfluss zu reduzieren und dies möglichst flächensparend bzw. kostengünstig umzusetzen. Die Dachbegrünung bzw. die Nutzung des anfallenden Regenwassers auf dem Flachdach des Gartencenters ist bei der Erarbeitung des Entwässerungskonzeptes berücksichtigt worden. So wird ein Teil des Regenwasser durch das Gründach gespeichert und verdunstet anschließend, das restliche Dachwasser wird gefiltert, in einer unterirdischen Zisterne mit einem Fassungsvermögen von 100 m³ gesammelt und für die Bewässerung der Pflanzen im Gartencenter verwendet. Die Niederschlagsabflüsse von den Parkplatzflächen bzw. der Lieferantenumfahrt und ggf. überschüssiger Dachabfluss wird in Staukanälen gefasst, für die – je nach Regenereignis – an Tiefpunkten Überstaumöglichkeiten auf den Parkplätze bzw. im Bereich der Lieferantenumfahrt vorgesehen sind (Abb. 17). So kann zusätzliches Stauvolumen geschaffen werden, bevor das Regenwasser anschließend zeitverzögert in das städtische Sielnetz eingeleitet wird. Die mitbenutzten Parkplatzflächen bzw. die Lieferantenumfahrt sind weiterhin nutzbar, wenn auch mit Einschränkungen. So muss für ein 5-jährliches Ereignis ein zusätzliches Stauvolumen von 24 m³ vorgesehen werden und für ein 30-jährliches Ereignis ein Volumen von 187 m³. Dieses Entwässerungskonzept ist im Gegensatz zum klassischen Rückhaltebecken als Teich in einer Grünfläche, Gräben zwischen den Parkplätzen oder einem unterirdischen Rückhaltebecken als Betonbauwerk platzsparend, aber auch kostengünstig und einfach in der Unterhaltung. Abb. 16: Darstellung eines 5-jährigen und eines 30-jährigen Regenereignisses im Vergleich 11 Zusammenfassung / Fazit Der Planungsansatz „wassersensible Stadtentwicklung“ ist realisierbar, wie bereits zahlreiche deutsche aber auch internationale Projekte zeigen (zu den internationalen Beispielen siehe Hoyer et al. 2011). Zusammenfassend sind bei den hier beschriebenen Beispielprojekten folgende Aspekte hervorzuheben: Trabrennbahn Die Trabrennbahn stellt ein gelungenes Beispiel dar, wie dezentrale Regenwasserbewirtschaftung durch eine gute Integration in die Freiraumgestaltung sowohl effektiv als auch gestalterisch ansprechend umgesetzt werden kann, auch wenn Versickerung vor Ort kaum möglich ist. Zudem ist dieses Projekt bereits sehr gut an mögliche Folgen des Klimawandels angepasst, wie beispielsweise erhöhte Sommertemperaturen und zunehmende Starkregenereignisse. Weiherfeld Im Weiherfeld sind die großflächigen Versickerungsflächen in die Grünkeile, die die Siedlung gliedern, integriert und werden gleichzeitig für Spiel und Sport genutzt. Durch die frühzeitige interdisziplinäre Planung konnten die verschiedenen Funktionen miteinander kombiniert und gestalterisch sehr gut umgesetzt werden. Potsdamer Platz Der Potsdamer Platz beweist, dass „wassersensible Stadtentwicklung“ auch im stark verdichteten innerstädtischen Bereich umsetzbar ist durch die Kombination von Dachbegrünung, Regenwassernutzung, -reinigung und -retention. „Urbane Ökologie“ war hier ein wichtiges Gestaltungsthema. Max Bahr Bei Max Bahr wird das Niederschlagswasser trotz hohem Versiegelungsgrad nur zu einer geringen Menge in öffentliche Sielsystem eingeleitet. Durch die Kombination von Dachbegrünung, Regenwassernutzung, Staukanälen und die Mitbenutzung von Parkplätzen bzw. der LKW-Umfahr für den Rückhalt bei stärkeren Regenereignissen Durch diese Beispiele wird deutlich, dass der Ansatz „wassersensibler Stadtentwicklung“ sowohl in Gebieten mit ungünstigen Versickerungseigenschaften des Bodens als auch in verdichteten, urbanen Räumen umgesetzt werden kann. Wichtig ist hierfür eine jeweils an den Ort angepasste spezielle wasserwirtschaftliche Lösung, die die technisch bekannten und etablierten Maßnahmentypen zur Versickerung, zum Rückhalt, zur Verdunstung und zur Nutzung in unterschiedlichen Systemen kombiniert. Eine hochwertige Gestaltung des Freiraums unter Einbeziehung des Elementes Wassers fördert die Akzeptanz des Ansatzes. Die Mitbenutzung von Flächen einer anderen Hauptnutzung für die Wasserwirtschaft ist ein zentrales Element in zwei der beschriebenen Projekte, das einen neuen konzeptionellen Ansatz darstellt. Name der Schriftenreihe, Aachen Jahr, ISBN 5 12 Wie man an den aufgeführten Beispielen ebenfalls erkennt, ist eine frühzeitige Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Disziplinen im Planungsprozess ein wichtiges Kriterium, um gute Lösungen erarbeiten zu können. Hinzu kommt der Mut, etwas Neues auszuprobieren. Als Fazit lässt sich formulieren, dass die im neuen Wasserhaushaltsgesetz von 2010 beschriebene Leitlinie der „primären Bewirtschaftung des Regenwassers am Ort des Anfalls“ deshalb zukünftig konsequenter als bisher umgesetzt werden muss aber auch kann. Eine besondere Herausforderung stellt dies weniger im Neubau als im Stadtumbau dar. Hier sind langfristige Veränderungen notwendig. 13 Literatur- und Quellenverzeichnis EINLEITUNG Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.v. (DWA) (Hrsg.) 2011: Umfrage zum Zustand der Kanalisation in Deutschland 2009. Abrufbar unter: http://www.kanalumfrage.dwa.de/portale/kanalumfrage/kanalumfrage.nsf/home?readform. Letzter Zugriff am 15. August 2011 Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.v. (DWA) (Hrsg.) 2007: Abkopplungsmaßnahmen in der Stadtentwässerung. März 2007 Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.v. (DWA) (Hrsg.) 2006: Dezentrale Maßnahmen zur Hochwasserminderung. April 2006 Geiger, W. / Dreiseitl, H. / Stemplewski, J. 2009: Neue Wege für das Regenwasser. Handbuch zum Rückhalt und zur Versickerung von Regenwasser in Baugebieten. 3. Vollständig überarbeitete Auflage. Herausgegeben durch die Emschergenossenschaft, Essen. Heiden, Stefanie / Erb, Rainer / Sieker, Friedhelm (Hrsg.) 2001: Hochwasserschutz heute - Nachhaltiges Regenwassermanagement. Initiativen zum Umweltschutz, Band 31 Hoyer, Jacqueline / Dickhaut, Wolfgang / Kronawitter, Lukas / Weber, Björn 2011: Water Sensitive Urban Design. Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future Langenbach, Heike / Eckart, Jochen / Schröder, Gerko 2008: Water Sensitive Urban Design. Manual Draft. HafenCity Universität Hamburg (unveröffentlicht) Londong, Dieter / Nothnagel, Annette (Hrsg.) 1999: Bauen mit Regenwasser. Aus der Praxis von Projekten. Oldenburg Verlag, München TRABRENNBAHN / HAMBURG Fibich, P. / Mertins, R. 2000: Freiraumgestaltung auf der ehemaligen Trabrennbahn Farmsen in Hamburg. Wohnen mit offenem Entwässerungssystem. In: Garten + Landschaft 02/2000, S. 17-19 Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (Hrsg.) 2006: Dezentrale naturnahe Regenwasserbewirtschaftung. Ein Leitfaden für Planer, Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer Hartl, Johann / Lee, Eun-Heui 2004: Ökosiedlungen in Deutschland. Ein Reiseführer zu realisierten, ökologisch-orientierten Wohnsiedlungen in Deutschland 1980- 2002. Im Internet einsehbar unter: www.oekosiedlungen.de/farmsen, Zugriff 15.07.2011 Hoyer, Jacqueline / Dickhaut, Wolfgang / Kronawitter, Lukas / Weber, Björn 2011: Water Sensitive Urban Design. Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future Kruse, Elke / Dickhaut, Wolfgang 2010: KLIMZUG-NORD. Projekt des Monats August 2010. Klimaangepasste Siedlungsstrukturen in Hamburg. Ortstermin am Wohnpark Trabrennbahn in Farmsen. Im Internet einsehbar unter: http://klimzug-nord.de/index.php/page/2010-08-01-Projekt-desMonats-August-2010 Interviews: Birte Wolkenhauer mit Thomas Tradowsky vom Büro Kontor Freiraumplanung im März 2010 und Elke Kruse mit Thomas Tradowsky und mit Peter Hilscher vom Bezirk HamburgWandsbek, jeweils im 2010 WEIHERFELD / LANGENHAGEN Gruppe Freiraumplanung (ohne Jahresangabe): Regenwasserbewirtschaftung beginnt in den Siedlungsgebieten. Hochwasserschutz beginnt in den Siedlungsgebieten. Poster 14 Ostermeyer, Thomas 2004: Regenwasser bewirtschaften: zwei Stadtteile ohne Netzanschluss. In: DEGA 51/2004, S.16 – 18 Ostermeyer, Thomas 2009: Vortrag im Rahmen des Workshops „Mitbenutzung von Flächen in der Regenwasserbewirtschaftung“, April 2009 in Hamburg Interview: Elke Kruse mit Thomas Ostermeyer vom Büro Gruppe Freiraumplanung im März 2009 POTSDAMER PLATZ / BERLIN Atelier Dreiseitl 1996: Urbanes Gewässer am Potsdamer Platz Berlin, Entwurfsbeschreibung Hoyer, Jacqueline / Dickhaut, Wolfgang / Kronawitter, Lukas / Weber, Björn 2011: Water Sensitive Urban Design. Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future Kardoff, Gabriele von 1999: Wasser als ökologische Herausforderung für Stadtplanung und Technik. In: Deutsche Bauzeitschrift (DBZ), 02/1999 PPMG Potsdamer Platz Management GmbH 2010: Potsdamer Platz. The place to be. Im Internet einsehbar unter: http://www.potsdamerplatz.de/de/geschichte/neubeginn/, Zugriff 15.07.2011 Teschner, Katharina / Schmidt, Marco 2000: Kombination von Dezentralen Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen: Ergebnisse der Voruntersuchung für das Projekt Potsdamer Platz. Teil 2: Regenwasserreinigung über ein Reinigungsbiotop. In: gwf 11/2000, S. 773-779. MAX BAHR / HAMBURG Hohmann, Michael 2009: Vortrag im Rahmen des Workshops „Mitbenutzung von Flächen in der Regenwasserbewirtschaftung“, April 2009 in Hamburg Max Bahr 2007: Pressemitteilung 26. März 2007, von der Homepage des Unternehmens http://www.maxbahr.de/presse/unternehmen/146.html Moldmann, Detlef 2008: Förderprogramme für Gewerbetreibende – Angewandter Klimaschutz in Hamburg – Potentiale im Gewerbe. Vortrag der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg Interview: Elke Kruse mit Michael Hohmann vom Büro Masuch + Olbrich Ingenieurgesellschaft für das Bauwesen mbH im April 2009 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Lageplan der Trabrennbahn. Darstellung HCU Abb. 2-3: Foto von Johannes Gerstenberg / HCU Abb. 4: Lageplan von Weiherfeld. Darstellung HCU Abb. 5-8: Fotos von Thomas Ostermeyer / Gruppe Freiraumplanung Abb. 9: Lageplan vom Potsdamer Platz. Darstellung HCU Abb. 10-13: Fotos von Sabine Andresen / HCU Abb. 14: Lageplan von Max Bahr. Darstellung HCU Abb. 15-16: Fotos von Chantal Jahn / HCU Abb. 17: Visualisierung vom Büro Masuch + Olbrich Ingenieurgesellschaft für das Bauwesen mbH 15 Anschrift der Verfasser: Dipl.-Ing. Elke Kruse, Dipl.-Ing. Jacqueline Hoyer, Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Dickhaut HafenCity Universität Hamburg Fachbereich „Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung“ Hebebrandstraße 1 22297 Hamburg elke.kruse@hcu-hamburg.de jacqueline.hoyer@hcu-hamburg.de wolfgang.dickhaut@hcu-hamburg.de