Löcher - ask23

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Löcher - ask23
Löcher
Theoretische Diplomarbeit im Fachbereich Industrial Design
Boris Kupczik
Hochschule für bildende Künste Hamburg, im Mai 2005
Prof. Michael Lingner
Dr. Susanne Weiß
Inhalt
Einleitung
7-9
Grundlagen
Das Loch als Attraktor
Die Form des Loches
Zum Begriff Loch
Sprichwörtliche und metaphorische Löcher
11
13-15
17-19
19-23
Phänomenale Aspekte
Durchgangs- und Sacklöcher
Platzierung von Löchern
Ein-Weg- und Zwei-Wege-Löcher
Voyeuristische und exhibitionistische Löcher
Formbestimmte Löcher
Anhäufung von Löchern
Vorgetäuschte Löcher
25
27
29-31
31-33
33-35
37-37
39
Funktionale Aspekte
Das gewichtsreduzierende Loch
Das widerstandsmindernde Loch
Das fixierende Loch
Das spannungsabbauende Loch
Das schallschluckende Loch
Das organische Loch
Loch und Körper
41-43
43
45
47
47
49
49-51
51-55
Exkurse
Der Locher
Die Lochkarte
Die Lochkamera
57-61
61-67
67-75
Ästhetische Aspekte
Licht und Dunkelheit
Skulpturalität und Lage
77-81
81-83
Gestalterische Anwendung
85-95
Schlusswort
Literaturnachweis
Abbildungsnachweis
97
99-105
105-115
6
Abb. 01
Einleitung
Es scheint schon fast banal zu sein, sich über das Loch Gedanken
zu machen. Ein Loch ist eben einfach nur ein Loch. Zum Erkennen
eines solchen braucht man kein geschultes Auge, jedem ist klar,
wann die Socke ein Loch hat.
Aber andererseits, was ist ein Loch? Sollte man es beschreiben, so
„zäumt man das Pferd von hinten auf“. Da ist etwas nicht, wo mal
was war, oder es ist „nichts mit was drum“. Ein Loch ist dennoch
nicht nichts, sondern immer etwas, da es trotz der Abwesenheit von
Materie sicht- und greifbar ist. Schließt man ein Loch, ist dieses
verschwunden. Ist das Loch im Eimer, so kann man es besingen.
Oder beklagen, steckt es in der Kasse. Aber so recht definieren lässt
es sich nur durch das „Drumherum“.
„Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch.“1 Wo ein Loch ist,
fehlt etwas. So auch bezüglich der Definition in der 20-bändigen
Brockhaus Enzyklopädie oder in Meyers Lexikon. Ebenso stieß
ich bei meiner Recherche nach Arbeitsmaterial auf ein Loch in
diesem Gebiet. Es waren einerseits das Gelächter und andererseits
das Unverständnis für meine Themenwahl groß. Das liegt wohl an
ihrem schlechten Ruf, sodass man normalerweise einen großen
Bogen um sie macht. Dabei sind sie eigentlich Feiglinge. Sie
tauchen nie alleine, sondern immer in Begleitung einer Substanz
auf. Ohne ihren „großen Bruder“, das „Drumherum“, würden
sie nicht existieren. Während das bewusst eingesetzte Loch eine
Symbiose mit seinem Träger eingeht, ist das dysfunktionale Loch
ein Schmarotzer. Es ist ein eigennütziges und hat nur einen Sinn
für Zerstörung.
Das dysfunktionale Loch ist das „Urloch“. Assoziativ denkt man
bei einem Loch an dieses. Durch unseren Sprachgebrauch ist
dieses so verankert. Ein Loch bedeutet etwas Negatives. Wird eines
entdeckt, so bedeutet es Arbeit. Eine Socke muss gestopft werden,
1
Tucholsky, S. 36
7
8
eine Scheibe muss ersetzt werden oder ein Besuch beim Zahnarzt
wäre von Nöten. Es ist ebenso ein Zeitzeuge und erzählt etwas über
einen Gegenstand - zumindest dass er einmal funktionstüchtig war
und der „Zahn der Zeit“ an ihm genagt hat. Auf Grund dessen
sind dysfunktionale Löcher dekonstruktiv. Dass Löcher Aufgaben
erfüllen, fällt erst auf den zweiten Blick auf.
Bei meiner Arbeit geht es mir darum die nützliche, konstruktive
und ästhetische Seite des Loches zu analysieren.
Für eine Erörterung von Löchern fehlen aber bisher die
notwendigen begrifflichen Werkzeuge. Aufgrund dessen entwickle
ich Kategorien, die zu einer logischen Einteilung derselben dienen.
Eingeteilt sind diese Kategorien in einzelne Aspekte, welche das
Loch aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Einen Einstieg
in das Thema findet sich in den Grundlagen und eine Anwendung
der einzelnen Kategorien im letzten Kapitel dieser Arbeit.
9
10
Abb. 02
Grundlagen
Das Loch als Attraktor
Was hat es damit auf sich, dass mein Blick von einem Loch gebannt
wird? Vor mir steht eine Wand. Einst muss ein Bord oder ein Regal
an ihr angebracht gewesen sein. Als Zeuge dieses existiert nur
noch ein altes Bohrloch. Obwohl sich die ganze ruhige, homogene
Fläche der Wand vor mir auftut, wandert mein Blick automatisch,
fast magnetisch zu diesem Loch. Ich verweile auf diesem, um
meine Augen erneut „Achterbahn fahrend" über die Fläche zu
schicken.
Das Auge ist nicht in der Lage, auch nur die einfachste Fläche mit
gleichzeitiger Intensität zu erfassen. „Dazu ist es physisch nicht
im Stande, weil auf der Netzhaut nicht das ganze Bild mit gleicher
Schärfe wahrgenommen wird“, sondern nur ein kleiner Teil des
Gesamtbildes, „welcher mit dem Brennpunkt der Linse und mit
dem Zentrum der Sehschärfe auf der Netzhaut durch eine Gerade
verbunden werden kann. (…) Augenmuskeln drehen das Auge
da- und dorthin, auch von links nach rechts, von Ecke zu Ecke,
im Kreis herum, und die hintereinander scharf gesehenen Partien
notieren sich im Gehirn nach und nach zum Gesamteindruck.
Das Gehirn hat die Fähigkeit, Erinnerungsbilder aufzuspeichern
und zum Ganzen zu sammeln; das Auge hat die Fähigkeit, einen
Ort zur Kontrolle und Befestigung immer wieder aufzusuchen“2.
Das Auge ist, „gleich einem grasenden Tier“3, ständig auf Reisen.
Dieser Ruhepol, der Attraktor4, ist ein Fixpunkt, der mich verweilen
lässt. Dabei ist es egal, ob es sich beim Attraktor um einen Punkt
auf einem Blatt Papier, einen Nagel in der Wand, eine Fliege an der
Fensterscheibe oder eben ein Loch in einer Socke handelt.
2
Klee, S. 358
ebenda, S. 358
4
denke an attraktiv = anziehend
3
11
Abb. 03
scharfkantiges Loch
12
Abb. 04
natürlich entstandenes Loch
Die Form des Loches
Bei der Frage, welche Form ein Loch hat, bekommt man schnell
die voreilige Antwort, dass es rund sei. Orientiere ich mich aber
zum Beispiel an der Definition aus dem Duden, welche sagt, dass
ein Loch eine „durch Beschädigung, (absichtliche) Einwirkung
oder Ähnliches entstandene offene Stelle, an der die Substanz
nicht mehr vorhanden ist"5 ist, so steht dort nichts von einer
Einschränkung der Form. Wäre dem so, müsste das Knopfloch
auch als Knopfschlitz betitelt werden. Würde ich etwa einen
scharfkantigen Stahlwürfel nehmen und diesen auf ein dünnes
Blech schmettern und hielte das Blech dem Würfel nicht stand, so
würde dieser ein ebenso scharfkantiges Loch in das Blech reißen.
Der Umriss eines Loches hat keine bestimmte Form, sondern wird
durch seinen „Verursacher“ in Form gebracht. Dies kann gewollt
oder ungewollt, auf natürlichem oder künstlichem Wege geschehen
sein.
Löcher können durch verschiedenste Einwirkungen entstehen,
zum Beispiel durch Erosion. Ihre Beschaffenheit hängt von
den jeweiligen natürlichen Einflüssen ab. Die zum Teil lange
Einwirkung der vier Elemente Wind, Wasser, Erde, Licht, ´nagt´
an einer Substanz. Die Materie erodiert, bis eine offene Stelle, ein
Loch, entsteht. Ebenso kann aber auch eine Raupe ein Loch in ein
Blatt nagen oder ein Specht eines in einen Baumstamm meißeln.
All diese auf natürlichem Wege entstandenen Löcher haben ein
charakteristisches Merkmal: Sie sind nicht makellos, im Sinne
eines symmetrischen Aufbaus. Ihr Rand kann geborsten wie eine
durchrostete Bierdose oder glatt geschliffen wie ein ausgespülter
Stein sein. Vergleiche ich den Lochfraß eines Holzwurms mit
einem per Bohrmaschine gebohrtem Loch, so fällt auf, dass
Letzteres präziser gearbeitet ist. Zu diesem Zweck gibt es ja auch
Maschinen. Sie bohren, fräsen, schneiden, schaben Materie aus
einer Masse, welches zu einem charakteristisch geformten Rand
5
Duden, S. 1026
13
Abb. 05
Holzwurmlöcher
14
Abb. 06
Einschussloch
führt. Dieser Rand ist je nach Werkzeugbeschaffenheit geformt.
Diese künstlich geschaffenen Löcher unterscheiden sich aber
durch ihre Perfektion vom natürlich entstandenen Loch.
Bohre ich ein Loch mit einem Bohrer (ein Werkzeug, dessen
einziger Sinn es ist, Materialien zu löchern) in ein Material, so
wird dieses, bedingt durch die Rotation des Bohrers, zwangsläufig
kreisrund und besitzt einen scharfkantigen Rand.
Werden Löcher gestanzt oder geschnitten, so gibt es keine
Einschränkung ihres Umrisses. Ziehe ich den Bohrer längs einer
Achse durch das Brett, so entsteht ein so genanntes Langloch.
Dieses wäre durch seine runden Enden noch als solches zu betiteln,
jedoch liegt die Assoziation zu einem Schlitz oder einer Aussparung
hier weit näher. Als Langloch wird dieses nur bezeichnet, da
- bedingt durch die Herstellung - zuerst ein Loch gebohrt wird,
welches dann durch das Material in die Länge gezogen wird. Es
gibt Formen, die in der Natur einfach nicht vorkommen, vor allem
nicht in maschineller Perfektion, wie etwa der rechte Winkel oder
die Gerade (von Sonderfällen wie etwa dem Eiskristall einmal
ausgenommen).
Das Nichts in einem Loch ist immer das Gleiche. Luft ist Luft,
Leere ist Leere und Dunkelheit ist Dunkelheit. Es besteht immer
ein Unterschied in der Beschaffenheit des Randes, der Form und
im des Wesens des Loches.
So klärt der Rand den Betrachter über die Entstehung des Loches
auf. An ihm lassen sich die Einwirkungsrichtung und die Art der
Entstehung sowie Materialeigenschaften des Trägers ablesen, wie
zum Beispiel bei einem Einschussloch.
15
16
Zum Begriff Loch
Das Phänomen ist bekannt: Beschäftigt man sich mit einem
Thema, so stößt man im Alltag ständig darauf. Fortan wandelte
ich durch eine durchbohrte, durchlöcherte und perforierte Welt,
wodurch ich mich wiederum in einem Loch befand. Es kann doch
kaum sein, dass der Raum, in dem ich mich befinde, ein Loch ist?
Ein Raum ist eben ein Raum, es sei denn, er wird durch seine
spärliche Möblierung, mangelnde Ordnung und sein Fenster zur
Nordseite als solches betitelt. Lucius Burckhardt schrieb, dass
„alle Wahrnehmung mit der Sprache zu tun hat. Wir können nicht
denken, es sei denn über Worte“6.
Die Sprache sagt mir, was ein Loch ist und was nicht. Ein Ring ist
eben ein Ring und kein wulstiger Rand mit einem tunnelförmigen
Loch. Natürlich braucht der Ring eine Öffnung, um ihn über den
Finger zu streifen, sonst wäre es eben kein Ring, sondern eine
Scheibe. Sowie ein Schwamm eine hohe Porösität besitzt, dieses
aber Poren sind und keine Löcher. Bei einer geringeren Porösität,
wie bei einem Emmentaler Käse, spricht man jedoch wiederum
von Löchern.
Das Grübeln über die Frage, ob ein Ring ein Loch hat, ist banal und
hat somit ein Ende.
Betrachtet man die Wortgeschichte, so meint das mittelhochdeutsche
„loch“, bzw. althochdeutsche „loh“ Verschluss, Versteck, Höhle,
Loch oder Gefängnis. Das gotische „usluk“ meint Öffnung. Auf
Englisch heißt „lock“ Verschluss, Schloss, Sperre. Nicht verwandt
mit dem Loch ist der schottische „loch“, welcher für einen See
steht.
Im schwedischen und englischen Sprachgebrauch meint „lock"
wiederum Verschluss im Sinne von Deckel. Alle gehören zu einem
im deutschen untergegangenen gemeingermanischen Verb mit
der Bedeutung verschließen, zumachen. Beim althochdeutschen
6
Burckhardt, S. 196
17
18
„lûhhan“ (schließen) besteht wiederum eine Verwandtschaft zu
Lücke und Luke. Das Loch ist ursprünglich ein verschließbares
Loch gewesen und seine Bedeutung wurde dann stark
verallgemeinert.
Im heutigen Sprachgebrauch hängen dem Loch negative
Assoziationen an. So wie zum Beispiel dem Gefängnis, Arschloch
oder als abwertende Bezeichnung für eine promiskuitive Frau. Im
früheren Sprachgebrauch war dem nicht so. Damals war die Schutz
bietende Funktion einer Höhle auch aus eigener Erfahrung spürbar,
ebenso die Bedeutung als Verschluss, der das eigene Hab und Gut
beschützte.
Am Rande sei erwähnt, das Loch auf Französisch „le trou“ heißt,
finden wiederum „trouver“.
Ergo: Wer ein Loch bohrt, findet.7
Sprichwörtliche und metaphorische Löcher
Das Loch ist ein redensartliches Sinnbild der Negativität
schlechthin. Es impliziert Enge und Gefangenheit ebenso wie
Schadhaftigkeit, Unvollkommenheit und das Nichtvorhandene.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet das Loch häufig etwas
Zerstörtes und hat somit eine negative Bedeutung. Nützliche
Eigenschaften werden durch den Sprachgebrauch kaum assoziiert.
So werden wir vom Ozonloch bedroht und sind von Schwarzen
Löchern8 umgeben. Befindet man sich in einem „emotionalen
Loch“, kann man wiederum ein Loch finden, welches einem
7
vgl.: Duden Bd. 7 und Kluge
Wie in einem Loch verschwindet alles was ihnen zu nahe kommt, selbst Licht
kann nicht mehr aus dem Inneren entkommen, es ist schwarz. Der Grund dafür
ist die enorme Anziehungskraft eines Schwarzen Loches. Es gibt eine Grenze,
den so genannten Schwarzschildradius, unterhalb derer jede Masse zu einem
Schwarzen Loch wird. Für unsere Sonne liegt dieser kritische Radius bei 3
Kilometern, für die Erde bei 9 Millimetern. Würde man also die Masse der Erde
in einen Fingerhut pressen, bekäme man ein Schwarzes Loch.
8
19
20
den Ausgang aus dieser Situation zeigt. So ein gefundenes
„Schlupfloch“ muss aber nicht zwangsläufig positiv gesehen
werden. Es kann genauso in einem Betriebssystem existieren und
hier eine Sicherheitslücke darstellen. Diese gilt es zu schließen.
Löcher die nicht sein sollen, werden nur all zu gerne „zugemacht“.
Schluss, aus – ist was gewesen? Doch das Luftloch9, das lässt sich
nicht schließen. Ist jemand so weit gegangen, dass man ihn zur Tür
hinauswerfen muss, so kann man ihm „zeigen wo der Zimmermann
das Loch gelassen hat“10. Auf der anderen Seite kann die Tür auch
der Eingang zu einer Wohnung sein, in der jemand wie in einem
Loch „haust“. Dreckig und „finster wie in einem Loch“ ist diese.
Wird wiederum jemand in ein „Loch gesteckt“, so wird er nicht
in die, eher an eine Höhle erinnernde Wohnung, sondern ins
Gefängnis gesteckt11.
Das Loch beschreibt immer wieder eine offene Stelle, aber diese als
etwas Negatives oder Zerstörtes. So lässt man sich lieber „ein Loch
ins Knie bohren“12, als „ein Loch in den Kopf stoßen“. Dann doch
„lieber einen Flicken als ein Loch“. Geflickt will auch das Loch
sein, welches man „mit einem anderen zustopfen“ will, nachdem
9
Das Luftloch ist eine plötzlich auftauchende thermische Veränderung, in
die ein Flugzeug geraten kann, welches bei den Passagieren als Durchsacken
wahrgenommen wird. Eine solche Fallböe ist allerdings kein wirkliches Loch,
es wird lediglich als ein solches wahrgenommen. Wenn Luft der Träger des
Loches ist, so müsste ein örtliches Vakuum herrschen, um ein wirkliches Loch
darzustellen.
10
Die Redensart stammt noch aus der Zeit des Fachwerkbaus, wo der
Zimmermann in den Balken eine Lücke für die Tür freiließ, durch welche der
Unerwünschte hinausgejagt wird.
11
Diese Ausdrucksweise bezieht sich nicht nur auf die Enge der Zelle. Dadurch,
dass Freiheitsstrafen dem altgermanischen Recht fremd waren, gab es damals
auch keine Gefängnisse. Noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters wurden
daher Personen, die vorübergehend arrestiert werden sollten, in trockene
Brunnen, Hundelöcher und Ähnliches gesteckt. Hundelöcher befanden sich
am Rathaus und dienten Gesindel zur unfreiwilligen Nachtherberge. Nach
ihm wurden dann die meist engen und feuchten Verließe und Gefängnisse als
Hundeloch oder verkürzt als Loch bezeichnet.
12
alles andere eher tun als…
21
22
jemand „ein großes Loch in den Geldbeutel gerissen hat“ und er
deswegen seinen „Gürtel ein Loch enger schnallen muss“. „Wie
hoch ist ein Finanzloch?“, darauf der ehemalige Finanzminister
Theo Waigel: „Ein Loch ist nicht hoch, sondern allenfalls tief und
breit.“13 Körperlich spürbar ist dieses, wenn man „ein Loch im
Bauch hat“. Da hilft nur eins…“ein Loch in den Tag schlafen“, wer
schläft hat keinen Hunger.
Das Loch kann man sich aber nicht nur in den Bauch hungern,
sondern ebenso jemanden in den Bauch fragen, ihn „löchern“.
„Säuft wiederum jemand wie ein Loch“, so erwacht er am nächsten
Tag eventuell mit einem „Wissensloch“. Aber:
Der Dummheit schönste Tiefe
Ist kein Loch
Hat sie doch
Keinen richtigen Rand
Wie etwa Löcher in Strumpf, Flöte, Sand.14
23
13
Theo Waigel am 13.11.1994 in den 19-Uhr-Nachrichten im ZDF
aus: Ringelnatz, S. 32
14
24
Abb. 07
Sack- und Durchgangsloch
Phänomenale Aspekte
Durchgangs- und Sacklöcher
Löcher können grundsätzlich in zwei unterschiedliche Gruppen
eingeteilt werden. Entweder bilden sie eine Vertiefung in
einem Material, durchbrechen dieses aber nicht, eine Sackgasse
sozusagen, oder aber sie durchqueren ein Material gänzlich. Der
komplette Durchbruch eines Materials lässt ein Dahinter erkennen.
Das Loch zeigt den Weg zwischen der einen und der anderen Seite.
Bei einer Sackgasse ist ein Dahinter nicht sichtbar. Es geht nicht
vorwärts. Das Sackloch kann in gewisser Lage etwas „speichern",
das Durchgangsloch könnte dieses „nicht für sich behalten".
Schutz sucht man in einer Höhle, aber weniger in einem zugigen
Tunnel. Dieser jedoch macht ein Dahinter sichtbar, kann zudem ein
Ausgang sein. Eine Sackgasse kann nur ein Eingang sein und muss
durch diesen wieder verlassen werden.
25
Abb. 08
Loch im Volumen
26
Abb. 09
Loch in der Fläche
Platzierung von Löchern
Löcher benötigen einen Träger. Ohne ein Material, in denen
sie sesshaft sind, gäbe es keine. Dieser Träger kann entweder
voluminös wie ein Stahlklotz oder flächig wie ein Blech sein.
Eine Fläche kann jedoch soweit gekrümmt sein, dass sie zu einem
geschlossenen Körper formt. Ein solcher Körper besteht nur aus
einer Wandung, einer Schale. Ein Loch in dieser, bis zum Körper
gekrümmten Fläche, gibt wiederum Aufschluss darüber, dass es
sich nicht um ein massives Volumen handelt. Dem Loch ist es
somit möglich, die Qualität, die Materialstärke seines Trägers zu
offenbaren. Gäbe es kein Loch, so wäre es einem Betrachter nicht
möglich eine hohle Kugel von einer massiven zu unterscheiden.
Ein Loch in der Wandung der Kugel, welches einen Einblick ins
Innere gewährt, ist ein Durchgangsloch, jedoch mündet es in
einer Sackgasse. Auf der anderen Seite ließe ein Sackloch in einer
Wandung der Kugel nicht auf einen massiven Körper der Kugel
schließen, da nur eine Beurteilung der Außenwand möglich ist.
So kann der Träger nur bis zum Boden, dem Ende seines Loches
begutachtet werden. Alles was dahinter ist, entzieht sich der
visuellen Einschätzung.
Ob es sich um eine Fläche oder ein Volumen handelt, ist eine Frage
des Verhältnisses von der Oberfläche zum Volumen. Eine große
Fläche im Verhältnis zu einem kleinen Volumen (wie bei einem
Blatt Papier), bezeichne ich als Fläche. Hat auf der anderen Seite
ein Körper eine kleine Oberfläche in Bezug auf seinen Inhalt, so
spreche ich von einem Volumen.
Ein Betrachter würde, vor einer Höhle stehend, diese als eine
Öffnung oder Hohlraum in einem Felsen oder Ähnlichem auffassen,
aber nicht als Loch. Auf der anderen Seite, ist ein Mauseloch ein
Loch. Würde der Betrachter zu „Liliput" schrumpfen, wäre das
Mauseloch eine Höhle. Würde er riesengroß, so wäre die Höhle
das Mauseloch. Alles eine Frage der Relation.
27
Abb. 10
Ein-Weg-Loch
28
Abb. 11
Zwei-Wege-Loch
Ein-Weg- und Zwei-Wege-Löcher
Löcher können ein Durchgang, Eingang oder Ausgang für Licht,
Luft, Schall oder eine Substanz darstellen. Hier unterteile ich
Löcher, je nach Nutzung, in Ein-Wege und Zwei-Wege Löcher.
Ein Loch hat immer zwei Seiten. Die eine Seite ist der Raum vor
dem Loch und die andere hinter oder in ihm. Der Weg von der
einen zur anderen Seite führt durch das Loch. So definiere ich ein
Innen und ein Außen des Lochs.
Ist beispielsweise ein Loch im Eimer, welches schon die Gruppe
Medium Terzett oder Reinhard Mey besang, so ist dieses ein EinWeg-Loch. Die Aufgabe eines Eimers ist es, Wasser zu speichern.
Das Wasser kann aber bedingt durch ein Loch nicht mehr im Eimer
gehalten werden. Das ausfließende Wasser könnte und würde nur
in eine Richtung fließen, von innen nach außen.
Würde der Eimer nun als Schwimmkörper benutzt werden, so
wäre das Loch in ihm immer noch ein Ein-Weg-Loch, jedoch hat
sich die Richtung des Loches geändert. Zu erkennen ist dieses am
einfließenden Wasser und daran, dass der Eimer bald nur noch
unter Wasser existiert.
Der Sinn eines Salzstreuers ist, Salz in einer dosierten Menge zu
streuen. Zu diesem Zweck ist das Gefäß mit einem perforierten
Verschluss versehen, welcher Salz je nach Größe und Anzahl der
Löcher durchlässt. Das Salz nimmt also den Weg vom Gefäß durch
das Loch auf die Speise. Ist kein Salz mehr im Gefäß vorhanden
und möchte man das Gefäß nachfüllen, käme wohl keiner auf
die Idee dieses durch den perforierten Deckel zu tun. Zu diesem
Zweck nutzt man die Öffnung, welche der Deckel bedeckt. Der
Weg des Salzes führt also nur in eine Richtung durch die Löcher
des Deckels.
Wenn ein Loch in ein zugefrorenes Gewässer gehackt wird, um
welches sich dann eine Schar von Menschen versammelt, die auch
noch in diesem Loch baden will, hätten die Badenden ein Problem,
würde das Eisloch während ihres Bades wieder zufrieren - das
Loch ihnen also nur den Ein-, aber nicht den Ausstieg gewähren
29
Abb. 12
voyeuristisches Loch
30
Abb. 13
exhibitionistisches Loch
würde. Das Eisbaden ist das Eintauchen in ein und das Aussteigen
aus einem Eisloch. Der Weg des Gebrauchs führt in beide
Richtungen durch das Loch, hinein und wieder heraus. Ebenso
will der Specht seinen Nachwuchs auch mit Futter versorgen
und nicht nach dem ersten Eintritt in die Spechthöhle dort seinen
Lebensabend herbeisehnen. Das Loch ist wie ein Verkehrstunnel
in beide Richtungen geöffnet. Auch in diesem Fall kann man von
einem Zwei-Wege-Loch sprechen.
Voyeuristische und exhibitionistische Löcher
Löcher können das Verborgene freigeben, und mit Spannung
wird erwartet, was dahinter verborgen ist. Wer hat nicht, zu
Weihnachten, während die Eltern den Tannenbaum schmückten
und die Geschenke zurechtlegten, einen Blick durchs Schlüsselloch
in das Verborgene gewagt? Dieser Einblick ist etwas Verbotenes,
jedes Kind weiß dies, aber dennoch saugt das Loch den Blick
verführerisch an. Würde man sich der Gefahr aussetzen, eine Rute
zu bekommen, ohne sicher zu gehen, dass man nicht entdeckt
wird? Wohl kaum. Das Loch bietet die Möglichkeit, ein heimlicher
Zuschauer zu bleiben. Der Betrachter wird weggeblendet, in diesem
Fall durch eine Tür, und bekommt ungesehen eine Vorahnung auf
das, was ihn erwartet. Um im Verborgenen zu bleiben, darf dieses
Loch eine bestimmte Größe nicht überschreiten.
Auf der anderen Seite gibt es Löcher, die einen Teil des Körpers,
indem sie stecken, etwas darin oder dahinter zur Schau stellen. Sie
machen den Innenraum ihres Körpers und den Inhalt von außen
einsehbar.
Ein exhibitionistisches Loch offenbart etwas.
Henry Moore schrieb: „Anfänglich wurden die Löcher in meinen
Skulpturen um ihrer selbst Willen eingefügt, weil ich mir der
Räume innerhalb der Skulptur bewusst werden wollte. Ich gab
dem Loch seine eigene Form – der Meißel drang in den festen
Körper vor, fraß sich in ihn hinein, und manchmal war die Form
nur die Schale, die das Loch fasste.“15 Ein durchlöchertes und
31
32
Abb. 14
„Max und Moritz“, Wilhelm Wagenfeld,1952/53
somit geöffnetes Objekt schafft eine Verbindung zum Umraum.
Durch ein Durchgangsloch wird der Hintergrund des Lochträgers
gerahmt, sodass der Raum in das Objekt mit einfließt.
Beide Locharten können Einblick ermöglichen. Die Intention
ist jedoch eine andere. Während das exhibitionistische Loch
offenherzig und bewusst einen Ein- oder Ausblick auf das
zu Zeigende gewährt, „weiß“ das Beobachtete hinter dem
voyeuristischen Loch nichts von „seinem Glück“.
Formbestimmte Löcher
Es gibt Löcher, welche durch ihre charakteristische Kontur zeigen,
welchen Nutzen sie haben. Dabei ist die Form nicht zwangsläufig
durch die Funktion bedingt. F-förmige Schalllöcher bei
Streichinstrumenten dienen zur Abstrahlung der Korpusfrequenzen.
Das F-Loch entstand aus den älteren Formen wie dem C-Loch. Bei
historischen Streichinstrumenten wie den Gamben findet man oft
sehr verzierte Formen. Aber trotz jeder Verzierung ist das Loch
immer als ein Schallloch eines Streichinstrumentes zu erkennen.
Ein anderes Beispiel hierfür ist das Schlüsselloch, dessen
kennzeichnende Form sofort auf seinen Nutzen schließen lässt.
Es ist der Schlüssel, der die Form bestimmt. Die Umrandung des
Loches bildet die Abgrenzung zwischen Loch und Materie. Diese
dient als Führung des Schlüssels.
Bei Wagenfelds Salz- und Pfefferstreuer „Max und Moritz“ legen
allein die verschieden großen Radien der Lochbohrungen fest,
welcher perforierte Deckel das Salz und welcher den Pfeffer
hindurchlassen soll.
Des Weiteren wäre auch z. B. ein Grab ein formbestimmtes Loch.
Auch wenn dieses nur in dem Stadium, in dem ein Loch in den
Boden gegraben wird, als Loch bezeichnet wird. Erst die Leiche, die
in diesem begraben wird, macht es zum Grab. Nichtsdestotrotz gibt
der Sarg die Form des Loches vor. In anderen Kulturen und Zeiten
15
Cosneau, S. 86
33
34
Abb. 15
ungeordnete Lochstruktur
variert diese Form des Loches. So wurden in der Jungsteinzeit die
Toten oft in einer Hock- oder Fötalhaltung begraben, welches sich
auf die Form des Loches auswirkte. Die Inkas bestatteten wiederum
ihre Ahnen in einer kauernden Hockhaltung. Diese brachte ebenso
ein anders geformtes Loch für das Begräbnis mit sich.
Anhäufung von Löchern
Löcher können einzeln oder in der Gruppe vorkommen. Wenn sie
in der Mehrzahl auftauchen, so entsteht eine Struktur. Diese bildet
je nach Anordnung der Löcher ein geordnetes oder ungeordnetes
Muster. Als geordnet erscheint dieses Bild, wenn den Löchern eine
erkennbare mathematische Struktur, ein Raster zu Grunde liegt.
Löcher, die sich in einer willkürlichen Struktur befinden, ergeben
ein ungeordnetes Muster. Solche Löcher tauchen immer in
Formationen auf, sind also niemals allein. Zur kleinsten Formation
gehören mindestens drei Löcher. Zwei Löcher befinden sich
automatisch in einer geometrischen Anordnung.
Im Nachhinein blickt man immer etwas zweifelnd auf vergangene
Modeerscheinungen wie die in den 1990er Jahren praktizierte
Art und Weise, seiner Jeans einen künstlichen Vintage-Look16
zu verpassen, indem sie mit einer Ladung aus einer Schrotflinte
versehen wurde.
Ich erinnere mich nur zu gut, dass mein Luftgewehr nicht annähernd
den gleichen Effekt jener Schrotflinten hervorbrachte und dadurch
auf meinem Schulhof doch eher belächelt wurde. Schon damals
ging mir ein Licht auf, dass Loch nicht gleich Loch sein kann.
Raumteiler trennen einen Raum in ein Davor und ein Dahinter.
Um dieses sichtbar zu machen, bedient sich der Gestalter oft
der Transparenz eines Materials. Ist eine Transparenz durch ein
lichtundurchlässiges Material nicht möglich, so kann dieses
16
künstlich gealterte Kleidung, künstliche Patina
35
36
Abb. 16
geordnete Lochstruktur
durchlöchert werden, um ein Dahinter sichtbar zu machen.
Objekte, die mit Strom betrieben werden, erzeugen häufig Wärme.
Luft im Inneren des Objektes erwärmt sich. Diese warme Luft
muss aus dem Gehäuse abgeleitet werden, da es sonst zum
Hitzestau kommt und hierdurch zu einem erhöhten Verschleiß: Ein
Leuchtmittel mit Glühfaden erzeugt neben seinem vorbestimmten
Zweck, Licht zu produzieren, Wärme. Wird diese sich anstauende
Wärme nicht abgeleitet, folgt daraus eine kürzere Lebensdauer des
Leuchtmittels, wenn nicht sogar verbrannte Finger. Die heiße Luft
benötigt also einen Ausgang, durch den sie entweichen kann. Als
Luftdurchlass dient natürlich jede Form von Öffnung im Gehäuse.
Häufig aber in Form eines Lochmusters.
Wenn man nun aber auf diese „Armee“ von Löchern blickt, so
scheint das Loch als Attraktor verloren zu gehen, man nimmt
nicht das einzelne Loch, sondern das Gesamtbild der Lochstruktur
wahr.
„Wo alles Zentrum geworden ist, gibt es kein gültiges Zentrum
mehr; wo alles sendet, verliert sich der vermeintlich zentrale
Absender im Gewirr der Botschaften“17
Dieses ist ebenso bei einer linearen Lochstruktur der Fall.
Hier geht das einzelne Loch durch das Gesamtbild einer Linie
verloren. Handelt es sich bei der linearen Lochansammlung
um Durchgangslöcher, so spricht man von einer Perforation.
Aufgrund der regelmäßigen, linearen Aufteilung der Löcher, ist
die Perforation eine geordnete Lochstruktur.
Ein perforiertes Blech einer Stuhlsitzfläche kann zwei kleine
Löcher zum Wasserablauf haben oder löchrig wie ein Sieb sein. Im
Falle eines Briefmarkenbogens oder einer Eintrittskarte dient sie
als Sollbruchstelle, bei einem Fotofilm dem Transport des Filmes
über ein Zahnrad.
17
Sloterdijk, S. 72
37
Abb. 17
vorgetäuschtes Loch
38
Abb. 18
„Entwurzelt, Der Maler des Lochs“, George Grosz, 1948
Vorgetäuschte Löcher
Ein Loch muss nicht gleich ein Loch sein, auch wenn einem
dies auf den ersten Blick so erscheint. So gibt es künstliche
zweidimensionale Löcher, die ihr dreidimensionales Wesen
vortäuschen. Durch Schattierung oder einen aufgerissenen Rand
leiten sie den Betrachter irre. Ein „künstlicher" Attraktor wird
geschaffen. Zu finden sind diese meist als Aufkleber auf Autos,
welche von ebenso durchbohrten Charakteren gelenkt werden. Die
beste Einsatzmöglichkeit wäre es, dem Fahrer diesen, auf die Stirn
zu kleben, um so seiner geistigen Leere ein Sinnbild zu geben.
Es gibt sie auch als Wurmlöcher inklusive der grinsenden
Würmchen. Auch beliebt sind Einschusslöcher oder ganze
Lochansammlungen als zersiebende Schrotladung. Zu Zeiten
des Golf1 GTI sah man vermehrt nicht nur den Golfball als
Schaltknauf, sondern auch in halbierter Form des gleichen als
Einschlag an der Heckscheibe kleben.
Ein Beispiel aus der Kunst ist die Bilderreihe „Der Maler des
Lochs" des damals im amerikanischen Exil lebenden deutschen
Künstlers George Grosz. Bei dieser 1948 gefertigten Reihe von
Aquarellen und Gemälden nutzt Grosz das Loch als Symbol der
Inhaltslosigkeit. Es wird ein gemaltes Loch innerhalb der gemalten
Realität dargestellt, es findet kein Durchbruch durch die Leinwand
statt. Mit diesem „allegorischen Loch" kritisierte Grosz die
vermeintliche Inhaltslosigkeit der abstrakten Expressionisten, eine
Kunst, die ihm die menschliche Mitte verloren zu haben schien.18
18
vgl. Lepik, S.202-209
39
40
Funktionale Aspekte
„Dreißig Speichen stehen auf einer Nabe,
doch dort, wo sie nicht sind,
ist des Rades Sinn.
Lehm knetet man zum Becher,
doch dort, wo der Becher nicht ist,
ist des Bechers Brauchbarkeit.
Man stemmt Tür und Fenster aus zur Wohnung,
doch dort, wo nichts ist,
ist der Wohnung Wesen.
Also gilt:
Erfasst du etwas in seiner Brauchbarkeit,
so erfasse: das Nichts macht alles aus.“19
Funktionale Löcher erfüllen eine Aufgabe innerhalb eines
Gesamtgefüges, besitzen einen Verwendungszweck. Nach
Friederich Hoffmann ist „eine Aufgabe (…) eine Verpflichtung,
eine vorgegebene Handlung durchzuführen“20. Hat ein Loch seine
Aufgabe erfüllt und fristet nun wartend auf eine neue Aufgabe
sein Dasein, so kann aus einem funktionalen ein dysfunktionales
Loch werden. Zu erkennen ist dieses zum Beispiel bei einer
Wohnungsrenovierung. Kaum ist die Möblierung aus dem Zimmer
verschwunden, tut sich eine Vielzahl von Bohrlöchern in den
Wänden auf. Zu diesem Zeitpunkt erfüllen sie keinen Zweck.
Funktionale Löcher sind die weit weniger beachteten und ordnen
sich in ihrer Auffälligkeit den dysfunktionalen Löchern unter.
Dabei ist die Mehrzahl der Löcher funktional, die dysfunktionalen
19
Rombach, S. 10
Hoffmann
20
41
42
Abb. 19
gewichtsreduzierendes Loch
Führerraum eines Luftschiffes
werden schnell entsorgt oder geflickt, sodass es weniger Zeugen
gibt. Ein Loch, welches einen Gegenstand entwertet, ist allerdings
auffälliger als eines, welches eine Bestimmung im Gesamtgefüge
besitzt.
Die funktionalen Löcher sind künstlich hergestellt worden und nicht
durch Verschleiß oder unabsichtliche Einwirkung entstanden.
Sie sind die wahren Alleskönner, geben Halt für Faden, Schraube,
Finger usw., bilden einen Durchlass für Luft, Licht, Schall und
Substanz, können etwas aufnehmen, z. B. einen Golfball oder das
Laub im Garten, oder bilden eine Sollbruchstelle (Perforation für
die Entwertung von Eintrittskarten).
Das gewichtsreduzierende Loch
Löcher sind immer in etwas oder durchqueren etwas. Sie
kennzeichnen es einen gewichtslosen Bereich seines Trägers.
Das Nichts ist masselos und somit wiegt es auch nichts, von
der enthaltenen Luft einmal abgesehen. Wird ein Material mit
einem Loch versehen, so reduziert sich sein Gewicht um das
des herausgehöhlten Materials. Deshalb werden manche Objekte
gelöchert, und das manchmal solange, bis fast nichts mehr von
ihnen vorhanden ist. Wird die Bohrung geschickt in einem Material
platziert, so verringert sich zwar das Gewicht, aber die Stabilität
bleib annähernd die gleiche. Hierzu muss man den Kraftverlauf
des Werkstückes kennen, um dieses nicht an ungünstiger Stelle zu
schwächen. Wo Leichtigkeit und Stabilität gefragt sind, werden
solche Löcher gebohrt, wie zum Beispiel im Flugzeug- oder
Automobilbau, und am Rennrad und anderen Sportgeräten.
43
Abb. 20
widerstandsminderndes Loch
Käsemesser
44
Abb. 21
widerstandsminderndes Loch
Gaze
Das widerstandsmindernde Loch
Materie stellt sich dem kraftlosen Durchdringenwollen entgegen.
Sie bildet eine Mauer. Indem „etwas“ da ist, bietet Materie einen
Widerstand.
Ein Käsemesser schneidet durchlöcherten Käse und sieht dabei
selbst aus wie einer. Das Messer hat durch seine Löcher weniger
Materie, welche beim Durchtrennen mit dem Käse in Berührung
kommt. Dort wo Löcher sind, bietet das Messer dem Käse keinen
Widerstand, somit ist ein leichteres Schneiden des Käses möglich.
Große Werbeplakate, die an Häusern hängen, so genannte BigImages, werden auf einem durchlöcherten Stoff gedruckt. Neben
der Gewichtsreduzierung ist der verminderte Luftwiderstand
dieser Gaze der Grund, ein solches Material zu verwenden.
Sonst würde die riesige Stofffläche als Segel funktionieren und
somit eine enorme Last auf die Befestigungspunkte ausüben, die
wiederum in einem Loch verankert sind. Die Löcher in der Gaze
fallen allerdings auf Grund der Relation zur Bildgröße und dem
daraus folgenden Abstand des Bildbetrachters nicht auf.
Ebenso verringern die Löcher einer Fliegenklatsche den
Luftwiderstand. Wie ließen sich sonst diese, für die Reinigung
ungünstigen Löcher erklären?
45
Abb. 22
fixierendes Loch
46
Abb. 23
spannungsaufnehmendes Loch
Ritz-Cracker
Das fixierende Loch
Löcher bieten die Möglichkeit, Materialien miteinander zu
verbinden.
Holzplatten werden miteinander verschraubt. Dass dieses durch
Löcher hindurch geschieht, wird erst sichtbar, wenn die Schrauben
wieder entfernt werden. Einzelteile von Schiffen oder Häusern
werden durch Vernietungen dauerhaft miteinander verbunden.
Dort sind die Löcher schon vor dem Verbinden vorhanden
gewesen. Löcher bieten die Möglichkeit einer Arretierung. Wie
bei einer Schallplatte, die am Zentrierstab des Plattentellers fixiert
ist und zentriert ums Loch dreht, wird ein vorbestimmter Ort nicht
verlassen.
Das spannungsaufnehmende Loch
Löcher können einer homogenen Fläche eine optische Spannung
verleihen, indem sie durch Löcher bewusst durchbrochen und ein
Attraktor geschaffen wird. Neben dieser stilistischen Methode des
Spannungsaufbaus können Löcher physikalisch der Entspannung
eines Materials dienen. Wird zum Beispiel Leder eingeschlitzt,
so kann am Ende des Schlitzes das Leder gelocht werden.
Diese Lochung hilft der Spannungsaufnahme des Materials.
Die anfallenden Kräfte laufen nicht auf einen einzigen Punkt
zu, sondern sie werden durch Material am Rand des ganzen
Loches aufgenommen. Die Kraft verteilt sich auf einen größeren
Bereich, was zur Folge hat, dass das Material an dieser Stelle nicht
einreißt.
Ein Ritz-Cracker, ein Prinzenrollen-Keks oder ein Butterkeks
weisen ein Lochmuster auf. Jedoch ist dieses Lochmuster nicht nur
aus dekorativen Aspekten vorhanden. Der Cracker wird aus einem
viskosen Teig kross gebacken. Es bauen sich bei seiner Verfestigung
allerdings Spannungen auf. Um dem entgegenzuwirken, wird er
zuvor gelocht. Durch die regelmäßige Lochstruktur, können sich
die Spannungen auf kürzestem Wege abbauen.
47
Abb. 24
schallschluckendes Loch
Akustikdeckenplatte
Abb. 25
Muster der
Akustikdeckenplatte
48
Abb. 26
organisches Loch
Das schallschluckende Loch
Glatte Wände reflektieren Schall. Stehen sich zwei Wände parallel
gegenüber, so wird der Schall wie ein Gummiball zwischen den
Wänden hin- und hergeworfen. Dieser Nachhall überlagert den
Klang zunehmend, bis kein klarer, sondern nur noch ein Klangbrei
zu hören ist. Um diesem entgegenzuwirken, sollte man vermeiden,
die Räume rechtwinklig zu bauen. Oder aber man verwendet
schallabsorbierende Materialien.
Schall wird - bedingt durch Löcher - nicht direkt in den Raum
zurückgelenkt. Er läuft sich tot, sodass sich der Nachhall reduziert
und somit eine bessere Raumakustik entsteht. Je homogener die
Oberfläche eines Materials ist, desto besser reflektiert es den
Schall. Umso mehr die Oberfläche eines Materials durchlöchert
ist, desto besser sind seine schallabsorbierenden Eigenschaften.
Das Loch muss dabei mit der Umgebung in Verbindung stehen, um
Schall schlucken zu können.
Das organische Loch
Schon seit Urzeiten ist dem Menschen bekannt, wie er durch
kontrolliertes „Vergammelnlassen“, Leichtverderbliches für
längere Zeit haltbar machen kann.
Bei der Käseherstellung wird das Eiweiß der Milch durch
Säuerung denaturiert, entweder durch die in der Milch enthaltenen
Milchsäurebakterien oder durch die Zugabe von Lab, einem aus
Kälbermägen oder auch biotechnologisch gewonnenen Enzym,
welches als Katalysator dient. Der dabei entstehende „Bruch"
wird zerkleinert und entwässert, dann entweder als Frischkäse
belassen oder gesalzen und in Form gepresst, reifen gelassen.
Wie jetzt die Löcher in den Käse kommen, weiß ich noch aus der
Sendung mit der Maus: Wenn der Käse reift, fressen Bakterien
im Innern des Laibes Fetttröpfchen und stoßen als Abfallprodukt
Kohlensäure aus, die kleine Blasen bildet. Schneidet man sich
49
50
Abb. 27
Salvador Dali
Le Phénomène de l´Extase (Detail)
eine Scheibe Käse ab, werden aus den Blasen Löcher. Diese
entfalten keinerlei Aroma, das tut nur der Käse, der Träger des
Loches. Sie sind nur Luft, und doch geraten Genießer bei ihrem
Anblick ins Schwärmen. Doch bevor es zum Genuss kommen
kann, muss der Käse ordnungsgemäß verarbeitet werden. So gibt
es die Käseverordnung, welche beispielsweise die Standardsorte
Butterkäse regelt. Ein Molkereibetrieb in Wasserburg am Inn
produzierte diesen seit 20 Jahren. Alles schien in Butter, bis das
Landratsamt Rosenheim den Vertrieb untersagte. Der Käse hatte zu
viele Löcher. Was folgte, war ein zweijähriger Rechtsstreit um die
zugelassene Größe und Anzahl der Löcher im Käse.
Loch und Körper
Der Mensch besitzt wie jedes Lebewesen Körperöffnungen,
doch bei ihm heißen sie Foramen21. Ohne sie wäre kein Leben
möglich. Sie sind Ein- und Ausgänge zu komplexen Systemen,
die die Verbindung der Außenwelt zum Gehirn, der Lunge und
dem Verdauungssystem darstellen. Umgangssprachlich werden
alle diese Öffnungen als Loch bezeichnet. „Sein Loch halten“
meint, dass jemand still sein soll. Das Sehloch ist die Pupille. Die
Körperöffnungen im Genitalbereich muss ich wohl nicht weiter
beschreiben, jedoch wäre ohne sie keine Existenz möglich. Einzig
und allein die Nasenlöcher tragen auch wirklich ihren Namen.
Medizinisch gesehen, sind die Nasenlöcher ein Nichts. Lediglich
der Fachausdruck „Nares“ besagt, dass in anatomischen
Fachbüchern diesbezüglich kein Loch existiert. Über die Nase an
sich existiert ein vielfältiges kulturelles Wissen, die Nasenlöcher
sind jedoch nur im geringen hinterleuchtet. Die Nase kann gerade
noch schielend mit den eigenen Augen gesehen werden. Sie ist
immer da. Ob die Nasenlöcher auch wirklich da sind, dessen muss
man sich in einem Spiegel versichern oder aber das Loch mit dem
Finger suchen. Findet man es, kann man in ihm bohren – trotzdem
21
abgeleitet vom lateinischen Begriff für Loch
51
52
Abb. 28
Aluminium Ohrnadel einer Fali-Frau
heißt es nicht Nasenbohrung. Bemerkbar macht es sich nur, wenn
der „Rotz“ aus ihm herausläuft oder indirekt, wenn der Gestank
der Welt uns die Nase rümpfen lässt oder aber sie sich vor Zorn
aufblähen.
Wie die drei Affen - nichts hören, nichts sehen, nichts sagen
- allegorisch zeigen, führt ein Verschluss von Körperöffnungen
zu einem Sinnes- und Kommunikationsverlust. Funktionieren
die Sinne nicht einwandfrei oder ist die Wahrnehmung der durch
sie aufgenommenen Reize gestört, hat der Mensch ein großes
Problem. Blind sein, taub sein, stumm sein, alles Wahrnehmungsund Kommunikationsstörungen. Solche Funktionseinschränkung
ließe noch ein eingeschränktes Leben zu. Wahrlich kritisch wäre
es, würden Nahrungsaufnahme und -ausscheidung nicht mehr
ihren gewohnten Gang nehmen.
Das Verschönern des eigenen Körpers ist eine der ältesten
Kunstformen. Als Zeichen von Gesellschaftsstand, Individualität
und zu rituellen Zwecken haben sich Menschen schon immer
geschmückt. Schmuck wurde zu diesen Zwecken an Kleidung
und Körper getragen. Am Körper getragen, muss dieser irgendwie
befestigt werden, als Kette um den Hals oder als Reif um Handoder Fußgelenk. Die andere Möglichkeit der Befestigung am
Körper ist das Durchbohren bzw. Durchlöchern der menschlichen
Haut. Künstliche Löcher im menschlichen Körper dienen der
Befestigung des Schmuckes. Dieses geschah meist an oder in
der Nähe der ohnehin schon vorhandenen Körperöffnungen.
So werden bei den afrikanischen Kirdi- und Lobi-Mädchen
in der Kindheit Lippen, Nase und Ohren durchstochen. Der
später darin getragene Schmuck dient der Verschönerung, als
Stammesidentitätszeichen und auch als Schutz vor Gefahren
wie bösen Ausdünstungen und übernatürlichen Kräften, die
durch die Körperöffnungen eindringen können. Das Loch wird
von der Mutter mit einem Dorn gebohrt, später mit Mais- und
Hirsestängeln immer wieder erweitert, bis es ca. zwei Zentimeter
53
Abb. 29
Paté-Frau mit Ohrläppchenscheib
und Goldringen
Abb. 30
Pokot-Frau mit Lippenpflock
Abb. 31
Kipecho-Mädchen mit Tellerlippe
Abb. 32
Nandi mit Ohrschmuck
54
misst und ein Lehm-, Holz-, Stein- oder Metallpflock eingesetzt
werden kann.22 Bei den Beni-Amer-Mädchen werden zur
Verlobung Ohren und Nase durchstochen und Ringe eingehängt.
Ein Jahr später folgt normalerweise die Hochzeit.23 Lamu- und
Patéfrauen weiten sich die Ohrläppchen und halten die Löcher
durch Büffelhorn- oder Ebenholzpflöcke offen, die bei festlichen
Anlässen gegen Silber- oder Goldscheiben ausgetauscht werden.24
Ist das Pokot-Mädchen von der Beschneidung genesen, werden
Reife und Ringe in das Ohrläppchen gehängt. Den Lippenpflock
darf die Frau erst nach ihrer Heirat tragen, vergleichbar mit dem
Ehering.25 Die Durchbohrung der Unterlippe bei den Kichepo kann
schon als Übertreibung angesehen werden. Der Brauch soll zur
Abschreckung von Sklavenhändlern entstanden sein. Eine andere
Interpretation ist die Nachahmung des Aussehens von Kulttieren
wie dem Sumpfläufer und dem Löffler.26
In der westlichen Kultur findet ein durchlöchern des Körpers
ebenso statt. Als schlichtes Ohrloch zum befestigen von Ohrringen
oder als so genanntes Piercing, welches als Schmuck am ganzen
Körper getragen werden kann. Man kann dieses Piercing aber
genauso als rituelle Handlung auffassen. Jedoch geht es hier nicht
mehr darum, böse Geister abzuwehren, sondern vielmehr ist es
ein Identitätszeichen, ein Zeichen der Dazugehörigkeit zu einer
bestimmten Gruppe.
22
vgl.: Fisher, S. 137
ebenda, S. 280
24
ebenda, S. 289
25
ebenda, S. 33
26
ebenda, S. 55
23
55
56
Abb. 33
Locher
Exkurse
Der Locher
Als in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Vision vom
papierlosen Büro Wirklichkeit zu werden schien, hätte schon fast
die letzte Stunde des Lochers geschlagen. Doch dieser Traum
erwies sich als utopisches Zukunftsszenario. Ein Text oder ein
Bild in Händen zu halten, um es zu „begreifen“, ist eben noch
die praktikabelste Methode, und so wurde weiterhin, zwar in
verminderter Quantität, gelocht.
Es ist schon verwunderlich, dass etwas mit der Stelle festgehalten
wird, an der keine Substanz mehr vorhanden ist. Genau genommen
ist es nicht das Nichts, welches das Blatt Papier daran hindert,
seinen bestimmten Platz zu verlassen, sondern der Rand, welcher
sich beständig am Bügel des Ordners festhält. Dieser substanzlose
Raum ist hier ein Tunnel, welcher die Durchquerung des
Ordnerbügels durch das Papier ermöglicht. Dass die Löcher des
Lochers eine Funktion erfüllen, liegt auf der Hand, sie halten das
Blatt an seinem bestimmten Ort. Jedoch haftet dem Papier nun ein
Makel an, den man allerdings nur wahrnimmt, wenn das Blatt den
Ordner verlässt oder eine Schrift nicht mehr vollständig zu lesen
ist.
Die Idee, Papiere in Ordnern abzulegen und zu diesem Zweck
mit Löchern zu versehen, ist gerade mal ein Jahrhundert alt.
Noch zu Bismarcks Zeiten wurden lose Schriftstücke lediglich in
Schachteln oder (Schub-)Laden aufgehoben, außer es handelte sich
um Akten, bei denen ein nachträgliches Hinzufügen oder Entfernen
einzelner Schriftstücke nicht nötig war. Die enorme Ausweitung
der Geschäftskorrespondenz in den Industrieländern und die
Vervielfältigung einzelner Schriftstücke durch Durchschläge
(seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts) ließ die separaten
Register buchstäblich überquellen. Eine Ordnung war von Nöten,
57
58
Abb. 34.1
der erste Soennecken-Locher
Seitenansicht
Abb. 34.2
der erste Soennecken-Locher nach der Patentschrift DRP 40265, 1886
Ansicht von oben
bei der lose Blätter gefasst, und ein schnelles, gezieltes Einlegen,
Herausnehmen und Wiederfinden der Schriften gewährleistet
wurde.
Aus Amerika kamen in dieser Zeit die „Registratoren“, die
Vorläufer des modernen Ordners. Diese bestanden aus einfachen
Holzbrettchen mit zwei senkrechten Metallschienen, in denen die
losen Blätter gehalten wurden. In einer verbesserten Ausführung
erhielt man sie schon mit richtigen Bügeln, jedoch ohne die
spätere Hebelmechanik zum Öffnen. Später wurden sie mit einem
klappbaren Deckel versehen, der ein senkrechtes Aufstellen im
Regal ermöglichte. Am Deckel des Ordners befand sich meist eine
Vorrichtung zum Lochen. Diese noch sehr einfach konstruierte
Vorrichtung lässt sich folgendermaßen beschreiben: Das Gerät
bestand aus zwei Stahlplatten, die durch ein Scharnier verbunden
und mittels einer Feder auseinander gehalten wurden. Am oberen
Blech angebrachte Stanzstifte drangen durch Druckeinwirkung
in das Papier ein. Das Unterteil war so konstruiert, dass es die
Aufnahme der Stifte und des anfallenden Konfettis ermöglichte.
Durch seine schräg in das Papier eintauchenden Stanzstifte
funktionierte der Locher allerdings nicht besonders zuverlässig.
Mehrere Papiere konnten durch die schlechte Kraftübertragung
und die sich im Papier verkantenden Stanzstifte nicht gelocht
werden.
Die Erfindung des Lochers mit seinem noch heute gebrauchten
Prinzip geht auf Friedrich Soennecken zurück, dem am 14.11.1886
das Deutsche Reichspatent Nr. 40065 auf seinen „Papierlocher
für Sammelmappen, Briefordner und dergleichen“ zugesprochen
wurde.
Die Neuerung an seiner Konstruktion bestand darin, wie es im
ersten Satz der Patentschrift heißt, dass „die Schneidstifte (…) außer
Zusammenhang mit dem Druckbügel (…) gebracht und lose in die
Führungsköpfe (…) gehängt sind. Diese Einrichtung bezweckt, dass
die Schneidstifte ohne Klemmung auf- und abgleiten, sich nicht
infolge von Ungleichheiten in der Bewegung des Druckbügels in
den Führungen festsetzen und stets in senkrechter Richtung in die
Löcher der Stahlmatrize (…) eindringen, wodurch das vollständige
59
60
Abb. 35
Lochstanzmaschinen zur Lochkartenlochung
Durchschlagen der Papierstückchen gewährleistet ist“27.
Auf erstklassige Qualität legte der Perfektionist Soennecken
großen Wert, und so gehörten seine Erzeugnisse zu den ersten, die
den Ruf des 1887 auf Druck Großbritanniens eingeführten „Made
in Germany“ in alle Welt trugen.
Der Locher wäre ohne seinen Kompagnon, dem Ordner, nicht
denkbar. Der Stuttgarter Unternehmer Louis Leitz erhielt am 17.
September 1896 das Deutsche Gebrauchsmuster Nr. 64218 auf
einen neuartigen „Exenterhebelverschluss für Sammelmappen“,
mit dem der Leitzordner seine Weltkarriere begann. Sogar mehr
als 30 Jahre nach der Übernahme der Firma F. Soennecken durch
den Konkurrenten Leitz vertreibt dieser seine eigenen Locher im
Ausland unter den Markennamen „Soennecken“.
Der Locher gehörte zu einem der ersten genormten Objekte. Bereits
die ältesten Locher Soenneckens wiesen einen Lochabstand von
acht Zentimetern und einen Lochdurchmesser von 5.5 Millimetern
auf, welcher dann auch später für den Leitz-Ordner übernommen
wurde.28
Die Lochkarte
Die Geschichte der Eingabe von Programmen und Daten für
Stapelverarbeitung in Großrechenanlagen sowie deren Speicherung
ist eng verbunden mit Hermann Hollerith und seiner Erfindung der
Lochkartenmaschine, die erstmals 1890 bei der Volkszählung in
den USA eingesetzt wurde.
1728 wurden jedoch schon von einem Seidenweber aus Lyon
gelochte Holzbrettchen zur Steuerung mechanischer Webstühle
eingeführt, um wiederkehrende Abläufe rationell zu wiederholen.
Jacques de Vaucanson aus Grenoble entwickelte diesen einfachen
Webstuhl zu einem mechanisch durch eine hölzerne Lochkarte
27
Heinrich, S. 81
ebenda, S. 79ff
28
61
62
Abb. 36
Die Lochkarte, Heft 164
Mitteilungen der Ramington Rand GmbH, Frankfurt am Main, 1954
gesteuerten Modell weiter (1745). 1805 verbanden Joseph Marie
Jacquard und Charles Babbage die Steuertechnik Vaucansons mit
einem 1785 von Edmond Cartwright voll mechanisierten, durch
Pferde betriebenen Webstuhl. Dieser bot nun die Grundlage für
eine industrielle Fertigung von Stoffen.
Hollerithwollte zunächst, Löcher in einen Papierstreifen stanzen,
ähnlich denen, die man für die automatisierten Telegrafen seiner
Zeit verwendete. Dann soll er sich allerdings an so genannten
Stanz-Fotographien orientiert haben, die Schaffner von Reisenden
anfertigten. Auf diesen Stanz-Fotographien konnten einige
persönliche Kennzeichen wie blondes Haar und dunkle Augen
sowie die Reisezeit mit Löchern und Kerben markiert werden,
um eine unrechtmäßige Übertragung der Fahrkarte zu vermeiden.
Dieses Verfahren der vorgegebenen Fragen übernahm Hollerith für
seine Lochkarten. Jedes Loch an einer bestimmten Stelle der Karte
entsprach einer gewissen Information. Um viele Informationen zu
speichern, brauchte man sehr große Karten. Um Kartenplatz zu
sparen belegte Hollerith, bestimmte Kombinationen von Löchern
mit charakteristischen Bedeutungen.
Die bei der Volkszählung 1890 angewandten so genannten
Elektrischen Tabelliermaschinen (Electronic Tabulating System)
bestanden aus einem manuellen Locher, einem Tabulator und einem
Lochkartenleser. Der Tabulator transportierte die Lochkarten auf
einer Hartgummiplatte. Diese Platte hatte eine Reihe von Löchern,
die den möglichen Löchern in der Karte entsprachen. Von oben
wurden dünne Stifte durch die übereinstimmenden Karten- und
Plattenlöcher geführt, die in darunter liegenden mit Quecksilber
gefüllten Bechern einen elektronischen Kontakt auslösten. Später
wurden die Quecksilberkontakte durch Magnete, dann durch
Fotozellen ersetzt. Die Karten konnten so hinsichtlich bestimmter
Informationen ausgewertet werden, indem die Übereinstimmungen
zwischen einem Plattenloch und einem Kartenloch gezählt wurden
und auf einer Uhr abzulesen waren.
Eine Weiterentwicklung der Hollerith-Lochkarte war in 80 Spalten
und zwölf Zeilen unterteilt. Dezimalziffern ließen sich durch eine
Lochung in der Zeile 0, 1, …, 9 darstellen. Zahlen wurden durch
63
64
eine Gruppe von Spalten nebeneinander wiedergegeben (Lochfeld).
Zahlen mit einem Überloch in Zeile 11 über der niedrigsten Stelle
waren negativ. Buchstaben und Sonderzeichen gab man durch
jeweils ein Lochpaar in einer Spalte wieder. Da jedes Loch sich
als 0 bzw. 1 interpretieren ließ, vermochte man mit Hilfe von
Lochkarten binäre Codes wie BCD oder EBCDI darzustellen.
Hollertiths Firma, die Tabulating Maschine Company, die 1924 in
International Business Maschines (IBM) umbenannt wurde, ließ
1928 ein 80-Spalten-Format mit rechteckigen Löchern patentieren,
welche die weiteste Verbreitung fand.
Mitte der 60er Jahre wurde die Lochkarte durch das Magnetband
als Speichermedium abgelöst. Der Nachfolger des Magnetbandes
stellt heute die Festplatte dar. Eine Festplatte von 80 GB kann den
Inhalt einer Milliarde Lochkarten speichern, die einen Kartenstapel
von 170 Kilometer Höhe entsprechen mit bis zu einer Billion
Löcher.
Andere Anwendungen von Lochkarten und Streifen waren zum
Beispiel das Steuern von Musikinstrumenten, das Speichern von
Drucksätzen für den Buchdruck sowie Schlüsselkarten. Bei den
Schlüsselkarten wurde das Schlüsselloch zum Kartenschlitz.
Das Loch ging jedoch nicht verloren, es existierte auf der Karte
weiter.29
In vielen Bundesstaaten der USA wird die Lochkarte auch heute
noch als Stimmzettel für Wahlen benutzt, jedoch „gab es vor
vier Jahren eine Menge Wähler, die keine klaren Löcher in ihre
Wahlzettel stanzten, an den Rändern blieben Fetzen, es waren zwar
Löcher und die Intention war klar, aber es waren keine makellosen
Löcher. Viele Wähler, die sich nicht sicher waren, ob ihre Löcher
rund genug waren, schrieben unten auf ihre Zettel „Al Gore“,
um sicher zu sein. „Undervotes“ hießen jene Stimmzettel mit
unscharfen Daten, „Overvotes“ jene mit zu vielen Daten. Damals
gab es in Florida 175.000 Undervotes und Overvotes“30. Ein
wunderbares Beispiel dafür, wie aus einem funktionalen Loch ein
29
vgl.: Grupen, S. 89ff und www.wikipedia.de
Spiegel Nr.45
30
65
66
dysfunktionales werden kann. Löcher können in mancher Sicht zu
katastrophalen Ergebnissen führen.
Löchern ist es indirekt möglich, Informationen aufzunehmen.
Der Träger des Loches ist dabei essenziell mit dieser Möglichkeit
der Speicherung verbunden. Im Grunde ist die Information, die
aufgenommen werden kann, auch sehr spärlich. Ja und Nein,
welches in der heutigen digitalen Speicherung übertragen durch
die Null und Eins dargestellt wird.
Die Null übrigens sehe ich als Andenken an das ehemalige Loch.
Die Null als Kreis gesehen, bezeichnet genauso wie der Rand des
Loches eine Abgrenzung zwischen innen und außen. Es hätten zum
Codieren genauso die Eins und die Zwei herhalten können.
Das Nichts, durch das Loch sicht- und auswertbar gemacht, und
das Etwas bekommen also jeweils eine Aussage zugeteilt. Diese
ermöglichte es zunächst, Antworten von Fragen, die mit ja und
nein beantwortet werden konnten, abzuspeichern. Später bot sich
die Möglichkeit, Lochkombinationen einem bestimmten Zeichen
oder einer Aussage zuzuordnen. Lochkombinationen bilden hierbei
den Code, welcher durch ein Lesegerät dekodiert wird.
Das Loch dient der Datenspeicherung. Es wird nicht etwas
im Nichts gespeichert, sondern es bietet die Möglichkeit der
Unterscheidung zwischen nichts und etwas.
67
68
Abb. 37
Lochkamera
Die Lochkamera
Das naturgetreue Aufzeichnen eines Bildes ist ohne ein Loch nicht
möglich. Ob stilles oder bewegtes Bild, ob analog oder mittlerweile
digital aufgenommen: Stets nimmt das aufzuzeichnende Bild
seinen Weg durch ein Loch, auch wenn dieses seit über 400 Jahren
durch eine Linse verschlossen ist. Für das durchdringende Licht
stellt dieses Loch aber immer noch eine Öffnung in die Dunkelheit
der Kamera dar.
Zunächst waren es allerdings naturgegebene Projektionseinr
ichtungen, die Aufmerksamkeit erweckten und Fragen nach
Ursache und Wirkung provozierten. So soll Aristoteles bei einer
Sonnenfinsternis das vervielfachte Bild der Restsonne, welche
durch Öffnungen in einem Blätterdach in die darunter liegende
Schattenzone projiziert wurde, beobachtet haben. Bei Sieblöchern
und Lücken im Korbgeflecht stellt er ähnliche Bildeffekte fest.
Später wurden solche Phänomene in eigens dafür hergerichteten,
abgedunkelten Räumen mit Blendenöffnungen in Wand, Tür oder
Fenster betrachtet.
Neben der dominierenden Funktion der Sonnenbeobachtung dient
die Camera Obscura auch zur Erforschung des Lichtes. Aus der
Bildumkehr wird auf die strahlenförmige, geradlinige Ausbreitung
des Lichtes geschlossen. Die physikalische Grundlage besteht
darin, dass Licht sich in Strahlen geradlinig fortbewegt und dabei
die Helligkeit derjenigen Gegenstandsoberfläche transportiert,
von der es reflektiert wird. Durch Lochdurchmesser und gestalt begrenzt, werden diese Lichtbündel, auf eine Fläche
treffend, als umgekehrtes Bild sichtbar. Das Loch vertritt
dabei den mathematischen Durchtrittspunkt eines räumlichen
Strahlenbündels.
Leonardo da Vinci untersuchte den Strahlengang und stellte fest,
dass dieses Prinzip in der Natur beim Auge wiederzufinden ist. So
schrieb er, dass „die Bilder unserer Hemisphäre samt denen aller
Himmelskörper durch den natürlichen Punkt (d. h. die Pupille)
gehen und dringen. (…) Hier werden die Gestalten, hier werden die
Farben, hier werden alle Bilder der Teile des Weltalls in einem Punkt
69
70
zusammengedrängt.“31 Weitere schriftliche Äußerungen da Vincis
reichen von der tiefen Bewunderung des Seh-Lochs, der Pupille,
als Beispiel für die in der Natur auffindbaren Gesetzmäßigkeiten
bis zu praktischen Anweisungen zur Optimierung der Camera
Obscura.
Klein und in möglichst dünnes Blech gebohrt muss das Loch
sein, damit die Bilder so deutlich wie möglich werden. Für eine
ausreichende Bildhelligkeit, soll eine geringe Bildweite (Abstand
zwischen Loch und Projektionsfläche) gewählt werden, auch wenn
die abgebildete Szene nur in einem kleinen Maßstab erscheint.
Wenn die Szene von der Sonne beschienen wird, erscheint ihr Bild
wie gemalt und in natürlichen Farben auf dem Bildschirm.
Da Vinci deutet zudem die Verwendung der Apparatur als
Hilfsmittel für Maler und Zeichner an.
Das Blenden-Loch ersetzt dabei das Loch-Visier der Glastafelund Quadratnetzapparate, die im gleichen Zeitraum in
Gebrauch waren. Sie helfen bei den Darstellungsproblemen der
zentralperspektivischen Fluchtpunktperspektive.32
Eine höhere Bildschärfe verlangt nach kleinen Blendenlöchern,
was aber ein lichtschwaches Bild mit sich führt. Große Löcher
dagegen würden bis zur Unkenntlichkeit verschwommene Bilder
liefern. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bereitete Leonardo
da Vinci in seinen Überlegungen vor. Angetrieben durch die
Problemstellung, warum die Kopf stehenden und seitenverkehrten
Projektionsbilder „richtig herum“ gesehen werden, simuliert er
die Platzierung einer Kristallkugel hinter dem Loch der Camera
Obscura. An anderer Stelle macht er den Vorschlag, eine Laterne
mit einer Sammellinse zu versehen, um den Lichtkegel der Leuchte
zu vergrößern, und gibt dadurch den entscheidenden Anstoß für die
Weiterentwicklung der Apparatur.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzte Giovanni
31
Lücke, S.143/152
So benutzte möglicherweise der holländische Maler Johannes Vermeer eine
Camera Obscura, was den Detailreichtum und die naturgetreue Wiedergabe
seiner Bilder erklären würde.
32
71
72
Abb. 38
Camera obscura
aus einer franz. „Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts
et des métiers“, von 1772
Battista Della Porta die Idee, die Lochkamera mit einer
Sammellinse auszurüsten, in die Tat um. Nun war es möglich,
den Lochdurchmesser zu vergrößern und trotzdem mit kleinen
Bildweiten zu arbeiten, welches auch zu lichtstärkeren Ergebnissen
führte.33
Während die Geräte anfangs sehr groß waren, baute Johannes
Zahn ab 1655 die ersten kleinen Kameras. Sie waren unseren
Fotoapparaten schon sehr ähnlich und arbeiteten mit austauschbaren
Linsen. Ein Spiegel, der im Winkel von 45 Grad zur Linse im
Inneren der Kamera angebracht war, projizierte das Bild nach oben
auf eine Mattscheibe und konnte so bequem abgezeichnet werden.
Die ersten kleinen Kameras hatten aber einen Nachteil, dass das
Bild, welches sie zeichneten, vergänglich und nur so lange zu
sehen war, wie Licht in die Kamera fiel. Ein speichern des Bildes
wurde erst durch die Entwicklung lichtempfindlicher Chemikalien
möglich.
Am 22. November 1826 gelang es dem Franzosen Joseph
Nicéphore Niepce, ein Motiv dauerhaft und lichtbeständig
abzubilden. Als lichtempfindliche Schicht nahm er in Petroleum
aufgelösten Asphalt, welcher auf einen Träger gebracht wurde.
Der über acht Stunden belichtete Asphalt härtete an seinen
belichteten Stellen aus, der Unbelichtete konnte dann mit einem
Lösungsmittel entfernt werden. Die von Asphalt befreiten Stellen
wurden geätzt oder graviert, und somit entstand ein Bild. Durch
die lange Belichtungszeit setzte sich diese Methode jedoch nicht
durch. Louis Daguerre entwickelte 1839 ein Verfahren, welches
nur noch 20 Minuten Belichtungszeit benötigte. Hierzu bedampfte
er belichtete Jodsilberplatten mit Quecksilber und fixierte diese mit
einer Kochsalzlösung.34
33
1568 beschrieb der Venezianer Daniele Barbaro in seinem Werk "La pratica
della prospeltiva" solch eine verbesserte Kamera. Ein ähnlich konstruiertes Gerät
scheint auch Johannes Keppler bekannt gewesen zu sein, der damit das durch
ein Fernrohr fallende Licht der Sterne als Abbild auf einer dunklen Leinwand
nachzeichnen konnte, um so den Verlauf der Planeten nachvollziehen zu können.
34
vgl.: Königs, S. 101ff und www.wasistwas.de, www.wikipedia.de
73
74
Das Loch hat in der Wissenschaft eine große Bedeutung.
Es ermöglicht eine genaue Aufzeichnung astronomischer
Beobachtungen, erlaubt Rückschlüsse auf die Funktionsweise des
Sehapparates oder half bei der Analyse der Fluchtpunktperspektive.
Und ganz nebenbei half es den Moment für die Ewigkeit
festzuhalten.
Eine Linse verschließt zwar das Kameragehäuse vor direkten
Einwirkungen von außen, ist aber ein Durchlass und somit ein
Loch für das Licht. Der Leerraum innerhalb des Loches ist nicht
zwangsläufig mit einem luftigen Nichts gefüllt, so wie bei der
Camera Obscura mit einer Linse.
75
76
Abb. 39
Descent into Limbo, Anish Kapoor, 1992
Ästhetische Aspekte
Der 1954 im indischen Bombay geborene Anish Kapoor lebt seit
den frühen 1970er Jahren in London, wo er die Chelsea School of
Art besuchte. Er wurde sowohl mit dem Premio Duemila Preis der
44. Biennale von Venedig (1990) als auch 1991 mit dem Turner
Preis ausgezeichnet. Seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt
und befinden sich in zahlreichen privaten und staatlichen
Sammlungen.
Kapoor arbeitet häufig mit Öffnungen in seinen Skulpturen, welche
einen Kontrast zwischen Materie und Leere darstellen. Es ist der
Versuch, den Blick des Betrachters nach Innen zu wenden.
Anhand einiger seiner Arbeiten möchte ich die ästhetische Wirkung
von Löchern näher beleuchten.
Licht und Dunkelheit
„Descent into Limbo“ – Abstieg in die Vorhölle35 besteht aus einem
weißen Zementkubus, 6 x 6 x 6 Meter. Eine beengend schmale Tür
führt in das nackte Innere, welche, sobald man den Raum betritt,
auch schon wieder ins Schloss fällt. Ich fühle mich allein gelassen
an diesem Ort der Leere. In der Mitte des Bodens dieses kargen
Raumes befindet sich eine nachtblaue Kreisfläche von ca. zwei
Metern Durchmesser.
Trete ich näher an diese Fläche, fahre ich erschrocken zurück. Die
Fläche tut sich als bodenloses Loch vor mir auf, dessen Sogwirkung
physisch spürbar ist. Die Ungewissheit der Dunkelheit schürt meine
Angst zu fallen. Dabei ist „Dunkelheit nicht nur eine Abwesenheit
von Licht, sondern vielleicht eine Rückkehr an den Anfang“36, sagt
Anish Kapoor. Dieser Anfang begann mit der Dunkelheit. Der
35
Dokumenta IX., S. 250
von Drateln, S. 147
36
77
Abb. 40
taratantara, Anish Kapoor, 2000
78
Abb. 41
taratantara, Anish Kapoor, 2000
Mensch entwickelt sich in der Fruchtblase, in einer Höhle. Bevor
er das Licht der Welt erblickt, muss er durch ein Loch, die Vagina,
der Ursprung und der Ausgang zum Leben.
„Das Seltsame ist – ich glaube, man sieht Farbe nicht mit den
Augen, man sieht Farbe mit dem Verstand. Wenn ich tiefes
Schwarz herstellen will, ist Blau viel besser als Schwarz, weil
man in Blau unendliche Tiefe sieht, und das hat gewiss etwas zu
tun mit der Erfahrung der Erdnähe von Schwarz. Das schwärzeste
Schwarz ist das Schwarz von Blau.“37 Durch die blauschwarz
pigmentierte Licht schluckende Oberfläche des Loches gibt
es keine Licht- und Schattenwirkung. Die Dimension des
Hohlraumes ist nicht auszumachen. Wie auf einer Schneewehe
stehend, scheint mir der Rand keinen Halt mehr zu bieten – meine
Standsicherheit schwindet. „Sonderbarerweise ist es nicht damit
getan, einen Schritt zurückzutreten, um sein Gleichgewicht wieder
zu finden. Das Schwindelgefühl breitet sich eher aus. Der Boden
scheint hohl, der Standort in Frage gestellt, das Terrain ist unsicher
geworden.“38
Mit „Descent into Limbo“ führt Kapoor den Betrachter an die
Grenzen des Raumes und seiner Vorstellung.
Kapoor arbeitet häufig mit der Schwärzung des Innenraumes.
Hierdurch bleibt dem Betrachter das wahre Ausmaß des Loches im
Verborgenen. Interpretiert werden kann dieses von der schwarzen
Fläche eines aufgemalten Punktes bis zum unendlich geweiteten
Hohlraum. Diese Arbeiten Kapoors sind deshalb im Prinzip
unfotografierbar. Das dunkle Loch ist ein Ort der Leere und endet
irgendwo außerhalb meiner Vorstellungskraft. Das Nichts wird
einem vor Augen geführt, da man außer Dunkelheit nichts sieht,
als ob einen der Tod im Loch erwarten würde.
Bei „taratantara“, einer raumgreifenden Installation Kapoors,
tritt Licht aus einer Öffnung. Dieses Licht verspricht eine andere
Seite. Es existiert ein Dahinter wodurch meine Gedanken Auslauf
37
Kunstforum Bd. 109, S. 311
Drateln, S. 145
38
79
Abb. 42
turning the world inside out II, Anish Kapoor, 1995
80
Abb. 43
Untitled , Anish Kapoor, 1993
bekommen und sich hiermit in meinem Kopf viel freiere und
fröhlichere Bilder entfalten können. So kann ich auch kein Gefühl
der Ungewissheit verspüren, da es nicht in der Dunkelheit endet,
sondern sich zum Licht hin öffnet. Wie eine gefallene Mauer, die
mir die Sicht nahm, habe ich einen freien Blick. Es ist also wichtig,
ob das Loch ein Durchgang ist oder ob es zu einer Sackgasse in
einem Körper wird.
Skulpturalität und Lage
Bei „turning the world inside out II" von 1995 nutzt Kapoor eine
andere Art von Loch. Dieser eben mit dem Boden abschließende,
aus poliertem Aluminium gefertigte scheinbar unendliche Trichter
intensiviert seine Sogwirkung durch Form und Material. Hier
wird kein Licht geschluckt. Ganz im Gegenteil zum Loch bei
„Descent into Limbo" reflektiert das Material jede um sich herum
befindliche Materialität. Es entsteht eine Art Wirbel, welcher mich
beim bloßen Anblick hinunterzureißen droht. Es gibt eine klar
abgetrennte Grenze zwischen dem Boden und dem trichterförmigen
Loch. Die Trichterform verstärkt durch seinen weich auslaufenden
Rand den scheinbaren Magnetismus des Loches. Es ist ein Fallen
zu spüren, welches durch den quecksilberartigen Schlund in eine
unermessliche Tiefe nie zu enden scheint.
Nicht nur die Form, sondern auch die Materialität des Lochträgers
rufen unterschiedliche Wirkungen hervor.
Dass die Lage des Loches, ob in horizontaler oder vertikaler,
durchaus einen anderen Effekt auslöst, zeigt ein Vergleich zwischen
„turning the world inside out II“ und „Untitled“.
„Untitled“ ähnelt von der Form dem Loch bei „turning the world
inside out II“, ist jedoch in vertikaler Lage in der Wand und
nicht horizontal im Boden sesshaft. Beide Löcher üben durch
ihre Trichterform eine Sogwirkung aus. Allerdings ist durch das
81
Abb. 44
I, Anish Kapoor, 1987
82
Abb. 45
Untitled Installation , Anish Kapoor, 1993
Befinden des Loches in der Wand bei „Untitled“ kein Fallen
möglich, sodass ich mich neugierig dem Loch nähern mag. Durch
die samtige rote Pigmentierung, welche weiche Schattierungen
zulässt, wirkt das Loch weit weniger bedrohlich als das von
„turning the world inside out II“. Nur in der Horizontalen liegendes
Loch könnte mich durch die Schwerkraft nach unten ziehen. Diese
Erscheinung unterstützt Kapoor mit der spiegelartigen Oberfläche.
Es scheint, als würde die Umgebung strudelartig in den aufpolierten
Schlund absorbiert.
Bei beiden Arbeiten führt das Loch in die Dunkelheit. Wie eine
Kurve in einem Koordinatensystem, welche sich im Unendlichen
der Null nähert, führen mich diese Trichter gedanklich ins Nichts,
nur der Weg dorthin ist ein anderer.
Der Übergang zwischen außen und innen ist bei einem
scharfkantigen Loch, wie bei „I“ viel stärker sichtbar als bei dem
trichterförmigen Loch von „Untitled Installation“, sodass ein
weicher Übergang zwischen beiden Seiten stattfindet.
83
Abb. 46
Braun tp1, Dieter Rams, 1959
84
Abb. 47
Lucio Fontana, 1960
Gestalterische Anwendung
Wie bereits erläutert bietet das Loch eine Vielzahl von
funktionellen Einsatzmöglichkeiten. Über die Gestaltung dieser
wird ein Objekt maßgeblich geprägt – ob durch ein einzelnes Loch
oder eine Anhäufung von Löchern, kreisförmig gebündelt oder
ungeordnet wie der Sternenhimmel, klein wie ein Mauseloch oder
groß wie ein Scheunentor, kreisrund, amorph oder quadratisch. Die
gestalterische Freiheit ist groß.
Als erstes seien hier die Fernseher und Radiogeräte genannt, die
in den vergangenen Jahrzehnten immer neue Lochformationen
erhielten.
Lautsprecher besitzen eine empfindliche Membran durch deren
Schwingung der Ton entsteht. Diese gilt es vor Fremdeinwirkung
zu schützen. Die Löcher dienen als Austritt für Schallwellen. Da
dies durch alle Arten und Formen von Löchern möglich ist, sind
hier die gestalterischen Möglichkeiten groß.
Die Strukturierung der Lochmuster kann maßgeblich zur
Erscheinung eines Gerätes beitragen und markenbildend wirken.
Die tontechnischen Geräte der Firma Braun waren bei der
Verwendung von geordneten Lochstrukturen maßgebend.
„Gegenüber den früher in der Radioindustrie üblichen
kaschierenden Stoffbespannungen“ machen diese „den Ausgang
des Tons auch gestalterisch sichtbar. Aber die runden oder
quadratischen Stanzlöcher sind mehr als nur visualisierte
Funktion. Im Hinblick auf die sich Ende der 50er Jahre gründende
Kunstrichtung ZERO39 kann man von seriell geordneten Strukturen
sprechen. Wie minimal die Durchdringungen der monochromen
Fläche auch sein mögen, sie schaffen ein zartes Relief von subtiler
1957 in Düsseldorf gegründeter Künstlerzusammenschluss, der bis 1967
bestehen blieb. Auf den Ideen Lucio Fontanas und Yves Kleins aufbauend,
schufen die Künstler der Gruppe eine Kunstsprache, die immaterielle Werte wie
Licht und Bewegung als eigenständige Elemente in die Aussage einbezogen.
39
85
Abb. 48
Loewe-Fernseher
86
Abb. 49
Muji CD-Player, Naoto Fukasawa, 1999
Licht- und Schattenwirkung und machen dadurch empfänglich für
Empfindungen des Imaginären.“40
Diese geometrischen Lochstrukturen bilden jeweils ein starkes
gestalterisches Element. Gui Bonsiepe, ehemaliger Dozent an der
HfG Ulm, spricht ausdrücklich von dem Begriff der Perforation
und vermeidet den Begriff Lochmuster, da dieser häufig mit
dekorativem Ornament gleichgesetzt wird. Hierzu äußert er sich
in den 1990er Jahren folgendermaßen: „Überall, wo Elemente
wiederholt werden, kann man Ornamente sehen wollen. (…)
Dem Begriff Ornament haftet der Beigeschmack der Zutat an, die
man weglassen könnte. Rasteranordnungen, mit mathematischen
Kontrollmitteln erzeugt – somit nicht frei komponiert – dienten
unter anderem dazu, das Bewusstsein für Details zu schärfen.
Wer sie aber als Dekor auffasst, macht sich leicht einer
Begriffsverwirrung schuldig.“41
Entgegen der kreis- oder blockartig angelegten Strukturen, werden
Löcher teils wellen- oder strahlenartig oder auch mit Variation der
Größe, innerhalb des Lochmusters eingesetzt.
Tom Schönherr von Phoenixdesign, der seit 1987 fast die gesamte
Produktlinie der Loewe-Fernseher gestaltet, setzt geschwungene
Wellen aus Lochreihen als Kontrast zu einem kantigen Gehäuse.
Auch hier sind Lautsprecheröffnungen markante Merkmale,
welche zudem die Familienzugehörigkeit der einzelnen Modelle
veranschaulichen.
Bei Geräten anderer Hersteller wiederum, findet man eine
strahlenförmige Formation der Löcher, oft auch in Variation
der Größe oder scheinbar willkürlich angeordnet. Hier wird das
Austreten des Schalls, mit Hilfe des Lochmusters visualisiert.
Auch in der Möbelgestaltung werden Löcher als funktionelle und
dekorative Elemente eingesetzt. So zum Beispiel beim Landistuhl
von Hans Coray aus dem Jahre 1938.
Joppien, S. 10
Terstiege, S .53
40
41
87
Abb. 50
Landistuhl, Hans Coray, 1938
88
Abb. 51
Sitzmöbel, Patrick Jouin, 2004
Abb. 52
Chair with Holes, Gijs Bakker, 1989
Der für den Außenbereich konzipierte Alustuhl besitzt eine
geometrische Lochung in Sitzfläche und Lehne. Diese dient dazu,
sich ansammelndes Regenwasser ablaufen zu lassen. Hierfür wäre
jedoch auch „ein“ Durchgangsloch oder ein geringerer Lochradius
ausreichend.
Die vom Luftschiffbau übernommene Lochung der Sitzschale
bewirkt eine Gewichtsreduzierung. Zudem machen die Löcher
ein Dahinter sichtbar und bewirken so auch eine optische
Leichtigkeit.
Die plastische Verformung der Lochränder zu einem
trichterförmigen Loch sorgt für eine höhere Stabilität. Ohne
die markante Lochstruktur hätte der Landistuhl viel von seinem
Charakter eingebüßt.
Das durch 3D-Druckverfahren gefertigte Sitzmöbel von Patrick
Jouin wirkt wie gewachsen. Der Kubus ist mit ungeordneten,
amöbenartigen Lochformen so weit zersetzt, dass zwischen den
Löchern teilweise nur noch dünne Materialstege übrig bleiben.
Diese wie durch Wasser glatt geschliffenen Lochränder bewirken,
dass sich die Wände aufzulösen scheinen. Hierdurch wird eine
hohe physische, wie auch optische Leichtigkeit erzielt. Er wirkt
und ist durch das Verhältnis vom Loch zur Fläche so zerbrechlich,
dass er im Inneren Stützen benötigt, um bei der Benutzung nicht
unter der Last zusammenzubrechen. Das Vertrauen in dieses
Sitzmöbel ist gering. Bei einer regelmäßigen Locheinteilung
könnte man auf bestehende Erfahrungen zurückgreifen und so
seine Zuverlässigkeit einschätzen. Aber genau dieser Grenzgang
macht dieses Sitzmöbel aus.
Ein Sitzmöbel dessen Zuverlässigkeit der Betrachter einschätzen
kann, ist der streng geometrisch aufgebaute „Chair with Holes“
von Gijs Bakker. Dieser massive Holzstuhl wurde mit unzähligen
Löchern durchsiebt. Doch trotz all dieser Löcher wirkt er
weiterhin massiv. Dieses ist auf die im Volumen sesshaften
Löcher zurückzuführen, welche zwar eine Gewichtsreduzierung
um ein Drittel bewirken, jedoch keine optische Leichtigkeit mit
89
Abb. 53
Peepshowtapete, Gijs Bakker, 1992
90
Abb. 54
„The Hugo Boss Prize 2004“
Stefan Sagmeister
Abb. 55
Reisverpackung, 1999
Laura Stoddart
sich bringen. Eine solche optische Leichtigkeit ist durch ein Loch
welches im Volumen sesshaft ist nicht möglich, da dieses die
Massivität des Lochträgers offen legt.
Etwas ganz anderes legt die 1992 von Gijs Bakker entworfene
„Peepshowtapete“ offen.
Anders als es sein Name erwarten würde, stellt diese eine
exhibitionistische Lochstruktur dar. Die durchlöcherte Tapete,
wird auf einer bestehenden Tapete angebracht, zeigt dabei aber
„offenherzig“ das darunterliegende Dekor. Sie funktioniert dabei
wie ein Filter, indem sie das vorhandene Tapetenmuster nicht
gänzlich ausblendet, sondern immer noch Fragente hindurch lässt.
Es findet eine Reduzierung des vorherigen, überladenen Dekors
statt, lässt es aber trotzdem nicht in Vergessenheit geraten. Das
Zusammenspiel aus Neuem und Altem macht den Charme dieses
Produktes aus.
Das exhibitionistische Loch offenbart seinen Körper oder
das Dahinterliegende. So wird dieses beispielsweise im
Verpackungsdesign eingesetzt, um einem potentiellen Käufer eines
Produktes eine optische Qualitätskontrolle zu ermöglichen. Hiermit
setzt sich das Produkt von Konkurrenzprodukten ab. Einsicht bieten
sicherlich auch die gängigen Klarsichtverpackungen. Diese stehen
allerdings im Kontrast zu einem Naturprodukt. Bei der gezeigten
Verpackung wird das Loch mit seinem dahinterliegenden Inhalt als
gestalterisches Element eingesetzt, wodurch der gezeigte Reis in
Verbindung mit der Wortmarke des Herstellers tritt.
Seitdem das Laserschnittverfahren auch mit Papier möglich
geworden ist, liegen Perforationen in Papier im Trend. Angewandt
wird die neue Technik dort, wo das Stanzen aufhört. Filigranität
und Formungebundenheit lassen dem Gestalter viel Spielraum. Die
auf der Rückseite auftauchenden Schmauchspuren, können ebenso
in die Gestaltung mit einfließen. In einer Publikation angewandt,
lässt die Perforation zuerst einen Ausblick auf das Kommende und
nach dem Umblättern einen Rückblick auf des Gewesene zu.
91
Abb. 56
Kinderzimmerschrank
Johannes Trüstedt, 1993
92
Abb. 57
Institut du mont arabe
Jean Nouvel, 1981-87
Auch aus Kostengründen findet das Loch Anwendung. So kann es
beispielsweise als Ersatz für einen Beschlag an einer Kommode
genutzt werden. Ähnlich wie bei den Leitz-Ordnern bietet das
Loch die Möglichkeit des Eingriffs um Schubladen oder Türen zu
öffnen und stellt somit ein fixierendes Loch dar. Ein zusätzlicher
Materialauftrag durch einen Beschlag ist nicht nötig.
Zuletzt sei noch ein Beispiel aus der Architektur genannt.
Das „Institut du monde arabe“ in Paris von Jean Nouvel trägt
an seiner Südseite eine goldschimmernde Fassade, welche durch
ornamental strukturierte Öffnungen gekennzeichnet ist. Nouvel hat
sich diesem Kennzeichnen der arabischen Kultur, dem Ornament
bedient und dieses in eine Funktion transportiert. Ähnlich der
Blende einer Kamera steuern Uhr-Mechanismen den Lichteinfall
in das Gebäude. Dieser Filter, in Form einer geometrischen
Lochstruktur, lässt je nach Tageszeit sich ändernde Lichtpunkte
im Gebäude erscheinen. Das Ergebnis des gedämpften, gefilterten
Sonnenlichts sind Myriaden Lichtpunkte, welche das Ornament
der Fassade in den Innenraum des „Institut du monde arabe“
transportieren. Dieses sich ständig wandelnde Spiel aus Licht
und Schatten, wird durch ein Durchgangsloch möglich gemacht,
welches wie bei einer Kamera durch Glas verschlossen ist, jedoch
für das Licht ein Loch darstellt. Diese durchsiebte Fläche sorgt
für genügend Tageslicht im Gebäude, bietet aber ebenso einen
das Gebäude kennzeichnenden Sichtschutz. Dieser Sichtschutz
stellt den Besucher im Inneren nicht auf den Präsentierteller und
verkörpert somit für diesen ein voyeuristisches Loch.
Auffallend ist, dass Löcher im Produktdesign selten allein,
sondern meist als Gruppierung auftauchen. Dieses ist wohl darauf
zurückzuführen, dass das einzelne Loch als ein dysfunktionales
aufgefasst werden könnte. Seine Funktion muss klar erkennbar
sein, damit es vom Betrachter nicht falsch interpretiert wird.
Werden Löcher in einer geordneten Lochstruktur verwendet, so
kann eine unabsichtliche Entstehung der Löcher ausgeschlossen
werden.
93
94
Abb. 58
Stuhl Costes
Philippe Stark, 1982
Ein einzelnes Loch konzentriert den Blick nicht auf die
Gesamtstruktur, sondern zieht diesen nur auf sich. Mehrere
Löcher hingegen erzeugen eine Struktur, welche als Ganzes
wahrgenommen wird.
Da das Loch aber wie bereits erwähnt nicht nur aus rein ästhetischen
Gesichtspunkten eingesetzt wird, sondern gleichzeitig eine
Funktion erfüllt, wird durch eine Lochgruppe eine Addition der
einzelnen Locheigenschaften erreicht.
95
96
Schlusswort
„Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives.
Das ist nicht richtig: der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch
ist das Primäre.“42
Wenn man genau hinsieht, so leben wir in einer durchbohrten,
durchlöcherten, perforierten Welt – einer Welt voller Löcher
die bestimmte Aufgaben erfüllen. Aufdrängen tut sich uns oft
nur das dysfunktionale Loch. Denn dysfunktionale Löcher sind
ein Schandfleck und stören die Form, während funktionale sich
eingliedern. Auch das metaphorische Loch impliziert immer etwas
Negatives, Schadhaftes oder Fehlendes und da wir in Worten
denken untermauert dies ihren schlechten Ruf.
Um die andere Seite zu beleuchten, mussten zunächst
Begrifflichkeiten geschaffen werden. Diese machen eine
Kategorisierung der diversen Locharten möglich und zeigen die
Bandbreite der diversen Anwendungsmöglichkeiten.
So hoffe ich, dem Blick auf das Loch eine andere Perspektive
gegeben zu haben, welche dazu beiträgt dessen Ruf zu verbessern.
97
42
Tucholsky, S. 37
98
Literaturnachweis
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Vegesack, Alexander von, Dunas, Peter, Schwartz-Clauss,
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Bildnachweis
Abb. 01
Haltbar bis…immer schneller, Design auf Zeit, Carl Aigner, Uli
Marchsteiner, Du Mont, Köln, 1999
Abb. 02
Foto: Boris Kupczik
Abb. 03
Foto: Boris Kupczik
Abb. 04
Ronchamp/Les Baux, Kilian Breier, Material Verlag, Hamburg,
S.2
Abb. 05
Möbel restaurieren, Ellinor Schnaus, Ravensburger Buchverlag,
S.55
Abb. 06
www.waffen-ingold.ch
Abb. 07
Foto: Boris Kupczik
Abb. 08
Foto: Boris Kupczik
105
106
Abb. 09
www.moroso.it
Abb. 10
Swell, Verlag form Gmbh, Frankfurt am Main, 1998, S. 22
Abb. 11
Zeitungsausschnitt
Abb. 12
Diagonal, Zum Thema: Loch und Löcher, Universitätsverlag
Siegen, 1995, S. 174
Abb. 13
Foto: Boris Kupczik
Abb. 14
Foto: Boris Kupczik
Abb. 15
Foto: Boris Kupczik
Abb. 16
Foto: Boris Kupczik
Abb. 17
Zeitungsausschnitt
Abb. 18
George Grosz, Berlin, New York, Kunstsammlung NordrheinWestfalen, Düsseldorf, 1995
Abb. 19
Mit dem Zeppelin um die Welt, Gerhard Siem, GaraMond Verlag,
München, 2000, S. 69
107
108
Abb. 20
Foto: Boris Kupczik
Abb. 21
Foto: Boris Kupczik
Abb. 22
Foto: Boris Kupczik
Abb. 23
Foto: Boris Kupczik
Abb. 24
www.knauf.de
Abb. 25
www.knauf.de
Abb. 26
Foto: Boris Kupczik
Abb. 27
Diagonal, Zum Thema: Loch und Löcher, Universitätsverlag
Siegen, 1995, S. 132
Abb. 28
Afrika im Schmuck, 4. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln, 1991,
S. 137
Abb. 29
Afrika im Schmuck, 4. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln, 1991,
S. 288
Abb. 30
Afrika im Schmuck, 4. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln, 1991,
S.32
109
110
Abb. 31
Afrika im Schmuck, 4. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln, 1991,
S. 55
Abb. 32
Afrika im Schmuck, 4. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln, 1991,
S. 15
Abb. 33
www.leitz.de
Abb. 34.1, 34.2
Diagonal, Zum Thema: Loch und Löcher, Universitätsverlag
Siegen, 1995, S. 83
Abb. 35
Die Lochkarte, Heft 160, Hausmitteilungen der Ramington Rand
GmbH, Frankfurt am Main, 1954, S. 1831
Abb. 36
Die Lochkarte, Heft 164, Hausmitteilungen der Ramington Rand
GmbH, Frankfurt am Main, 1954
Abb. 37
www2.arnes.si
Abb. 38
www.wikipedia.de
Abb. 39
Anish Kapoor
Abb. 40
taratantara, 2000
111
112
Abb. 41
taratantara, 2000
Abb. 42
Anish Kapoor, Francis Alys, Isa Genzken, Anish Kapoor, ParkettVerlag, Zürich, 2001, S. 213
Abb. 43
Anish Kapoor, Francis Alys, Isa Genzken, Anish Kapoor, ParkettVerlag, Zürich, 2001,S. 173
Abb. 44
Anish Kapoor, Francis Alys, Isa Genzken, Anish Kapoor, ParkettVerlag, Zürich, 2001, S. 87
Abb. 45
Anish Kapoor, Francis Alys, Isa Genzken, Anish Kapoor, ParkettVerlag, Zürich, 2001, S. 179
Abb. 46
braun+design collection, Jo Klatt und Günter Staeffler, Braun
Aktiengesellschaft, Kronberg, 1995, S.37
Abb. 47
Der weisse Raum, Carl Vetter, Kulturstiftung der Sparkasse
Storman, Kulturzentrum Marstall, 2003
Abb. 48
www.loewe.de
Abb. 49
www.muji.com
Abb. 50
modern chairs, Charlotte und Peter Fiell, Benedikt Taschen Verlag
GmbH, Köln, 1993, S. 61
113
114
Abb. 51
form 200, Zeitschrift für Gestaltung, Verlag GmbH, Neu-Isenburg,
2004, S.18
Abb. 52
www.droogdesign.nl
Abb. 53
www.droogdesign.nl
Abb. 54
form 201, Zeitschrift für Gestaltung, Birkhäuser Verlag GmbH,
Neu-Isenburg, 2004, S. 58
Abb. 55
Natur und Design, Alsn Powers, Beate Gorman, Haupt, Bern,
2000, S.151
Abb. 56
kid size, Möbel und Objekte für Kinder, Vitra Design Museum,
Ausstellungskatalog, 1997, S. 251
Abb. 57
Boissière, Oliver
Jean Nouvel, Finest S.A./Éditions Pierre Terrail, Paris, 1996, S.
56
Abb. 58
Design des 20. Jahrhunderts, die Gestaltung der Moderne,
Christine Sievers, Nicolaus Schröder, Gerstenberg, Hildesheim,
2001, S.156
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Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde
Hilfe selbstständig verfasst und nur die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel verwendet habe.
Hamburg, den 15.05.05
Boris Kupczik
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