20 Interview - Philipp Fankhauser
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20 Interview - Philipp Fankhauser
20 Interview Migros-Magazin 18, 3. Mai 2005 «Die Amerikaner sagen von sich ‹We Are the Greatest Nation in the World›, dabei müssten wir das doch sagen!» Den Blues im Blut Kein Schweizer Bluesmusiker hat international so viel Erfolg wie Philipp Fankhauser. Der Sänger und Gitarrist über seine klingende Leidenschaft, Reichtum, das Partnerschaftsgesetz und seine aktuelle Tournee. hilipp Fankhauser (41) ist ein Exportschlager. Von Trub BE aus hat er die USA erobert – aber nicht mit Käse, Uhren oder Schokolade, sondern mit einem uramerikanischen «Produkt»: dem Blues. Das Interview mit einem untypischen Eidgenossen. kleinen Sorgen. Aber wenn man sich in unserem Land umschaut, muss man doch erkennen, dass wir es schön haben. Die Amerikaner sagen von sich «We Are the Greatest Nation in the World», dabei müssten wir das doch sagen! Wären wir uns dessen bewusst, gäbe es in der Schweiz weniger Bluesstimmung. Wobei ich hier Kennen Sie den Montagmorgenblues? den Klischeebegriff «Blues» brauche. Was Philipp Fankhauser: Nein. Der Sonntag den wahren Blues angeht, stimmt die ist für mich meist ein Ruhetag. Am Mon- Rechnung «Blues gleich traurig» nicht. tag geht eine neue Woche los – und darauf freue ich mich. Kann ein weisser und erst recht ein Schweizer Musiker den wahren Blues Und wie sieht es mit Ihrem Dienstag-, überhaupt spielen? Mittwoch- oder Donnerstagblues aus? Klar, ich bin nicht schwarz. Und ich Wenn es wirklich schlimm ist, bleibe ich stamme nicht aus Houston, Chicago oder schon mal einen Tag lang im Bett. Ich Mississippi. Meine Themen sind die von habe dann zwar ein schlechtes Gewissen. Philipp Fankhauser, Bern und Thun. Also kann es nicht um Baumwollfelder, Armut In der Schweiz herrscht derzeit Dauer- oder Rassendiskriminierung gehen. bluesstimmung. Was läuft falsch? Natürlich haben wir alle unsere täglichen Welche Themen bleiben da noch? P Schweizer Botschafter im Bluesland Philipp Fankhauser, geboren am 20. Februar 1964 in Thun, erhielt als Elfjähriger eine Gitarre geschenkt – und entdeckte umgehend den Blues. 1977 gründete er seine erste Band, zehn Jahre danach die erfolgreiche Checkerboard Blues Band, ein Stück Urgestein der Schweizer Bluesgeschichte. 1994 folgte er einer Einladung des grossen Bluesgitarristen Johnny Copeland und lebte sieben Jahre in den USA. Zurück in der Schweiz, erlebte er nach einer schwierigen Zeit mit seinem neuen Trio ein bemerkenswertes Comeback. Er wurde nach Chicago ans grösste Bluesfestival der Welt eingeladen und hat einen Vertrag mit dem Blues-Renommierlabel Memphis International Records. Philipp Fankhauser hat bisher acht CDs veröffentlicht. Seine aktuelle heisst «Talk To Me» und ist laut dem angesehenen amerikanischen Fachmagazin «Blues & Rhythm» «höchst beeindruckend». Am 9. April erhielt er den «Swiss Blues Award». Meine Themen sind Beziehungen und allgemeine Lebensbetrachtungen: ein unerschöpfliches Reservoir. Soziale Themen interessieren mich oder auch, was in unserem Land geschieht oder im Land, aus dem der Blues stammt. Einer meiner Songs heisst «Welcome To The Real World» und erzählt meinem Publikum, dass man in den USA nicht so wohl behütet leben kann wie in der Schweiz. Obwohl Sie viele klassische Bluesthemen nicht aufgreifen, sind Sie in den USA sehr akzeptiert. Warum wohl? Zum einen geht es um die Musik: Spielst du die drei Akkorde, um die es im Blues geht, sexy genug oder nicht? Und zum anderen geht es um die Haltung: Ich bin Bürger von Trub BE. In Chicago muss ich niemandem zeigen wollen, wie «Sweet Home Chicago» klingen muss. Ich werde in den USA akzeptiert, weil ich mich nicht anbiedere, sondern singe, was mich bewegt. Sie haben die drei Akkorde erwähnt, die dem Blues zu Grunde liegen. Was soll am Ewiggleichen so spannend sein? Tatsächlich sind die drei Akkorde eine einfache Angelegenheit. Aber vielleicht hat der Blues in unseren Breitengraden gerade darum so viele Freunde: Wir Schweizer machen um alles ein Brimborium. Der Blues zeigt uns, wie schön das Einfache sein kann. Das ist auch für einen Musiker eine Herausforderung: John Lee Hooker konnte mit einem Ton mehr sagen als all die Supergitarristen, die dreitausend Töne pro Minute spielen. Blues funktioniert aus dem Bauch heraus. Migros-Magazin 18, 3. Mai 2005 Interview 21 Authentisch: «Ich werde in den USA akzeptiert, weil ich mich nicht anbiedere, sondern singe, was mich bewegt.» 22 Interview Migros-Magazin 18, 3. Mai 2005 «Lasst mich doch einfach Jahr für Jahr 80 bis 90 Konzerte spielen – und ich bin happy.» Musikalischer Chaot: Philipp Fankhauser übt, wenn es ihm gerade danach ist. Doch vom Üben abgesehen strukturiert er seine Zeit. Hat das Schicksal Ihnen also die richtige Musik zugehalten? Das sehe ich so. Allerdings habe ich, was das Üben angeht, durchaus Ansprüche an mein Spiel. Einst wollte ich klingen wie B.B. King, Muddy Waters, Buddy Guy oder mein Mentor Johnny Copeland, mit dem ich während meiner sieben Jahre in den USA gespielt habe. Doch da ich technisch und motorisch zu wenig talentiert war, diese Musiker zu imitieren, habe ich eine eigene Spielweise entwickelt. Diese eigenständige Sprache hat einen entscheidenden Anteil an der Authentizität. punkt. Da wollte ich frustriert aufgeben. Stattdessen gründete ich bescheiden ein Trio, und wir spielten, wo man uns wollte – vom Tearoom Rebstock bis zum Restaurant Ochsen. Wir sagten uns: Auch wenn Sind Sie wirklich froh, dass Sie nie unsere Musik niemanden interessiert, wir haben Spass. Es war wunderbar, einen Meeinen grossen Hit gelandet haben? Letztlich ja. Wir schwimmen gemütlich ter unter der Wasseroberfläche zu schwimzehn Zentimeter unter der Wasserober- men. Jetzt ists wieder ein wenig stressiger. fläche, während es da oben spritzt und macht und tut. Es wäre zwar kokett zu Weshalb haben Sie jetzt mehr Stress? sagen, dass mich eine Platinplatte nicht An den Konzerten meiner aktuellen freuen würde. Aber lasst mich doch ein- Tournee gibt es mehr Publikum, ich habe fach in Ruhe Jahr für Jahr ein paar Tau- neu einen Vertrag mit dem amerikanischen send CDs verkaufen, 80 bis 90 Konzerte Label Memphis International Records, das meine aktuelle CD «Talk To Me» weltweit spielen – und ich bin happy. auf den Markt gebracht hat. Jetzt bin ich Ist es nicht frustrierend, wenn irgend- nicht mehr nur der Fankhauser, der in Bern welche Instantstars Millionen von CDs lebt und es schön hat, sondern der, der im «Downbeat» besprochen und in US-Raverkaufen und gross verdienen? Selbstverständlich geben mir Geschichten dios gespielt wird. Das ist wunderbar, und wie «MusicStar» zu denken. Es gab sogar gleichzeitig habe ich auch Angst, dass es wieder abwärts gehen könnte. eine Zeit, in der ich missgünstig war. Konzertlokale schliessen, die Musikindustrie durchlebt eine Krise. Wird es schwieriger, als Blueser zu überleben? Rund um mich sehe ich Erfolgsstorys enden. Mich betrifft die Lage der Musikindustrie weniger, weil ich nie einen Hype Was war der Grund für die Missgunst? In den Achtziger- und Neunzigerjahren war ich erfolgreich mit der Checkerboard Blues Band, danach erlebte ich sieben gute Jahre in den USA. Doch als ich 2001 in die Schweiz zurückkehrte, war ich am Null- Arbeiten Sie entsprechend intuitiv, oder haben Sie eine Art Bürozeiten? Ich kenne viele, die immer zu bestimmten Tageszeiten üben, ich hingegen lebe musikalisch chaotisch. Vom Üben abgesehen strukturiere ich meine Zeit, weil mein Leben sonst wegen meines phlegmatischen Naturells aus dem Ruder laufen würde. erlebt habe. Da ich vor fünf Jahren auch nicht 300 000 CDs verkauft habe, muss ich mir jetzt keine Sorgen machen, wenn ich heute nur noch 5000 verkaufe. Haben Sie – um bei Ihrem Bild zu bleiben – wirklich nicht den Traum, eines Tages über die Wasseroberfläche aufzutauchen und gross Geld zu verdienen? Ich würde mir mit mehr Geld wohl einfach mehr leisten. Weil ich keinen Ferrari Interview Migros-Magazin 18, 3. Mai 2005 und keine Villa habe, muss ich auch keine Verlustängste haben. Abgesehen davon: Ich darbe nicht, ich lebe gut. In gewisser Hinsicht bin ich sogar eine Luxustusse, aber ich setze mir vernünftige Grenzen. Stichwort «Tusse»: Sie sind schwul. Nutzen Sie die Bühne, um für ein Ja zum Partnerschaftsgesetz zu werben? Ich verstecke meine Homosexualität nicht, aber ich plakatiere sie auch nicht. Die Homosexualität gehört zu mir, seit ich Blues höre und spiele – also seit meiner Kindheit. Trotzdem bin ich nicht Divine oder Boy George, bei denen es eine Verbindung zwischen der Homosexualität der Person und ihrer Musik gibt. Blues und Homosexualität haben nicht viel miteinander zu tun. Ich sehe darum keinen Grund, mich zum schwulen Botschafter zu machen. dige Gleichstellung – Spanien macht uns da ganz schön etwas vor! Olé! Haben Sie nicht mit negativen Reaktionen aus Blueskreisen gerechnet, als Sie die Musik zu einem Werbespot für McDonald’s beigesteuert haben? Nein, keine Sekunde. Ich werfe McDonald’s ja auch keinen tollen FankhauserSong in den Rachen. Das Stück ist von Signorino TJ, ich brumme zwei-, dreimal «hm, hm, hm» – also, was solls? Was war Ihr Antrieb, das Angebot aus den USA anzunehmen? Selbstverständlich das Honorar – wobei es nicht um wirklich grosse Beträge geht. Und wenn McDonald’s, wie viele irrtümlicherweise vermutet haben, plötzlich 200 000 Dollar auf mein Konto überwiesen hätte, hätte ich sie wohl einfach ausgegeben – einen tollen Bus für meine Band, ein neues Schlafzimmer für meine Mutter… Auch nicht im Hinblick auf die Abstimmung über das Partnerschaftsgesetz? Nein, denn ich erwarte von meinen hetero- Bescheidener Blueser: «Ohne Ferrari muss Gibt es eine Fortsetsexuellen Mitmen- ich auch keine Verlustangst haben.» zung mit McDoschen weder Akzepnald’s? tanz noch Toleranz. Es Keine Ahnung. Aber ist selbstverständlich, dass Homosexuelle die Geschichte hat sich ohnehin positiv den Heterosexuellen gleichgestellt sein entwickelt. Plötzlich erschienen Medienmüssen. Da mag ich nicht «bitte, seid berichte, dass McDonald’s Fankhauser doch so nett» betteln. entdeckt habe und dass Fankhauser dies und dass Fankhauser das… Es ist doch Empfinden Sie also bereits den Um- prima, wenn deswegen Leute an meinen stand als Affront, dass über die Gleich- Konzerten auftauchen, die mich vorher stellung abgestimmt werden muss? nicht gekannt haben. Ich darf ihnen ein Ohne Wenn und Aber: ja. Eigentlich hat paar schöne, unbeschwerte Stunden volkeiner in der Schweiz das Recht, in dieser ler Blues schenken. Was will ich mehr?! Interview Hanspeter Vetsch Frage Ja oder Nein zu sagen. Und abgeseBilder Claudine Howald hen davon wäre es ja gar keine vollstänANZEIGE 23 Bluesszene Schweiz Neben Philipp Fankhauser gibt es in der Schweiz eine ganze Reihe weiterer Bluesprominenz: Zu den Pionieren der Szene zählen der Gitarrist Chris Lange, der in den Sechzigerjahren Champion Jack Dupree (Bild) in die Schweiz holte und damit ein Bluesfieber auslöste, sowie der Gitarrist George Steinmann, dessen Blues Shouters in den Siebzigerjahren Furore machten. Mit mehr als 40 000 verkauften Tonträgern ist die 1975 vom Gitarristen Cla Nett gegründete Lazy Poker Blues Band (Bild) die wohl kommerziell erfolgreichste Formation. Eine Sonderstellung nimmt der Mundharmonikaspieler Wale Liniger ein: Er pendelt seit 1982 zwischen der Schweiz und den USA, wo er als Professor an der University of Mississippi Blues unterrichtet. Highlights aus Fankhausers Konzertkalender 2005 Freitag, 6. Mai, Phil’s Blues, Rotsee Samstag, 21. Mai, Int. Jazzfestival, Bern Freitag,. 8. Juli, Blues Night, Gossau SG Sonntag, 10. Juli, Jazztage, Lenk Freitag, 22. Juli, Blue Balls Festival, Luzern Montag, 22. August, Im Fluss, Basel Freitag, 16. September, Kammgarn, Schaffhausen Freitag, 11. November, Moods, Zürich Alle Daten und mehr Informationen: www.philippfankhauser.com