Gesamtes Heft - Zürcher Hochschule der Künste
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Gesamtes Heft - Zürcher Hochschule der Künste
KatrIna Daschner s. 123// Autorinnen TäterIn s. 125// Laufende Ith- For schungsprojekte s. 88 Andrea Ehrat abnorm s. 125// Abgeschlossene Ith-Forschungsprojekte s. 95 JuLIane VogeL Galatea unter Druck s. 127// PubLIkatIonen s. 103ManueLa Ammer s. 128// Impressum TaktILe Manöver s. 111 KLaus TheweLeIt JImI HendrIx s. 81 # 12 / 13 ( Dezember 2008) Das MagazIn des InstItuts für TheorIe # 12 / 13 (Dezember 2008) TaktILItät — SInnes erfahrung aLs Grenzerfahrung John M. Kennedy / Igor JurIcevIc Inverse PerspectIve s. 39 John M. KroIs HaptIc BegInnIngs of DepIctIon s. 43 NIkLaus LargIer GefährLIche Nähe s. 49 PhILIp Ursprung Zumthors OberfLächen s. 53 Hans Danuser KapLutta Sogn Bene detg SumvItg, 1989 s. 3 EdItorIaL s. 5 PerI haphes s. 59 MLaden DoLar TouchIng Ground s. 15 RIchard ShIff Durch dIe Haut hIns. 71 PhILIpp StoeLLger durch Vom Begehren nach Berührung s. 25 James ELkIns On Some LImIts of Ma s. 77 RobIn CurtIs terIaLIty In Art HIstory MIt dem ganzen Körper dabeI s. 31 Stefan ThIeL DIe 120 Tage von Sodom s. 81, s. 88, s. 95, s. 103, s. 111, s. 121, s. 128 . /.. s. 33 — Taktilität Sinneserfahrung als Grenzerfahrung 3 Editorial Das ith entwickelt seine Arbeit an und mit Theorien der Kultur explizit im Kontext künstlerischer und ästhetischer Praxis, der durch die ZHdK gegeben ist. Im Zentrum steht das Anliegen, Theorien des Ästhetischen – als kritische Selbstreflexion der Philosophie – zu untersuchen und weiterzuentwickeln sowie in Forschungsprojekten zu erproben. Dabei werden tatsächliche und mögliche Erscheinungsweisen, Aufgabenbereiche und Bedeutungen des Ästhetischen analysiert und theoretisch systematisiert : im Zusammenhang von alltagskulturellen Wahrnehmungsund Gestaltungsvorgängen ( aisthesis ), von künstlerischen Produktions- und Rezeptionsvorgängen sowie Epistemologien der Wissensproduktion. Medien des Ästhetischen sind die Sinne; ihre Reflexion und Kritik fokussieren die « Aufteilung des Sinnlichen » ( Rancière ), d. h. auch die historischen und kulturellen Ausprägungen und die Funktionsbestimmungen, die den verschiedenen Sinnen jeweils zugewiesen werden. Gemeint sind damit ebenso ihre wechselseitigen Beziehungen und die entsprechenden Dispositive einer Sinnes-Ordnung. Das Muster dieser Ordnung, das sich in verschiedenen Varianten immer wieder als dominant erweist, ist durch die dualistische Gegenüberstellung von Fern- und Nahsinnen und ihre Hierarchisierung geprägt. In der Konsequenz strukturiert die Konfrontation von Fern und Nah ein komplexes System von begrifflichen Gegensätzen, die das Denken und das Sinnesgeschehen leiten: konkret / abstrakt, singulär / allgemein, sinnlich / rational, empirisch / systematisch, affektiv / reflexiv, unmittelbar / vermittelt, präsent / abwesend etc. Und in der hierarchischen Ordnung triumphiert der Fernsinn, während der Nahsinn diskriminiert wird : Sehen versus Taktilität. Auf dieselbe Art – nur um 180° gedreht – verfährt eine entsprechende Kritik. Die Bildende Kunst liefert den bevorzugten Schauplatz, auf dem diese Ordnung stets von neuem diskutiert, in Frage gestellt und letztlich bestätigt wird. Im vorliegenden Heft und Projekt [1] soll – denn auch vorwiegend am Bild – dieses Geschehen der Sinnesordnungen und -hierarchisierungen sowie der Bedeutungszuweisungen anhand der Taktilität kritisch beleuchtet werden. Wir wollen jedoch damit nicht einfach eine Umwertung der Sinne vornehmen, sondern die verschiedenen Strategien der Konstruktion historischer und kultureller Sinnesordnungen zur Diskussion stellen und dabei auch grundsätzlich fragen, wie ein Sinn – im Kontext anderer Sinne – funktioniert. Dabei werden auf der einen Seite die Bilder als Bilder und bezüglich ihres Gebrauchs thematisiert, während auf der anderen Seite die Bedeutungen kritisch befragt werdem, die man in den jeweiligen Gesellschaften dem visuellen Sinn und den verschiedenen Sinneskompetenzen zuschreibt. Taktilität, so unsere Behauptung, ist ein Sinn oder ein Medium, das die Ordnungen der Sinne durchkreuzt und die Denk- und Sinnesfiguren des Bipolaren auf ein Drittes hin öffnet. Nicht entweder – oder, sondern sowohl als auch. Es ist diese Figur des tertium datur, die wir in früheren Projekten [2] bezüglich der Kultur des Nicht-Verstehens, der Ästhetik der Kritik, der Kontingenz sowie des Imaginären exploriert und exponiert und in verschiedenen Verfahrensweisen der Forschung konkret erprobt haben. Die Figur motiviert eine Theoriearbeit, die manifest und trans-sinnlich erfahrbar wird in der Performativität der Theoriepraxis. Eine Theorie des Ästhetischen muss die Ästhetik der Theorie reflektieren. Und insofern erweist sich die Beschäftigung mit der Taktilität auch in dieser Hinsicht als eine starke Herausforderung an Theorie-Arbeit. Mit der Hinwendung zur Taktilität wird die Aufmerksamkeit auf Aspekte des Partikularen, Singulären, Materialen, Affektiven, Anlässlichen und damit auch des Kontingenten, der Unterbrechung und Irritation festgeschriebener Sinnes-Dispositive gelenkt. Und es wird gefragt, ob und wie die Dynamik dieses spezifischen Sensoriellen bedeutend sein kann nicht nur für die künstlerische Gestaltung und ästhetische Erfahrung, sondern auch für die Entwicklung von Verfahrensweisen der Kulturanalyse und -theorie. Wie kann es gelingen, nicht nur über die Taktilität zu reden und das Sinnesgeschehen zu beschreiben, sondern das Potential des Taktilen auch in und für die Wissensgenerierung eigens produktiv zu machen? Wie kann « Sinneserfahrung als Grenzerfahrung » nicht nur als Gegenstand von Diskursen, sondern bezüglich der Verfahren einer Rationalitätskritik wichtig werden ? Taktilität als Schwellenfigur auch der Epistemologie und Methodologie ? Taktilität als Markierung von Übergängen zwischen Sinnen und Sinngebung, zwischen Aisthesis und Denken ? Wir danken dem Lehrstuhl für Moderne & zeitgenössische Kunst des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich und namentlich Julia Gelshorn und Stefan Neuner für die Anregung zum Thema, für die Zusammenarbeit in der Entwicklung und Durchführung des gemeinsamen Projekts, und Stefan Neuner, der unter Mitarbeit von Julia Gelshorn das vorliegende Heft konzipiert und realisiert hat. — JÖRG HUBER 1 Grundlage dieses Heftes ist eine Vortragsreihe zum Thema « Taktilität – Sinneserfahrung als Grenzerfahrung », die der Lehrstuhl für Moderne & zeitgenössische Kunst des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem ith im Herbstsemester 08 durchgeführt hat. 2 Vgl. dazu die ith-Publikationen der T :G-Reihe. 4 5 Peri haphes Rund um den Tastsinn Einführende Bemerkugen 1 Vgl. Thomas Hardy, Jude the Obscure. An Authoritative Text, Backgrounds and Contexts, Criticism, Norman Page ( Hg.), New York / London 1978, S. 18f. 2 Es heißt dort : « a piece of flesh, the characteristic part of a barrow-pig », also : « der charakteristische Teil eines Borgs », ebd., S. 33. 3 Hardy hat die Szene, in der Arabella mit dem Schweinepenis nach Jude wirft, und die wie der ganze Roman in zeitgenössischen Kommentaren als « unanständig » kritisierte wurde, als Illustration des Konflikts zwischen « idealem » und « realem Leben » bzw. zwischen « Idealismus » und « Animalismus » gerechtfertigt, vgl. Dennis Taylor, « Notes », in : ders. ( Hg.), Thomas Hardy, Jude the Obscure, London 2006, S. 419, Anm. 10. « Il ne serait plus alors question d’accorder ou de restituer un privilège ou une priorité à quelque sens que ce soit, la vue, le toucher, l’ouïe, le goût, l’odorat. […] Il s’agirait plutôt de réorganiser autrement tout ce champ dit du sens ou des sens. Et si on en faisait une haptologie générale, elle ne dépendrait plus d’un sens particulier nommé le toucher.» JACQUES DERRIDA I In Thomas Hardys Roman Jude the Obscure ( 1895 ) fallen einige Stellen auf, in denen sich die Handlung und zugleich die Zeichnung der Personen in Szenen intensiver Sinneswahrnehmung verdichten. So lesen wir von Jude, dem ausnehmend intellektuell veranlagten Protagonisten, dass er in seiner Kindheit einmal das Dach einer Scheune erklimmt, um in der Ferne die Stadt, in der er einst studieren will, zu betrachten. [1] Seine Ziele sind weit gesteckt : Aus ärmlichen, ländlichen Verhältnissen stammend, strebt er eine geistliche Laufbahn an und obliegt schon in jungen Jahren als Autodidakt – desinteressiert an allem in seiner nächsten Umgebung – dem Studium der alten Sprachen. Die griechische Literatur und später die Patristik sind seine Leidenschaft. Im Blick, der in die Ferne schweift und ungreifbaren Gegenständen zugewandt ist, kristallisiert sich sein idealistisches Wesen. Später wird ihn ein abrupter Kontakt mit den niederen Dingen aus den Höhen seiner intellektuellen Betrachtungen reißen. Das Bild ist drastisch. Ein Stück Schweinefleisch ( Hardy suggeriert, dass es sich um den Geschlechtsapparat eines männlichen Schlachttiers handelt [2] ) trifft ihn gegen den Kopf, während die Gedanken seiner Lektüre und seinen hochfliegenden Ambitionen nachhängen. Arabella, eine junge Frau, die sich sogleich als seine Verführerin herausstellen wird, hat damit nach ihm geworfen, um auf sich aufmerksam zu machen. Der unvermittelte Anprall stößt Jude auf die « Fleischlichkeit » seines Leibes und bringt ein Geschehen ins Rollen, das ihn augenblicklich in die allernächste Nähe eines begehrenswerten Körpers und kurz darauf schon in eine eheliche Verbindung zieht, die es ihm bis auf weiteres aufnötigen wird, in seinem Dorf zu verharren und bei seinem Handwerk zu bleiben. Soweit folgt die Konstruktion der Szenen des Romans und der Figuren einer konventionellen Polarisierung der Sinne : Distanz, Geist, Idealität, Kultur und keineswegs zufällig : Männlichkeit sind dem Gesichtssinn, Weiblichkeit, Nähe, Körper, Sexualität, Materialität und die gewöhnlichen Verrichtungen des Lebens dem Tastsinn zugeordnet. [3] Doch gleich schon am Anfang der Erzählung gerät diese Ordnung ins Wanken. Als der kleine Jude an einem anderen Tag zu seinem Aussichtspunkt zurückkehrt, um die Lichter der weit abgelegenen Stadt Christminster zu sehen, verwandelt sich die Betrachtung des fernen Ziels in eine Erfahrung taktiler Nähe und sein ideales Streben schlägt um in ein Begehren nach Berührung: « It was not late when he arrived at the place of outlook, only just after dusk; but a black north-east sky, accompanied by a wind from the same quarter, made the occasion dark enough. He was rewarded; but what he saw was not the lamps in rows, as he had half expected. No individual light was visible, only a halo or glow-fog overarching the place against the black heavens behind it, making the light and the city seem distant but a mile or so. He set himself to wonder on the exact point in the glow where the schoolmaster might be […]. […] He had heard that breezes travelled at the rate of ten miles an hour, and the fact now came into his mind. He parted his lips as he faced the north-east, and drew in the wind as if it were a sweet liquor. ‹ You ›, he said, addressing the breeze caressingly, ‹ were in Christminster city between one and two hours ago, floating along the streets, pulling round the weather-cocks, touching Mr. Phillotson’s face, being breathed by him, and now you be here, breathed by me – you the very same. › » [4] II Am Anfang des abendländischen Denkens steht bekanntlich die Forderung – es ist Platon, der sie im Phaidon erhebt –, dieses Denken möge jedweden « Kontakt » mit dem Leib unterbinden, um sich einer ungetrübten Schau des εἶδος ( in dem sich die Bedeutungen « Idee » und « Aussehen » überkreuzen ) zuwenden zu können. [7] In der Geschichte dieses Denkens wird eine Tradition dominant sein, welche die Sinne einer hierarchischen Ordnung unterstellt sieht und Taktilität in einen dichotomischen Gegensatz zum Gesichtssinn bringt. Diese Ordnung wird sich nicht allein in der Spekulation immer wieder konfigurieren und rekonfigurieren, es wird in der westlichen Kultur an Versuchen nicht mangeln, sie dem Körper einzuprägen. Norbert Elias hat eindringlich hervorgehoben, dass im europäischen « Zivilisationsprozess » die Unterwerfung der Sinne unter die Herrschaft des Sehens eine entscheidende Rolle spielt. Als Beispiel zitiert er etwa La Salles Les Règles de la Bienséance et de la Civilité Chrétienne Im schwindenden Licht des Abends, im Übergang zwischen Tag und Nacht gleiten die Sinne ineinander über. Das Sichtbare verwandelt sich in ein unbestimmtes Leuchten, das mit der Luft, das es durchquert, konsubstantiell geworden zu sein scheint, und mit einer leichten Brise, die Jude körperlich in sich aufzunehmen vermag, zu ihm herangetragen wird. So trinkt er die Ferne, zieht mit der Luft die Nähe der Stadt und des Menschen, nach dem er sich sehnt, in sich ein. Was dort vor zwei Stunden geschah, ist gegenwärtig. Es ist, als ließe sich die Distanz selber berühren und als könnte sich Jude mit dem Ersehnten in dem, was ihn davon trennt, vereinigen. Erfahrung eines « sonderbaren Gespinsts aus Raum und Zeit », aus Nähe und Ferne, von dem, was Walter Benjamin als « Aura » verstanden hat. [5] Das Schicksal Judes wird von Enttäuschungen bestimmt sein. Alle sind sie Folgen entweder einer zu großen Distanz zu Menschen und Orten oder aus einer zu intensiven Nähe zu ihnen. Das Glück taucht nur dort auf, wo es ihm zufällt, die trennenden Zwischenräume, nicht zu überwinden, sondern an der Grenze gleichsam entlang zu gehen. Das wird in seinem Leben in jenen Jahren der Fall sein, in denen er mit seiner Cousine Sue ehelich, aber ohne sich mit ihr ehelich zu vereinigen, zusammenlebt. Eine instabile, prekäre und letztlich nur temporär aufrecht zu erhaltende Gemeinschaft, die auf den paradoxen Bedingungen einer Existenz an der Grenze beruht: Erfüllung im Aufschub der Erfüllung, Vereinigung in der Trennung, Kontakt im Tabu. [6] ( 1774 ), wo die Erziehungsmaßregel zu lesen ist, Kinder, die alles mit den Fingern anfassten, seien dazu anzuhalten, die Dinge nur mit Augen zu berühren. Die nicht nur kindliche Neigung, Speisen an sich heranzuziehen, um sie zu beschnuppern, gilt als ein gleichsam tierischer Rückstand. Das Ohr und vor allem das Auge müssen zu Vermittlern der « Befriedigung des Lustverlangens » werden. [8] Eine « theoretische Spekulation » Sigmund Freuds, die er in einer Fußnote zum vierten Kapitel des Unbehagens in der Kultur skizziert, verlegt die Unterwerfung der Nahsinne unters Regime der Distanzsinne, mit der das Prinzip der « Triebhemmung » in der Psyche installiert wird, gar in jenen fernsten Moment zurück, da sich das Menschentier von der Erde abwandte und den « Entschluß zum aufrechten Gang » fasste. Mit der Entfernung der Nase vom Erdboden erlangt das Sehen auf Kosten des Geruchssinns das Übergewicht, die « bisher gedeckten Genitalien werden sichtbar und schutzbedürftig », das Schamgefühl entsteht, die Sexualerre- gung geht primär von « Gesichtsreizen » aus und emanzipiert sich so von der « Periodizität des Sexualvorgangs » ( Freud nimmt eine olfaktorische Affizierung des Männchens / Mannes durch den « Menstruationsvorgang » an ), die Familie wird gegründet und der « verhängnisvolle Kulturprozeß » nimmt seinen Lauf. [9] Verhängnisvoll ist der Prozess, der solcherart Distanz in die Beziehung des Menschen zur Welt einschreibt, weil er Bemächtigung und Herrschaft anzielt. Das Argument der Dialektik der Aufklärung behauptet eine komplementäre Bewegung der voranschreitenden Beherrschung der inneren und äußeren Natur. Wenn es für Theodor W. Adorno und Max Horkheimer die Abstraktion des Gedankens ist, die auf Seiten des Menschen eine « fortschreitende Distanz zum Objekt » erzwingt, so sagen sie doch von der Aufklärung in einer vielsagenden Metapher, dass sie in Gestalt des « reinen Positivismus » ein « universelles Tabu » verhängt hätte. [10] Zudem lokalisiert sich dieses Denken in einer Position, in der ihm alles als gleich 6 7 Entferntes erscheint, und damit am strukturellen Ort, oder besser : im Blickpunkt panoptischer Kontrolle, wie Michel Foucault sie als Technik der modernen Disziplinarmacht beschrieben hat. [11] In der europäischen Philosophie wurden Subjekttheorien sehr oft im Rekurs auf visuelle Modelle entworfen. Rolf Konersmann hat den Spiegel als bevorzugte Subjektmetapher dieser Denktradition herausgestellt. [12] Der reflexive Selbstbezug, der hier im Zentrum steht, wird in einem optischen Register konzeptualisiert. Visuelle Distanz wird besonders bei Hegel Voraussetzung und primäres Medium der ( Selbst- )Erkenntnis. In den Vorlesungen über die Ästhetik werden die Fernsinne als « theoretische » Sinne ( als einzig zur Erkenntnis fähige und damit kunstwürdige ) von den Nahsinnen ( Tast-, Geruchs-, Geschmackssinn ) geschieden. [13] Die hegelische SubjektObjekt-Dialektik, will heißen : die hegelische Philosophie, schreitet über Spiegelbeziehungen voran. Dieses Modell ist auch beim frühen Lacan von zentraler Bedeutung. Im Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wird ein spekuläres Dispositiv der Subjektkonstitution beschrieben. [1 4] Doch wird das mit seinem Bild sich identifizierende und in eine imaginäre Gestalt panzernde Ich von Phantasien einer « aggressiven Desintegration des Individuums » heimgesucht. Mit der spekulär-visuellen, dialektischen Ichformation verbindet sich bei Lacan die Angstphantasie des corps morcelé. Wenn man im Vorfeld des III « Spiegelstadiums » einen in erster Instanz von taktilen Empfindungen geprägten Weltbezug annimmt, in dem das Genießen an der Mutterbrust ein unmittelbares, der Körper noch nicht in sich zentriert, und die Grenze zwischen Ich und Welt nicht gezogen war, dann könnte man auch annehmen, dass sich die von dezentrierten Tastempfindungen geprägten Erfahrungen im konstituierten Subjekt als Angstvision erhalten. Elias Canetti beschreibt in Masse und Macht Subjektivität im fortgeschrittensten Stadium des « Zivilisations- » oder « Kulturprozesses ». Das Subjekt der Moderne, das Subjekt der Großstadt hat überall Abstände um sich geschaffen, die « von Berührungsfurcht diktiert sind ». [15] Angst schafft, was die visuelle Distanz überschreitet, was mit dem Auge sich nicht erkennen lässt. Der Kreis scheint sich allerdings in der Regression der Masse zu schließen. Hier kommt es nach Canetti zu einem « Umschlagen der Berührungsfurcht ». Dicht aneinander gedrängt verschmilzt sie zu einem Körper – je stärker sie sich zusammenzieht, desto vollkommener scheint der Einzelne seine Berührungsfurcht loszuwerden. Nur auf diesem Wege scheinen die Menschen sicher fühlen zu können, dass « sie keine Angst voreinander haben ». In Canettis Szenario kann die Furcht nur auf gewaltsamem Weg überwunden werden – inmitten einer Gemeinschaft, die als Masse den unheilvollen Doppelsinn des Wortes « angreifen » ausagiert. Herbert Marcuses Eros and Civilization ( 1955 ) gibt einen in den 1960er Jahren überaus einflussreichen Entwurf einer Verbindung von Psychoanalyse und marxistischer Gesellschaftskritik. Auf der Basis der Freudschen Trieblehre versucht Marcuse zu zeigen, dass es in der modernen Zivilisation bzw. der kapitalistischen Gesellschaft zu einer Herrschaft der Selbsterhaltungstriebe über die Libido gekommen ist. Die moderne Rationalität privilegiert die Fernsinne und unterdrückt die in den Dimensionen der Nahsinne beheimateten Erfahrungen. [16] Die Regression in eine ( präödipale ) Welt taktiler Lustempfindungen ist vor diesem Hintergrund nicht nur Remedium einer an « Libidovergessenheit » krankenden Gesellschaft, sie ist auch politisches Programm. 4 Hardy, Jude ( wie Anm. 1 ), S. 20f. 5 Vgl. Walter Benjamin, « Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit » ( 3. Fassung, 1939 ), in : Rolf Tiedemann / Hermann Schweppenhäuser ( Hgg.), Gesammelte Schriften, Bd. 1.2, Frankfurt a. Main 1974, S. 479. Ich beziehe mich hier auf Richard Shiffs anregende Benjamin-Lektüre. Neben dem in diesem Heft publizierten Essay vgl. zum Aura-Begriff auch : Richard Shiff, « Handling Shocks. On the Representation of Experience in Walter Benjamin’s Analogies », in : The Oxford Art Journal, 15 ( 2 ), 1992, S. 93ff. u. ders., »Breath of Modernism ( Metonymic Drift ) », in : Terry Smith ( Hg.), In Visible Touch. Modernism and Masculinity, Sydney / Chicago 1997, S. 192ff. 6 Diese Beziehung gemahnt an die – beinahe, aber eben nur beinahe inzestuöse – Gemeinschaft, zu der in Robert Musils Mann ohne Eigenschaften die Geschwister Ulrich und Agathe zusammenfinden, eine Gemeinschaft der « Ungetrennten und Nichtvereinten », wie Ulrich sagt. Die beiden finden das « Sinnbild » ihres Grenzgangs am äußersten Rand des Grundstückes, auf dem das Haus liegt, in das sie sich am Ende des Buches zurückgezogen haben, an der Schwelle zur übrigen Welt, im « Gartengitter », das « trennte und verband », vgl. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Bd. 2, Adolf Frisé ( Hg.), Aus dem Nachlass, Reinbeck bei Hamburg 2000, S. 1350. 7 Vgl. Platon, « Φαίδων / Phaidon », in : Karlheinz Hülser ( Hg.), Sämtliche Werke, Bd. 4, Frankfurt a. Main 1991, S. 210 / 211, 65c. Es heißt dort von der Seele, dass sie « ohne Gemeinschaft und Verkehr » mit dem Leib ( μὴ κοινωνοῦσα αὐτῷ μεδ’ ἁπτομένη ), wie Schleiermacher übersetzt, dem Seienden nachgehen solle. Platon verwendet hier das medio-passive Präsenspartizip von ἅπτειν, wobei der Dativ (αὐτῷ) auf eine passivische Bedeutung schließen lässt. Es heißt also wörtlich, dass sie keine vom Leib « Berührt-Werdende » sein solle, wie Jacques Derrida hervorhebt, indem er das Wort mit « contact » übersetzt, vgl. Jacques Derrida, Le toucher, Jean-Luc Nancy, Paris 1999, S. 138. 8 Vgl. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1, Frankfurt a. Main 1997, S. 373f. 9 Vgl. Sigmund Freud, « Das Unbehagen in der Kultur » ( 1930 ), in : Alexander Mitscherlich u. a. ( Hgg.), Studienausgabe, Bd. 9, Frankfurt a. Main 1974, S. 229, Anm. 1, vgl. auch : ders., « Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens II. Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens » ( 1912 ), in : ebd., Bd. 5, S. 208. 10 Vgl. Theodor W. Adorno / Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. Main 1993, S. 22. 11 Siehe Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. Main 2003. 12 Siehe Rolf Konersmann, Lebendige Spiegel. Metapher des Subjekts, Frankfurt a. Main 1991. 13 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, Eva Moldenhauer / Karl Markus Michel ( Red.), Werke, Bde. 13–15, Frankfurt a. Main 1970, Bd. 13, S. 61 u. Bd. 14, S. 255. Ein solches Programm ist jedoch zutiefst fragwürdig. Man hat seither erfahren, dass die Privilegierung des Taktilen eine Denkfigur ist, die in der Ideologie der « modernen Zivilisation » tief verwurzelt ist, ja dass sie in die « Dialektik der Aufklärung » selbst hineingezogen war. Die Denkfigur taucht seit dem 18. Jahrhundert immer wieder auf, wo die Ordnung der Sinne zur Sprache kommt – sie ist eine typische theoretische Geste des Materialismus und möchte den Weltbezug des Menschen im Griff nach dem Greifbaren verankern. Der Tastsinn wird zum stabilen und irreduziblen Fundament der Sinneswahrnehmung. Ihm wird nun nachgesagt, im Gegensatz zum Sehen, Täuschungen nicht verfallen zu können und den Modus aller Wahrnehmung vorzugeben und die Sinne zu koordinieren. [17] Im gleichen Zug wird der Tastsinn zur Leitkategorie der Subjekttheorie und für das Ganzheitsgefühl des Selbst verantwortlich gemacht. Berühren und Berührt-Werden sind die Erfahrungen, in denen sich Innerlichkeit konstituiert und die Grenze gezogen wird, die das private Selbst monadisch ab- und in einem Innenraum einschließt. Das bürgerliche Subjekt hat sich auf taktilem Weg seines Selbst versichert. [18] Beunruhigender noch für all jene, die aufs Tasten zurückkommen wollen, um die Herrschaft des Sehens zu brechen, müsste Jacques Derridas überraschende Behauptung sein, dass die « abendländische Metaphysik » von Anbeginn an nichts anderes als eine « Hapto-Metaphysik » gewesen sei. Derrida bestreitet nicht, dass die « Geste, die darin besteht zu philosophieren », auf eine Schau der Wahrheit abhebt. Doch gewährt diese Schau die Gewissheit der Intuition, « le pleine de présence immédiate », nur insofern sie an den « Kontakt » mit dem Eingesehenen « rührt », « c’est-à-dire un point qu’on pourrait surnommer, en un autre sens, le point aveugle, où l’œuil touche, et se laisse toucher [...]. » [19] Diese Metaphorik hat Derrida dem metaphysischen Denken nicht unterschoben. Wieder im Phaidon und auch in der Politeia spricht Platon davon, dass die Seele an die Wahrheit « rühre », was im Griechischen das gleiche ist wie zu sagen, dass sie sie « erreiche ». [20] Von Platon über Berkeley bis Husserl gibt es « […] l’hégémonie bien connue d’une éidétique, comme figure ou aspect, donc comme forme visible exposée au regard incorporel, mais cette suprématie n’obéit elle-même à l’œil que dans la mesure où un intuitionisme haptique vient l’accomplir, la remplir, assouvir le mouvement intentionnel d’un désir, comme désir de présence. » [21] Die Phänomenologie ist aber der Schauplatz, an dem die Philosophie sich nicht nur per figuram eines letzten Grundes haptologisch zu versichern versucht. Im zweiten Buch der Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie ( 1952 ) wird Edmund Husserl die phänomenologische Reduktion bis an den Punkt einer taktil konzipierten Unmittelbarkeit treiben und an diesem Punkt – es ist der Punkt zwischen Finger und Finger in dem Moment, als sie sich selbst berühren – die « Konstitution der seelischen Realität durch den Leib » und den Quellpunkt der Sinneswahrnehmung als solcher lokalisieren. ( Die Szene der Selbstberührung hat man freilich zuvor am Theater der « haptozentristischen » Philosophie – es ist nicht übertrieben, sie als ihre « Urszene » zu bezeichnen – schon oft gesehen.) In der Selbstberührung ist eine « Doppelempfindung » gegeben, in der « ein Leibesteil zugleich äußeres Objekt wird für den anderen ». Hier ertastet sich das Tasten selbst und der Leib ist sich selbst unmittelbar gegeben, in einer örtlichen und zeitlichen Koinzidenz. Husserl betont, dass sich diese reflexive Unmittelbarkeit im Sehen nicht einstellen kann. Denn dazu würde es bereits einer Vermittlung durch ein Äußeres, der Prothese eines Spiegels etwa, bedürfen. [22] Die Reflexivität der optisch-spekulären Subjektphilosophie wird also in den unvermittelten Kontakt eines reinen Selbstbezugs hineinverlegt. So sieht die Gegenprivilegierung des Tastsinns in einem ihrer einflussreichsten Fälle aus. Es ist hier nicht Platz, Derridas Nachweis darzustellen, wie sich in diesen Akt des reinen Takts das Visuelle unversehens bereits eingeschlichen hat. [23] Es geht nur darum, die Bewegungen eines Denkens anzudeuten, das – ob es nun die Herrschaftsverhältnisse im Sensuellen zu brechen sich vorgenommen hat oder nicht – das Schema einer hierarchischen Ordnung der Sinne nie verlassen hat, sondern nur dazu gelangte, instabile Umpolungen innerhalb von ihr herzustellen. Wer diese Ordnung untergraben wollte, müsste die dichotomische Struktur, die ihr zugrunde liegt, und das wäre nichts anderes als die Denkstruktur der « abendländischen Metaphysik », selbst erschüttern. Dieser Aufgabe hat man sich, wie man weiß, nicht lange nach dem Erscheinen der späten Bücher Husserls bzw. der psychoanalytischen Zivilisationskritik Marcuses in Frankreich angenommen. Neben Derrida hat auch JeanFrançois Lyotard sich ihr gestellt. Seine 1974 publizierte Économie libidinale ist hier nicht nur deshalb von Interesse, weil sie als alternativer Entwurf einer Vermählung von Marxismus und Psychoanalyse angelegt ist, sondern vor allem weil in diesem Buch der Bühnenraum, auf dem sich die alte Szene der taktilen Selbstaffektion zuträgt, das heißt : die Körperoberfläche, also die Haut, völlig neu konzipiert wird. Es gilt der Grundsatz, dass die Befreiung des Lustprinzips bei der binären Opposition zwischen Libido und begrifflich-rationalem Denken ansetzen muss. Das kann nach Lyotard nur gelingen, wenn diese binäre Entgegensetzung in eine Denkbewegung hineingezogen wird, die selbst einem libidinösen Prinzip folgt: Dualismen werden dann zu « Duplizitäten », binär aufeinander bezogene Terme « zweideutig », ihre Position in dichotomischen Denkstrukturen unentscheidbar. Das Modell eines solchen Denkraumes liefert das Möbiusband, das mit seinen fugenlos aneinander genähten Seiten an jeder Stelle binär ( Vorder- / Rückseite ) strukturiert ist, das diese Struktur aber zugleich suspendiert, insofern es eine Bahn vorzeichnet, an der entlang man in einer kontinuierlichen Bewegung auf die andere Seite, von vorne nach hinten, von innen nach außen, vom « dies » zum « nicht-dies » gelangen kann. Die Libido ist die Bewegung, die dieser Bahn folgt. Sie konstituiert einen topologischen Raum, in dem sich die Innen-Außen-Struktur der « abendländischen Metaphysik » auflöst : Erscheinung / Idee, Diesseits / Jenseits, res cogitans / res extensa, Ich / Anderer usf. Dieser Raum heißt bei Lyotard die « große Möbiushaut ». Das Buch beginnt mit einer Anatomie, die den Körper als einzige, ungeteilte Hautoberfläche, deren Inneres nur eine Einstülpung des Äußeren ist, beschreibt. [24] 8 9 14 Vgl. Jacques Lacan : « Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. Bericht für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich a, 17. Juli 1949 », in : Norbert Haas ( Hg.), Schriften I, Rodolphe Gasché u. a. ( Übers.), Weinheim / Berlin 1996, S. 61–70. 15 Vgl. Elias Canetti, Masse und Macht, Frankfurt a. Main 1980, S. 13. 16 Vgl. Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Marianne von Eckhardt-Jaffe ( Übers.), Schriften, Bd. 5, Frankfurt a. Main 1979, S. 41. 17 In der philosophischen und wissenschaftlichen Diskussion der Aufklärung kam es zu einer regelrechten Umkehrung der klassischen Sinneshierarchie. Der Tastsinn rückte mehr und mehr in die prominente Position des Sehens und wurde als Grundlage und Koordinator von Kognitions- und Subjektivierungsprozessen verstanden. Diese Umstrukturierung des Feldes der Sinne lässt sich am besten in der Debatte um das so genannte « Molyneux-Problem » verfolgen, bei dem die Frage zur Debatte stand, ob ein Blindgeborener, der das Augenlicht zurückerhielte, zwischen den Formen zweier verschiedener Gegenstände unterscheiden könne, ohne auf den Tastsinn zurückzukommen. Dieses Problem wurde von beinahe allen wichtigen Denkern der Epoche kommentiert, John Locke, George Berkeley, Gottfried Wilhelm Leibniz, Étienne Bonnot de Condillac, Voltaire, Denis Diderot unter ihnen, siehe dazu Marjolein Degenaar, Molyneux’s Problem. Three Centuries of Discussion on the Perception of Forms, Dodrecht 1996; siehe auch : Nathalie Binczek, Kontakt. Der Tastsinn in Texten der Aufklärung, Tübingen 2007 ( = Studien zur deutschen Literatur, 182 ) u. außerdem : Ulrike Zeuch, Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der frühen Neuzeit, Tübingen 2000 ( = Communicatio, Bd. 22 ). 18 In diesem Zusammenhang ist die Diskussion um den Pygmalion-Mythos im 18. Jahrhundert von besonderem Interesse. Der von Ovid erzählte Mythos, in dem eine Statue zum Leben erwacht, wird in der Aufklärung als Denkmodell zitiert. Man stellt sich vor, wie das Standbild einen Sinn nach dem anderen erhält. Condillac wird behaupten, dass Galatea erst, nachdem sie taktiler Empfindungen fähig ist, imstande ist, « ich » zu sagen, vgl. Étienne Bonnot de Condillac, Abhandlungen über die Empfindungen, Lothar Kreimendahl ( Hg. und Übers.), Hamburg 1983, S. 64; zu den kunsttheoretischen Implikationen der Diskussion des PygmalionMythos siehe : Inka Mülder-Bach, Im Zeichen Pygmalions. Das Modell der Statue und die Entdeckung der « Darstellung » im 18. Jahrhundert, München 1998. 19 Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), S. 138. 20 Im Phaidon wird gefragt, wieder in der Übersetzung Schleiermachers, wann die Seele die Wahrheit treffe, wobei erneut die mediopassive Verbform von ἅπτειν gebracht wird : « Πότε οὖν [...] ἡ ψυχή τῆς ἀληθείας ἅπτεται », Platon, Phaidon ( wie Anm. 7 ), S. 210 / 211, 65b. Hier indiziert der Genitiv (τῆς ἀληθείας) aber eine mediale Bedeutung des Wortes und damit eine reflexive und zugleich emphatische Aktivität. Wörtlicher müsste es also heißen, wann die Seele sich an die Wahrheit « hefte », und im übertragenen Sinne, wann sie an ihr « rühre », sie « anfasse », « ergreife », « erlange » oder « erreiche » (Derrida übersetzt das Verb mit « toucher » und « atteindre », vgl. Derrida, Le toucher (wie Anm. 7), S. 139). Platons Sprachgebrauch, in dem abwechselnd die mediale und passivische Bedeutung von ἅπτομαι in Anschlag kommt, betont also die Doppeldeutigkeit des Berührens als einer zugleich erlittenen wie emphatisch betriebenen Handlung. In der Politeia ist davon die Rede, dass man auf das « philosophische » Wesen der Seele die Blicke richten müsse und darauf merken, woran dieses « rühre » etc. ( ἅπτεται ), vgl. Platon, « Πολιτεία / Der Staat », in : ders., Werke ( wie Anm. 7 ), Bd. 5, S. 762 / 763, Buch 10, 611e. 21 Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), ebd. 22 Vgl. Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 2. Buch, Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution, Marly Biemel ( Hg.), Husserliana, Bd. 4, Den Haag 1952, S. 147ff. 23 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), S. 200. 24 Vgl. Jean-François Lyotard, Libidinöse Ökonomie, Gabriele Ricke / Ronald Voullié ( Übers.), Zürich / Berlin 2007, Kap. 1 : « Der große vergängliche Haut-Film », S. 7ff. Wieder später wird Michel Serres in seinen Fünf Sinnen ( 1985 ) auf dieser Bühne den Akt der reflexiven Selbstberührung noch einmal neu inszenieren : « Mit dem Mittelfinger berühre ich meine Lippe. In dieser Berüh rung liegt das Bewußtsein. Ich beginne mit seiner Untersuchung. Oft verbirgt es sich in einer Falte : Lippe an Lippe gelegt, die Zunge an den Gaumen gedrückt, Zähne auf Zähne gepreßt, geschlossene Augenlider, zusammengezogener Schließmuskel, zur Faust geballte Hand, ineinander verschränkte Finger, Unterseite des einen Oberschenkels auf die Oberseite des anderen oder einen Fuß über den anderen gelegt. Ich wette, der kleine monströse Homunkulus, dessen jeweilige Teile im Verhältnis zur Größe der Empfindungen stehen, wächst und schwillt an, wo es zu solchen Automorphismen kommt, wo das Hautgewebe sich auf sich selbst zurückfaltet. [...] Bewußtsein stellt sich nur an den Stellen ein, die durch kontingente Singularitäten gekennzeichnet sind, an Stellen, an denen der Körper sich selbst tangiert.» [25] Zuerst wird auffallen müssen – obgleich die Szene konventionell beginnt, nämlich mit einer digitalen Berührung, einer deiktischen Geste, mit der der Leib auf sich selbst weist –, dass sich die Orte und Glieder oder Körperteile, die in die Selbstberührung involviert sind, vervielfacht haben. Das Beispiel, darauf hat Derrida hingewiesen, ist in der « hapto-metaphysischen » Tradition nicht zufällig immer die Hand und ihre Finger, und meist nur diese, gewesen : weil sie angeblich allein dem Menschen zukommt, weil sie ein intellegibles und aktives Organ ist, geeignet, dem Willen Ausdruck zu verleihen. [26] Der Schließmuskel kommt bei Serres ebenso ins Spiel wie Hand und Lippen. Dazuhin lokalisiert sich hier die Selbstberührung vorzüglich an Stellen, an denen sich die Haut nach innen faltet, wo die Oberfläche des Körpers zu seiner Innenseite wird, und verkörpert sich in habituellen oder automatischen oder reflexhaften Bewegungen, eher von passivischer Art, die nur wie zufällig aktiv vollzogen und mit Aufmerksamkeit belegt werden; Beispiele, aus denen sich keine Summe ziehen lässt : « kontingente Singularitäten ». Und nichts rundet sich zur Evidenz einer « Doppelempfindung » oder zu einer räumlichen oder zeitlichen Koinzidenz. Die Selbstberührung bleibt aufgespalten, das « ich » springt in beliebiger Schnelle von einer Position in die andere, wird aber die Bedingung nicht abschütteln, an ein « Objekt » geraten zu müssen, um sich selbst zu spüren. Der Körper ist sich selbst Prothese, die Autoaffektion wird von einer irreduziblen Alterität durchkreuzt : « Ich berühre meine Lippen mit dem Finger, meine Lippen, die bereits ihrer selbst bewußt sind. Ich kann gleichzeitig und nahezu unterschiedslos meinen Finger küssen und meine Lippen mit dem Finger berühren. Das ‹ ich › vibriert auf beiden Seiten der Berührung, abwechselnd, und wirft plötzlich die andere Wand in die Welt zurück oder läßt, indem es plötzlich über diese unmittelbare Nähe hinweggeht, lediglich ein Objekt zurück. In der Geste des Fingers, der, auf die Lippen gelegt, Schweigen gebietet, spielt der Körper – lokal – mit der Seele Ball. Wer nicht weiß, wo seine Seele sich befindet, berührt seinen Mund, und auch dort erfährt er es nicht. Der Mund, der sich selbst berührt, macht sich seine Seele und vermag sie der Hand zu geben; die Hand, die sich ballt, vermag sich ihre blasse Seele zu schaffen und kann sie nach Belieben dem Mund geben, der sie bereits hat. Kontingenzen reinster Art.» [27] Sehr wohl findet auch in diesem Szenario so etwas wie eine « Konstitution der seelischen Realität durch den Leib » statt. Allerdings unter den Bedingungen der Kontingenz, in einer unabschließbaren Serie singulärer Sinnesereignisse, von einer Stelle des Körpers zur anderen hüpfend, mal hier, mal dort. Serres rät zu kreativen gymnastischen Übungen, um herauszufinden, wo sich die Seele ( noch ) befinden könnte. Unter diesen Bedingungen, wo das « Turnen » der « Anfang und die Voraussetzung der Metaphysik » geworden ist [28] , besteht wenig Hoffnung darauf, die « Seele » in eine klar umrissene Kontur zu fassen und sie stabil im Leibesinneren zu verankern. Die « Seele » erhascht man nur an den Körpergrenzen, rund um den Leib herum, in einer Umstülpung gleichsam des klassisch-metaphysischen Leib / Seele-Dispositivs. Mit einem kräftigen Sprung landen wir wieder bei den Anfängen der « abendländischen Metaphysik » und finden in Aristoteles’ Abhandlung Über die Seele einen Versuch, eine solche Kontur zu zeichnen. Das Buch ist, wie die richtigere Übersetzung seines Titels ( Περὶ ψυχῆς ) verraten würde, « rund um die Seele herum » geschrieben. Der Gedankengang berührt an einer denkwürdigen Stelle den Tastsinn. [29] Es wird womöglich verwundern, dass eine der ersten überlieferten philosophischen Erörterungen dieses Sinns den Nachweis zu erbringen sucht, dass der Berührung ein unauf hebbarer Abstand eingeschrieben ist. Aristoteles bestreitet, dass taktile Empfindungen sich im unmittelbaren Kontakt mit dem Objekt herstellen. Denn sensorische Reize werden den Sinnenorganen durch ein Medium ( μεταξὺ [30] ) vermittelt. Aristoteles argumentiert, dass beim Sehen, Hören und Riechen eine direkte Berührung des Organs mit dem Wahrnehmungsobjekt keine Sinnesempfindung entstehen lässt [31], woraus auf die Notwendigkeit der Existenz eines Mediums geschlossen werden kann, durch das hindurch der Reiz an die Sinnesorgane vermittelt wird – beim Sehen, Hören und Riechen sind es Luft und Wasser. Analoges müsste sich auch vom Tasten und Schmecken behaupten lassen. Was diese letzteren Sinne betrifft, muss Aristoteles aber das Argument entkräften, dass man aus dem Umstand, dass beim Tast- und Geschmackssinn die « Wahrnehmung zugleich mit der Berührung » stattfindet (« τὸ γίνεσθαι τὴν αἴσθησιν ἅμα θιγγανομένων »), folgern kann, dass das « Sinneswerkzeug » (« αἰσθητήριον ») in diesen Fällen « direkt das Fleisch » (« εὐθέως ἡ σάρξ ») ist, und die Empfindungen nicht durch ein « Medium » bzw. über einen « Zwischenraum » hinweg zustande kommen. Deshalb hält er seine Leser an, sich den Leib mit einem « Häutchen » (« ὑμήν ») umspannt vorzustellen. Ganz offensichtlich würde auch dann eine « Berührung » unmittelbar zu einer Sinnesempfindung führen, das Medium oder Zwischenglied würde « direkt die Wahrnehmung anzeigen » (« εὐθέως ἁψάμενος ἐνσημαίνει »). Also steht der Annahme nichts im Wege, dass das « Fleisch » (« σάρξ ») im Berührungsakt selbst schon ein solches Medium ist und dass es sich bei diesem « Körperteil » so verhält, « wie wenn die Luft rings um uns herum angewachsen wäre / ὥσπερ ἂν εἰ κυκλῳ ἡμῖν περιεπεφύκει ὁ ἀήρ ». [32] Dieser Vorstellung gemäß liegt das « Wahrnehmungsvermögen des Tastbaren » im Inneren des Körpers – « ἐντὸς τὸ τοῦ ἁπτοῦ αἰσθητικόν », lautet das Ergebnis [33] – und ist durch dessen Oberfläche, durch die Haut oder das « Fleisch » von seinen Gegenständen getrennt. Hätte Aristoteles’ Schrift den Selbstberührungsakt analysiert, hätte sie weder Unmittelbarkeit noch Koinzidenz in ihm zu finden vermocht, ein im Körper lokalisiertes technisches Hilfsmittel ( wie der Spiegel bei Husserl ) annehmen müssen, durch das hindurch oder mit dessen Unterstützung der Körper allein sich spüren kann. Mit Aristoteles ist uns schon die Aufgabe gestellt, Differenz und Alterität in den intimsten körperlichen Kontakten zu denken. [34] Unter diesen theoretischen Auspizien berühren wir in der taktilen Autoaffektion nur einen untilgbaren Abstand zu uns selbst, und wir berühren an oder in uns selbst den Zwischenraum (μεταξὺ), der uns von allen Dingen trennt, kommen wir mit Aristoteles doch dahin, uns rundum mit der Luft verwachsen zu wähnen … Eine Vorstellung, die den theoretischen Rahmen der autoaffektiven, Distanz und intime Nähe verschleifenden Sinnesempfindung, die Thomas Hardys Jude in der Dämmerung auf dem Dach der Scheune macht, abgeben könnte. Richard Shiff hat auf die paradoxe Räumlichkeit der aristotelischen Auffassung von Berührung hingewiesen und mit Walter Benjamins Konzept der « Aura » verknüpft, das dieser bekanntlich als das « einmalige Erscheinen einer Ferne, so nah sie auch sein mag » [35] definierte : « Ever so close yet preserving its distance, the sense of touch is auratic. Close but distant, like but unlike : such is the paradox of all sense and all representation, a paradox perhaps most evident in the experience of touch. For the sense of touch evades its own grasp; it cannot touch or know itself. The fingers and the skin feel sensation, yet ‹ touch › is somewhere other.» [36] Fern- und Nahsinne verschränken sich in dieser Konzeption des Tastens. Im Rekurs auf die Anfänge der Philosophie des Tastsinns gelangt man schließlich zu einem Verständnis von Taktilität, das, in dem Maße wie es die Sonderheit dieses Sinns ( als Nahsinn etwa, oder als präsentischer Sinn ) in Frage zieht, ein Modell der Sinneserfahrung nahe legt, das die Struktur und Logik aller Sinne berühren würde und geeignet sein mag, ihre festgeschiente Ordnung endgültig aus dem Gleis zu werfen. 10 11 25 Michel Serres, Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, Michael Bischoff ( Übers.), Frankfurt a. Main 1999, S. 18f. 26 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), zur Bevorzugung der Hand bei Kant : S. 53ff.; bei Maine de Biran : S. 172ff.; bei Husserl : S. 183ff. 27 Serres, Die fünf Sinne (wie Anm. 25), S. 19. 28 Ebd. 29 Siehe dazu auch den Beitrag von Mladen Dolar in diesem Heft. 30 Aristoteles substantiviert das Adverb μεταξὺ ( in der Mitte, dazwischen ) : τὸ μεταξὺ ist das Dazwischen, der Zwischenraum. 31 Vgl. Aristoteles, Über die Seele, Horst Seidl ( Hg. u. Übers.), Wilhelm Biehl / Otto Apelt ( Edition d. griech. Textes ), Hamburg 1995, S. 102 / 103, Buch 2, Kap. 7, 419a. 32 Ebd., S. 124 / 125f., Buch 2, Kap. 7, 423a. 33 Ebd., S. 130 / 131, Buch 2, Kap. 7, 423b. 34 Diesen Punkt hebt auch Jean-Louis Chrétien in seinem Aristoteles und der aristotelischen Tradition verpflichteten Versuch über die Berührung hervor und spricht in Bezug auf die These der Medialität des Tastens von einer « inneren Verschleierung des Phänomens » : das, wodurch das Berühren ausgeübt werde, bleibe unberührbar, vgl. Jean-Louis Chrétien, L’appel et la réponse, Paris 1992, S. 108. Dort heißt es auch, dass der theoretische Irrtum derer, die das Berühren für unmittelbar hielten, auf seiner eigenen phänomenologischen Verdunkelung beruhe, vgl. ebd., S. 106. Derrida hat in seinem Buch über die Berührung diesem Text ein ganzes Kapitel gewidmet, siehe : ders., Le toucher ( wie Anm. 7 ), Kap. 11, « Tangente V », S. 273–329. 35 Benjamin, Das Kunstwerk ( wie Anm. 5 ), S. 479. 36 Richard Shiff, « On Passing Through Skin : Technology of Art and Sensation », in : Public 13 ( 1996 ), S. 26. 37 Das war schließlich schon eine Implikation der aristotelischen Definition des taktilen « Sinneswerkzeugs » als « Fleisch » – koextensiv mit dem Leib, vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), S. 67. 38 Vgl. Friedrich Schiller, « Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen », in : Wolfgang Riedel ( Hg.), Sämtliche Werke, Bd. 5, München / Wien 2004, S. 657; vgl. dazu auch : Claudia Benthien, Haut. Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 234f. 39 Zum Umschlagen des Griffs in Ergriffenheit in der Tastkultur des 18. Jahrhunderts siehe den Beitrag von Juliane Vogel im diesem Heft. 40 Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), S. 121. 41 Vgl. ebd., S. 122. 42 Siehe Jacques Derrida, Marges de la philosophie, Paris 1972. 43 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), S. 225. 44 Vgl. z.B. ebd., S. 301f. u. 318. 45 Ebd., S. 249. 46 Vgl. Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Frankfurt a. Main 2002, S. 17ff. Die soziale Figur einer Berührung oder Kommunion im Zwischenraum verbindet sich auch mit Klaus Theweleits Konzept des « dritten Körpers », siehe dazu Theweleits Beitrag in diesem Heft und außerdem den Vortrag in der Reihe « International Flusser Lectures » : Übertragung. Gegenübertragung. Dritter Körper. Zur Gehirnveränderung durch die Medien, Köln 2007. 47 Siehe : Jean-Luc Nancy, La communauté désœuvrée, Paris 1983. Zu Nancys politischer Philosophie siehe auch : Mladen Gladić , « Todeswerk. Jean-Luc Nancys Kritik der ‹ immanentistischen › Gemeinschaft », in : 31. Das Magazin des Instituts für Theorie, 10 / 11, 2007, S. 35–39. 48 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), S. 67. IV Die Annäherung an das Tasten scheint mit Notwendigkeit zu einem Punkt zu führen, an dem sich kein « Punkt » machen lässt : Die Feststellung der Tastempfindung, dieser scheinbaren punktuellen Koinzidenz, gelangt immer wieder an eine Grenze, an der sie sich schlussendlich wieder entzieht – « yet ‹ touch › is somewhere other ». Es steht dahin, ob solche Annäherungen dem « Wesen » des Phänomens näher kommen. Vielleicht wird man es nur – in gleich bleibender Entfernung – umkreist haben. Es könnte gut sein, dass sich dies nicht anders verhalten kann. Der Tastsinn wäre dann in jeder Hinsicht als liminaler Sinn zu bestimmen : Als ein Sinn, der sich an den Grenzen des Leibes und der anderen Sinne lokalisiert, der in jedem Wahrnehmungsakt an seine Grenze ( der Medialität, in der er sich entzieht ) rührt und nur von seinen Rändern her zu fassen ist – in einer Denkbewegung, die eine Abhandlung vollziehen müsste, die den aristotelischen Titel Peri haphēs / Rund um den Tastsinn haben und im buchstäblichen Verstand beherzigen müsste. Das Tasten wäre dann nicht von den anderen Sinnen abzugrenzen, sondern über die Grenzen der anderen Sinne, ja als ihr limes zu bestimmen : Jedes Sinnesorgan ist haptischer Empfindungen fähig, ist ein Tastorgan. [37] Das zeigt sich zunächst literaliter, wo ein Wahrnehmungsgegenstand dem Sinnesorgan zu nahe kommt, und nicht, wie es bei Aristoteles heißt, keine, sondern eine Tastwahrnehmung hervorruft. Das wäre so, wenn uns etwas buchstäblich in die Augen stäche. Es wäre aber auch so, wenn das nur figuraliter geschähe. Es kommt gewisslich nicht von ungefähr, dass wir die besondere Intensität einer Empfindung in taktilen Metaphern zum Ausdruck bringen : ein schneidendes Geräusch, ein beißender Geruch usf. Man sollte diese Sprachbilder nicht so sehr als Anzeichen irgendeiner basalen Synästhesie unseres Empfindungsvermögens nehmen, sondern eher als Hinweis darauf bedenken, dass die gesteigerte Gewalt von Sinnesreizen immer in ein haptisches Register umzuschlagen droht, wenn uns etwas – gehört, gesehen, gerochen – zu nahe geht und uns zu ergreifen beginnt … Und man müsste auch jeden Versuch, Taktilität terminologisch einzugrenzen – indem man etwa auf einer Unterscheidung zwischen wörtlichem und figurativen Ausdruck beharrt – aufgeben und durch einen Gedankengang ersetzen, der das gesamte Begrif fsfeld taktiler Empf indungen durchquert und nicht einhält, bevor er an seinen extremsten Polen die Zweideutigkeit jeder Grenzziehung aufspürt. Ein Versuch, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, könnte ergeben : Tasten, Rühren, Streifen, Fühlen, Spüren, Streicheln, Küssen, Kosen – wovon man unversehens gelangt zum : Kneifen, Grapschen, Beißen, Fassen, Greifen, Stoßen … Pole lassen sich hier schnell ausmachen. Zum einen ein sanfter, vorsichtiger, prozessualer, passivischer Modus, den man als eigentlichen Modus des Tastens von alt her zu isolieren bestrebt war und den das patriachale Denken gerne als « weibisch » abgetan hat. Sich voranzutasten, heißt sich auf unsicherem Terrain zu bewegen, sich langsam Schritt für Schritt orientieren zu müssen; wer sich vorantasten muss, wird unwillkürlich an Dinge geraten, Eindrücke erleiden … Für Schiller ist jede taktile Empfindung eine erlittene « Gewalt ». Der « Takt » gehört den « tierischen Sinnen » an, den « Sinnen des Gefühls », die mit Bestimmtheit von den « Sinnen des Scheins », Sehen und Hören, zu scheiden sind, welche die « andringende Materie schon hinweggewälzt » haben und im freien Spiel formen, was sie wahrnehmen. [38] Dem ist unter Verweis auf den anderen, aktiven, « männlichen » Pol des begrifflichen Feldes natürlich entgegenzuhalten, dass das Tasten ebenso aktiv in die Welt hinausgreifen kann wie die Distanzsinne : Im Zugriff liegt das Objekt in der Hand und ist uns zu Willen und schon zu Eigen vielleicht. Die Finger umschließen es, spüren es nicht nach und nach, sondern simultan. Und das, was wir ergreifen, halten wir uns vom Leib, setzen es in eine Distanz, die an ein theoretisches Verhältnis zu denken nahe legt : Wer etwas im Griff hat, hat es wohl schon auch begrif fen. Solche Fälle der Berührung scheinen das herrschaftliche und gewalttätige Prinzip des Gesichtssinns schon einzubegreifen. Wenn man aber bedenkt dass wer begreift, es tunlichst meiden muss, ergriffen zu sein, und sich den sinistren Doppelsinn in Erinnerung ruft, den Canetti im Blick auf die von Berührungsfurcht erfassten modernen Massen dem Angreifen beigelegt hat, wird man zugeben müssen, dass die beiden Pole im Begriffsfeld der Berührung untergründig miteinander kommunizieren und die zwei Modi des Haptischen stets ineinander umzuschlagen drohen. [39] Man soll aber nicht einwenden, dass eine Unterscheidung zwischen eigentlichen und übertragenen Wortbedeutungen in diesem Feld die Ordnung wieder herstellen könnte. Jacques Derrida kommt in seinem Buch über die Berührung immer wieder auf den Punkt zurück, dass die Figuralität des Haptischen, die überall und so leicht ins Spiel kommt, nie eindeutig von etwas, was eine « reale » oder buchstäbliche Berührung wäre, geschieden werden kann. In JeanLuc Nancys Texten, die dort Derridas Schreibanstoß und -gegenstand sind, spielt das Verb « toucher » eine hervorragende Rolle. Von der Philosophie lesen wir bei Nancy immerzu, wenn ihre entscheidenden Bewegungen zur Rede stehen, dass sie an Grenzen « rühre ». Jemandem, der hier einwenden wollte, dass dies nur figuraliter geschehen könne, gibt Derrida hingegen zu bedenken : « Mais inversement, et c’est le destin de cette figuralité, on ne touche jamais qu’une limite. Toucher, c’est toucher une limite, un surface, un bord, un contour. Même si on touche un dedans, ‹ au-dedans › de quoi que ce soit, on le fait selon le point, la ligne ou la surface, la frontière d’une spatialité exposée au dehors, offerte, justement, sur sa bordure, au contact.» [40] Nancys Denken der Berührung lässt den Begriff unentscheidbar zwischen wörtlichem und bildlichem Sinn, an ihrer unentscheidbaren Grenze gleichsam, schweben. Er beharrt dar- auf, dass man einzig per f iguram berühren kann, und gibt das « Berührbare » als etwas zu verstehen, das zu berühren im Letzten unmöglich ist. [41] Derridas umfangreiches Buch über Nancy ist in mindestens zwei Aspekten selbst Versuch, eine Grenze zu berühren. Zuerst: Das Nachdenken über das Berühren bei und über Nancy war, wie der Titel, Le toucher, Jean Luc Nancy, konnotiert, auch der Versuch, ihn zu berühren. Primär freilich im Denken. Der Philosoph, der in einem frühen Buch seine Disziplin an ihre « Ränder » getrieben hat [42], versucht in der Lektüre eines Kollegen, dessen kardinale Denkfigur und Metapher das Entlanggehen an einer Grenze ist, eine Randzone seines eigenen theoretischen Schreibens aufzusuchen, um dort mit Nancy ein Stück Weges gemeinsam zurückzulegen – um ( « au cœur du toucher » ) eine « partage » herbeizuführen : « comme participation et comme partition, comme continuité et interruption ». [43] Allerdings spielt Derridas Text auch immer damit, Nancy als Menschen und Freund zu berühren, und setzt sich dabei stets der Gefahr aus, ihm zu nahe zu treten ( wie etwa in den zahlreichen Anspielungen auf dessen Herztransplantation : das zweite, fremde Herz in dessen Brust ist Paradigma der Alterität im « Herzen » der Berührung ). [44] Die Erfahrung der Berührung ist damit immer auch in die Nähe eines Modells der sozialen Beziehung gerückt, die sich als Begegnung an einer gemeinsamen Grenze, als Kommunion in der Trennung bestimmt: « Partage sans fusion. Communauté sans communauté, langage sans communication. Être-avec sans confusion. » [45] Jedoch wirft die Frage, wie man vom Zusammensein zweier Freunde, die sich im irreduziblen Abstand, der sie trennt, tangieren, zu einer Gemeinschaft vieler gelangt, ein Problem auf, zu dem sich Derrida skeptisch geäußert hat [46], während Nancy in seinem Versuch über die « entwerkte Gemeinschaft » die Zwei und die Vielen a limine zusammengedacht zu haben scheint. [47] Le toucher, Jean Luc Nancy ist schließlich wohl ein Grenzgang auch, weil Derridas theoretischer Diskurs in diesem Buch an vieles wieder zu rühren beginnt, wovon sich sein Denken anfänglich vehement abgestoßen hat. Zum einen werden im Kreisgang der Gedanken quasi Konturen greifbar, welche die Position eines Subjekts jenseits der Sprache umreißen könnten; zum anderen gerät die Argumentation, und das liegt freilich in der Logik des Sujets der Berührung, unablässig in Fühlung mit Instanzen des Präsentischen. Wie immer, um sie zu « dekonstruieren », hier aber – und dies ist freilich ebenso der Logik des Themas geschuldet – im Zuge eines Denkweges, der sich der Grenze, « à laquelle ou depuis laquelle une présentation s’annonce » [48], immer wieder tangential annähert. Als Spezialfrage einer Derrida- oder NancyInterpretation müsste dies uns hier nicht bekümmern. Allerdings : Die erneute Aufmerksamkeit, die der Frage der Taktilität gegenwärtig entgegengebracht wird ( und die freilich mit dafür verantwortlich ist, sie hier aufzuwerfen ), ist in einem intellektuellen Klima entstanden, in dem man eine « Krise » des Konstruktivismus und Dekonstruktivismus gerne konstatiert; in dem man den anspruchsvollen Denkfiguren des Poststrukturalismus, Figuren des Aufschubs und Entzugs, mit zunehmender Ungeduld begegnet und sie gerne verabschiedet hätte – im Namen einer Rückkehr zum « Realen », zur « Präsenz » oder zur « Evidenz », im Zuge einer « Wende » im Zeichen des « Bildes » oder der « Performanz » etc. In diesen Zusammenhängen ist es durchaus von großem Interesse, dass der späte Derrida es für notwendig hielt, der Unmittelbarkeit des Tastens nachzugehen, und dabei, wie ich vermute, die Grenzen markiert hat, bis zu denen sich solche Rückkehrbewegungen vorwagen können, ohne hinter das Niveau des Denkens, dessen « Krise » sie begegnen wollen, zurückzufallen. — STEFAN NEUNER 12 15 Die Historiographie der neueren Kunstentwicklung trägt oft einen ideologiekritischen Akzent. Kunstwerke werden gerne als Reflexe der politischen, ökonomischen oder technologischen Veränderungen gesehen, welche die Gesellschaft, aus der sie hervorgehen, bestimmen. Die Privilegierung eines optisch-spekulären Verstehensmodells scheint in der Natur solcher Diskurse zu liegen. Es kann ausreichen, ein Bild der kapitalistischen Alltagskultur in einem Kunstwerk wiederzuerkennen, um auf seinen affirmativen Charakter zu schließen. Dass man zu ganz anderen Folgerungen gelangen kann, wenn man bei der Erfahrung ansetzt, die ein individueller Körper mit solchen « Abbildern » macht, ist eine Behauptung, die Richard Shiff im folgenden Beitrag vertritt. Der Text spannt einen weiten Bogen, der von haptischen Aspekten der Bedienung von Schaltern, Tasten und Druckknöpfen über Walter Benjamins Auseinandersetzung mit den technologischen Umwälzungen seiner Zeit bis zur Kunst der 1960er Jahre reicht. Dabei zeigt sich, dass die taktile Dimension der Erfahrung, die im Modernisierungsprozess zusehends zurückgedrängt wird, eine Ressource bleibt, die – nicht zuletzt in der bildenden Kunst – gegen die Mechanismen der Ideologie mobilisiert werden kann. In einer überraschenden Verschaltung eines phänomenologischen Analysemodells mit Benjamins Aura-Konzept entwirft Shiff zugleich eine Theorie ästhetischer Erfahrung, die ausgeht von Taktilität als einem Paradigma der Sinneserfahrung, und es erlaubt, das Verhältnis von Fernund Nahsinnen, Sehen und Tasten, Bildlichkeit und Körperlichkeit als paradoxe Verschränkung zu denken. ( sn ) Richard Shiff Durch die Haut hindurch _– _– _– 1 Vgl. Walter Benjamin, « Über einige Motive bei Baudelaire » ( 1939 ), in : Rolf Tiedemann / Hermann Schweppenhäuser ( Hgg.), Gesammelte Schriften, Bd. 1.2, Frankfurt a. Main 1974, S. 630. Schalter Wir alle werden, je nachdem wo und auf welcher technologischen Entwicklungsstufe, in eine Welt hinein geboren, die uns eine bestimmte Reihe von Werkzeugen, Geräten und Praktiken zur Verfügung stellt. Die verschiedenen technologischen Veränderungen verlaufen und überschneiden sich auf so komplizierte Weise, dass jeder Versuch herauszufinden, wie sie ein einzelnes Leben – dein Leben – beeinf lussen, genauso schwierig ist wie eine klare Bestimmung des Einflusses und der Folgen einer Ideologie. Die Ideologie, in die wir hineinwachsen, formt uns wie viele andere Menschen, die denken und handeln wie wir, weil uns die gleiche Kultur prägt, als wäre sie ihre wie unsere Natur. Technologien und Ideologien wirken zusammen. Als die vergesellschafteten Wesen, die wir sind, fällt es uns nicht leicht, uns ein Leben ohne bestimmte, althergebrachte Ordnungssysteme, unsere zweite Natur, vorzustellen : Errungenschaften wie schriftliche Aufzeichnung, Zeitmessung oder Ackerbau. Diese Technologien erleichtern die Sozialplanung und erlauben politischen Einheiten zu expandieren und ihren Ideologien sich zu verbreiten. Wäre es zutreffend, wenn ich die Kernenergie ( besonders ihr großes destruktives Potential ), die Telekommunikation ( die grenzenlose Verbreitung von Information ) und den Mikrochip ( die schnelle Verarbeitung von Daten und das Programmieren von Arbeitsabläufen ) als die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierenden Kräfte in den technologischen Veränderungen innerhalb der Gesellschaft, in der ich lebe, identifizierte ? Wie verändert sich, als Reaktion auf sie, ein Individuum ? Manche Theorien implizieren, dass dadurch auch ich globalisiert worden sein muss. Vielleicht kann man die Telekommunikation und den Mikrochip mit ihren das Leben bestimmenden und global standardisierenden Auswirkungen in ihrer Bedeutung mit den frühen mechanischen Uhren vergleichen oder, geht man noch weiter zurück, mit der Einführung der Schrift, einem besonders effektiven Mittel, einer Gesellschaft Verhaltensregeln aufzuerlegen. Wenn also der elektromechanische Computer innerhalb meines Lebens die Gesellschaftsverhältnisse, in denen ich lebe, verändert hat, wie, so dies der Fall ist, hat er mich verändert ? Er bestimmt jetzt weitgehend meinen Tagesablauf, jedoch lebte ich in den prägendsten Jahren meiner Entwicklung ohne ihn. Hat er nur die Quantität der Information, die ich empfange, verändert oder auch die Qualität ? Und wenn ja, auf positive oder auf negative Weise ? Meine persönlichen Erinnerungen und Urteile müssen in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Es gibt Historiographien, die ihr Hauptaugenmerk nicht auf Individuen richten, sondern das Leben des Einzelnen durch eine allgemeine kulturelle Schablone geformt sehen. Politikhistoriker, Ökologen, Ethnologen und Sozialwissenschaftler vernachlässigen gewöhnlich die Details eines historischen Moments oder einer Örtlichkeit. Wenn Technologie mit einbezogen wird, berücksichtigen sie einschneidende Veränderungen : Bewässerung, Metallverarbeitung, Elektronik, Biotechnik. Ein bedeutender Moment in der technologischen Entwicklung kann sehr wohl die Erklärung für den Aufstieg, den Niedergang oder die Neuausrichtung einer Kultur sein. Ein anderer Historikertyp – der Denker Walter Benjamin wird mein Beispiel sein – hält seine Untersuchungen in einem intimen Rahmen und leitet dennoch Implikationen ab, die von Generalisten anerkannt werden. Benjamins gelegentliche Bemerkungen über einen Fortschritt in der Telefontechnik sind ein typisches Beispiel. Er zog ein Detail des Alltagslebens heran, um die Bedingungen der Moderne, wie sie in den 1930er Jahren erfahren wurden, zu beschreiben. Benjamin war von dem Gefühl, das die Bedienung des Wählscheibentelefons in ihm hervorrief, betroffen; den Hörer abzunehmen, eine « abrupte » Handlung, bedeutete schon, quasi unmittelbar, den Vorgang des Anrufens auszulösen. Dieses neuartige Telefon unterschied sich vom älteren, mit der Kurbel betriebenen Modell, bei dem eine graduelle, « stetige Bewegung » nötig war, um es in Gang zu setzen. [1] Auf den neuen Apparat umzuschalten – eine Umstellung, die der Denker selbst erlebte, eine Wendemarke für seine Generation, wie es der Tastenwahlapparat oder das Tonwahltelefon für meine war – stellte mehr als nur einen Fortschritt in den zwischenmenschlichen Kommunikationsmöglichkeiten dar. Der neue Sinneseindruck des « Wählens » entfernte die bestehende Telefontechnologie noch weiter von einer Koordination mit Körperbewegungen, wie sie mit älteren technischen Praktiken verbunden war. Ein Telefon anzukurbeln erinnert an das Ankurbeln eines Automotors, und darüber hinaus daran, wie man Wasser aus einem Brunnen heraufwindet. Das « Wählen » entkoppelte die körperliche Erfahrung der Bedienung noch weiter von der technischen Funktionsweise des Telefons und schuf ein bis dahin unbekanntes Körpergefühl. Diese Veränderung trug das Potential in sich, den Menschen als Lebewesen, verstanden als Bündel von 16 _– _– _– 17 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) Empfindungen, die eine komplexe Psychologie durchlaufen müssen, umzuformen. Wie sich die neue Technik anfühlte, das sollte nicht nur kaum Rückschlüsse auf ihre eigentliche Funktionsweise erlauben, die Schnelligkeit und spezielle Art der Telefonverbindung sollte die Grundfesten der individuellen Wahrnehmung natürlicher Lebensrhythmen erschüttern. Wenn Benjamins Betrachtungen über das Telefon heute eigenartig wirken, so liegt das nur darin begründet, dass der gegenwärtige Standard, das Tastenmodell, noch disruptiver ist. Verglichen mit der Tonwahl erscheint das Wählen nicht mehr « abrupt », sondern geschmeidig und kontinuierlich wie das Kurbeln – eine Kehrtwende in seiner phänomenologischen Bedeutung. Telefonapparate und ihre unterschiedlichen Schaltmechanismen – von Hand im Fall des Kurbelns und der von Telefonistinnen bedienten Zentrale, automatisch im Fall des Wählscheibenapparats – führen mich zur grundlegenden Betrachtung von unterschiedlichen Schaltertypen. Kinder der Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts begegnen Schaltern als elementare Einrichtung einer typischen häuslichen Umgebung. Als Kind erkannte ich, dass der binäre Ein-Aus-Charakter von Schaltern ( wie bei den meisten Arten von Lichtschaltern ) einer grundsätzlichen mechanischen Gegebenheit entspricht, die man als Stoßen und Ziehen erfährt. Ein Kippschalter wird entweder hochgestoßen oder niedergedrückt ( oder « umgeschaltet » oder « an- bzw. ausgeknipst » ); eine Variante, der Drehschalter, wird entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn gedreht. [Abb. 1] Bei der Bedienung der echten Alternative zum Kippschalter, beim Tastenschalter, drückt man hinein, und dann, um den Vorgang rückgängig zu machen, drückt man noch einmal und löst den Knopf, damit er seine ursprüngliche, hervorstehende Position wieder einnehmen kann – oder man drückt einen zweiten Knopf, der den ersten zurückspringen lässt wie beim dualen Tastenlichtschalter. Einige elektronische Geräte, wie Autoradios aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, haben eine MehrfachwahlFunktion : jeder Knopfdruck hebt den zuletzt erfolgten Bedienungsvorgang auf und leitet zugleich einen neuen ein. So wurde ein analoges Radioband digital kontrolliert. An einem bestimmten Punkt in der jüngeren Technikgeschichte wurden elektromechanische und elektronische Schalter gebräuchlicher als rein mechanische. Ich muss diese Umstellung miterlebt haben, aber nicht als eine unvergessliche persönliche Offenbarung. Als Ergebnis dieser technischen Veränderung sollte der « Taster », ein « monostabiler » Druckschalter ( im Gegensatz zum « bistabilen » mit zwei Schaltpositionen, « Ein » oder « Aus » ), eigentlich eine spezifische kulturelle Bedeutung erlangt haben, denn der Druck auf den Taster aktiviert einfach irgendeinen Vorgang, der den vorangegangenen umkehrt oder irgendetwas initiiert, das in einer vorprogrammierten Sequenz folgt. Bei diesem Schaltertyp gibt es keine mechanische oder räumliche Orientierung, die « Ein » von « Aus » unterscheidbar machen würde. Keine mechanische Barriere muss überwunden werden, um vom einen Zustand ( « Ein » ) zum anderen ( « Aus » ) zu gelangen; die zwei Zustände folgen wie willkürlich aufeinander. Manche dieser monostabilen Schalter werden statt Taster ( push-push switches ) sachgemäßer Betriebsschalter ( engage-release oder push-to-make switch ) genannt; sie haben unterscheidbare « Rein »- und « Raus »-Positionen, die « Ein » und « Aus » entsprechen, aber ihre Aktivierung bedarf einer konstanten Betätigung ( wie Shift und Ctrl auf einer amerikanischen Standard-Computertastatur ). Andere Betriebsschalter verursachen nur eine Veränderung der ihnen zugewiesenen Funktion und sind so konstruiert, dass sie ihren Ausgangsstatus sofort wieder einnehmen ( Caps Lock und Num Lock ). Wieder andere Taster werden durch Berührung aktiviert und müssen dabei überhaupt nicht bewegt werden : eine Berührung initiiert die Funktion; eine zweite Berührung kehrt diese Funktion um oder wechselt zu einer weiteren Funktion. Ein Tastenschalter, im Besonderen der monostabile Typus mit einer einzigen Position, passt sehr gut ins Zeitalter von Semiologie und Simulacrum, denn seine Bedienung kennt weder Ursprung, Grund noch eine fundamentale Orientierung. Er stellt nichts her als Differenz. Steigt man in das System dieses Schalters ein, während es in einem « An »-Modus ist – nicht in einer räumlichen oder zeitlichen Position ( oben / unten; rechts / links; drin / draußen; vorher / nachher ), sondern in einem Modus ( ein / aus; positiv / negativ ) –, dann kann eine Betätigung in Bezug auf den Ausgangsstatus nur den « Aus »-Modus herbeiführen. Die Vorrichtung selber wie auch ihre Bedienung steht eher für den Vorgang « Veränderung » oder für « Alternative » als für eine bestimmte Veränderung. Die Erfahrung der Bedienung eines Tastenschalters desorientiert den Körper, indem sie ihn von den physikalischen Konsequenzen seiner Handlungen entfernt – dieselbe Bewegung, ein zweites Mal angewandt, ruft das gegenteilige Resultat hervor. Das unterscheidet sich grundsätzlich davon, einen Hebel nach links zu kippen, um eine Kippung nach rechts rückgängig zu machen. Ein anderer Typus elektromechanischer Geräte, der Wärmeschalter, verwirrt das Gefühl, das der Körper von seinem physikalischen Potential hat, noch mehr. Die meisten von uns assoziieren Schalter weiterhin mit Berührung, Druck oder der Ausübung einer bestimmten kleinen Kraft. Das Betätigen eines Schalters verbinden wir mit den allgemeinsten Erfahrungen von Gewicht, Impuls, Widerstand und Schwerkraft. Wärmeempfindliche Bedienungsabläufe verblüffen, weil bei ihnen keinerlei Druck erforderlich ist. Sie verlangen einen anderen, gewöhnlich passiven, obgleich bei jeder menschlichen Berührung involvierten Faktor : Körpertemperatur. Wärmeempfindliche Schalter werden oft in Aufzügen benutzt, wo sie eher aufleuchten als sich bewegen, wenn sie berührt werden. Das Aufleuchten zeigt nur an, dass die « Berührung » oder der Befehl registriert wurde. Dieses visuelle Signal ist arbiträr; an seiner Statt könnte auch ein Ton erklingen. Doch bedarf es irgendeines supplementären sensorischen Signals, weil man sonst nicht bemerken würde, dass ihre Berührung die gewünschte Wirkung hatte. Man wird sich dieser Art Berührung im negativen Sinn bewusst, wenn sie in seltenen Fällen wirkungslos bleibt: Drückt man an einem besonders kalten Tag den Knopf im Aufzug mit angezogenem Handschuh, verhindert der kühle Handschuh, dass die Körperwärme die äußerste « Haut » der Hand ( in diesem Fall die Oberfläche des Handschuhs ) erreicht. Die Berührung leitet zu wenig Wärme weiter, um registriert zu werden. Infolgedessen leuchtet der Druckknopf nicht auf; und der Aufzug setzt sich nicht in Bewegung. Eine solche Erfahrung hat zur Folge, dass man sich plötzlich substanzlos und unfähig fühlt, eine physische Spur zu hinterlassen. In diesem außergewöhnlichen Fall entmaterialisiert der wärmeempfindliche Schalter die lebendige Erfahrung der Berührung; aufgrund eines irrigen ( aber gerechtfertigten ) Gefühls, dass der Körper alles Gewicht und jede Befähigung, Druck auszuüben, verloren hätte, scheint er den Leib seiner Körperlichkeit zu berauben. Das analytische Denken widerspricht deinem inneren Körpergefühl, das ja weiterhin das Gewicht des Leibes registriert. Den Knopf stärker zu drücken, verändert nichts. Das Problem liegt in der behandschuhten Hand, deren Oberflächentemperatur weit unter die übliche Höhe abgesunken ist. Unter diesen Umständen verliert der Körper sein Druck- und Einflussfeld – nicht seine Ideologie, sondern seine Aura. [2] _– _– _– 2 Wärmeempfindliche Schalter reagieren natürlich auf Atemwärme wie auf Körperwärme; sie reagieren, mit anderen Worten, auf die signifikantesten Lebenszeichen – Atem und Körperwärme, ganz im Unterschied zu Gewicht, das auch totes Gewicht sein kann. 3 Marcel Proust, Im Schatten der jungen Mädchen, Walter Benjamin / Franz Hessel (Übers.), Frankfurt a. Main 1987 ( = Benjamin, Gesammelte Schriften, Hella Tiedemann-Bartels ( Hg.), Suppl. II ), S. 25. Franz Hessel arbeitete gemeinsam mit Benjamin an der Übersetzung, die 1927 erschien. Entsprechung Eine Verbindung – nicht mehr und nicht weniger arbiträr als die Schalterwirkung – kann zwischen der Körpertemperatur und Walter Benjamins Konzept der Aura hergestellt werden, die er mit der Integration von Geist, Körper und Kultur in herkömmlichen Gesellschaften in Zusammenhang brachte. Benjamin bemühte sich zu verstehen, wie sich menschliche Werte in einem Zeitalter rasanter technologischer Fortschritte, die nicht nur die materielle Bedeutung der Dinge, sondern auch die Beziehung zwischen Objekten und ihren Bildern veränderten, fortentwickeln. Die Auswirkungen der Photographie und des Films als neue Mittel der Reproduktion und Verbreitung von Bildern hatten im kommerziellen Bereich der Nachrichtenund Unterhaltungsindustrie, in dem die Massenmedien – Zeitungen, Kino, Radio – an die Stelle von Literatur und Theater traten, viele Parallelen. Das alles waren Phänomene, die Benjamin beschäftigten. Als Benjamin in der Mitte der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts an der deutschen Übersetzung von Im Schatten der jungen Mädchen, des zweiten Bandes von Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, arbeitete, hatte er Gelegenheit, über einfache optische Geräte und wie sie die menschliche Perspektive neu ausrichteten, nachzudenken. Man betrachte diese Passage aus Prousts Text, in der der junge Marcel davon berichtet, wie er eine Theatervorstellung mitverfolgte: « Ich sagte meiner Großmutter, ich sähe nicht gut. Sie gab mir ihr Opernglas. Allein, wenn man an die Wirklichkeit der Dinge glaubt, gibt der Gebrauch eines künstlichen Mittels, sie sich zeigen zu lassen, nicht das äquivalente Gefühl ihrer Nähe. Ich dachte, das sei nicht mehr die [Schauspielerin] Berma, was ich sah, sondern nur ihr Bild im vergrößernden Glase. Ich legte das Glas weg; aber war nun das Bild, das mein Auge durch die Entfernung verkleinert empfing, exakter ? Welche der beiden Berma war die richtige ? » [3] Proust beschwört hier ein Gefühl der Simulation, wie sie besonders postmodernen Theoretikern vertraut ist, einen Status reziproker Ähnlichkeit, der die Autorität des Originals untergräbt. Der junge Marcel erlebt ein Beispiel einer technischen Verbesserung. Einen bestimmten Anblick oder ein bestimmtes Bild durch ein Opernglas zu reproduzieren, bietet den Vorteil gesteigerter Größe und schein- 18 19 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) Abb. 1 Claes Oldenburg, Light Switches – Hard Version (1964), bemaltes Holz und Metall, 121,3 x 121,3 x 29,9 (Privatbesitz) Abb. 3 Claes Oldenburg, Soft Switches (1964), Vinyl gefüllt mit Dacron und Leinwand, 119,4 x 119,4 x 9,1 cm (The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Missouri) Abb. 2 Eugène Atget, Coin rue de Seine, 6e (ca. 1924) (Musée Carnavalet, Paris) _– _– _– 4 Vgl. Oliver Sacks, Migraine : Understanding a Common Disorder, Berkeley 1985, S. 56. Im Griechischen kann aura sich auf eine kühle Brise, die vom Wasser erzeugt wird, beziehen. 5 Vgl. Proust ( wie Anm. 3 ), S. 25f. Ich danke Katy Siegel dafür, dass sie mich auf die Stelle bei Proust aufmerksam gemacht hat. 6 Walter Benjamin, « Kleine Geschichte der Photographie » ( 1931 ), in : Gesammelte Schriften ( wie Anm. 1 ), Bd. 2.1, S. 378; ders., « Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit » ( 3. Fassung, 1939 ), in : ebd., Bd. 1.2, S. 479. 7 Man kann aber auch sagen, dass die Aura eine signifikante taktile Dimension hat; vgl. Richard Shiff, « Handling Shocks : On the Representation of Experience in Walter Benjamin’s Analogies », in : The Oxford Art Journal, 15 ( 2 ), 1992, S. 88 – 103. barer Nähe; aber sobald diese abrupte Verwandlung des Bildes eingesetzt hat, muss sich der Betrachter fragen, ob das Glas in Wirklichkeit nicht die Realität des Objekts verzerrt, oder, als Alternative, ob die Wahrheit des unvermittelten Anblicks sich nicht irgendwie verringert hat, ohne Aussicht darauf, ihren vorherigen Status wiederzuerlangen. Das optische Wechselspiel zwischen groß und klein, nah und fern verschleiert den essentiellen Charakter und das Wesen der Wirkung der Schauspielerin und ihrer Darbietung, ohne den Wunsch des Betrachters verringert zu haben, dieses lebendige Objekt, mit seinen besonderen Qualitäten, « in greifbarer Nähe » zu erfahren. Proust führt im nächsten Absatz einen Ausdruck ein, der bei Benjamin sehr prominent werden sollte : Aura. Das Wort, das im französischen Original – vermutlich weil es der Fachsprache der Medizin entnommen ist – unter Anführungszeichen gesetzt ist, stößt weitere Gedanken des Erzählers über die Beobachtung wichtiger Dinge an, die sowohl nah als auch fern scheinen müssen – nah, weil die Wirkung überwältigend und unausweichlich ist, fern, da die volle Wirklichkeit nie begriffen werden kann. Aura setzt Nähe und Ferne einander entgegen – wie ein Tastenschalter wechselt sie ständig von einer Wirkung zur anderen, verwischt räumliche Verhältnisse und hindert die beiden Pole daran, zu einfachen Gegensätzen zu werden. Die Aura bewirkt etwas Ähnliches für den mit Nähe assoziierten Tastsinn wie für den mit Ferne assoziierten Gesichtssinn. Interessanterweise führt die medizinische Definition der Aura Berühren und Sehen in der Substanz der Luft oder des Atems oder des Dampfes zusammen : Für einen antiken griechischen Arzt bezeichnete Aura eine Sinneshalluzination, die epileptische Anfälle begleitete. Die Empfindung war die eines kalten Dunstes, der durch den Körper in den Kopf aufstieg, von dem er als sichtbarer Lichthof abstrahlte. Die Mediziner der Antike hielten dies für möglich, weil ihrer Ansicht nach die Gefäße des Körpers neben anderen Flüssigkeiten auch Luftströme transportierten. [4] Die Aura konnte – wie ein Atemzug oder das Ausstrahlen von Körpertemperatur – sowohl mit dem Inneren wie dem Äußeren, der Substanz des Körpers wie seinen externen Manifestationen und Wirkungen identifiziert werden. Aura konnte als « Berührung » erfahren werden, nicht notwendigerweise weil sie aus einer ( sichtbaren ) Substanz bestand, sondern weil sie eine Temperatur hatte, eine physikalische Kraft, die leicht von innen nach außen, durch ein Medium zum andern, geleitet wurde. In seiner Beschreibung des Auftritts der Berma bezieht sich Proust auf die « ‹ Aura › rings um die großen Ereignisse », die « auf Hunderte von Kilometern » zu « sehen » ist – zu « sehen », weil sie sich durch eine Art Berührung mitteilt. Prousts Beispiel für solch ein auratisches Ereignis ist das weit entfernte militärische Gefecht, über das « ziemlich dunkle Nachrichten » zirkulieren, das aber dennoch zu einem kohärenten, kollektiven Gefühl in der Menge führt. Es ist, als würde – um eine Benjaminsche Metapher zu bemühen – die Menge die Realität des Ereignisses, herangetragen von einer bedeutungsschwangeren Brise, egal ob warm oder kalt, in sich aufnehmen. Mit dieser Massenreaktion auf ein berichtenswertes Ereignis vergleicht Proust den Applaus der Menschenmenge im Theater, eine Reaktion auf das Genie der Berma, die oft in unangebrachten Momenten während ihrer Darbietung ausbrach. [5] Applaus wirkt wie ein Gerücht. Er wird autogenerativ, indem er seine Simulation in der Form eines immer enthusiastischeren Beifalls wie einer entsprechend größer werdenden Begeisterung für die Darbietung hervorbringt. Bei solch spontaner Steigerung fragt man sich, wie sich diese Massenreaktion auf die Aura der Berma zur Realität ihres Schauspiels verhält ? Die Benjaminische Aura ähnelt der Proustschen in ihrer Vielgestaltigkeit. In Benjamins Aufsatz Kleine Geschichte der Photographie ( 1931 ) findet sich eine Definition von Aura, die er in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ( 1935 – 1939 ) wiederholt : « […] einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag ». [6] In seiner modernen Ausprägung konnotiert das Wort Aura üblicherweise Qualitäten, die durch den Sehsinn erfasst werden – Brillanz, Leuchtkraft, Schein –, ungreifbare Phänomene, die von weitem wahrgenommen werden können. [7] Wie im Diskurs der antiken Medizin verbinden sich mit Aura solche Assoziationen, da der Begriff sich von den griechischen und lateinischen Ausdrücken für Hauch, Atem oder bewegte Luft herleitet, etwas Ätherisches, das sich ausbreitet und die Umgebung durchdringt. Obwohl das Auge seine Substanz nicht sehen kann, kann man sich einen Hauch ( wie das Flair, das ein Ereignis umgibt ) als luminose Emanation vorstellen; in diesem Konzept von Aura konnte Benjamin Einatmen ( atmospheric inhalation ) und Ausstrahlung ( visible halation ) miteinander verschmelzen : « An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont […] folgen, bis der Augenblick oder die Stunde Teil an ihrer Erscheinung hat – das heißt die Aura dieser Berge […] 20 8 Benjamin, Kleine Geschichte ( wie Anm. 6 ), ebd.; vgl. ders., Das Kunstwerk ( wie Anm. 6 ), ebd. atmen. » [8] In diesem Fall scheint die Erfahrung der fernen Berge einen unvermittelten, jedoch instabilen, körperlichen Kontakt herzustellen : Du atmest das Objekt – die Berge, die du betrachtest –, du atmest dieses Objekt wie Luft ein und aus. Du nimmst das Medium körperlich auf, das dem Sehsinn seine Funktion garantiert ( da die Atmosphäre durchsichtig ist ), aber dieses Medium überträgt auch etwas von der Körperlichkeit des Objekts ( vielleicht seine Wärme oder Kälte, seinen Geruch, gar seinen Geschmack ). Die Entfernung des Objekts schwindet. Dennoch bleibt das Objekt von uns getrennt. Die übliche Unterscheidung zwischen Innen und Außen scheint verändert. Ist dieses äußerliche Ding plötzlich in dein Inneres eingedrungen, unter die Haut gegangen ? Wandert es ein und aus, wie Körperwärme ? Das würde ihm eine größere Substantialität verleihen als wenn es bloß sein – immer fern bleibendes – visuelles Bild projizieren würde. Wie die Aura, aber anders als ein Bild indiziert Temperatur eine bestimmte Präsenz. Luft und Atem haben – wie auch die Aura – eine Temperatur. Die Aura im Gegensatz zum Bild : Um sein Thema des Verlustes der Aura im Zeitalter der mechanischen Reproduktion von Bildern – im Besonderen im Zeitalter des Tonfilms und seiner Möglichkeit, instantan sowohl Nachrichtenereignisse wie Theateraufführungen wiederzugeben – zu beschreiben und auszuarbeiten, nimmt Benjamin den Filmschauspieler als Beispiel. Dieser Darsteller steht vor der Kamera, nicht vor Publikum. Der Schauspieler vor der Kamera ist nicht in der Lage, mit seinem Publikum ein Medium ( die Luft, die Entfernung ) zu teilen; im Unterschied zu Prousts Berma ist er für andere kein lebendiges, auratisches Objekt noch kann er zu anderen in eine reziproke Beziehung treten. Benjamin schreibt : « [Z]um ersten Mal – und das ist das Werk des Films – kommt der Mensch in die Lage, zwar mit seiner gesamten lebendigen Person aber unter Verzicht auf deren Aura wirken zu müssen. Denn die Aura ist an sein Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr. Die Aura, die auf der Bühne um Macbeth ist, kann von der nicht abgelöst werden, die für das lebendige Publikum um den Schauspieler ist, welcher ihn spielt. Das Eigentümliche der Aufnahme im Filmatelier aber besteht darin, daß sie an die Stelle des Publikums die Apparatur setzt. So muß die Aura, die um den Darstellenden ist, fortfallen – und zugleich die um den Dargestellten.» [9] 9 Ebd., S. 489. Benjamins Reaktion auf die Filmtechnologie war nicht außergewöhnlich, obwohl er sie zu einer außerordentlich provokativen Sozialgeschichte entwickelte. Man vergleiche diese Feststellung einer früheren Generation : « Die Schauspieler spielen einmal, und es bleibt für die Ewigkeit; ihre Gesten sind festgehalten und wenn sie alle in einer Katastrophe sterben sollten, würde das nichts am Weitergehen des Spektakels, das immer das gleiche bleiben wird, ändern », Rémy de Goumont, « Cinématographe », in : Mercure de France 69, 1. September 1907, S. 126. _– _– _– 21 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) 10 Benjamin, Das Kunstwerk ( wie Anm. 6 ), S. 488. 11 Vgl. ebd., S. 496. 12 Ebd., S. 502. 13 Benjamin, Kleine Geschichte ( wie Anm. 6 ), S. 373. Es sei daran erinnert, wie die optische Vergrößerung des Bildes der Schauspielerin Berma, eine einfache mechanische Umwandlung, sich auf ihre Aura auswirkte und ihre Realität fragmentierte, wenn auch in relativ unbedeutendem Ausmaß. Eindringlicher argumentiert Benjamin, dass die Filmkamera ( ähnlich wie eine Wählscheibe oder ein Schalter, die eine Kurbel ersetzen ) « nicht gehalten [ist], die Leistung [des Filmdarstellers] als Totalität zu respektieren ». Bezieht man den Vorgang des Schneidens, der ein Testen und einen Austausch mehrerer Möglichkeiten darstellt, mit ein, müssen « eine gewisse Anzahl von Bewegungsmomenten [die der fertig montierte Film umfasst], […] als solche der Kamera erkannt werden ». [10] Die Filmtechnik greift in entscheidender Weise ein, trennt den Schauspieler vom Publikum, verhindert den gegenseitigen menschlichen Kontakt und löst das Bild vom Körper des Darstellers ab. Der Kameramann, so die berühmte Feststellung von Benjamin, arbeitet wie ein Chirurg, wie um ungehindert von außen durch die Haut ( Bild ) ins Innere des Fleisches ( Darsteller ) zu gelangen. [11] Es liegt im Wesen der Technik, zu wirken. Aber welches Ausmaß technischer Prüfung, Fragmentierung und Rekombination wird unter den Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft und ihrer sozialen Ordnung revolutionär ? Benjamins Essays verweisen auf unterschiedliche Ansätze der Untersuchung, einer davon bezieht sich auf die Schnelligkeit, in der die Technik ein Bild entweder transformieren oder reproduzieren kann : Ein Gemälde « lädt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf überlassen. Vor der Filmaufnahme kann er das nicht. Kaum hat er sie ins Auge gefaßt, so hat sie sich schon verändert.» [12] Das Tempo ist ausschlaggebend. In der Kleinen Geschichte der Photographie merkt Benjamin an, dass die frühe Daguerreotypie eine relativ lange Belichtungszeit benötigte. Aus diesem Grund, meint er, war es der frühen Portraitphotographie nicht möglich, das volle technische Potential der Photographie umzusetzen : es gelang ihr nicht, den Hauch oder den Atem des Objekts anzuhalten oder das Bild von der Aura des Sujets abzulösen. Die frühsten photographischen Modelle lebten « nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein […]; während der langen Dauer dieser Aufnahmen wuchsen sie gleichsam in das Bild hinein […] ». [13] Benjamins Beschreibung suggeriert eine gemeinsame Anstrengung des menschlichen Subjekts und des photographischen Apparats, die der wechselseitigen Empfindlichkeit zwischen dem Schauspieler auf der Bühne und dem Publikum ähnelt. Die Kameratechnik substituiert nur Fertigkeiten der Hand, denn das Tempo des Abbildens ist, wenn auch beschleunigt verglichen mit dem Vorgang des Zeichnens oder Malens, immer noch nicht schnell genug, um das konventionelle Verhalten des Modellsitzenden und seine Wahrnehmungsgewohnheiten obsolet werden zu lassen. Wie das Publikum durch seinen Applaus Teil an der Darbietung von Berma hat, so arbeitet das Modell in einer Daguerreotypie-Sitzung mit dem Apparat zusammen, als wäre er ein reaktionsfähiges Individuum. Das Modell wird zum Schauspieler, korrigiert und verbessert tatsächlich seine Leistung wie auch die der Kamera, indem es in sie « hineinwächst ». Dieser Vorgang vermischt die durch das Gerät erzeugte Realität mit der von der lebenden Person hergestellten. Man vergleiche nur Prousts unauflöslich ineinander verschwimmende Bilder der Berma : das eine durch Linsen, das andere durch Applaus vergrößert. Benjamins Kunstwerk-Aufsatz folgt, unter Wiederholung vieler Sätze, den Argumenten seiner Kleinen Geschichte; er strich aber die Erwähnung des Hineinwachsens in « Bilder » bei langen Portraitsitzungen und wies nur noch auf eine Aura menschlicher Präsenz hin, die man « zum letzten Mal » in frühen Photographien gesehen hat. Eugène Atgets Bilder von « menschenleeren Pariser Straßen » werden demgegenüber zum Paradigma einer vollkommen verwirklichten Photographie – isolierte Ansichten, aus der Geschichte geschnitten und abgelöst von Persönlichkeiten, anstelle von lebendigen Gesichtern, die lebenslange Erfahrungen widerspiegeln ( noch einmal das Verhältnis zwischen Wählscheibe und Kurbel ). [1 4] [Abb. 2] Benjamins praktisch gleichzeitig entstandener Essay über Baudelaire stellt die frühe Portraitphotographie in einem etwas anderen, weniger auratischen Licht dar : « Was an der Daguerrotypie [im Unterschied zur schnelleren Papierabzug-Photographie wie der von Atget] als das Unmenschliche, man könnte sagen Tödliche mußte empfunden werden, war das ( übrigens anhaltende ) Hereinblicken in den Apparat, da doch der Apparat das Bild des Menschen aufnimmt, ohne ihm dessen Blick zurückzugeben.» [15] Dies, argumentiert Benjamin, laufe der Erfahrung der Aura und der damit verbundenen kontemplativen Konzentration, dem « Hineinleben in etwas », der Empathie, zuwider. Menschen wachsen kontinuierlich in gegenständliche Umgebungen und in Körper hinein, einschließlich _– _– _– 14 Vgl. Benjamin, Das Kunstwerk ( wie Anm. 6 ), S. 485. 15 Benjamin, Über einige Motive ( wie Anm. 1 ), S. 646. 16 Benjamin, Das Kunstwerk ( wie Anm. 6 ), S. 491. 17 Walter Benjamin, « Franz Kafka » ( 1934 ), in : Gesammelte Schriften ( wie Anm. 1 ), Bd. 2.2, S. 436; vgl. Benjamin, Kleine Geschichte ( wie Anm. 6 ), S. 371; vgl. Benjamin, Das Kunstwerk ( wie Anm. 6 ), S. 500. 18 Vgl. Walter Benjamin, « Was ist episches Theater ? ( 2 ) » ( 1939 ), in : Gesammelte Schriften ( wie Anm. 1 ), Bd. 2.2, S. 537f.; vgl. Shiff, Handling Shocks ( wie Anm. 7 ), S. 102, Anm. 60. ihres eigenen, den sie üblicherweise verstehen oder von dem sie annehmen, dass sie ihn verstehen. Wenn sie sich verändern, so vollzieht sich der Wandel graduell und ganzheitlich. Kameras hingegen schneiden in Umgebungen und Körper. Wenn es da Kontinuität gibt, dann ist sie « tödlich », konstant. Die Photographie hält jede beseelte Bewegung an; sie zerschneidet und fragmentiert die kontinuierliche Existenz, sei sie von physischer oder psychologischer Substanz. Atgets eigenartig befremdliche Bilder des frühen modernen Paris verwirklichen das Vermögen der Kamera, die Ablagerung oder Geschichte des menschlichen Austauschs, eine Quelle der Aura, abzulösen. Da es der Kamera nicht gelingt, in aktive Kommunikation mit dem Menschen zu treten, wird das Bild, das sie hervorbringt ( die « mechanische » Reproduktion ), zu einer Sache, die außer durch eine Optik des Unbewussten nicht wiederzuerkennen ist. Wenn es überhaupt ein Wiedererkennen gibt, dann kann es nur ein unheimliches sein, eine Erscheinung: vertraut, aber nicht lokalisierbar, weder hier noch dort, weder gegenwärtig noch vergangen, weder die eigene noch die eines Anderen. Die Situation, in die Kamera zu blicken, vergleicht Benjamin mit der Wirkung des eigenen Spiegelbildes auf den Menschen, « dem Befremden des Menschen vor seiner Erscheinung im Spiegel ». [16] Auf ähnliche Weise, so bemerkt er, « erkennt der Mensch den eigenen Gang [im Film] nicht ». [17] Der Film trennt den Menschen von seiner Lebensgeschichte und jeder kollektiven, sozialen Entwicklung, sogar noch bevor die materielle Fragmentierung durch Montage oder Schnitt vorgenommen wird. Aus diesem Grund wird das moderne Kino ( der Tonfilm ) das Medium, das den neuen, revolutionären urbanen Menschen am besten ( und auf natürliche Weise ) entspricht. Paradoxerweise bietet das Kino den Massen eine Möglichkeit, sich ihre eigene unbewusste Wahrnehmungsweise – zerstreut, unpersönlich und vielleicht schockiert ( hinein schneidend ) im Gegensatz zu kontemplativ und empathisch ( hinein wachsend ) – bewusst zu machen. [18] Wenn die zerstreuten Massen den Film als Zerstreungsmedium erleben, dann findet eine eigenartige Verwandlung statt: die Massen beginnen zu verstehen, wie ein Leben jenseits traditioneller « Lebensweisen » aussieht – ein Leben ohne kontinuierliches, mythisches Selbstbild, ohne eine undurchlässige ideologische Schutzhaut, ohne Normen stabiler Technologien und Verhaltensweisen. Solch eine Selbsterkenntnis auf Seiten einer revolutionären Klasse, der urbanen Massen, ist an sich revolutionär. 22 _– _– _– 23 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) 19 Donald Judd, « Jackson Pollock » ( 1967 ), in : ders., Complete Writings 1959 – 1975, Halifax 1975, S. 195. Eine Technologie scheint manchmal einer anderen zu entsprechen, ohne dass es eine zwingende empirische Basis für die Parallele gäbe. Wie in der Schnell-SchnittFilmbearbeitung, so in der elektronischen Computertechnologie. Mit genügend Zeit und Energie kann ein konventioneller Trickfilmzeichner – entweder indem er handgefertigte Bilder vor der Kamera abblättert, oder indem er individuelle Photographien, Kader für Kader, in einen Film verwandelt – die Elemente für jede beliebige Anzahl metamorphotischer und anamorphotischer Transformationen, wie sie einem spezifischen Produkt computerisierter Animation entsprechen, herstellen. Aber der Computer und sein Operator führen diese Transformationen mit der Hilfe elektronisch kodierter Algorithmen durch, die unvergleichlich viel schneller ablaufen als alles händisch Ausgeführte ( das war der Vorteil der Wählscheibe gegenüber der Kurbel ). Darüber hinaus ist die Bildschablone des Computers ein Set von elektronischen Schaltungen oder Ziffern ( nach dem monostabilen Modus ); im Gegensatz zum Negativ in der konventionellen Photographie bleibt diese generative Schablone unabhängig von den Eigenschaften eines bestimmten materiellen Stoffes oder Grundes. Die Schablone, oder das Muster, kann in jeder beliebigen physischen Form reproduziert werden; und, obwohl sie vielleicht durch das Scannen eines Objekts oder schon vorhandenen Bildes entwickelt wurde, könnte sie genauso gut durch das Scannen jeder anderen Quelle, durch die Anwendung einer anderen algorithmischen Operation entwickelt worden sein. Die Digitalisierung zeigt wenig Ehrfurcht vor der Integrität von Objekten oder sogar von Bildern und entfernt die Wahrnehmung ( in diesem Zusammenhang dem Film ähnlich ) noch weiter von der Erfahrung einer Aura und ihrer Besonderheit. Benjamins Argument ist noch immer relevant. Genauso wie die Schnelligkeit der Photographie der fragmentierenden und entfremdenden Wirkung des Films entspricht – als hätte die ältere Technologie die jüngere schon heimlich in sich getragen und erst im rechten historischen Augenblick enthüllt –, so entspricht das Potential des Films, unendlich oft geschnitten und geklebt zu werden, den körperlich desorientierenden Wirkungen der Digitalisierung. Der elektronische Computer fügt der Filmtechnik ein noch nie da gewesenes Maß der Geschwindigkeit und Entmaterialisierung hinzu. Er befreit nicht nur die Hand des Trickfilmzeichners, sondern entbindet auch den Geist von der mühseligen Aufgabe der Planung einer sequentiellen Reihe sich verändernder Bilder. Mit allen Vor- und Nachteilen erlaubt es die Computertechnik dem Prüfen und Austauschen von Bildern in solcher Geschwindigkeit vonstattenzugehen, dass da keine Zeit mehr bleiben mag, ihre Auswahl zu ref lektieren. Die Repräsentation ist der Vorstellungskraft weit voraus, sie entschlüpft der Hand wie dem Auge. Wie Benjamin vom Film sagte : « Kaum hat das Auge die Szene erfaßt, so hat sie sich schon verändert.» Sieht man das als Problem an, dann hat es die Computerisierung nur größer gemacht. Transit In den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bevor der Computer ein Massenkonsumartikel war, reagierten europäische und amerikanische Künstler auf den tatsächlichen oder versprochenen Überfluss in der Nachkriegsgesellschaft. Produktion – eigentlich aber Reproduktion – stand auf der Tagesordnung. Die Situation begünstigte das Schwelgen in einer konsumistischen Populärkultur, in das alle Gesellschaftsschichten involviert waren. Unter Künstlern gab es aber auch eine gewisse Zurückhaltung. Sie zeigte sich in einem verstärkten Interesse an einem personenbezogenen, ja sogar « auratischen » Schaffen. Einerseits gab es Ausdrucksformen des Individuellen : den Abstrakten Expressionismus, zumindest wie er von bestimmten kunstkritischen Fürsprechern wie Harold Rosenberg und Thomas B. Hess wahrgenommen wurde. Andererseits wurden Objekte und Situationen geschaffen, die im Betrachter eine äußerst intensive, besondere Sinneserfahrung auslösen sollten : Konkrete Kunst, Happenings, Minimalismus, Op Art, frühe Beispiele der Pop Art und des Photorealismus. Die erste Position ist mit der zweiten nicht unvereinbar – zumindest nicht in der Erfahrung, im Gegensatz zur Theorie. Im Jahr 1967 kommentierte Donald Judd, der neue Formen des skulpturalen Raums entwickelte als würde er inmitten einer neuen Technologie leben, die Arbeit von Jackson Pollock folgendermaßen : « Getropfte Farbe ist in den meisten [seiner] Bilder getropfte Farbe. Es geht um dieses Gefühl … Es ist nicht etwas anderes, das auf getropfte Farbe anspielt. » [19] Zusammen mit dieser materiellen Unmittelbarkeit begeisterte Judd die Tatsache, dass Pollock industrielle Lacke verwendete – eine Art Farbe, die vorher in der Kunst nicht verwendet worden war. Auch dies schloss wie die körperliche Aktion des Tropfens jede Anspielung auf etwas, das über die unmittelbare Erfahrung des Kunst- objekts hinausging, aus. Auf die eine oder die andere Weise reduzierte sich in weiten Teilen der bildenden Kunst der Nachkriegsjahrzehnte das Potential für den Aufbau einfacher metaphorischer Substitutionen. Die neue Kunst verringerte die Kluft zwischen Objekt und Bedeutung, d. h. zwischen physischer Materie und kulturellem Zeichen. Die Künstler widerstanden der reproduktiven Entfremdung des Bildes vom Körper und suchten eine materielle Basis oder physische Konstante, um Imagination wie Repräsentation daran zu orientieren. Im Jahr 1961 bot Claes Oldenburg eine phänomenologische Lösung an: « Ich habe versucht, mein Bewusstsein im Verhältnis zum tatsächlichen Objekt im Augenblick meiner Wahrnehmung darzustellen. Das wird durch die Umstände der Herstellung erschwert… und es gibt nur eine Möglichkeit, damit umzugehen : die Materialien als einen komplizierenden Faktor des Objekts, selbst als Objekte des Bewusstseins, behandeln. » [20] Der Künstler war bestrebt, der Distanz schaffenden Wirkung des Herstellungsprozesses entgegenzuwirken, indem er das gewählte Material selbst zu einem Ausdruckselement machte, mit dem er sein Körpergefühl identifizieren konnte: Das Medium als Bedeutung statt als Mittler einer Bedeutung. Oldenburg schuf skulpturale Repräsentationen von gewöhnlichen Konsumartikeln und Konsumgeräten in dafür ungewöhnlichen, eigentlich unpassenden Materialien, die aber, nichtsdestoweniger, eine Reihe von vertrauten körperlichen Empfindungen, kinästhetischer wie auch taktiler Art, evozierten. Die Materialien sollten eine Erfahrung von Körperlichkeit hervorrufen, die den Darstellungsgegenstand mit formten. Kippschalter wurden eines dieser Themen; Oldenburg variierte das Thema immer wieder und fertigte unter anderem ein Paar solcher Schalter aus weichem, mit Kapok gefülltem Leinen an oder ein anderes Paar in glattem, zinnoberrotem Vinyl. Sichtbar dem Zug der Schwerkraft folgend, aber zugleich einigermaßen straff, erinnern diese « Schalter » an menschliche Brüste, Nippel und ähnliche Körperteile – es gibt viele Möglichkeiten. In den Arbeiten von Oldenburg nimmt der Kippschalter, eine Fußnote in einer rasant sich verändernden Technologiegeschichte, die Eigenschaften von menschlicher Haut und Fleisch an, ruft den Gedanken an eine organische Entwicklungsordnung wach und schreibt sich in eine transhistorische Reihe der Körperbilder ein. [Abb. 3] Judd war der erste, der sich 1964, in ihrem Entstehungsjahr, zu Oldenburgs Soft Switches äußerte. Er merk- _– _– _– 20 Claes Oldenburg, Store Days, New York 1967, S. 81. 21 Donald Judd, « In the Galleries : Claes Oldenburg » ( 1964 ), in : ders., Complete Writings ( wie Anm. 19 ), S. 133. te, dass ihre Form funktionalen Schaltern entsprach, während der sinnliche, materielle Faktor ins Erotische spielte : wegen der Körperhaftigkeit der weichen Leinwand oder des schlaffen Vinyls, aber auch wegen der strukturellen Anspielung auf Nippel, und darüber hinaus, weil Nippel Brüste evozieren. Nicht immer allerdings. Nach Judds Ansicht waren die Soft Switches in ihrer Wirkung weniger metaphorisch, als man denken würde: « Das sind nicht zwei Brüste, das sind nur zwei Nippel. Die zwei Schalter sind zu klar, zu eindeutig Schalter, als dass sie Brüste sein könnten. » [21] Judd meinte, dass die Formen ihre Identität als Schalter – welchen anderen Titel sollten sie haben? – behielten, dennoch stellten sie weder gewöhnliche Schalter noch Brüste dar. Weder reproduzierten noch repräsentierten noch bezeichneten sie einen Schalter eines bestimmten Typus oder einer bestimmten Größe. Trotz aller in ihr angelegten evokativen, metaphorischen Möglichkeiten war Oldenburgs Skulptur, wie Pollocks Farbe, schlicht das, was sie war, ein « Objekt des Bewusstseins », auf das ein Mensch mit der Aufmerksamkeit aller Sinne reagieren konnte. Sie widersetzte sich der Verwandlung in ein bloßes Bild. Das Beispiel von Oldenburg zeigt, dass in einer Welt, die von technologischen Schocks ( das Drehen der Wählscheibe statt der Kurbel, das Tastentelefon anstelle des Wählscheibentelefons, elektronische Geschwindigkeit anstelle mechanischer ) geprägt ist, Kunstwerke weiterhin das am unmittelbarsten erlebte Körpergefühl ansprechen. Das ist der Fall, obwohl das Werk nie das Ideal vollkommener Unmittelbarkeit erreicht – an das sich Künstler, die mit Produktionstechniken ringen, vielleicht eher aus rhetorischem Kalkül denn aus einem tatsächlichen Glauben heraus halten. Kunst wird den offenen Schalter zwischen Medium und Bild nicht schließen. Im Gegenteil, die beiden Erfahrungsbereiche bleiben getrennt und voneinander abgewendet. Malerei und Skulptur sind Künste der bildhaften Oberflächenerscheinung. Doch führen sie auch durch die Haut hindurch zum Fleisch des Leibes und zu einem substantielleren Gefühl menschlicher Körperlichkeit. Bildende Kunst involviert den Tastsinn mit seinem Potential, den ganzen Körper unserer Erfahrung im physischen Raum und in historischer Zeit zu affizieren. Erlaube dir, dafür empfänglich zu sein, dann wird die durchdringende, berührende Kraft eines Kunstwerks eher auratisch als ideologisch wirken. Werde noch empfänglicher, und gewöhnliche technische Geräte – Telefone, Schalter – werden auf dich wie Kunstwerke wirken. — ÜBERSETZUNG : INGRID FICHTNER UND STEFAN NEUNER 24 25 Das Auge vermag einen Gegenstand schnell, ja instantan zu erfassen. Ist die Distanz groß genug, reicht oft ein einziger Blick, um eine Sache zu erkennen. Dem Tastsinn, der nur in intimster Nähe operieren kann, ist solche Geschwindigkeit fremd. Taktile Empfindungen sind lokal und geben erst allmählich Aufschluss über die Beschaffenheit der Dinge. Die Produktion von Kunst gehört in der Regel einer taktilen, ihre Rezeption einer visuellen Ordnung an. Jene ist meist eine Sache zeitraubender, materieller Operationen, diese erschöpft sich nur allzu oft in einem hastigen Hinschauen und eiligen Urteilen. Und dies insbesondere, wie James Elkins zu bedenken gibt, wenn sie im kunsthistorischen Seminarraum stattfindet. Die akademische Analyse hat gemäß ihrer diskursiven Natur, in ihrer Ungeduld, zu Schlüssen zu gelangen, wenig Sinn für die Rationalität langwieriger handwerklicher Prozesse. Es ist ein zentrales Anliegen des amerikanischen Kunsthistorikers, die Aufmerksamkeit seiner Disziplin auf die materielle und manuelle Dimension der Malerei zu richten, mit der er selbst als ausgebildeter Künstler auch praktisch vertraut ist. Auf den folgenden Seiten macht sich Elkins grundsätzliche Gedanken über die theoretischen und methodischen Voraussetzungen eines solchen Projekts und zeigt – nicht zuletzt in kritischer Rückschau auf die eigene Arbeit –, an welche Grenzen es gelangen muss. ( sn ) James Elkins On Some Limits of Materiality in Art History Something like the following passage might be a common claim in the current literature : The optical models of modernism are part of our past. We can understand their ideology and the desires that produced them, and we can see how they supported a certain kind of art. But now those optical models are fading. The first decade of visual studies in the 1990s, with its emphasis on disembodied media and digital images, has been supplanted by a new and more versatile awareness of the real range of images. Clement Greenberg’s high-modernist trust in eyesight is no longer viable, now that works of visual art are so often also textual, olfactory, tactile, or auditory. Synesthesia, Einfühlung, empathy and sympathy, immersion, performance, and embodied encounters are now central to the art experience. Art history is no longer an archivist’s or iconographer’s paradise, driven by textual sources : it has become attentive to the physical stuff, the presence, the material of the artwork, its bulk, its human scale, and even its « base materiality ». Theories of visuality have abandoned the geometric diagrams of Jacques Lacan in favor of more somatic accounts of seeing in Derrida, Merleau-Ponty, JeanFrançois Lyotard, and Deleuze and Guattari. Seeing is embodied, and it should no longer be separated from touching, feeling, and from the full range of somatic response. Versions of this claim recur in conferences and in edited volumes. It is explicit in the rejection of Baudrillard in favor of authors like Lev Manovich, and in studies of modernism such as Caroline Jones’s Eyesight Alone. The claim is also elaborated in visual studies anthologies, such as Marita Sturken’s and Lisa Cartwright’s Practices of Looking or Nicholas Mirzoeff ’s original anthology, Visual Culture Reader. [1] Versions of the claim underwrite studies of recent bodycentered performance and video art by Irit Rogoff, Peggy Phelan, and others. In academic art history, a version of this claim underwritten by MerleauPonty is one of the principal differences between Michael Fried and C l e m e n t G r e e n b e r g. I n i t s m o s t abstract form, this claim is a principal self-description of postmodernism as well as a starting place for current ideas about post-poststructuralism. It would not make historical sense to argue against this claim, either in this general formulation or in its many specific instances, because it is the tenor of the times. But there are interesting disparities in the conceptualization of the claim in different disciplines. Philosophical discourse has a great deal to say about the shift from opticality to embodied seeing, from vision to touch, from the intellectual, imagined, or ideal image to the physical painting, print, or drawing. Art criticism, too, has a capacious vocabulary for body-oriented work, drawn from psychoanalytic criticism, feminism, postcolonial theory, and area studies. Art history has its own specialized vocabulary, including facture and brushstroke; mark, sign, and trace; matter, form, materialism ( with its Marxist overtones ), and « base materiality », the term used by Rosalind Krauss and Yve-Alain Bois to describe the surrealists’ interest in avoiding representation. There is even theological criticism, which employs terms such as incarnation, acheiropoietai, homoiôsis, homoiôma, and homo ousia. In this essay I will concentrate on just three topics, which I think are crucial for the coherence of this claim. The first problem is that history, visual studies, Bildwissenschaft, and art theory take an interest in materiality provided that the examples of materiality remain at an abstract or general level. Past a certain point, art history and other fields are not interested in materiality, but they lack an account of why they should not be more interested. The second problem is that conceptualizations of materiality are easy to find – as in my last two paragraphs – but encounters with examples of materiality are difficult to sustain. In less abstract language : it is relatively easy to build theories about materiality, but relatively difficult to talk about materiality in front of individual objects. I will name these two problems the fear of materiality and the slowness of the studio. Behind both of them lies the fact that phenomenology, and phenomenological criticism, inform current writing in all the fields I have mentioned. Phenomenology sets tacit limits to the specificity of talk about materiality. This is the third problem, which I will call the limits of phenomenological detail, and I will mention it brief ly before turning to the first and second problems. 1 Marita Sturken / Lisa Cartwright, Practices of Looking : An Introduction to Visual Culture, Oxford 2001 ( second edition forthcoming ); also Nicholas Mirzoeff, An Introduction to Visual Culture, New York 1999; Nicholas Mirzoeff ( ed.), The Visual Culture Reader, London 1998 ( second edition, 2002 ); Jessica and Stuart Hall ( ed.), Visual Culture : The Reader, London 1999; Sunil Manghani / Arthur Piper / Jon Simons ( ed.), Images : A Reader, London 2006. 26 27 I The limits of the phenomenological detail In art history and art criticism, phenomenology is not only the best available account of sense-transcriptions, it is effectively the only one. Some art historians have read turn-of-the-century German authors such as Theodor Lipps and Robert Vischer, but most invoke Merleau-Ponty ( and more distantly, Sartre and finally Husserl ) when it becomes necessary to cite a theoretical source for observations that are often informal transcriptions of the writer’s own bodily reactions in front of artworks. To my mind some of the most interesting art history currently being written is done by writers who are attentive to what their bodies tell them about artworks ( or who are compelled to pay attention, for reasons that would have to be sought outside of phenomenology ). I am thinking of writers as diverse as Jean-Louis Schefer, Richard Shiff, Gottfried Boehm, Michael Fried, and Georges Didi-Huberman, and I would interpret the diversity of the list as an indication of the pervasiveness of art writing informed and even delimited by phenomenology. Still, it’s significant that phenomenology is usually kept a little behind the scenes – Merleau-Ponty is not often quoted directly, because he seldom provides direct support for the kinds of writing that art historians and critics prefer. The description of mixtures of senses, bodily attractions and analogies, somatic stand-ins for the viewer « in » the paintings, proceed independently of their ultimately phenomenological foundations. In part the relative absence of Merleau-Ponty from the footnotes of art history, visual studies, and art criticism is a matter of habit : writers educated in doctoral programs will have read him when they were students, but – aside from the ubiquitous essay on Cézanne – he is not often part of current conversations on art. But there is a deep reason why an attempt to invoke Merleau-Ponty as a theoretical source might seem unnecessary, and it has to do with the very simple matter of crit- ical vocabulary. Merleau-Ponty’s work involves words like « sensation », « horizon », « body », « head », « eye », « touch », « interior », « exterior », and « perspective ». Art historical and art critical analyses tend to depend on much more specific things : the way Cary Grant walks up the stairs in Notorious, the infantile balloonish forms in Lisa Yuskavage, the annoying pulse of a repetitive video by Bruce Nauman. This is an old issue in the relation between art history and aesthetics, where it has been said in several different ways : art history explores the particular, and aesthetics posits the particular, but art history explores the particular; aesthetics depends on the particular as a counterpart to its central interest in the universal and the general, but art history depends on the general to create meaning for its investigations of the particular. [2] I do not want to open these questions here, because the point I am after is much simpler : it is just that Merleau-Ponty does not provide the vocabulary to describe individual artworks. Even the Cézanne essay is so general that commentators are left to their own devices if they want to find concrete examples in Cézanne’s work. The effects of this disparity are wide-ranging. It has been noted that Judith Butler’s work is abstracted and generalized in this way, and Barbara Stafford and I have had friendly disagreements about how embodied contemporary medical imaging and other works of « body criticism » are. It would be possible to do more work on this. A scholar might compare what counts as specificity in Merleau-Ponty’s accounts of painting with what counts as specificity in Michael Fried : that could be a fruitful way of asking exactly how phenomenology informs Fried’s work. But now I want to leave this question and turn to the two other problems. 2 These and other formulations are discussed in James Elkins ( ed.), Art History versus Aesthetics, New York 2006 ( =The Art Seminar 1 ). II The fear of materiality In July 2008, I hosted the second annual Stone Summer Theory Institute, a book series that will eventually involve over 500 scholars, artists, curators, and others in discussions about unresolved issues in contemporary art. The topic for July 2008 was the question « What is an image ? » As I write this, I have just completed the provisional transcription of over 35 hours of conversations, and my co-editor and I are pondering the way the transcript will appear in the book. Naturally, given the question « What is an image ? » the assembled faculty and students spent time on etymology. The German Bild was discussed, and so were Greek, Latin, English, Spanish, Sanskrit, and Chinese alternates. We agreed, provisionally, in a working distinction between picture and image, where – following English usage – picture denotes a physical object, and image denotes a memory, ideal, idea, or notion of a picture. The distinction proved to be helpful because some of the participants were more interested in images than pictures : W. J. T. Mitchell, for example, had a lot to say about the ways that images of the Twin Towers in New York City, or political caricatures, travel across media. In those explorations he was less concerned with the physical form of the pictures, and more with the things that were said about them. Other participants, however, were more interested in pictures than images. Gottfried Boehm returned a number of times to the conditions of the encounter with actual images, and he was specially concerned with particular objects. Still, picture and image are only heuristic categories, and in the course of the week-long event many different kinds of connections were explored. One three-hour session was especially illuminating : a seminar led by Jacqueline Lichtenstein, on and around the subject of image, picture, and painting. Throughout the week, the relation of painting to the other two terms was problematic and unresolved. To some people, it seemed best to speak about painting as an historically specific practice, associated with the last five centuries in the West. In that way of thinking, painting has become increasingly marginal, and is not appropriate as an exemplar for images as a whole. But to others, a painting is the central example of an image, and the discourse on painting has intimately informed the theorization of images from the middle ages onward. As a scholar of eighteenth- and nineteenth-century painting, Lichtenstein has a special interest in painting as a way to think about both pictures and images, and she also has an interest in what makes paintings different from other kinds of pictures and from disembodied images. So for the duration of her seminar, the group was invited to consider the materiality or physicality of painting as an indispensable element. The participants did not agree on the importance of materiality – that much could be expected – but they were also far from any agreement on what should count as materiality. Lichtenstein cited detailed descriptions by Huysmans, Diderot, and Baudelaire, emphasizing their interest in the sometimes illegible detail that paintings offer when they are seen from very close up. She said that if we consider the texts on painting produced by art history, very few are on what she would consider painting : the textures, colors, and lines. She asked how we describe spots, patches, finger marks, and dots, and she observed that the long tradition of ut pictura poesis had made it easier to write about images than pictures – and by implication, easier to write about pictures than paintings. [3] We then talked for a while about the difference between embodied marks in painting and disembodied « marks » on a computer screen, and about Jacques Rancière and whether his writings on painting are an indication that he is theorizing about pictures or paintings, rather than images. On these and other topics our conversation was fluid and fluent, and there were no major objections : a consensus might have been that art history and visual studies can become more attentive to materiality, but that the possibility of writing attentively about a painting’s physical form has been inherent in Western art writing since the generation of Diderot. Problems began to emerge, however, when the conversation turned to the extent and limits of art history’s potential attention to materiality. How much materiality can appear in an art historical text ? I mentioned my book What Painting Is, which offers full-page details of portions of paintings that are on the order of 70 mm across, and very detailed, mark-by-mark analyses of them. [4] That book is flawed, I said, and it has been rightly criticized, for giving up the history of oil painting in order to talk in such myopic detail. When you get that close to a painting, and pay careful attention to each barely visible mark, stray brush hair, fingerprint, and scratch, you find it is nearly impossible to connect your observations to art historical accounts of the paintings. Nearly impossible, I said, but not completely impossible. The problem with What Painting Is isn’t that there is no meaning to very tiny portions of paintings, or that history has to be left completely behind when you look so closely at oil paintings. The problem is that it becomes excruciatingly difficult to keep talking or writing when you are looking very closely. And yet it is never impossible. The ideas come much more slowly – this is the slowness of the studio, which I will consider below – and they are hard to attach to other people’s meanings ( to the whole history of writing on, say, Monet or Sassetta or Rembrandt ). They begin to sound eccentric, forced, or willful. I think of that book as an extreme case, a limit case, of what Lichtenstein said about the lack of books on painting. I draw two conclusions from this episode. First, the interest that art historians and others have in materiality has no inner logic that prevents it from paying closer and closer attention to a picture’s materiality. There is no account of the materiality or physicality of an artwork that contains an argument about the limits of historical or critical attention to materiality, and therefore there is no reason not to press on, taking physicality as seriously as possible, spending as much time with it as possible, finding as many words for it as possible. The fact that historians 28 29 and others do not do so demonstrates, I think, a fear of materiality. The « purely » or « merely » physical or material is conceived as a domain that is somehow outside of historical interpretation, or even outside of rational and critical attention. It is assigned to making, to the realm of art production, and therefore it is set safely apart from historical, theoretical, and critical accounts. In the Stone Summer Theory Institute, I proposed that no such gap exists, and in other conversations we generally agreed it is unhelpful to divide the visual into rational and non-rational, or linguistic and non-linguistic. And yet our habits of writing and thinking continue to imply such a divide. The book What Painting Is is deeply flawed for a number of reasons, but it demonstrates that it is entirely possible to go on seeing, and also speaking about what we see, as we take the artwork’s materiality more and more into account. We do not do so – and since that book, I haven’t done so either – but not because of a structural problem in discourse. What stops us is not a lack of interest, as the seminar’s enthusiastic conversation showed : we are prevented by an anxiety about what we could say, and an interest in keeping the status quo. In art history, it is a topos, a commonplace, to assert that the discipline is interested in materiality and physicality. But it is a fact, a unpleasant one, that the overwhelming majority of art historians and critics do not want to explore beyond the point where writing becomes difficult. 3 I am paraphrasing because as I write this ( summer 2008 ), the transcript has not yet been reviewed and edited by the participants. 4 James Elkins, What Painting Is, New York 1999. III The slowness of the studio Academia is a very fast place. In the sciences, equations can be written hour after hour as fast as the instructor can manage. I have been in science classes where a fifty-minute lecture was enough to fill three fifteen-foot blackboards ten times over with graphs and equations. In the humanities, thoughts can f lash by in blinding succession. A single conversation can stoke a research project for a year, and a seminar can become a pummeling succession of brilliant insights. This speed has consequences for the kinds of questions that can be asked about materiality. [5] The studio, by contrast, can be overwhelmingly slow. Objects get in the way : large things are difficult to move, viscous substances are hard to control. Artists have two fundamental choices : either they optimize their methods and media so they can make things more efficiently, or they stick with what they have and learn to think at its level. The division is not exclusive, but it cuts deep. My impression is that art historians tend to think that artists regard their studios as tools, with no more affection than the historians have for their computers. I think the art historical opinion, largely, is wrongheaded, and it excuses art historians from looking into the day-today workings of the studio, where materiality is encountered in ways that are not always amenable to the conceptual speed of scholarship. The challenge for a newcomer to artists’ studios is to try to think at the speed and in the rhythm that is right for a given medium and purpose. Art historians who are new to the studio can find their minds racing like the engines of cars stuck in the ice. After a time they may notice that their thoughts are ill-matched to the objects around them, but it can be difficult to figure out how to pay attention in a more appropriate manner. When you watch an artist, or make art yourself, nothing may happen for long periods of time, and even when something does take place, it may not be immediately clear what it was, or whether it might be important. To some degree the problem occurs in any medium, but the situation may be strongest in the visual arts. Few people have had the experience of starting to work on a large marble block, where ten minutes of hard work will only yield a pitiful dent. A dab of paint may cost an artist several minutes’ work, adjusting the color, the thickness, and the load on the brush – but it may only represent a few leaves on one tree in a landscape of trees. To a philosopher, this might not seem to be an issue at all. If ideas come more slowly in the studio, maybe the thing to do is wait, and collect insights and concepts that have accumulated over a long interval. Take the sum total of insights gained over a month in the studio, compress it, and it is ready for analysis. Conceived this way, slowness amounts to nothing more than an annoying impediment. An hour in the studio would be like an hour with a phlegmatic teacher. But consider some things that slowness means. Slowness feels like work. For the first few days, someone used to academic discourse may find studio work stultifying. A typical art history student, exposed to the studio, wants to try everything, and get to know the studio in a day or two, as if it were a book that could be expertly skimmed and condensed for future use. The experience can be unpleasant and disappointing in a particular way : it may start to feel like manual labor. It may begin to attract all the feelings that pervade ordinary work: the materiality of the studio will look dull, repetitive, dirty, and insufficiently rewarding. Class consciousness also pervades many people’s first experiences of the studio. It is common to find students imagining that the studio exists in two modes: either a kind of underpaid work or, in the case of established artists, a heavenly opportunity for self-expression. Both the utopian and the dystopian readings are colored by largely inappropriate projections from the world of manual labor. On the other hand, studio work is labor in many respects, and slowness is one of its principal traits. Slowness is painful. It follows that the experience causes anguish : nothing, it seems, is being learned, and no thought can find expression without being dragged through a purgatory of recalcitrant materials. For the first time in some students’ lives, their hands seem clumsy. In effect, a baptism in the studio can be like returning to infancy: the eye sees something it likes ( say, the contour of a model’s neck ), but the hand simply cannot follow the shape on paper. The student sees something graceful, and her hand draws something awful, and it happens over and over. Like an infant in a crib making wild gestures at a suspended toy, the experience can become intolerably frustrating. Studio art can become a kind of chronic, low-level pain, where the mind is continuously chaf ing against something it cannot have. Academic thinking – the running equations, the scintillating conversations – aims to be as free of that pain as possible. Our conversations in the Stone Summer Theory Institute were nearly seamless : nothing interrupted the flow of words, and when we ran out of ideas on one topic, we quickly shifted to another. It was automatic and unthinking: but it would not normally be possible in the studio. Materiality is something that gets in the way of thinking as well as looking. Slow thoughts cannot be sped up, and thinking slowly is thinking differently. 5 In Pictures, And the Words that Fail Them, Cambridge 1998, I argue that virtually all art historical interpretation moves too quickly. Another book, Our Beautiful, Dry, and Distant Texts : Art History as Writing, second printing, with a new Preface, New York 2000, is an attempt to draw attention to the qualities of art historical writing that proceed from overly rapid interpretation. I have made three claims here regarding materiality. 1. Describing the materiality of artworks demands words that are more specific than the terms available in phenomenology, and yet phenomenology is the principal theoretical ground for accounts of the physicality and materiality of art. But what figures in art history as the materiality of, say, oil painting, is only intermittently related to the generative terms in phenomenological criticism. The result is that talk about materiality in art history and theory is effectively detached from the sources on which it depends. 2. It is one of the common self-descriptions of art history that it pays attention to materiality, to the embodied, physical presence of the artwork. But it only does so in a limited way. In Lichtenstein’s view, most texts on painting written by art historians treat the pictures as images; and from the point of view I took in What Painting Is, even texts that treat paintings as pictures still fail to treat them as material objects. 3. It takes time to experience and articulate the materiality of artworks, but academic discourse prefers its insights to come quickly. Real materiality – paying attention to the matter and substance experienced by artists – does not yield many ideas per page or per day. Like other disciplines, art history and art theory prefer continuous streams of insights and ideas, and so they consider only general aspects of materiality. 30 Die moderne Kunst hat sich dem Haptischen oft verschrieben. Doch gibt es nicht viele Werke, in denen Taktilität mit ähnlicher Konsequenz zugleich produktions- wie rezeptionsästhetisch bestimmend geworden wäre, wie im vorliegenden Fall: Stefan Thiels D.-A.-F. de Sade: Die 120 Tage von Sodom. Fünfundzwanzig in Leinen gebundene Bücher enthalten eine Abschrift des berüchtigten de Sade’schen Romanfragments, die der Künstler in jahrelanger Arbeit, 1994 bis 98, mit einer Braille-Schreibmaschine anfertigte. Nicht allein scheint sich dieses Werk nur Fingerspitzen zu erschließen, es ist auch die wahrhaft eindrückliche Spur einer wohl obsessiv zu nennenden digitalen Produktionsperformanz. Man wird vielleicht fragen, ob es sich hier nicht schlicht um Kunst – oder vielmehr Literatur – für Blinde handelt ? Die Bände werden allerdings jemanden, der sie aufschlägt, um mit Fingern darin zu lesen, ebenso überraschen wie einen der Blindenschrift unkundigen Betrachter. Denn die Blätter in Büchern für Blinde sind – genauso wie in solchen für Sehende – auf beiden Seiten bedruckt und zeigen dem Auge, an das sie sich schließlich nicht richten, ein sinnbenebelndes Gewirr von Erhöhungen und Vertiefungen. Dies ist hier nicht der Fall. Stefan Thiel hat das Papier nur einseitig beschrieben, um die visuelle Qualität der Braille-Schrift als abstrakte serielle Struktur zur Geltung zu bringen und wohl auch, um dem aufgeschlagenen Buch den Reiz einer bildhaft-symmetrischen Komposition zu verleihen ( links sehen wir das Punktmuster als negatives, rechts als positives Relief, links ist der Satz rechtsbündig und rechts linksbündig ). Indem Thiel uns also links die Rückseite eines für Blinde lesbaren Textes vorführt, hebt er auch hervor, dass bei der Blindenschrift der Ort der Einschreibung mit dem der Lektüre nicht identisch ist: Denn die Braille-Maschine perforiert das Papier a tergo und von rechts nach links, damit die Schrift von der anderen Seite her als positives Relief in der gewohnten Richtung abgegriffen werden kann. Man beginnt zu ahnen, weshalb de Sades pornographische Phantasie, die von allen Seiten her in den Körper eindringt und die Ordnung der Sexualität verkehrt, eine logische Referenz dieser Arbeit bildet. Und man wird folgern müssen, dass Thiels 120 Tage nicht auf ein sehbehindertes Publikum hin ausgerichtet, sondern vielmehr dazu bestimmt sind, die Sinne aller Beschauer und Betaster in Verwirrung zu bringen. ( sn ) Stefan Thiel D.- A.- F. de Sade Die 120 Tage von Sodom D.-A.-F. de Sade : Die 120 Tage von Sodom ( 1994–98 ), Künstlerbuch in 25 Bänden, Büttenpapier, in Halbleinen gebunden, ca. 30 x 24 x 110 cm 33 Die zeichnerische Umsetzung perspektivischen Sehens durch Blinde kommt einem Paradox gleich. Und doch lässt sich feststellen, dass auch blinde Zeichnerinnen und Zeichner versuchen, durch die Anordnung und Winkel von Linien räumliche und perspektivische Darstellungen von Gegenständen herzustellen. Die Psychologen John M. Kennedy und Igor Juricevic sind in Versuchsreihen dem Phänomen eines ‹ tastenden › Zeichnens durch Blinde nachgegangen, um zu ermitteln, welche Formen ‹ taktile Bilder › annehmen können. Zu diesem Zweck stellten sie blinden Personen Gegenstände zur Verfügung, die diese tastend erfassen und anschließend mit Hilfe eines Zeichensets wiedergeben sollten, das die gezeichneten Linien als reliefierte Struktur auf einer gummierten Plastikplatte hinterlässt. Die mit dem Kugelschreiber gezogene Linie erzeugt dabei einen Grat im Plastik, der als fühlbare und sichtbare Spur zur Zeichnung wird. Bilder, so zeigt es sich in diesen Experimenten, sind nicht rein visuell, und entsprechend schwer fällt Sehenden oft die Deutung von blind gezeichneten Formen, wie etwa den V-Linien, die zunächst auf umgekehrte Perspektivdarstellung schließen lassen. Tatsächlich zeigen die Formen jedoch keine Verkürzung, sondern eine dem Alter des Kindes entsprechende Darstellung, in der verschiedene Charakteristika des Hauses in einer Zeichnung zusammengeführt werden. Nicht nur in diesem Stadium beobachten die beiden Psychologen, dass die zeichnerische Entwicklung bei Sehenden und Blinden einander entspreche. Im Rahmen eines grösseren Projekts, das über die hier dargestellten Experimente hinausgeht, können sie schliesslich zeigen, dass Blinde im Laufe dieser Entwicklung auf die gleiche Weise wie Sehende die perspektivische Darstellung nutzen. ( jg ) John M. Kennedy / Igor Juricevic «Inverse Perspective» Shapes in a Drawing by a Blind Woman Inverse perspective Sighted children of about 8 to 10 years of age commonly produce pictures of cubes in which the front face is drawn as a square, and a side face is shown with lines diverging as the side recedes. [4] Also, early Renaissance paintings show the _– _– _– Pictures are more than visual, since they can be drawn by people who are congenitally blind, using raised-line drawing kits. [1] Indeed, the development of drawing in the blind and the sighted may follow the same course. [2] If so, it is important to consider inverse perspective, a common kind of drawing that has puzzled art historians and psychologists since, as objects recede, they subtend smaller angles, not larger. Here we analyze a drawing by a blind adult which suggests two-point inverse perspective. We find the forms in the drawing are intended to solve a local problem. We argue this supports the « same course » drawing-development hypothesis. The theory from which the hypothesis is derived is straightforward: Surface edges are tangible as well as visual. Lines depict surface edges for the sighted, and, likewise, raised lines stand for surface edges for the blind. Lines in both vision and touch support perceptual impressions of edges of surfaces. Further, beginners draw shapes that stand for the shapes of surface edges of faces of objects – faces such as their fronts or sides. These shapes are tangible on the object, and in the picture. With practice, sighted and blind people use more and more aspects of perspective: foreshortening, convergence and freehand versions of one, two and three-point perspective. This is due to a shift from copying edges of faces of objects to copying the directions of the edges from a vantage point. In this theory of tactile pictures, touch involves directions. As a result, touch involves foreshortening. As we reach out from our point of observation we discover the directions and distances of objects. Most especially, we discover that tilting surfaces occupy a narrower set of directions from our point of observation the more they tilt, until finally they are edge-on to our vantage point. They « foreshorten » in this fashion just as much in reaching-out and touching as in lookingout and seeing. This applies to distant objects, not just those at hand. If we walk and reach out to an erstwhile distant object, we discover the distance and direction of the object from the vantage point we first occupied. Indeed, we discover that from our vantage point, receding surfaces come to occupy increasingly narrow ranges of directions. A tabletop’s near corners subtend close to 180 degrees when we stand beside it. Foreshortening rapidly, they often subtend less than 90 degrees if we step back only a metre. An object’s set of directions from our vantage point is its angular « subtense ». For sighted subjects this is the object’s « visual figure ». [3] The subtense of the distance between two parallel edges shrinks as the space between the parallels becomes more distant. Eventually, the subtense shrinks to zero, so a single pair of parallels projects to our vantage point as converging to one point. Since three orthogonal axes describe space, parallels project as converging in three orthogonal directions. This means a picture in which parallels diverge with distance – inverse perspective – calls for explanation. In all the possible directions, as objects recede they do not subtend larger angles. 1 M. A. Heller / J. M. Kennedy / A. Clark / M. McCarthy / A. Borgert / E. Fulkerson / L. A. Wemple / N. Kaffel / A. Duncan & T. Riddle, « Viewpoint and Orientation Influence Picture Recognition in the Blind », in : Perception, 35, 2006, pp. 1397 – 1420. 2 J. M. Kennedy, Drawing and the Blind : Pictures to Touch, New Haven 1993. 3 R. Hopkins, Picture, Image and Experience, Cambridge 1998. 4 J. Willats, Art and Representation, Princeton 1997. 34 _– _– _– 35 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) back of a table with lines larger than the ones for the front, and the sides as if folded-out. Controversially, Landerer suggests the painters used drawing systems employed by children today. If the blind and the sighted are on the same developmental path, blind people inexperienced in drawing should also use features suggesting inverse perspective. [5] A 12-year-old blind girl, Gaia, highly practiced in drawing, did indeed draw a cube, a table and a house in what looks like inverse perspective. [6] Her house was drawn as a rectangle for the front, and a rectangular pitched roof was drawn with a short line for the near edge, and a longer line for the roofline. She also drew a cube as six attached squares, as if the cube had been folded out. Gaia considered her inverse perspective drawings to be « better » than her fold-out drawing. However, she did not explain her inverse perspective drawings. A given drawing can be produced by many different drawing systems. Arnheim suggests that drawings that suggest inverse perspective actually arise from showing significant parts of objects. [7] That is, perspective and the visual figure of an object are not at issue. Rather, the goal of the artist may be to show both the left and the right sides of a table in a symmetrical picture. Also the goal may be to have a large area showing the top of a table. If Arnheim is correct, a picture seeming to be in inverse perspective could be drawn by a blind person, and it would represent significant features other than the direction of edges from a vantage point. The task presented to the blind adult reported here was to draw the roof of a model house from a vantage point above the roof. Since the roof peaks, with two rectangles coming together, in front of the observer is a convex corner, its two wings receding from the observer in opposite directions. If inverse perspective is used to show one of the rectangles receding from the observer, it could be used for both rectangles. The result would be two-point inverse perspective, showing surfaces receding in two orthogonal directions, divided by a single line depicting the convex corner. However, a drawing in keeping with two-point inverse perspective could also result from more local considerations. Rather than using a system to do with depth and receding surfaces, we will contend the drawing may be showing the roof overhanging the front and rear walls of the house, and the peak of the roof. Method Subject — M is a legally blind female, age 46 years. She is totally blind in her right eye. She has 10 % peripheral vision in her left eye, with acuity of 20 : 200. She has better peripheral vision than central vision. Her peripheral vision has a circular field of vision. Her blindness is caused by cataract and glaucoma, both conditions congenital. Moreover, she has nystagmus in her left eye. In sum, M has no vision in her right eye, and severely limited vision in her left eye. M has a doctorate in a social science. She rarely draws. Departures from realistic projection in her drawings are more likely the result of being inexperienced in drawing than absence of general education. 5 C. Landerer, Kuntsgeschichte als Kognitionsgeschichte : Ein Beitrag zur genetischen Kulturpsychologie, Doctoral dissertation, University of Salzburg 2000. 6 J. M. Kennedy, « Drawings by Gaia, a blind girl », in : Perception, 32, 2003, pp. 321 – 340. 7 R. Arnheim, New Essays on the Psychology of Art, Berkeley 1986, S. 174 – 175. Procedure — M was asked to draw two pictures of the wooden model of a house. She was allowed to pick up the model and to explore it tactually. For the first picture ( upright house ), the model stood flat on the table, front facing M. She was asked to draw the house as if she was standing in front of the house. For the second picture ( tilted house ), the model was tilted forward 40°. At this tilt, the front portion of the roof is perpendicular to the surface of the table and the roofline forms a convex corner in front of M. M was asked to draw the house at this tilt. As M drew, she was asked to describe what part of the house she was drawing, and to say what the lines she was producing represented. Any questions were nondirective, for example, « What does this part of the picture stand for ? » or « What does this part of the picture show ? » While she was questioned, M’s finger was placed on parts of the picture and she was guided along the relevant lines. She explored the picture and the object herself while answering. No comment was made by the experimenter about the theoretical interests raised by the pictures. Results Figure 2 shows M’s upright-house picture. It resembles a freehand one-point perspective drawing. Lines that converge show the parallel sides of the roof. Also, parallel lines show the parallel sides of the front of the house. M identified a small rectangle inside the large one as representing the front door of the house. Figure 3 shows M’s tilted-house picture. It comprises two adjoining trapezoids, inverted with respect to each other. According to M, the shared middle line represents the roofline ( the top of the roof ). M identified the bottom trapezoid as representing the half of the roof which was approximately perpendicular to the table surface. The upper trapezoid represents the other half of the roof, which slanted downwards and away from M, at an angle of ca. 10º below the horizontal. Discussion M said the Figure 2 drawing of the roof « edges at an angle, to show the point and angle of the roof » and the picture of the upright-house was « projecting what I touched.» The left and right sides of the bottom trapezoid in Figure 3 are diverging and « show that it is not a right angle,» in M’s words. M also reported that the divergence of the left and right sides of the upper trapezoid was intentional, although « they should not diverge as much as depicted.» Her comments confirm that the convergence and divergence in her drawings is intended. _– _– _– Apparatus — M drew her pictures using a raised-line drawing kit comprising textured plastic sheets ( 30.5 cm by 22.5 cm ) which form envelopes, inside of which is placed a slim board with a rubberized front. The plastic crinkles, producing thin raised lines, when drawn-on with a ball-point pen. A wooden model of a house was used. The house had a rectangular base ( 4.4 x 8 cm ) with four walls ( 7.4 cm high to the roofline ), with a raised rectangle ( 2 x 2.6 cm ) representing a front door centred on the lower edge of one wall. The roof consisted of two rectangles joined at an acute angle ( 80° ). The roof rectangles overhung the front and rear walls ( 9 cm overhang ). Fig. 1 The tilted house from the side, with the roof as a convex corner in front of the observer Fig. 2 M’s drawing of a model house from the front, with one-point perspective applied to the rectangular roof Fig. 3 M’s drawing of a model house from above the roof. The rectangles of the roof sections are drawn as if in inverse perspective in two directions 36 Figure 2 has one-point convergence. Although she uses the term projection, which reveals the directions of source objects, she explicitly describes her drawings as « edges at an angle.» The « angle of the roof » and its « point » may be her terms for the roof peak. The angle is the angle at the peak, which is evident visually and tactually at the end wall, not the front. If so, her drawing shows the V-shape of the roof over the end wall while simultaneously showing the front of the house. It is a combination of front and side shapes. Also, Figure 2 has lines that show the roof overhanging the sidelines, projecting to the left and right of the straight sides of the house front. Her roof sidelines continue straight to their junction with the top roofline. Her drawing neglects the fact that the corners of the walls and the edges of the roof are parallel. Figure 3 has two-point divergence. That is, the forms diverge in two directions, one up the page and one down, showing orthogonal surfaces in the referent. It shows the roof sides from above, and simultaneously the V-shape of the roof. In linear perspective, the forms would converge so the longest line would be for the convex corner near the observer, not the roof edges far from the observer. In parallel projection, the corner and far edges would be shown by lines of equal length. Using longer lines for the far edges is a feature of inverse perspective – but that is not the system at work in the present case. Our primary objective here is to argue that if sighted people produce features of inverse perspective pictures in their drawing development, inexperienced blind people should do so too, but neither the blind nor the sighted should be intending inverse perspective. Their rationale should be the need to show local features. M is a case in point. Drawing development requires more and more aspects of direction to be incorporated in pictures, until all three dimensions of space are treated, foreshortening shows receding distances, and convergence shows how this applies to parallel sides. We suggest that M is at the beginning of this daunting task. She is considering the shape of the object’s edges. M depicted the overhang of the roof, the fact that the roof ’s edges are straight all along their length, and the V-shape of the peak. She shows the overhang as projections to left and right of the straight sides of the house and continues her lines straight to the roofline because the roof has straight edges. Her lines meet the roofline at acute and obtuse angles to show the roof is peaked. She entirely neglects the fact that the corners of the walls and the edges of the roof are parallel. M is not using convergence in Figure 2 to show receding parts of parallelsided surfaces, copying directions of parts of objects. Nor is divergence used in Figure 2 in violation of this principle. Rather, convergence and divergence on the page are convenient features to show shapes such as overhang and peaks. She is consistent across pictures in using convergence in Figure 2 and divergence in Figure 3 for the same tasks: overhang, peak, and straight edges. The final form of Figure 3 drew comments from M about being unsatisfactory, but her statement was simply that the divergence was more than she wished, i. e. it did not copy the peak angle accurately. _– _– _– 37 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) _– _– _– M may be at a common jumping-off place in drawing development. She shows shapes of edges. If so, if she practices drawing and corrects herself using her own judgment she should eventually come to deal with directions. This should lead her to notice inverse projection is useful at times, but limited. It fills the picture with near parts of objects and it often removes the option to show far objects. Their directions are filled by the folded-out sides. The stronger the desire to show a large scene, the less inverse perspective can serve. Inverse perspective is common in drawings from sighted 8-to-10-year-olds in developed countries. Its frequency diminishes in later childhood and adolescence. Freehand parallel projection with foreshortening, and one-point perspective convergence, take its place at age 10 to 12. Presumably, the goal of showing the directions of the edges of an object takes over from the goal of copying fronts, tops and sides. Also, the goal of situating the object in a scene would diminish use of inverse perspective. Early Renaissance artists used inverse perspective to show tables, chairs and boxes. Once linear perspective became common knowledge, after about 1413, pictures of vast halls, piazzas, buildings, cityscapes and landscapes proliferated. Likely, an influence on this development is the limits of inverse perspective. Inverse perspective is convenient for showing both the left and right sides of a table or chair or box in one picture. But if the object is being shown in a scene, showing the front and left and right sides of every object would result in neighbouring objects invading each other. The larger the objects and the narrower the gaps between them the more they would bump into each other’s spaces in the picture. The 12-year-old blind girl who used inverse perspective drew a rectangle for the front of the house, and an especially long line for the roofline. [8] The depiction of the roof became wider toward the top of the picture. The result was the roofline projected to left and right of the rectangle. Contact of the roof with the left and right end walls of the house could have been shown as if the end walls were folded-out. Renaissance pictures of tables often take this form, but 12-year-old Gaia omitted the end walls. The drawing is therefore inconsistent. The roofline invades space where the end walls could be shown, but are not. The end walls are not folded out in the real object, and not in the picture, but the roofline offers the opportunity. Such internal inconsistencies between opportunities in the picture and physical features in the object may be the key factor that in time leads the artist to seek a consistent solution, i. e. converging lines to show distance. In sum, a drawing of a house with the form of inverse perspective was produced by an unpracticed blind adult. The reason may have been to show overhang, straight sides of a roof, and a peak. Apparent inverse perspective can result from copying target shapes. Both the blind and the sighted may produce drawings with this form before convergence is used to show distance. If so, this case study supports the hypothesis that drawing development in the blind and sighted has a similar course. 8 Kennedy, Drawings by Gaia (op. cit.). 38 39 Blinde Zeichner dienen auch John Michael Krois als Argument, die Zeichnung nicht als primär visuelles, sondern als haptisches Medium zu begreifen. Krois unternimmt den Versuch einer Bildtheorie, welche die Zeichnung nicht aufgrund von Platons Modell der Mimesis definiert, sondern als einen zeitlichen Prozess der ‹ Verkörperung › versteht. Dabei möchte er sowohl die Überbetonung der Bedeutsamkeit von Bildern durch die Semiotiker wie auch das eher passiv-statische Verständnis des Bildes durch die Phänomenologen überwinden. Ikonische Formen seien niemals statisch oder schlicht präsent, sondern ‹ berührten › ihre ‹ Betrachter › immer in irgendeiner Form. Einer statischen Ontologie des Bildes setzt Krois demnach performative Prozesse entgegen, die er als haptische beschreibt, auch wenn es sich etwa um Röntgenbilder handelt, die letztlich auch erst aufgrund von Kontakten und Berührungen zustande kommen. Die Fähigkeit, Bilder zu ‹ erkennen ›, unterscheide den Menschen gerade von der Maschine, was Krois auf das so genannte body schema zurückführt. Diese dynamische, ikonische Form setze den eigenen Körper immer in Relation zu Raum, Zeit und Bewegung und verbinde die visuelle Wahrnehmung zwangsläufig mit allen anderen Sinnen. Erst dieses body schema erlaube es auch Blinden, Bilder herzustellen. Zwar erfordere das Zeichnen von Bildern ebenso symbolisierende Fähigkeiten, aufgrund derer Linien als Metaphern behandelt werden könnten, doch seien diese – wie das Beispiel der Blinden belege – unabhängig vom Visuellen. ( jg ) John Michael Krois Haptic Beginnings of Depiction « Movement is Form Awake.» [ Plotinus VI. 3. 22, 13 – 14 ] I The assumption that depiction is a matter of visual representation and pictures are copies of the objects they represent found its canonical philosophical expression in Plato’s characterization of mimesis. Of course, the ancient Greeks made depictions of gods and much else that nobody had ever seen, as Plato himself recognizes ( Rep. 377e2 ), but for the mimetic theory such images are simply proof of the unreliable nature of depiction. Hence, image making ( eikasia ) was at the bottom of Plato’s hierarchy of forms of knowledge ( Rep. 509d – 513e ). But even if it were true that the human ability to create depictions of what nobody has ever seen illustrated a tendency to err, then it would still be remarkable that such image making practices are unique to human beings. This fact led the philosopher Hans Jonas to argue in his 1961 essay « Homo pictor » [1] that the « differentia specifica » of human beings – that which distinguishes them from other animals – is their ability to create pictures. This claim contrasted sharply with the traditional view that « reason » was what typified human beings – the capacity for abstract, theoretical thought. But Jonas’s conception of pictures was not revolutionary. His characterization of depiction began with the claim: « An erster Stelle steht die Eigenschaft der Ähnlichkeit.» [2] This assumption, that pictures resemble something else that they depict, may seem obvious, but it has been widely contested since the rise of Modern art. One need only recall Paul Klee’s famous claim : « Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.» [3] The notion of similarity is static: something is given, and something else is made that resembles this given. This relationship admits deviations, but not real creativity, which would consist in the production of something without any models in nature. Klee explained his oft-quoted declaration this way: « In Lessings Laokoon, an dem wir einmal jugendliche Denkversuche verzettelten, wird viel Wesens aus dem Unterschied von zeitlicher zu räumlicher Kunst gemacht. Und bei genauerem Zusehen ist’s doch nur gelehrter Wahn. Denn auch der Raum ist ein zeitlicher Begriff.» [4] The view that space is a temporal concept permits us to understand depiction in a new way, as an original act rather than as reproduction. We need to replace the static notion of similarity as the key to depiction with the temporal process of « embodiment ». A « depiction » requires the creation of a bodily form possessing a kind of meaning – not necessarily resembling something else. Instead of speaking only about depiction I want to rely on the phrase « iconic form », which is more general. To understand the production of iconic forms ( by which I mean images of all kinds ) it is important to avoid one-sided conceptions of the objects in question ( not just works of art ) and in our theoretical approach. For example, it is now commonplace to understand depiction in comparison to language and writing, so that even philosophers with very different orientations ( such as Roland Barthes and Nelson Goodman ) have opted for a purely semiotic approach to iconic forms. As semiotics is usually understood, it treats objects in terms of their meanings, that is, as signs, and only as signs, independently of their embodiment. On a strictly semiotic view, we never arrive at anything stable beyond the signifying function, for the process of referral from signifier to signified is endless; we never arrive at the object itself. The credo « like it or not, interpretation is the only game in town » has, however, met with growing dissatisfaction in recent years. Reacting against this outlook, some theoreticians today seek to return to the concept of « presence » in order to preserve the autonomy of objects in the face of endless interpretation. But this is accomplished at the risk of falling back into static ways of thinking. [5] Even Martin Heidegger’s temporal understanding of « beingthere » [6] is too passive to make sense of the active embodiment found in performances, and since even the act of making a drawing is performative, the notion of « presence » can be of little help in the attempt to understand depiction. As it is usually understood, semiotics overemphasizes interpretation, while Heidegger-inspired phenomenology is inhibited by his emphasis on passivity and anti-modern distrust of novelty. Embodied processes require an enactive approach to objects. The term « enactive » is used today in research on human-computer-interaction to refer to knowledge based on the active use of the hand for apprehension tasks ( think of a touchscreen or, even better, a Wii ). The concept has been extended to include the theory of perception and conceptual thinking – and it can help us to understand depiction and the creation of other iconic forms as well. The view that space is a temporal concept encapsulates the core of enactive thinking, which turns the contrast between « meaning » and « being » around. In the enactive conception objects made from material substances are not « presences », but in a constant state of change, as science and our experience over time tell us they are, whereas meaning and interpretation lift objects out of the changing here and now and give them renewable and enduring significance in time. This invariance of meanings over time is nonetheless a dynamic process, which cannot be understood in terms of static ontology. Natural images, such as imprints ( such as fossils ), and manmade pictures ( such as a photograph of a fossil ) are not static. Their invariance over time derives in part from the fact that each one is an individual material object, although as such it is subject to material aging. In the course of its natural history, each image is able to guide viewers’ actions, perhaps to emotionally move them, and to offer guidance for their conceptual orientation. Iconic forms are never merely present; they do things to their viewers, changing the way they feel, act, or think – either immediately or in the long run. Depiction needs to be understood as a kind of enactment rather than as imitation. In this way, haptic processes, rather than vision, prove to be the basis of iconic forms. 40 41 II Fig. 1 Rosalind Franklin, Photograph 51: x-ray diffraction DNA-B Form, James D. Watson Collection Fig. 2 Leonardo da Vinci, Vitruvian Man (ca. 1487), pen and ink with wash over metalpoint on paper, 344 x 245 mm Fig. 3 M. C. Escher, Drawing Hands (1948), Lithograph, 282 x 332 mm Over the ages, the techniques of machines in which they are produced. depiction have expanded, espe- Computer programs are Cartesian enticially since the invention of photogra- ties, independent of the hardware they phy. [Fig. 1] run on. But human identity derives from This famous photo utilizes invisible the particular continuity of a person’s X-rays. Today, digital imagery can dis- bodily life history. One of the most diffipense with photography completely and cult problems for software engineering create reliable images without cameras is image recognition. Unlike pattern or lenses and without involving even recognition, image recognition is a matpotentially visible objects, such as this ter of understanding what is depicted in still image of the motion of electronic a picture. Humans can recognize in fields in the muscles of the heart. « Captcha » [7] tests that all the pictures Such images depend neither on relate to the same kind of object, but as visible light nor invisible X-rays. Instead, long as computer software has no bodthey are made using the data derived ily experience of living in the world from sensors that register low-level there will be no way that programs can magnetism. Computer programs trans- recognize objects in different images form these signals into an image that that have no common appearance. For maps the data. The « realistic » nature of this, active experience with such objects such scientific images does not derive fills the gaps, but without it the images from any similarity between their remain disparate. appearance and the way something else My thesis is that humans can reccan look to us. Few people can make ognize images because they possess sense of such scientific images without what neurologists call a « body schema ». guidance from experts. James Watson The body schema can be understood was able to recognize the helix form of with the help of Leonardo’s so-called DNA molecules in Rosalind Franklin’s « Vitruvian Man ». [8] [Fig. 2] This picture X-rays, and a cardiologist can under- shows that the body defines a spatial stand the meaning of an image made sphere, so-called peripersonal space, a using MRI electrocardiographical tech- kind of invisible bubble that represents niques to make arterial and ventricular our reaching distance. This space is not electrical activation visible, which can- established by vision, but by our motor not be seen even in open-heart surgery. capacities to reach. This is a dynamic These « imaging » techniques may seem conception of space; it is not fixed, but far removed from the topic of the « hap- changes with our movements. This tic beginnings of depiction », but they sense of space is closely related to our are not, in the sense that they result « body schema ». The neurologist Henry from processes involving different kinds Head coined the term « body schema » in of physical contacts, such as the spray of 1911 to refer to an organised non-conX-rays striking a photosensitive plate or scious postural model of our body in the the measurement of magnetism regis- brain, but the philosophical importance tered by sensors in magnetic resonance of this concept has only been developed imaging ( MRI ) technology. The infor- in recent years, especially by Shaun Galmation derived from such soundings of lagher. Gallagher differentiates sharply a body is not visible but needs to be between the body schema as a constanttransformed into images by instruments ly updated, largely unconscious model or computer programs. The resulting of our body’s spatial disposition – in visible iconic form or « picture » is in a movement or stasis – and the body real sense a haptic image, even if it was image – our conscious picture of ourcreated without the sense of touch com- selves. We can become conscious of the ing into play. body schema on certain occasions such When human beings receive as when, without thinking, we find that information from their senses, it is also we can catch ourselves after slipping on transformed into iconic forms, i. e. per- the sidewalk and do not fall. A recent ceptual images. These may or may not neurological account gives these seven be consciously perceived. The iconic characteristics of the body schema. [9] forms created by imaging technologies are never consciously perceived by the The body schema is: 1. spatially organized – it represents the body in space ( this is usually called proprioception ), 2. neurologically modular – not located in a single place in the brain, 3. updated with movement – the state of our posture and positioning is kept current, 4. adaptable – tools and other extensions of the body become incorporated into it, 5. supramodal – visual, tactile and other stimuli enter into it together, 6. coherent – continuity of body experience across space and time is preserved by a resolution of discrepancies between senses, 7. interpersonal – information from other bodies and our own can be conjoined in it so that group activities such as dance are possible. The body schema is iconic in form, but unlike a picture of our body it is not static. Our body image is relatively fixed and represents how we think we appear to others. This can change over time but the body schema is much more dynamic. Like a motion picture it is continuous over time but constantly changing. It has been described as a system of sensory motor capacities which function « without awareness or the necessity of perceptual monitoring ». [10] Insofar as it becomes conscious to us, it has a haptic form : we notice what, for us, is up and down, left and right, front and back. Whereas our body image is acquired over time after birth, we are born with a body schema. Gallagher calls it the « proprioceptive self ». [11] Traditional notions of self-identity were mental, such as Kant’s notion of the unity of apperception in his Critique of Pure Reason ( B 132 ) which he described as the « Ich denke » that must accompany all our thoughts. The « proprioceptive self » of the body schema involves a motoric sensitivity to our location in our peripersonal space, whether we think about it or not. Apperception takes place in internal consciousness, but proprioception occurs in the real space we are situated in. This proprioceptive self has a corporeal unity in space and time and this body is always engaged in physically leaving marks or casting shadows. It permits us to draw lines and so create depictions. [Fig. 3] The unity of apperception is the continuity of thought in abstraction from the body, but the proprioceptive self involves the entire ambulatory body. [12] The body schema enables even those who were born blind to understand and make tactile images that utilize raised lines. [13] Only an ambulatory subject that is subject to physical forces and possesses a body schema can understand depictions. This is why computer programs can recognize patterns but not what is depicted by images. An embodied intelligence can understand embodied spatial organization and the physical forces that characterize them, a capacity found in animals as well as humans. [14] But the ability to draw requires symbolizing capacities as well, the ability to treat lines metaphorically, but these capacities are also independent of vision. [15] Homo pictor is also animal symbolicum. Semiotic theoreticians are not wrong, only misled by the association of meaning with the conventional signs in language, just as critics of semiotics are right to ask for the embodied presence of iconic forms, but prone to fall back into ontology. In his Farbenlehre Goethe famously called colours the « Taten und Leiden des Lichts »: the acts and sufferings of light. For humans, iconic forms originate from a special kind of acting and suffering which depends not upon having light to see, but having a body schema, whose iconic form is the haptic beginning of depiction. 1 Hans Jonas, « Homo pictor und die differentia des Menschen », in : Zeitschrift für philosophische Forschung, 15, 1961, pp. 161 – 176. 2 Hans Jonas, « Homo pictor : Von der Freiheit des Bildens », in : Gottfried Boehm (ed.), Was ist ein Bild ?, München 1994, pp. 105 – 124, esp. p. 107. 3 Klee’s contribution for « Schöpferische Konfession », in : Paul Klee, Schriften : Rezensionen und Aufsätze, Christian Geelhaar (ed.), Köln 1976, pp. 118 – 122, esp. p. 118. 4 Ibid., pp. 119 – 120. 5 Suzanne M. Jaeger, « Embodiment and Presence. The Ontology of Presence reconsidered », in : David Krasner / David Z. Saltz (ed.), Staging Philosophy. Interections of Theater, Performance, and Philosophy, Ann Arbor 2006, pp. 122 – 141, refers to Merleau-Ponty’s phenomenological conception of the bodysubject and the « ontology » of presence in order to discuss the concept of performance. But the notion of « ontology » runs counter to her point about embodiment, since « being-there » is insuffient to explain performance. The difficulty here may only be terminological, but it is highly significant terminology, for it marks the difference between enaction and mere existence. 6 Hans Ulrich Gumbrecht appeals to Heidegger in his book Production of Presence : What Meaning Cannot Convey, Stanford 2004. 7 « Captcha » stands for « completely automated turning test to tell computers and humans apart ». They were developed at Carnegie-Mellon University. See http : / / www. captcha.net / ( Oktober 2008 ). 8 Vitruvius, De architectura, 3.1.3. Vitruvius describes how, in theory, the human body fits into a circle and a square. Leonardo’s picture does not show this happening. 9 Patrick Haggard / Daniel M. Wolpert, « Disorders of Body Schema », in : Hans-Joachim Freund / Marc Jeannerod / Mark Hallett / Ramón Leiguarda (ed.), Higher-Order Motor Disorders. From Neuroanatomy and Neurobiology to Clinical Neurology, Oxford 2005, pp. 261 – 272, esp. pp. 262 – 264. 10 Shaun Gallagher, How the Body Shapes the Mind, Oxford 2005, p. 24. 11 Ibid., p. 83. 12 Kant recognized this; see Helge Svare, Body and Practice in Kant, Dordrecht 2006. 13 See John M. Kennedy, Drawing & the Blind : Pictures to Touch, New Haven 1993. 14 Dalila Bovet / Jacques Vauclair, « Picture Recognition in Animals and Humans », in : Behavioural Brain Research, 109, 2000, pp. 143 – 165. 15 John M. Kennedy, « Meaning-Based Theory of Depiction », in : Art Education, 36 ( 2 ), March 1983 : Art and the Mind, pp. 12 – 14. 42 43 Körperliche Erfahrung und Taktilität sind im Zuge einer Kultur- und Vernunftkritik insbesondere im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts als verschüttete Garanten authentischen Erlebens und leibhaftiger Präsenz aufgedeckt geworden. Damit wurde der Hierarchisierung der Sinne in platonischer, christlicher und aufklärerischer Tradition und ihrer Privilegierung der Fernsinne eine Aufwertung des Tastsinns entgegengestellt, die Niklaus Largier jedoch bereits in der mittelalterlichen Mystik beobachtet. Schon in Aristoteles’ Über die Seele ist der Tastsinn nicht an ein eigenes Organ gebunden oder als einzelner Sinn dargestellt, sondern wird vielmehr als Fundament aller Sinne begriffen. Diese Vorstellung des Tastsinns als einer relationalen Vernetzung aller Sinne wird in mittelalterlichen Texten aufgegriffen und als Grundlage der Sinnlichkeit und Sinneserfahrung aller Lebewesen interpretiert. Largier beschreibt mit Bezug auf Autoren wie Thomas von Aquin oder Hendrik Herp den Tastsinn als einen « Möglichkeitssinn », der sich immer wieder den Versuchen entzieht, die Sinne physiologisch oder phänomenologisch zu ordnen oder gar zu hierarchisieren, ohne dass er dabei seine Materialität in Form des Körpers, der Hand und der Haut verlieren würde. Dies wird besonders deutlich in mittelalterlichen Texten, die sich mit der Praxis des Gebets beschäftigen und die eine Sprache der Berührung, des Kusses, der Umarmung oder des Schmerzes entwickeln, die keineswegs nur als religiöse Allegorie oder mystische Poetik zu lesen ist. Vielmehr entpuppt sich der Tastsinn in der mittelalterlichen Mystik als das eigentliche, affizierende Medium zwischen Mensch und Gott. Dabei steht jedoch das Taktile gerade nicht nur für die Unmittelbarkeit des Bezugs zu den Dingen und sich selbst, sondern für die Modellierbarkeit und Zeitlichkeit sinnlicher Wahrnehmung, die ihrerseits die Seele formt. ( jg ) Niklaus Largier Gefährliche Nähe Sieben Anmerkungen zum Tastsinn 1. Der dunkle Sinn Wer über den Tastsinn nachdenkt, ist gefangen in den hierarchischen Konfigurationen, die den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung traditionell in Nah- und Fernsinne, höhere und niedere Sinne gliedern. Dabei nimmt das « Gefühl », wie die taktile und haptische Sphäre noch im 18. Jahrhundert vorwiegend genannt wurde, zusammen mit dem Geschmack und dem Geruch eine niedrige Stellung ein. Wo Sehen und Hören – platonisch, christlich und aufklärerisch – mit Wort und Licht assoziiert werden, sind Schmecken, Riechen und Berühren mit dem Dunkel und der Verworrenheit des Körperlichen gepaart, in dem die unmittelbare Anbindung ans Materielle der Freiheit des Geistes gegenübergestellt wird. Schmecken, Riechen und Berühren gehören in die diffuse Welt der Küche, des Gartens und der Erotik, nicht in den Bereich klarer visueller Perspek- 2. Jenseits der Metaphysik ? Was in diesem Bild vor uns steht, ist eines der Modelle, die wir schematisch als « abendländische Metaphysik » bezeichnen und als einen Leitdiskurs nicht nur der Moderne betrachten. In Opposition zu solcher Schematik paradigmatischer Gegensätze – Innen und Aussen, Objekt und Subjekt, Präsenz und Absenz, Licht und Dunkel, Geist und Sinne – haben sich denn auch die utopischen Rekurse auf Körperlichkeit, Sinnlichkeit und schließlich die « niederen Sinne » verhalten, die charakteristisch sind für Aspekte der Kultur- und Vernunftkritik besonders im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Man sprach vom Körper und den Sinnen als Instanzen einer « Leibhaftigkeit », die der Dominanz eines am Sehen und Hören orientierten Herrschaftssystems, das zunehmend auch in seinen mediengeschichtlichen Dimensionen analysiert wurde, entgegengehalten wurden. Es überrascht daher nicht, wenn auch die « Neubewertung » des Tastsinns in diesen Jahren zu einem letzten Refugium solcher Metaphysik- und Kulturkritik geworden ist. Ich möchte diese, da sie immer im Zeichen des Verlustes steht, als « romantisch » bezeichnen – und ich tue dies durchaus im Wissen darum, dem spekulativen Verständnis der Sinnlichkeit bei den Romantikern unrecht zu tun. Im Unterschied zu dieser « romantischen » Haltung, die den Verlust der Natur, des Körpers, der materiellen Unmittelbarkeit einklagt und das Taktile letztlich als Residuum einer kulturell verschütteten oder verbotenen Präsenz fasst, werde ich die Berührung als eine Sphäre der Modalität und der relationalen Vernetzung fassen, die sich hierarchischer Ordnung entzieht. Dies hat seinen Grund darin, dass vom Tastsinn nicht nur tivierung, diskursiver Transparenz und intellektueller Distinktion. Sie stehen, trotz der reichen biblischen Metaphorik, die das Paradies und das kommende Reich in Bildern von Milch, Honig und – vor allem im Hohelied – intimer Berührung vorführt, unter dem moralischen Verdacht überwältigender Affekte und dem epistemologischen Verdacht der Unschärfe und der ungebändigten Vielfalt. So schreibt der Heilige Hieronymus, dass die Sinne « gewissermassen die Fenster » sind, die den « Lastern » Einlass gewähren, und dass vor allem die « körperliche Berührung » die Seele verdunkle und den Menschen in den « Wahnsinn » treibe : « Tactus autem alienorum corporum […] vicinus insaniae est. » Um dem zu entfliehen, fährt er fort, haben sich die Philosophen aus den Städten zurückgezogen und in der Einsamkeit ihrer Klausen und Studierzimmer Zuflucht gesucht. im Blick auf das Sinnesorgan, sondern vor allem im Bezug auf die Vielfalt der Wahrnehmung und Affizierung die Rede ist. Der Tastsinn, so könnte man vielleicht zugespitzt sagen, ist nichts, und daher die Möglichkeit, alles zu sein und alle Empfindung und Wahrnehmung zu begleiten. Er ist Hand und Haut, haptischer Zugriff und taktiles Erspüren, darin jedoch zugleich ein Modus, in dem Aktivität und Passivität zusammenfallen und so das Spezifische sinnlicher Wahrnehmung als Einheit von Produktion und Rezeption beschreibbar wird. Berührung ist Relation und Modalität affektiver und sinnlicher Kommunikation und Absorption. Darin liegt, wie Hieronymus schreibt, ihre Kraft, den Menschen erotisch in den Wahnsinn zu treiben – und darin trifft sich der Aspekt der im Sinnesorgan der Hand und Haut angesiedelten Erfahrung mit dem psychischen Ereignis, das wir unter dem selben Wort fassen, wenn wir innerlich überwältigt werden. Im Tastsinn spiegelt sich, wenn wir nochmals Hieronymus folgen wollen, die Unordentlichkeit des Urbanen und der sinnlichen Vielfalt, fehlt ihm doch die Fokussiertheit des Blicks und des Wortes. Dies ist indes nicht der Fall, weil der Tastsinn der unterdrückte niedrigste Sinn und die Ebene unmittelbarer Materialität oder Leiblichkeit ist, sondern weil dieser sich auf eigenartige Weise immer wieder den Versuchen entzieht, die Sinne physiologisch oder phänomenologisch zu ordnen. Es ist, als wäre der Tastsinn – diesseits und jenseits des Greifens, Haltens, Berührens und körperlicher Gewalt – das Leben der Sinne selbst, oder doch der Sinn, innerhalb dem die übrige sinnliche Wahrnehmung Gestalt annimmt. 44 45 3. Taktilität Wenn ich angesichts des Taktilen nicht eigentlich von einem « Sinn » spreche, der über das hierarchische Modell der « fünf Sinne » zu verstehen ist, beziehe ich mich auf eine Differenzierung, die Thomas von Aquin in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Traktat über die Seele macht. Er schreibt dort im Anschluss an Aristoteles, dass der Tastsinn nicht mit dem « Fleisch » als Organ zu identifizieren sei, sondern dass er « gewissermassen die Wurzel und das Fundament aller Sinne » und so die Grundlage der Sinnlichkeit und Sinneserfahrung aller Lebewesen bilde. Was lebt und empfindet, tut dies nur, solange es berührt und berührt wird. Damit verliert der Tastsinn keineswegs seine Materialität. Er ist und bleibt Körper, Hand und Haut. Gleichzeitig ist er aber auch mehr, nämlich das, was ich als « Modalität » und « Relationalität » bezeichnet habe, gründet doch nach Thomas alle Sinnlichkeit im strukturellen Moment der Berührung und den damit einhergehenden Modifikationen des Lebens der Seele. Wir können diese « Modalität » einerseits als Offenheit und Reziprozität verstehen, die alle Sinneserfahrung begleitet, und zwar auf eine ganz praktische Weise. Wo immer die Sinne tätig werden, folgen sie zunächst dem Modell des Berührens, der Affizierbarkeit, in der Innen und Aussen, Oben und Unten, Objekt und Subjekt nicht prinzipiell unterscheidbar sind, sondern im Effekt und im singulären Ereignis zusammenfallen. 4. Darin liegt die Gefahr, von der Hieronymus spricht und die er im philosophischen Schema zu überwinden sucht, das aus der gefährlichen Nähe und dem Gewimmel der Städte – kurz : aus dem Bereich der Manipulierbarkeit und der artifiziellen Stimulierung – in die kritische Distanz der philosophischen Klause flieht. Das Taktile ist dem gegenüber nicht der « Sinn » für das Partikuläre und Singuläre, kurz für das, was sich aller Totalität entzieht, sondern die Form der Sinne, ihre Absorption im Ereignis und im Moment, welche die einheitlichen und zeitlosen Bilder der Welt in gefährlicher Nähe unterläuft ( ohne, wie ich meine, dabei etwas « Authentisches » zum Ausdruck zu bringen ). Der Möglichkeitssinn Umgekehrt bedeutet dies auch, dass gerade der Tastsinn eine eigenartige Stelle besetzt, die ihn aus dem Gegensatz von Naturalismus und AntiNaturalismus, Authentizität und Artifizialität heraushebt. Dies wird vor allem dort deutlich, wo die mittelalterliche Spiritualität auf den Tastsinn zurückgreift und diesen auf überraschende Weise dem Sehen und Hören gegenüber aufwertet. Dabei stehen nicht Strategien einer sensualistischen oder anthropologischen Privilegierung oder Diskreditierung im Zentrum, die uns aus der Moderne bekannt sind. Der Tastsinn ( die Texte sprechen von tactus und tactus spiritualis ) gilt hier vielmehr als derjenige Sinn, der die Formbarkeit der Seele in Prozessen der Wahrnehmung auf b e s o n d e r e We i s e z u m Au s d r u c k bringt. Als Sinn der Sinne, als Fundament aller sinnlichen Wahrnehmung ist er das Medium, durch das die Seele auf vielfache Weise Form annehmen und durch das ihr künstlich Form verliehen werden kann. Als Hand, Haut und Körper ist der Tastsinn der mate- rielle Aspekt dessen, was Seele genannt wird und in mittelalterlichen Traktaten unter Gesichtspunkten gerade auch der Virtualität, der Affizierbarkeit und der Manipulierbarkeit behandelt wird. Ich bin versucht, hier einen Begriff zu verwenden, den Robert Musil im Mann ohne Eigenschaften einführt, nämlich den des « Möglichkeitssinns ». Als Fundament aller Sinne ist der Tastsinn Möglichkeitssinn par excellence, da er Prinzip des Erfahrbaren und Grundlage seiner Gestaltung ist. Alle übrigen Sinne, selbst Sehen und Hören, sind ihm gegenüber in dieser Hinsicht sekundär, da es die Blindheit und Dunkelheit des Tastens und der Berührung sind, die den Raum der Möglichkeit abgeben, den Sehen und Hören, Riechen und Schmecken zu gestalten vermögen. Damit befinden wir uns jedoch nicht wieder in einem hierarchischen Schema, sondern in einem Schema der Konvertibilität, in dem der Tastsinn, der als Sinn die Berührung verkörpert, gleichzeitig alle anderen Sinne begleitet. 5. Praxis Deutlich wird diese Perspektive vor allem in mittelalterlichen Texten, die sich mit der Praxis des Gebets beschäftigen und die oft eine der Mystik eigene Privilegierung des Dunkeln und der Nacht zum Ausdruck bringen. Was sich damit verbindet, ist eine Sprache der Berührung, des Kusses, der Umarmung, die aus dem biblischen Text des Hoheliedes entwickelt wird und die man in der Regel metaphorisch zu lesen geneigt ist. Die Privilegierung des Taktilen bei Autoren wie Hugo von Sankt Viktor, Wilhelm von Saint-Thierry, Mechthild von Magdeburg, Margarete Ebner und Rudolf von Biberach ist indes keineswegs bloß eine Spielart religiöser Allegorik oder mystischer Poetik. So schreibt etwa Mechthild, ihre « Andacht » bestehe darin, « ohne Unterbruch die grundlose Gottheit zu berühren ». Diese Betonung der Berührung, wie auch Margaretes Lob des « Liebeskusses » zwischen ihr und Gott, kompensiert nicht nur metaphorisch in Anlehung ans Hohelied die Unerkennbarkeit Gottes und das « Dunkel der Gottheit », sondern sie rekurriert auf die Vorstellung des Tastsinnes, die ich eben dargestellt habe, um der Körperlichkeit ihrer Gotteserfahrung Ausdruck zu geben. Das Taktile wird dabei privilegiert, da es ultimativer Möglichkeitssinn ist, der die Differenzmomente und die Objektivierung der anderen Sinne unterläuft, aber gleichzeitig auch ihre Entfaltung ermöglicht. So schreibt denn auch der spätmittelalterliche Theologe Hendrik Herp, der Tastsinn sei das « eigentliche Medium zwischen Mensch und Gott » ( « tactus iste est ultimum medium inter Deum et spiritum nostrum » ), da er eine Einheit herzustellen vermöge, in der Innen und Außen, Geist und Materie als Unterscheidungskriterium nicht mehr gültig seien. Die Einheit, von der Herp spricht, ist keineswegs abstrakt, sondern als Praxis der Sinnlichkeit gedacht, in der die Sinne im Gebet stimuliert werden. Dies entfaltet sich oft in Form einer phänomenologischen Exploration sinnlicher Erfahrung und leidenschaftlicher Affekte, die gezielt durch Texte und Bilder hervorgerufen werden und – etwa in Texten der so genannten Frauenmystik – eine experimentelle Poetik emotionaler und sinnlicher Zustände herausbilden. Dass diese Praxis der Erregung der Sinne und Affekte und die damit verbundene Phänomenologie immer wieder auf die Taktilität rekurriert, macht drei Dinge deutlich : Zunächst, dass damit nicht ein bestimmter « Sinn » privilegiert werden, sondern eine Schwelle markiert werden soll, welche die Sinnlichkeit zum Möglichkeitsraum vielfältiger Erfahrung macht. Zweitens, dass das, was wir Sinnlichkeit nennen und den fünf Sinnen zuschreiben, immer Objekt der Gestaltung, der Manipulation und der medialen Vermittlung ist. Und drittens, dass die Sphäre der körperlichen Erfahrung nicht als natürliche und authentische Sphäre vom virtuellen Raum artifizieller Konstrukte unterschieden werden muss. Die Privilegierung des Taktilen zeichnet vielmehr ein Bild der Sinne, in dem das Virtuelle immer schon Teil des Realen ist und sich darin einnistet. Mittelalterliche Autoren sprechen denn auch schon von den « virtuellen » Sinnen, besser der Virtualität sinnlicher Erfahrung, wenn sie sich darauf beziehen, dass alle Sinneserfahrung durch Artefakte und kulturelle Praktiken gestaltet und intensiviert wird. Der Tastsinn gibt dafür als Modell der Reziprozität die Folie ab. Die Macht der Berührung von Reliquien hat darin ebenso ihren Ursprung wie die visionäre Erfahrung, von der die Mystiker sprechen, wenn sie die Liturgie hören und Bilder betrachten. 46 47 Abb. 1 Jan Brueghel d. Ä. und Peter Paul Rubens, Allegorie des Gefühls ( 1617–18 ), Öl auf Holz, 65 x 110 cm ( Museo del Prado, Madrid ) 6. Allegorie des Gefühls Eine theologische Voraussetzung dieser praktischen Herausforderung fundamentaler metaphysischer Kategorien in der Sphäre des Taktilen und in einer Körperlichkeit, die Reales und Virtuelles vermischt, ist selbstverständlich die Lehre von der Inkarnation. Dies macht auch die berühmteste Allegorie des Tastsinnes deutlich, nämlich Jan Brueghels Allegorie des Gefühls. [Abb. 1] Einen Schwerpunkt des Bildes, das uns die Welt des Haptischen und des Taktilen in ihrer Vielfalt vor Augen führt, bilden Venus und Amor, die sich küssen. Das pagane Motiv, das die Berührung als Kuss fasst ( und damit natürlich auch ans Hohelied erinnert ), steht indes hier nicht allein. Über ihm hängen – als Bild im Bild – zwei Gemälde, die Christus an der Geißelsäule sowie die Beschneidung Christi darstellen. Sie öffnen einen Resonanzraum, in dem der zwischen Amor und Venus ausgetauschte Kuss seine scheinbar heidnische Natur verliert und als Verkörperung der Liebe in der Berührung zu fassen ist, die sich in ihrer körperlichen Wirklichkeit der Inkarnation verdankt. Dass Brueghel nicht die topischen Motive des Noli me tangere oder des zweifelnden Thomas aufgreift, um seine Allegorie der Berührung christlich zu gestalten, ist bezeichnend. Im Rückgriff auf die Flagellation, die als Szene der in der Berührung am Körper geübten Gewalt immer gleichzeitig als Negation und als Affirmation des Fleisches zu lesen ist, übernimmt Brueghel ein schon im Spätmittelalter und im Kontext der oben zitierten Autoren wichtiges Motiv. Es verknüpft den Tastsinn, gerade in Hinsicht auf das intimste Moment des Kusses, mit der Inkarnation und mit der in der mittelalterlichen religiösen Praxis verbreiteten Imitatio Christi durch die Flagellation. Sie ist Verkörperung der Berührung im Schmerz und damit Bild der Absorption, für die das Taktile steht. Wer die Flagellation wiederholt, wird eins mit Christus nicht nur im Glauben, sondern in der Realität des Schmerzes, die artifiziell hergestellt wird. Dass diese Absorption alle anderen Sinne und den Bereich der Affekte umfasst, machen spätmittelalterliche und frühneuzeitliche religiöse Texte deutlich, wenn sie die Geißelungsszene zum Modell der Meditation machen. Man mag dies als Kuriosität und mystischen Extremismus betrachten, doch verkennt man dabei die systematische Bedeutung dieser Praktiken. Sie führen nicht nur eine radikale Spiritualität vor Augen, sondern eine Kunst des Experiments, welche die Sinne in vielfältigen Formen inszeniert, sie ästhetisch exploriert und dabei immer neu auf die Taktilität rekurriert. Gerade in der Kunst, die solche Traditionen begleitet, wird denn auch das Visuelle zunehmend taktil. In Figuren des Schmerzensmannes, der Pietà, blutender und von Wunden gezeichneter Körper wird die visuelle Erfahrung gebunden an die taktile Exploration, die immer punktuell ist. 7. Paradoxien Dass der Tastsinn in dieser spirituellen Perspektive als privilegierter Sinn erscheint, mag man – nicht nur im Licht der Hieronymus-Zitate – als Paradoxie betrachten, wird doch damit die traditionelle Licht- und Wortmetaphysik nicht einfach außer Kraft gesetzt, sondern einer Topologie unterworfen, die das Partikuläre, Singuläre und – ästhetisch gesprochen – das Pittoreske privilegiert. Nicht die Harmonie und die Totalität ist Ort dieser – im ursprünglichen Sinne von aisthesis – ästhetischen Erfahrung, sondern der fragmentierte Körper, die Spur der Verwundung, die pittoreske Gestalt, die Konvergenz von Figur und Disfiguration, von glatter Oberfläche und rauher Berührung. So steht der Tastsinn gerade nicht für die « Authentizität » der Erfahrung, die Präsenz oder die Unmittelbarkeit des Bezugs zu den Dingen und sich selbst, sondern für die Modellierbarkeit sinnlicher Wahrnehmung, für ihre Uneinheitlichkeit, Unebenheit und Undeutlichkeit. Umgekehrt macht die hier skizzierte Geschichte des Tastsinnes ebenso deutlich, dass es vielleicht falsch ist, wie etwa Hartmut Böhme vom « Christentum » als der « Kultur » zu sprechen, « welche die Immaterialisierung am nachhaltigsten betrieben hat, die heute medientechnisch verlängert wird ». Dass dies im Blick auf die Etablierung gewisser kultureller Paradigmen in der Tat der Fall ist, lässt sich nicht bestreiten, doch darf man wohl im Gegenzug dazu auch von einer Strategie der Materialisierung ausgehen, die dem « Christentum » entspringt und die den Schrift sinn nicht « entmaterialisiert », sondern in einen Materialismus überführt. Dieser ist indes nicht mit dem Materialismus oder Sensualismus der Metaphysik zu verwechseln, sondern als Privilegierung des Taktilen im Zeichen eines strategischen Umgangs mit dem Haptischen, das immer auch von Gewalt gezeichnet ist. Man mag das « Noli me tangere », das « Berühre mich nicht », das Jesus nach der Auferstehung zu Maria Magdalena spricht, mit mittelalterlichen Autoren – und zuletzt mit Jean-Luc Nancy in Noli me tangere – denn auch nicht als Verbot der Berührung lesen, sondern als Verbot eines haptischen Zugriffs, der das Berührte festhält und es damit den Möglichkeiten sinnlicher Erfahrung entzieht, die das Taktile eröffnet. In Jan Brueghels oben erwähntem Gemälde heißt dies : Der fleischlich-pagane Kuss, der im Zentrum steht, setzt sich ab von der Welt der Objekte einer haptisch-gewalttätigen Welt, insofern er – selbst prekär, und nur scheinbar paradox – gerahmt ist durch die singulären Szenen der Geißelung und der Beschneidung Christi. 48 49 Architektur ist gebaute Masse. Ein Verbund aus den unterschiedlichsten Materialien. Eine Vielzahl von Oberflächen, über die hinweg wir schreiten, auf denen wir sitzen, an die wir uns anlehnen, an denen wir uns festhalten, die wir jeden Tag nicht nur mit Augen betrachten, sondern mit Füßen und Händen berühren und betasten. Wenn Architektur auch von alters her eine künstlerische Gattung ist, die die Gesamtheit unserer Sinne adressiert, so ist doch wenig über die körperliche und kinästhetische Dimension ihrer Ästhetik geschrieben worden, und kaum etwas, das die konkrete Haptik bestimmter Gebäude zur Sprache brächte. Philip Ursprung hat sich dieser Aufgabe gestellt. In seinem Beitrag berichtet er von Begegnungen mit zwei Werken des Architekten Peter Zumthor, die für ihn selbst Schlüsselerlebnisse gewesen sind und sein Nachdenken über die Taktilität von Bauten angestoßen haben. Hans Danusers 1989 entstandene Aufnahmen der Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg begleiten den Text nicht bloß als Illustrationen. Sie sind Ergebnis einer bemerkenswerten künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem Bau, die hier in Dialog mit der diskursiven tritt. Wir hoffen, so eine Idee von jener Spannung zwischen visuellen und taktilen Qualitäten vermitteln zu können, die Zumthors Baukunst charakterisiert. ( sn ) Philip Ursprung Zumthors Oberflächen Hans Danuser Kaplutta Sogn Benedetg Sumvitg, 1989 Mehr als die legendäre Episode zu Beginn von Marcel Prousts Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, als sich der Erzähler durch den Geschmack einer in Tee getunkten Madeleine in die Kindheit zurückversetzt fühlt, hat mich stets eine andere, weniger bekannte Stelle am Ende des monumentalen Werks interessiert. Nämlich diejenige, als der Erzähler nach einem Fehltritt im Hof eines Pariser Stadtpalais beginnt, eine bestimmte Schrittfolge auf zwei Steinstufen zu wiederholen. Die Passanten sehen dem gedankenverloren von einem Bein aufs andere Tretenden amüsiert zu, bis dieser sich endlich an den Anlass seiner Obsession erinnert – an Venedig. Genauer, an das überwältigende Gefühl des räumlichen Kontrastes, das er Jahre zuvor erlebte, als er über zwei unebene Steinplatten des Baptisteriums von San Marco geschritten war. [1] Die von Proust geschilderte Erinnerung verbindet den Gesichts- und den Tastsinn – das Gefühl des Bodens unter den Füssen – mit der Erinnerung an einen Bewegungsablauf. Sie hängt mit dem zusammen, was Maurice Halbwachs als « räumliches Gedächtnis » bezeichnet hat. [2] Und sie ist zweifellos grundlegend für unsere Art, Architektur wahrzunehmen. Peter Zumthor gehört zu denjenigen Architekten, für den das Zusammenspiel des Gesichts- und Tastsinns zentral ist, und dessen Projekte sich stets um den Zusammenhang zwischen dem Körper des Individuums und dem umgebenden Raum drehen. Ich habe allerdings lange gebraucht, bis mir dies klar wurde. Mein Bild von seiner Architektur stand bis vor wenigen Jahren einigermaßen fest. Es war durch visuelle und ideologische Aspekte fixiert. Ich hatte zwar Respekt vor der Schönheit und atmosphärischen Wirkung seiner Bauten, der Konsequenz, mit der die verschiedenen Projekte auseinander hervorgingen, und dem im internationalen Vergleich gemächlichen Tempo, das sein Büro bestimmte. Aber ich war skeptisch gegenüber seiner Idee der Authentizität, der meiner Ansicht nach anachronistischen Auffassung der Natur, sowie dem romantischen Impuls, der sein Werk durchdringt. Obwohl ich viele seiner Bauten gesehen hatte, war mein Bild in erster Linie durch Photographien geprägt, allen voran derjenigen, die Hans Danuser 1987 und 1988 von der eben fertiggestellten Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg, in den Bündner Alpen, gemacht hatte und über die ich Zumthors Werk zuerst wahrgenommen hatte. Namentlich jene Aufnahme, welche die sozusagen im Nebel aufgelöste Kapelle zeigt, hatte sich in meiner Imagination untrennbar mit dem Namen Zumthor verwoben. Es war mir gar nicht anders möglich, als seine Architektur unter dem Aspekt der Bildlichkeit zu sehen, also gerahmt, distanziert, für den Blick gebaut. Dann besuchte ich im Frühling 2004 Sogn Benedetg. Ich ging ein Stück zu Fuß durch den kleinen Weiler über Sumvitg, vorbei an Bauern- und Ferienhäusern, dann einen schmalen Feldweg hoch, der recht steil zur Kapelle führte. Die momentane Anstrengung des Aufstiegs, das Knirschen des Kieses unter den Schuhen, der Geruch des Tannenholzes des nahen Waldes, die Engräumigkeit der Bauten prägten meine Perspektive. Ich hatte das Bild einer erhaben in der Alpenlandschaft liegenden Kapelle im Kopf und wartete darauf, dass dieses auch in Wirklichkeit erschien. Aber dann tauchte der Bau ganz unvermutet vor mir auf, viel kleiner als erwartet, viel eleganter. Die Schindeloberf läche der Außenhaut war von der Sonne verbrannt, ganz so wie die Ställe der Umgebung. Die wenigen, sehr schmalen Betonstufen, die zur Tür führten, fühlten sich härter an als der Kiesweg, aber zugleich bequemer. Nach dem Aufstieg über den Weg waren die zwei, drei Schritte zur Kapelle mit keiner Anstrengung verbunden. Ich hatte weniger den Eindruck, hinauf zu schreiten als hinab zu gehen, und zugleich wurde der Schritt, nach der Unsicherheit des Feldwegs, unwillkürlich gemessener, dem Bau angemessen. Proust kam mir in den Sinn, beziehungsweise die räumliche Erinnerung an unzählige Momente, in denen zwei, drei Schritte zu einer radikalen Veränderung des Raumeindrucks geführt hatten. Fast von selber glitt meine Hand über den dünnen Handlauf aus Metall, so, wie man sich bei einer Gangway gerne festhält, bevor man ein Schiff besteigt. Dann stand ich vor der Türfüllung aus senkrechten Holzlatten, eine Oberfläche, die viel leichter und zugänglicher wirkte als die üblichen Tore, welche den Eingang zu Kirchen versperren. Ein kurzer Moment des Zögerns – wird die Kapelle offen sein, habe ich die lange Reise vergeblich gemacht ? dann öffnete sich die Tür fast wie von selber. Die unerwartet lange, schmale Türklinke, welche die Hebelkraft verstärkte und wie ein Werkzeug gut in der Hand lag, erleichterte den Eintritt zusätzlich. Ich war somit bereits in der Eingangssituation in die Räumlichkeit der Kirche involviert, Teil geworden einer Choreographie von alltäglichen Bewegungen und Gesten. Meine Bewegungen waren von den einzelnen Elementen des Baues gelenkt und wirkten zugleich auf diesen zurück. Später sollte mir Zumthor im Gespräch erklären, dass er Räume stets von einem Körpergefühl ausgehend entwickelt und « ein Gefühl für einen Körper, für eine physische Präsenz oder eine Ausstrahlung » den Entwurf motivieren. [3] Mein Hineintreten in den Bau war vergleichbar dem Überziehen eines Kleidungsstückes. Der Moment des Eintretens war nicht durch eine konkrete Schwelle markiert, sondern durch die Veränderung der Wahrnehmung. Der Übergang war diskontinuierlich in dem Sinne, dass das Außen mit dem Innen unvereinbar war – der Prozess des Übergangs glich einer Reihe von Schnitten in einer filmischen Montage. Wiederum spielten Gehör-, Geruch-, Gesichts- und Tastsinn ineinander. Die Wärme und Weichheit des Holzbodens unter den Schuhen unterschied sich klar von der Kühle des Zements der Tritte. Der Holzgeruch war ein ganz anderer als draußen, wo sich der Duft des Waldes mit demjenigen der Wiese gemischt hatte. Das Licht war unerwartet hell. Und weil der Boden sozusagen in die Konstruktion eingehängt war, kam ich mir vor wie innerhalb eines begehbaren Resonanzkörpers, der die Geräusche meiner Schritte verstärkte. Weil keine Fenster existierten, keine Aussicht im eigentlichen Sinne geboten wurde, veränderte sich auch die Bewegung des Körpers. Während der Annäherung war dies eine lineare Bewe- 50 51 gung gewesen. Im Inneren lenkte der tropfenförmige Grundriss die Schritte sozusagen zu einem Loop, bis ich mich auf eine der massiven Holzbänke setzte. Für Gläubige war dies zweifellos der Moment, in dem sie sich für das Gebet sammeln konnten. Für mich wurde es zu einem Moment größter Aufmerksamkeit, wo die Erinnerungen des Eintretens, die Wahrnehmung der diversen Sinneseindrücke und die Reflexion über den Ort miteinander verschwammen. Mein Bild hatte sich verändert, beziehungsweise, ich konnte den Bau nicht mehr auf ein Bild reduzieren. Anstelle eines in der Umgebung sich auflösenden Gebäudes, das in der Abgeschiedenheit der Alpen mit der Natur verschwimmt, stand ich vor einem durch und durch zeitgemäßen Bau, als ob die Kapelle gerade eben errichtet worden wäre und nicht vor fast zwanzig Jahren. Der Bau, so meine Wahrnehmung, bestand ausschließlich aus Oberflächen, die sich übereinanderlegten und eine topologische, aber keine kontinuierliche Räumlichkeit definierten, so, als ob der Raum durch aufblätternde Schichten performativ entstehen würde. « Fenster », welche den Übergang zwischen Innen und Außen artikulieren und ein Indiz für räumliche Kontinuität sind, gab es nicht. Stattdessen war das Dach ein wenig abgehoben, um Licht einzulassen. Und die Wand, beziehungsweise die äußerste, mit Schindeln überzogene Schicht, die sich wie eine textile Membran um den Baukörper zog, war gerade so weit aufgespreizt, dass sich eine Öffnung anbot, die aber wiederum kaum als « Tür » bezeichnet werden konnte. Zudem war der Bau alles andere als erdverbunden. Im Gegenteil, die wenigen Stufen vor dem Eingang schienen vor dem Kontakt mit der Kapelle zu zögern, als ob der direkte Übergang zwischen dem Terrain und dem Gebäude unmöglich wäre. Die Topographie der alpinen Landschaft und die Topologie der Architektur waren unvereinbar, diskontinuierlich. Die konkrete Begegnung mit Sogn Benedetg hatte mir klar gemacht, dass der visuelle Eindruck, die Wahrnehmung der Architektur als statisches Bild, dem Ansatz von Zumthor nur partiell gerecht wird. Zumthor selber ist sich dessen bewusst. Für die Retrospektive, die 2007 in dem von ihm selber gebauten Kunsthaus Bregenz stattfand, verzichtete er ganz auf Photographie. Er fokussierte auf die Ausstellung von Konzeptmodellen und der Projektion von Videoaufnahmen von Nicole Six und Paul Petritsch, die Ausschnitte aus seinen Bauten im Alltag zeigen. In seinem jüngsten Bau, der Bruder-Klaus-Kapelle ( 2007 ) in Mechernich Wachendorf in der Eifel, etwa eine Stunde von Köln entfernt, ist die Rolle des Bildes gegenüber der Taktilität noch einmal stärker in den Hintergrund gerückt. Es zirkulieren zwar zahllose Aufnahmen des Gebäudes, aber sie werden der unmittelbaren Erfahrung vor Ort nicht gerecht. Die Wirkung der Materialien des Baues auf die Besucher ist photographisch nicht wiederzugeben. Bei meinem eigenen Besuch im Frühling 2008 hatte ich wiederum eine Reihe von Bildern im Kopf. Aber wie bei Sogn Benedetg musste ich diese revidieren. Der Bau dreht sich ganz um die Thematik des Abdrucks. Die Hülle entstand durch Stampf beton, der, Schicht für Schicht, in zahlreichen so genannten Tagewerken, aufgetragen wurde. An der glatten Außenwand lassen sich diese Schichten ablesen und machen damit den Zeitraum der Entstehung deutlich. Im Inneren wurden nicht glatte Schalungsbretter verwendet, sondern Fichtenstämme, welche wie ein Zelt aufgeschichtet waren. Die Oberfläche des Innenraums ist somit ein Negativ-Abdruck der Hölzer. Um die Stämme anzutrocknen und damit leichter herauslösen zu können, wurde, wie in einem Köhlerhaufen, ein dreiwöchiges Mottfeuer angezündet. Es verleiht der Betonoberfläche einen dunkel schimmernden Glanz und versieht den ganzen Bau mit Holzkohlengeruch. Der Fußboden wiederum besteht aus ausgeschüttetem Zinnblei. Die verschiedenen Tempi der Herstellung sind als Spuren präsent und laden dazu ein, die Produktion nachzuvollziehen. Unwillkürlich bediente ich mich dabei immer wieder des Tastsinnes. Schon die überraschende Dunkelheit im Inneren brachte mich in den ersten Minuten, bis sich meine Augen an sie gewöhnt hatten, dazu, mich stärker auf den Tastsinn zu verlassen. Wegen der schmalen Eingangssituation – das Eingangstor in Form eines spitz zulaufenden Dreiecks stimmt bereits auf die Zeltform im Innern ein – war es ohnehin kaum möglich, in die Kapelle zu gelangen, ohne die rauen Wände mit den Schultern und Armen zu berühren. Die Unebenheit des Metallbodens, die überraschend weiche und warme Oberfläche, verführte mich dazu, eine Weile ziellos hin und her zu schreiten und mich ganz dem unerwarteten Genuss hinzugeben, einen Raum einmal auch mit den Füssen zu erkunden. Wie bei Sogn Benedetg bremste die räumliche Umgebung die Bewegung und wandelte sie von einer linearen zu einer loopförmigen. Die traditionellen Embleme für räumliche Kontinuität waren gänzlich ausgeschaltet. Das Tor aus Beton war ein Stück Wand, das sich bewegen ließ. Die Verbindungsrohre, welche die innere und äußere Schalung verklammerten, waren mit Glaspfropfen verschlossen und spendeten punktförmiges Licht. Am meisten Licht fiel durch die Öffnung an der Decke, durch die man wie durch einen offenen Kamin nach oben blickte. Zumthor hat mit der Bruder-Klaus-Kapelle die Architektur weit weg von der Bildlichkeit bewegt. Die äußere Form, ein scharfkantiger Monolith auf fünfeckigem Grundriss, ist von der inneren, höhlenartigen Form völlig unabhängig. Obwohl die meisten Interpreten, gestützt auf Zumthors eigene Angaben, die Beziehung des Baus zur Gegend betonen – etwa die Tatsache, dass der Bau von einem lokalen Bauern in Auftrag gegeben und von diesem teilweise auch selber errichtet wurde, oder auch die Tatsache, dass die Materialien aus der unmittelbaren Umgebung stammen –, ist abermals die Diskontinuität das vorwiegende Merkmal. Die Kapelle fungiert als Ort, wo die Bilder im Kopf, die Erinnerung an andere räumliche Situationen, die divergierenden Eindrücke vor Ort, der religiöse Glauben und die skeptische Reflexion zusammentreffen. Die Komplexität dieses performativen Raums kann, im Moment, weder begrifflich noch als Bild fixiert werden. So, wie ich mich manchmal dabei ertappe, mich in den Arm zu kneifen um sicherzugehen, dass ich nicht träume, so kam ich auch im Inneren der Kapelle nicht umhin, die raue Oberfläche des Innenraums mit den Fingern zu berühren, den Boden unter Schuhen zu ertasten und mich dazwischen auf die kleine Bank zu setzen, um mir über meinen Ort Gewissheit zu verschaffen. Mehr kann ein Bau, der zugleich der Religion wie der Architektur dient, nicht leisten. 1 Vgl. Marcel Proust, Le temps retrouvé. A la recherche du temps perdu VIII, Paris 1954, S. 223. 2 Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt a. Main 1985. 3 Peter Zumthor im Gespräch mit Philip Ursprung, Januar 2007. 52 I Hans Danuser, Kaplutta Sogn Benedetg Sumvitg (1989), Photographien auf Barythpapier, 6-teilig, I, II 1 – II 2, III, IV 1 – IV 2, je auf Papierformat 40 x 50 cm (Bündner Kunstmuseum) II 1 II 2 III IV 1 59 Gewöhnlich neigt man zu der Ansicht, Taktilität sei ein Modus der Sinneserfahrung, der frühen Entwicklungsstadien angehört. In Berührungen vermittelt sich – dem Säugling an der Mutterbrust, dem Individuum im Schoße der « Gemeinschaft », – die Erfahrung eines unmittelbaren Eingebettetseins. Erst beim Übertritt ins ödipale Dreieck, oder in die « Gesellschaft » schieben sich in diesen Erfahrungsraum Distanzen ein, welche die Fernsinne, die dann ihren Primatanspruch durchsetzen, zu überbrücken haben werden. Auf der anderen Seite liegt es auf der Hand, dass wer berührt, einen Abstand überbrückt, den seine Handlung folglich bereits voraussetzt – jedem Akt der Berührung ist nach Jean-Louis Chrétien eine irreduzible Transitivität eingeschrieben. Vor jeder « ursprünglichen » taktilen Erfahrung der Verbundenheit läge dann wohl schon eine noch « ursprünglichere » Trennung, hinter der sich die taktile Einheit, die am Anfang angenommen wird, in einem infiniten Regress entzieht … Mladen Dolar zeigt in seinem Beitrag, dass man über solche Konfusionen hinausgelangt, wenn man Berührung als psychoanalytisches « Objekt » konzipiert, wie es Jacques Lacan verstanden hat. Ein solches Objekt ist kein Gegenstand in der Welt, auf den wir uns sinnlich beziehen könnten, sondern definiert die Struktur dieser Beziehung schlechthin: Und zwar als einen ( topo-logischen ) « Schnitt », der über die para-doxe Eigenschaft verfügt, den Kontakt, den er unterbindet, erst herzustellen. Das Berührungsverbot, das die « Berührungslust » nach sich zieht, ist ein handgreifliches Beispiel, das mit Sigmund Freuds Schrift Totem und Tabu im Zentrum von Dolars Überlegungen steht. Gemäß diesem theoretischen Modell sind Berührung und Tren- nung als gleichursprünglich anzusetzen. Es gibt demzufolge keine taktile Erfahrung, die nicht schon Erfahrung einer Distanz wäre. Das heißt für ein Nachdenken über den Tastsinn zuallererst, dass das, was immer auch vor der Berührung als transitiv-transgressiver Akt gelegen haben mag, ein Akt, der von einem im selben Zug schon konstituierten Subjekt ausgehen muss, sich als « Berührung » nicht füglich verstehen lässt. ( sn ) Mladen Dolar Touching Ground The title relates to a quip by Lacan, notoriously a man of many quips. When debating the question ‹ what does one think with ›, he maintains that he thinks above all with his feet, since it is with the feet that one touches ground. Touching ground, however, as we will see, is no easy feat, it doesn’t come naturally, if we are to conceive it as the locus of both thought and touch. Tactility, touching, the sense of touch, all appear to be the firmest thing there is. What one can touch is, tautologically, the most palpable and the most tangible, not only in relation to the hazy realm of concepts, ideas, names and thought, all those ‹ untouchables › by definition, but also in relation to the other senses, reputedly five of them, if we are to trust a long and venerable tradition. What we can touch is closer to us, closer to the bosom, more ‹ real ›, to adopt this naïve parlance for the moment, than what we can see or hear or smell, while taste, the ‹ closest contender › of touch, seems to present a special case of touching, special by its strict localization and by its endowment with an additional quality ( ‹ touching plus › ). Touching is singled out by its immediacy, while other senses are subject to a certain deferral in various ways, and by its spatial proximity, indeed the collapse of any spatial distance, zero distance, zero space. It is further singled out as the seemingly first and originary sense, being there, most prominently, from the outset, being what one can most directly feel to start with, and, by extension, a prenatal experience, before one can sense anything else, for – as far back as one can imagine – a living creature with a surface, a membrane, a skin, there must be a touching involved, the surface being affected by another element touching it, surrounding it, infringing upon it, pressing it. There is an inside and there is an outside, in the most elementary sense, only insofar as we can conceive of a limit of touching, of a surface rubbing against another surface, bumping into something else, into the first other. To touch is to limit, it happens at the limit and it constitutes a limit – one cannot conceive of a limit without touching what is supposedly beyond the limit. Thus, touching implies a difference, it implies the possibly first notion of a difference, the difference of an entity with regard to another touching it. It takes two to touch. It takes a split to render touching possible. Hence an entity that touches itself, like the human body constantly does, is thereby turned into a split entity, doubling itself. There is a ‹ philosophy of the two › implied in the very notion of the touch. [1] _– _– _– 1 I make this reference to the subtitle of a book by Alenka Zupančič ( The Shortest Shadow. Nietzsche’s Philosophy of the Two, Cambridge ( Mass.) 2003 ), to which this paper is indebted, although in an oblique way. 2 The modern counterpart to the mythical philosophers’ stone is the notorious ‹ invisible hand ›, namely the invisible hand of the market, reputed to perform the same sort of miracles. Anything it touches is liable to turn into gold. Our Adam, the Adam of market economy, i. e. Adam Smith ( the joke frequently made by Marx ) used this formula only once in The Wealth of Nations, but it justly came to epitomize the whole. One could say that the present predicament displays another wonder, namely how one can be harshly and most palpably touched by the invisible hand. Indeed knocked out. To put it in those very abstract and the roughest of terms, one can already sense the vastness of the problem. What seems to be the most firm and palpable, solid and plain, starts to get ridden with speculation, we find ourselves immediately involved in the scene of philosophy, indeed of metaphysics, we cannot be spared the speculative concepts not even for a moment. Even to use a very rough and approximate description – and I am not trying to be accurate or subtle in this first approach – one has to engage a set of concepts, rather spectacular and decisive concepts which bear heavy consequences, such as the limit, the difference, the inside and the outside, the nutshell of a self, the body, affecting and being affected, materiality, the other, otherness, immediacy, mediation, distance, reciprocity, split, the very notion of space, of contiguity, of contact, of the limited and the unlimited. Touching immediately materializes and palpably presentifies some basic concepts and elementary speculative decisions, it touches upon metaphysics at its most physical, as it were. One could say, not without irony, that touching is the touchstone of philosophy. There is, on the one hand, an old image of lapis philosophorum, the philosophers’ stone, and the search for it epitomized the philosophical endeavour as such in some periods, the force of its wisdom epitomized by a stone : a stone which could supposedly possess the force of turning all baser metals to gold ( and with the current collapse of economy we seem to witness a renewal of the old demand on philosophers, when the economists have come to their wits’ end, namely to come up with some new version of the philosophers’ stone and meet the greatest need of the hour ). [2] This old image implies a certain notion of touch, namely the magical touch which would, by mere touch, bestow value, the highest value on the worthless ( one could say ‹ the value-added touch ›, VAT ). The imagery of touch involves the capacity for magical transformation. The obverse side of this is the equally wide-spread imagery of touch as perpetrating the very opposite : its capacity to soil and spoil, to tarnish and sully whatever it touches, to stain and to taint, that is, to take away all value, to devaluate; touch as the instrument of degradation and debasement, of destruction of worth. So touch appears to be the agent of a maximum transformation in opposite directions ( but is it ‹ the same › touch ? what is the identity of a touch ? can one ‹ step › into the same touch twice ? ) : it can bestow highest value or bring about a maximum loss of value – and there is no shortage of evidence in the cultural history for 60 _– _– _– 61 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) 3 It was a dark, flinty schist, jasper or basanite. Its mythical source in antiquity is the story of Battus ( Ovid’s Metamorphoses, II, 11 ), who saw Mercury ( Hermes ) steal Apollo’s oxen, and Mercury offered him a cow as a bribe to keep silent. But Mercury then decided to probe the man, he disguised himself and offered him a cow plus an ox if he would be willing to tell where he got the cow. Battus couldn’t resist the temptation and divulged the secret, and Mercury changed him into a touchstone. – Touchstone is also the name of the clown character in Shakespeare’s As You Like It, the fool – as many Shakespearean fools ( cf. King Lear ) – being the natural touchstone of wisdom : « For always the dullness of the fool is the whetstone of the wits.» ( I, 2 ). both. What soils has the capacity to purify, and vice versa. Could one say, speaking of touch : Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug ? Touch has all the makings of pharmakon, of Plato’s poison and cure in one, as Derrida has magisterially singled out. As opposed to the magical philosophers’ stone, the dream of the alchemists, the touchstone was a very real device, going back to antiquity [3] , a probing stone with which one could prove or disprove the worth of a metal, by the streak made on it, to tell gold and silver from the worthless stuff. Its purpose was, most philosophically, to go beyond the appearance, to tell the real thing from its counterfeit. The touchstone should be the prerequisite of true philosophy, because of its ability to sift and sort out the appearances, and more poignantly, to probe the truth or falsity of the word by touching, by rubbing the word against the stone, as it were. The alleged claims of value are to be tested against the stone. It appears that probing can most convincingly be done by touch, not by sight or hearing or smell or taste. Touching seems to be the least deceiving of them all, the least prone to trickery and ruse, and the stone the least volatile of all substances. If the philosophers’ stone has everything to inflame the imagination, then the touchstone points towards the empirical and the material as the discriminating criterion of validity. But there is no easy way to separate the two in touching, its empirical side is constantly intertwined with the imaginary, its literality with metaphor, its groundedness with the elusive; and furthermore, the physiological in touch is interwoven with the social, since the first social command is the injunction : don’t touch. Society begins with a severed touch, a gap introduced into touching. We will come back to this. If touching could thus serve as the touchstone of philosophy, this implies a number of presuppositions. There is a certain metaphoricity of touching which puts it in close kinship with sense certainty ( cf. Saint Thomas, no doubt the patron-saint of touching ), and thus at the same time the most basic and the most remote from the proper philosophical endeavour. For if one takes the more elevated senses of sight and hearing, the gaze and the voice, as the guiding metaphors of philosophy, one has already accomplished a certain disentanglement, a separation, an extrication, a detachment from the lower senses, one has taken a distance to touch and the sort of sense certainty it implies. Sight and hearing operate by interposition, medi- ation and distancing, they function at a distance through a medium, one has already separated the subject and the object from their contiguity, their contingence ( contingence, from con-tango, co-touch, implies a haphazard contact, as opposed to necessity ). And to be sure the guiding metaphors were taken from sight – theory, speculation, insight, reflection, mind’s eye, eidos, form, phainomenon; and there was a hidden metaphorical connection with the presence of the voice, including the voice of conscience, voice as presence, which Derrida has taught us to unravel as the history of phonocentrism. To establish philosophy, one has to gain distance from mere touch, one has to detach oneself from the immediacy ( one has to de-touch ), from the contamination of the most immediate and enveloping of senses. Conceptuality and ideality depend on being ‹ out of touch › – if I leave aside here the utter chaotic volatility of smell, the nightmare of philosophers, supposedly the lowest and the most inchoate of all senses, a telltale streak of animality, and the very special case of taste ( which eventually got its metaphorical credentials and social promotion as the standard of judgment at the point where all universal and conceptual standards fail, cf. Kant ). So touching is the touchstone, being both the most basic and the most remote from concepts – but concept, as well as Begriff, stem from con-capio, begreifen, i. e. to grasp, to grab, to seize, to capture, so the conceptual edifice has to be probed by touching, it has to test its validity with the contiguous and the contingent, with something that presents its counterpart, something too firm to be liquefied by ideas and concepts, and yet not simply something outside them, but presenting precisely their boundary, the line where concepts and ideas touch upon their other – their real ? Aristotle, on the classical spot about touching in De anima, as classical as they come, took the boundary very seriously. Many basic philosophical questions are immediately touched upon : to start with the question of the One, of the unity of touch – can one speak of one sense at all ? Isn’t touching from the outset ridden with multiplicity and the heterogeneous, so that one cannot quite arrive at a common denominator ? It seems to imply a multiplicity of senses and a multiplicity of objects. And then the hypokeimenon – what is the substance of what one touches ? Is there one substance of touching ? But I am in particular concerned with the question of the limit, the boundary 62 4 I am using the translation by J. A. Smith : Aristotle, « De Anima / On the Soul », in : Richard McKeon ( ed.), The Basic Works of Aristotle, New York 2001, pp. 535 – 606. which is involved in the very notion of touch. How can one conceive it ? A simple externality of two bodies, or objects, touching each other ? Is touch as such ‹ inner › or ‹ outer › ? What do we touch with ? For « if the experiment is made of making a web and stretching it tight over the flesh, as soon as this web is touched the sensation is reported in the same manner as before, yet it is clear that the organ is not in this membrane » [ 423a ]. [4] So one can interpose a membrane, a very thin foil, one can redouble the limit, redouble the skin, but touch doesn’t reside there. It is as if, to conceive of touch, the touching surface would have to redouble itself. The surfaces touch, but touch recedes, it is an inner faculty of the surface. The membrane stretched over the surface of the body redoubles the limit into the outer and the inner, so the experiment is on the one hand useless, but at the same time it testifies to a necessity of complication the moment we start conceiving the limit. It involves both adding another skin and peeling the skin, the limit is an addition and a subtraction, for the organ of touching lies beneath. On top of that there is an interposition also on the outer side : « If two bodies touch one another under water, their touching surfaces cannot be dry, but must have water between, namely the water which wets their bounding surfaces; from all this it follows that in water two bodies cannot be in contact with one another. The same holds of two bodies in air – air being to bodies in air precisely what water is to bodies in water – but the facts are not so evident to our observation, because we live in air. […] For we perceive everything through a medium; but in these cases [ of touch ] the fact escapes us.» [ 423 a – b ]. So there is contact and no contact, one has to suppose an ever so thin layer of water or air between the surfaces, making touch impossible, or mediating touch. We live in a bubble, yet the touch nevertheless pierces the bubble, it is the most elementary sense for Aristotle, something that enables life – everything else is dispensable, except touch. « For without touch it is impossible to have any other sense; for every body that has soul in it must […] be capable of touch.» [ 435b ] Touch is necessary to animals for their being, while all the other senses are necessary merely « for their wellbeing ». Touch pertains to being, to live being, to being alive, the rest is luxury and sophistication, a bonus, an extra. A minimal medium is still a medium – the medium is the message ? – , and it is just the question of distance and scale : with hearing, sight and smell we perceive « over a greater distance ». The collapse of a medium would entail the sameness, the coincidence, but perception is distinction, the distinction of the inner and the outer, and the distinction of the limit and the medium, if we are to get to tactile distinctions at all. And ultimately the distinction of tangible and intangible : « Touch has for its object both what is tangible and what is intangible. Here by ‹ intangible › is meant ( a ) what like air possesses some quality of tangible things in a very slight degree and ( b ) what possesses it in an excessive degree, as destructive things do.» [ 423 a ] There is a threshold of touch, of too little or too much touch, beyond which there is the intangible, the collapse of touch, but which is also the collapse of a living creature, its death. So what follows from Aristotle’s rough description could be summed up by a slogan that the elementary difference, implied by touch, needs a third – the two cannot touch without a third. It takes three to be two, it takes three to make a difference, both as the reduplication of the surface, the additional membrane, the split into inner / outer, and the intervention of a medium – the bottom-line is : it takes a medium, but the medium keeps shifting. And this is, in a general way, where I want to get : to the object implied in touch which is a surplus in relation to the two touching surfaces. The difference plus the object – not as a medium of the difference, not as its encompassing cover, but as its surplus, or its cut in the midst of the difference, the object emerging in the cut, and which strictly speaking can’t be quite counted as a third, for the cut with its object is not quite an element to be counted. There is ‹ two plus ›. Admittedly, Aristotle points to it in a way which is both rough and convoluted. From the reduplication, the complication of the limit Aristotle wants to get to the proper medium of touch, which is for him the flesh, sarx ( as opposed to soma, the body ). The addition of another layer of skin and of another layer of air has to lead to subtraction : we do not touch and feel with the surface and at the surface, we touch and feel with the flesh which redoubles the surface. The complication of the limit makes the touch recede into the flesh _– _– _– 63 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) 5 For the criticism of the tacit hierarchies in Merleau-Ponty cf. Jacques Derrida, Le toucher, Jean-Luc Nancy, Paris 2000, pp. 233, 235 etc. There is an underlying primacy of vision and a hidden primacy of the hand, according to Derrida, cf. Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, Paris 1945, p. 270. as the medium. The proper medium of touch is not detached from the body as in other senses, but is part of the body itself, the flesh which connects the surface, the skin, with interiority, with the inner sense, the seat of sense, its heart, which is precisely the heart ( for Aristotle as well as in antiquity in general ). One touches with the heart, ultimately, but only through the medium of the flesh. So the flesh is the distance of the body to itself, its inner distance, the distance between the skin and the heart. Other senses, seeing, hearing, need an outer medium, they are like touching at a distance, they are out of touch, yet there seems to be more the question of scale, the stretching of the medium. Aristotle’s book is called De anima / On the Soul, so the question lying at the bottom and framing the discussion of the senses would appear to be the question of the soul and its touching the body, the interface of the body and the soul. Yet this is not a good way of putting it, this is not a version of the mind-body problem in any modern sense; rather, the soul, for Aristotle, is the very principle of life, it is what informs life and drives it, it is the very form of the body, not a disconnected entity which would then seek to be connected with its other. It is in touch with the body ( De anima is indeed mostly De corpore ), it inhabits all senses, and there is a question of gradation, of graduation, graduality : from the vegetative soul to the animal and sensing soul, to finally the nous, the seat of reason, the only part of the soul which can pretend to immortality – there is like a ladder to immortality ( and the question of the way to conceive the immortality of the soul in Aristotle is a traditionally disputed one ). So the basic distinction is not between the physical and the psychic, but between the lower and the higher, and the soul, in the graduality of its forms, inhabits both. It is not quite so with Plato, who is far more adamant in severing the graduality, severing the tie of touch and of all other senses, for the benefit of a pure gaze. Plato is not in touch with touch, one has to be out of touch in order to see with the eyes of the soul alone. Soul has an eye and no touch, and the gaze is not touching at a distance. In order to touch the thing itself, one has to desist from touching. No doubt one can say that there is denigration of touch, but also, at the same time, there is the question of what is the proper touch. How can one properly touch the thing itself ? Can one ? Under what conditions ? Being out of touch also means taking touch most seriously – and a whole line of metaphysical ( haptocentric ? ) tradition follows from there. There is, already in these ancient texts, an outline of something one could call the basic predicament of touch. On the one hand touching is ubiquitous, omnipresent, unavoidable, one cannot escape being touched and touching, at every moment, from the outset. The world, the other, keeps in touch whether we want it or not. Yet, at the same time there is also the impossibility to touch, the inability to touch properly, which accompanies touching as its shadow. While being constantly in touch, there is also a pervasive sense of being out of touch, of not being able to reach out, and to be reached. But this basic dilemma is rather a description of a very modern predicament, which can be described as an overwhelming and increasing flow of perception, of a constant amplification of perception, accompanied by a diminishing capacity to perceive; an overwhelming tide of contacts increasingly deprived of a possibility of making a contact. We are both more in touch and more out of touch than ever, and what we touch most is the keyboard, and what is most appropriately called the touch-screen. With the notion of the flesh, one can get in one deceptively simple step from Aristotle to Merleau-Ponty ( whose centenary is celebrated this year ). Merleau-Ponty’s notion of la chair, the flesh, as opposed to the body, is a very Aristotelian move to start with, although Aristotle is never quoted, and rarely mentioned, in Phenomenology of Perception or The Visible and the Invisible, where the ‹ idea › of the flesh is expounded – a singular omission ? MerleauPonty is, after a long out-of-touch era of philosophy, perhaps the most prominent philosopher of the touch, until the recent surge spurred by Nancy. Not quite of touch as a separate problem, for touching is implicated in perception as one of its facets, and none of its facets can be, at least de iure, quite singled out as the basic or the primary. [5] Perception, to put it simply, is precisely the problem, not of how to conceive the boundary, but rather of how it is impossible to posit a boundary : the ‹ body › extends itself into the world and the world extends itself into the ‹ body ›, and this is why it is inappropriate to speak of either the body or the world as given, already constituted in themselves prior to perception. The body has to turn into flesh, which is not something simply pertaining to the body, but is at the same time the flesh of the world itself, la chair du monde. Understanding flesh as the ‹ medium › of perception is but another side of the world itself being endowed with flesh. It is the interface, or rather the interlace, which 9 Merleau-Ponty is not the man of the surface, as opposed to Deleuze, with whom he otherwise shares many features. 10 The circle of distinction and indistinction also applies to the distinction of ( five ) senses : « The senses translate each other with no need for an interpreter, they understand each other without the recourse to the idea », MerleauPonty, Phénoménologie, p. 271. Yet they constitute separate realms; the world is constituted in their contacts, through their ‹ touching › each other, infringing upon each other. What constitutes the world is la chose intersensorielle / the intersensory thing. has to be the starting point of the renewal of philosophy: the point where we are not dealing with the constituted subject and object, the self and the world, but the very area of their overlapping, a pre-subjective and a pre-objective area, a touching without a subject and an object. « Nothing determines me from the outside, » says MerleauPonty in a famous statement on the last page of The Phenomenology of Perception, « not that nothing solicits me, but on the contrary because I am from the outset outside myself and open to the world ». [6] In this view, seeing and being seen are not divided as subject and object, but reversible, and so is touching and being touched ( and furthermore, an insertion of touching into seeing and vice versa ). There is fundamental reversibility, yet a reversibility with a hiatus, a lag, a non-coincidence in the coincidence, a gap constantly recuperated but never bridged or sublated, never aufgehoben. [7] The perceiving and the perceived, the touching and the touched are like on a Moebius strip [8], they are parts of the same surface – not surface, but depth and surface in one, there is no simple surface for Merleau-Ponty [9] – but with a gap in their very indistinction. [10] Through me, in me, the world sees itself and touches itself. « I ought to say that one perceives in me [ on perçoit en moi ] and not that I perceive » [11], there is a dimension of anonymity of perception that has to be rescued and rehabilitated, as opposed to all philosophical subjectivism and empiricism, idealism and materialism, intellectualism and sensualism. Flesh is not matter, but neither is it an ideality – Merleau-Ponty insists on this at length in The Visible and the Invisible – it is rather the point of their indistinction and distinctivity in one. It is not a positive given, it is both tangible and intangible, its intangibility resides in its tangibility, not opposed to it but inherent in it. But I don’t want to dwell on Merleau-Ponty at length, I just want to single out one aspect. If I started to describe the problem of touch as the problem of the two, the problem of counting, of the proper count, then one can say that Merleau-Ponty very much insists on not counting. What he keeps saying is that one should never start with two – subject / object, body / world, materiality / ideality, senses / intellect, outside / inside, the One / the Other ( one could economically say sense / sense, the sensual vs. meaning, this is very much his problem : the equivocation of the two senses of sense, the birth of sense out of sense ). It is starting with two, with the split, the distinction, which got _– _– _– 6 Ibid., p. 520. 7 « Reversibility is the ultimate truth », states the last sentence of the famous paper « L’ entrelacs – le chiasme » / « Intertwining – chiasmus » ( Maurice Merleau-Ponty, Le visible et l’invisible, Paris 1964, p. 204 ), but a nonsymmetrical and non-dialectical reversibility. 8 « [T]he sensing and the sensed body are like the top side and the underside, or two segments of the same circular course, which runs from left to right on the top side and right to left on the underside, yet it is in both phases one single movement », ibid., p. 182. 11 Ibid., p. 249. 12 Merleau-Ponty, Le visible, p. 193. 13 But if it is uncountable, it has to account for counting – for where does this ubiquitous fallacy come from ? Why are we so easily prey to the illusion of counting, to making illegitimate distinctions ? Why does the intertwining so readily withdraw and disguise itself ? Why does illegitimate counting start at all ? Why is perception deceptive while being itself the very cure against its deception ? 14 Ibid., p. 192. metaphysics into all the trouble, the two parts could then never quite meet and intersect – and the meeting of the two, the point of their indistinction, is for him the real of the human experience, its crux, its knot. But one cannot start with one either, there is no originary one, no underlying unitary principle, an arché, one substance, which would then split into two, divide itself, so that the difference and the distinction would be derived as a self-splitting of a single source. One should start with the uncountable, something that cannot be submitted to count, cannot be legitimately counted, something which is neither one nor two. Counting doesn’t apply. Perception, sensation, flesh are the names variously given this area. ( « What we call the flesh […] has no name in any philosophy.» [12] ) His prevailing rhetorical formula is neither-nor : neither subject nor object, neither matter nor spirit, neither inside nor outside. The unlimited and the uncountable can only be circumscribed by being delimited from the limited and the countable, they cannot avoid being defined per negationem. [13] If the area which ‹ counts › is uncountable, if it is neither one nor two, then it is the constant becoming two, but a becoming which cannot reach its end, the two sides can never quite become two, they cannot get loose from their tie, but their unity resides only in their split. Their common ground is not their common measure, but the incommensurate as such. They can never cut loose from each other, but they cannot coincide either. There is their coincidence and non-coincidence ‹ in one ›, their distinction and indistinction ‹in one›, but ‹ one › is precisely not the word. ( That would lead us into the dialectical trap of the Hegelian ‹ identity of identity and non-identity ›.) The uncountable area of flesh – one could put it simply : bodies can be counted, flesh can’t – is not an area of chaos. Merleau-Ponty insists on it : « The flesh ( the flesh of the world or my flesh ) is not contingency, chaos, but texture […] ». [14] It is a texture of minimal differences which overlap and infringe upon each other, so they can neither be united nor separated. Perception is both lucid and obscure, it produces sense and remains enigmatic, withdrawing and revealing itself ‹ in one ›. The texture is not a structure, for structure implies difference ( this is all it is made of ), the texture is a sub-difference, the neither-one-nor-two. One could sum up : there is touch, but there is no two. One should start by touch, but one cannot arrive either at its unity or a difference. There is touch, but there is no cut. For positing an emphatic difference would, for Merleau-Ponty, 64 15 I can add a brief footnote to MerleauPonty’s construction of perception. It is very curious and telling that, in the first part of the first part of The Phenomenology of Perception after the lengthy Introduction, he practically starts his analysis of the body not with the normal and common state of affairs, but with a strange peculiarity, an oddity : with the discussion of the phantom limb ( Merleau-Ponty, Phénoménologie, p. 90 ). An amputated leg or an arm still ‹ feels ›, it is still endowed with perception, and he looks at some length at the medical evidence. The move is in a way ‹ vintage Merleau-Ponty › : perception is not simply some closeness of contact ( rather, it is too close for contact ), but constantly haunted by phantoms, permeated by something pertaining to phantasy and endowed with a dreamlike quality ( cf. « Each sensation contains a germ of a dream », ibid., p. 249 ), there is a streak of hallucination dwelling in it. He spends quite some time arguing that the phantom limb cannot be adequately accounted for either in physiological or in psychological terms, that the two strangely intersect in it, yet it is also irreducible to their simple intersection ( that would already imply a separation of the inseparable ). If Merleau-Ponty’s position could be summed up not only by ‹ there is no cut ›, but also by ‹ there is no lack ›, then it can appear astounding that he starts off precisely at the point of a lack and at the point of a rather spectacular cut – a cut-off limb, and that he chooses the lack as the privileged vantage point. But what appears as a lack and a cut, as a paradox in the seeming continuity of perception, of the body-world continuum, as it were, doesn’t contradict his basic stance, but endorses it : his point can even be best made through the aspect of this gap which is precisely not a gap, but like an inner fold ( to use this Deleuzian term ) of perception itself, a lack which is not an absence, but a ‹ feeling › lack, a ‹ perceiving › lack, the simplest testimony to the fact that the body extends over its limits. – If Merleau-Ponty’s ‹ example › ( or rather a ‹ crown-case › ) rather massively invokes castration, one could propose, simply, that phallus is a phantom limb, yet not a limb feeling anything ( despite the seemingly massive evidence to the contrary, it figures as the apex of most intense feeling and enjoyment, its paramount embodiment ), but something which, as a cut, a bodily cut, enables access to enjoyment, to human ‹ feeling ›, to what constitutes a surplus in human feeling, its ‹ object ›. _– _– _– 65 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) 16 Sigmund Freud, « Totem and Taboo » ( 1912 – 13, trans. James Strachey ), in : The Pelican Freud Library, vol. 13, Harmondsworth 1985, p. 75. be tantamount to falling into the trap of the traditional differences which have haunted the history of metaphysics – but can one conceive of a difference which would avoid this pitfall ? A difference which wouldn’t amount to the traditional duality nor to the self-split of One ? I have evoked the Moebius strip – it is a notorious Lacanian device, not something used by Merleau-Ponty. There is a top and a bottom, an upper side and an underside of a surface, but both find themselves on the same surface, they don’t touch, but they are nevertheless contiguous, they cannot be detached from each other ( although one only finds oneself on one side at the time ). But Lacan’s point, in his multiple uses of this device, is precisely that the Moebius strip implies a cut, it results from a cut, although it has no simple outside, both outside and inside are on the same strip. And it is the nature of this cut which implies the object – precisely the objet a, not on some separate location beyond the strip, but inhabiting its very margin, the edge of a cut. In the simplest terms one could say that what informs Merleau-Ponty’s endeavour is a disavowal of the cut, or a circumvention of the cut. Psychoanalysis would agree with everything else except for this: there is a cut. [15] For Freud, if I start with summing up rather than leaving it for the end, the touch is the cut. Touch and cut coincide. This is at the core of Totem and Taboo ( 1912 – 13 ) where one can find his most extensive passages on the touch, and I propose to briefly comment on them. What defines the social as such, and hence the properly human dimension, is a cut in the touch. The core of the social injunctions, in a nutshell, can be seen as ‹ don’t touch ›. This is a zero-injunction which metaphorically ( metonymically ? ) spreads to all others. This is at the core of taboo as the minimal ‹ model ›, implying the assumption that « certain persons and things are charged with a dangerous power, which can be transferred through contact with them, almost like an infection ». [16] This entails some basic division of the social, a formal dividing line which separates persons and things into two categories, the ones that can be touched and the ones that can’t – the divide embodied, in traditional societies, by the line between the sacred and the profane, the divide massively sanctioned by religious and political authority, which can in turn be seen as relying on it. But this will not concern us any further here. What Freud is trying to get to is a parallel between those traditional injunctions, old as mankind, with the behaviour of modern day neurotics ( he announces in the subtitle of Totem and Taboo : « Some Points of Agreement between the Mental Lives of Savages and Neurotics / Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker » ). The modern neurotics appear to be suffering from a re-enactment of the taboo in an era where the prohibition of touching has been divested of its religious underpinning. One could say, tentatively, that once upon a time, with the savages, it was possible to touch because it was prohibited to touch, and now, with the modern neurotics, it is prohibited to touch because it is impossible to touch. What Freud is after is the modern predicament of touching and its vicissitudes. [17] It is not merely a surviving atavistic remainder of a prehistoric past. « As in the case of taboo, the principal prohibition, the nucleus of the neurosis, is against touching; and thence it is sometimes known as ‹ touching phobia › or ‹ délire de toucher ›. The prohibition does not merely apply to immediate physical contact but has an extent as wide as the metaphorical use of the phrase ‹ to come in contact with › [to be in touch with]. Anything that directs the patient’s thoughts to the forbidden object, anything that brings him into intellectual contact with it, is just as much prohibited as direct physical contact.» [18] Just like touching is contagious, so is prohibition : given the infinite possibilities of connectivity of things, the prohibition spreads along all these ways of possible connections, it is endowed with ‹ an extreme liability to displacement ›, new and new objects become ‹ impossible ›, « till at last the whole world lies under the embargo of impossibility ». [19] Things and people are imbued with a fatal tendency to connect, to be in contact, so the whole world has the fatal proclivity to become impossible. There is no way of containing contact, and there is no way of containing prohibition. One could say that the area of the untouchable, on which prohibition bears, could be localized and circumscribed in traditional societies, whereas the modern predicament is rather that the boundless propagation of contact entails a boundless transitivity of prohibition – which is one of the ways to describe the mechanism of the superego, as opposed to the rule of the name of the father. Boundless profanation through contact has not _– _– _– 17 As, in another context, Freud tries to debunk the father as the secret of all authority precisely in an era of the demise of the father. It is not that the dead father ( of the primeval horde ) is the hidden core of authority, but rather that the dead father himself has died, but this hasn’t terminated his rule. Everything can be allowed, but authority persists. The prohibition of touch has died along with the dead father, and yet remained in vigour. 18 Ibid., p. 80. 19 Ibid., p. 81. 20 Here I must refer to the work of Giorgio Agamben on profanation, e. g.: « An absolute profanation without the slightest residue coincides henceforth with a consecration which is just as empty and total », Giorgio Agamben, Profanations, Paris 2005, p. 102. One should carefully distinguish secularization and profanation, secularization being « a form of repression, leaving intact the forces which it limits itself to displacing from one place to another », ibid., p. 96. So the modern predicament is that of an absolute impossibility of profanation. 21 Der Trieb. I am replacing the unfortunate Strachey’s translation ‹ instinct › by ‹ drive ›. done away with the sacred, but has in a paradoxical way reinstated it and made it intractable. [20] Freud sums up the nature of these prohibitions in four points: their lack of motivation; their internal necessity; their easily displaceable nature; and their imposition of ritualistic behaviour. So how does this structure come about ? « Right at the beginning, in very early childhood, the patient shows a strong desire to touch [ Berührungslust; the word is utterly ambiguous : it can be the pleasure of touching, and this is how I am spontaneously inclined to understand it, as opposed to Strachey, Lust like in Lustprinzip; curiously, Freud italicizes just the last part, Berührungslust; maybe one can propose a contingent homonymic English translation with lust, the touching lust ], the aim of which is of a far more specialized kind that one would have been inclined to expect. This desire is promptly met by an external [ von außen ] prohibition against carrying out that particular kind of touching. [ At this point Freud most curiously inserts a footnote : ‹ Both the desire and the prohibition relate to the child’s touching his own genitals. › Nothing sexual is mentioned in the main text, sexuality appears relegated to the footnote, as if, self-referentially, repressed from the text to the bottom of the page, literally under the bar. The text merely hints at the very special kind of touching – but isn’t it touching that makes a particular point special ? Couldn’t one rather maintain that touching sexualizes the part of the body concerned ? Is the sexual special before touching, without touching, apart from touching ? Isn’t one of Freud’s main points, say in Three Essays, that any part of the body could be sexualized and that there is an erroneous traditional assumption that sexuality resides in the genitals ? ] The prohibition is accepted, since it is supported by powerful internal forces [ here again a footnote is inserted : ‹ That is, from the child’s loving relation to the authors of the prohibi tion. › ], and proves stronger than the drive [21] which is seeking to express itself in the touching. In consequence, however, of the child’s primitive psychical constitution, the prohibition does not succeed in abolishing the drive [ aufzuheben, sublating, the notorious Hegelian term; there is no Auf hebung of the drive ]. Its only result is to 66 22 Ibid., pp. 82 – 3; Sigmund Freud, « Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker » ( 1912 – 13 ), in : Alexander Mitscherlich et al. ( ed.), Studienausgabe, vol. 9, Frankfurt a. Main 1974, p. 321. 23 The loving mother’s touch has its flipside in the inscription of the law into the skin, as it were. The law is a tattoo. A sinister and most palpable parable of this is Kafka’s In the Penal Colony, where law is literally inscribed on the skin surface, the invisible tattoo made visible by the lethal machine. repress [verdrängen] the drive – the desire / pleasure to touch – and banish it into the unconscious. Both the prohibition and the drive persist : the drive because it has only been repressed and not abolished, and the prohibition because, if it ceased, the drive would force its way through into consciousness and into actual operation [ Ausführung ]. A situation is created which remains undealt with – a psychical fixation [ eine psychische Fixierung ] – and everything else follows from the continuing conflict between the prohibition and the drive.» [22] Everything else follows. All Freud is like encapsulated in this scene of touching : sexuality and prohibition, the internal and the external, drive and its repression, conflict and fixation, finally the unconscious. The scene no doubt lends itself to commonsensical reading : the child touches his genitals, finds pleasure in it, wants more, but the parents prohibit it, they step in in no uncertain terms, driven by the sense of common propriety and decency, if not by religious zeal. Enough to make anyone neurotic. Yet one can also see that the conflictual alliance which sustains touch is far more complicated. The prohibition can never simply just come from the outside, it would never be effective if it was not sustained from the inside, if prohibition and pleasure didn’t form a sort of pact. And also and above all, prohibition itself has to take the form of touching, it cannot be sustained by mere word, it has to be the word sustained by touch, the word touching flesh, imposed by the parental touch, this first language imposed on the infant, the mother’s touch being the f irst mothertongue. [23] There is the touch which imposes the cut, the cut of touch, the cut of self-touch – and this is where the supposed mythical first phase of auto-eroticism, the selfsufficiency and self-affection of self-touching, is cut short, the self-circuit is interrupted, in order to impose the step towards the object, Objektwahl, if we follow Freud’s account of the sexual progress from the Three Essays. But this primary auto-eroticism itself is a retroactive myth, it is rather something coinciding with the cut : the incidence of sexuality results from the cutting and the cut touch. And this is, rather than preventing simple pleasure, what creates it, or rather creates it as enjoyment : « He is constantly wishing to perform this act ( the touching ), and looks on it as his supreme enjoyment ( den höchsten Genuß ), but must not perform it and detests it as _– _– _– 67 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) 24 Freud, Totem and Taboo, p. 83. 25 Cf. Nancy : « […] the unity of coming to oneself as ‹ feeling oneself ›, ‹ touching oneself ›, which necessarily passes by the outside – which effectuates that I cannot feel myself without feeling the other and without being felt by the other », Jean-Luc Nancy, Corpus, Paris 2000, p. 125. well.» [24] One can sum this up simply by saying that the cut creates touch as object, the touch cutting touch, and it is there that enjoyment sneaks into the gap. There is no neutral touch. To touch is to infringe, to trespass, to overstep, to invade, to go too far, to transgress, to violate. To touch is to touch too much. But this excessiveness of touch stems from the touch as cut. It is the cut that exceeds touch. For if there is infringement and transgression, there has to be a limit which is thus exceeded, and it is the cut which both imposes the limit and creates touch as its trespassing. There is a supposed primary given of touching oneself, of discovering one’s body by selftouch, but there is a touch which interrupts this self-circuit, and this ‹ second touch › is not simply external to the self, rather the self-touch, feeling oneself, is instated only through external interruption, and the supposed primary self-eroticism emerges at the same time with it. One touches one’s body as the other touches it, in a movement which both produces, links and separates the two. [25] It is through the cutting touch, the cut touch, that one relates to one’s body at all, the body emerges through the prohibition of touch. No doubt this coincidence of touch and cut is the point where the basic ‹ don’t touch › occurs, where religion, politics, metaphysics, transcendence come bursting in, molding the difference it implies into the divide of the touchable and the untouchable, the sacred and the profane, and solidifying the object, endowing it with an aura, separating it. But the point is precisely to try to ‹ redeem › the object touch from this heavy burden, to hold on to the difficult touch and its cut structure, to reestablish it not in its immediacy and deceptively simple palpability and materiality, without cut, but in its ability to touch through the very cut. _– _– _– 26 Freud, Totem and Taboo, ibid. 27 I am well aware that what Freud is describing is the basic mechanism of obsessional neurosis which, for him, can provide an insight into the origins of religion. Religious practices, with the institution of the sacred / profane divide, with the privileged handling of the untouchable, are for him ultimately all derivative of the obsessional neurotic elementary stance. It is the way that neurosis constitutes a social tie by codifying and sanctioning the untouchable. Hysteria rather functions by an opposite mechanism : to push towards the impossible touch, to try to touch too much, to touch properly, to exceed the imposed limit, and discovering that ‹ this is not it ›. ‹ I cannot touch, however spectacularly I try ›. The hysterical subject precipitates herself into the touch, while the obsessional fends off any touching. The obsessional cannot escape touching, however impossible the world is, and the hysterical cannot touch despite ever more transgressive gestures. They are two ways to deal with touch as cut, and they could both be seen as ‹ délire de toucher ›. – To round off the clinical picture, one could say that perversion, as the ‹ negative of neurosis ›, relies on the mechanism of domesticating the touch, neutralizing it into the quantum of pleasure that one can handle and play with, it ‹ cuts to size › the cut into a proper distance, while psychosis collapses the cut and makes the touch ‹ too possible ›, ‹ too successful ›, so it slides to coincidence. Their various ways of relating to touch, to follow Freud, are formative of basic patterns of culture : « It might be maintained that a case of hysteria is a caricature [Zerrbild, distortion] of a work of art, that an obsessional neurosis is a caricature of a religion and that a paranoiac delusion is a caricature of a philosophical system », ibid., p. 130; Freud, Totem und Tabu (op. cit.), p. 363. 28 Freud, Totem and Taboo (op. cit.), p. 81. 29 Indeed, the paramount example of the contact magic would be Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug. Freud in a disguised reference ( ? ) to Wagner says : « The belief that there is a magical bond between a wound and the weapon which caused it may be traced unaltered for thousands of years », ibid., p. 139. 30 Jakobson’s famous paper on the two types of aphasia, which influenced Lacan so much ( cf. L’instance de la lettre ), singled out the core opposition metaphor / metonymy using at some point the examples from both Freud’s dreamwork and Frazer’s theory of magic, cf. Roman Jakobson, Essais de linguistique générale I, Paris 1963, pp. 65 – 6.) 31 Freud, Totem and Taboo (op. cit.), p. 140. 32 Ibid., p. 143; Freud, Totem und Tabu (op. cit.), S. 374. 33 There is, apart from that, but not quite apart, the problem of the symbolic ‹ touching itself ›, as it were, the words being contaminated by each other through their sound contacts, similarities, echoes, reverberations. This is what constitutes homonymy, the contingent sounding alike, which is at the basis of the mechanisms of the unconscious and which Lacan, in his later work, tried to pin down with lalangue, cf. Mladen Dolar, His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme, Frankfurt a. Main 2007, pp. 186 – 202. There is a double face to the touch : on the one hand it is constituted by the cut, on the other hand it creates a fixation. Touch not only fixes, it transfixes, so to say, it creates a mark of attachment, an anchorage point of enjoyment. It is like the first mark, the first signifier, written on the skin, and its elementary ‹ signifying › property stems from its double edge of being cut in the very gesture of touching. The way Freud spells it out, fixation coincides with the unconscious. Touch, cut, and fixation are the flipsides of the advent of the unconscious. Although Freud immediately simplifies things, sorts them out in an unfortunate way by saying that « the prohibition is noisily [ laut ] conscious, while the persistent desire to touch [ Berührungslust ] is unconscious.» [26] It is rather that the prohibition is the very kernel of the unconscious, tending in the limit to make the world itself impossible, untouchable. [27] Touch coinciding with the cut has the fatal tendency to spread. There is no way of containing touch, it spreads not merely by contiguity, by contact and physical connection, so that things being touched become contaminated, it also spreads by contiguity of something apparently not touching, disconnected, such as, by definition, the word. If disconnection is what seemingly defines the word as a signifier – having no common ground or similarity with the thing ( le meurtre de la chose, as Lacan, following Kojève, used to say in early days ) – then touching entails at the same time a disavowal of cut, a supposition, an underlying and pervasive belief, that words touch things. The word is treated as a property of a thing, on the same level, there is no disentangling words from things. Freud relates about a patient who wouldn’t touch a gift bought by her husband on Hirschengasse, on the grounds that Hirsch was the married name of her childhood friend with whom she had fallen out. The friend may be living in a distant city, but her touch pollutes the objects purchased on the street contingently bearing her name. [28] Touch is an ubiquitous threat, the world is not big enough to prevent touching, everything touches, so nothing can be touched. The taboo concerning names evokes well-known traits of the ‹ primitive › societies, where the persons and objects which are taboo – kings, the dead, the enemies, the polluting substances etc. – also fall under the ban of using their names. Words are treated as objects touching other objects, they are tainted by objects they stand for, and one can inversely touch objects by mere words. The cut instigates a contiguity and a continuity without a cut – but this supposition is precisely based on a 68 _– _– _– 69 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) 34 Cf. Octave Mannoni, « Je sais bien, mais quand même », in : Clefs pour l’imaginaire ou l’autre scène. Le théâtre et la folie, Paris 1969, pp. 9 – 33; and Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen, Frankfurt a. Main 2002, respectively. 35 Joseph Breuer / Sigmund Freud, Studies on Hysteria ( 1895, trans. Nicola Luckhurst ), Freud Library (op. cit.), vol. 3, p. 354. One gets a graphic description in the case of Lucy R.: « I placed my hand on the patient’s forehead or took her head between my hands and said : ‹You will think of it under the pressure of my hand. At the moment at which I relax my pressure you will see something in front of you or something will come into your head. Catch hold of it. It will be what we are looking for. – Well, what have you disavowal of the cut, and this is why, for Freud, it defines the magical world and the magical thinking. Which brings us to this new kind of magic, namely psychoanalysis, the art of touching the body with the word. Touch involves both metaphor – basically the cut – and metonymy – basically the endless transitivity. It is the crossing of both. For Freud this recalls the two basic types of magic singled out by Frazer in The Golden Bough, the great work which appeared just shortly before Totem and Taboo and still figures as the touchstone of anthropology. There is on the one hand the imitational magic, which operates by a metaphorical substitute – one sticks needles into dolls, one makes an effigy of the enemy and what befalls the effigy will befall the enemy, or one stages making rain to remind nature how to make rain. What counts is similarity or analogy, while distance plays no role – this magic works across distances on the supposition that analogy provides sufficient ground to secure efficacy. On the other hand there is ‹ contact magic › which works by physical contiguity : one has to obtain some object belonging to the enemy, or his hair, something which has been ‹ in touch › with the person, so by affecting the contiguous one will affect what it has touched. [29] In magical thinking we oddly find the very mechanisms which for Freud constituted the basic dreamwork, the work of the unconscious, condensation and displacement. [30] « Similarity and contiguity are the two essential principles of process of association » [31] , says Freud, adding a bit later that they that this can be simply effectuated, that it only takes an appropriate ritual. It is based on a disavowal of the cut and firmly trusts that there is nevertheless a secret touch which operates by occult ways. ‹ I know very well, but nevertheless… ›, the formula of disavowal made famous by Octave Mannoni ( and admirably expounded by Robert Pfaller ). [34] But this illusion, shared by both savages and neurotics, is ‹ nevertheless › not just an illusion to be simply dismissed, for words in some way do touch upon things, the symbolic does touch the real, and if there is a cut, it is not between the symbolic and the real, but they are both parts of ‹ the same › cut, they result from the same cut – though the cut is precisely what cannot be the same, but institutes the incommensurate. The cut intertwines both and embodies the absence of their common measure. So the supposition that words do touch upon things is at the basis, apart from magic, of psychoanalysis. Freud, in his early days, didn’t shy away from touching his patients. In Studies on Hysteria ( 1895 ) he discusses at some point the problem of what to do when the flow of associations runs dry and the patient claims not to remember, resists remembering : « are both included in the more comprehensive concept of contact [Berührung, touch]. Association by contiguity is contact in the literal sense; association by similarity is contact in the metaphorical sense. The use of the same word for the two kinds of relations is no doubt accounted for by some identity in the psychical processes concerned which we have not yet grasped [ eine von uns noch nicht erfaßte Identität ].» [32] So there is some basic fact of psychical processes which resides in the touch, Berührung, of metaphor and metonymy; two ways of touching touch each other. Cut and touch both touch in something which eludes us. The two ways of touching, by analogy and by contiguity, touch upon, or circle around, an impossible point where the word would touch the thing, the impossible intersection of words and things. [33] The magic is based on the belief that this works, seen or what has occurred to you ? › », ibid. pp. 173 – 4. Oddly, the triggering point is once described as the touch and once as the removal of touch, the cut. 36 Ibid., p. 363. 37 Freud, Totem and Taboo (op. cit.), pp. 96 – 7. 38 Of course the presence of the analyst is always surmised on the basis of some sensual vestiges and traces. One has seen the analyst to start with and his image and visual features may well linger on in what follows in various ways, one can e. g. glimpse his shadow; one has shaken his hand, there is indeed a smell of the analyst, and there is his rustling and breathing which informs his silence. « In these circumstances I make use in the first instance of a small technical device. I inform the patient that, a moment later, I shall apply pressure to his forehead, and I assure him that, all the time the pressure lasts, he will see before him a recollection in the form of a picture or will have it in his thoughts in the form of an idea occurring to him; and I pledge him to communicate this picture or idea to me, whatever it may be.» [35] So touch should remedy the gap in the free associations, it should give a push to their freedom. Touch is called in at the point where the word fails, it is the relay of the missing word. And its point is to trick the defense, to catch it off guard : « The procedure by pressure is no more than a trick for temporarily taking unawares an ego which is eager for defense. » [36] One touches to get around the ego, one touches to reach the unconscious. So there is a point where psychoanalysis, in its infancy, relied on a magical touch at the point where the talking cure didn’t quite work out, the touching cure had to supplement the talking cure, and this is in line with what Freud would later describe as the magical touch of the person in authority, the ruler, the 40 « Le corps est l’unité d’un être hors de soi. […] L’intouchable, c’est que ça touche », Nancy, Corpus (op. cit.), pp. 125, 127. 41 Dolar, His Master’s Voice (op. cit.), p. 168. 42 The acousmatic voice – the voice whose origin cannot be seen or located – is a paradigmatic case where the voice assumes extraordinary power through its counterpoint to visibility, with the absence of visible framing. 43 « Observe that this mark of the cut is no less obviously present in the object described by analytic theory: the mammilla, faeces, the phallus ( imaginary object ), the urinary flow. An unthinkable list, if one adds, as I do, the phoneme, the gaze, the voice – the nothing » , Jacques Lacan, Écrits – A Selection ( trans. A. Sheridan ), royal touch which could cure ( thus Charles II allegedly touched a hundred thousand persons in his life to cure them of scrofula [37] ). And this was in line with suggestion and hypnosis, these other ways by which Freud hoped to touch directly upon the unconscious and retrieve a missing bit of the puzzle from it. How to touch the unconscious ? How to lay hands on it ? This is where the basic tenet comes in that I have been insisting on: the touch is the cut, and the cut is what institutes the unconscious. The royal road to the unconscious is a roundabout, encircling it not as a piece of positive being, an information, a missing bit of the puzzle which would complete the picture, but precisely as a cut. Since our topic is the connection between words, these untouchables, and things, the objects of the senses, there is a double injunction which institutes the psychoanalytic situation, this reduction of both personal and objectal relations to a minimal dispositive: on the one hand, there is the absence of any prohibition or restriction concerning words – its ground rule notoriously urges just to say freely whatever happens to fall into one’s head without any restraints. In psychoanalysis there is no limit to the freedom of speech, it takes the freedom of speech a bit too seriously, to the extreme. On the other hand, its counterpart is a prohibition bearing upon the senses, a real sense-deprivation: the analyst, this ‹ inhuman partner ›, ‹ a stranger ›, ein fremder Mensch, is in principle not to be touched, not to be seen, not to be heard ( with the notorious ‹ silence of the analyst › ), and I suppose not to be tasted and not to be smelled ( is there a smell of the analyst ? is he the subject supposed to smell ? ). Well, Freud doesn’t quite insist on the last two points. With words, anything goes; with senses, nothing goes. The analyst should be disconnected from the five senses, cut-off from senses, he is not a creature of senses, not a sense object, a non-sensual being. He undercuts any sense-certainty. Thus, psychoanalysis, on the other hand, takes traditional restrictions a bit too far as well, there is extreme permissivity and extreme restriction. Is the analyst therefore an idea, a spirit, a ghost, a beyond, a deity, a supersensible entity ? The point is precisely that this disconnection turns him into an object. He is constituted by a cut, and the cut is the object, the object emerges in the cut. There is the presence of the analyst, essential to the process of cure, the core of the cure, but this presence is there precisely by being cut-off, an alien presence, a surmised presence [38] , an unbearable pres- _– _– _– 39 From the double injunction of free association of words and prohibition of the senses one can infer the double function of the analyst: as the addressee of speech, he is ‹ the subject supposed to know ›; in his presence cut-off from the sensual, he embodies the object. And one can say that the supposition of the subject supposed to know is a ‹ necessary illusion › which triggers off analysis and has to be dissipated by analysis, while the presence of the analyst is no illusion, no supposition – he is too much there and wouldn’t be dissipated. It has to be linked to the notion of subjective destitution and the drive. London 2001, p. 349. There is a ‹ kinship › which links the various objects a to the bodily apertures – the mouth, the anus, the voice, the gaze … – and the touch, although closely associated to openings, the mouth to start with, has the ability to affect any part of the body, one can touch the body all over, so one could say it has the capacity to turn any point of bodily surface into an opening. The touch bores a hole, and creates an edge. ence, an intractable presence. The point is, in this cut-off presence, to make the object emerge as such. [39] The object of the senses schlechthin, the object thwarting the senses, bending the senses, transfixing the senses, haunting the senses. To bring it to one simple formula : there is no limit to the freedom of speech, except for the object – the object which touches us, which finds itself not on the other side, as a reference or the addressee of speech, but on this side of my speech, too close. Or one could say, to exacerbate the paradox, that the analyst is my own body, the body invoked through my words, the body of the other which touches me. « The point of the untouchable is that it touches » [40], ( to quote Nancy, in a last minute homage, who has been developing this point in a very different way ). I argued, in my book on the voice, that the analyst, precisely through being silent, embodies the object voice as such. [41] The argument can be extended to other senses, not quite by claiming that he embodies five different objects, but rather the structure of the object is something transversal, a cross-over, making the five senses overlap in the same structure. The list of the objects – the breast, the faeces, the voice, the gaze … – is both instructive and elusive, inconclusive, they overlap, take relay from each other, condition each other [42] , present a multiplicity of facets, precisely by not being firm and countable beings, but inhabiting only the edge, the cut, something which emerges as a surplus created by the cut. [43] The point of the analysis is to bring the two together, the word and the object, to effectuate their link. The body and the word intersect in the object, the body can only be touched by the word through the object, the object is their ‹ interface ›, and the point – as far as we are concerned with tactility – is to effectuate their impossible touch. To restore to touch the transformative power through this mediation, by this roundabout way. To restore the cutting edge of experience, the sensual and bodily experience in its inextricable knot with speech, but which cannot be touched upon directly, no more than the unconscious can. It is no doubt unusual and I suppose counterintuitive to conceive psychoanalysis as a reinvention of touch, a restoration of touch in an era which has anaesthetized and virtualized experience, touching, made it impossible, but this is what I tried to propose. 70 71 Diesseits, jenseits und neben der Kunstgeschichte in ihrem engeren, neuzeitlichmodernen Sinne, waren und sind Bilder Gebrauchsgegenstände und als solche keineswegs der kontemplativen Betrachtung vorbehalten. Das Kultbild ward und wird nicht nur angebetet, sondern auch angerührt, und die Photographien der Lieben trägt man mit sich herum, und denen der Allerliebsten mag manch einer gar einen Kuss aufdrücken. Vor diesem Hintergrund nimmt sich das Bild als ästhetisches Schauobjekt als ein eigenartiger Sonderfall heraus. Und nicht zufällig wohl, dass es in der Praxis aufwendiger Sicherungsmaßnahmen bedarf, um dem Berührungsverbot, mit dem es belegt ist, Geltung zu verschaffen. Philipp Stoellger befasst sich in seinem Essay mit dem schwer bezähmbaren Verlangen, gerade auch solche Bilder zu betasten, und geht dabei von der Überlegung aus, dass man das Kunstwerk am besten als ein dem « Gebrauch entzogenes » Objekt verstehen sollte. ( sm ) Philipp Stoellger Vom Begehren nach Berührung oder ‹ Inoperativeness ›: Wenn etwas dem Gebrauch entzogen wird Rühr mich nicht an Kunst zu berühren, ist prekär. Denn sie zu berühren, bei Kunst zuzugreifen, gilt als Angriff; zumindest was Kunst angeht, für die gilt : nur anschauen, nicht anfassen. Eine Bronze im öffentlichen Raum ist zum Anfassen gemacht. Diese Spuren gehören zu ihrem Leben und ihrer Aneignung durch die, für die sie da ist. Offensichtlich gibt es hier Unterschiede, die sich am Leitfaden der ‹ Berührbarkeit › ausmachen lassen. Berührbare Kunst ist Gebrauchskunst. Vor dem ‹ Zeitalter der Kunst › war das die religiöse Kunst, und die lebt bekanntlich immer noch, ohne zur Unkunst geworden zu sein. Auch wenn Epochentheoretiker das gerne insinuieren. Berührbare Kunst ist auch Alltagskunst, vom Design bis zum ‹ besten Stück ›, das man auf dem Schreibtisch stehen hat. Es sind Dinge des täglichen Umgangs, die exponiert sind, ausgesetzt dem täglichen Gebrauch. Aber was Gebrauchskunst ist, läuft Gefahr, Verbrauchskunst zu sein. Das Designobjekt ist irgendwann abgenutzt. Nur wenige Objekte sind dafür gemacht, zu altern, und das in Würde. Oberflächen mit Gedächtnis, manches Metall, Holz, jedenfalls ‹ massive › Materialien, sind umsatzschwach, weil sie zu lange halten. Aber in dieser Chance aufs Altern liegt auch ihr Reiz. Bei denen ist der Lack nicht so schnell ab wie bei ‹ verchromtem › Kunststoff. Was sich nicht auf Dauer brauchen lässt, wird irgendwann dem Gebrauch entzogen – und entsorgt. Dagegen lehnt sich die Kunst auf, die von Anbeginn an dem Gebrauch wie dem Zugriff entzogen wird. Unalltägliche Kunst, wenn man nicht Sonntagskunst sagen will, Sammler- und Museumskunst. Die prohibitiven Preise sind neben vielem Anderen Anzeichen der Unbrauchbarkeit und Unzugänglichkeit derselben. Kein Wunder, wenn dagegen sich in der Kunst selber Widerstand regt. Auch in den Sphären der Sammlerkunst gibt es dezidiert Antastbares. Aber diese Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Was sagt der Sammler, wenn die Besucher seine Bilder anfassen ? Der Griff ins Bild ist ein Angriff. Denn für Bilder gilt, was Christus nach der Auferweckung im Garten zu Maria Magdalena sagte : « noli me tangere / Rühr mich nicht an ». [1] Bei ihm war das alles etwas einfacher und komplizierter. ‹ Halt mich nicht fest! › war wohl die Pointe. Klammer dich nicht an mich und mich an dich, denn sonst kann ich nicht in den Himmel aufsteigen ( um dann überall und allen präsent zu sein ). Bei Bildern ist es elementarer, handgreiflicher : Berühren ist Beschädigen. Selbst ein Kuss hinterlässt Spuren, die zu tilgen teuer kommt. Kusskunst und Kunstkuss Als im Oktober 2007 in Avignon eine dreißigjährige Französin namens Randy Sam dem reinweißen Gemälde ( Teil des Triptychons Phaedrus ) von Cy Twombly einen Kuss aufdrückte und mit ihren kräftig rot geschminkten Lippen deftige Spuren hinterließ – war das justiziabel. « I left a kiss », sagte sie. « A red stain remained on the canvas … This red stain is testimony to this moment, to the power of art.» [2] [Abb. 1] [Abb. 2] Das Bild – immerhin zwei Millionen Euro schwer – galt darauf hin als irreparabel zerstört, entjungfert könnte man meinen. Denn, so der Kurator der Ausstellung, die Lippenstiftspuren würden ‹ nie wieder weggehen ›. Dass die werte Dame sich als Künstlerin ausgab, die vom Weiß inspiriert worden sei und das Bild mit ihrer Lippenmalerei habe verschönern wollen, hilft da wenig. Selbst wenn das keine Schutzbehauptung sein sollte, wäre es so wohlfeil wie möglich. Alles ist erlaubt, dem der da Kunst macht ? Es mag kein Ikonoklasmus gewesen sein, keine intendierte Zerstörung; es ist aber ein iconoclash, eine nicht ( nur )intentionaler Zugriff, ein Zusammenprall zweier Perspektiven – bei der der Schwächere nur nachgeben konnte. Wer kann sich schon gegen einen zudringlichen Kuss wehren, zumal wenn man wie das Bild nicht weglaufen kann. Ob man das gleich ‹ Kannibalismus › oder ‹ Parasitismus › nennen muss, wie die Staatsanwälte ? Es würde auch reichen, es dümmlich, aggressiv und aufdringlich zu nennen. Aber darüber hinaus ? Es ist – bewusst oder nicht – eine gängige Geste vor den ‹ Zeiten der Kunst ›. Heiligenbilder sind zum Küssen da. Sie sind Kontaktmedien zum Heiligen, und im Kuss werden sie demgemäß verehrt ( ob das Bild selber oder der abgebildete Heilige, das mag der Herr entscheiden, nicht aber der Beobachter ). Ikonen sind nicht nur Schauobjekte, sondern Kontaktkunst, Kuss und Berührung ebenso exponiert wie rußenden Kerzen. Was Wunder, wenn ein Bild, das wie Malewitschs schwarze und weiße ‹ AnIkonen › mit der Ikonographie der Ikone spielt, eben ikonische Reverenzgesten auf sich zieht. So wird der Kuss des Bildes zu einer Reprise der religiösen Praktiken in ( vermeintlich ) areligiösem Zusammenhang. Sollte darin die eigentliche Empörung gründen, dass sich der angespielte Hintergrund plötzlich in den Vordergrund drängt ? Dass mit der Ikonizität eines weißen Quadrats ernst gemacht wird – auf das Risiko hin, dass die Kunst ihre weiße Weste verliert ? Selbstredend ist ein roter Kussmund auf weißem Grund trivial, ebenso wie der sensationslüsterne Versuch, damit Kunst zu machen auf Kosten anderer Kunst. Selbstredend ist das zu Recht justiziabel. Selbst Ikonen gingen nicht ohne edles Präservativ an die Öffentlichkeit. Zum Küssen ausgestellt, wurden sie doch geschützt in Gold-, Silber- oder Messingmantel. Schließlich sollten sie im Gebrauch nicht verbraucht werden. Auch wenn die Ikonen zum Verwechseln dem Abendmahl ähnliche Funktion zu haben scheinen, sind sie keine verzehrbare Hostie. Aber steckt nicht in der Geste der Exposition eines ‹ weißen Bildes › eine Koketterie ? Ein Exhibitionismus im Willen zum Sichzeigen – bei gleichzeitigem Entzug, indem doch nicht ganz Ernst gemacht wird mit der Öffnung und Preisgabe an die Augen der Betrachter ? Wer könnte schon an der Schau genug haben, wenn er doch letztlich haben will, was er schauen will ? Und ‹ Habenwollen › ist doch der Trieb eines jeden Sammlers. Sie zeigen, exponieren, was sie haben – und können nicht vermeiden, darin eine ästhetische ( und ökonomische ) Leistungsschau zu veranstalten. Wer könnte es einem Besucher verdenken, wenn er gerne 72 73 einem der Bilder Beine machen wollte. Offenbar genügt es nicht jedem, das Geschaute nur immateriell mitzunehmen, im flüchtigen Medium von memoria und imaginatio. Der Wille zur Materialität ist ein Keim des Berührenwollens, Habenwollens, der Einverleibung als ultimativer Aneignung – in aller Tragik( omik ). Abb. 1 Cy Twomblys Ausstellung Blooming : A Scattering of Blossoms and other Things ( Avignon : Collection Lambert, 5. 6.–14. 10. 2007 ) nach dem Besuch von Randy Sam Abb. 2 Die Anwältin Agnes Tricoire präsentiert eine Reproduktion des mit Lippenstift befleckten Kunstwerks ( Avignon, Oktober 2007 ) 1 Johannes 20, 11 : « Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füssen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. 13 Und die sprachen zu ihr : Frau, was weinst du ? Sie spricht zu ihnen : Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr : Frau, was weinst du ? Wen suchst du ? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm : Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr : Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf hebräisch : Rabbuni!, das heißt : Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr : Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.» 2 Zit. n., « Painting meets its femme fatale », in : BBC News, Samstag 21. 7. 2007, auf : http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/6910377.stm ( Oktober 2008 ). 3 Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Ausdünstungen der Betrachter meist geduldet werden. Rauchen ist zwar verboten, Atmen und Schwitzen aber nicht. In Höhlen ( Lascaux ) oder vor Fresken ( Pompeji ) kennt man das Problem. Taktilität kann sich auch sublimiert ereignen, wenn der Betrachter das zu Sehende anhaucht und verschwitzt. Spurlosigkeit Bilder sollen in der Regel keine Spuren des Gebrauchs aufweisen – auf ewig neu und unberührt, nie und nimmer gezeichnet von ihrer Geschichte. Darin zeigt sich ein ikonisches Paradox : obwohl die Bilder nichts ‹ spüren ›, sind sie sensibel, berührungsempfindlich, gar passibel. Sie zeigen Spuren, wenn sie ‹ benutzt › werden : vom Licht, vom Transport, von der Luft und von der Zeit, bis zu den Insekten, die darin Nester bauen können, sich durchfressen, oder zu den Pflanzen, die darauf Wurzeln schlagen, wie den Pilzen und ähnlichem. Spurlosigkeit ist selbstredend eine Fiktion, die faktisch nie ganz durchgehalten werden kann. Aber als normative Regel reguliert sie den Umgang mit dem Bild. Mag das Bild selber noch so viel ikonische Energie freisetzen, Bewegungsenergie, die den Betrachtern Beine macht und sie pilgern lässt, angekommen vor dem Objekt des Begehrens sind allein die Augen, der exklusive Sinn fürs Bild. Alle anderen Sinne sind verbotene Sinne. Kein Tasten, kein Schmecken, kein Hören. Allenfalls der Nahsinn des Geruchs ist noch erlaubt, wenn auch meist unergiebig. [3] Die Würde des Bildes ist unantastbar ? Worauf geht diese Unberührbarkeit des Bildes zurück ? Einfach gesagt, gefährdet die Berührung den Bestand des Bildes, seine Oberfläche und seine Integrität. Damit tritt zutage, dass die Würde des Bildes als unantastbar gilt. Was für den Menschen in seiner leiblichen Integrität gilt, gilt auch für das Bild. Und noch mehr : die Abbildungen eines Menschen sind nicht vogelfrei, sowenig wie er selber. Gleiches gilt für das Bild. Wer es besitzt, hat die Rechte daran. Die ‹ Bildrechte ›, die anscheinend analog zu den Menschenrechten und der Menschenwürde konzipiert sind. Daher ist der Kuss eine Vergewaltigung dessen, der sich nicht wehren kann : sexuelle Belästigung dessen, was nicht rechtzeitig weglaufen kann. An der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit eines Bildes zeigt sich, dass es de facto durchaus antastbar ist, wie die Würde des Menschen auch. Aber es gilt nichtsdestoweniger die ultimative Norm der Unantastbarkeit. Der faktische Widerspruch hebt die normative Regel nicht auf. Aber ebendiese Regel hat eine seltsame Isolationshaft von Bildern zur Folge ( auch wenn sie sich gelegentlich in Ausstellungen treffen und sogar Besuch empfangen dürfen ). Was derart verletzlich ist und in die Gesellschaft der ‹ höchsten Güter › versetzt wird ( wie Ideen, Hoffnungen, Utopien ), wird zum Selbstzweck gemacht. Und das könnte ein zweckloser Zweck werden – Zweck ohne Mittel. Den Bildern würde in ihrer Unantastbarkeit und Isolation ihr Mittelcharakter bestritten, ihre Medialität und damit ihre Brauchbarkeit und Antastbarkeit. Sollte daher nicht auch für Bilder gelten, was Kant für den Menschen formulierte : « Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. » [4] So soll man Bilder niemals ‹ bloß als Mittel brauchen›. Aber ‹nur als Zweck ›, als ‹ reinen Selbstzweck › – könnte man sie gar nicht mehr brauchen. Sie würden unbrauchbar – jedem Gebrauch entzogen. Das geschieht nicht einmal, wenn sie als Renditemittel im Keller stehen. Dem Gebrauch entzogen Wie entsteht solch eine Intuition : dass ein Artefakt, ein Ding im weitesten Sinne, derartige Würde und Rechte genießt ? Unantastbarkeit, Unverletzlichkeit des Leibes, Unberührbarkeit – trotz aller Verehrung, allen Begehrens und aller Lüste ? Es kommt vor von Zeit zu Zeit, dass etwas dem Gebrauch entzogen wird. ‹ Inoperativeness › kann man das in Aufnahme Giorgio Agambens nennen. Etwas wird außer Kraft gesetzt, wird dem Gebrauch entzogen oder eben ‹ zur Seite gelegt ›. Das ist mehrdeutbar : Müll kommt in die Tonne und gammelt nutzlos auf der Halde vor sich hin. Abgelegte Klamotten geistern auf dem Dachboden herum oder werden ‹ recycelt ›. Alles Nutzlose, Wertlose oder Kaputte ist nicht mehr Mittel und nicht mehr Zweck, sondern wertlos. Diese Anökonomie des Verbrauchten ist phänomenal ihrer Verwandten nicht ganz fern, der wertsteigernden Anökonomie der Kunst. Dem Gebrauch entzogen werden – das widerfährt auch den Dingen, die besonders sind, aufbewahrt und ausgestellt werden. Wenn einem ein Ding wichtig geworden ist, weil es mit Erlebnissen und Geschichte imprägniert ist, die daran haften, wird es vor allem denen dienen, nicht mehr seinem ‹ eigentlichen › Zweck. Ein Glas zum Beispiel, aus dem man ‹ last drinks › mit einem lieben Verstorbenen genossen hat, oder ‹ first drinks › mit einem Geliebten, wird womöglich nicht mehr in der Spülmaschine behandelt wie alle anderen. All das, was auf den heimischen Altären des Alltags landet, ist einem liebes und teures Strandgut des Lebens, das eben auf dem Hausaltar steht und dort nicht mehr im normalen Gebrauch steht. Es wird dem Gebrauch entzogen – und einem anderen zugeführt : memorial, anschaulich, imaginativ –, aber meist doch berührbar. Denn wovon man berührt wird, das will man berühren. Nichts evidenter als das. Viele dieser Dinge sind Kontaktreliquien, die ihren memorial-imaginativen Zauber gerade in der Berührung entfalten. Erst wenn sich Staub auf ihnen sammelt, scheinen sie weggedriftet zu sein in ein nur noch visionäres Verhältnis. Was abgestaubt werden muss, wird nicht mehr angefasst. Unberührbar in einem normativen Sinne aber wird erst das, was von der Berührung gefährdet würde, weil sie das Artefakt verändern würde und am Ende gar ‹ verbrauchen ›. Damit sich etwas nicht verbraucht, wird es dem Zugriff entzogen. Die Kaaba zeigt, wie steter Kuss selbst den Stein höhlt. Würde jeder die Reliquien küssen dürfen, wäre der tote Körper eines Papstes wohl schnell weggeküsst. Eros zwischen Vision und Berührung Worauf geht überhaupt das Begehren nach Berührung zurück ? Bilder gehen auf die Augen, manchmal auf die Nerven, aber Hand und Fuß sind nicht angesprochen, geschweige denn Zähne oder Zunge. Ohne Füße wäre es vor einem Bild gelegentlich problematisch. Aber ohne Hände hätte man kein Problem. Warum gibt es dann Fälle von Zugriff ? Warum werden Bilder eingezäunt ? Doch nicht eigentlich, damit sie nicht weglaufen, sondern damit man ihnen nicht zu nahe tritt. Wenn die Augen gereizt werden, will der Rest des Leibes hinterher. Darauf wettet – mit Erfolg – noch jede Werbung: in den Augen ist im Sinn. Und was einmal im Sinn ist, will man haben ( oder soll man haben wollen ). Es geht um die Augen als passibles Organ, in die einfällt, was einen anzieht und nicht mehr loslässt. Was einen aber so gepackt hat, will man greifen, haben, benutzen, wenn nicht verschlingen. Taktilität, das Begehren nach hapsis, nach mehr als visio, spielt im Register des Eros. Und der will mehr als nur visio. Der will berühren, anfassen, küssen, lecken, lutschen bis zur Einverleibung, wie auch immer. Im Grenzwert neigt der Eros zum Kannibalismus, der glücklicherweise meist hinreichend sublimiert wird, um nicht alles wegzufressen, was er begehrt. In platonischer Tradition ist der Eros das Pathos, das höchste aller Gefühle, der Sinn fürs Übersinnliche. Im Eros wird man hingerissen zum Göttlichen, und gelegentlich auch zum einen oder anderen Knaben. Päderastie war Ehrensache bei den Gebildeten unter den Griechen. Und was macht der Eros mit einem dabei ? Zielt er nur auf Schau oder auf Berührung ( visio oder hapsis ) ? Für gewöhnlich drängt er doch auf beides zugleich, zumindest auf mehr als Schau. Aber da kommt einem eine Unterscheidung dazwischen, die Platon in die Welt gesetzt hat. Das Übersinnliche geht auf die Augen, nicht eigentlich auf die im Gesicht, sondern auf die inneren Augen ( was immer damit gemeint sein mag ). Dieser Eros – das Begehren nach dem Unsichtbaren, letztlich nach der höchsten aller möglichen Ideen – zielt auf visio, und nur auf sie. Denn Schau als der Gipfel der Genüsse, das ist die Intuition, die das platonische Erkenntnismodell dominiert. Aber wie war das wohl mit den Knaben ? Oder wie mag es dem ergehen, der die Geliebte oder den Geliebten nur schauen darf und an der Schau genug haben soll ? In weltlichen Dingen, weniger übersinnlich als vor allem sinnlich, ist es eben nicht genug, nur anschauen zu dürfen und nicht anzufassen. Das zeigt sich drastisch im Mittelalter. Reliquien werden exponiert, zur Schau gestellt, damit man in deren Schau teilnehme und Anteil erhalte an dem Heil, das sie verkörpern. Heil ist visionär transportabel. Daher wird auch die Hostie in der Wandlung hoch erhoben, damit alle dies Mysterium schauen können. Die visionäre Teilnahme an der Eucharistie galt als ‹ satis ›, als heilswirksam und genug des Guten. Aber Reliquiare, zumal die späteren, die Fleisch und Knochen nach außen treten lassen, sind nicht nur Visionsobjekte. Der Gipfel der Genüsse war hier nicht mehr nur Schau, sondern Kontakt und Berührung ( vielleicht auch 74 75 Geruch und damit sublimierter Geschmack ). Kontaktreliquien sind es, die das Objekt des Begehrens physisch präsent halten. Visio oder hapsis, Schau oder Berührung ( wenn nicht auch Geruch ) – das ist ein Doppelsinn, der aus dem Begehren des Heiligen bekannt ist. Wer an der Vision nicht genug hat, will Berührung. Aus dem Begehren nach Mehr als Anschauung erwächst der Trieb zuzugreifen. Das wird im Grenzwert verzehrend und kannibalisch, wie sublimiert auch immer. Wer Reliquien nicht nur sehen, sondern küssen will, der tendiert zum Verbrauch im Gebrauch. Die Hostie ist auf Verzehr angelegt – und ist damit das einzige ( ? ) Kultbild, das geschaut wird, um verzehrt zu werden. Dieses Zugeständnis an Hand und Mund ist aber singulär : die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Libidinöse Melancholie – melancholische Libido Der ‹ drive › des Eros, mehr zu wollen, immer mehr und mehr – ist prekär. Denn die Endlichkeit zu fressen heißt, darin der Unendlichkeit ermangeln ( noch mal : das Abendmahl ist die Ausnahme davon ). Das Unbesitzbare besitzen zu wollen, das Unverzehrbare verzehren, das nicht Essbare verschlingen [5] – führt in die Akedie ( oder deren moderne Nachfolgerin, die Melancholie bis in die ‹ Depression › ). Davon weiß Giorgio Agamben in seinen Stanzen ein Lied zu singen. Unter dem Titel « Die Phantasmen des Eros » geht er dem intimen Verhältnis von Eros und Melancholie nach, der sich zeigt in den Folgen des Begehrens eines Unerreichbaren, Unverzehrbaren und sich Entziehenden. [6] Im Umgang mit dem Bild würde das Irreale begehrt, zu berühren begehrt, aber doch nur nach dem Realen gegriffen, das dadurch verletzt wird – während sich das begehrte Irreale entzieht. Tragischerweise tendiert das zum Zerstören des ‹ Kontaktmediums ›, das doch nur visionären Zugang zum original Unzugänglichen gewähren kann. Einfach gesagt : Bilder sind keine Hostien ( auch wenn Hostien Kultbilder sind ). Dass manche Kirchenkunst wie Heiligenstatuen zum Gebrauch gemacht sind, ist nur die Konsequenz aus ihrer Nähe zur Hostie. Gebrauchskunst riskiert, Verbrauchskunst zu werden. Sollte man sie darum gering schätzen oder gar musealisieren, um sie dem drohenden Verbrauch zu entziehen ? Sie würden damit ähnlich auratisiert wie eine Hostie im Tabernakel. Sie dem Gebrauch zu entziehen, lässt sie dem Fetisch ähnlich werden. Berührungs- und Bewegungsmelder Umgekehrt sind die Zäune um die Bilder, die Bewegungsmelder und die Museumswärter ( die bodyguards der Bilder ) offensichtlich sinnvolle Disziplinierungsmaßnahmen. Denn sie verhindern, dem libidinösen drive zum Berühren ungehemmt nachzugeben. Es sind Zivilisierungsmittel, die einen Unterschied schärfen und wahren, der in ‹ erfüllter Anschauung › nur zu schnell überwältigt wird. Wer von der Fülle des Geschauten hingerissen ist, braucht Differenzwächter. Sonst würde er dem Überschwang des Eros nur zu schnell nachgeben und zugreifen, haben wollen und mitnehmen. Wer Bilder nicht nur schauen, sondern berühren will, leidet vermutlich doch an einer Krankheit zum Tode, und die führt in die Verzweiflung, wie Kierkegaard zeigte. Bei Gott ist das wieder einmal schlicht und einfach : wer Gott nicht nur erkennen, sondern berühren, gar fressen will, wird an diesem Begehren verzweifeln : Akedie ist der Preis dessen. Denn Gott ist zwar nicht ungenießbar, aber er geht nicht durch den Magen. Das Abendmahl ist ( manchen zumindest ) die kleine, aber feine Ausnahme. Was sich an Gott zeigt, erschließt vieles von dem, was nicht in der Sinnlichkeit aufgeht : das Übersinnliche daran wird sich nicht mit Händen greifen lassen. Und wer das versucht, wird zum Nebeljäger. Gefühllose Empfindlichkeit Aber wie steht es um diejenigen Artefakte, die ihren Sinn gerade in der Sinnlichkeit finden ? Kunst für Blinde beispielsweise ist zur Berührung gemacht ( aber auch nicht zum Verzehr, wenn man von Kochkunst absieht ). Kunst für Gläubige, die ihre Kunst anbeten, anfassen und küssen wollen, ebenso. Bilder aber sind für die Augen gemacht – sagt man. Die anderen Sinne müssen leider draußen bleiben ‹ im Zeitalter der Kunst ›. Was hätte ein Bild der Nase, den Ohren oder der Zunge zu bieten ? Erst ( ? ) wenn die Oberfläche des Bildes plastisch wird und haptische Reize zeigt, wird der Betrachter gereizt, einmal darüber zu streichen. Van Gogh und die Folgen sind evident: Wenn das Plastische ins Bild einwandert, juckt es einen in den Fingern. [7] Der Griff ins Bild ist Angriff bei Bildern an der Wand. Er greift ins Leere an der Leinwand. Und er findet nur kalten Widerstand beim Griff an den screen. Das ist anders geworden seit den ‹ touchscreens › – iPhone sei Dank. Berührungsempfindlich ist sein screen, sensibel, gelegentlich allzu sensibel. Ein Gerät zum Streicheln, Liebkosen und ein Handschmeichler dabei. Das ‹ i › des Columbus. Wenn, ja wenn doch nur der screen auch etwas zu fühlen gäbe. Seine passive Sensibilität, seine Passibilität ( ? ), erwidert wenig. Eine aktive Oberfläche müsste sich fühlen lassen. Sie müsste plastisch sein und zum Relief werden. [8] Es bewegt sich zwar, aber es gibt nichts zu fühlen über die schöne, glatte Oberfläche hinaus. Und die wird schmierig, 4 Immanuel Kant, « Grundlegung zur Metaphysik der Sitten » ( 1785 ), in : Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin ( Hg.), Kant’s gesammelte Schriften, Bd. IV, Berlin 1903, S. 429, vgl. 433, 437f. 5 Paradoxerweise konnte von Cusanus das Gottesverhältnis als ‹ ingustabiliter gustatur › bestimmt werden, ihn also unschmeckbar zu schmecken ( und nicht : den Ungenießbaren zu genießen ). Aber wie schmeckt Gott ? Nach Hostie ? Nach Fleisch und Blut ? Oder nach Kadaver, wie die Reliquien ? Die rechte Antwort wäre nach Brot und Wein und immer noch nach Mehr. In diesem Mehr liegt der Überschwang, der in die Verzweiflung führen kann. Insofern kehrt hier das Akedie-Problem wieder. 6 Siehe Giorgio Agamben, Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur, Zürich 2005. 7 Aber leider nicht erst dann. Ikonoklasmen legen davon Zeugnis ab. 8 Oder wenn die Oberfläche des Bildes sich öffnet, offen bleibt – kann das dazu reizen, an der Öffnung allein nicht genug zu haben. wenn man Gebrauch von ihr macht. Es ist eben ein Kultobjekt und das kardinale Kontaktmedium – aber doch letztlich nur ein Verbrauchsobjekt. Berührung der Macht Es gehört zum normalen Bildbewusstsein, das ‹ Ist-und-istnicht › des Bildes wahrzunehmen und die Differenz zu wahren. Manch einer küsst das Bild seiner Frau oder Kinder oder der Heiligen. Aber dieser ikonodule Grenzwert ist nicht die Regel. Üblicherweise ist jedem klar, dass ein Bild zu zerstören nicht das Abgebildete trifft. Exorzismen wie die Bilderverbrennung in Trennungs- und Scheidungsprozessen bestätigen die Regel wohl vor allem. Aber das ‹ Ist-nicht › daran ‹ haben › zu wollen – ist absurd. Als würde der Höhlenkünstler seine Pfeile auf die Bisons an der Wand schießen. Worauf man schießt, das will man tödlich berühren. Der Schuss aufs Bild ist daher ein sublimierter Tötungsakt. Als Niki de Saint Phalle auf die Bilder ( ihres Vaters ) anlegte, war das so gesehen mehr oder minder gelungenes ‹ Action Painting ›. Aber Bilder bluten nicht, und schon gar nicht der Abgebildete dahinter. Kultbilder mögen da wieder eine Ausnahme sein. Am Schuss jedenfalls zeigt sich der Grenzwert der Berührung : die intendierte Tötung des Bildes, die Zerstörungsgeste. Kein Wunder, denn Berührung ist bereits a limine eine Ermächtigungsgeste. Der Kuss ist nur die vermeintlich zurückhaltende Erosgestalt dessen. Berührung ist eine Geste der Macht, der Er- und Bemächtigung. Die Stars gewähren gelegentlich Berührungen und damit die Gnade des Kontakts – ähnlich den alten Heiligen. Nicht nur : Ich habe den Herrn gesehen, sondern ich hatte Kontakt. Und der wird immer gewesen sein. Die Mächtigen berühren einander herzlich, umarmen sich und am Ende küssen sie sich sogar, zumindest im einstigen Bruderkuss. Wer von den Sterblichen dürfte das, es sei denn, es würde ihm solch eine Gnade gewährt. Politiker zum Anfassen sind Designobjekte, um das Berührungsbedürfnis zu stillen. Was man anfassen kann, kann man getrost wählen, anscheinend. Aber nicht nur ‹ von oben › wird Berührung gewährt. Im Griff zum Apfel am Baum wird die Geste zum Anfang der Kultur. Der Mensch bemächtigt sich der Natur, ganz schlicht und einfach, mit allen Folgen, die solche Apfelgeschichten haben können. Im Töten des Tieres geht es nicht ohne zupackenden Eingriff in den Lauf des Lebens. Und zwischen Menschen ? Berührung ist ein Sinn für Sinnlichkeit mit- und gegeneinander. Die Affinität von Berührung und Macht – in allen Spielarten von Heiligen, Stars und Politikern oder anderen Machthabern – wirft noch einmal Licht auf die Macht des Bildes : Bilder berühren – ohne berührt zu werden. Betrachter werden berührt – ohne berühren zu dürfen. Der Betrachter ist antastbar, das Bild nicht. Ist dann die ganze Unberührbarkeit der Bilder nicht eine Inszenierung ihrer Macht ? Daran würden auch die Ausnahmen nichts ändern, Inszenierungen, in denen Kunst gerade dem Zugriff exponiert wird. Nur – der Betrachter rächt sich nicht selten für das Berührungsverbot. Begriff statt Zugriff heißt das ‹ stubenreine › Medium, in dem der Betrachter alles greifen und begreifen darf, was ihm handgreiflich verwehrt bleibt. Der Bildbegriff ist die Rache des Betrachters, der nur anschauen, aber nicht anfassen darf. Im Bildbegriff inszeniert sich die Macht des schauenden Denkers – über das Bild. So sublimiert kann es sich dem Zugriff nicht mehr entziehen. Und der Bildbegriff hinterlässt Spuren, wenn auch keine materiellen. Wenn es nicht beim Begriff bleibt, folgen Urteil und Schluss. Das kann so weit gehen, dass im Urteil beschlossen wird, was mit einem Bild geschehen möge. Das Bild vor Gericht, in der Inquisition der es Begreifenden, kann auch zum Tode verurteilt werden, oder zumindest zum aging bis in den Verfall. Die salonfähige Version der Taktilität, der Begriff, ist eine gefährliche Sublimierung des Begehrens nach Berührung. Wer berührt wurde und im Gegenzug begreift – kommt dem Bild nicht weniger gefährlich nahe. 76 77 Die körperlich haptische Erfahrbarkeit von Bildern sowie das ‹ totale › Eintauchen des Betrachters in ein bildliches Geschehen werden oftmals auf die Errungenschaften der Technik, wie etwa die 3DSimulation oder die so genannte Virtual Reality,zurückgeführt. Robin Curtis zeigt jedoch in ihrem Beitrag, dass diese Annahme zu kurz greift, da sie nur die produktionsästhetischen Voraussetzungen in den Blick nimmt und das komplexe Funktionieren des menschlichen Wahrnehmungsapparates, also die rezeptionsästhetischen Voraussetzungen, außer Acht lasse. Curtis zeigt mit Bezug auf die psychologische Wahrnehmungsforschung an Säuglingen, dass die menschliche Wahrnehmung grundsätzlich kinästhetisch und darauf angelegt ist, eine Verschmelzung des eigenen Körpers mit umgebenden ‹ Bildern › einzugehen. In der Konsequenz interessiert sich Curtis denn auch dafür, Immersion im Film nicht auf ein an ‹ reale Räume › und technische Mittel gebundenes Phänomen zu reduzieren, sondern sie untersucht gerade auch die Immersionsfähigkeit ungegenständlicher Filmbilder am Beispiel Lázló Moholy-Nagys. Die filmische oder allgemein bildliche Immersion begründet sich demnach gerade in einem körpereigenen Rezeptionsmodus und in der Schwellenfunktion haptischen Empfindens, das zugleich innen wie außen angesiedelt ist und durch das Fremderfahrung immer auch zur Selbsterfahrung wird. ( jg ) Robin Curtis Mit dem ganzen Körper dabei Immersion als körpereigener Rezeptionsmodus 3 Dementsprechend reproduziert Grau in seiner Argumentation zur Immersion immer wieder die schon vielfach widerlegte Legende der ersten Filmvorführung 1895 : « The audience reacted to the approaching train in this film, its ‹ brutal reality ›, with screams of panic, by running away, and, according to many contemporary sources, by fainting ». Siehe Oliver Grau, Virtual Art. From Illusion to Immersion, Gloria Custance ( Übers.), Cambridge 2003, S. 151. Die filmhistorische Korrektur dieser populären Legende findet man bei Tom Gunning, « An Aesthetic of Astonishment : Early Film and the ( In )Credulous Spectator », in : Linda Williams ( Hg.), Viewing Positions : Ways of Seeing Film, Baltimore 1994. S. 114 – 133 und Martin Für das Individuum gilt die Haut als spürbare und sichtbare Grenze, die imstande ist, Auskunft z. B. über Nähe und Distanz, Selbst und Andere, Lust und Unlust zu geben. Dass ein Individuum bei der taktilen Erfahrung primär an der Bestätigung von Grenzen, an der Differenzierung zwischen Eigenund Fremdkörper interessiert ist, ist die hier implizite Annahme. Was aber geschieht, wenn eine Erfahrung der Verschmelzung des eigenen Körpers mit einem Fremden angestrebt wird ? Eine solche Art der Fusion versprach die Virtual Reality, wie sie vor allem zu Anfang der 1990er Jahre vielfach formuliert wurde, als eine Vermengung von menschlichem Nervensystem und externen Daten, die zuerst bei William Gibsons Neuromancer als ein jacking-in in die « Matrix » beschrieben wurde. [1] Diese Vorstellung einer Vereinigung von Innen und Außen, von Selbst und Fremdem enthob der eigenen Haut die Definitionsgewalt bei der Frage, wie die eigenen Grenzen zu definieren seien. Diskussionen, die an Gibsons utopische Vorstellung anzuknüpfen versuchen, fußen in der Regel auf apparativen Voraussetzungen für einen solchen fantastischen Datenaustausch und damit auf einer technologischen Ergänzung des Körpers: es ist dabei gleichgültig, ob ein Head-mounted-display ( HMD ) mit Datenhandschuh oder mit einem ähnlichen Haptikersatz kombiniert wird – die Fähigkeit zur Immersion, zur Ausdehnung des Körpers in eine andere ‹ mögliche Welt ›, wird hier in der Apparatur lokalisiert. Doch die offene Frage heute, zwanzig Jahre nachdem etwa Harold Rheingold, einer der ersten Kommentatoren dieser Szene, seine erste Begegnung mit der Virtual Reality in einem Forschungslabor der NASA machte [2], ist, ob die Immersionserfahrung, die in den zahlreichen euphorisierten Beiträgen zugleich zukunftsgerichtet ‹ fantasiert › wie auch definiert wird, bisher nicht viel zu enge Parameter gesetzt bekommen hat. Immer wieder wird die Immersion mit Techniken in Verbindung gebracht, die bestrebt sind, naturalistisch abgebildete Welten für den Zuschauer bzw. Nutzer wortwörtlich zugänglich zu machen. Die Kritik, die in vorliegendem Beitrag gebracht wird, zielt nicht nur auf jene Vorstellung von Immersion als einem Apparat-abhängigen Phänomen, sondern auch auf die unhinterfragte und vereinfachende Vorstellung von Haut und taktiler Erfahrung, die in jenen historischen Beiträgen implizit ist und die Taktilität vor allem mit dem Erfahrungsspektrum der Hand assoziiert. Es scheint aber an der Zeit zu sein, diese frühe Phase der Immersionsforschung aus einer historischen Perspektive zu betrachten. Nur so wird deutlich, dass die bis- _– _– _– 1 William Gibson, Neuromancer, New York 1984. 2 Howard Rheingold, Virtual Reality, New York 1991. S. 15. Loiperdinger, « Lumières ‹ Ankunft des Zuges › Gründungsmythos eines neuen Mediums », in : Kintop 5, 1996, S. 37 – 70. 4 Michael Fried, Menzel’s Realism : Art and Embodiment in the 19th Century, Berlin / London 2002. herige Betonung der technischen Apparatur, dazu geführt hat, dass die Komplexität des Rezeptionsvorgangs vernachlässigt wurde. Der kunsthistorische Überblick des immersiven Potentials von Bildern, der von Oliver Grau in seinem Buch Virtual Art. From Illusion to Immersion angeboten wurde, könnte – vielleicht wider Erwarten – als Abschlussbericht jener ersten Phase der Immersionsforschung betrachtet werden. Obwohl er scheinbar Abschied von einer technophilen Bestimmung der Immersion nimmt, indem er von der Notwendigkeit des Wahrnehmungsersatzes eines HMD oder Datenhandschuhs absieht, bietet Grau immer noch eine apparative Definition der Immersionserfahrung an. Er universalisiert dabei Immersion vielmehr, indem er einen historischen Bogen schlägt von den panaromatischen Raumerfahrungen angesichts der Fresken Pompejis bis hin zum Eintauchen in die virtuelle Räumlichkeit der Medienkunst der 1990er Jahre. Dies führt jedoch zu einer Vernachlässigung des komplexen Wahrnehmungsapparates des Nutzers selbst. Grau beschränkt Immersion ausschließlich auf Erfahrungen, die durch Medien ( seien es Gemälde oder Datenräume ) ermöglicht werden, welche den Rezipienten 360° umschließen, und fokussiert damit ausschließlich auf produktionsästhetische Aspekte des Phänomens. Für Grau ist die Geschichte der Medien entsprechend eine Geschichte des Fortschritts, während das Publikum eine naive Masse darstellt, die jeweils nur kurz den illusionistischen Täuschungen der neuesten Technik unterliegt und dann ihren Hunger nach ‹ besseren › Illusionen stillen muss. [3] Eine solche Betonung der technischen Basis der Illudierungskraft der Immersion bringt notwendig eine Vernachlässigung der menschlichen Wahrnehmung selbst mit sich, so dass in Graus Beitrag der Rezipient zum irrelevanten Faktor reduziert wird. Eine gänzlich andere Interpretation von Immersion strebt dagegen Michael Fried an, der die Technik des 20. Jahrhunderts gänzlich außer Acht lässt. Er versteht unter Illusion eine spezifische Rezeptionsform, durch welche die atmosphärische Dichte eines gemalten Raums, z. B. bei Adolph Menzel, für den Betrachter leiblich zugänglich wird. [4] Während bei Grau die Immersion eine objektive Eigenschaft von gewissen Medien ( wie etwa Panorama oder Cinerama ) per se darstellt, ist bei Fried das leibliche Eintauchen in eine Bildfläche Ausdruck der Dynamik zwischen Betrachter und Bild. Betrachtet die erste Position Immersion eher aus produktionsästhetischer Perspektive, so betont die andere ihren rezeptionsästhetischen Aspekt. Vor dem Hinter- 78 5 Vgl. Michael Frieds Ansatz mit Erkki Huhtamo, « Encapsulated Bodies in Motion », in : Simon Penny ( Hg.), Critical Issues in Electronic Media, New York 1995, S. 159 – 186 sowie mit Marie-Laure Ryan, Narrative as Virtual Reality : Immersion and Interactivity in Literature and Electronic Media, Baltimore 2001 oder auch mit der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen in Kendall Walton, Mimesis as Make-Believe, Cambridge 1990. 6 Klinische Forschung zeigt sogar, dass eine Dysfunktion jener haptischen Sinne aufgrund einer Infragestellung durch andere sensorische Daten eine geschwächte Selbstwahrnehmung zur Folge hat; vgl. Israel Rosenfield, « The Counterfeit Leg and the Bankruptcy of grund der Übertragung von Immersion auf den Kontext der Kunsterfahrung erweist sich das ursprünglich utopische Versprechen, Virtual Reality sei das privilegierte Medium totaler Simulation und Immersion, selbst als ein historisches. Und tatsächlich fällt heute auf, dass Immersion ein ubiquitäres Phänomen geworden ist, insofern als damit sowohl Erfahrungen mit Texten, mit Virtual Reality, mit Kunst und Kino gleichermaßen charakterisiert werden können. [5] Der gemeinsame Nenner beim Gebrauch des Begriffes in diesen vielfältigen Kontexten ist das Versprechen einer Grenzüberschreitung bzw. einer grenzüberschreitenden Erfahrung. In Anlehnung an diesen Ansatz, der den Rezipienten in den Mittelpunkt stellt, möchte ich hier auf die phänomenologische Perspektive der Immersion verweisen, die vor allem mit bewegten Bildern möglich ist und auf einem erweiterten Verständnis haptischer Erfahrung basiert, die auch kinästhetische und propriozeptische Erfahrung einschließt. Genau gesehen bezieht sich das Haptische des bewegten Bildes auf den Tastsinn, d. h. auf die Erfahrungen, die durch die hauteigene Fähigkeit, Nähe spüren zu können, ermöglicht werden, und zwar nicht nur durch die Finger und Hände, sondern mittels der gesamten Körperoberfläche ( sowohl außen wie innen ). Die Kinästhetik wird durch die Muskelbewegung gewonnen und vermittelt dadurch Information über die Wahrnehmung von Körperbewegung. Die Propriozeption dagegen stellt durch Rezeptoren an Muskeln, Gelenken und Sehnen Informationen über die Haltung und Stellung des Körpers im Raum und die Wirkung der Schwerkraft zur Verfügung. Diese Aspekte des Haptischen arbeiten zusammen, um die Parameter des leiblichen Selbst zu vermitteln, was sowohl die Erfahrung der Ganzheit des Körpers wie auch die Verortung des Selbst im Raum einschließt. Die essenzielle Bedeutung der haptischen Wahrnehmung für die Stabilität des Selbst wird im Fall einer Dysfunktion umso deutlicher. [6] Doch scheint der Körper nicht in direkten Kontakt mit Materie kommen zu müssen, um haptische Erfahrung zu machen, denn das Sehvermögen wird unmittelbar durch die anderen Sinne und sogar durch erinnerte Daten beeinflusst. Schon 1985 hat sich der Psychologe Daniel Stern für eine intermodale Sicht der Sinne stark gemacht. In seiner Forschung an Säuglingen hat er festgestellt, dass Menschen in der frühesten Kindheit eine ausgeprägte Neigung zur amodalen Wahrnehmung haben. Dies bedeutet, dass die Sinne nicht als getrennt funktionierende Vermögen konzipiert werden, sondern dass Säuglinge in der Lage sind, Informationen, die in einem bestimmten sensorischen Modus aufge- _– _– _– 79 31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 ) Das Magazin des Instituts für Theorie Zürich ( ith ) Classical Neurology », in : ders., The Strange, Familiar, and Forgotten. An Anatomy of Consciousness, New York 1993 und Oliver Sachs, « The Disembodied Lady », in : ders., The Man Who Mistook His Wife for a Hat and Other Clinical Tales, New York 1998. 7 Vgl. Daniel N. Stern, Die Lebenserfahrung des Säuglings, Stuttgart 2003, S. 79 – 80. 8 Ebd, S. 83. 9 Ebd. 10 Für eine Anwendung der Theorien Daniel Sterns auf die Filmanalyse siehe Raymond Bellour, « Le dépli des emotions », in : Trafic 43, 2002 oder Robin Curtis, « Bewegung, Rhythmus, Immersion : Räumliche Effekte der Abstraktion », in dies. / Marc Glöde / Gertrud Koch ( Hgg.), Synästhesie-Effekte. Zur Intermodalität der äisthetischen Wahrnehmung, München 2009 ( in Druck ). 11 Siehe hier vor allem Vivian Sobchack, Carnal Thoughts. Embodiment and Moving Image Culture, Berkeley 2004. nommen werden, in einen anderen zu übersetzen. Dies bedeutet allerdings keine direkte Übertragung von z. B. ‹ Hören › ins ‹ Sehen ›, sondern, so Stern, die Einkodierung in eine so genannte « amodale Repräsentation », die in allen sensorischen Modalitäten erkannt werden kann: « Bei diesen abstrakten, für den Säugling wahrnehmbaren Repräsentationen handelt es sich nicht um Bilder, Töne, haptische Eindrücke und benennbare Objekte, sondern vielmehr um Formen, Intensitätsgrade und Zeitmuster – also um eher ‹ globale › Merkmale des Erlebens.» [7] Sterns Forschung führt vor, dass Menschen von der frühesten Kindheit an mittels jener Neigung zur amodalen Wahrnehmung in der Lage sind, sogenannte « Vitalitätsaffekte » wahrzunehmen. Das sind Affekte, die laut Stern « schwerbestimmbar » sind, weil sie sich durch unserer übliche Taxonomie der Affekte nicht bestimmen lassen, sondern « sich besser mit dynamischen, kinetischen Begriffen charakterisieren, Begriffen wie ‹ aufwallend ›, ‹ abklingend ›, ‹ flüchtig ›, ‹ explosionsartig ›, ‹ anschwellend ›, ‹ abklingend ›, ‹ berstend ›, ‹ sich hinziehend › ». [8] Stern formuliert dazu: « Wie der Erwachsene den Tanz, so erlebt der Säugling seine soziale Welt in erster Linie als Welt der Vitalitätsaffekte, bevor sie sich zu einer Welt formaler Handlungen entwickelt. Sie weist auch eine Analogie zur physischen Welt der amodalen Wahrnehmung auf, die in erster Linie eine Welt abstrahierbarer Eigenschaften wie Form, Anzahl, Intensitätsstufe usw. darstellt und nicht etwa aus gesehenen, gehörten oder getasteten Dingen besteht.» [9] Stern beschreibt also eine Kapazität in der Wahrnehmung, die viel eher mit qualitativen, fast atmosphärischen Aspekten der Wahrnehmung zu tun hat, als mit konkreten « Handlungen ». Es sind Kapazitäten, die wir alle in den frühesten Phasen unserer Entwicklung erleben und von denen wir auch in unserer heutigen Wahrnehmungsweise noch geprägt werden. [10] Diese Forschung führt vor Augen, dass die Basis für eine grenzüberschreitende, atmosphärisch überwältigende Erfahrung, wie sie die Immersion verspricht, an sich schon im Wahrnehmungsapparat latent angelegt ist. Eine solche Verwischung der Sinnesgrenzen ist auch in der Filmphänomenologie und vor allem in der Arbeit Vivian Sobchacks, die sich mit einer Vielfalt von überraschenden, überwältigenden sinnlichen Erfahrung bei der Filmrezeption befasst hat, von zentraler Bedeutung. [11] Trotz der Tatsache, 14 Für einen Überblick des filmischen Schaffens Moholy-Nagys siehe Jan Sahli, Filmische Sinneserweiterung : László MoholyNagys Filmwerk und Theorie, Marburg 2006. Weitere Auseinandersetzungen mit den komplexen ästhetischen Ansprüchen jener Filme findet man bei Jan-Christopher Horak, « The Films of Moholy-Nagy », in : Afterimage 13 ( 1 / 2 ), 1985, S. 20 – 23 und Robin Curtis, « The Stranger in a City Filled with Strangers : Moholy-Nagy’s Urban Gypsies », in: Framework. The Journal on Cinema and Media, 44 ( 2 ), Fall 2003: Special Issue – Roma in Cinema, S. 42 – 56 und Robin Curtis, « Urban Immersion: Synchronization and the Motion of the Metropolis in the Work of László Moholy-Nagy », in: Dietrich Neumann / dass Film – banal gesehen – aus Ton- und Bildaufnahme d. h. aus nichts anderem als Licht und Geräuschen besteht, werden aus phänomenologischer Sicht weitaus fulminantere Körpereffekte durch eine Filmvorführung ausgelöst. Sobchack beschreibt dies folgendermaßen: « My sense of sight, then, is a modality of perception that is commutable to my other senses, and vice-versa. My sight is never only sight – it sees what my ear can hear, my hand can touch, my nose can smell, and my tongue can taste. My entire bodily existence is implicated in my vision.» [12] Obwohl Sobchack nicht direkt mit dem Begriff der Immersion arbeitet, hat sie vielerlei Aspekte der involvierenden Kraft des bewegten Bildes untersucht und ist wegweisend für weitere rezeptionsbasierte Untersuchungen. In der Tat liefert Sobchacks Filmphänomenologie für die Untersuchungen zum Thema ‹ Kino und Tastsinn ›, die in den letzten Jahren erschienen sind, explizit die Grundlage. [13] Ich möchte hier aber auf einen Aspekt verweisen, der in anderen Abhandlungen zu Film und haptischer Erfahrung eher vernachlässigt wird: die immersive Kraft der Abstraktion. In der Regel wird immersive Erfahrung im Kino an die kinetische Kraft des bewegten Bildes gebunden, Bewegung im dreidimensionalen Raum zu reproduzieren. Die sogenannte Movie Ride-Ästhetik gilt als zentrale immersive Attraktion des Spielfilms, eine Technik und Ästhetik, welche die kinetische Erfahrung der Achterbahn in die Filmgestaltung überträgt. Constance Balides hat hierfür etwa die ausgedehnten Fahrten durch die Sterne in Star Wars aus dem Jahr 1977 als ein frühes Beispiel vom Einsatz jener Ästhetik genannt. Man könnte sich mit dieser Feststellung zufrieden geben und einfach die zahlreichen Filme der letzten Jahre auflisten, die explizit mit einer solchen Movie Ride-Ästhetik eine haptische bzw. kinästhetische Wirkung beim Zuschauer erzielen, indem Bewegung im Raum simuliert wird. Diese Ästhetik legt es darauf an, ‹ reale › Reaktionen auf vermeintliche Gefahren, die im Bild vorbeiflitzen, beim Zuschauer und damit gezielt Erfahrungen der ‹ Grenzüberschreitung › zu produzieren. Mir scheint allerdings die Wirkung von ‹ Abstraktion › im Film in dieser Hinsicht vielversprechender zu sein, denn sie verweist auf eine unbeachtete Ebene in der Filmrezeption, die für das Erleben von « Vitalitätsaffekten », wie sie von Stern beschrieben wurden, durchaus verantwortlich sein könnten. _– _– _– 12 Vivian Sobchack. The Address of the Eye. A Phenomenology of Film Experience, Princeton 1992, S. 78. 13 Vgl. Laura U. Marks, Touch : Sensuous Theory and Multisensory Media, Minneapolis 2002 und Jennifer M. Barker, The Tactile Eye : Touch and the Cinematic Experience, Berkeley 2009. Alan Marcus ( Hgg.), Berlin : Screening a Metropolis, Manchester 2009 ( in Vorbereitung ). Ein interessantes und wegweisendes Gegenbeispiel zu einer Realismus-Immersion liefert etwa das filmische Œuvre László Moholy-Nagys, generell und vor allem sein Kurzfilm Ein Lichtspiel Schwarz Weiß Grau. Die kinetischen Effekte, die in dieser ‹ Dokumentation › durch Moholy-Nagys « Licht-RaumModulator » produziert werden, verweisen auf eine Art von alternierender Rezeption, die zwischen ‹ Abstraktion › und ‹ Gegenständlichkeit › ständig und beliebig changiert und damit sowohl einen immersiven dreidimensionalen Raum der Gegenständlichkeit eröffnet wie auch einen zweiten immersiven Raum, der als eine texturierte Fläche ohne Fluchtpunkt erscheint. Tatsächlich sind aber beide Räume in einem einzigen Bild zur gleichen Zeit spürbar, was MoholyNagys Filme so revolutionär macht, denn sie führen vor, dass filmische Rezeption an sich immersiv sein kann. Der Film ermöglicht die Projektion des zuschauenden Selbst in eine Welt von ‹ ungegenständlichen Dingen ›, eine ganzheitliche Immersion in eine Materie, die eine strikte Trennung zwischen Oberfläche und Tiefe auf hebt. Dabei basiert die Integration des Zuschauers in die Bewegung des Bildes gerade nicht nur auf dem realistischen Abbild. Das Beispiel Moholy-Nagys deutet nicht nur darauf hin, dass die gesamte Geschichte des bewegten Bildes eine fruchtbare Quelle für die weitere Erforschung einer ganzkörperlich erfahrbaren immersiven Taktilität bietet, sondern macht auch deutlich, dass Filmkünstler schon früh diese Möglichkeiten der Raumerfahrung gezielt erforscht haben in einer Forschungsarbeit, die im Fall von Moholy-Nagy sowohl schriftliche wie auch filmische Form angenommen hat, aber bisher nur selten ernst genommen wurde. [14] In seinem Œuvre wird immer wieder eine Verschmelzung mit, beziehungsweise eine ganzkörperliche Erforschung der Welt vorausgesetzt, die ihm als Basis einer performativen pädagogischen Praxis dient. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Materie der unmittelbaren Umgebung und mit den oft ungeahnten Fähigkeiten des menschlichen Wahrnehmungsapparats setzt demnach keine komplexe Technik oder bestimmte künstlerische Praxis voraus, sondern steht jedem zur Verfügung. Indem die Erfahrung von Bildern über eine Körpergrenze verläuft, die zugleich Innen wie Außen ist, bleibt die amodale Wahrnehmung des Anderen immer an eine Erfahrung des Selbst gebunden. Immersion wird damit zu einem körpereigenen amodalen Rezeptionsmodus. 80 81 Gewisse kunsthandwerkliche Techniken ( Malen, Zeichnen, Bildhauern ) sind stark an den Gesichtssinn gebunden, andere hingegen eher an den Tastsinn. Viele der Techniken, die man traditionell der « weiblichen » Handarbeit zuordnet, gehören hierher: Sticken, Nähen, Häkeln, Stricken usf. Wer stickt ( oder näht ), hat in der Regel nicht die Totalität eines ( Bild -)Feldes ( wie die Leinwand in der Malerei ) vor sich und « komponiert » nicht unter Anleitung der – den Überblick bewahrenden – Augen. Eine textile Oberfläche wird Schritt für Schritt, Detail nach Detail, bestickt, wobei die Nadel üblicher Weise einem vorgedruckten oder -gezeichneten Muster folgt, an dem sie sich gleichsam vorantastet. Beim Häkeln und Stricken ( eher mit Skulptur verwandt ) fehlt die Übersicht gleichermaßen. Und was dabei entsteht, wird allein formlos in sich zusammensacken und nur als Umhüllung eines Körpers und nur im Wechselspiel mit diesem Gestalt annehmen. Es handelt sich um Gestaltungsformen ( sie sind eher reproduktiv als kreativ, eher zweckbestimmt als autonom ), die auf verschiedenen Ebenen mit « Passivität » assoziierbar sind. Katrina Daschner bedient sich solcher Arbeitstechniken, doch auf ungewohnte Weise. So nimmt sie die Nadel, um durch eine schwarz-monochrome Photographie zu stechen und etwa das Wort « NEIN » mit weißem Faden zu sticken. Oder sie häkelt ein Kleid, das im Oberteil dem Rumpf « passiv » anliegt und den Körper ganz zweckmäßig bekleidet, während es unterwärts nutzlose phallische Auswüchse ( « Dildos » ) auszubilden scheint. Oder sie stellt zwei alte Matratzen bildhaft vor uns hin: Gebrauchsgegenstände, maschinell mit Ziermustern bestickt, die gewöhnlich horizontal orientiert sind; fleckig und verbeult unter dem Druck der Körper, die auf ihnen ruhten; Dinge, die wir nie betrachten würden, sondern nur unter unseren Gliedern fühlen; sie werden in die Vertikale gehoben und wie monumentale Gemälde den Augen präsentiert. Diese Umkehrung ist der gleichen Logik geschuldet wie die Umwertung, welche die taktilen Produktionstechniken bei Daschner erfahren. Im Begriffsfeld der Taktilität entspricht dieser Bewegung eine Verschiebung vom « passiven » und « sanften » Bedeutungspol ( Spüren, Katrina Daschner TäterIn Tasten, Berühren, Gefühl usf.) zum « aktiven » und « aggressiven » ( Fassen, Stoßen, Stechen, Greifen, ja Übergriff ). Damit werden Aspekte des Tastsinns betont, die ihn in die allernächste Nähe zur Semantik des Sehens rücken. All dies impliziert eine Verweigerung zu wiederholen, was « man » von einer Künstlerin erwartet ( « NOCH EINMAL BITTE » – « NEIN »! So wird vielleicht eine Näherin zur Täterin ? ). Und es läuft quer zur ( patriarchalen ) Ordnung der Handwerke, der Künste und der Sinne. Aber dies umso mehr, als Daschners Umkehrungen und Umwertungen überall Zweideutigkeiten produzieren, welche die Dichotomien dieser Ordnung verwirren. Also besser: So wird der Näher zur Täterin! TäterIn war auch der Titel einer multimedialen Installation, die Katrina Daschner im vergangenen Jahr in der Fotogalerie Wien präsentierte. Die folgenden Seiten zeigen Ansichten und Objekte aus dieser Installation, sind jedoch nicht als Dokumentation, eher als medienspezifische Reinszenierung, aber wohl am besten als eine autonome Arbeit zu verstehen. ( sn ) Matratze # 1 (Erwin und Petra), 2007 Matratze # 2 (Magda und Paul), 2007 Noch einmal bitte – Nein, Stickerei auf C-Print, 2007 Was heisst nein – Nein, Stickerei auf C-Print, 2007 Dildokleid, gehäkelt, 2007 Installation TäterIn (Fotogalerie Wien), 2007 89 Dass es in der Kunst um Selbsterfahrung gehe, dass sie dem Künstler als Mittel der Selbstbespiegelung diene und auch das Selbstgefühl des Beschauers befreien und bestärken solle, das sind Vorstellungen, die seit der Romantik normativ geblieben sind. Das ästhetische Subjekt und das ästhetische Objekt unterhalten demzufolge eine reflexive Beziehung. Andrea Ehrats Photoserie abnorm scheint – ihrem Titel zum Trotz – diese ästhetische Norm durchaus zu bestätigen. Ein spekuläres Dispositiv – die Künstlerin war ihr eigenes Modell – bestimmte die Arbeitssituation im Atelier. Doch die Resultate dieser photographischen « Selbstreflexion » sind im höchsten Maße befremdlich ausgefallen. Im Spiegel der Kamera mutierte der Körper zu einem Ding, das die Eindeutigkeit der menschlichen Gestalt verloren hat und aller identitätsstiftenden Attribute entkleidet ist: stets azephal, hier gliederlos, dort mit nur einem Bein begabt, und wieder anders als ein Lebewesen, das nur aus Extremitäten zu bestehen scheint; ein weiblicher Akt fraglos, doch einer, der primäre wie sekundäre Geschlechtsmerkmale vermissen lässt und sich in kauernden Posen zeigt, die phallische Figuren beschreiben. Am verunsicherndsten vielleicht, dass der Leib hier zugleich Fragment und Ganzheit ist. All dies sind Merkmale, die sich mit dem psychoanalytischen Begriff des « Partialobjekts » verbinden. Solche Objekte weisen in eine Entwicklungsphase, die vor dem Lacanschen « Spiegelstadium » ( in dem sich das Subjekt dem Spiegel gegenüber, angesichts seiner eigenen Gestalt, als ganzheitliche Entität konstituiert ) angesiedelt ist. In dieser Ära domi- nieren taktil-orale Empfindungen, Ich und Anderer, Subjekt und Objekt sind nicht eindeutig geschieden, die Geschlechterdifferenz noch nicht installiert, Körperteile noch nicht in die imaginäre Ganzheit eines Leibes integriert. Der partiale Tastkörper, der in Ehrats photographischer Arbeit entsteht, hat das Potential, die Norm des spekulären Wahrnehmungs- und Erkenntnismodells von innen her aufzusprengen. ( sn ) Andrea Ehrat abnorm abnorm (2006), Photo, 100 x 100 cm 94 95 Wenn im modernen Denken Tasten und Greifen – jene der menschlichen Hand vermeintlich vorbehaltenen Modi der Kontaktaufnahme – zur Sprache kommen, entfaltet sich zuallermeist ein anthropologischer Diskurs, der historischen und sozialen Determinationen nicht Rechnung trägt. Dahingegen ist die Geschichtlichkeit taktiler Manipulationen Ausgangspunkt des folgenden Beitrags. Juliane Vogel setzt voraus, dass Berührungen nur innerhalb spezifischer Tastkulturen stattfinden können. Sie geht der Frage nach, was aus dem männlichen Griff nach dem Sexualobjekt, der in der höfischen Ikonographie der frühen Neuzeit stets ein räuberischer war, in der Epoche der Empfindsamkeit und der bürgerlichen Liebe geworden ist. Während der Übergriff der Frauenräuber nicht unversehrt ließ, wessen er sich bemächtigte, und eine Vereinigung er- zwang, die sich mitunter als eine für beide Seiten gefahrvolle Vermischung herausstellen konnte, rührt das Getast der Verliebten an jene impermeable Grenze, in die sich das moderne Subjekt einschließen wird. Doch zeigt sich auch, dass solch zaghafter Berührung nun die Kraft zuwächst, die Innerlichkeit, die sie konstituiert, umso heftiger und gewaltsamer zu ergreifen. Bei John Keats heißt es einmal: « Touch has a memory ». ( sn ) Juliane Vogel Galatea unter Druck Skizzen zu einer Geschichte des räuberischen Griffs Wer unter den Göttern und Helden Ovids nach feinfühligen Wesen sucht, wird nicht schnell fündig werden. In den Situationen, die für die Metamorphosen als strukturbildend gelten können, dienen Hände nur selten für zarte Geschäfte. Der Kontakt zwischen den Personen gestaltet sich gewaltsam und ohne die Mitwirkung feiner Sensoren. Insbesondere sind es Szenen des Raubs, lateinisch gesprochen: Raptusund Verfolgungsszenen, in denen Hände zum Einsatz kommen. Der Raptus ist ein gewaltsames Ergreifen und Hinwegreißen, das keine Zweifel daran gestattet, dass sie den Menschen zunächst als Greifwerkzeuge gegeben worden waren. Hände werden im Sinne der ersten anthropologischen Grundausstattung, d. h. ohne Finessen, gebraucht. In großen Teilen des ovidischen Epos kommen sie vor allem bei der Aneignung einer Beute zum Zug. Vor allem sind es sexuelle Kontakte, die ihren gewaltsamen Gebrauch rechtfertigen. Der Griff nach dem begehrten Objekt gehört zum motorischen Grundinventar der ovidischen Mythologie, sowie zur Gründungsgeschichte Roms, die in den Raubszenen der Metamorphosen jeweils miterzählt wird. Wie sehr Ovid auch in seinen anderen Schriften von der Gewalt des plötzlichen Ergreifens ausgeht, zeigt der Anfang der Ars amatoria, die gleichfalls aus einem Raptusszenarium entwickelt wird. Auch die Regeln der römischen Liebeskunst werden aus einem gesetzlosen Akt des Frauenraubs herausgesponnen, der den Beginn der römischen Bevölkerungspolitik darstellt. Um die gebaute, aber noch frauenlose Stadt zu besiedeln, gibt Romulus den Befehl zum Beutemachen. Das umständliche Spiel der Liebeswerbung, das in späterer Zeit einen Akt des Findens – invenire –, des Berührens – tangere – und einen Akt des Festhaltens – tenere – umfassen wird [1], führt Ovid auf einen initialen Raptus zurück, in dem der gierigen Hand – cupida manus – eine tragende Rolle zugemessen wird. Ihre Fortpflanzung sichern die Römer durch den Raub der Sabinerinnen : « Alsbald », übersetzt Michael von Albrecht, « springen sie auf, bekunden ihren Willen durch Geschrei und ergreifen mit gie- r i g e r H a n d vo n d e n Ju n g f r a u e n Besitz. / protinus exiliunt animum clamore / virginibus cupidas iniciunt manus. » [2] Der weitere Text widmet sich dem vergeblichen Sträuben einer Beute, die im Widerstand noch an Schönheit gewinnt, und listet die Gebärden und Szenen, die dieser Raub in sich einschließt : « Hatte sich eine auch allzu sehr gesträubt und sich nicht zur Begleiterin hergeben wollen, hob der Mann sie auf, trug sie voller Begierde fort.» [3] Auch wenn sich das Liebesspiel der Ars amatoria später verfeinert, bleibt der Befehl des Romulus stets gegenwärtig. Die Herkunft der « feineren Art » aus einem initialen Gewaltakt scheint durch die raffiniertesten Liebeslisten und die zartesten Berührungen durch. Fluchtpunkt allen Werbens und Voraussetzung aller Hochzeit bleibt der Raub, der sich sine lege über den Widerstand der Jungfrau und ihrer Herkunftswelt hinwegsetzt und die Grundlagen für ein starkes, gesetzgeleitetes und auf der Ehe gegründetes Gemeinwesen legt. [4] Diesen Vorgaben Ovids ist es zu verdanken, wenn die so genannte Raptusgruppe in das feste Repertoire neuzeitlicher Herrscherikonographie eingeht. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert demonstrieren Fürsten italienischer Stadtstaaten und absolutistische Könige ihre politische wie ihre männliche Stärke, indem sie sich an öffentlichen Orten mit skulpturalen Raubszenen umgeben. [5] Diese Plastiken zeigen einen Helden, der sich einer Widerstrebenden bemächtigt, indem er sie umfängt und vom Boden auf hebt. Dem Skriptum der Ars amatoria oder der Metamorphosen folgend, versetzen sie den Herrscher in die Lage eines gewalttätigen Brautwerbers, der sich im Raptus einer zukunftsmächtigen Genealogie versichert und die Legitimität seiner Herrschaft auf der Erbeutung einer Jungfrau gründet. Unter wechselnden Namen aus dem Pantheon Ovids als Pluto, Theseus, Romulus, Alfeus oder Apollo stellen sie sich in die Reihe der antiken Raptoren, die ihre sexuellen Forderungen im Raptus geltend machen. Skulpturenvergleiche haben ergeben, dass die formalen Anregungen zu den genannten Raptusgruppen oftmals auf Kampfgruppen gleichgeschlechtlicher Anordnung zurückgehen : Die geraubten Frauen übernehmen Körperpositionen antiker, mythologischer und biblischer Kämpfer – des Antäus, den Herakles vom Boden emporhob, um ihm die Kraft zum Widerstand zu entziehen, des Samson, der mit den Philistern und des Cacus, der wiederum mit Herakles kämpfte. [6] Raptusepisoden – so gaben sie auf diese Weise zu erkennen – operieren an der unentscheidbaren Grenze zwischen Ringkampf und Koitus. Sie überblenden Vereinigung und Vergewaltigung und verbinden, wenn sie die beteiligten Körper durcheinanderwinden, eine wechselseitige Durchdringung mit einer Auseinandersetzung. [7] Die Auslegung dieser Ambivalenz kann nur zu neuen Unübersichtlichkeiten führen. Der gesetzlose Moment des Frauenraubs sedimentiert sich in der formalen Unentscheid barkeit eines körperlichen Ge f lechts [8] ohne erkennbaren Durchlaufsinn. Organisierendes Prinzip der Raptusanordnung ist die kunstvolle Verwicklung der kämpfenden Protagonisten, die sich zu einer komplexen Dreh- und Serpentinenfigur zusammenschließen. [9] Raubgruppen erproben Grade und Formen körperlichen Ineinanders. Ihre größte energetische Dichte erreichen sie einerseits dann, wenn sich angreifende und widerstrebende Körperteile in einer Weise übereinanderlegen [10] , die ihre eindeutige Zuordnung erschwert, andererseits in der Hand, die als ein Geflecht sui generis ins gegnerische Fleisch greift. [11] In diesem intrinsischen Widerspiel verflochtener Glieder spielen so die Finger eine hervorgehobene Rolle. Wo sie sich in den Körper des Opfers eindrücken und an seinem Fleisch eine wahrnehmbare Vertiefung hinterlassen, konzentriert sich die Macht des Raptus in spezifischer Weise. Wie von Ovid vorgegeben, betätigt sich die Hand des Raptors zuallererst als ein Greifwerkzeug, das im Zugriff Gewalt ausübt und einen intakten Körper verformt. Ihre entstellende Wirkung zeigt sich dort, wo die Beute durch den Druck der räuberischen Hand aus ihrer « ersten und echten Gestalt » [12] herausgetrieben wird. An der sichtba- 96 97 1 P. Ovidius Naso, Ars amatoria / Liebeskunst, Michael von Albrecht ( Hg. u. Übers.), Stuttgart 1992, S. 11, Buch 1, V. 91ff. 2 Ebd., S. 11, V. 115f. 3 Ebd., S. 13, V. 130. 4 Zur Logik von Gründungserzählungen vgl. Albrecht Koschorke, « Zur Logik von Gründungserzählungen », in : Zeitschrift für Ideengeschichte, 1 ( 2 ), 2007, S. 5–12; vgl. Gerald Schröder, « Versteinernder Blick und entflammte Begierde. Giambolognas ‹ Raub der Sabinerin › im Spannungsfeld poetischer reflektierter Wirkungsästhetik und narrativer Semantik », in : Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 31, 2004, S.175–203, S. 195. 5 Vgl. Saskia Hüneke, « Das Spiel der Kräfte in der Bildhauerkunst. Kampf- und Raubgruppen in Caputh, Rheinsberg, Potsdam und Charlottenburg », in : Generaldirektion der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg ( Hg.), Kunst in Preussen. Hans-Joachim Giersberg zum 65. Geburtstag, Berlin 2003, S. 139–151; vgl. Eva M. Schmitz, Raptusdarstellungen in der Plastik von der Renaissance bis zum Zeitalter des Klassizismus, Diss. Univ. Aachen 1992. 6 Vgl. Schröder, Versteinernder Blick ( wie Anm. 4 ), S. 184. 7 Georges Didi-Hubermann, Die leibhaftige Malerei, Michael Wetzel ( Übers.), München 2002, S. 42ff. 8 Zur Problematik des Geflechts in der Bildenden Kunst vgl. ebd., S. 41ff. 9 Schröder, Versteinernder Blick ( wie Anm. 4 ), S. 184ff. 10 Vgl. Schmitz, Raptusdarstellungen ( wie Anm. 5 ), S. 169ff. Schmitz beobachtet die chiastische Gliederstellung in der Raptusgruppe. 11 Schröder, Versteinernder Blick ( wie Anm. 4 ), S.185. 12 Eintrag : « Entstellung », in : Das Deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm auf CD-Rom und im Internet, auf : http ://germazope. uni-trier.de (September 2008). 13 Symplegma setzt sich aus dem griechischen sym und plegma zusammen, das Geflecht, Korb, Netz bedeutet. Das zugehörige Verb ist pleko ( plekein ), das flechten, schlingen, knüpfen, aber auch künstlich anfertigen oder verfertigen bedeutet. 14 Vgl. Irving Lavin : « Ex uno lapide. The Renaissance Sculptor’s Tour de Force », in : Matthias Winner u. a. ( Hgg.) : Il Cortile delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Akten des internationalen Kongresses zu Ehren von Richard Krautmeier, Rom 21. –23. Oktober 1992, Mainz 1998, S. 191; S. 199 : Verweis auf Plinius XXXVI, 24 : « Praxiteles filius Cephisodotus et artis heres fuit.cuius laudatum est Pergamon symplegma nobilis digitis corpori verius quam marmori impressis.»; vgl. auch Victor M. Schmidt, « Marble flesh. An addition to ‹ Bernini and Ovid › », in : Source, 18 ( 1 ), 1998, S. 25–26; vgl. auch Hinweise von Regina Schallert, Studien zu Vicenco de’ Rossi. Die frühen und mittleren Werke ( 1531-1561 ), Hildesheim u. a. 1998, S. 218. 15 Lavin weist darauf hin, dass das Wort symplegma immer von dem Adjektiv nobile begleitet werde, vgl. ders., Ex uno lapide ( wie Anm. 14 ), S. 199. ren Druckstelle zeigt sich nichts weniger als ein Verlust der formalen wie der jungfräulichen Integrität. Zu den Herausforderungen an den Bildhauer der Raptusgruppe gehört es daher, die Entstellungen am Fleisch der Geraubten darzustellen und die Folgen zu bezeichnen, die der gewaltsame Kontakt mit dem Gegner zeitigt. Der Raub war eine captatio – er wurde als capere konzipiert, als Zwang und Druck, die in die Verformung der Ergriffenen münden. Dabei sind nicht nur die Raubgeschichten, sondern auch der Griff, in dem sie sich zuspitzen, kanonisiert. Auch das Kunststück, das es verlangt, die Finger und die Druckstellen nachzubilden, die der Räuber an seinem Opfer hinterlässt, wird durch eine römische Autorität verbürgt. Die Forschungen zu den Raptusgruppen der Renaissance und des Barock haben wiederholt die Quelle bezeichnet, die den Reiz dieser technischen Schwierigkeit begründet und die neuzeitliche Kunst zur Überbietung einer antiken Meisterschaft anregt. In seinen Ausführungen über die römische Skulpturenkunst im 36. Teil seiner Historia naturalis würdigt Plinius den Cephisodotus, Sohn und Erben des Praxiteles, dessen besondere Fähigkeiten in der Darstellung von Fingereindrücken im Fleisch eines Gegners zur Geltung gekommen seien. Seine Spezialität sei das « Symplegma nobile » : die Darstellung körperlicher Verflechtung [13], bei der sich, wie es heißt, die Finger in den Marmor wie in weiches Fleisch eindrückten : « Greatly admired is his celebrated group at Pergamon of figures interlaced, in which fingers seem to press on flesh.» [14] Wie Irving Lavin, Gerald Schroeder und Regina Schallert nachgewiesen haben, nehmen die Raptus-Künstler die Herausforderung durch Cephisodotus an. In ihren Raptusgruppen, so zum Beispiel in Giambolognas Der Raub der Sabinerin ( 1579 – 82 ), Berninis Raub der Proserpina ( 1621 – 22 ) [Abb. 1–2] , in Rossis Raub der Helena u. a. erproben sie ihre Kunst, indem sie den Griff des Fraunräubers als eine zumindest angedeutete Verflechtung von Finger und Fleisch inszenieren. In ihrer Konzentration auf die Hand und in der Freistellung der Figuren auch im Moment der Verschlungenheit umgehen sie jedoch die Gefahren, die von der formalen Instabilität des Symplegmas drohen. Nur von ferne lassen sich hier die Konsequenzen erahnen, die eine Intensivierung des Geflechts für die Struktur der Gruppe nach sich ziehen würde. Dass dieses über die Hände hinaus auch auf die Körper übergreifen und ein noch viel umfassenderes und vernichtenderes Ineinander herbeiführen könnte, ist in ihnen nur angedeutet. Das auf den ganzen Körper ausgedehnte Symplegma erhöht die taktile Intensität der wechselseitigen Berührung und gefährdet die Kenntlichkeit der « ersten und echten Gestalt » in einer weit über den einfachen Griff hinausgehenden Weise. Es produziert Momente und Zustände der morphologischen Unentschiedenheit und lässt das weitere Formschicksal der Betroffenen zumindest für den Zeitpunkt der Verschlingung im Ungewissen. Die Raptusgruppen hingegen wahrten die Nobilität [15] des Symplegmas, die Plinius an den Pergamonskulpturen des Cephisodotus gewürdigt und wohl auch deshalb eingefordert hatte, um einer Verstrickung Grenzen zu setzen, die dem Adel, der Schönheit und der Kenntlichkeit der Kämpfenden Eintrag getan hätte. So verwundert es nicht, dass sie vor der skulpturalen Realisierung einer Raptusepisode des Ovid zurückschreckten, die von einer radikal gesteigerten und nicht mehr vornehmen Verschlingung erzählte und dabei ihre äußersten Möglichkeiten erkundete. Bezeichnenderweise ist es diesmal eine weibliche Täterin, deren Raptus im Chaos einer Mischform endet. Die Geschichte von der Najade Sarmacis aus dem vierten Buch der Metamorphosen überschreitet die Grenzen, die einer auf die Hände beschränkten symplegmatischen Struktur gezogen sind. Ihre Protagonisten verstricken sich in einem Ausmaß, das die Konturen des Einzelnen verschwinden läßt. In ihrem Begehren nach einem namenlosen Knaben drängt es Sarmacis so sehr in die Vereinigung hinein, dass Ovid ganze Metaphernzüge aufbietet, um die Intensität der Verschlungenheit anschaulich zu machen : So umschlingt sie ihn wie « Efeuranken lange Baum- stämme zu umspinnen pflegen und wie der Polyp seinen Feind, den er in der Wassertiefe gepackt hat, umklammert, indem er von allen Seiten all seine Fangarme ausstreckt ». Wie die Schlange den Adler fesselt sie ihm « Kopf und Füße und umschnürt ihm mit dem Schwanz die Flügel, die sich ausbreiten wollen ». Die Folge ist, dass « die beiden ineinander verschlungenen Körper der beiden eins werden. » [16] Auf diese Weise ergeben sie ein Geflecht von solcher Verdichtung, dass sie in dieser hermaphroditischen Unform für immer beieinander bleiben. Geht es um Verformung und Entstellung, ist der Bezug auf den literarischen Kontext des Raptusgriffes noch einmal zu unterstreichen. Symplegmatische Strukturen, welche die Taktilitätszonen erweitern und die Körper oder auch die Finger einer allseitigen Berührung durch einen anderen aussetzen, sind thematisch wie auch in ihren künstlerischen Zielen im Kontext von Ovids Metamorphosen angesiedelt. Die überwiegende Zahl der Raptusplastiken greifen charakteristische mythologische Episoden aus einem Epos auf, das einen unmittelbaren Bezug zwischen Raptus und Verwandlung stiftet. Sie geben radikale Varianten jener Verformung, die das Fleisch unter dem Druck einer Situation, eines Körpers oder einer Hand erleidet. Zumindest im Deutschen ist das Wort « Verformung » immer wieder als Synonym des Wortes « Verwandlung » gebraucht und auf die Metamorphosen des Ovid bezogen worden. [17] Vor diesem Hintergrund wäre das Symplegma noch einmal als eine Zone der Verwandlung und des Übergangs zu beschreiben, in der die Figuren ihre « erste und echte Gestalt » verlassen, um in eine zweite und vorerst noch unkenntliche einzutreten. Hinsichtlich der Statuen, die sich in einer Raptusgruppe verstricken, ist jedoch vor allem eine Verwandlungsepisode von Bedeutung. In der Konzentration auf die Hand sowie in der Verbindung von Verformung und Verwandlung ist der Bezug zu einer der prominentesten Episoden des Epos Ovids hergestellt – einer Episode, die gewöhnlich nicht unter die Raptusgeschichten gezählt wird und dennoch bei jedem Griff in das Fleisch einer Statue gegenwärtig ist. Die Rede ist wenig überraschend von dem Bildhauer Pygmalion aus dem 10. Buch der Metamorphosen, der eine so schöne Elfenbeinstatue erschuf, dass er sich in sie verliebte und mit Hilfe der Venus zum Leben erweckte. Die für die weitere Rezeptionsgeschichte bedeutsamste Passage handelt von den Sensationen der Hand bei der Berührung der erwachenden Form und beginnt nach dem Bittgebet und Opfer an die Göttin der Liebe : Pygmalion legt, wie es bei Ovid heißt, « Mund an Mund und tastet mit der Hand nach der Brust. Er tastet noch, da wird das Elfenbein weich, verliert seine Starrheit, weicht zurück und gibt den Fingern nach, so wie Wachs vom Hymettus an der Sonne geschmeidig wird, sich unter dem Druck des Daumens zu tausenderlei Gestalten formen läßt und in der Hand des Bildners immer bildsamer wird.» [18] Die Bedeutung dieser Episode für die skulpturale Imagination Europas überschreitet den Rahmen der hier gestellten Frage bei weitem. In diesem Zusammenhang kann nur der Raptusgriff selbst in den Blick genommen werden und auf die Attraktivität einer Verwandlung hingewiesen werden, die sich unter der Hand eines Bildhauers vollzog. Jeder Raptuskünstler, der den Griff des Helden im Sinne des Plinius gestaltete und im Stein den Anschein des Lebens erwecken wollte, adressierte, auch wenn er einen Pluto, einen Romulus oder einen Theseus im Blick hatte, immer auch jene Metamorphose, die an den Namen des Bildhauers Pygmalions geknüpft war. [19] In der Reihe der Metamorphosen kommt ihr die Rolle eines Metamythos zu, der alle anderen Verwandlungsgeschichten, sofern sie in Skulpturen darstellbar sind, einbegreift und zugleich die Schönheit der verwandelten Gestalt garantiert. [20] Vor dem Hintergrund der hier angestellten Überlegungen ist aber vor allem darauf hinzuweisen, dass auch der griechische Bildhauer Pygmalion ursprünglich als ein Aggressor eingeführt wird. Die zarte und tastende Kontaktaufnahme der zitierten Stelle darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er mit seiner Statue, die dann den Namen Galatea erhält, im ersten Teil der Episode noch eine Raptusgruppe bildet. Hier berichtet Ovid, dass der Bildhauer das begehrte, aber zunächst noch unnachgiebige Elfenbeinbild so fest gedrückt habe, dass er befürchtete, « an den Gliedern, die er preßt, möchten blaue Male entstehen ». [21] Wenn das Vorgehen des Frauenräubers daran erkennbar ist, dass er seinem Opfer die Finger ins Fleisch drückt, dann zählt auch Pygmalion zu den Gewalttätern, so wie er in den anderen Raptoren gegenwärtig ist, die sich mit gierigen Händen an einer Frau vergreifen. Andererseits ist der Druck des Daumens – pollice – auch in der zweiten Episode noch gegenwärtig. Sogar in einer Lage, deren Zärtlichkeit unbestreitbar ist, drücken sich « Finger ins Fleisch » und erproben « tausend Möglichkeiten » der Verformung. Der ursprüngliche Charakter der captatio, das gewaltsame Ergreifen des Gegenstands, bleibt in wenn auch abgemilderter Form erhalten. [Abb. 3] Nur andeutungsweise kann hier nun der Versuch unternommen werden, die weiteren Wege dieses Griffes zu verfolgen und die Verwandlungen nachzuvollziehen, denen er unterliegt, als die symbolische Kraft absolutistischer Herrscherrepräsentation nachzulassen beginnt. Genauer wäre an dieser Stelle die Schwächung der captatio nachzuzeichnen und die Abnahme des körperlichen Drucks, den der Held und Herrscher auf das ihm unterworfene Objekt ausübte. Der Griff des neuzeitlichen Raptors gehörte einer monarchischen Ordnung an und ließ sich nur mit gravierenden 16 P. Ovidius Naso, Metamorphosen, Michael von Albrecht ( Hg. u. Übers.), Stuttgart 1994, S. 201, 4. Buch, V. 360ff. 17 Eintrag : « Verformung », in : Das Deutsche Wörterbuch ( wie Anm. 12 ). 18 Ovid, Metamorphosen ( wie Anm. 16 ), S. 529, 10. Buch, V. 280f. 19 Vgl. Schröder, Versteinernder Blick ( wie Anm. 4 ), S. 188f. 20 Zum Verwandlungsparadigma Stein – Fleisch vgl. Paul Barolsky, « Andromeda’s tears », in : Arion, 6 ( 3 ), 1999, S. 24–28. 21 Ovid, Metamorphosen ( wie Anm. 16 ), 10. Buch, V. 260, S. 529. 98 99 Abb. 1–3 Gian Lorenzo Bernini, Raub der Proserpina ( 1621–22 ), Marmor, 255 cm, Sockel 109 cm ( Galleria Borghese, Rom ) und folgenreichen Umbe setzungen in bürgerliche Vorstellungsformen überführen. Seit dem 18. Jahrhundert zumindest werden die Zugriffe der Macht nicht mehr allein in Spielarten der pressura bzw. der körperlichen Deformation imaginiert, sie nehmen, zumindest auf den ersten Blick, andere und weniger augenfällige Gestalt an. [22] Währenddessen erfährt die ovidische Raubszene eine Umdeutung, die ihre Bedeutungsrichtung verkehrt und doch die durch Ovid vorgegebene Anordnung in ihren Grundzügen beibehält. Die Umstrukturierung der greifenden zur tastenden Hand, wie sie in den ästhetischen Schriften des 18. Jahrhunderts vorgenommen wird, erfolgt wiederum « im Zeichen Pygmalions », der nun zum mythologischen Gewährsmann eines neuen und anderen Umgangs mit begehrten Objekten wird. Demnach wandelt sich das Greifen, das bis dahin ein capere bzw. ein Kapern war, zu einem Tasten, das mit dem lateinischen Wort palpare zu übersetzen wäre. Die gesamte internationale Pygmalionrezeption der Aufklärung lässt die Formenwelt der Druckstellen hinter sich und konzentriert sich auf die Erfahrungen des in der Hand lokalisierten Tastsinns. [23] Zügig beseitigt sie den Aspekt der Stärke und der Überwältigung und betrachtet das ursprüngliche Kraf tzentrum, das Greifwerkzeug des Brautwerbers, aus einem anderen Gesichtspunkt. Die manus cupida erweicht und lockert sich, und an die Stelle des räuberischen Zugriffs tritt eine Form der passivischen Inbesitznahme, die den Gegenstand berührt, ertastet und zugleich ertastet wird. Ein neuartiger und nicht mehr feindlicher Kontakt zwischen den Protagonisten ermöglicht es nun der Hand, zu dem begehrten Objekt vorzudringen. In den deutschen Pygmalionsettings werden die statuarischen Frauenkörper in Fühlung und nicht in den Griff genommen. Die Texte Rousseaus, Bodmers und Herders, die das mythologische Paradigma in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts verankern, entwerfen den Liebhaber des 18. Jahrhunderts als Gegenbild zu den Täterfiguren der Metamorphosen. In Rousseaus Scène lyrique Pygmalion von 1762 läßt sich das Ende der gewalttätigen Annäherung in actu nachvollziehen. Der Bildhauer, der der Statue Galathee mit dem Meißel zunächst noch « un seul coup » versetzen möchte, um ihr eine gegenüber der ersten veränderte Form aufzuzwingen, wird von Zögern überfallen, da er fürchtet, ihr Fleisch zu verletzen. « Je tiens le ciseau d’une main mal assurée… je ne puis… je… n’ose… je gâterai tout ( Il s’encourage, et enfin, présentant son ciseau, il en donne un seul coup, et, saisi d’effroi, il le laisse tomber, en poussant un grand cri.) Dieux! Je sens la chair palpitante repousser le ciseau! » [24] Dieser neue Stil der Annäherung, der hier nur in Hinblick auf die Szene des Greifens und ohne Rücksicht auf die erkenntnistheoretischen Implikationen der Pygmalionrezeption skizziert wird, resultiert dabei weniger aus einem Sinneswandel des Räubers als aus einem neuen Entgegenkommen des Objekts. Sie folgt aus der Tatsache, dass sich ihm die geliebte Frau freiwillig in die Hände gibt und steht im Zusammenhang einer empfindsamen Kultur, die sich, anstatt zu rauben, mit der Bitte an die Geliebten wendet, sie möchten « auf halbem Weg » entgegenkommen. [25] Die Protagonisten der Gruppe kämpfen nicht mehr, sie erfühlen einander, zuletzt aber sich selbst, in tastenden Bewegungen. Aus der einseitigen Machtbezeugung der greifenden Hand wird nun Hingabe auf beiden Seiten, aus dem Widerstand der Galatea die Autopoiesis eines weiblichen Materials, das sich erst im Akt des Entgegenkommens als lebendig erweist. Die Finger Pygmalions suchen die weichen Stellen der Statue nicht mehr, um sich ihnen gewaltsam einzudrücken, sie werden, so schreibt Herder in der zweiten Fassung seiner Schrift zur Plastik, die 1778 den Zusatz Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions Bildendem Traume erhält, vielmehr « Zug um Zug und fast willkürlich auf jede wei- che Stelle, jede zarte Form tastend gezogen ». [26] Im Zuge dieser Erweichung verändert sich die Rolle des Raptors grundlegend. Indem seine Hand nicht mehr auf feindliches Gelände vordringt, sondern tastend gezogen wird, ohne das Vorgefundene zu entstellen, zeigt sie sich von ihrer empfangenden Seite. Unter die Auspizien des Tastsinns gestellt, wird die Brautwerbung im Atelier zu einer Sache der Feinfühligkeit, der Widerstand der Braut aber zu einem Entgegenkommen, das ihre gesamte physiologische Konstitution als eine freudige Antwort auf das Begehren der männlichen Hand erscheinen läßt. In seiner Kritik der Urteilskraft nennt Immanuel Kant diese Erweichung Liebe. Zumindest nimmt er eine Bestimmung des Liebeszustands vor, dessen Daten auch mit Hilfe des Tastsinns erhoben und am Körper überprüft werden können. Deutlich werden ihr pygmalionische Kriterien zugrundegelegt, wenn es heißt : « Nachlassung, Losspannung und Erschlaffung der Fibern des Körpers, mithin eine Erweichung, Auflösung, Ermattung, ein Hinsinken, Hinsterben, Wegschmelzen vor Vergnügen. » [27] Erst nach Auflösung der im Raptus aufgebauten Körperspannung kann der Tastsinn den Kontakt herstellen. Erst wenn sich das Objekt freiwillig darbietet, gleiten die Finger den Körper entlang. Entsprechend sind nun auch die weiblichen Finger auf Fühlung und nicht auf Abwehr eingerichtet : « Gott ließ », so heißt es in Herders 1778 überarbeiteter Schrift zur Plastik, « am Weibe die Hand sanft abf ließen, in kleine Zylinder. Und bepolsterte sie von innen in jedem sammeten Mäuschen und in jedem Blumenbusche der Fühlbarkeit, der auf Gefühl wartet, mit dem ersten Druck der Liebe. » [28] In Herders Pygmalionszene hat sich die einstmals Fliehende so zu einer Wartenden gewandelt, deren fühlsame Finger sich nun der Hand des Freundes entgegenstrecken. Der Druck, der in der Raptusgruppe nur in eine Richtung weitergegeben wurde, kehrt nun in empfindsamer Umformung in das Werbungsspiel der Geschlechter zurück. Er wird durch den erwünschten « Druck der Liebe » abgelöst, wel- 100 101 cher um so sanfter ausfällt, als nun auch die männliche Hand mit Bezug auf Pygmalion als « ein Gebilde voll feinen Gefühls und tausendförmiger organischer Übung » beschrieben wird. [29] In der Konsequenz dieser Umbesetzung liegt es auch, dass die Autoren des 18. Jahrhunderts den von der Hand gegebenen Druck als eine Mitteilung von Gefühlen lesen. In den 1744 erschienenen Rostschen Schäfererzählungen heißt es mit der Klarheit eines schlichten Exempels : « Er drückt die schöne Hand. / Ein sanfter Druck macht oft das Herz bekannt.» [30] Bodmers Pygmalion und seine Statue Elise finden sich « mit einem sanften Händedrücken », das allen falls noch durch « ein sanftes Drücken an die Brust » gesteigert wird. [31] Der sichtbare Ausdruck sexueller Begierde wandelt sich in eine Botschaft des Herzens und erscheint unter den diskreten Liebeszeichen des galanten wie des empfindsamen Stils. Der ehemals Greifende wird zum Empfänger eines wenn auch nur angedeuteten, so doch belebenden Gegendrucks. [32] Dieser « erste Druck der Liebe » bleibt anders als der Druck des Raptors, den der Bildhauer in sichtlichen Vertiefungen darstellt, in mehrfacher Weise den Augen des Betrachters entzogen. Er erfolgt ohne Zuschauer, er spricht die Sprache der Intimität und gehört zu den bürgerlichen Lüsten, die ein Geheimnis unter Liebenden bleiben. Unsichtbar ist er jedoch auch noch aus einem anderen Grund : Im « sanften Druck » der Hand haben sich die Spuren des Raptus so weit verflüchtigt, dass kein Eindruck und keine Druckstelle am Fleisch des Gegenübers zurückbleibt. Die sichtbaren Vertiefungen, die der Raptus am Körper des Objekts hinterlassen hatte, weichen einer neuen Elastizität des Fleisches und einer Erotik, die nach außen hin keine Verformungen hinterläßt. Vor allem aber dem Symplegma als einer im Raptus erreichten körperlichen Verflechtung ist in dieser Anordnung des 18. Jahrhunderts jede Grundlage entzogen. Die Pygmalionschriften Rousseaus, Bodmers und Herders widerstehen sämtlich den Versuchungen der Verschlingung. Als Förderer des Tastsinns im ästheti- schen Diskurs des 18. Jahrhunderts lehnen sie einen Typus der Annäherung ab, die im gewalttätigen sexuellen Akt die ertastete Form vernichten und verwandeln konnte. Auch am lebendigen Fleisch bestehen sie auf der Klarheit der Linien, die den tastenden Finger auf seinem Weg um den Körper leiten und führen. [33] Was sich nicht deutlich entwickeln läßt und der erkennenden Wahrnehmung durch die Hand entzieht, wird von Herder als ein Monstrum : als « eine dunkle Grauenvolle Verwirrung » oder auch als « Misswachs zweener Körper » [34] bezeichnet und verworfen. Ringkämpfe und sexuelle Verflechtungen verdienen die Annäherung des Tastenden nicht, der sich bei aller Weichheit des entgegenkommenden Körpers dennoch einer letzten und schützenden « Härte » vergewissern muss. [35] Die pygmalionische Vorrichtung des 18. Jahrhunderts ist gegen das semiotische Chaos des Symplegmas gerichtet. In der Furcht vor dem Formschicksal der Sarmacis muss die formale Stabilität des ertasteten Körpers in jedem Fall gesichert werden. Entsprechend ersehnt sich der Pygmalion auch keine geschlechtliche Vereinigung mit dem begehrten « Bilde » – sein Tasten dient in erster Linie der Erforschung und Erfahrung eines Gegenstandes, der sich auch im Dunkeln, wo sich der Tastsinn am besten entfaltet, in sanften, aber kenntlichen Konturen darstellt. [36] Dessen Erfassung erfolgt anstatt auf dem Weg der Einverleibung, wie sie von jedem Symplegma her drohte, auf dem Weg der forschenden Hingabe, die der vorgefundenen Form gleichmäßig und an jeder einzelnen Stelle gerecht werden sollte. Wenn die Hand « Zug um Zug und fast unwillkürlich auf jede Stelle, jede zarte Form tastend » gezogen wird, wie es bei Herder heißt, dann gleicht sie « dem jeder Form und Beugung sich sanft anschließenden und anplätschernden Wasser ». [37] Mit dieser metaphorischen Wendung ist nicht nur die Sanftmut unterstrichen, mit der sich der Tastfinger der tastbaren Form nähert – in ihrer Totalität suggeriert sie auch eine Umschließung, die sich fundamental von der aggressiven Verschlingung des Symplegmas 22 Man könnte die hier angestellten Überlegungen auch zu einer Fußnote zur Hauptthese von Foucaults Überwachen und Strafen ausbauen, vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. Main 2003. 23 Vgl. dazu grundlegend : Inka MülderBach, Im Zeichen Pygmalions. Das Modell der Statue und die Entdeckung der « Darstellung » im 18. Jahrhundert, München 1998; Nathalie Binczek, Kontakt. Der Tastsinn in Texten der Aufklärung, Tübingen 2007 ( = Studien zur deutschen Literatur, 182 ); vgl. Ulrike Zeuch, Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der frühen Neuzeit, Tübingen 2000 ( = Communicatio, Bd. 22 ). Zur modernen Pygmalionrezeption vgl. auch Mathias Mayer / Gerhard Neumann, Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in derabendländischen Kultur, Freiburg im Breisgau 1997. 24 Jean-Jacques Rousseau, « Pygmalion. Scène lyrique », in : ders., Œuvres complètes, Bd. 2, Paris 1961, S. 1226ff. 25 Paradigmatisch für diese auf dem freiwilligen Entgegenkommen und nicht auf der Eroberung basierenden Geschlechterkultur des 18. Jahrhunderts ist Gottfried August Bürgers Gedicht Gegenliebe. Sowohl bei Bodmer als auch bei Rousseau kommen die Statuen Pygmalion entgegen. 26 Johann Gottfried Herder, « Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions Bildendem Traume » ( 1778 ), in : Wolfgang Pross ( Hg.), Werke, Bd. 2, Darmstadt 1987, S. 528. 27 Immanuel Kant : Kritik der Urteilskraft, Wilhelm von Weischedel ( Hg.), Werkausgabe, Bd. 10, Frankfurt a. Main 1977, S. 205. 28 Herder, Plastik ( wie Anm. 26 ), S. 512. 29 Ebd. 30 Belegstelle in : Eintrag : « Druck », in : Das Deutsche Wörterbuch ( wie Anm. 12 ). 31 Johann Jacob Bodmer, « Pygmalion und Elise », in : Klaus Völker ( Hg.), Künstliche Menschen. Dichtungen und Dokumente über Golems, Homunculi, Androiden und liebende Statuen, München 1971, S. 339. 32 Das Erwachen der Statue, welche dem Druck mit Gegendruck antwortet, führt zuletzt zur Marginalisierung, ja Aussparung Pygmalions bzw. wird die Binarität der Anordnung zu einer der Selbstreferenz. Die Aufmerksamkeit wendet sich der allmählichen Ausbildung der kognitiven Vermögen der Statue zu, vgl. Binczek, Kontakt ( wie Anm. 23 ), S. 317ff. 33 Johann Gottfried Herder, « Plastik » ( 1770 ), in : Werke ( wie Anm. 26 ), S. 414. 34 Ebd., S. 433. 35 Vgl. Immanuel Kant, « Anthropologie in pragmatischer Hinsicht abgefasst », in : ders., Werkausgabe ( wie Anm. 27 ), S. 447. Die « Erkundigung der Gestalt » setzt auch bei Kant eine gewisse « Härte » derselben voraus. 36 Die Festigkeit der Linie ist bei Herder mit « Rundheit » umkleidet, vgl. Herder, Plastik ( 1778, wie Anm. 26 ), S. 521. 37 Vgl. ebd., S. 528. unterscheidet. Durch die tastende und gleichmäßige Flutung wird eine andere und umfassendere Inbesitznahme des Objekts angestrebt als im Griff des Raptors. Der herantretende Tastfinger beschädigt nicht, was er berührt und dringt umso erfolgreicher an jede verborgene Stelle des Körpers vor. Mit der Brautwerbung ist es damit allerdings vorbei. Wenn Herder auf den Grundrissen der ovidischen Pygmalionepisode den Tastsinn zum Platzhalter aller anderen sinnlichen Erfahrung erklärt, dann orientiert er sich an der Figur des Blinden [38] und an der Figur des experimentierenden Kindes, nicht aber an der Figur des Raptors, dessen auch formale Verschmelzungswünsche sich schon im Zugriff der Hand erfüllen sollten. Während die Raptusgruppe den Räuber als Brautwerber in Szene setzte und die Darstellung politischer Legitimität an die Geschlechtsreife des Helden band, interessieren sich Rousseau, Herder und Bodmer für die Entwicklungsgeschichte des Individuums und eine Methode, « sich seiner Begriffe langsam und vollständig zu sichern ». [39] Die Gewalt des gesetzlosen Ergreifens, die den tradierten Brautwerbeszenen innewohnte und in den Gründungsakt der Ehe einbezogen wurde, wird aus einer Geschichte eliminiert, die nun hauptsächlich der Erforschung und Erfahrung des Selbst gewidmet war. [40] Nur an entlegenen Stellen wird die auch im sanf testen Händedruck drohende Gewalt überwundener Pressionspolitik noch angesprochen. In einem von « unmerklichen Eindrücken » ( Wieland ), vom « Druck der Luft » ( Goethe ) und anderen kaum mehr wahrnehmbaren Anmutungen bestimmten Diskurs der Berührung scheinen die alten Druckverhältnisse zu verschwinden und eine Ära der unverformten Körper einzuleiten. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass sie sich an anderer und verschobener Stelle in alter Gewaltsamkeit wiederherstellen. Wenn Johann Wolfgang von Goethe in seinem erotischen Gedicht Alexis und Dora schreibt : « Denn die weichliche Feige, die jeder Druck schon entstellet » [41] , dann macht er unmißverständlich klar, dass mit der Macht des Drucks noch zu rechnen ist. In Hinblick auf das kaum verhüllte weichlich-weibliche Organ, um das es hier eigentlich geht, stellen sich antike und alteuropäische Herrschaftsverhältnisse « unter der Hand » wieder her. Darüberhinaus aber ist zu beobachten, dass der Frauenraub, der unter frühneuzeitlichen Machtverhältnissen das symbolische Entrée einer legitimen ehelichen Beziehung bildete, nun zur illegitimen Waffe aristokratischer Schurken wird, wenn sie eine bürgerliche Jungfrauen aus dem Stand der Unschuld herausreißen, ohne ihr Verhältnis zu legitimieren. Anders als die Eroberer vom Typ des Pluto oder des Romulus kehren die « rogues », wie sie bei Richardson, Lessing oder Wakefield auftreten, nicht zum Gesetz zurück. Der Griff, mit dem sie ihre Beute entführen, verschafft sich in kriminalisierter Form und ohne Rückbindung an die matrimoniale Ordnung weiterhin Geltung. Doch auch über die Geschlechterverhältnisse hinaus bleibt zu fragen, wie es mit der Gewalt eines Griffs weitergeht, der aus den taktilen Kontakten im Umkreis der Brautwerbung zu verschwinden scheint. Vieles deutet darauf, dass er seine Wirkung nun in so allgemeiner Weise entfaltet, dass er auf eine einzige Raptusszene und einen kenntlichen Täter nicht mehr zurückgebunden werden kann. Der Griff des Raptors wird im Folgenden zu einer zentralen traumatischen Grunderfahrung des 18. Jahrhunderts gewendet. Die symbolische Schwächung des Eroberers muß als Ausdruck einer noch viel weitreichenderen Umstrukturierung gesehen werden, die hier nur kurz und thesenhaft angedeutet werden kann. In der Inversion des Griffs, die den ehemals Greifenden nun selbst zu einem Ergriffenen macht, werden nun, im 18. Jahrhundert, die Leitlinien einer Kultur sichtbar, deren Protagonisten sich selber in der Position einer immer schon vorausgesetzten Ergriffenheit phantasieren. In der Aufgabe und Kriminalisierung der Täterperspektive und in der euphorischen Hingabe an einen Raptus, der eine psychische Form des Hinweggerissenseins darstellt, finden sich nicht nur die Frauen, sondern alle Protagonisten des bürgerlichen 18. Jahrhunderts auf der Seite des Passivs wieder, dessen Aktiv sie nicht mehr erkennen oder nur mit Nebenrollen besetzen können. Zum Menschen werden die Bürger der Aufklärung, indem sie ihr Sein als einen Zustand der Ergriffenheit bestimmen und erfahren. « Being born is like being kidnapped », heißt es bei Andy Warhol. 38 Vgl. Mülder-Bach, Im Zeichen Pygmalions ( wie Anm. 23 ), S. 60ff. 39 Herder, Plastik ( 1770 ), in : Werke ( wie Anm. 26 ), S. 409. Zur Entwicklungsperspektive bei Herder vgl. auch Binczek, Kontakt ( wie Anm. 23 ), S. 354ff; vgl. Mülder-Bach, Im Zeichen Pygmalions ( wie Anm. 23 ), S. 52ff. 40 Zur Selbstaffektation der erwachten Statue vgl. Binczek, Kontakt ( wie Anm. 23 ), S. 284ff. 41 Johann Wolfgang v. Goethe, « Alexis und Dora », in : Karl Richter u. a. ( Hgg.), Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, Bd. 4.1, S. 848. Goethes erotische Gedichte, z.B. die Römischen Elegien wären auf verschobene Raptus-Situationen hin zu untersuchen. 102 103 Während der Blick und damit der Sehsinn keiner Erwiderung bedarf, zeichnet sich der Tastsinn dadurch aus, dass die Berührung des Fremden immer zugleich eine Selbstberührung ist. Diese von Richard Sennet als « Dialektik des Widerstands » bezeichnete Eigenschaft des Taktilen als einer Domäne der Grenzziehung und Grenzerfahrung machte sich das Expanded Cinema der Künstlerin VALIE EXPORT in den späten 1960er Jahren zunutze. So kehrte sie mit ihrem Tapp und Tastkino die voyeuristischen Prinzipien des Kinos um, indem sie die ZuschauerInnen zu blind Tastenden umfunktionierte, die beim Berühren der Brüste der Künstlerin in einer verschlossenen Box den Blicken des umstehenden Publikums ebenso ausgesetzt waren wie dem gleichgültigen Lächeln der Künstlerin, ohne jedoch selbst die Objekte des Begehrens sehen zu können. Manuela Ammer zeigt auf, dass die von EXPORT initiierte « Kommunikation qua Kontaktsinne » letztlich zu der Erfahrung führen sollte, dass der Tastsinn, gerade weil er auf dem Zusammenspiel aller Sinne basiert, ohne den Sehsinn auf verlorenem Posten ist. Auf diese Weise wurde in EXPORTs Aktion der voyeuristische Blick durch körperliche Nähe ausgehebelt, um jedoch zugleich zu demonstrieren, dass es keine unmittelbare taktile Erfahrung und damit auch kein körperliches Reales außerhalb der Repräsentation gibt. ( jg ) Manuela Ammer Taktile Manöver Zum feministischen Aktionsbegriff in VALIE EXPORTs Tapp und Tastkino ( 1968 ) Als VALIE EXPORT am 11. November 1968 ihr Tapp und Tastkino in Wien erstmals zur Aufführung brachte, kam es zu einem Eklat. Im Rahmen der « Maraisiade Junger Film ’68 » war EXPORTs « Spielfilm » Ping Pong zum politischsten Film des Festivals gekürt worden. Zur Preisverleihung verkündete die Künstlerin jedoch mit vor die nackte Brust geschnallter bevorhangter Styroporbox, den Anwesenden anstelle des prämierten Filmes den « ersten echten Frauenfilm » vorführen zu wollen : sie gegen den betrug feit. kommunikation qua fernsinne erweist sich häufig als sublime matrix für manipulation und ausbeutung der bedürfnisse. kommunikation qua kontaktsinne ist der versuch, jenseits der barrieren von öffentlichkeit und intimsphäre, markierungen einer entfremdeten kommunikation, stile menschlicher kommunikation, in denen sich von staat und industrie emanzipierte bedürfnisse realisieren können, zu rekonstruieren oder zu errichten.» [7] « nach der ankündigung betretenes schweigen im publikum. plötzlich stürmt der schweizer jungregisseur g. radanowicz die bühne, tritt vor v. export und versucht, ihren kinokasten vor dem nackten busen zu zertrümmern, mit ausrufen wie ‹ seht her diesen busen fürs volk ›, was eben durchaus den intentionen exports widersprach. bevor es soweit kam, schlug weibel ein paarmal kräftig zu, das licht ging aus… als es wieder anging, stand weibel als sieger auf der bühne, v. export war geflohen, radanowicz suchte seine brillen am boden.» [1] [Abb. 1] Die Aktion, deren Erfolg sich nicht zuletzt der regen Teilnahme der anderen FilmemacherInnen verdankte – auf den Dokumentationsphotos sind unter anderem Birgit Hein als Zuschauerin und Werner Nekes als « Kinobesucher » [Abb. 3] zu erkennen –, zog ein enormes mediales Echo nach sich. Vom Mainzer Karneval bis zum ostdeutschen Rundfunk, der es als Symptom des westlichen Kulturverfalls apostrophierte, ging das Tapp und Tastkino in den populären Diskurs ein. [8] Ihren Höhepunkt fand die mediale Verwertung 1969, als die Aktion in München für die vom österreichischen Fernsehen produzierte Sendung Apropos Film reinszeniert wurde. [9] Im selben Jahr war das Tapp und Tastkino auch Teil von VALIE EXPORTs und Peter Weibels Beitrag zum Avantgarde-Festival Underground Explosion, das von April bis Juni durch verschiedene Städte im deutschsprachigen Raum tourte und laut Weibel von Publikumstumulten und Polizeieinsätzen begleitet wurde ( « in zürich wollte uns das publikum lynchen » ). [10] Diesen ersten Aufführungen folgten bis 1971 weitere in verschiedenen europäischen Städten. Besondere Erwähnung finden soll die Präsentation in Köln, da dort nämlich der Kinokasten von Erika Mies vorgeführt wurde, während EXPORT mit dem Megafon die Begleitrede hielt. Die Künstlerin erinnert sich, dass die Präsenz von zwei Frauen auf der Straße die Leute besonders aggressiv stimmte, weil sie sich an Prostitution erinnert fühlten. [11] Es waren auch nicht ausschließlich Männer, die ihre Hände durch den Eingang des Tapp und Tastkinos schoben, wenngleich sie zweifelsohne die große Mehrheit darstellten. Auf einem während der Underground Explosion in München entstandenen Photo ist zu sehen, wie EXPORT von Limpe Fuchs betastet wird, die gemeinsam mit ihrem Mann Paul ebenfalls Teil der Tournee war. [12] [Abb. 4] Offenheit und Variabilität in der Paarung von AkteurIn und BesucherIn finden sich auch konzeptuell festgeschrieben : « dadurch, daß alles auf der straße passiert und der ‹ konsument › jeder sein kann, also mann oder frau, ist das ein unverschleierter einbruch in das thema der homosexualität. » [13] Diese Anmerkungen sollen veranschaulichen, dass der intellektuelle Horizont, den das Tapp und Tastkino aufspannt, von Anbeginn an weiter und ambivalenter gefasst war, als uns Interpretationen glauben machen wollen, die auf simplen Dualismen aufbauen ( männliches Subjekt versus weibliches Objekt, Sehen versus Tasten, Illusion versus Realität, Repräsentation versus Aktion usw.). [14] EXPORTs Ansatz war so umfassend wie die Visionen groß, die mit der Aktion verbunden waren : EXPORT erinnert sich zudem, dass jemand zum Mikrofon stürzte und brüllte: « Ist das noch Kino ? Das ist kein Kino, das ist gar nichts! » [2] Und in der österreichischen Tageszeitung Express ließ Eleonora Gray zum Filmfestival und dem Auftritt der Künstlerin verlauten : « Ich stifte hiermit eine Schachtel Zünder. Damit wird man durchkommen, einen Teil der eingereichten Filme zu verbrennen, mit Ausnahme des letzten Werkes von Valie Export. Das ist nämlich kein Film. Das ist sie selber, und Hexenverbrennungen sind nicht mehr üblich.» [3] Selbst unter Berücksichtigung des konservativen politischen und kulturellen Klimas in Österreich Ende der 1960er Jahre überrascht die Heftigkeit der Reaktionen. [4] Der größte Affront schien für Georg Radanowicz ( « Seht her… » ) und die anderen KritikerInnen darin zu liegen, dass den Händen geboten wurde, worauf das Auge ein Anrecht zu haben glaubte. [5] Nur wenige Tage später, am 14. November 1968, präsentierte EXPORT das Tapp und Tastkino im Rahmen des 1. Europäischen Treffens unabhängiger Filmemacher in München. [Abb. 2] Assistiert von Peter Weibel stellte sie sich am belebten Stachus auf, das Miniaturkino aus Styropor vor die bloße Brust geschnallt. Weibel wiederum war mit einem Megaphon ausgerüstet und forderte die PassantInnen dazu auf, die 12-sekündige Filmvorführung zu besuchen, was hieß EXPORTs Busen für exakt eine Fünftelminute zu betasten. In einer « Mischung aus Marktschreier und Theoretiker » [6] informierte er über den Hintergrund der Aktion und proklamierte neben der « Rehabilitierung des Tastsinns » auch die « Kommunikation qua Kontaktsinne »: « […] im staatskino wird zum voyeurismus degradiert, was lust am sehen sein könnte. um jener deprivation zu entgegnen, um den busen als warenfetisch zu entdinglichen, wird ein unterdrückter partialtrieb, der tastsinn, rehabilitiert, wird an stelle der visuellen die taktile rezeption gesetzt, weil 104 105 Abb. 1 Maraisiade-Diskussion : Hans Scheugl, Peter Weibel und Georg Radanowicz ( Wien 1968 ) Abb. 2 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino ( Stachus, München, 14. 11. 1968 ) Abb. 3 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino ( Stachus, München, 14. 11. 1968 ) Abb. 4 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino ( als Teil der Underground Explosion, Circus Krone, München 1969 ) « tapp und tastfilm ist ein beispiel für die aktivierung des publikums qua neue interpretation. taktile statt visuelle kommunikation. […] soziologische modelle wie sie im kino verstärkt werden, werden somit aufgebrochen, es entstehen neue soziologische modelle, neue menschliche verhaltensweisen […].» [15] Das Tapp und Tastkino war in einen Kontext künstlerischer Aktivitäten eingebunden, die beabsichtigten, die « Inszenierung der Wirklichkeitserfahrung durch technische Medien darzustellen », wie die Künstlerin dies in einem späteren Vortrag formulierte. [16] Auf das Kino bezogen prägten VALIE EXPORT und Peter Weibel für ihre Untersuchungen den Begriff « Expanded Cinema ». [17] Konzept und Intention der so bezeichneten Arbeiten war zu entschlüsseln, « wie die Realität im Film manipuliert wird », sowie « den cinematrophischen Apparat in die Installation von Raum und Zeit zu transportieren, um aus der Zwei-Dimensionalität der flachen Oberfläche auszubrechen.» [18] Was in dieser Definition EXPORTs formalistisch anmutet, wurde von der expliziten Forderung nach realgesellschaftlichen Konsequenzen für den Status der KinobesucherInnen, ihre Wahrnehmungs- und Partizipationsmöglichkeiten begleitet. Die Filmindustrie repräsentierte eine bürgerliche Organisation, die « jene bilder der welt liefert, die dem bild des staates entsprechen ». [19] Ihr Anteil an der gesellschaftlichen ( Körper- )Kontrolle, wie sie sich nicht zuletzt in der Arretierung, Isolation und Reduktion der KinobesucherInnen auf bloße audiovisuelle Präsenz manifestiert, war erklärtes Angriffsziel. [20] Erst die Abkehr von industriellen Normen, die Provokation unmittelbarer Erfahrung und die Aktivierung aller Sinne, das heißt die « Subjektivierung » des Films, kann den vom Staat etablierten Wirklichkeitsbegriff demontieren, so Weibel : « erweitertes kino bedeutet auch eine erweiterte wirklichkeit. veränderte medien produzieren eine veränderte welt, und eine auf veränderung drängende welt drängt nach veränderten medien. […] expanded cinema ist nicht nur eine erweiterung der skala der optischen phänomene, sondern in der gegenwärtigen phase der radikale entschluß, mit der wirklichkeit aufzuräumen und mit der sprache, die sie kommuniziert wie konstruiert.» [21] Von dem « radikalen Entschluss », die illusionäre Apparatur des Kinos zu durchbrechen, um so mit den Konstruktionsprinzipien der Wirklichkeit « aufzuräumen », sprechen eine Vielzahl von Arbeiten um 1968. VALIE EXPORT konzipierte das « Expanded Movie » Filme in Form von Pillen, die die sensorische Apparatur desintegrieren und « visionen jenseits der sprache » liefern sollten. [22] Peter Weibel erdachte erlebnisfilm no. 1, ein simuliertes Erdbeben in einem Kinosaal, sowie den « realfilm » straßenfilm, für den während einer Filmvorführung die straßenseitige Wand des Kinos mit Pressluftbohrern aufgebrochen werden sollte, um den BesucherInnen den Blick durch die 1 Peter Weibel, unter Mitarb. v. Valie Export ( Hg.), Bildkompendium Wiener Aktionismus und Film, Frankfurt a. Main 1970, S. 293. 2 Andrea Juno, « VALIE EXPORT » ( Interview ), in : dies. ( Hg.), Angry Women. Die weibliche Seite der Avantgarde, Kirsten Borchardt / Patricia Grzonka (Übers.), St. Andrä-Wördern 1997, S. 209. 3 Zit. n. der Homepage der Künstlerin, auf : http://www.valieexport.org/index.php ( September 2008 ). 4 Von 1966 bis 1970 bestand in Österreich eine ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus. Unterrichts- und damit auch Kulturminister war Theodor Piffl-Pečević , der nicht zuletzt durch seinen türenschlagenden Abgang während der Dankesrede Thomas Bernhards anlässlich der Verleihung des Kleinen Österreichischen Staatspreises in Erinnerung geblieben ist. 5 Vgl. Linda Hentschel, « Unwegsamkeiten auf dem Feld des Sehens. Raumwahrnehmungen, Sehirritationen und Geschlechtersituierungen bei Valie Export und Cindy Sherman », in: Frauen, Kunst, Wissenschaft, 22, Dez. 1996, S. 58. 6 Matthias Michalka, « ‹ Schießen Sie doch auf das Publikum! › Projektion und Partizipation um 1968 », in : Ausst.-Kat. X-Screen. Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger und Siebziger Jahre, Wien : Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Köln 2004, S. 100. 7 Peter Weibel, Das offene Werk : 1964 – 1979, Ostfildern 2006, S. 581. 8 Vgl. Juno, VALIE EXPORT ( wie Anm. 2 ), S. 209; und Weibel, Bildkompendium ( wie Anm. 1 ), S. 261. 9 Matthias Michalka diskutiert die Reinszenierung des Tapp und Tastkinos für das öffentlich-rechtliche Fernsehen als exemplarisches Ereignis, das auf einer Metaebene das problematische Verhältnis von kritischer Distanz zu den staatlichen Institutionen und medialer Vereinnahmung durch dieselben vorführt, welches den Kern der Expanded-Cinema-Aktion ausmacht, vgl. Michalka, Projektion und Partizipation ( wie Anm. 6 ), S. 101. 10 Vgl. Weibel, Das offene Werk ( wie Anm. 7 ), S. 515. 11 Vgl. Kristin Stiles, « CORPORA VILIA, VALIE EXPORT’s Body », in : Elsa Longhauser ( Hg.), Ausst.-Kat. VALIE EXPORT. Ob / De+Con( Struction ), Philadelphia : Goldie Paley Gallery, Galleries at Moore, Moore College of Art and Design, Philadelphia 2001, S. 27. 12 Auf diesem Photo ebenso wie in der ORF-Dokumentation ist zu erkennen, dass die provisorische Styroporbox nach den ersten Aufführungen durch eine von Wolfgang Ernst konstruierte Aluminiumbox mit Eingängen aus Schaumgummi ersetzt worden war. 13 VALIE EXPORT zit. n. Anita Prammer, VALIE EXPORT : Eine multimediale Künstlerin, Wien 1988, S. 106. 14 So greift auch Régis Michels Überlegung, dass der « Herold » Weibel für den männlichen logos stünde, während EXPORT als Frau mit ihrem Körper agiere, zu kurz, vgl. Régis Michel, « I am a woman. Three Essays on the Parody of Sexuality », in : Ausst.-Kat. VALIE EXPORT : Summary / Sommaire, Paris : Centre national de la photographie u. a., Montreuil : 2003, S. 28. 15 VALIE EXPORT zit. n. Prammer, VALIE EXPORT ( wie Anm. 13 ), S. 106. 16 VALIE EXPORT, « Mediale Anagramme. Ein Gedanken- und Bilder-Vortrag. Frühe Arbeiten », in : Sabine Breitwieser ( Hg.) White Cube / Black Box. Werkschau VALIE EXPORT und Gordon Matta-Clark. Reader zur Vortragsreihe / Ausstellung, Wien 1996, S. 107. 17 « Expanded Cinema » ist eine Abwandlung des Terminus « Expanded Arts », der 1966 als Titel einer Sondernummer der Zeitschrift Film Culture fungierte. 18 Vgl. Roswitha Mueller, « Interview mit VALIE EXPORT », in : dies., VALIE EXPORT : Bild-Risse, Reinhilde Wiegmann (Übers.), Wien 2002, S. 215. 19 Vgl. Peter Weibels Rede im Rahmen der Aufführung der Feueraktion exit in einem Münchner Kino am 15. November 1968, zit. n. Weibel, Das offene Werk ( wie Anm. 7 ), S. 516. 20 Vgl. Michalka, Projektion und Partizipation ( wie Anm. 6 ), S. 101. 21 Peter Weibel, « selbst-porträt einer theorie in selbst-zitaten », in : Gottfried Schlemmer ( Hg.) : Avantgardistischer Film 1951-1971 : Theorie, München 1973, S. 110. 22 Vgl. « Chronologie », in : Ausst.-Kat. Split :Reality. VALIE EXPORT, Wien : Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien 1997, S. 68. 23 Vgl. Weibel, Das offene Werk ( wie Anm. 7 ), S. 531 – 542. 24 VALIE EXPORT, « ping pong », in : Schlemmer, Avantgardistischer Film ( wie Anm. 21 ), S. 95. 25 Vgl. Michalka, Projektion und Partizipation ( wie Anm. 6 ), S. 98. 26 Vgl. Hentschel, Unwegsamkeiten ( wie Anm. 5 ), S. 58. 27 Vgl. Prammer, VALIE EXPORT ( wie Anm. 13 ), S. 106. 28 « Diese Konzentration auf den Blick, die Schaulust, durchbricht sie, indem sie ihren Körper dem Blick entzieht und das Publikum tasten und fühlen läßt », ebd., S. 105. 29 Demselben Prinzip folgte Hans Scheugls Expanded-Cinema-Aktion Der Voyeur von 1968 : Der Künstler stand mit einem 8-mm-Projektor direkt vor der Kinoleinwand und projizierte einen pornografischen Film. Die Dimensionen der Projektion waren jedoch so minimal, dass das Bild vom Zuschauerraum aus nicht zu sehen war. Interessierte mussten also auf die Bühne kommen, um den Film zu sehen, vgl. Hans Scheugl, Erweitertes Kino. Die Wiener Filme der 60er Jahre, Wien 2002, S. 142. 30 Vgl. Marie-Luise Angerer, body options. körper.spuren.medien.bilder, Wien 1999, S. 137. 31 1979 prägte EXPORT im Rahmen einer Veranstaltungsreihe in der Innsbrucker Galerie Krinzinger den Begriff « Feministischer Aktionismus », den sie als Fortsetzung des Aktionismus mit anderen Mitteln und Medien definierte. Der wichtigste Ausgangspunkt des Feministischen Aktionismus ist die Geschichte weiblicher Erfahrung, die sowohl der Körper in Form von Gesten, Haltungen, Krankheiten usw. wie auch die Psyche speichern. Kunsthistorisch sieht EXPORT Verwandtheiten zum Surrealismus, Informel, Happening usw., siehe VALIE EXPORT, « Feministischer Aktionismus », in : Zur Definition eines neues Kunstbegriffes. 11. Juni – 11. Juli 1979. Dokumentation der Vorträge, Performances, Ausstellungen und Workshops, Innsbruck : Galerie Krinzinger, Innsbruck 1979, S. 59; siehe auch VALIE EXPORT, « Feministischer Aktionismus. Aspekte », in : Frauen in der Kunst, Bd. 1, Frankfurt a. Main 1980, S. 139 – 176. 32 Vgl. Prammer, VALIE EXPORT ( wie Anm. 13 ), S. 9. 33 VALIE EXPORT, « Woman’s Art », in : Neues Forum, 228, 1972, S. 47. 34 Vgl. Silvia Eiblmayr, « ‹ Split Reality › – Zur Repräsentationsstruktur im Werk von Valie Export », in : Ausst.-Kat. Split :Reality ( wie Anm. 22 ), S. 167. 35 Vgl. Silvia Eiblmayr, « Split Reality, Facing a Family, Body Sign Action. Drei frühe Arbeiten von VALIE EXPORT », in : Ausst.-Kat. VALIE EXPORT. Mediale Anagramme, Berlin : Akademie der Künste, Berlin 2003, S. 109. 36 Vgl. ebd. 37 Mueller, Interview ( wie Anm. 18 ), S. 214. 106 107 Wand auf die Straße zu ermöglichen. [23] EXPORTs bereits erwähnte Arbeit Ping Pong ist wohl eines der interessantesten Experimente dieser Art. [Abb. 5] Auf die Leinwand wird ein Film projiziert, der aus an verschiedenen Stellen erscheinenden und verschwindenden Punkten besteht. Ein/e SpielerIn steht mit Tischtennisball und -schläger vor der Leinwand und versucht, diese Punkte zu treffen. « ledig der semantik, wird die beziehung zwischen zuschauer und leinwand klar : reiz und reaktion. […] was hier das auge dem hirn erzählt, ist anlaß zu motorischen reflexen und reaktionen, nicht zu intelligiblen oder emotionalen […] . » [24] Der visuelle Stimulus – der projizierte Punkt – verwandelt den / die TeilnehmerIn in eine Art Pawlowschen Hund : Zwar nimmt der Körper Anteil, jedoch kann, was das Auge « erzählt », Intellekt und Emotionen nicht rühren. Ping Pong demonstriert, dass EXPORTs Expanded-Cinema-Arbeiten jeglicher Naivität in Bezug auf die Möglichkeit einer ideologischen Befreiung der KinobesucherInnen durch sinnliche und körperliche Involvierung entbehren. Vielmehr wird eine Situation kreiert, die zwar Partizipation ausdrücklich einfordert, letztlich jedoch vor allem deren « strukturelle Unmöglichkeit » demonstriert. [25] Das Tapp und Tastkino betreffend müssen wir uns folglich die Frage stellen : Was aber geschieht, wenn der Reiz nun kein visueller ist, wenn an die Stelle der planen, Tiefe nur suggerierenden Projektionsf läche ein greifbarer Körper tritt, als hätte sich « eine glatte Oberfläche gewölbt » ? [26] Wie gestaltet sich der Status des Kinobesuchers / der Kinobesucherin, wenn nicht das Auge « erzählt », sondern die Hand ? Eine genauere Betrachtung des Aktionsszenarios zeigt, dass die Behauptung einer derartigen Dialektik von Optik und Physis für das Tapp und Tastkino nicht fruchtbar ist. Die Teilnehmenden sahen sich während ihres Zugriffs auf EXPORTs Körper die ganze Zeit über sowohl den Blicken der Künstlerin wie der versammelten Schaulustigen ausgesetzt. Das « taktile Erlebnis außerhalb der Familie » – so die Künstlerin in ihrem Konzepttext – hatte sich unter dem wachsam-neugierigen Auge der Öffentlichkeit zu vollziehen. [27] Die voyeuristische Struktur des filmischen Apparates wurde demnach nicht durchbrochen, wie beizeiten behauptet wurde, sondern vielmehr umgewichtet und ausgestellt. [28] Denn die Herausforderung, vor die potenzielle TeilnehmerInnen sich gestellt sahen, war wohl weniger, die nackte Brust der Künstlerin zu berühren, denn dabei wissentlich beobachtet zu werden. [29] So möchte ich behaupten, dass EXPORT mittels des Tapp und Tastkinos zwar das kinematographische Spektakel des nackten Frauenkörpers durch die Darbietung ihres eigenen – verhüllten – Körpers ersetzen konnte; worauf sie jedoch keinen Zugriff erhielt, waren die imaginierten – und imaginär betasteten – Frauenkörper in den Köpfen der Teilnehmenden und PassantInnen ( immerhin blieben der eigentliche Akt des Berührens ebenso wie das Berührte unsichtbar ). Das taktile Erlebnis einiger Weniger als Phantasma Zahlloser ist ein Aspekt der Aktion, der sich bis heute wirksam zeigt. « Körper und Blick – die zwei zentralen Achsen feministischer Auseinandersetzungen wurden in unerträgliche ‹ Nähe › gerückt », schreibt Marie-Luise Angerer zum Tapp und Tastkino. [30] Die Repräsentation des weiblichen Körpers im medialen und öffentlichen Raum, in der Geschichte der Kunst – seine buchstäbliche « Bildhaftigkeit » – war von Anbeginn ein zentraler Ansatzpunkt VALIE EXPORTs. Dabei war die Körperauffassung der Wiener Aktionisten, die in der österreichischen Bundeshauptstadt annähernd zeitgleich künstlerisch aktiv waren, ex negativo maßgeblich. [31] Anders als diese inszenierte EXPORT den ( weiblichen ) Körper jedoch nicht, um über seine « triebhafte Natur » kulturelle Konflikte aufzulösen, wenngleich sie in ihm ebenso einen « Spiegel und Ort gesellschaftlicher Zurichtung » sah. [32] Sie suchte nicht nach einem « natürlichen » und authentischen Körper jenseits der kulturellen Determinationen, sondern betrachtete ihn stets als Zeichen und Zeichenträger, dessen Beschriftungen es zu entschlüsseln und dessen Kodifizierungen es zu entkommen galt. Dies erklärt auch EXPORTs Interesse am Funktionieren der medialen Apparaturen, die Wahrnehmungen und Identifikationen strukturieren und somit an der Produktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit teilhaben. So forderte sie in einem 1972 unter dem Titel Woman’s Art publizierten Essay die Aneignung der Technologien, die den weiblichen Körper gestalten : « wir frauen müssen, um zu einem von uns selbst bestimmten bild der frau kommen zu können und damit zu einer veränderten abbildung in der gesellschaftlichen funktion der frau, an der konstruktion der wirklichkeit via den medialen bausteinen teilhaben.» [33] Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz des Körpers der Künstlerin im Rahmen ihrer Expanded-Cinema-Aktionen gleichsam als Versuch zu verstehen, die Mechanismen der Repräsentation am eigenen Leib zu erfahren. Insbesondere dann, wenn EXPORT ihren Körper tatsächlich mit der medialen Apparatur kurzschloss, das heißt wie etwa im Tapp und Tastkino buchstäblich als « Projektionsfläche » einsetzte, demonstrierte sie die « Identifikation der Frau mit dem Bild durch eine strukturelle Verschränkung ihres Körpers mit dem Medium selbst ». [34] Dabei ist bemerkenswert, wie Silvia Eiblmayer beobachtet, dass EXPORTs Erweiterung des Kinos nicht von einer virtuellen räumlichen Expansion gekennzeichnet war, sondern vielmehr den abrupten Einbruch des Realen und Konkreten in die « illusionären medialen Entgrenzungsphantasien » inszenierte. [35] Erst wenn das Reale und Konkrete – der Körper – als « ( an- )greifbares Objekt in einem künstlerisch problematisierten Repräsentationsraum erscheint », so Eiblmayr, « werden die sozialen Normen und symbolischen Zuweisungen erfahrbar, denen er unterliegt ». [36] In späteren Jahren wuchs EXPORTs Skepsis, den Bildern überhaupt etwas entgegensetzen zu können : « […] allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, daß man im textuellen Gewebe gefangen bleibt, weiterhin beherrscht von Zeichen. Ich habe irgendwie das Gefühl, daß es eine radikalere Position geben müßte, weiß aber nicht genau, was eine solche wäre.» [37] In ihrem 1987 in 108 Abb. 5 VALIE EXPORT, Ping Pong ( 1968 ), Expanded Movie Abb. 7 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino ( Stachus, München, 14. 11. 1968 ) Abb. 6 Lutz A. Grzegorzitza, Karikaturen zu VALIE EXPORTs Tapp und Tastkino ( in Film, Nr. 4, Februar 1969 ) 109 Bern gehaltenen Vortrag Das Reale und sein Double : Der Körper diskutierte die Künstlerin die Frage, ob das weibliche Selbst sich nicht gänzlich vom Körper und den Bildern lösen müsste, um der Wirkkraft der Repräsentationsformen zu entkommen. « Wenn die Frau nicht existiert, und ihr Raum deshalb unsichtbar, schwarz ist, dann kann ihre Realität nicht der sichtbare Körper sein, und auch nicht das Bild der Realität. » [38] An anderer Stelle merkte EXPORT wiederum an, dass sie in ihren Performances versucht habe, den Körper « unbewohnbar » zu machen, das heißt ihn aller gesellschaftlicher und kultureller Projektionen zu entkleiden. [39] Betrachtet man das Tapp und Tastkino durch den Filter dieser Aussagen, so wird das tragbare Miniaturkino zur Schleuse, die es zu passieren galt, um sich der Existenz des Körpers zu versichern. Und da die Zutrittsrestriktionen das Auge ausschlossen, musste der Voyeur seine sichere Distanzposition aufgeben und dem Gebot des Tastsinns Folge leisten, das den Wahrnehmenden und das Wahrgenommene zur selben Zeit an denselben Ort zwingt. Nun sind mediale Anordnungen wie das Kino aber keine Orte der Befriedigung, sondern Settings eines Begehrens, das dort keine Erfüllung finden soll. [40] Was bedeutet es dann für den Voyeur, in greifbare Nähe seines Objekts der Begierde zu rücken ? Die Frage nach der Relation von Taktilität und Repräsentation ist also auch eine Frage nach Distanzen und nach der Rolle, die Medien bei deren Überbrückung einnehmen. Dabei stellte bereits Walter Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz die taktile Qualität des Films heraus, die auf dem « Wechsel der Schauplätze und Einstellungen beruht, welche stoßweise auf den Beschauer eindringen ». [41] In den 1960er Jahren gehörte die populärste Stimme zu medienspezifischen Fragestellungen jedoch zweifelsohne Marshall McLuhan, der in Understanding Media. The Extensions of Man von 1964 – eine Publikation, mit der auch EXPORT wohlvertraut war [42] – tatsächlich auf den Tastsinn zu sprechen kam : « It begins to be evident that ‹ touch › is not skin but the interplay of the senses, and ‹ keeping in touch › or ‹ getting in touch › is a matter of a fruitful meeting of the senses, of sight translated into movement, and taste and smell. » [43] Dabei war es ausgerechnet das Medium Fernsehen, das McLuhan am engsten mit dem Tastsinn verknüpfte und sogar als « extension of the sense of touch » bezeichnete. [44] Er erklärte dies mit dem Maß an Beteilung, das das Fernsehbild von seinen RezipientInnen einforderte, wenn sie die Schwächen des zweidimensionalen « Bildmosaiks » kompensierten: « The TV image requires each instant that we ‹ close › the space in the mesh by a convulsive, sensuous participation that is profoundly kinetic and tactile, because tactility is the interplay of the senses, rather than the isolated contact of skin and object.» [45] Wenngleich EXPORT mit dem Tapp und Tastkino selbstredend keine fernsehbezogene Arbeit realisierte, so bediente sie sich doch eines strukturell verwandten Vorgangs: Die Prinzipien des Kinos umkehrend, das seine ZuschauerInnen aus der Distanz in die Bilderflut eintauchen lässt, limitierte sie den Informationsfluss und holte so ihr Publikum zu sich heran. Diejenigen jedoch, die EXPORT aus Neugierde oder in der Hoffnung auf eine erotische Begegnung nahe kamen, um zu ertasten, was dem Blick verborgen blieb, mussten die Erfahrung machen, dass das voyeuristische Auge Nähe scheut und räumlicher Distanz bedarf: « Indem Export […] simultane Wahrnehmung aus der Distanz ( sehen ) gegen einen sukzessiven Prozeß der Nähe ( tasten ) austauscht und die Lichtverhältnisse umkehrt, ist der Voyeur ertappt […], » schreibt Linda Hentschel. [46] Die Rolle der reinen Beobachtung verkehrte sich in ein Unbehagen, angesehen zu werden, und Schamgefühl löste das Begehren ab, da das Subjekt erkannte, dass es immer schon selbst ein Bild für den Blick abgab. [47] Régis Michel kommt in seiner Einschätzung der Situation des Voyeurs zu einer noch drastischeren Schlussfolgerung: « […] changing fantasy into reality. For a voyeur there is no worse punishment. » [48] Er argumentiert, dass der visuelle Entzug des Tapp und Tastkinos zu einem allgemeinen sinnlichen Mangel führte, der einer Kastration gleichkam. [49] Die Trennung von Blick und Berührung, die Blindheit des Tastens, unterband jede Erotik des Unterfangens. Beide Gedanken – das Miniaturkino als Kastrationsmaschine und die Blindheit der Hand – existierten bereits in der zeitgenössischen Rezeption. Im Februar 1969 widmete die Zeitschrift film EXPORTs Aktion einen Beitrag, der unter anderem aus zwei Karikaturen bestand, von denen eine sogar das Titelblatt zierte. [50] [Abb. 6] Die Karikaturen entstammen der Feder von Lutz A. Grzegorzitza und sind mit den Wortspielen Lustspiel – Kriegsspiel beziehungsweise Lustspiel – Suchspiel untertitelt. Während Lustspiel das jeweils männliche Wunschbild darstellt ( durch die transparente Kiste ist sichtbar, wie die Hand die weibliche Brust berührt ), zeigt Kriegsspiel das Miniaturkino als vaginale Guillotine, die dem männlichen Eindringling die Hand abnimmt. Suchspiel wiederum lässt die Hand nicht finden, was sie zu berühren erhofft : Die Finger ertasten einen Oberkörper, dem die weiblichen Merkmale fehlen. In beiden Fällen ist der Tastsinn ohne den Sehsinn auf verlorenem Posten. Michel macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam, der für den Versuch, mit dem Tapp und Tastkino die voyeuristische Struktur des Kinos zu unterminieren, eine entscheidende Rolle spielte : die Mimik der Akteurin. Die blinden Hände in der Kiste, von Angesicht zu Angesicht, blieb dem Voyeur nichts anderes, als die ihm versagte Lust im Gesicht seines Gegenübers zu suchen. [51] [Abb. 7] Auf allen veröffentlichten Photographien jedoch zeigt EXPORT ein indifferentes Lächeln : Ungerührt von der Berührung verweigerte sie dem Tastenden, was dieser benötigt hätte, um die Begehrensstruktur zu reinstallieren. In der Wiederaufführung der Aktion für das österreichische Fernsehen griff die Künstlerin sogar selbst zur Stoppuhr, um mit der Zeit auch die Potenz der Teilnehmenden zu « beschneiden ». Der weibliche Körper – von EXPORT an anderer Stelle als Instrument der Differenzierung bezeichnet [52] – vermittelte im Rahmen des Tapp und Tastkinos Leidenschaftslosigkeit. Die unerwiderte Berührung bildete EXPORTs Antwort auf das voyeuristische Setup, das von einem folgenlosen Blick ausgeht, das heißt von der Ahnungslosigkeit und damit Handlungsunfähigkeit des / der Beobachteten. [53] Während das Auge jedoch der Erwiderung nicht bedarf und die Schaulust obendrein an die Ohnmacht des Erblickten gekoppelt ist, ist dem Taktilen Reziprozität eigen : Keine Berührung geht ohne Selbstberührung vonstatten. [54] Damit ist der Tastsinn die einzige Form der Wahrnehmung, die, wie Richard Sennett schreibt, auf der « Dialektik des Widerstands » basiert, das heißt zur Erwiderung nicht nur fähig, sondern vielmehr außerstande ist, nicht « widerständig » zu sein. [55] Ist das Taktile derart als Bereich der sinnlichen Gegenwehr definiert, als Domäne der Grenzziehung und Grenzerfahrung, lässt sich das Tapp und Tastkino leicht als Versuch werten, das voyeuristische Auge aus seiner sicheren Reserve heraus an einen Ort zu locken, wo es unerwartet auf Widerstand stieß. An diesem Ort wurden nicht nur dem Blick das Bild und der Hand die Rückkoppelung verwehrt, sondern auch das gewohnte Zusammenspiel der beiden Sinne demontiert. Derart vereinzelt und fragmentiert fand sich das wahrnehmende Subjekt aus dem Kinodispositiv in die Realität geworfen, wo der Blick ebenso Konsequenzen zeitigt wie sich die Welt dem Zugriff als widerständig erweist ( und sei es durch Gleichgültigkeit, wie VALIE EXPORT dies vorführte ). Dabei ist der Tastsinn nicht weniger durch Repräsentation vermittelt als das Bild, wie Kaja Silverman im Zusammenhang mit EXPORTs späterem Film Syntagma anmerkt. [56] Es gibt kein körperliches Reales außerhalb der Repräsentation, keine direkte taktile Erfahrung. [57] Was Haltung und Blick der Künstlerin dem Teilnehmenden spiegelten – das Bild, das sie gleichsam von ihm schuf – stand in kritischem Widerspruch zu dem Bild, das dessen fühlender Körper antizipierte. Leibliche Realität und Repräsentation gerieten aus dem Takt und exponierten sich derart als Zweigespann. Anders gesagt : Indem EXPORT das Tasten des Auges abwehrte, « blendete » sie auch die Hand. [58] Für den britischen Experimentalfilmemacher und Autor Malcolm LeGrice kreisten die Strategien des Expanded Cinema gerade um die Problematik der Lokalisierung des « Realen » im Film. [59] Dies manifestierte sich in dem Bestreben, den « symbolischen Raum hinter der Leinwand » hervorzuholen und vor die Leinwand zu bringen sowie die Zeit der Handlung von der « mythischen Vergangenheit » in die « kritische Arena des Hier und Jetzt » zu verlegen. [60] Das Reale wiederum definiert sich nach LeGrice über die Begegnung mit Konsequenzen und deren Unumkehrbarkeit. [61] Das Tapp und Tastkino von VALIE EXPORT markierte einen solchen Ort der folgenreichen Begegnung, wo das Reale im Film tatsächlich außerhalb des Films geortet wurde, in der Allgegenwart gesellschaftlicher Projektionen und Repräsentationen sowie in den leiblichen Handlungen, die diese nach sich ziehen. 38 VALIE EXPORT, Das Reale und sein Double : Der Körper, Bern 1987, S. 34f. 39 Vgl. Juno, VALIE EXPORT ( wie Anm. 2 ), S. 208. 40 Vgl. Marie-Luise Angerer, « Die Haut ist schneller als das Bild : Der Körper – das Reale – der Affekt », in : dies. ( Hg.) Der Andere Schauplatz. Psychoanalyse – Kultur – Medien, Wien 2003, S. 181. 41 Walter Benjamin, « Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit » ( 3. Fassung, 1939 ), in : Rolf Tiedemann / Hermann Schweppenhäuser ( Hgg.), Gesammelte Schriften, Frankfurt a. Main 1974, S. 503. Zu Taktilität und Film bei Walter Benjamin siehe insbesondere : Nicolas Pethes, « Die Ferne der Berührung. Taktilität und mediale Repräsentation nach 1900 : David Katz, Walter Benjamin », in : Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 30 ( 117 ), März 2000: Taktilität, Ralf Schnell (Hg.), S. 33 – 57. 42 Bereits in ihrer ersten Filmaktion Cutting von 1967 / 68 bezieht sich EXPORT explizit auf den Medientheoretiker, indem sie Teil Zwei der Aktion mit Hommage an Marshall McLuhan betitelt und dessen Aussage « the content of writing is speech » integriert. 43 Marshall McLuhan, Understanding Media. The Extensions of Man, New York 1964, S. 67. 44 Vgl. ebd., S. 290. 45 Vgl. ebd., S. 273. 46 Vgl. Hentschel, Unwegsamkeiten ( wie Anm. 5 ), S. 60. 47 Vgl. ebd. 48 Michel, Three Essays ( wie Anm. 14 ), S. 24. 49 Vgl. ebd., S. 25. 50 Film, 4, Februar 1969, Titelblatt und S. 14. 51 Vgl. Michel, Three Essays ( wie Anm. 14 ), S. 26. 52 EXPORT, Das Reale ( wie Anm. 38 ), S. 28. 53 Ralf Schnell formuliert in diesem Zusammenhang folgenden Gedanken, der jedoch nichts an den gesellschaftlichen Folgen des Blicks ändert : « Blicke, die töten können, sind elegant, diskret und juristisch folgenlos. Sie treffen, sie verletzen, und sie vernichten. Aber sie hinterlassen garantiert keine nachweisbaren Spuren. Ein Mord, den jeder begeht, mit garantierter Straffreiheit », Ralf Schnell, « Einleitung », in : Taktilität ( wie Anm. 41 ), S. 5. 54 Vgl. Hartmut Böhme, « Der Tastsinn im Gefüge der Sinne. Anthropologische und historische Ansichten vorsprachlicher Aisthesis », in : Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland ( Hg.) : Tasten, Göttingen 1996 ( Schriftenreihe Forum 7 ), S. 203f. 55 Vgl. Richard Sennett, « Der Tastsinn », in : Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland ( Hg.) : Der Sinn der Sinne, Göttingen 1998 ( Schriftenreihe Forum 8 ), S. 479 – 495. 56 Vgl. Kaja Silverman, « Sprich! Körper », in : Ausst.-Kat. Split :Reality ( wie Anm. 22 ), S. 47. 57 Vgl. ebd. 58 Im Jahr 1998 veröffentlichte EXPORT eine interaktive CD-Rom mit dem vielsagenden Titel Bilder der Berührungen, auf der ihre wichtigsten Arbeiten seit den späten 1960er Jahren um den zentralen Film Syntagma ( 1983 ) gruppiert sind. Das Interface der CD-Rom zeigt das Bild einer Hand : Mittels Mausklick gelangt der / die BenutzerIn zu den verschiedenen Bereichen der CD, das heißt seine / ihre Berührung aktiviert die Bilder. Einmal mehr kreiert EXPORT eine Situation, in der die Hand nicht nur symbolisch, sondern buchstäblich in die Produktion von Repräsentationen und Bedeutungen involviert ist; siehe dazu : Margit Grieb, « New Media and Feminist Interventions : VALIE EXPORT’s Medial Anagrams », in : Avant-Garde Critical Studies, 23 ( 1 ), Nov. 2007, S. 339 – 354. 59 Vgl. Malcolm LeGrice, « Mapping im Multi-Space? Vom Expanded Cinema zur Virtualität », in : Breitwieser, White Cube ( wie Anm. 16 ), S. 244. 60 Vgl. ebd., S. 243. 61 Vgl. ebd., S. 258. 110 111 Es ist nun schon einige Zeit her, dass es in der Popmusik Mode geworden ist, den « Stecker rauszuziehen ». Seitdem die MTV Unplugged-Show in den frühen 1990er Jahren startete, ist es für alle Stars, die als Musiker etwas auf sich halten, zu einer Pflichtübung geworden, die Bühne einmal nur mit der akustischen Gitarre zu betreten, um unter Beweis zu stellen, dass sie auf den technischen Apparat, der üblicherweise zwischen ihre Instrumente und das Publikum geschaltet ist, nicht angewiesen sind. Solche Auftritte scheinen aus dem multimedialen Spektakel, zu dem Popkonzerte geworden sind, einen vermeintlich authentischen Kern herauszuschälen, der in dem allein bestünde, was sich im unvermittelten Kontakt zwischen dem Musiker und dem Instrument und zwischen den Bandmitgliedern ereignet, die sich bei solchen Anlässen nicht selten gehalten sehen, eng zusammenzurücken und sich im Kreis auf dem Boden niederzulassen wie um ein imaginäres Lagerfeuer. Vom Elektro-Utopismus der 1960er Jahre ist man hier Lichtjahre entfernt. Man fragt sich, wie sich ein unverkabeltes Konzert von Jimi Hendrix angehört hätte ? Denn die legendäre Virtuosität des afro-amerikanischen Musikers war eine spezifische E-Gitarren-Virtuosität und sie entfaltete sich in dem Möglichkeitsraum, den die Elektrifizierung des Instrumentalspiels erst eröffnet hatte. Paradoxerweise ist es die technische Aufrüstung der Gitarre gewesen, die es Hendrix erlaubte, seinem Spiel einen bis dahin ungekannten somatischen Charakter zu verleihen. Bestechend sind seine Improvisationen nicht so sehr durch ihre technische Makellosigkeit, sondern vor allem, weil Hendrix es verstand, jedem Ton die Signatur eines einzigartigen Körpers aufzuprägen. Allerdings handelt es sich um einen Körper, der erst im elektroakustischen Medienverbund entsteht – den sich Hendrix erst im stromgeladenen Kontakt mit seiner Gitarren-Prothese schafft. Und es ist ein Körper, wie Klaus Theweleit betont, den er mit seinem Publikum teilen kann, da er sich im Raum der apparativen Vermittlung Klaus Theweleit Jimi Hendrix Der elektrifizierte Körper zwischen Musiker und Zuhörern inkarniert. So war es möglich, dass sich in den späten 1960er Jahren eine pazifistische Kollektivität konstituierte, die immun geworden war gegenüber den todbringenden Gemeinschaftsphantasien, welche noch die vorangehende Generation bestrickt hatten. Sie stand im Zeichen nicht mehr einer Verschmelzung zu einem nationalen oder martialischen Gemeinschaftskörper, sondern ereignete sich als eine Kommunion im Zwischenraum, als eine Berührung in der Trennung. ( sn ) Auf den folgenden Seiten geben wir Auszüge aus dem 7. Kapitel der jüngst bei Rowohlt erschienenen Hendrix-Biographie von Klaus Theweleit und Rainer Höltschl wieder.* * Klaus Theweleit / Rainer Höltschl, Jimi Hendrix. Eine Biographie, Copyright © 2008 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags. « Ich wollte, sie hätten in der guten, alten Zeit auf den Baumwollfeldern elektrische Gitarren gehabt. Dann wären ’ne Menge Dinge geklärt worden. Nicht nur für die Schwarzen und die Weißen, ich meine: für die Sache. » [1] « Wer ist der zweite Gitarrist ? », fragte nicht nur Richie Havens 1966 im Cheetah beim Versuch, mit dem Ohr Hendrix’ Soundverschlingungen zu folgen, dem Octopus, als den Noel Redding ihn sah und hörte, oder dem Wal, MobyDick, der überall zugleich ist, übermächtig, todgeweiht, unnennbar, von welcher Gestalt und Farbe. « Ich dachte, ich wäre der heißeste Gitarrist der Szene. Ich ging die Straße rüber und sah ihn mir an. Hendrix wusste, wer ich war, und er verbrannte mich bei lebendigem Leib. Ich holte danach nicht mal mehr meine Gitarre raus. Wasserstoffbomben explodierten, Raketen flogen durch die Luft – ich kann den Sound gar nicht beschreiben, den er aus seinem Instrument holte. Er fabrizierte jeden Sound, den ich je von ihm gehört habe – nur mit einer Stratocaster, einem Fender-Twin-Verstärker und einem Maestro Fuzz. Wie er es machte, ist mir immer ein Geheimnis geblieben.» Mike Bloomfield von der Butterfield Blues Band zum Guitar Player-Magazin über die Unmöglichkeit, Hendrix als Gitarrist auf die Schliche zu kommen. Eine heutige Gitarristin, die nicht weiß, ob sie sich überhaupt so nennen soll oder darf in Relation zu Hendrix’ Wundertätigkeiten – Judith Holofernes von der deutschen Gruppe Wir sind Helden – fragt sich, hingerissen : « Ob es nicht doch gut wäre, wenn man wüsste, was man täte. Ob nicht das In- und Auswendigkennen des eigenen Instrumentes in Wirklichkeit Liebe sein könnte und nicht Wichserei. Ob ich nicht doch in der Nähe dieses Feuers stehen wollte. […] Bis heute geht es mir so, wenn ich Jimi Hendrix höre oder sehe. Dann denke ich: Vielleicht sollte man doch mal rausfinden, wozu die Knöpfe an meinem Verstärker gut sind. Und wie die Töne auf meiner Gitarre heißen. Und wie man spielt, ohne hinzukucken. Und immer noch bleibe ich dann doch lieber gemütlich neben Herrn Hendrixens Feuer stehen und wärme mir die Hände daran, ohne zu nah ranzugehen und mir vielleicht sogar Blasen zu holen.» [2] Oder, in einem Satz, Jeff Beck : « Hendrix tat genau, was ich wollte. Ich konnte bloß nicht.» Ein Geheimnis bis heute, nicht zu erfassen mit einer einfachen Beschreibung gitarristischer Techniken. Obwohl er diesen und jenen Hinweis gegeben hat : Ich spiele eine Fender Stratocaster. Man kann da an der Rückwand so eine kleine Klappe abnehmen, dann kann man auf den Federn rumklopfen… Auf diversen Konzertaufnahmen kann man das beobachten. Diese Technik stünde allerdings anderen Gitarristen ebenso zur Verfügung. Und ist nicht alles. Spielweisen : 1 — Hendrix drehte seine MarshallTürme stets voll auf – nicht nur eine Sache der Lautstärke, sondern der heftigeren Rückkopplungen. Gut gesteuert erlaubt dieses Feedback jede Sorte Heul-, Brüll- und Gewittereffekte. 2 — Voll aufgedrehte Verstärker ermöglichen die Tongebung mit nur einer Hand, die zweite wird frei für andere Bewegungen ( « zwei Spieler » ). 3 — Hendrix spielte auf jedem nur möglichen Teil seiner Fender Strat und mit jedem möglichen Körperteil. Was nur Sinn macht bei E-Gitarren mit guten Tonabnehmern – drei bei seiner Fender –, wo jedes Hantieren mit dem Korpus der Gitarre als kontrollierbares Geräusch im Verstärker ankommt. Wie manche Klavierspieler schlägt er mit dem Ellbogen in die Saiten und mit der Handfläche auf die Rückseite des Halses für perkussive wie für Akkord-Effekte. 4 — Die « zwei Spieler » stecken noch aus einem anderen Grund in ihm. Vater Al Hendrix versuchte, Jimi dessen Linkshändigkeit nicht nur beim Schreiben, sondern auch an der Gitarre auszutreiben. « Er lernte sie mit links und rechts zu spielen, weil er die Gitarre jedes Mal, wenn Dad ins Zimmer kam, umdrehen und verkehrt herum spielen musste, sonst hätte Dad ihn angeschrien » ( Bruder Leon ). Das ist ein exquisites Gehirn- und Fingertraining in puncto Personenverdoppelung. [3] 5 — Er veränderte die Klangmöglichkeiten der Gitarre, indem er Zwischenstellungen des dreistufigen Tonabnehmerschalters nutzte, um fünf Tonabnehmerkombinationen zu haben und einen Out-of-Phase-Effekt einsetzen zu können. Jede Verkoppelung mehrerer Tonabnehmer erweitert das Spektrum möglicher Klänge. 6 — Das von Hendrix erwähnte Ablösen der Klappe an der Rückseite des Korpus ermöglichte es ihm, auf die für die Saitenspannung zuständigen Federn zu schlagen; ein Sound-Effekt vergleichbar dem, die Saiten eines Flügels mit Metall zu präparieren. 7 — Das besondere Fingervibrato; dies ist individuell bei jedem einzelnen Gitarrenspieler, je nach Fingerkraft und Tempo des Druckwechsels auf der Saite. Interessant bei Hendrix besonders im Zusammenhang mit 8 — dem Ziehen der Saiten. Hendrix zog die Saiten oft abwärts auf dem Bund; die meisten anderen Gitarristen nur aufwärts. Seine Fingerkraft reichte aus, auf einem E-Bass die erste Saite bis zur untersten hinunterzuziehen. 9 — Hendrix entspannte die Saiten mit Hilfe des Vibrato-Hebels so sehr, dass sie fast auf dem Griffbrett auflagen. Der Vibrato-Hebel wurde dafür stark verbogen, passend gemacht für den Linkshandspieler. Auf der Gitarre war damit fast jede Amplitude des Ziehens möglich. 10 — Die von Albert King übernommene, um einen Halbton tiefer gestimmte Gitarre; sie macht das Ziehen der Saite leichter. 11 — Beim gleichzeitigen Spielen von zwei Saiten, deren eine gezogen ist, ergeben sich Intervalle, die die sauberen Tonleiterskalen sprengen, Viertelton-, Achteltonabstände, wie sie in orientalischer Musik vorkommen oder von Synthesizern elektronisch erzeugt werden. 12 — Er spielt oft dieselben Melodietöne auf zwei verschiedenen Saiten, was ihnen Akkordcharakter gibt. 13 — Wie alle amerikanischen Gitarristen aus der Blues- oder Jazztradition spielt er nicht das klassische europäische Barré, sondern greift mit dem Daumen von oben über das Griffbrett. Bestimmte Akkorde – besonders aus dem amerikanischen Jazzrepertoire – sind überhaupt nur so spielbar. Das Besondere bei Hendrix : Mit seinem langen Daumen konnte er nicht nur die 112 113 E-, sondern alle drei Basssaiten von oben greifen. Der Daumen ersetzt so teilweise die Barré-Funktion, ist aber auch frei beweglich. Hendrix bekommt die « zwei Spieler » auf diese Weise in eine einzige Hand. 14 — Die SlideTechniken; im Prinzip amerikanisches Allgemeingut. Besonderheit bei Hendrix : Statt eines Bottlenecks benutzt er die Mikrofonständer, an denen er die Saiten rauf- und runterzieht, oder er setzt die Ringe an seinen Fingern auf den Saiten ein. 15 — Er verwendet das Feedback selbst als « zweiten Spieler » : Ein Akkord, auf zwei oder drei Saiten gespielt, schwingt weiter als Feedback aus dem Verstärker, während er auf den anderen drei Saiten Melodietöne spielt. Kombiniert mit einigen der anderen Techniken wird der Eindruck von manchmal « drei Spielern » nahezu unabweislich. Resultat all dessen ist unter anderem das auffällige Fehlen dieser brillanten Tempoläufe bei Hendrix, die das Spiel von Eric Clapton oder später John McLaughlin auf so bezeichnende Weise leerlaufen lassen. Hendrix spielt kein lineares Tempo; es ist ein Tempo innerhalb eines Laufs, einer Phrasierung. Als würde er schneller und langsamer zugleich. Jeder Finger übt einen verschieden starken Druck auf die Saite aus, einer tippt sie nur kurz an, einer streicht auf ihr entlang, einer drückt sie fest gegen das Holz, dies jeweils verschieden lang. Bei den meisten Spielern bleibt der Fingerdruck innerhalb desselben Laufs relativ gleich; entsprechend seiner so oder so trainierten Muskulatur, abgesehen von den absichtlich oder zwanghaft herausgehobenen Betonungen. Aus dieser Gleichmäßigkeit der charakteristisch perlende Ablauf oder erwartbare Zäsuren an den immer gleichen Stellen bei vielen Instrumentalisten : Töne wie Zahnreihen. Hendrix entgeht dieser Gleichförmigkeit nicht nur durch den gezielten Einsatz der Verstärker und Verzerrer, sondern auch durch die differenzierte Fingertechnik, die weniger auf « Brillanz » geht als auf intensivierten Ausdruck. All diese Verwischungen des « sauberen » Klangs verlassen den Ordnungsrahmen, den Normkörper westlicher Musik. Sie richten sich, wie alles intensiv von der Norm Abweichende, verstärkt an die Affekte, gehen auf Potenzierung der Körperlichkeit der Musik. Die Gitarre « klingt » nicht mehr, sie heult, sie schreit. Schreie: So, wie die Saxophone bei Sun Ra sich seit den frühen sechziger Jahren heftig « afrikanisieren », zum Modell ihrer Tongebung die menschliche Stimme nehmen, den Schrei, wie das animalische Kreischen, das Krächzen und Jubilieren der Vogelstimmen, aber auch « Naturgeräusche » wie das Rascheln und Wispern des Schilfrohrs im Wind, passieren die Hendrix’schen Gitarrenschreie und Geräuschcollagen in einem nicht mehr Soul-amerikanischen Ambiente. Hendrix’ Klänge transzendieren das Soul-Universum. Nur hat er selber weniger « Afrika » dazu gesagt als vielmehr « Space ». Sich selber in einer anderen Galaxie verankernd statt in einem andern ( historischen ) Kontinent. Ich möchte der erste Mensch sein, der über die Blues-Szene auf der Venus berichtet – im New Musical Express, Januar 1967. Sein berühmtes I’m from Mars berührt sich exakt mit Sun Ras « I’m from Saturn ». Beide Wesen from outer space. Das sind überhaupt keine Science-Fiction-Spielereien bei diesen Musik-Autoren, es sind Wortversuche für neue, für unerhörte Klänge, die sie hervorzuzaubern suchen aus ihren Instrumenten und Experience-Gruppen, seien es Hendrix’ Trio oder Sun Ras Riesen-Orchester, die er figurieren ließ unter bald fünfzig verschiedenen intergalaktischen Namen. Jederzeit war zu unterstreichen, hier steht nicht die Sun-Ra-Band von gestern auf der Bühne, auch nicht die von jeweils heute, sondern die mit dem Klang von morgen; ein Klang, dem Hendrix unauf hörlich auf der Spur war. Textlich gespickt mit Weltraum-Witzen : Einsteigen in den Milchstraßen-Express! « No throwing cigarette-butts out the window. Thank you, thank you. I hope all of you got your toothbrush, yeah. Now to the right you’ll see Saturn. Out of sight, really out of sight. And if you look to the left you will see Mars, yeah okay, yeah okay. I hope you brought your parachutes with you. » [4] […] Gleichzeitigkeiten : mehrere Instrumente zugleich spielen; in derselben Phrasierung gleichzeitig schneller und langsamer werden. Genauso gegenrhythmisch arbeitet der menschliche Körper in seinen verschiedenen Funktionen : Atmung, Stoffwechsel, Herz, Blut, Motorik, Denken. « Hendrix was a body building guitar player », fand, angeturnt, Gitarrist Ralph Towner. [5] Entsprechend spürte Miles Davis, dass sein Spiel in den Bitches Brew-Sessions ( 1969 ) sich dem annäherte, was die Experience vorgab. Miles elektrifiziert seinen Trompetensound – von dem nicht nur er immer schon gefunden hatte, er hätte etwas Gitarristisches – und umgibt sich mit drei E-Pianos, E-Gitarre und E-Bass. Sein Anlauf, Rock und Jazz zu verkoppeln, macht Geschichte unter dem Namen « Fusion ». Ein missverständlicher Name. Musikalisch geht es um etwas anderes; geht es um « die wenigen Ausnahmen, wo Jazz und Pop in einem passieren », wie Diedrich Diederichsen schreibt; und zu denen zählt er Hendrix. [6] Elektronisierungen: Es sind Gerätebauer, Elektroingenieure, Bastler, die das liegengelassene Weltkriegs- und das neuentwickelte Weltrauminstrumentarium für musikalische Ausdruckszwecke nutzen und so weiterentwickeln, dass Klanggeräte herauskommen. Klangmaschinen, auf die Musiker, die das übliche Blues-, Soul-, Bop- und RockRepertoire hinter sich lassen wollen, nur so fliegen. So wie Sun Ra – unerhörterweise und zum Entsetzen der amerikanischen Jazzwelt – sein Ellington’sches Piano durch einen Moog-Synthesizer ersetzt, auf dem er in Konzerten gut zwanzigminütige Soloeinlagen hinlegt – « I’m from Saturn! » Und mit einem Mal klingt er auch so. Zu seiner Herkunft gab er an, er sei von Außerirdischen auf einer Parkbank in Birmingham, Alabama, abgesetzt worden. Ein Birmingham, dessen Musikszene Sun Ra ganz ähnlich beschreibt wie Hendrix sein Seattle : Brutstätte schwarzer überirdischer Musiker. [7] Was heißt : Die Hendrix’schen Spieltechniken allein hätten es nicht gemacht; sie hätten einen Gitarrenvirtuosen ergeben; einen weiteren Eric Clapton, plus / minus. Hendrix ist eine andere Figur. Er macht einen anderen Gebrauch von diesen Geräten. Sie sind ihm nicht nur Verstärker seiner Gitarre, sondern Amplifier des Wunsches nach einer anderen Galaxie; Verstärker seiner Ausbruchssehnsucht, Raumschiffe zu einer anderen Körperbasis, von der aus die Electric Skies zu erreichen sind. Jener Himmel, in dem sich alles wiederfinden lassen würde, was einmal da war oder vielmehr nicht so da war, wie es hätte sein sollen. Wiederfinden lassen als Sound. […] Paradoxien wilden Wünschens : Wiederhaben, was man nie gehabt hat. So etwas liegt im Bereich der Versprechen des Electric Sky. Wobei der fleischliche Körper der derart ins All sich Erhebenden größte Schwierigkeiten hat, zu entscheiden, auf welchen Wegen er dahin gelangen soll; auf den Schwingungen der neuen Sounds, auf den Schwingen der körperlichen Liebe oder den Vibrations bestimmter Drogen, die im Jahr 1967 bewusstseinsverändernde heißen. Wo ist der Ort für Electric Love plus richtige Droge ? – die Formel, die sich ergibt aus Are You Experienced, der ersten LP des Londoner Hendrix-Trios: Ich weiß, was ich will, aber nicht, wo ich’s kriege [8] – « Manic Depression ». « But first, are you experienced ? » Die erweiterte Frage « Or have you ever been experienced ? » justiert den Blick genauer auf die Frage nach dem weiteren Umgang mit der ursprünglichen Drogenerfahrung, Frage nach der Kombination der Drogen, nach ihrer Dosierung. Es handelt sich immer um die Frage nach der richtigen Droge beim Betrachten der Funktionsweisen eines Sozialkörpers. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich der Droge Blutrausch, Rassismus, Auslöschung « Anderer » verschrieben; politische Namen: Faschismus, Stalinismus. Zentrum Deutschland und Russland, die Sowjetunion – zwei Verlierernationen von World War One. Wiederhaben wollen, was man nie hatte: den Sieg im Weltkrieg. Alles ausrotten, was sich in den Weg stellte; egal ob « äußerer » oder « innerer » Feind. Daseinsform : Orgie. Das Töten als Droge. Ein Hit auch in anderen Kulturen. Die Zentraldroge der Sechziger – Music Is the Healing Force of the Universe – verschob die politische Szenerie komplett. Resultat war eine Generation, von der nicht primär Tötungen verlangt waren und die auch nicht danach verlangte. Die daher entschieden rebellierte, als Uncle Sam doch noch mit dieser Nötigung hervorkam : Vietnam. Die Power für die Verweigerung kam aus neuen Technologien. Technologien, die sonst für Kriegszwecke entwickelt und eingesetzt werden. Die rapide Elektrifizierung der Musik ist weniger, wie Friedrich Kittler gern anmerkt, Missbrauch von Militärgerät; sie ist sein für den Moment gelingendes Kidnapping; zur dauerhaften Enteignung hat es nicht gereicht. Aber der entscheidende Schritt von der Blues- und Soul-Welt zur neuen Galaxie der Rock Music liegt in den neuen Verstärkern; liegt in der potenzierten Elektrifizierung. So was in der Richtung hatte zwar schon Lenin geschwant bei seiner despotischeren Revolution fünfzig Jahre zuvor : Kommunismus sei Sowjetmacht plus Elektrifizierung; das hatte aber nicht geklappt, « zu früh », zu gewalttätig. Der « Kampf ums Teewasser » wurde verloren; es reichte nur für neue Waffen und Unterdrückungstechnologien. Jetzt, in den Sechzigern, fand die elektrische Verstärkung ihr angemessenes, ihr Erfüllungsobjekt. Soundgeräte. Oder auch die richtige Religion. Heißes Teewasser plus, in Hendrix’ Worten, Electric Church. Gesprochen ohne Berührungsangst mit der Gospel Church des alten schwarzen Amerika oder sonst welchen Christlichkeiten irgendwo auf der Welt. Die waren nicht gemeint; längst hinter sich gelassen in den Electric Skies. Electric Amplifiers – ein komprimierter Überblick : Vor der Experience benutzte Hendrix einen marktüblichen Fender Twin Reverb mit eingebautem Hall und Vibrato. Für die US-Tournee 1968 bekam die Gruppe neuentwickelte Fender Dual Showman. Unbefriedigt vom zu klaren Sound und der zu schwachen Leistung dieser populären Verstärker stieg Hendrix sukzessive um auf MarshallEquipment. Jim Marshall entwickelte seit 1965 100-WattVerstärker ( zuerst für Pete Townshend und John Entwistle von The Who ) mit zwei 4 x 12-Zoll-Lautsprecherboxen, die meist zu einem « Full Stack » übereinandergestapelt wurden. Sie lieferten einen stärker verzerrten, kräftigeren Sound als die Fender-Verstärker. Bei Live-Auftritten verwendete Hendrix bis zu drei dieser Stacks. Für die meisten Aufnahmen im Electric-Lady-Studio wurde aber weiterhin der Fender Twin Reverb benutzt, ergänzt von einem Marshall-Turm. Gesteigert wurde die elektrische Liebe mit verschiedenen Geräten zur Tonmodulation. Im Wechsel vier Verzerrer : das Arbiter Fuzz Face und das Maestro Fuzz ( nur live ), das Axis Fuzz ( in den Olympic Studios und mit der Band of Gypsys ), das Mosrite Fuzz ( nur im Studio, 1969 / 70 ). Hinzu kam ein Vox-Wah-Wah ( die ersten Wah-Wah-Effekte – in « I Don’t Live Today » – wurden aber im Studio auf dem Band erzeugt, ohne Wah-WahPedal ). Weiterhin das Uni-Vibe, ein Effektgerät, das den Klang der rotierenden Lautsprecher von Leslie-Orgelboxen simulieren soll; es schafft einen « wirbelnden » Sound, den Hendrix seit Woodstock gern live einsetzte und der bei « Machine Gun » zu hören ist. Und schließlich der Frequenzverdoppler Octavia. Dieses Gerät fügt der jeweiligen Phrasierung die obere Oktave hinzu, multipliziert sämtliche Obertöne und erzeugt so einen Effekt wie ein mehrfaches Spiegelbild des ursprünglichen Sounds. Der erste mit Octavia aufgenommene Titel ist « Purple Haze ». Bei LiveAuftritten wurde immer ein Effekt-Board zwischen Gitarre und Verstärker geschaltet. Das Ausgangssignal der Gitarre ging in das Vox-Wah-Wah, dahinter waren in der Regel das Octavia, das Arbiter Fuzz Face und das Uni-Vibe geschaltet; letztes Glied der Kette waren die Marshall-Türme. Während der US-Tournee 1969 deponierte man vier dieser Anlagen an verschiedenen « strategisch » günstig gelegenen Orten in den Vereinigten Staaten. Ergänzt wurden die Marshalls gelegentlich von einem 100-Watt-SoundCity-Turm; besonders bei den Aufnahmen zu Axis: Bold as Love. Für eine kurze Zeit Anfang 1968 experimentierte die Gruppe mit Equipment des amerikanischen Herstellers Sunn, das viel versprach, aber wenig halten konnte; es 114 115 hieß immer wieder Back to Marshall, aber das Experimentieren hörte nicht auf. [9] Im Februar 1969 in der Royal Albert Hall und beim Isle of Wight Festival im August 1970 stehen auch Säulenboxen der britischen Firma WEM auf der Bühne. [10] Ein Fehler all dieser Verstärker : Sie sind schlecht abgeschirmt und funktionieren auch als Rundfunkempfänger. Zwischen den Songs werden Musiker und Zuhörer deshalb manchmal von Radiogedudel genervt. Der Satz eines Ingenieurs von Sunn, Hendrix würde mehr auf dem Amp spielen als auf der Gitarre, ist so überzogen wie richtig : Er feiert Hendrix angemessen als Pionier des bewussten Einsatzes des Equipments. Der Eindruck seiner Musikerkollegen, da würden ( mindestens ) zwei Gitarristen am Werk sein, beruht in erster Linie auf Hendrix’ Erfindungen als Verstärker-Zauberer. Tontechniker erzählen, Hendrix habe, wenn sie mit neuen Schaltungen experimentierten, ausgerufen : Stopp! Das ist es! Genau den Sound hab ich im Traum gehört! Er dachte nicht nur musikalische Geräusche, er träumte auch Sounds und wollte sie im Studio verwirklichen. Wir wissen von Komponisten, dass sie eine genaue Vorstellung von Klangabläufen im Kopf haben, bevor sie sie in Noten fixieren. Hendrix, der weder Noten schrieb noch las, fügt diesen Fähigkeiten die neue des geträumten Vorwegnehmens elektronisch erzeugbarer Geräusche hinzu – die er dann im Studio mit den Technikern auch findet; eine neue Kompositionsqualität. Aus der Army, sechsundzwanzig Absprünge mit dem Fallschirm, hatte der durch die Luft sausende Gitarrist die Absicht mitgebracht, so klingen zu wollen wie der Wind in den Ohren beim Sprung aus dem Flugzeug… « den Wind spielen wollen »… von Orpheus bis Wagner… Nono, Rihm, Ligeti … jemand « windiger » als Hendrix ? Gleichzeitig mit den Studioexperimenten der Beatles zu Sgt. Pepper « entdeckt » Hendrix im Studio die Möglichkeiten der Geräuscherzeugung ( « Winde » ) durch Tricks mit dem Magnetband, Rückwärts-Abspielen von Bändern, Rückwärts-Einspielungen von Gitarrensoli mit dem charakteristischen Rauschhintergrund, Veränderung der Bandgeschwindigkeit plus Automatic Double Tracking, was Phasenverschiebungen zur Folge hat. Erzeugen einer Art « Telefonstimme » mit dem Pultec-Filter. Der Panorama-Regler am Mischpult ( Panning ) lässt den Ton zwischen den Lautsprechern wandern. Und beim Direct Inject geht der Ton direkt ins Mischpult und kann mit dem über Mikrofon aufgenommenen gemischt werden – eine ganze Reihe weiterer Zutrittstore zum Universum ungehörter Sounds. Sie werden in London ab 1967 gleichzeitig in den Olympic Studios, bei EMI und im Abbey Road Studio entwickelt. Wie die Beatles in Toningenieur George Martin findet Hendrix in Eddie Kramer den kongenialen Studiotechniker und in George Chkiantz den tüftelnden technischen Bastler. ihrem natürlichen Zustand zurückfinden, der einfach nur positiv ist – wie in der Kindheit, wo man noch auf natürliche Weise high wird; wenn du die Leute an ihrem schwächsten Punkt erwischst, dann kannst du ihnen das, was wir sagen wollen, ins Unterbewusste predigen. Deshalb taucht auch immer wieder der Begriff « Electric Church » auf… Ein Musiker, der wirklich was zu sagen hat, ist wie ein Kind, das von seiner Umwelt noch nicht allzu sehr beeinflusst ist, das noch nicht allzu viele Fingerabdrücke auf seinem Gehirn hat – who hasn’t had too many fingerprints across his brain. Darum ist Musik so viel intensiver als alles andere, was du fühlst. [11] […] Immer, wo Hendrix in Musik denkt, fallen ihm Formulierungen zu wie « preaching into the subconscious ». Man musste kein Freud-Leser sein in den Sechzigern, nur ein aufmerksamer Guitar and Song Man, um zu sehen, zu hören und zu fühlen, wohin die Musiken bei den Empfängern sich richten, um lässig vom Unbewussten seiner Zuhörer zu sprechen. Hendrix hat gesehen, wie seine Musik sich direkt dorthin wandte. ( Man kann ja all die Groupies aller Farben und Völker nicht einfach zu Nutten erklären.) « Have You Ever Been ( To Electric Ladyland ) » – Warst du jemals da, warst du jemals in Electric Ladyland, der magische Teppich erwartet dich, komm nicht zu spät. Ich will dir alle Gefühle zeigen, mit dir durch Klänge und Bewegungen gleiten, die elektrische Frau erwartet dich und mich. Das vierfache make love am Ende der Strophe ist mehrfach bezogen : einmal auf you = uns alle; zweimal auf die elektrische Frau ( Gitarre ); einmal auf das Mädchen, das mitfliegen soll über die love-filled sea : Ich will dir zeigen, wie Engel ihre Flügel spreizen, ich möcht’ es dir zeigen, Gut und Böse liegen Seite an Seite wenn elektrische Liebe den Himmel durchbohrt. Ich möcht’ es dir zeigen. Ich möcht’ es dir zeigen. Musiker wie Musikphysiologen betonen immer wieder die materielle Realität von Schallwellen, die verändernd in menschliche Körperzellen ( die ja auch Schwingung sind ) einwirken. Robert Jourdain, Gehirnforscher und Musiktheoretiker aus New York, hält es für bewiesen, dass musikalische Reize nicht nur im Gehirn abgespeichert werden, sondern primär in der Körpermuskulatur. Der Körper speichert. Der Psychoanalytiker und Jazzpianist Steven Knoblauch beobachtet, wie die Musikalität der Stimmen, Rhythmus und Tonhöhen des Sprechens in einer Psychoanalyse deren Verlauf bestimmen. Ein Drittes bildet sich im Raum aus der Verflechtung der beteiligten Stimmen. Der amerikanische Analytiker Thomas Ogden spricht bündig vom « analytischen Dritten » – « ein drittes Subjekt mit einem Eigenleben, vom analytischen Paar gemeinsam geschaffen » –, das nicht weniger ist als das Subjekt der Analyse. Träume während der Analyse sollten […] wir « nicht mehr ausschließlich als eigene verstehen »; vielmehr als « Träume des gemeinsam, aber asymmetrisch Denken in Musik. Hendrix : Mit Musik kann ich alles besser konstruierten Dritten ». [12] Diesen « unsichtbaren Dritten » erklären. Du hypnotisierst die Leute, bis sie wieder zu behandelt Ogden wie eine reale Person. Ein dritter Körper 116 117 entsteht auch da, wo die Schallwellen eines Lautsprechers mit den entgegenströmenden Wellen der eigenen Körperlichkeit intensiv zusammenstoßen und sich verbinden zu einer neuen Materialität im Raum. Dritter Körper oder, etwas weniger spektakulär formuliert, ein « Schwingungsobjekt », nicht unähnlich dem, was D. W. Winnicott « Übergangsobjekte » genannt hat. Die Wahrnehmung eines tragenden Mediums im Raum, in dem die « Wellen », die zwei Personen aussenden, sich treffen und vereinigen, « ohne zu Boden zu stürzen », hat tatsächlich zuerst Winnicott für die psychoanalytische Situation beschrieben. Bei ihm ist es ein Patient, ein Ingenieur, der das Gefühl hat, er rolle von der Couch, stürze aber nicht, da sein Körper im Raum umgeben und getragen wird von einem Medium, für das er das Bild fand : wie die Kugeln im Öl eines Kugellagers. Bei Hendrix-Platten, besonders wenn sie noch ganz frisch für einen sind, findet man sich getragen nicht im Öl von Kugellagern, aber schwebend auf elektromagnetischen Schwingen; die Musik laut aufgedreht, man selbst tanzt oder liegt, und ein « Etwas » ( was religiösere Leute « die Seele » nennen ) wandert aus dem eigenen Körper aus und trifft sich im Raum mit Hendrix’ Space Ships zu etwas Neuem, Drittem; daraus das plötzliche Gefühl einer Körperveränderung. Teilantwort auf die Frage « wie man wächst », psychisch wächst, emotional wächst; eine Frage, auf die der Club der Großdenker nichts zu antworten weiß ( wenn sie dort die Frage überhaupt kennen ). Freud immerhin schlug den Wahnzustand des Verliebtseins vor; es braucht einen Wahnsinn, eine Trance, einen Rausch, eine Über-Idealisierung des Anderen, um « sich », den alten, eingefleischten Körper, so weit zu « vergessen » oder zu verlassen, dass er fähig wird zur Transformation. Bei Hendrix Transformation durch Trance & Transistoren. Nach Ogden gleicht sich strukturell, was zwischen ihm und einem Gedicht von Robert Frost oder zwischen ihm und Patienten in der Analyse abläuft. « Das Gedicht erzeugt ebenso wie die analytische Sitzung starke Resonanzen von Klang und Bedeutung. » In beiden Fällen entsteht ein « Zwischenreich der Resonanzen ». Dies nennt er « das Lebensblut aller Kunst ». Wie das Lebensblut glückender Analysen. Beide erzeugen zwischen den Beteiligten tranceartig das « dritte Subjekt ». « Dritter Körper » entstünde somit in allen Fällen, wo die Akteure über sich hinauswollen, aus sich herauswollen, auf eine Ebene neuer Erfahrungen, wofür sie ein Vehikel brauchen : dies Schwingungsobjekt, dessen Real-Werden im Metamorphose-Raum neuer Sounds eine notwendig transgressive Tätigkeit ist; keine regressive, wie es ängstlichen Deutern gern erscheint. Bernd Matheja, auf der Suche nach Wörtern, die den Sound von Hendrix’ « Burning of the Midnight Lamp » angemessen beschreiben, fand ein Wort zu Hendrix’ eingreifenden Tönen: Nervenabrieb, sagt er, würden sie erzeugen. [13] Hendrix’ Fender Stratocaster als Radiergummi, der abgestorbene Reste von seinem / unserem Nervenkostüm abrubbelt. Bon. Notwendig für solchen aufbauenden Nervenabrieb ist ein Überfluss in den Musiken, eine Verschwendung, ein Überströmen ihrer Energien und Klangfelder. […] 1 Harry Shapiro / Caesar Glebbeek, Jimi Hendrix – Electric Gypsy. Die Biographie, Köln 1993, S. 481. 2 Joachim Köhler, « Jimi Hendrix », in : Stern Spezial Biografie, 3, 2005, S. 10 – 41, hier S. 41. 3 Vater Al ließ auf Hendrix’ Grabstein eine Gitarre gravieren, eine für Rechtshänder, versteht sich. 4 Aus « Stars That Play with Laughing Sam’s Dice » aus dem Album Smash Hits ( 1968 ). 5 Christoph Dieckmann, « Das wirklich kulturvolle Gegenwartsschaffen progressiver Kräfte im Kapitalismus. Hendrix-Fan in der DDR », in : Frank Schäfer ( Hg.), A Tribute To Jimi Hendrix, Berlin 2002, S. 179– 187, hier S. 184. 6 Diedrich Diederichsen, 2000 Schallplatten 1977–1999, Höfen 2000, S. 73. 7 Vgl. John F. Szwed, Space Is the Place. The Lives and Times of Sun Ra, New York 1998. 8 « Don’t know what I want, but I know how to get it », haben die Sex Pistols in Anarchy in the U.K. ( 1976er Single ) punkistisch darauf geantwortet. 9 Entsprechend die Gitarrenwechsel. Außer der Stratocaster : Höfner Club 40, Gretsch Corvette, Epiphone Acoustic, Gibson Flying V 1967, Fender Jaguar, Zamaitis 1960, Fender Jazzmaster, Goya 1968, Gibson Les Paul, Guild SF-V Starfire Deluxe, Gibson SG Custom Type 2, Gibson Flying V 1970 ( eigens für ihn gebaut ); aber noch viele weitere. In New York bei Manny’s Musical Instruments, 48th Street, kaufte Hendrix große Mengen Gitarren, « von einer Rickenbacker über eine Firebird und eine elektrische Dobro von Mosrite bis hin zu einer Guild und einer akustischen Martin mit Perlmutt-Einlagen ». Gab oft Gitarren weiter. Henry Goldrich von Manny’s : « Ich sah Kids mit Gitarren in den Laden kommen, die ich Jimi eine Woche vorher verkauft hatte. Wenn er so einen jungen Typen mochte, gab er ihm seine Gitarre, nagelneu. » Shapiro / Glebbeek, Jimi Hendrix ( wie Anm. 1 ), S. 680. 10 Welche Röhren-Fabrikate sich in den jeweiligen Modellen befanden, kann der interessierte Technik-Freak nachlesen bei Harry Shapiro und Caesar Glebbeek, deren detaillierter 777-Seiten-Biographie Jimi Hendrix – Electric Gypsy wir hier weder Konkurrenz machen können noch wollen. 11 Victor Sampson, Hendrix. An Illustrated Biography, New York 1984, S. 74. 12 Thomas Ogden, Gespräche im Zwischenreich des Träumens. Der analytische Dritte in Träumen, Dichtung und analytischer Literatur, Gießen 2004, S. 17, 19, 26, 96. 13 Bernd Matheja, « Späte Erleuchtung oder : ‹The Burning Of The Midnight Lamp› », in : Schäfer, Jimi Hendrix ( wie Anm. 5 ), Berlin 2002, S. 83–85, hier S. 85. « Dritte Körper » entstehen auch beim Spielen zwischen Musikern; zwischen Lehrer und Schüler beim Unterricht, wenn’s zwischen ihnen « klappt »; wie auch beim Anhören von Musik zwischen den Hörenden, zu zweit oder in der Konzertmasse. Regel : Wie man etwas hört, verändert sich, wenn man mit anderen zusammen hört ( brauchbar auch als Test für die Gruppenfähigkeit der Einzelnen ). Man hört eine Platte allein und findet sie passabel oder sogar super; man hört sie mit anderen, deren Hören man schätzt, zu zweit, zu dritt, und die Platte bricht zusammen; oder auch umgekehrt, mit einem Mal ist sie groß. Als hätte man « einen neuen Satz Ohren bekommen », wie Jann Wenner das Phänomen benannt hat. Bei Hendrix hängt der Eintritt der Körperverwandlung entscheidender als bei anderen Musikern von der akustischen Dosis ab. Erst oberhalb einer bestimmten Schwelle « fasst er dich an ». Anders als die Beatles, deren Art Schwingungen man bei mittlerer Zimmertemperatur aufnehmen kann. Die Dinge ins Schwingen zu bringen, den eigenen Körper, den Raum, das Space Ship, dafür ist ein hoher Pegel erforderlich, viel Höhen, viel Bässe; sonst kommt nicht, was da kommen kann. Wenn es kommt, ist es unabweisbar; eine Kraft, die berührt, den Körper hochhebt, schwindeln lässt; den Körper sich selbst transzendieren lässt zum dritten Körper hin, der ein ganz und gar unkriegerischer ist. Was so viele am Anfang des Hendrix-Hörens als « Brutalität » empfanden, entpuppt sich als Wärme, als tragendes Medium im Raum sowie als Umschmelzkraft. Hendrix ist eine der Kräfte, die in der Lage sind, das, was man einen « dynamisierten Tötungsunwillen » nennen könnte, bei Leuten, die sich auf ihn einlassen, zu erzeugen oder zu verstärken. Eine riesenhafte Anti-Zerstörungskraft, die an Körperumbauten bastelt und diese Kraft leichter Hand, wirklich leichter Hand, unter die Leute wirft. Etwas, das Liebende können, Mütter manchmal, und Kunst, die Geräte der Electric Love. Sie erschließen nicht nur musikalisch Neuland, sie setzen, ebenfalls mit leichter Hand und beinah absichtslos, alles außer Kraft, was bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts nach einigermaßen geteilter ( verlogener ) Übereinkunft in der westlichen Welt als « Moral » galt. Hendrix formuliert das präzise; präziser, als es Nietzsche möglich war, behindert und gefangen in den Netzen wortgebundener Philosophie: Gut und Böse liegen Seite an Seite, während elektrische Liebe den Himmel durchbohrt… ist dies Liebe oder nur Konfusion… is it tomorrow or just the end of time… sind das Sterne da im Himmel, oder regnet es weit von jetzt… oh mein Kopf dreht sich, round and round and round and round… « Sterne » und « Himmel » waren früher etwas « da oben » und Metaphern für Symbolisches. Bei Hendrix sind sie Bezeichnungen für Körperteile, Körperzustände. Die Welt ist geschrumpft, die Körper erweiterten sich unterm Bohrgeräusch der elektrischen Liebe. Die mindestens zwei Körper, die Hendrix in seiner Musik erzeugt auf seinem Space Ship Stratocaster, um sie dem Hörer entgegenzuschicken, um aus dieser Doppelung und dem Körper des Hörers einen dritten Körper zu bilden, treiben nicht nur seinen Sound um, sie geistern auch durch das Gesagte. Und lösen nebenbei ein Hauptproblem der philosophischen Moderne : den Streit um die Konstitution des modernen « Subjekts ». Hendrix’ Musik wie Texte antworten bündig, dass es dieses als ein isoliertes Einzelnes, als « Ich », nicht gibt. Die Musik wie die Texte führen das neue Individuum vor als Wesen ohne klare körperliche wie psychische Grenzen, in affektiven Vermischungszuständen; und zwar so niedrig ansetzend wie möglich im Bild des jelly fish, der Qualle. Wahnsinnig schön, so herumzutreiben, sogar eine Qualle wird dir das erzählen. Ich sagte, in der Strömung liegen ist groovy und leicht, sogar eine Qualle fängt da was mit an. Ja, die Quallen treiben lässig und schon lange, Gott – der hat auch keine Knochenstange in seinem Quallenrücken drin. In den Strömen treiben, jede Nacht, auf den Wellen, high, dann wieder ruh’n. ( Gut, manchmal ist der Wind nicht richtig. ) [14] Solche Texte zeigen Hendrix mehr als jeden anderen Rockmusiker als Aufzeichner von körperlichen Aggregatzuständen, ihren Wechseln, Schmelz-, Kondensations-, Sublimierungstemperaturen: Purpurschleier in meinem Hirn… müssen da all diese Farben sein, ohne Namen, ohne Sounds… ja ich fließe durch flüssige Gärten und Arizonas roten Sand… mein Regenbogen ruft mich durch den Schleierdunst meines Wasserfalls… mein Kopf ist schwindlig, dreht sich… du bringst mich zum Fließen, immer aufwärts, in Kreisen… […] Für die Darstellung des Wechsels körperlicher Aggregatzustände, die beschwörende Wahrnehmung ungekannter Gefühlsräume, ist in Hendrix’ Sprache der Einsatz von geballtem Weltraumvokabular nicht weniger wichtig als die Beschwörung der elektrischen Klangwelten. Gitarre und der eigene Körper stehen gleichermaßen unter Strom. So ist das « Wachstum » der ersten Nachkriegsgenerationen bei uns, weg von ringsum verordneter Deutsch-Norm, musikalisch dirigiert und befeuert gewesen von Aliens. Den uniformierten Aliens von der anderen Seite des Teichs, die sich glücklich eingenistet hatten in unseren Radio-Sphären. In ihren Stimmen im Äther auf AFN oder BFBS nicht als Uniformierte zu erkennen. Stimmen auf Engelsf lügeln, die Englisch sprachen, logisch; nichts weniger als Götterboten. Denen Hendrix seine Reverenz erweist am Anfang seines letzten Albums mit der Experience : in den vier kosmischen Donnerschlägen am Anfang von « Electric Ladyland », gefolgt von Sphärenrauschen und Äthersalat, Tonband rückwärts und der eigenen verlangsamten Stimme; in dem elektronischen EinundachtzigSekunden-Intro unter dem Titel « And the Gods Made Love ». Fünf Wörter, die genauer nicht sein könnten. Vier Donnerschläge aus dem Äther, die Straußens ZarathustraPauken ablösen, mit denen noch Elvis, Jimis früherer Körpergott, seine Auftritte einläutete in Las Vegas. Sie werden ersetzt durch die Götter-Liebe der Electric Skies. [15] […] 118 119 Die Frage : « But first, are you experienced », präzise und etwas drängender fortgesetzt mit : « Or have you ever been experienced », enthüllt sich schließlich als Frage nach den Körperorten. Die Orte, an denen man war im Leben; die der Hörer, die du / ich experienced haben, von denen man etwas mitgenommen und beibehalten hat. Nicht nur als Frage nach dem Stand der eigenen Drogenerfahrung, beziehungsweise war genau dies die Frage nach der Drogenerfahrung : Wo bist du gewesen ( during your lifetime ) und : Was hast du aufgenommen dabei. Welche Töne welcher Orte ( nicht nur die Pillen ). Töne heißt : Körper, Lebensf luss. This is our drug store. Dem Medienguru Vilém Flusser haben seine hochentwickelten Fühler für alle Vorgänge zwischen Menschen und Medien Formulierungen zur Musik eingegeben, die die meisten Musiktheoretiker so staunen lassen müssten, wie das Spiel von Hendrix seine gitarristischen Kollegen staunen ließ. Beim Hören von Musik, sagt Flusser, gleiche sich der Körper der empfangenen Botschaft an. Sein kleiner Text Die Geste des Musikhörens notiert : « Der menschliche Körper ist für Schallwellen permeabel, und zwar so, dass ihn diese Wellen in Schwingungen versetzen, dass sie ihn ergreifen. Zwar gibt es im Körper spezifische Hörorgane, welche die akustischen Schwingungen in andere, zum Beispiel elektromagnetische Schwingungen übertragen, aber Musik bringt nicht nur den Hörnerv, sondern den ganzen Körper zum Schwingen. […] Der Musikhörende konzentriert sich eigentlich gar nicht, sondern er konzentriert die ankommenden Schallwellen ins Innere seines Körpers. Das bedeutet : Beim Musikhören wird der Körper Musik, und die Musik wird Körper.» [16] Eine wechselseitige Transformation also, mit dem Ergebnis eines Verwandlungs-Wunders : « Da der Hörende beim Hören selbst die gehörte Musik ist, da sein ‹Selbst› die Musik ist, heißt, sich der Musik anpassen, eben selbst Musik zu werden.» Was nicht weniger heißt, als dass man beim Aufnehmen der Töne des Electric Sky selbst Teil dieses Himmels würde. Erlebnisse, die laut Flusser zeigen, dass Worte wie « Geist », « Seele » oder « Intellekt » tatsächlich körperliche Prozesse benennen; beim Musikhören ganz greifbar, « weil die akustischen Schwingungen die Körperhaut nicht nur durchdringen, sondern sie dabei zum Mitschwingen bringen. Die Haut, jenes Niemandsland zwischen Mensch und Welt, wird dadurch aus Grenze zu Verbindung. Beim Musikhören fällt die Trennung zwischen Mensch und Welt, der Mensch überwindet seine Haut, oder umgekehrt, die Haut überwindet ihren Menschen. Die mathematische Schwingung der Haut beim Musikhören, die sich dann auf die Eingeweide, aufs ‹Innere› überträgt, ist ‹Ekstase›, ist das ‹mystische Erlebnis›.» [17] Damit hat Flusser das Wort aus dem Ärmel geschüttelt, um das der Musiktheoretiker und Hirnforscher Robert Jourdain sein Buch Music, the Brain, and Ecstasy gebaut hat : Ekstase. Das Ziehen der Saite auf der Gitarre erleben wir als Ziehen der Haut, die bei Flusser nichts anderes tut, als ihren Menschen zu « überwinden », ihn aus sich herauswachsen zu lassen und sich mit der Musik zu durchdringen : Näher ist noch keine Beschreibung dem gekommen, was hier der « dritte Körper » heißt. Und keine Musik kam der Erzeugung dieses dritten Körpers im Raum näher als die flying saucers von Jimi Hendrix. Hendrix « hört » ( mit der Haut ) die « Musik » der Götter vom Mars und verstärkt sie. [18] Näher kommt auch keine Beschreibung dem Kern der Angst, die in diesen Prozessen bei labileren Menschen entsteht : Sie lösen tatsächlich Körpergrenzen auf, öffnen Abgründe. Über denen es immer heißt : « Are you experienced ? » ( « Hast du denn überhaupt ’n Schimmer, Baby ? » ) Auf die Frage, ob und wie solche Vorgänge zur bleibenden Veränderung von Körper- und Hirnstrukturen führen, gibt es noch keine exakten Antworten. Aber auf die Frage : « Was unterscheidet unsere Körper eigentlich von denen der Eltern ? » Von einem Lehrer-Freund, Hendrix-Jahrgang, kommt ohne Zögern die Antwort : Jazz & Rock; dass wir die nicht nur kennen, sondern haben. Wie eine Krankheit, oder deren Heilung. Uns scheint – wenn wir die digitalisierte Raumauffassung der jetzt Jungen ansehen, ihr verschwindendes Bewusstsein von einer linearen Geschichte, ihre Einbettung in Elektronisches –, dass hier nicht einfach nur Negativ-Befunde angebracht sind, sondern die Erwägung, dass « das Verschwindende » bei ihnen ersetzt worden sein könnte und weiter ersetzt wird durch die Abspeicherung weitgefächerter Musikfelder in einem wachsenden Anteil von Übergangs-Häuten mit vielen Übergangserfahrungen, die an neue Synapsenverschaltungen im Hirn zurücksenden, was sie einst als akustische Wellen empfangen haben : übers Ohr, übers Gehirn, über die Haut, im schubweisen Herauswachsen aus der eigenen Haut; Wachstumsprozesse, die der jeweils älteren Generation gern als « Rückschritte » erscheinen. Für die nach 1940 Geborenen ist Hendrix ihr massivster Einschalter gewesen. « ’Cause I’m a million miles away / And at the same time I’m right here inside your picture frame […] And the n New York drowns as we held hands. » [19] […] Hendrix ist ein Chauffeur zwischen diesen Welten; unentwegt unterwegs auf seinem Gitarrenbesen, der right in time die richtigen Steckdosen fand; eine Art gitarristischgalileischer Existenzbeweis dessen, woraus manche Menschenkörper gemacht sind, die in oder nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, worum sie kreisen : die fließenden Körperaggregatzustände, das kosmische Fühlen, Ghosts wie Hendrix zwischen ihnen, mit einem Engel an der Hand, Liebeslyriker, Minnesänger, Melancholiker, Märchenmann, dessen Rollstuhlköniginnen gen Himmel schweben, Mutter hin oder her, indianerschwarzer Gypsy, weniger Afro als multi-colored; Medizinmann, gefolgt von einem Federgeschmückten mit Pfeife, dahinter das Straßenkind mit dem geprügelten Anti-Violence-Körper, das aufruft, nicht Häuser anzustecken, aber Blitze zu schleudern, die der Liebe und die im Kopf. Keine spezielle Mischung transgressiver menschlicher Sexualitätsformen macht Hendrix zu dem Mehr- oder Übergeschlechtlichen, der er in diesen Konstellationen ist. [20] Es ist die pansexuelle Aufladung des Elektrisch-Gitarristischen, die das Lie- besfeuer schafft, das Friedensfeuer und das Androgyne auch « das Weiße » mitmischen darf. Das Plattencover für eines der kommenden, der nie mehr gekommenen Alben sollte vier Rassen in einer zeigen – ein Kreuz aus Menschenköpfen mit ihm selbst als Synthese in der Mitte. Zu seiner Linken der schwarze Kopf, rechts von ihm der weiße, über ihm der gelbe und unter ihm der rote ( Entwurf von seiner letzten Freundin Monika Dannemann ). Multicolored und offen für ein ganzes Bündel von Erweckungen bei der Verpflanzung nach London, wo 1967 black nicht nur beautiful war, sondern das Größte, wenn es so bunt behängt und rockgitarristisch daherkam wie Hendrix. Wie gemacht für den Aufprall auf die eigengesetzliche Kunstgruppe, die es auch hier braucht, um Führungsfigur von Ausgefreakten zu werden. Was vierzig Jahre zuvor in Paris die Surrealisten waren, sind in London 1967 der Rockclan um Jagger, Lennon, Townshend, Clapton, Burdon. Sie setzen die Regeln, ohne allzu strenge Tempelherrn zu sein. Dazu kommen die Frauen in der Bedeutung von « Life Is Love » und « Love Is Sex » und « Sex Is Music ». Alles zusammen gesehen durch die blaue Pille, die die Bilder löst und jene Teile des Gehirns, die sich trauen, auch öffentlich nichts anderes als traum- und märchenhaft zu sein. Sie alle, dahinter das harte Handwerk von fünf Jahren Knochenarbeit on the road – Zirkustraining –, erzeugen das Gitarrenwunder des Summer of Love. [21], wobei 14 Aus « Power Of Soul » von der CD South Saturn Delta ( 1997 ). 15 Als Kind nahm Jimi ein Radio auseinander, « um die Musik darin zu finden », erzählt Bruder Leon – die Urheber der Götterstimmen. 16 Vilém Flusser, « Die Geste des Musikhörens », in : Silvia Wagnermaier / Nils Röller ( Hgg.), absolute Vilém Flusser, Freiburg 2003, S. 148 – 154, hier S. 150 f. 17 Ebd., S. 153. 18 Er hat ganz richtig gehört, wie einige Aufnahmen in J.-E. Berendts Hörwerk Die Welt ist Klang zeigen : Mikrofone, die am äußersten Rand der Erdatmosphäre das Drehgeräusch der Erde aufzeichneten, liefern Klänge, die aus Hendrix’ Gitarrenarbeit stammen könnten. 19 Aus « Voodoo Child ». 20 Wie bei den Transgressiven der Warhol-Factory der Fall. 21 Das schüchterne Grinsen als Vortäuschung kindhafter Geschlechtslosigkeit. 120 123 AutorInnen Laufende Ith Forschungsprojekte AbgeschLossene Ith - Forschungsprojekte Publikationen Impressum s. 123 s. 125 s. 125 s. 127 s. 128 AUTORINNEN UND AUTOREN Manuela Ammer manuela.ammer@mumok.at — ( * 1977 ), Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften und der Kunstgeschichte an der Universität Wien. Seit 2002 mit Unterbrechungen wissenschaftliche und kuratorische Tätigkeit am MUMOK Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien; 2005 Praktikum kuratorische Abteilung Dia Art Foundation, New York; 2007 kuratorische Assistenz documenta 12, Kassel; Katalogbeiträge zur Kunst seit den 1960er Jahren. Robin Curtis robin.curtis@fu-berlin.de — Filmemacherin, Kuratorin und Medienwissenschaftlerin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin im SFB Kulturen des Performativen im Projekt Synästhesie-Effekte: Kinetische und farbliche Dimensionen des Films. FeodorLynen Stipendiatin, Alexander von Humboldt Stiftung 2008 – 2010. Arbeitet derzeit an einer Theorie der Immersion. Publikationen ( Auswahl ): Conscientious Viscerality: The Autobiographical Stance in German Film and Video, Berlin 2006; Einfühlung – Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts ( Hg. mit Gertrud Koch ), München 2008; Synästhesie-Effekte: zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung ( Hg. mit Marc Glöde und Gertrud Koch ), München 2008; Sonderheft Immersion, montage / av ( Hg. mit Christiane Voss ) 2 / 2 / 2008. Hans Danuser www.hansdanuser.ch — ( *1953 ), 1971 – 1974 Assisitenz beim deutschen Werbefotografen Michael Lieb in Zürich, danach folgten künstlerische Experimente mit lichtempfindlicher Emulsion an der ETH Zürich. Auszeichnungen ( Auswahl ): Manor Kunstpreis, 1993; Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis für junge Kunst Zürich, 1996; Der Bündner Kulturpreis 2002. Internationale Veranstaltungen ( Auswahl ): Biennale Venedig 1995; Biennale de Lyon 1997. Einzelausstellungen ( Auswahl ): Argauer Kunsthaus, 1989; Lenbachhaus München, 1991; Kunsthaus Zürich, 1996; Scalo, New York, 2004; Fotomuseum Winterthur, 2002; Bigh Maneshe, Moskau 2007. Collaborations: Projekt Partituren und Bilder mit Peter Zumthor, Architekt, 1989; Projekt Wildwechsel / Helldunkel mit Reto Hänny, Schriftsteller, 1994; Projekt Mäander / Frozen-Embryo mit Fritz Hauser, Musiker, 1996; Projekt Vorlage / Bildhauerei mit Marcus Casanova, Bildhauer, 1998. Katrina Daschner www.katrinadaschner.net — ist Künstlerin und lebt in Wien. 2001 – 2002 betrieb sie zusammen mit Johanna Kirsch und Stefanie Seibold den Performance Space Salon Lady Chutney. Seit 2003 spielt sie in der Performanceband SV DAMENKRAFT. In ihren künstlerischen Projekten, die sie seit etwa 10 Jahren international vor allem in Ausstellungsformaten zeigt, beschäftigt sie sich vorwiegend mit Sexualität, Machtstrukturen, sowie queer-feministischen ( Körper- )Politiken. Sie unterrichtet seit 2005 an der Akademie der bildenden Künste Wien. Mladen Dolar mladen.dolar@guest.arnes.si — (* 1951), Studium der Philosophie und Romanistik in Ljubljana, Paris und Westminster. Außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Ljubljana. Publikationen (Auswahl): Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist… Mozart und die Philosophie in der Oper, Wien 2001; His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme, Frankfurt a. Main 2007. Andrea Ehrat andrea.ehrat@gmx.net — ( *1971 ), 1987 – 1988 Vorkurs an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. 1988 – 1992 Lehre als Dekorationsgestalterin, Jelmoli HG Zürich. 1992 – 1993 Regie- und Bühnenbildassistenzen an Theatern im In- und Ausland. 1993 – 1998 Studium Film / Video an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. 1999 – 2001 Kamera, Kameraassistentin, Cutterin für verschiedene Spielund Dokumentationsfilme; Bühnenbilder verschiedener Theaterprojekte im In- und Ausland. 2001 – 2007 Wissenschaftliche Assistentin der Professur für Bildnerisches Gestalten ( Prof. Peter Jenny ), Departement Architektur, ETH HönggerbergZürich. Einzelausstellungen: abnorm, Zürich 2007; Je ne sais rien, FensterInstallation, Grüngasse Zürich 2006; Gruppenausstellungen ( Auswahl ): Kult Zürich Ausser Sihl, Galerie / Museum Baviera, Zürich ( ch ) 2008; Ernte ’07, Museum zu Allerheiligen, Kunstverein Schaffhausen Kult Zürich 2007 – 2008; Die Bahnhofstrasse lebt, Effretikon 2005. James Elkins www.jameselkins.com — Professor für Kunstgeschichte am Art Institute in Chicago, bis 2006 auch am University College Cork ( Irland ), wo er wesentlich am Aufbau des kunsthistorischen Instituts mitgewirkt hat. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte und Theorie des Bildes ( Auswahl ): On Pictures and the Words That Fail Them, Cambridge 1998; Why Are our Pictures Puzzles ? On the Modern Origins of Pictorial Complexity, New York 1999; Visual Studies. A Skeptical Introduction, New York 2003. Elkins ist auch Mitherausgeber des internationalen Kunstgeschichte-Journals IRIS ( erscheint seit 2007 ). Julia Gelshorn gelshorn@khist.uzh.ch — ( *1974 ), Studium der Kunstgeschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft und der Italienischen Literatur an den Universitäten Köln und Bern. 2001 – 2008 wissenschaftliche Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern, seit 2005 wissenschaftliche Assistentin am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich. 2006 – 2008 Habilitationsstipendiatin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris. Seit Oktober 2008 Vertretungsprofessorin am Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Jüngste Publikation: Strategien der Aneignung. Bilddiskurse im Werk von Gerhard Richter und Sigmar Polke, München, erscheint 2008. Jörg Huber joerg.huber@zhdk.ch — ( *1948 ), Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Volkskunde und Geschichte in Bern, München und Berlin. Professor für Kulturtheorie an der Zürcher Hochschule der Künste ( ZHdK ). Leiter des Instituts für Theorie. Veröffentlichungen in den Bereichen Ästhetik und Kulturtheorie. Igor Juricevic igorphd@hotmail.com — ( *1975 ), erhielt sein BA und MA sowie seinen PhD ( Toronto, 2006 ) bei J. M. Kennedy als supervisor, und ist derzeit Postdoctoral Fellow an der University of Nevada ( 2007 – 2009 ). John Kennedy kennedy@utsc.utoronto.ca — ( *1942 ), studierte Psychologie an der Queen’s University Belfast ( MA 1965 ) und an der Cornell University ( PhD 1971 ), bevor er in Harvard ( 1970 – 1972 ) und an der University of Toronto unterrichtete ( seit 1972 ), wo er nun ordentlicher Professor in Psychology ist. Er ist Mitglied der Royal Society of Canada ( gewählt 2005 ) und des Wissenschaftskollegs zu Berlin ( 2008 – 2009 ). — Gemeinsame Publikationen mit Igor Juricevic ( Auswahl ): « Blind man draws using convergence in three dimensions », in: Psychonomic Bulletin and Review 13 ( 3 ), 2006, pp. 506 – 509; « Looking at perspective pictures from too far, too close and just right », in: Journal of Experimental Psychology: General, 135 ( 3 ), 2006, pp. 448 – 461. Werke ( Hrsg.), Frankfurt a. Main 1993; Lob der Peitsche. Eine Kulturgeschichte der Erregung, München 2001 ( amerik. Übers. 2007, span. und chines. Übers. im Erscheinen ); Die Kunst des Begehrens. Dekadenz, Sinnlichkeit und Askese, München 2007. John Michael Krois kroisj@philosophie.hu-berlin.de — ( *1943 ), Studium der Philosophie, Ethnologie und Kunstwissenschaft in den USA ( Ohio und Pennsylvania ). 1975 – 1983 wissenschaftlicher Mitarbeiter an Universitäten in Braunschweig und Trier, 1983 – 1988 Assistant Professor an der Emory University in Atlanta, 1988 Habilitation an der Philipps-Universität Marburg in Philosophie, 1988 – 1994 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie an der Universität Düsseldorf, seit 1994 an der HumboldtUniversität zu Berlin, seit 2000 als apl. Professor. Gastprofessor in Wien, Lausanne, Uppsala, Hamburg. Publikationen ( Auswahl ): Edgar Wind. Kunsthistoriker und Philosoph ( Mithg.), Berlin 1998; Kulturelle Existenz und Symbolische Form. Philosophische Essays zu Kultur und Medien ( Mithg.), Berlin 2006; Embodiment in Cognition and Culture ( Mithg.), Amsterdam 2007. Richard Shiff rshiff@mail.utexas.edu — ( *1943 ), PhD 1973 in Kunstgeschichte an der Yale University. Seit 1989 Effie Marie Cain Regents Chair in Art und Director of the Center for the Study of Modernism an der University of Texas at Austin. Publikationen ( Auswahl ): Cézanne and the End of Impressionism, Chicago 1984; Critical Terms for Art History ( Mithg.), Chicago 1996 / 2003; Barnett Newman: A Catalogue Raisonné, gem. m. Carol C. MancusiUngaro u. Heidi Colsman-Freyberger, New Haven 2004; Doubt, New York 2008. Niklaus Largier nlargier@berkeley.edu — ( *1957 ), Studium der Germanistik, Philosophie und Russischen Literatur in Zürich und Paris. 1985 – 1992 wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent am Deutschen Seminar der Universität Zürich. 1996 – 2000 Professor für Philosophie an der DePaul University, Chicago, seit 2000 Professor für Deutsche Literatur an der University of California, Berkeley. Fellowship am Getty Center for the History of Art and the Humanities 1992 – 1993, Guggenheim Fellowship 2004 – 2005; Gastprofessor an der Harvard University 2006. Publikationen ( Auswahl ): Meister Eckhart, Stefan Neuner neuner@khist.uzh.ch — ( *1974 ), Studium der Kunstgeschichte und Musikwissenschaft in Wien. 1999 – 2005 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, seit 2005 wissenschaftlicher Assistent am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich. Jüngste Publikationen: Maskierung der Malerei. Jasper Johns nach Wilhelm de Kooning, München 2008; Bild und Gemeinschaft, München 2009 ( Mithg., in Vorbereitung ). Philipp Stoellger philipp.stoellger@freenet.de — ( *1967 ), Prof. Dr. theol., ordentlicher Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Mitbegründer des Zürcher Kompetenzzentrums Hermeneutik. Publikationen ( Auswahl ): Metapher und Lebenswelt : Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont, Tübingen 2000; Sprachen der Macht: Gesten der Er- und Entmächtigung in Text und Interpretation, Würzburg 2008. Klaus Theweleit klaus.theweleit@soziologie.uni-freiburg.de — Schriftsteller, Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, Lehrauftrag am Institut für Soziologie, Universität Freiburg. Publikationen (Auswahl): Männerphantasien, 2 Bde., Frankfurt a. Main 1977 – 78; Objektwahl. All You Need Is Love. Über Paarbildungsstrategien & Bruchstück einer Freudbiographie, Frankfurt a. Main 1990; « You give me fever ». Arno Schmidt. Seelandschaften mit Pocahontas. Die Sexualität schreiben nach WW II, Frankfurt a. Main 1999; Deutschlandfilme. Godard, Hitchcock, Pasolini. Filmdenken & Gewalt, Frankfurt a. Main 2003. Stefan Thiel thiel-stefan@gmx.de — ( *1965 ), 1988 – 1994 Studium an der Hochschule der Künste Berlin, lebt und arbeitet in Hennigsdorf bei Berlin. Preise und Stipendien ( Auswahl ): 1994 Denkmal Berliner Mauer, 2004 Künstlerhaus Schloss Balmoral. Ausstellungsbeteiligungen ( Auswahl ): Institute of Art & Design, Milwaukee, 1995; schwarz auf weiss, Kunstmuseum Solothurn, 2004; Ausgezeichnet!, Kunstverein Freiburg, 2007. Einzelausstellungen ( Auswahl ): 2001 – 2008 Mai 36 Galerie, Zürich; Nächst St. Stephan – Rosemarie Schwarzwälder, Wien; VOUS ETES ICI, Amsterdam; Jesco von Puttkamer, Berlin; Dominik Mersch Gallery, Sydney; Fucares, Madrid. Philip Ursprung ursprung@khist.uzh.ch — ( *1963 ), Studium der Kunstgeschichte, Allgemeinen Geschichte und Germanistik in Genf, Wien und Berlin. Assistenz an der Universität Genf und der ETH Zürich. Vertretungsprofessuren an der ETH Zürich, den Universitäten Basel und Zürich und der Universität der Künste Berlin. 2001 – 2005 SNF-Förderungsprofessor an der ETH Zürich. Seit 2005 Professor für Moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität Zürich. 2007 Gastprofessur an der Graduate School of Architecture, Planning and Preservation der Columbia University New York. Gastkurator u. a. am Museum für Gegenwartskunst Basel und dem Canadian Center for Architecture in Montreal. Publikationen ( Auswahl ): Herzog & de Meuron: Naturgeschichte, Montreal und Baden 2002; Grenzen der Kunst: Allan Kaprow und das Happening, Robert Smithson und die Land Art, München 2003. 124 125 Juliane Vogel juliane.vogel@uni-konstanz.de — Professorin für Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Permanent Visiting Professor an der Princeton University. Publikationen ( Auswahl ): Elisabeth von Österreich. Momente aus dem Leben einer Kunstfigur, Frankfurt a. Main 1992 / 1998; Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der « großen Szene » in der Tragödie des 19. Jahrhunderts, Freiburg im Brg. 2002; Weiß. Ein Grundkurs, ( Mithg.), Frankfurt a. Main 2003. Arbeiten zur Literatur der Jahrhundertwende und zur österreichischen Ge-genwartsliteratur, zur Montage und zu den Grundlagen europäischer Dramaturgie. Forschungsprojekt ( Exzellenzcluster ): gem. mit David Levin und Christopher Wild: Kulturelle Poetiken des Auftretens. LAUFENDE ITHFORSCHUNGSPROJEKTE ABGESCHLOSSENE ITHFORSCHUNGSPROJEKTE Migration Design Codes, Identitäten, Integrationen Leitung: Christian Ritter — Im Zentrum des Forschungsprojekts stehen die Beobachtung und Analyse medialer und ästhetischer Prozesse der Selbstrepräsentation und Kommunikation von Jugendlichen aus den westlichen Balkanstaaten. Untersucht wird das Verhältnis der kulturellen Hintergründe und Bedeutungen visueller Codierungen zu ihren Rezeptions- und Wirkungsweisen. Das Projekt erweitert die visuelle und kommunikative Kompetenz in der Praxis (z.B. Lehrbetriebe, Berufsintegration, Jugendhilfe) hinsichtlich spezifischer Fragestellungen der Integration. Das Forschungsprojekt erarbeitet dafür ein präzises Setting an Anwendungsformaten. Sie sind ausgerichtet an der interdisziplinären Anlage des Forschungsprojekts und an den unterschiedlichen Bedürfnissen und Tätigkeitsfeldern der Wirtschaftspartner. — Komplizenschaft Arbeit in Zukunft Leitung: Gesa Ziemer — Komplizenschaft ist nicht nur eine zeitgemäße, sondern auch eine äußerst produktive Form temporärer Zusammenschlüsse, die sowohl im künstlerischen als auch wirtschaftlichen Umfeld rege angewendet wird. Das Forschungsprojekt untersuchte die Energetik der Komplizenschaft als neue Aktionsform in Wirtschaft, Kunst und Theorie und kooperierte deshalb mit Forschungspartnern aus diesen Bereichen. Als Projektabschluss sind 2007 die Publikation « Komplizenschaft - Andere Arbeitsformen » sowie die DVD « Komplizenschaften » erschienen. — Ein KTI-Projekt. Beginn: 1. November 2008, Dauer: 19 Monate. Team: Patricia Bissig, Gabriela Muri, Basil Rogger (Wissenschaftliche Mitarbeit). Prototyp Möbel in Kunst und Design Leitung: Burkhard Meltzer — Das Forschungsprojekt setzt sich zum Ziel, aktuelle Entwurfs- und Produktionspraktiken zur Möbelherstellung in den Feldern von Design und Kunst zu untersuchen. Durch einen transdisziplinären Forschungsprozess sollen Aneignungspraktiken zwischen den Feldern von Kunst und Design sichtbar gemacht werden und Verknüpfungen zwischen den Fachgebieten Kunst-, Design-, Architekturtheorie sowie Soziologie hergestellt werden. Von Aneignungsprozessen zwischen Kunst und Design kann man sprechen, seit das moderne Autonomiekonzept der Kunst eine Abgrenzung beider Bereiche notwendig werden liess. Der thematische Schwerpunkt « Möbelgestaltung und -herstellung » zeigt sich als besonders geeignet, um mediale Transfers und individuelle Aneignungsstrategien zwischen den genannten Feldern sichtbar zu machen. Mit diesem Fokus lassen sich enge Beziehungen zwischen begrifflichen Konzepten wie Funktion, Objektverhältnis und Lebenswelt und ästhetischen Ideen beobachten. — Ein DORE-Projekt. Beginn: 1. Dezember 2008, Dauer: 10 Monate. Team: Norbert Wild (Wissenschaftliche Mitarbeit). Ein KTI-Projekt. Team: Andrea Notroff, Nina Aemisegger (Wissenschaftliche Mitarbeit). Film: Barbara Weber (Visuelle Gestaltung und Montage), René Baumann (Kamera). Und plötzlich China! Das touristische Setting ‹ Schweiz › im globalisierten Tourismus Leitung: Peter Spillmann — Als Reiseziel übertrifft China bereits heute die Destination England, und in Zukunft werden immer mehr Chinesen in der Lage sein, selber Reisen nach Europa zu unternehmen. Deshalb gelten die Chinesen schon vielerorts als Hoffnungsträger für die stagnierende Tourismusbranche. Im Projekt « Und plötzlich China! » wurde untersucht, was die Voraussetzungen sind, damit es gelingt, in unterschiedlichen kulturellen Kontexten z.B. Sehnsucht nach « Schweiz » zu wecken, und welche Bilder, Motive und Akteure darin eine Rolle spielen. Grundlage der Forschung bildeten theoretische Ansätze, die das Alltagshandeln der Akteure in den Vordergrund rücken, Prozesse und Effekte der Globalisierung auf der Mikroebene/lokaler Ebene beschreiben und kulturelle Austauschprozesse als Teil einer transkulturellen und transnationalen Dynamik verstehen. — Das Projekt wurde als Kooperation des Instituts für Theorie (ith) der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) mit dem Institut für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus (IDT HSG St. Gallen) und dem Institut design2context der ZHdK durchgeführt. — Ein KTI-Projekt. Team: Flavia Caviezel (Wissenschaftliche Mitarbeit); Angela Sanders, Nika Spalinger, Marion von Osten, Michael Zinganel (Mitarbeit Fallstudien); Diana Wyder, Silvia Osterwalder (Mitarbeit Recherche). Brands & Branding Ein Forschungsprojekt zur (trans) kulturellen Kommunikation Leitung: Jörg Huber — Das transdisziplinär angelegte Projekt erkundete einerseits visuelle und rhetorische Strategien in der Kommunikation von « Lifestyle »-Marken, die auf die Selbstausstattung und Selbstauszeichnung von Konsumenten nicht nur hinsichtlich ihres sozialen Status, sondern auch ihrer Lebensentwürfe, Gruppenzugehörigkeiten, (sub)kulturellen Orientierungen usw. abzielen. Andererseits untersuchte es Techniken und Verhaltensmuster, anhand derer Konsumenten diese Marken adaptieren, wie dabei Selbstbilder und Identitäten konstruiert, ausgestaltet und im öffentlichen Raum zur Darstellung gebracht werden. — Als Projektabschluss ist 2008 die Publikation « BrandBody&Soul – gepflegt: krass » erschienen. — Ein DORE-Projekt. Team: Renate Menzi, Flavia Caviezel, Richard Feurer, Matthias Michel, Christian Ritter (Wissenschaftliche Mitarbeit). Bilder im Medientransfer Museen als Orte des Bildgedächtnisses und der Bildtransformation Leitung: Matthias Vogel — Das Projekt hat die suggestive Kraft und den informativen Gehalt von Bildern an medialen Schnittstellen untersucht. Die Institution Museum, innerhalb der sich die verschiedensten Medientransfers abspielen, ist dabei im Vordergrund gestanden. Im Museum werden Photographien gesammelt und archiviert, um dann in die verschiedensten Erscheinungszusammenhänge gebracht zu werden. Das Projekt ziegte auf wie sich bei diesen betrieblichen Abläufen Effizienz mit dem Bildungsauftrag verbinden lassen. — Die Publikation « Made in Transition » erscheint im Frühling 2009. — Ein KTI-Projekt. Team: Ulrich Binder, Künstler, Ausstellungsmacher und Dozent an der ZHdK (Wissenschaftliche Mitarbeit). Landschaftsbilder Bildeinsatz in der visuellen Vermittlung eines komplexen Landschaftsverständnisses Leitung: Annemarie Bucher — Das Projekt soll die Bedeutung und Problematik der visuellen Repräsentation im Rahmen der komplexen zeitgenössischen Landschaften sichtbar machen und durch einen reflektierten Umgang mit Bildern Voraussetzungen für ein verändertes Landschaftsverständnis schaffen. — Ein KTI-Projekt. Team: Manfred Gerig, Elisabeth Sprenger und Michèle Novak (Wissenschaftliche Mitarbeit). city_space_transitions Leitung: Jürgen Krusche — Das Forschungsprojekt fokussierte aktuelle Ansätze zu relativistischen Raumkonzepten im Kontext von Philosophie, Kunst, Architektur und Urbanismus sowie soziologischer und ethnographischer Stadtforschung. Diese westlichen Konzepte wurden mit japanischen verglichen, vor allem mit dem traditionellen Konzept ma [Zeichen], welches als grundlegend für den « Japanese sense of place » angesehen wird. Abschluss des Projekts bildeten 2006 eine Tagung im Japanisch-Deutschen-Zentrum in Berlin sowie eine Ausstellung im Museum Bellpark, Kriens und im Tokyo Art Museum, Tokyo. — Ein DORE-Projekt. Team: Yana Milev, Raumforscherin und Resonanzarchitektin, Angela Sanders, Ethnologin und Videomacherin (Wissenschaftliche Mitarbeit). Check it — Grenzgänge im Flughafen Zürich Eine Installation für den virtuellen und physischen Raum Leitung: Flavia Caviezel und Susanna Kumschick — Digitale Medien bieten ein noch wenig ausgeschöpftes Potential, um sozialwissenschaftliche Fragestellungen zu erforschen und deren Resultate zu präsentieren. Das DORE-Projekt suchte nach innovativen Präsentationsformen für hybrides dokumentarisches Material wie Film, Foto, Ton/Musik und Text, das als Resultat aus der qualitativen Forschung mittels audio-visueller Medien zum Kontrollakt am Flughafen Kloten entstanden ist. Präsentiert wurden die Forschungsresultate in der Ausstellung: Check on Arrival — Grenzland Flughafen (Landesmuseum Zürich, Herbst 2006). Weitere Ausstellungen: Tagung Kunsthochschulen Schweiz, Bern (2007); Solothurner Filmtage, Freitagsgalerie, Internationales Filmfestival Göttingen, Kunstraum Sandra Romer, Chur (2008). > http://checkit.ith-z.ch — Ein DORE-Projekt Team: Denis Hänzi (Wissenschaftliche Mitarbeit), Jörg Huber (Supervision). Maghreb Art and Research Project Leitung: Ursula Biemann — Die Beziehungen zwischen Europa und Nordafrika sind in eine neue postkoloniale Phase getreten. Das Kunst- und Forschungsprojekt untersuchte die Ökonomie mediterraner Migration und suchte nach einer diskursiven und visuellen Repräsentation der wachsenden Komplexität nordafrikanischer Mobilität in Bezug auf die EU. Die hohe Priorität, die gegenwärtig dem Management von Migration eingeräumt wird, macht illegale MigrantInnen zum Gegenstand internationalen Handels im Austausch für Erdöl, Waffen, ansehnlichen Export-Portfolios und politischen Vorteilen. Das Interesse lag dabei in der Frage, wie neue wirtschaftliche Interaktionen die alten kolonialen Verhältnisse ablösen. Der Blick wurde auf die Migrationsknotenpunkte gerichtet, die zu den wichtigsten Passagen übers Mittelmeer geworden sind: Tanger, Tripolis-Lampedusa und Sizilien. — Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit ägyptischen, italienischen und marokkanischen KünstlerInnen. Basislager des Projekts war das ith, Zürich und esba, Genf mit Finanzierung von Pro Helvetia und der Heinrich Böll Stiftung Beirut. Ausstellung des Projekts: Townhouse Gallery, Cairo im Oktober 2006 und Centre d’Art Contemporain, Genf im März 2007. Dazu ist eine arabisch-englische Publikation mit dem Titel « The Maghreb Connection » erschienen. > www.geobodies.org Black Sea files Leitung: Ursula Biemann — Das visuelle Forschungsprojekt folgte der Energie-Geographie im kaukasischen Korridor, welcher das Schwarze Meer mit dem Kaspischen Meer verbindet. Am Beispiel der riesigen, gegenwärtig im Bau befindlichen ÖlPipeline untersuchte das Projekt die Korrelation zwischen den transnationalen Strömen von Ressourcen, Kapital, Menschen, Daten und Bildern in diesem hochpolitischen Terrain. Die entstandene Videographie folgt der logistischen Technologie der Pipeline und geht auf die Menschen ein, die an ihrer Bahn wohnen. In Anlehnung an investigative Feldforschung, wie sie von Anthropologen, ‹ embedded journalists › und Geheimdienstagenten betrieben wird, kommentiert das Projekt die künstlerischen Methoden vor Ort und die Art und Weise, wie Informationen und visuelles Material entdeckt, in Umlauf gesetzt oder vorenthalten wird. Die Black Sea files bilden einen Teil der Transcultural Geographies, einem kollaborativen Forschungsprojekts am ith. > www.geobodies.org Projekt Migration Leitung: Marion von Osten und Kathrin Rhomberg — Im Dezember 2005 jährte sich zum 50. Mal die Unterzeichnung des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens und damit der Beginn neuer Migrationsbewegungen in Europa. Über mehrere Jahre arbeiteten im PROJEKT MIGRATION, einem Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen in Köln, Frankfurt, Zürich, Istanbul, Belgrad, Athen und Berlin entscheidende Lücken in der deutschen und europäischen Geschichtsschreibung seit der Nachkriegszeit auf. Zahlreiche Veranstaltungsreihen im Kölnischen Kunstverein und ein internationales Symposium in Griechenland haben diese Arbeit begleitet und neue Fragen für die Zukunft von Migrationsgesellschaften eröffnet. Mit einer groß angelegten, transdisziplinären Ausstellung 2005 in Köln, einem Filmfestival, einem internationalen Symposium sowie diversen Begleitveranstaltungen und einer umfassenden Publikation hat das PROJEKT MIGRATION seinen vorläufigen Abschluss gefunden. > www.projektmigration.de > www.transitmigration.org Das Menschenbild im Bildarchiv Zur Funktion und Qualität der Schweizer Fotoarchive Leitung: Matthias Vogel — Das Forschungsprojekt untersuchte, ob die zahlreichen Fotoarchive in der Schweiz ihren Anspruch, ein wichtiger Teil des visuellen Gedächtnisses zu sein, einlösen. Es ging davon aus, dass die Archive selbst Medien sind, welche die anfallenden Bilder durch Selektions-, Erschließungs- und Abrufverfahren zurichten. Ordnung im Archiv bedeutet immer auch Musterbildung. Da Archive diachron angelegt sind, ließ sich analysieren, welche Stereotypen in den letzten Jahrzehnten einem Transformationsprozess ausgesetzt waren und welche sich resistent zeigten. Bildarchive — als Arsenale der Erinnerung gedacht — sind immer auch Medien zur Ermittlung kultureller Veränderungen. Sie sind Orte des Erinnerns, die Kulturgeschichte verbildlichen, und Teil der Kulturgeschichte, indem sie das Bedürfnis nach Verbildlichung sichtbar machen. — Seinen Abschluss fand das Projekt mit der Publikation « Das Menschenbild im Bildarchiv. Untersuchung zum visuellen Gedächtnis der Schweiz » (vgl. Publikationen). — Ein KTI-Projekt. Team: Flavia Caviezel, Ethnologin, Filmwissenschaftlerin und Videastin, Ulrich Binder, Künstler und Publizist, Dozent an der HGKZ (Wissenschaftliche Mitarbeit). Japan Made in Switzerland Nonverbale und materielle Aspekte interkultureller Kommunikation am Beispiel Schweiz-Japan Leitung: Jürgen Krusche — Die Kommunikation zwischen den Kulturen wird in allen Bereichen, in der Wirtschaft, der Kultur sowie innerhalb der Gesellschaft zunehmend wichtiger. Im Zuge der fortschreitenden Globalisierung werden Kenntnisse über alle Facetten der interkulturellen Kommunikation immer notwendiger. Interkulturelle Kompetenz ist hier ein neues Stichwort. Das KTI-Projekt leistete zur Verbesserung der interkulturellen Kommunikation dadurch einen Beitrag, dass es einen ungewohnten Ansatz verfolgte. Es untersuchte spezifisch die Zusammenhänge zwischen materiellen Gestaltungen und der Konstruktion innerer Bilder, welche zu einem großen Teil die Beziehungen der Kulturen untereinander prägen. Am Beispiel der Beziehung Schweiz-Japan wurden exemplarisch nonverbale und materielle Aspekte der Kommunikation auf ihre Anteile an der inneren Bildgenese hin erforscht. Verletzbare Orte Andere Körper auf der Bühne Leitung: Gesa Ziemer — Das von DORE mitfinanzierte Projekt handelte von der Wahrnehmung und Darstellung von Körpern, die nicht der Norm entsprechen. Der verletzbare Körper ist eine ästhetische Figur, die in den Künsten und im Alltag vermehrt auftritt — so die These. KünstlerInnen mit und ohne körperliche Behinderung haben künstlerische Strategien von Deformation und Formation untersucht. Die im deutschsprachigen Raum bis jetzt wenig rezipierten Disability Studies wurden beigezogen. Die Ergebnisse der Forschungen und Interviews wurden in einem Dokumentarfilm und einer Publikation dargestellt. In Kooperation mit dem Tanzhaus Wasserwerk wurde ein abschließendes Symposium mit Vorträgen, Tanz-Performances, Workshops und Filmpräsentation (augen blicke N, DVD, 50 min., Zürich 2004) veranstaltet. — Ein DORE-Projekt. Team: Benjamin Marius Schmidt, Kulturwissenschaftler, Gitta Gsell, Filmerin (Wissenschaftliche Mitarbeit). 126 127 Be Creative! Der kreative Imperativ Leitung: Marion von Osten — Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst Zürich (ith) und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) ging dem Wandel des Kreativitätsbegriffs und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Gestaltungsprozess nach. Es verfolgte die veränderte Struktur der Ökonomie und der Arbeitswelt auf der Ebene der Betriebs- und Raumorganisation, des Zeitmanagements bis hin zum Zwang zu Mobilität. Im Rahmen dieses Projekts fanden eine Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich (2002/2003) sowie eine Tagung (2002) statt. Das Menschenbild als kulturelles Konstrukt Zur visuellen Repräsentation und Rezeption anonymer Menschen in Schweizer Tageszeitungen Leitung: Matthias Vogel — Vorstellungen vom Menschen, seiner charakterlichen, ethnischen, beruflichen, geschlechtlichen Identität, werden als kulturelle Konstrukte angesehen, bei deren Herstellung Bilder eine wesentliche Rolle spielen. Ideen und Stereotypen vom Eigenen und vom Fremden können von Medienbildern bestätigt oder in Frage gestellt werden. Diesen Vorstellungen und Stereotypen ging das von DORE unterstütze Projekt nach und kam mit der Publikation « Das tägliche FrauenBild » (vgl. Publikationen) zum Abschluss. PUBLIKATIONEN 31 Das Magazin des Instituts für Theorie # 01 ( Oktober 2002 ) [vergriffen] # 02 Ästhetik der Kritik ( Juni 2003 ) # 03 Heterotopien: Kulturen ( Dezember 2003 ) # 04 Ästhetische Entwürfe ( Juni 2004 ) # 05 Only A Swan Lake ( Dezember 2004 ) # 06 / 07 Call for Images. Bilder an der Arbeit ( November 2005 ) # 08 / 09 Doing Theory ( Dezember 2006 ) [vergriffen] # 10 / 11 Paradoxien der Partizipation ( Dezember 2007 ) [vergriffen] # 12/13 Taktilität – Sinneserfahrung als Grenzerfahrung (Dezember 2008) Interventionen Jahrbuch 1-14 — # 10, Interventionen 2001 Kultur — Analysen Hg.: Jörg Huber, Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2001 SFr. 36.–, € 24.— # 11, Interventionen 2002 Singularitäten — Allianzen Hg.: Jörg Huber/ith, Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2002 SFr. 36.–, € 24.– — # 12, Interventionen 2003 Person — Schauplatz Hg.: Jörg Huber/ith, Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2003 SFr. 36.–, € 24.– — # 13, Interventionen 2004 Ästhetik — Erfahrung Hg.: Jörg Huber/ith, Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2004 SFr. 36.–, € 24.– — # 14, Interventionen 2005 Einbildungen Hg.: Jörg Huber, Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2005 SFr. 36.–, € 24.– Die Reihe Interventionen ist abgeschlossen. Reihe T:G (Theorie:Gestaltung) — T:G\01, Mit dem Auge Denken Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten Hgg.: Bettina Heintz & Jörg Huber, ith Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2001 SFr. 68.-, € 44.– — T:G\02, Stuff it — The Video Essay in the Digital Age [vergriffen] Hg.: Ursula Biemann, ith, Englisch Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2003 SFr. 48.-, € 32.– — T:G\03, Norm der Abweichung Hg.: Marion von Osten, ith Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2003 SFr. 48.–, € 32.– — T:G\04, Kultur Nicht Verstehen Produktives Nichtverstehen und Verstehen als Gestaltung Hgg.: Juerg Albrecht, Jörg Huber, Kornelia Imesch, Karl Jost & Philipp Stoellger (Koproduktion vom Institut für Kunstwissenschaft Zürich, Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie der Universität Zürich und dem ith) Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2005 SFr. 49.–, € 33.– Mit Beiträgen aus der Veranstaltung « Kultur Nicht Verstehen » (Zürich, November 2003). — T:G\05, Ästhetik der Kritik oder: Verdeckte Ermittlung Hgg.: Jörg Huber, Philipp Stoellger, Gesa Ziemer & Simon Zumsteg Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2007 SFr. 46.–, € 30.– Mit Beiträgen aus der Veranstaltung « Ästhetik der Kritik oder: Verdeckte Ermittlung » (Zürich, Juni 2006). — T:G\06, Gestalten der Kontingenz Ein Bilderbuch Hgg.: Jörg Huber, Philipp Stoellger Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2008 SFr. 49.–, € 33.– — T:G\07, Archipele des Imaginären Hgg.: Jörg Huber, Gesa Ziemer & Simon Zumsteg Edition Voldemeer Zürich/Springer Wien/New York 2008 SFr. 49.–, € 33.– Mit Beiträgen aus der Veranstaltung « I Imagine… Das Imaginäre als Provokation » (Zürich, 2007/2008). FILME Forschungsfilm Komplizenschaften Barbara Weber & Gesa Ziemer. DVD, 33 min., Zürich 2007. augen blicke N Gitta Gsell & Gesa Ziemer. DVD, 50 min., Zürich 2004. Chado & Shodo Mit Suishu T. Klopfenstein-Arii und Soyu Yumi Mukai. Jürgen Krusche & Marcel Erdèlyi, DVD, 30 min. Farbe, HGKZ 2003. EINZELPUBLIKATIONEN BrandBody&Soul – gepflegt:krass Hgg.: Richard Feurer, Jörg Huber und Matthias Michel, Zürich 2008 SFr. 66.-, € 39.90 Komplizenschaft - Andere Arbeitsformen (K)ein Leitfaden Hgg: Andrea Notroff, Erwin Oberhänsli, Gesa Ziemer, Zürich 2007 SFr. 10.-, € 7.Das tägliche Frauen-Bild Zur visuellen Repräsentation und Rezeption anonymer Frauen in Schweizer Tageszeitungen Hg.: Matthias Vogel, Verlag ith, Zürich 2002 SFr. 20.–, € 14.Design — ein Zwischenfall Hgg.: ith und André V. Heiz, Verlag ith, Zürich 2004 SFr. 28.–, € 19.– Verletzbare Orte Zur Ästhetik anderer Körper auf der Bühne Benjamin Marius Schmidt und Gesa Ziemer www.ith-z.ch/publikationen/ weitere+publikationen/ Design hören [vergriffen] 21 Texte zur Theorie der Gestaltung von Platon bis heute Gelesen von Peter Schweiger Hgg.: Köbi Gantenbein (Hochparterre), Plinio Bachmann und Jörg Huber (ith), Zürich 2004 Doppel-CD mit Booklet JAPAN swiss made In fact no one actually looks at architecture Jürgen Krusche & Rolf Gerber, HGKZ 2004 Das Menschenbild im Bildarchiv Untersuchung zum visuellen Gedächtnis der Schweiz Hgg.: Matthias Vogel, Ulrich Binder und Flavia Caviezel, Limmatverlag Zürich 2006 SFr. 40.- ABBILDUNGSNACHWEIS Für den Beitrag von Richard Shiff S. 19 ( Abb. 1 ) Photo: David Heald; © Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen. S. 19 ( Abb. 2 ) Musée Carnavalet, Paris. S. 19 ( Abb. 3 ) Photo: Robert Newcomb; © Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen. Für den Beitrag von Stefan Thiel Alle Abbildungen, © Stefan Thiel. Für den Beitrag von John M. Krois S. 41 ( Abb. 1 ) Cold Spring Harbor Laboratory Archives. http://library.cshl.edu S. 41 ( Abb. 2 ) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/22/Da_Vinci_Vitruve_Luc_Viatour.jpg; Inhaber der Bildrechte: Luc Viatour S. 41 ( Abb. 3 ) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/b/ba/DrawingHands.jpg Für den Beitrag von Niklaus Largier S. 47 (Abb. 1), Klaus Ertz, Jan Brueghel der Ältere (1568 – 1625), Köln 1981, S. 44. Für den Beitrag von Philip Ursprung und Hans Danuser Alle Abbildungen, Courtesy Bündner Kunstmuseum. Für den Beitrag von Philip Stoellger S. 72 ( Abb. 1 ) Photo: Francois Hall / AFP / Getty Images. S. 72 ( Abb. 2 ) Photo: Boris Horvat / AFP. Für den Beitrag von Katrina Daschner Alle Abbildungen, © Katrina Daschner. Für den Beitrag von Andrea Ehrat Alle Abbildungen, © Andrea Ehrat. Für den Beitrag von Juliane Vogel S.99 ( Abb. 1 ) Anna Coliva / Sebastian Schütze ( Hgg.), Ausst.-Kat. Bernini Scultore. La nascita del Barocco in Casa Borghese, Rom: Galleria Borghese, Rom 1998, S. 181. S.99 ( Abb. 2 ) Photo: Vicenzo Pirozzi; Alessandro Angelini, Gian Lorenzo Bernini e i Chigi tra Roma e Siena, Mailand 1998, S. 46. S.99 ( Abb. 3 ) Ausst.-Kat. Bernini Scultore, S. 189. Für den Beitrag von Manuela Ammer S. 105 (Abb. 1) Hans Scheugl, Erweitertes Kino. Die Wiener Filme der 60er Jahre, Wien 2002, S. 105 (Abb. 2) ebd., S. 143. S. 105 (Abb. 3) Photo: Hans Scheugl; ebd., S. 122. S. 105 (Abb. 4) Ausst.-Kat. VALIE EXPORT: Summary / Sommaire, Paris: Centre national de la photographie ( u. a.), Montreuil: 2003, S. 149. S. 108 (Abb. 5) Photo: Werner H. Mraz; Elsa Longhauser ( Hg.), Ausst.-Kat. VALIE EXPORT. Ob / De+Con( Struction ), Philadelphia: Goldie Paley Gallery, Galleries at Moore, Moore College of Art and Design, Philadelphia 2001, S. 37. S. 108 (Abb. 6) Ausst.-Kat. VALIE EXPORT: Summary / Sommaire, S. 70. S. 108 (Abb. 7) Photo: Werner Schulz; Ausst.-Kat. VALIE EXPORT. Ob / De+Con( Struction ), Cover Innenseite. Für den Beitrag von Klaus Theweleit S. 115 (Abb. 1) www.mobiusgallery.net S. 115 (Abb. 2) theredpepper.files.wordpress.com S. 115 (Abb. 3 – 4) www.stratocaster.name S. 115 (Abb. 5) www.teigland.de/resources IMPRESSUM Herausgeber und Verlag Bestellung und Abonnement Institut für Theorie ( ith ) Hafnerstrasse 39 Postfach CH-8031 Zürich Telefon +41 43 446 65 00 Fax +41 43 446 45 39 E-Mail info.ith@zhdk.ch www.ith-z.ch Preis Heft: SFr. 28.–, € 19.– Preis Abonnement: SFr. 26.–, € 18.– Redaktion Jörg Huber Konzeption und Redaktion dieser Nummer Stefan Neuner unter Mitarbeit von Julia Gelshorn Koordination Franziska Eggimann Korrektorat Rosmarie Anzenberger Gestaltung Bonbon — Bonin, Bontognali mit Mark Grossenbacher Papier Swissboard, Rückseite grau 300 gm2 Munken Lynx 200, 170, 150, 130, 115, 100, 90, 80 gm2 Schrift Ambroise Druck Druckerei Feldegg AG Forchstrasse 179 8125 Zollikerberg Buchbinderei Pagina AG Stationsstrasse 3 8335 Hittnau Druckerei Brailschrift Schweizerische Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte (sbs) Grubenstrasse 12 8045 Zürich Printed in Switzerland Copyright © 2008 Institut für Theorie ( ith ) and the authors. All rights reserved. ISSN Nr. 1660-2609 ISBN Nr. 978-3-906489-10-0 Auflage: 800 Exemplare Die Bildrechte liegen, wenn nicht anders erwähnt, bei den einzelnen AutorInnen. Das Institut für Theorie ( ith ). Prof. Dr. Jörg Huber, ist Teil des Departements Kunst & Medien, Prof. Giaco Schiesser, an der Zürcher Hochschule der Künste ( ZHdK ), — — Zürcher Hochschule der Künste Institut für Theorie — — Zürcher Fachhochschule, Rektor Prof. Dr. Hans-Peter Schwarz. Die Forschungsaktivitäten des ith werden betreut vom Bereich Forschung und Entwicklung, F+E der ZHdK. Administration: Aracely Uzeda ith-Team Institutsleitung Prof. Dr. Jörg Huber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Elke Bippus, Jürgen Krusche, Stefan Neuner, Dorothee Richter, Simon Zumsteg Projektgebundene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Nina Aemisegger, René Baumann, Ursula Biemann, Ulrich Binder, Patricia Bissig, Annemarie Bucher, Flavia Caviezel, Richard Feurer, Susanna Kumschick, Burkhard Meltzer, Renate Menzi, Matthias Michel, Gabriela Muri, Andrea Notroff, Christoph Rahm, Kurt Reinhard, Christian Ritter, Basil Rogger, Angela Sanders, Peter Spillmann, Seraina Staub, Matthias Vogel, Marion von Osten, Barbara Weber, Norbert Wild, Gesa Ziemer Administration und Koordination Franziska Eggimann 128 KatrIna Daschner s. 123// Autorinnen TäterIn s. 125// Laufende Ith- For schungsprojekte s. 88 Andrea Ehrat abnorm s. 125// Abgeschlossene Ith-Forschungsprojekte s. 95 JuLIane VogeL Galatea unter Druck s. 127// PubLIkatIonen s. 103ManueLa Ammer s. 128// Impressum TaktILe Manöver s. 111 KLaus TheweLeIt JImI HendrIx s. 81 # 12 / 13 ( Dezember 2008) Das MagazIn des InstItuts für TheorIe # 12 / 13 (Dezember 2008) TaktILItät — SInnes erfahrung aLs Grenzerfahrung John M. Kennedy / Igor JurIcevIc Inverse PerspectIve s. 39 John M. KroIs HaptIc BegInnIngs of DepIctIon s. 43 NIkLaus LargIer GefährLIche Nähe s. 49 PhILIp Ursprung Zumthors OberfLächen s. 53 Hans Danuser KapLutta Sogn Bene detg SumvItg, 1989 s. 3 EdItorIaL s. 5 PerI haphes s. 59 MLaden DoLar TouchIng Ground s. 15 RIchard ShIff Durch dIe Haut hIns. 71 PhILIpp StoeLLger durch Vom Begehren nach Berührung s. 25 James ELkIns On Some LImIts of Ma s. 77 RobIn CurtIs terIaLIty In Art HIstory MIt dem ganzen Körper dabeI s. 31 Stefan ThIeL DIe 120 Tage von Sodom s. 81, s. 88, s. 95, s. 103, s. 111, s. 121, s. 128 . /.. s. 33