Gesamtes Heft - Zürcher Hochschule der Künste

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Gesamtes Heft - Zürcher Hochschule der Künste
 KatrIna Daschner s. 123// Autorinnen
TäterIn
s. 125// Laufende Ith-­
For­
schungsprojekte
s. 88 Andrea Ehrat
abnorm
s. 125// Abgeschlossene
Ith-Forschungsprojekte
s. 95 JuLIane VogeL
Galatea unter Druck
s. 127// PubLIkatIonen
s. 103ManueLa Ammer
s. 128// Impressum
TaktILe Manöver
s. 111 KLaus TheweLeIt
JImI HendrIx
s. 81
# 12 / 13 ( Dezember 2008)
Das MagazIn
des InstItuts für
TheorIe # 12 / 13
(Dezember 2008)
TaktILItät — SInnes­
erfahrung aLs Grenzerfahrung
John M. Kennedy
/ Igor JurIcevIc Inverse PerspectIve
s. 39 John M. KroIs
HaptIc BegInnIngs of
DepIctIon
s. 43 NIkLaus LargIer
GefährLIche Nähe
s. 49 PhILIp Ursprung
Zumthors OberfLächen
s. 53 Hans Danuser
KapLutta Sogn Bene­
detg SumvItg, 1989
s. 3 EdItorIaL
s. 5 PerI haphes
s. 59 MLaden DoLar
TouchIng Ground
s. 15 RIchard ShIff
Durch dIe Haut hIns. 71 PhILIpp StoeLLger
durch
Vom Begehren nach
Berührung
s. 25 James ELkIns
On Some LImIts of Ma­ s. 77 RobIn CurtIs
terIaLIty In Art HIstory MIt dem ganzen Körper
dabeI
s. 31 Stefan ThIeL DIe 120 Tage von Sodom s. 81, s. 88, s. 95, s. 103, s. 111, s. 121, s. 128 . /..
s. 33
— Taktilität
Sinneserfahrung
als Grenzerfahrung
3
Editorial
Das ith entwickelt seine Arbeit an und mit Theorien der
Kultur explizit im Kontext künstlerischer und ästhetischer
Praxis, der durch die ZHdK gegeben ist. Im Zentrum steht
das Anliegen, Theorien des Ästhetischen – als kritische
Selbstreflexion der Philosophie – zu untersuchen und weiterzuentwickeln sowie in Forschungsprojekten zu erproben. Dabei werden tatsächliche und mögliche Erscheinungsweisen, Aufgabenbereiche und Bedeutungen des
Ästhetischen analysiert und theoretisch systematisiert : im
Zusammenhang von alltagskulturellen Wahrnehmungsund Gestaltungsvorgängen ( aisthesis ), von künstlerischen
Produktions- und Rezeptionsvorgängen sowie Epistemologien der Wissensproduktion.
Medien des Ästhetischen sind die Sinne; ihre Reflexion und Kritik fokussieren die « Aufteilung des Sinnlichen »
( Rancière ), d. h. auch die historischen und kulturellen Ausprägungen und die Funktionsbestimmungen, die den verschiedenen Sinnen jeweils zugewiesen werden. Gemeint
sind damit ebenso ihre wechselseitigen Beziehungen und
die entsprechenden Dispositive einer Sinnes-Ordnung.
Das Muster dieser Ordnung, das sich in verschiedenen Varianten immer wieder als dominant erweist, ist
durch die dualistische Gegenüberstellung von Fern- und
Nahsinnen und ihre Hierarchisierung geprägt. In der Konsequenz strukturiert die Konfrontation von Fern und Nah
ein komplexes System von begrifflichen Gegensätzen, die
das Denken und das Sinnesgeschehen leiten: konkret / abstrakt, singulär / allgemein, sinnlich / rational, empirisch / systematisch, affektiv / reflexiv, unmittelbar / vermittelt, präsent / abwesend etc. Und in der hierarchischen
Ordnung triumphiert der Fernsinn, während der Nahsinn
diskriminiert wird : Sehen versus Taktilität. Auf dieselbe
Art – nur um 180° gedreht – verfährt eine entsprechende
Kritik. Die Bildende Kunst liefert den bevorzugten Schauplatz, auf dem diese Ordnung stets von neuem diskutiert,
in Frage gestellt und letztlich bestätigt wird.
Im vorliegenden Heft und Projekt [1] soll – denn auch
vorwiegend am Bild – dieses Geschehen der Sinnesordnungen und -hierarchisierungen sowie der Bedeutungszuweisungen anhand der Taktilität kritisch beleuchtet werden. Wir wollen jedoch damit nicht einfach eine Umwertung der Sinne vornehmen, sondern die verschiedenen
Strategien der Konstruktion historischer und kultureller
Sinnesordnungen zur Diskussion stellen und dabei auch
grundsätzlich fragen, wie ein Sinn – im Kontext anderer
Sinne – funktioniert. Dabei werden auf der einen Seite die
Bilder als Bilder und bezüglich ihres Gebrauchs thematisiert, während auf der anderen Seite die Bedeutungen kritisch befragt werdem, die man in den jeweiligen Gesellschaften dem visuellen Sinn und den verschiedenen
Sinneskompetenzen zuschreibt. Taktilität, so unsere
Behauptung, ist ein Sinn oder ein Medium, das die Ordnungen der Sinne durchkreuzt und die Denk- und Sinnesfiguren des Bipolaren auf ein Drittes hin öffnet. Nicht entweder – oder, sondern sowohl als auch. Es ist diese Figur
des tertium datur, die wir in früheren Projekten [2] bezüglich der Kultur des Nicht-Verstehens, der Ästhetik der Kritik, der Kontingenz sowie des Imaginären exploriert und
exponiert und in verschiedenen Verfahrensweisen der Forschung konkret erprobt haben. Die Figur motiviert eine
Theoriearbeit, die manifest und trans-sinnlich erfahrbar
wird in der Performativität der Theoriepraxis. Eine Theorie des Ästhetischen muss die Ästhetik der Theorie reflektieren. Und insofern erweist sich die Beschäftigung mit
der Taktilität auch in dieser Hinsicht als eine starke Herausforderung an Theorie-Arbeit.
Mit der Hinwendung zur Taktilität wird die Aufmerksamkeit auf Aspekte des Partikularen, Singulären, Materialen, Affektiven, Anlässlichen und damit auch des Kontingenten, der Unterbrechung und Irritation festgeschriebener
Sinnes-Dispositive gelenkt. Und es wird gefragt, ob und
wie die Dynamik dieses spezifischen Sensoriellen bedeutend sein kann nicht nur für die künstlerische Gestaltung
und ästhetische Erfahrung, sondern auch für die Entwicklung von Verfahrensweisen der Kulturanalyse und -theorie. Wie kann es gelingen, nicht nur über die Taktilität zu
reden und das Sinnesgeschehen zu beschreiben, sondern
das Potential des Taktilen auch in und für die Wissensgenerierung eigens produktiv zu machen? Wie kann « Sinneserfahrung als Grenzerfahrung » nicht nur als Gegenstand
von Diskursen, sondern bezüglich der Verfahren einer Rationalitätskritik wichtig werden ? Taktilität als Schwellenfigur auch der Epistemologie und Methodologie ? Taktilität
als Markierung von Übergängen zwischen Sinnen und
Sinngebung, zwischen Aisthesis und Denken ?
Wir danken dem Lehrstuhl für Moderne & zeitgenössische Kunst des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich und namentlich Julia Gelshorn und Stefan
Neuner für die Anregung zum Thema, für die Zusammenarbeit in der Entwicklung und Durchführung des gemeinsamen Projekts, und Stefan Neuner, der unter Mitarbeit
von Julia Gelshorn das vorliegende Heft konzipiert und
realisiert hat. — JÖRG HUBER
1 Grundlage dieses Heftes ist eine
Vortragsreihe zum Thema « Taktilität – Sinneserfahrung als Grenzerfahrung », die der Lehrstuhl
für Moderne & zeitgenössische Kunst des
Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich
in Zusammenarbeit mit dem ith im Herbstsemester 08 durchgeführt hat.
2 Vgl. dazu die ith-Publikationen der
T :G-Reihe.
4
5
Peri haphes
Rund um
den Tastsinn
Einführende
Bemerkugen
1 Vgl. Thomas Hardy, Jude the Obscure.
An Authoritative Text, Backgrounds and
Contexts, Criticism, Norman Page ( Hg.), New
York / London 1978, S. 18f.
2 Es heißt dort : « a piece of flesh, the
characteristic part of a barrow-pig », also : « der
charakteristische Teil eines Borgs », ebd., S. 33.
3 Hardy hat die Szene, in der Arabella mit
dem Schweinepenis nach Jude wirft, und die
wie der ganze Roman in zeitgenössischen Kommentaren als « unanständig » kritisierte wurde,
als Illustration des Konflikts zwischen « idealem »
und « realem Leben » bzw. zwischen « Idealismus » und « Animalismus » gerechtfertigt, vgl.
Dennis Taylor, « Notes », in : ders. ( Hg.), Thomas
Hardy, Jude the Obscure, London 2006, S. 419,
Anm. 10.
« Il ne serait plus alors question d’accorder ou
de restituer un privilège ou une priorité à quelque sens
que ce soit, la vue, le toucher, l’ouïe, le
goût, l’odorat. […] Il s’agirait plutôt de réorganiser
autrement tout ce champ dit du sens ou des
sens. Et si on en faisait une haptologie générale,
elle ne dépendrait plus d’un sens particulier
nommé le toucher.» JACQUES DERRIDA
I
In Thomas Hardys Roman Jude the Obscure ( 1895 )
fallen einige Stellen auf, in denen sich die Handlung
und zugleich die Zeichnung der Personen in Szenen intensiver Sinneswahrnehmung verdichten. So lesen wir von
Jude, dem ausnehmend intellektuell veranlagten Protagonisten, dass er in seiner Kindheit einmal das Dach einer
Scheune erklimmt, um in der Ferne die Stadt, in der er
einst studieren will, zu betrachten. [1] Seine Ziele sind weit
gesteckt : Aus ärmlichen, ländlichen Verhältnissen stammend, strebt er eine geistliche Laufbahn an und obliegt
schon in jungen Jahren als Autodidakt – desinteressiert an
allem in seiner nächsten Umgebung – dem Studium der
alten Sprachen. Die griechische Literatur und später die
Patristik sind seine Leidenschaft. Im Blick, der in die Ferne schweift und ungreifbaren Gegenständen zugewandt
ist, kristallisiert sich sein idealistisches Wesen. Später
wird ihn ein abrupter Kontakt mit den niederen Dingen
aus den Höhen seiner intellektuellen Betrachtungen
reißen. Das Bild ist drastisch. Ein Stück Schweinefleisch
( Hardy suggeriert, dass es sich um den Geschlechtsapparat eines männlichen Schlachttiers handelt [2] ) trifft ihn
gegen den Kopf, während die Gedanken seiner Lektüre
und seinen hochfliegenden Ambitionen nachhängen. Arabella, eine junge Frau, die sich sogleich als seine Verführerin herausstellen wird, hat damit nach ihm geworfen,
um auf sich aufmerksam zu machen. Der unvermittelte
Anprall stößt Jude auf die « Fleischlichkeit » seines Leibes
und bringt ein Geschehen ins Rollen, das ihn augenblicklich in die allernächste Nähe eines begehrenswerten Körpers und kurz darauf schon in eine eheliche Verbindung
zieht, die es ihm bis auf weiteres aufnötigen wird, in seinem
Dorf zu verharren und bei seinem Handwerk zu bleiben.
Soweit folgt die Konstruktion der Szenen des Romans
und der Figuren einer konventionellen Polarisierung der
Sinne : Distanz, Geist, Idealität, Kultur und keineswegs
zufällig : Männlichkeit sind dem Gesichtssinn, Weiblichkeit, Nähe, Körper, Sexualität, Materialität und die gewöhnlichen Verrichtungen des Lebens dem Tastsinn zugeordnet. [3] Doch gleich schon am Anfang der Erzählung
gerät diese Ordnung ins Wanken. Als der kleine Jude an
einem anderen Tag zu seinem Aussichtspunkt zurückkehrt,
um die Lichter der weit abgelegenen Stadt Christminster
zu sehen, verwandelt sich die Betrachtung des fernen Ziels
in eine Erfahrung taktiler Nähe und sein ideales Streben
schlägt um in ein Begehren nach Berührung:
« It was not late when he arrived at the place
of outlook, only just after dusk; but a black north-east
sky, accompanied by a wind from the same quarter,
made the occasion dark enough. He was rewarded; but
what he saw was not the lamps in rows, as he
had half expected. No individual light was visible, only a
halo or glow-fog overarching the place against the
black heavens behind it, making the light and the city
seem distant but a mile or so. He set himself to
wonder on the exact point in the glow where the
schoolmaster might be […].
[…] He had heard that breezes travelled at the rate
of ten miles an hour, and the fact now
came into his mind. He parted his lips as he faced
the north-east, and drew in the wind as if it
were a sweet liquor. ‹ You ›, he said, addressing the breeze
caressingly, ‹ were in Christminster city between one
and two hours ago, floating along the streets, pulling
round the weather-cocks, touching Mr. Phillotson’s
face, being breathed by him, and now you be here,
breathed by me – you the very same. › » [4]
II
Am Anfang des abendländischen Denkens steht bekanntlich die Forderung – es ist Platon, der
sie im Phaidon erhebt –, dieses Denken möge jedweden « Kontakt » mit dem
Leib unterbinden, um sich einer ungetrübten Schau des εἶδος ( in dem sich
die Bedeutungen « Idee » und « Aussehen » überkreuzen ) zuwenden zu können. [7] In der Geschichte dieses Denkens wird eine Tradition dominant
sein, welche die Sinne einer hierarchischen Ordnung unterstellt sieht
und Taktilität in einen dichotomischen
Gegensatz zum Gesichtssinn bringt.
Diese Ordnung wird sich nicht allein
in der Spekulation immer wieder konfigurieren und rekonfigurieren, es
wird in der westlichen Kultur an Versuchen nicht mangeln, sie dem Körper einzuprägen. Norbert Elias hat
eindringlich hervorgehoben, dass im
europäischen « Zivilisationsprozess »
die Unterwerfung der Sinne unter die
Herrschaft des Sehens eine entscheidende Rolle spielt. Als Beispiel zitiert
er etwa La Salles Les Règles de la
Bienséance et de la Civilité Chrétienne
Im schwindenden Licht des Abends, im Übergang zwischen
Tag und Nacht gleiten die Sinne ineinander über. Das Sichtbare verwandelt sich in ein unbestimmtes Leuchten, das
mit der Luft, das es durchquert, konsubstantiell geworden
zu sein scheint, und mit einer leichten Brise, die Jude körperlich in sich aufzunehmen vermag, zu ihm herangetragen
wird. So trinkt er die Ferne, zieht mit der Luft die Nähe der
Stadt und des Menschen, nach dem er sich sehnt, in sich
ein. Was dort vor zwei Stunden geschah, ist gegenwärtig. Es
ist, als ließe sich die Distanz selber berühren und als könnte sich Jude mit dem Ersehnten in dem, was ihn davon
trennt, vereinigen. Erfahrung eines « sonderbaren Gespinsts
aus Raum und Zeit », aus Nähe und Ferne, von dem, was
Walter Benjamin als « Aura » verstanden hat. [5]
Das Schicksal Judes wird von Enttäuschungen bestimmt
sein. Alle sind sie Folgen entweder einer zu großen Distanz
zu Menschen und Orten oder aus einer zu intensiven Nähe
zu ihnen. Das Glück taucht nur dort auf, wo es ihm zufällt,
die trennenden Zwischenräume, nicht zu überwinden, sondern an der Grenze gleichsam entlang zu gehen. Das wird in
seinem Leben in jenen Jahren der Fall sein, in denen er mit
seiner Cousine Sue ehelich, aber ohne sich mit ihr ehelich zu
vereinigen, zusammenlebt. Eine instabile, prekäre und letztlich nur temporär aufrecht zu erhaltende Gemeinschaft, die
auf den paradoxen Bedingungen einer Existenz an der Grenze beruht: Erfüllung im Aufschub der Erfüllung, Vereinigung
in der Trennung, Kontakt im Tabu. [6]
( 1774 ), wo die Erziehungsmaßregel
zu lesen ist, Kinder, die alles mit den
Fingern anfassten, seien dazu anzuhalten, die Dinge nur mit Augen zu
berühren. Die nicht nur kindliche Neigung, Speisen an sich heranzuziehen,
um sie zu beschnuppern, gilt als ein
gleichsam tierischer Rückstand. Das
Ohr und vor allem das Auge müssen
zu Vermittlern der « Befriedigung des
Lustverlangens » werden. [8] Eine
« theoretische Spekulation » Sigmund
Freuds, die er in einer Fußnote zum
vierten Kapitel des Unbehagens in der
Kultur skizziert, verlegt die Unterwerfung der Nahsinne unters Regime der
Distanzsinne, mit der das Prinzip der
« Triebhemmung » in der Psyche installiert wird, gar in jenen fernsten Moment zurück, da sich das Menschentier von der Erde abwandte und den
« Entschluß zum aufrechten Gang »
fasste. Mit der Entfernung der Nase vom
Erdboden erlangt das Sehen auf Kosten
des Geruchssinns das Übergewicht, die
« bisher gedeckten Genitalien werden
sichtbar und schutzbedürftig », das
Schamgefühl entsteht, die Sexualerre-
gung geht primär von « Gesichtsreizen » aus und emanzipiert sich so von
der « Periodizität des Sexualvorgangs »
( Freud nimmt eine olfaktorische Affizierung des Männchens / Mannes durch
den « Menstruationsvorgang » an ), die
Familie wird gegründet und der « verhängnisvolle Kulturprozeß » nimmt
seinen Lauf. [9] Verhängnisvoll ist der
Prozess, der solcherart Distanz in die
Beziehung des Menschen zur Welt
einschreibt, weil er Bemächtigung
und Herrschaft anzielt. Das Argument
der Dialektik der Aufklärung behauptet eine komplementäre Bewegung
der voranschreitenden Beherrschung
der inneren und äußeren Natur. Wenn
es für Theodor W. Adorno und Max
Horkheimer die Abstraktion des Gedankens ist, die auf Seiten des Menschen eine « fortschreitende Distanz
zum Objekt » erzwingt, so sagen sie
doch von der Aufklärung in einer vielsagenden Metapher, dass sie in Gestalt
des « reinen Positivismus » ein « universelles Tabu » verhängt hätte. [10] Zudem
lokalisiert sich dieses Denken in einer
Position, in der ihm alles als gleich
6
7
Entferntes erscheint, und damit am
strukturellen Ort, oder besser : im
Blickpunkt panoptischer Kontrolle,
wie Michel Foucault sie als Technik
der modernen Disziplinarmacht beschrieben hat. [11]
In der europäischen Philosophie
wurden Subjekttheorien sehr oft im
Rekurs auf visuelle Modelle entworfen. Rolf Konersmann hat den Spiegel
als bevorzugte Subjektmetapher dieser Denktradition herausgestellt. [12]
Der reflexive Selbstbezug, der hier im
Zentrum steht, wird in einem optischen Register konzeptualisiert. Visuelle Distanz wird besonders bei Hegel
Voraussetzung und primäres Medium
der ( Selbst- )Erkenntnis. In den Vorlesungen über die Ästhetik werden die
Fernsinne als « theoretische » Sinne ( als
einzig zur Erkenntnis fähige und damit kunstwürdige ) von den Nahsinnen
( Tast-, Geruchs-, Geschmackssinn ) geschieden. [13] Die hegelische SubjektObjekt-Dialektik, will heißen : die hegelische Philosophie, schreitet über
Spiegelbeziehungen voran. Dieses
Modell ist auch beim frühen Lacan
von zentraler Bedeutung. Im Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion
wird ein spekuläres Dispositiv der Subjektkonstitution beschrieben. [1 4]
Doch wird das mit seinem Bild sich
identifizierende und in eine imaginäre Gestalt panzernde Ich von Phantasien einer « aggressiven Desintegration des Individuums » heimgesucht.
Mit der spekulär-visuellen, dialektischen Ichformation verbindet sich bei
Lacan die Angstphantasie des corps
morcelé. Wenn man im Vorfeld des
III
« Spiegelstadiums » einen in erster Instanz von taktilen Empfindungen geprägten Weltbezug annimmt, in dem
das Genießen an der Mutterbrust ein
unmittelbares, der Körper noch nicht
in sich zentriert, und die Grenze zwischen Ich und Welt nicht gezogen war,
dann könnte man auch annehmen,
dass sich die von dezentrierten Tastempfindungen geprägten Erfahrungen im konstituierten Subjekt als
Angstvision erhalten.
Elias Canetti beschreibt in Masse und Macht Subjektivität im fortgeschrittensten Stadium des « Zivilisations- » oder « Kulturprozesses ». Das
Subjekt der Moderne, das Subjekt der
Großstadt hat überall Abstände um
sich geschaffen, die « von Berührungsfurcht diktiert sind ». [15] Angst schafft,
was die visuelle Distanz überschreitet, was mit dem Auge sich nicht
erkennen lässt. Der Kreis scheint sich
allerdings in der Regression der Masse zu schließen. Hier kommt es nach
Canetti zu einem « Umschlagen der Berührungsfurcht ». Dicht aneinander gedrängt verschmilzt sie zu einem Körper – je stärker sie sich zusammenzieht,
desto vollkommener scheint der Einzelne seine Berührungsfurcht loszuwerden. Nur auf diesem Wege scheinen die Menschen sicher fühlen zu
können, dass « sie keine Angst voreinander haben ». In Canettis Szenario
kann die Furcht nur auf gewaltsamem
Weg überwunden werden – inmitten
einer Gemeinschaft, die als Masse den
unheilvollen Doppelsinn des Wortes
« angreifen » ausagiert.
Herbert Marcuses Eros and Civilization ( 1955 )
gibt einen in den 1960er Jahren überaus einflussreichen Entwurf einer Verbindung von Psychoanalyse und
marxistischer Gesellschaftskritik. Auf der Basis der Freudschen Trieblehre versucht Marcuse zu zeigen, dass es in
der modernen Zivilisation bzw. der kapitalistischen Gesellschaft zu einer Herrschaft der Selbsterhaltungstriebe über
die Libido gekommen ist. Die moderne Rationalität privilegiert die Fernsinne und unterdrückt die in den Dimensionen der Nahsinne beheimateten Erfahrungen. [16] Die
Regression in eine ( präödipale ) Welt taktiler Lustempfindungen ist vor diesem Hintergrund nicht nur Remedium
einer an « Libidovergessenheit » krankenden Gesellschaft,
sie ist auch politisches Programm.
4 Hardy, Jude ( wie Anm. 1 ), S. 20f.
5 Vgl. Walter Benjamin, « Das Kunstwerk
im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit » ( 3. Fassung, 1939 ), in : Rolf Tiedemann / Hermann Schweppenhäuser ( Hgg.),
Gesammelte Schriften, Bd. 1.2, Frankfurt a. Main
1974, S. 479. Ich beziehe mich hier auf Richard
Shiffs anregende Benjamin-Lektüre. Neben dem
in diesem Heft publizierten Essay vgl. zum
Aura-Begriff auch : Richard Shiff, « Handling
Shocks. On the Representation of Experience in
Walter Benjamin’s Analogies », in : The Oxford
Art Journal, 15 ( 2 ), 1992, S. 93ff. u. ders., »Breath of Modernism ( Metonymic Drift ) », in : Terry
Smith ( Hg.), In Visible Touch. Modernism and
Masculinity, Sydney / Chicago 1997, S. 192ff.
6 Diese Beziehung gemahnt an die
– beinahe, aber eben nur beinahe inzestuöse –
Gemeinschaft, zu der in Robert Musils Mann
ohne Eigenschaften die Geschwister Ulrich und
Agathe zusammenfinden, eine Gemeinschaft der
« Ungetrennten und Nichtvereinten », wie Ulrich
sagt. Die beiden finden das « Sinnbild » ihres
Grenzgangs am äußersten Rand des Grundstückes, auf dem das Haus liegt, in das sie sich
am Ende des Buches zurückgezogen haben, an
der Schwelle zur übrigen Welt, im « Gartengitter », das « trennte und verband », vgl. Robert
Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Bd. 2,
Adolf Frisé ( Hg.), Aus dem Nachlass, Reinbeck
bei Hamburg 2000, S. 1350.
7 Vgl. Platon, « Φαίδων / Phaidon », in :
Karlheinz Hülser ( Hg.), Sämtliche Werke, Bd. 4,
Frankfurt a. Main 1991, S. 210 / 211, 65c. Es heißt
dort von der Seele, dass sie « ohne Gemeinschaft
und Verkehr » mit dem Leib ( μὴ κοινωνοῦσα
αὐτῷ μεδ’ ἁπτομένη ), wie Schleiermacher
übersetzt, dem Seienden nachgehen solle. Platon
verwendet hier das medio-passive Präsenspartizip von ἅπτειν, wobei der Dativ (αὐτῷ) auf eine
passivische Bedeutung schließen lässt. Es heißt
also wörtlich, dass sie keine vom Leib
« Berührt-Werdende » sein solle, wie Jacques
Derrida hervorhebt, indem er das Wort mit
« contact » übersetzt, vgl. Jacques Derrida, Le
toucher, Jean-Luc Nancy, Paris 1999, S. 138.
8 Vgl. Norbert Elias, Über den Prozeß der
Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1, Frankfurt a. Main
1997, S. 373f.
9 Vgl. Sigmund Freud, « Das Unbehagen in
der Kultur » ( 1930 ), in : Alexander Mitscherlich
u. a. ( Hgg.), Studienausgabe, Bd. 9, Frankfurt a.
Main 1974, S. 229, Anm. 1, vgl. auch : ders.,
« Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens II.
Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens » ( 1912 ), in : ebd., Bd. 5, S. 208.
10 Vgl. Theodor W. Adorno / Max
Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. Main 1993, S. 22.
11 Siehe Michel Foucault, Überwachen und
Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.
Main 2003.
12 Siehe Rolf Konersmann, Lebendige
Spiegel. Metapher des Subjekts, Frankfurt a. Main
1991.
13 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
Vorlesungen über die Ästhetik, Eva Moldenhauer / Karl Markus Michel ( Red.), Werke, Bde.
13–15, Frankfurt a. Main 1970, Bd. 13, S. 61 u. Bd.
14, S. 255.
Ein solches Programm ist jedoch zutiefst fragwürdig. Man
hat seither erfahren, dass die Privilegierung des Taktilen
eine Denkfigur ist, die in der Ideologie der « modernen
Zivilisation » tief verwurzelt ist, ja dass sie in die « Dialektik der Aufklärung » selbst hineingezogen war. Die Denkfigur taucht seit dem 18. Jahrhundert immer wieder auf, wo
die Ordnung der Sinne zur Sprache kommt – sie ist eine
typische theoretische Geste des Materialismus und möchte
den Weltbezug des Menschen im Griff nach dem Greifbaren verankern. Der Tastsinn wird zum stabilen und irreduziblen Fundament der Sinneswahrnehmung. Ihm wird
nun nachgesagt, im Gegensatz zum Sehen, Täuschungen
nicht verfallen zu können und den Modus aller Wahrnehmung vorzugeben und die Sinne zu koordinieren. [17] Im
gleichen Zug wird der Tastsinn zur Leitkategorie der Subjekttheorie und für das Ganzheitsgefühl des Selbst verantwortlich gemacht. Berühren und Berührt-Werden sind die
Erfahrungen, in denen sich Innerlichkeit konstituiert und
die Grenze gezogen wird, die das private Selbst monadisch ab- und in einem Innenraum einschließt. Das bürgerliche Subjekt hat sich auf taktilem Weg seines Selbst
versichert. [18]
Beunruhigender noch für all jene, die aufs Tasten
zurückkommen wollen, um die Herrschaft des Sehens zu
brechen, müsste Jacques Derridas überraschende Behauptung sein, dass die « abendländische Metaphysik » von
Anbeginn an nichts anderes als eine « Hapto-Metaphysik »
gewesen sei. Derrida bestreitet nicht, dass die « Geste, die
darin besteht zu philosophieren », auf eine Schau der
Wahrheit abhebt. Doch gewährt diese Schau die Gewissheit der Intuition, « le pleine de présence immédiate », nur
insofern sie an den « Kontakt » mit dem Eingesehenen
« rührt », « c’est-à-dire un point qu’on pourrait surnommer,
en un autre sens, le point aveugle, où l’œuil touche, et se
laisse toucher [...]. » [19] Diese Metaphorik hat Derrida dem
metaphysischen Denken nicht unterschoben. Wieder im
Phaidon und auch in der Politeia spricht Platon davon,
dass die Seele an die Wahrheit « rühre », was im Griechischen das gleiche ist wie zu sagen, dass sie sie « erreiche ». [20] Von Platon über Berkeley bis Husserl gibt es
« […] l’hégémonie bien connue d’une éidétique, comme figure ou aspect, donc comme forme
visible exposée au regard incorporel, mais
cette suprématie n’obéit elle-même à l’œil que dans la
mesure où un intuitionisme haptique
vient l’accomplir, la remplir, assouvir le mouvement
intentionnel d’un désir, comme désir de
présence. » [21]
Die Phänomenologie ist aber der Schauplatz, an dem die
Philosophie sich nicht nur per figuram eines letzten Grundes haptologisch zu versichern versucht. Im zweiten Buch
der Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie ( 1952 ) wird Edmund Husserl die
phänomenologische Reduktion bis an den Punkt einer taktil
konzipierten Unmittelbarkeit treiben und an diesem Punkt
– es ist der Punkt zwischen Finger und Finger in dem
Moment, als sie sich selbst berühren – die « Konstitution der
seelischen Realität durch den Leib » und den Quellpunkt
der Sinneswahrnehmung als solcher lokalisieren. ( Die Szene der Selbstberührung hat man freilich zuvor am Theater
der « haptozentristischen » Philosophie – es ist nicht übertrieben, sie als ihre « Urszene » zu bezeichnen – schon oft
gesehen.) In der Selbstberührung ist eine « Doppelempfindung » gegeben, in der « ein Leibesteil zugleich äußeres
Objekt wird für den anderen ». Hier ertastet sich das Tasten
selbst und der Leib ist sich selbst unmittelbar gegeben, in
einer örtlichen und zeitlichen Koinzidenz. Husserl betont,
dass sich diese reflexive Unmittelbarkeit im Sehen nicht
einstellen kann. Denn dazu würde es bereits einer Vermittlung durch ein Äußeres, der Prothese eines Spiegels etwa,
bedürfen. [22] Die Reflexivität der optisch-spekulären Subjektphilosophie wird also in den unvermittelten Kontakt
eines reinen Selbstbezugs hineinverlegt. So sieht die Gegenprivilegierung des Tastsinns in einem ihrer einflussreichsten Fälle aus.
Es ist hier nicht Platz, Derridas Nachweis darzustellen, wie sich in diesen Akt des reinen Takts das Visuelle
unversehens bereits eingeschlichen hat. [23] Es geht nur
darum, die Bewegungen eines Denkens anzudeuten, das
– ob es nun die Herrschaftsverhältnisse im Sensuellen zu
brechen sich vorgenommen hat oder nicht – das Schema
einer hierarchischen Ordnung der Sinne nie verlassen hat,
sondern nur dazu gelangte, instabile Umpolungen innerhalb von ihr herzustellen. Wer diese Ordnung untergraben wollte, müsste die dichotomische Struktur, die ihr
zugrunde liegt, und das wäre nichts anderes als die Denkstruktur der « abendländischen Metaphysik », selbst erschüttern. Dieser Aufgabe hat man sich, wie man weiß, nicht
lange nach dem Erscheinen der späten Bücher Husserls
bzw. der psychoanalytischen Zivilisationskritik Marcuses
in Frankreich angenommen. Neben Derrida hat auch JeanFrançois Lyotard sich ihr gestellt. Seine 1974 publizierte
Économie libidinale ist hier nicht nur deshalb von Interesse, weil sie als alternativer Entwurf einer Vermählung von
Marxismus und Psychoanalyse angelegt ist, sondern vor
allem weil in diesem Buch der Bühnenraum, auf dem sich
die alte Szene der taktilen Selbstaffektion zuträgt, das
heißt : die Körperoberfläche, also die Haut, völlig neu konzipiert wird. Es gilt der Grundsatz, dass die Befreiung des
Lustprinzips bei der binären Opposition zwischen Libido
und begrifflich-rationalem Denken ansetzen muss. Das
kann nach Lyotard nur gelingen, wenn diese binäre Entgegensetzung in eine Denkbewegung hineingezogen wird,
die selbst einem libidinösen Prinzip folgt: Dualismen werden dann zu « Duplizitäten », binär aufeinander bezogene
Terme « zweideutig », ihre Position in dichotomischen
Denkstrukturen unentscheidbar. Das Modell eines solchen
Denkraumes liefert das Möbiusband, das mit seinen fugenlos aneinander genähten Seiten an jeder Stelle binär ( Vorder- / Rückseite ) strukturiert ist, das diese Struktur aber
zugleich suspendiert, insofern es eine Bahn vorzeichnet,
an der entlang man in einer kontinuierlichen Bewegung
auf die andere Seite, von vorne nach hinten, von innen
nach außen, vom « dies » zum « nicht-dies » gelangen kann.
Die Libido ist die Bewegung, die dieser Bahn folgt. Sie
konstituiert einen topologischen Raum, in dem sich die
Innen-Außen-Struktur der « abendländischen Metaphysik »
auflöst : Erscheinung / Idee, Diesseits / Jenseits, res cogitans / res extensa, Ich / Anderer usf. Dieser Raum heißt bei
Lyotard die « große Möbiushaut ». Das Buch beginnt mit
einer Anatomie, die den Körper als einzige, ungeteilte
Hautoberfläche, deren Inneres nur eine Einstülpung des
Äußeren ist, beschreibt. [24]
8
9
14 Vgl. Jacques Lacan : « Das Spiegelstadium
als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der
psychoanalytischen Erfahrung erscheint. Bericht
für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich a, 17. Juli 1949 », in : Norbert
Haas ( Hg.), Schriften I, Rodolphe Gasché u. a.
( Übers.), Weinheim / Berlin 1996, S. 61–70.
15 Vgl. Elias Canetti, Masse und Macht,
Frankfurt a. Main 1980, S. 13.
16 Vgl. Herbert Marcuse, Triebstruktur und
Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu
Sigmund Freud, Marianne von Eckhardt-Jaffe
( Übers.), Schriften, Bd. 5, Frankfurt a. Main
1979, S. 41.
17 In der philosophischen und wissenschaftlichen Diskussion der Aufklärung kam es
zu einer regelrechten Umkehrung der klassischen
Sinneshierarchie. Der Tastsinn rückte mehr
und mehr in die prominente Position des Sehens
und wurde als Grundlage und Koordinator von
Kognitions- und Subjektivierungsprozessen
verstanden. Diese Umstrukturierung des Feldes
der Sinne lässt sich am besten in der Debatte um
das so genannte « Molyneux-Problem » verfolgen,
bei dem die Frage zur Debatte stand, ob ein
Blindgeborener, der das Augenlicht zurückerhielte, zwischen den Formen zweier verschiedener
Gegenstände unterscheiden könne, ohne auf den
Tastsinn zurückzukommen. Dieses Problem
wurde von beinahe allen wichtigen Denkern der
Epoche kommentiert, John Locke, George
Berkeley, Gottfried Wilhelm Leibniz, Étienne
Bonnot de Condillac, Voltaire, Denis Diderot
unter ihnen, siehe dazu Marjolein Degenaar,
Molyneux’s Problem. Three Centuries of
Discussion on the Perception of Forms, Dodrecht
1996; siehe auch : Nathalie Binczek, Kontakt.
Der Tastsinn in Texten der Aufklärung, Tübingen
2007 ( = Studien zur deutschen Literatur, 182 ) u.
außerdem : Ulrike Zeuch, Umkehr der
Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung
des Tastsinns seit der frühen Neuzeit, Tübingen
2000 ( = Communicatio, Bd. 22 ).
18 In diesem Zusammenhang ist die Diskussion um den Pygmalion-Mythos im 18. Jahrhundert von besonderem Interesse. Der von
Ovid erzählte Mythos, in dem eine Statue zum
Leben erwacht, wird in der Aufklärung als
Denkmodell zitiert. Man stellt sich vor, wie das
Standbild einen Sinn nach dem anderen erhält.
Condillac wird behaupten, dass Galatea erst,
nachdem sie taktiler Empfindungen fähig ist,
imstande ist, « ich » zu sagen, vgl. Étienne Bonnot
de Condillac, Abhandlungen über die Empfindungen, Lothar Kreimendahl ( Hg. und Übers.),
Hamburg 1983, S. 64; zu den kunsttheoretischen
Implikationen der Diskussion des PygmalionMythos siehe : Inka Mülder-Bach, Im Zeichen
Pygmalions. Das Modell der Statue und die
Entdeckung der « Darstellung » im 18. Jahrhundert, München 1998.
19 Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), S. 138.
20 Im Phaidon wird gefragt, wieder in der
Übersetzung Schleiermachers, wann die Seele
die Wahrheit treffe, wobei erneut die mediopassive Verbform von ἅπτειν gebracht wird :
« Πότε οὖν [...] ἡ ψυχή τῆς ἀληθείας ἅπτεται »,
Platon, Phaidon ( wie Anm. 7 ), S. 210 / 211, 65b.
Hier indiziert der Genitiv (τῆς ἀληθείας)
aber eine mediale Bedeutung des Wortes und
damit eine reflexive und zugleich emphatische
Aktivität. Wörtlicher müsste es also heißen,
wann die Seele sich an die Wahrheit « hefte »,
und im übertragenen Sinne, wann sie an ihr
« rühre », sie « anfasse », « ergreife », « erlange »
oder « erreiche » (Derrida übersetzt das Verb mit
« toucher » und « atteindre », vgl. Derrida, Le
toucher (wie Anm. 7), S. 139). Platons
Sprachgebrauch, in dem abwechselnd die
mediale und passivische Bedeutung von ἅπτομαι
in Anschlag kommt, betont also die Doppeldeutigkeit des Berührens als einer zugleich
erlittenen wie emphatisch betriebenen
Handlung. In der Politeia ist davon die Rede,
dass man auf das « philosophische » Wesen der
Seele die Blicke richten müsse und darauf
merken, woran dieses « rühre » etc. ( ἅπτεται ),
vgl. Platon, « Πολιτεία / Der Staat », in : ders.,
Werke ( wie Anm. 7 ), Bd. 5, S. 762 / 763, Buch
10, 611e.
21 Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ), ebd.
22 Vgl. Edmund Husserl, Ideen zu einer
reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 2. Buch, Phänomenologische
Untersuchungen zur Konstitution, Marly Biemel
( Hg.), Husserliana, Bd. 4, Den Haag 1952,
S. 147ff.
23 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ),
S. 200.
24 Vgl. Jean-François Lyotard, Libidinöse
Ökonomie, Gabriele Ricke / Ronald Voullié
( Übers.), Zürich / Berlin 2007, Kap. 1 : « Der
große vergängliche Haut-Film », S. 7ff.
Wieder später wird Michel Serres in seinen Fünf Sinnen
( 1985 ) auf dieser Bühne den Akt der reflexiven Selbstberührung noch einmal neu inszenieren :
« Mit dem Mittelfinger berühre ich meine Lippe.
In dieser Berüh rung liegt das Bewußtsein. Ich beginne
mit seiner Untersuchung. Oft verbirgt es sich in
einer Falte : Lippe an Lippe gelegt, die Zunge
an den Gaumen gedrückt, Zähne auf Zähne gepreßt,
geschlossene Augenlider, zusammengezogener
Schließmuskel, zur Faust geballte Hand, ineinander
verschränkte Finger, Unterseite des einen Oberschenkels
auf die Oberseite des anderen oder einen Fuß über
den anderen gelegt. Ich wette, der kleine monströse
Homunkulus, dessen jeweilige Teile im Verhältnis
zur Größe der Empfindungen stehen, wächst
und schwillt an, wo es zu solchen Automorphismen
kommt, wo das Hautgewebe sich auf sich selbst zurückfaltet. [...] Bewußtsein stellt sich nur an den
Stellen ein, die durch kontingente Singularitäten
gekennzeichnet sind, an Stellen, an denen der Körper
sich selbst tangiert.» [25]
Zuerst wird auffallen müssen – obgleich die Szene konventionell beginnt, nämlich mit einer digitalen Berührung,
einer deiktischen Geste, mit der der Leib auf sich selbst
weist –, dass sich die Orte und Glieder oder Körperteile,
die in die Selbstberührung involviert sind, vervielfacht
haben. Das Beispiel, darauf hat Derrida hingewiesen, ist
in der « hapto-metaphysischen » Tradition nicht zufällig immer die Hand und ihre Finger, und meist nur diese,
gewesen : weil sie angeblich allein dem Menschen zukommt, weil sie ein intellegibles und aktives Organ ist,
geeignet, dem Willen Ausdruck zu verleihen. [26] Der
Schließmuskel kommt bei Serres ebenso ins Spiel wie
Hand und Lippen. Dazuhin lokalisiert sich hier die Selbstberührung vorzüglich an Stellen, an denen sich die Haut
nach innen faltet, wo die Oberfläche des Körpers zu seiner
Innenseite wird, und verkörpert sich in habituellen oder
automatischen oder reflexhaften Bewegungen, eher von
passivischer Art, die nur wie zufällig aktiv vollzogen und
mit Aufmerksamkeit belegt werden; Beispiele, aus denen
sich keine Summe ziehen lässt : « kontingente Singularitäten ». Und nichts rundet sich zur Evidenz einer « Doppelempfindung » oder zu einer räumlichen oder zeitlichen
Koinzidenz. Die Selbstberührung bleibt aufgespalten, das
« ich » springt in beliebiger Schnelle von einer Position in
die andere, wird aber die Bedingung nicht abschütteln, an
ein « Objekt » geraten zu müssen, um sich selbst zu spüren.
Der Körper ist sich selbst Prothese, die Autoaffektion wird
von einer irreduziblen Alterität durchkreuzt :
« Ich berühre meine Lippen mit dem Finger, meine
Lippen, die bereits ihrer selbst bewußt sind.
Ich kann gleichzeitig und nahezu unterschiedslos
meinen Finger küssen und meine Lippen mit dem Finger
berühren. Das ‹ ich › vibriert auf beiden Seiten der
Berührung, abwechselnd, und wirft plötzlich die andere
Wand in die Welt zurück oder läßt, indem es plötzlich
über diese unmittelbare Nähe hinweggeht, lediglich
ein Objekt zurück. In der Geste des Fingers, der,
auf die Lippen gelegt, Schweigen gebietet, spielt der
Körper – lokal – mit der Seele Ball. Wer nicht
weiß, wo seine Seele sich befindet, berührt seinen
Mund, und auch dort erfährt er es nicht. Der
Mund, der sich selbst berührt, macht sich seine Seele
und vermag sie der Hand zu geben; die Hand,
die sich ballt, vermag sich ihre blasse Seele zu schaffen und kann sie nach Belieben dem Mund geben, der
sie bereits hat. Kontingenzen reinster Art.» [27]
Sehr wohl findet auch in diesem Szenario so etwas wie
eine « Konstitution der seelischen Realität durch den Leib »
statt. Allerdings unter den Bedingungen der Kontingenz,
in einer unabschließbaren Serie singulärer Sinnesereignisse, von einer Stelle des Körpers zur anderen hüpfend,
mal hier, mal dort. Serres rät zu kreativen gymnastischen
Übungen, um herauszufinden, wo sich die Seele ( noch )
befinden könnte. Unter diesen Bedingungen, wo das « Turnen » der « Anfang und die Voraussetzung der Metaphysik »
geworden ist [28] , besteht wenig Hoffnung darauf, die
« Seele » in eine klar umrissene Kontur zu fassen und sie
stabil im Leibesinneren zu verankern. Die « Seele » erhascht
man nur an den Körpergrenzen, rund um den Leib herum,
in einer Umstülpung gleichsam des klassisch-metaphysischen Leib / Seele-Dispositivs.
Mit einem kräftigen Sprung landen wir wieder bei den
Anfängen der « abendländischen Metaphysik » und finden in
Aristoteles’ Abhandlung Über die Seele einen Versuch, eine
solche Kontur zu zeichnen. Das Buch ist, wie die richtigere
Übersetzung seines Titels ( Περὶ ψυχῆς ) verraten würde,
« rund um die Seele herum » geschrieben. Der Gedankengang berührt an einer denkwürdigen Stelle den Tastsinn. [29] Es wird womöglich verwundern, dass eine der ersten überlieferten philosophischen Erörterungen dieses Sinns
den Nachweis zu erbringen sucht, dass der Berührung ein
unauf hebbarer Abstand eingeschrieben ist. Aristoteles
bestreitet, dass taktile Empfindungen sich im unmittelbaren
Kontakt mit dem Objekt herstellen. Denn sensorische Reize
werden den Sinnenorganen durch ein Medium ( μεταξὺ [30] )
vermittelt. Aristoteles argumentiert, dass beim Sehen, Hören
und Riechen eine direkte Berührung des Organs mit dem
Wahrnehmungsobjekt keine Sinnesempfindung entstehen
lässt [31], woraus auf die Notwendigkeit der Existenz eines
Mediums geschlossen werden kann, durch das hindurch der
Reiz an die Sinnesorgane vermittelt wird – beim Sehen,
Hören und Riechen sind es Luft und Wasser. Analoges
müsste sich auch vom Tasten und Schmecken behaupten lassen. Was diese letzteren Sinne betrifft, muss Aristoteles aber
das Argument entkräften, dass man aus dem Umstand, dass
beim Tast- und Geschmackssinn die « Wahrnehmung zugleich
mit der Berührung » stattfindet (« τὸ γίνεσθαι τὴν αἴσθησιν
ἅμα θιγγανομένων »), folgern kann, dass das « Sinneswerkzeug » (« αἰσθητήριον ») in diesen Fällen « direkt das Fleisch »
(« εὐθέως ἡ σάρξ ») ist, und die Empfindungen nicht durch
ein « Medium » bzw. über einen « Zwischenraum » hinweg
zustande kommen. Deshalb hält er seine Leser an, sich den
Leib mit einem « Häutchen » (« ὑμήν ») umspannt vorzustellen. Ganz offensichtlich würde auch dann eine « Berührung »
unmittelbar zu einer Sinnesempfindung führen, das Medium
oder Zwischenglied würde « direkt die Wahrnehmung anzeigen » (« εὐθέως ἁψάμενος ἐνσημαίνει »). Also steht der
Annahme nichts im Wege, dass das « Fleisch » (« σάρξ ») im
Berührungsakt selbst schon ein solches Medium ist und dass
es sich bei diesem « Körperteil » so verhält, « wie wenn die
Luft rings um uns herum angewachsen wäre / ὥσπερ ἂν εἰ
κυκλῳ ἡμῖν περιεπεφύκει ὁ ἀήρ ». [32] Dieser Vorstellung
gemäß liegt das « Wahrnehmungsvermögen des Tastbaren »
im Inneren des Körpers – « ἐντὸς τὸ τοῦ ἁπτοῦ αἰσθητικόν »,
lautet das Ergebnis [33] – und ist durch dessen Oberfläche,
durch die Haut oder das « Fleisch » von seinen Gegenständen
getrennt. Hätte Aristoteles’ Schrift den Selbstberührungsakt
analysiert, hätte sie weder Unmittelbarkeit noch Koinzidenz
in ihm zu finden vermocht, ein im Körper lokalisiertes technisches Hilfsmittel ( wie der Spiegel bei Husserl ) annehmen
müssen, durch das hindurch oder mit dessen Unterstützung
der Körper allein sich spüren kann. Mit Aristoteles ist uns
schon die Aufgabe gestellt, Differenz und Alterität in den
intimsten körperlichen Kontakten zu denken. [34] Unter diesen theoretischen Auspizien berühren wir in der taktilen
Autoaffektion nur einen untilgbaren Abstand zu uns selbst,
und wir berühren an oder in uns selbst den Zwischenraum
(μεταξὺ), der uns von allen Dingen trennt, kommen wir mit
Aristoteles doch dahin, uns rundum mit der Luft verwachsen zu wähnen …
Eine Vorstellung, die den theoretischen Rahmen der
autoaffektiven, Distanz und intime Nähe verschleifenden
Sinnesempfindung, die Thomas Hardys Jude in der Dämmerung auf dem Dach der Scheune macht, abgeben könnte. Richard Shiff hat auf die paradoxe Räumlichkeit der
aristotelischen Auffassung von Berührung hingewiesen
und mit Walter Benjamins Konzept der « Aura » verknüpft,
das dieser bekanntlich als das « einmalige Erscheinen einer
Ferne, so nah sie auch sein mag » [35] definierte :
« Ever so close yet preserving its distance, the sense of
touch is auratic. Close but distant, like but unlike : such is
the paradox of all sense and all representation, a
paradox perhaps most evident in the experience of
touch. For the sense of touch evades its own grasp;
it cannot touch or know itself. The fingers and the skin
feel sensation, yet ‹ touch › is somewhere other.» [36]
Fern- und Nahsinne verschränken sich in dieser Konzeption
des Tastens. Im Rekurs auf die Anfänge der Philosophie des
Tastsinns gelangt man schließlich zu einem Verständnis von
Taktilität, das, in dem Maße wie es die Sonderheit dieses
Sinns ( als Nahsinn etwa, oder als präsentischer Sinn ) in
Frage zieht, ein Modell der Sinneserfahrung nahe legt, das
die Struktur und Logik aller Sinne berühren würde und
geeignet sein mag, ihre festgeschiente Ordnung endgültig
aus dem Gleis zu werfen.
10
11
25 Michel Serres, Die fünf Sinne. Eine
Philosophie der Gemenge und Gemische,
Michael Bischoff ( Übers.), Frankfurt a. Main
1999, S. 18f.
26 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ),
zur Bevorzugung der Hand bei Kant : S. 53ff.; bei
Maine de Biran : S. 172ff.; bei Husserl : S. 183ff.
27 Serres, Die fünf Sinne (wie Anm. 25),
S. 19.
28 Ebd.
29 Siehe dazu auch den Beitrag von Mladen
Dolar in diesem Heft.
30 Aristoteles substantiviert das Adverb
μεταξὺ ( in der Mitte, dazwischen ) : τὸ μεταξὺ
ist das Dazwischen, der Zwischenraum.
31 Vgl. Aristoteles, Über die Seele, Horst
Seidl ( Hg. u. Übers.), Wilhelm Biehl / Otto Apelt
( Edition d. griech. Textes ), Hamburg 1995,
S. 102 / 103, Buch 2, Kap. 7, 419a.
32 Ebd., S. 124 / 125f., Buch 2, Kap. 7, 423a.
33 Ebd., S. 130 / 131, Buch 2, Kap. 7, 423b.
34 Diesen Punkt hebt auch Jean-Louis
Chrétien in seinem Aristoteles und der
aristotelischen Tradition verpflichteten Versuch
über die Berührung hervor und spricht in Bezug
auf die These der Medialität des Tastens von
einer « inneren Verschleierung des Phänomens » :
das, wodurch das Berühren ausgeübt werde,
bleibe unberührbar, vgl. Jean-Louis Chrétien,
L’appel et la réponse, Paris 1992, S. 108. Dort
heißt es auch, dass der theoretische Irrtum derer,
die das Berühren für unmittelbar hielten, auf
seiner eigenen phänomenologischen Verdunkelung beruhe, vgl. ebd., S. 106. Derrida hat in
seinem Buch über die Berührung diesem Text
ein ganzes Kapitel gewidmet, siehe : ders., Le
toucher ( wie Anm. 7 ), Kap. 11, « Tangente V »,
S. 273–329.
35 Benjamin, Das Kunstwerk
( wie Anm. 5 ), S. 479.
36 Richard Shiff, « On Passing Through
Skin : Technology of Art and Sensation », in :
Public 13 ( 1996 ), S. 26.
37 Das war schließlich schon eine
Implikation der aristotelischen Definition des
taktilen « Sinneswerkzeugs » als « Fleisch » – koextensiv mit dem Leib, vgl. Derrida, Le toucher
( wie Anm. 7 ), S. 67.
38 Vgl. Friedrich Schiller, « Über die
ästhetische Erziehung des Menschen in einer
Reihe von Briefen », in : Wolfgang Riedel ( Hg.),
Sämtliche Werke, Bd. 5, München / Wien 2004,
S. 657; vgl. dazu auch : Claudia Benthien, Haut.
Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 234f.
39 Zum Umschlagen des Griffs in
Ergriffenheit in der Tastkultur des 18. Jahrhunderts siehe den Beitrag von Juliane Vogel im
diesem Heft.
40 Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ),
S. 121.
41 Vgl. ebd., S. 122.
42 Siehe Jacques Derrida, Marges de la
philosophie, Paris 1972.
43 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ),
S. 225.
44 Vgl. z.B. ebd., S. 301f. u. 318.
45 Ebd., S. 249.
46 Vgl. Jacques Derrida, Politik der
Freundschaft, Frankfurt a. Main 2002, S. 17ff. Die
soziale Figur einer Berührung oder Kommunion
im Zwischenraum verbindet sich auch mit Klaus
Theweleits Konzept des « dritten Körpers », siehe
dazu Theweleits Beitrag in diesem Heft und
außerdem den Vortrag in der Reihe « International Flusser Lectures » : Übertragung. Gegenübertragung. Dritter Körper. Zur Gehirnveränderung
durch die Medien, Köln 2007.
47 Siehe : Jean-Luc Nancy, La communauté
désœuvrée, Paris 1983. Zu Nancys politischer
Philosophie siehe auch : Mladen Gladić ,
« Todeswerk. Jean-Luc Nancys Kritik der
‹ immanentistischen › Gemeinschaft », in : 31. Das
Magazin des Instituts für Theorie, 10 / 11, 2007,
S. 35–39.
48 Vgl. Derrida, Le toucher ( wie Anm. 7 ),
S. 67.
IV
Die Annäherung an das Tasten scheint mit Notwendigkeit
zu einem Punkt zu führen, an dem
sich kein « Punkt » machen lässt : Die
Feststellung der Tastempfindung, dieser scheinbaren punktuellen Koinzidenz, gelangt immer wieder an eine
Grenze, an der sie sich schlussendlich
wieder entzieht – « yet ‹ touch › is somewhere other ». Es steht dahin, ob solche
Annäherungen dem « Wesen » des
Phänomens näher kommen. Vielleicht
wird man es nur – in gleich bleibender Entfernung – umkreist haben. Es
könnte gut sein, dass sich dies nicht
anders verhalten kann. Der Tastsinn
wäre dann in jeder Hinsicht als liminaler Sinn zu bestimmen : Als ein Sinn,
der sich an den Grenzen des Leibes
und der anderen Sinne lokalisiert, der
in jedem Wahrnehmungsakt an seine
Grenze ( der Medialität, in der er sich
entzieht ) rührt und nur von seinen
Rändern her zu fassen ist – in einer
Denkbewegung, die eine Abhandlung
vollziehen müsste, die den aristotelischen Titel Peri haphēs / Rund um den
Tastsinn haben und im buchstäblichen Verstand beherzigen müsste.
Das Tasten wäre dann nicht von
den anderen Sinnen abzugrenzen,
sondern über die Grenzen der anderen Sinne, ja als ihr limes zu bestimmen : Jedes Sinnesorgan ist haptischer
Empfindungen fähig, ist ein Tastorgan. [37] Das zeigt sich zunächst literaliter, wo ein Wahrnehmungsgegenstand dem Sinnesorgan zu nahe
kommt, und nicht, wie es bei Aristoteles heißt, keine, sondern eine Tastwahrnehmung hervorruft. Das wäre
so, wenn uns etwas buchstäblich in
die Augen stäche. Es wäre aber auch
so, wenn das nur figuraliter geschähe.
Es kommt gewisslich nicht von ungefähr, dass wir die besondere Intensität einer Empfindung in taktilen
Metaphern zum Ausdruck bringen :
ein schneidendes Geräusch, ein beißender Geruch usf. Man sollte diese
Sprachbilder nicht so sehr als Anzeichen irgendeiner basalen Synästhesie
unseres Empfindungsvermögens nehmen, sondern eher als Hinweis darauf
bedenken, dass die gesteigerte Gewalt
von Sinnesreizen immer in ein haptisches Register umzuschlagen droht,
wenn uns etwas – gehört, gesehen,
gerochen – zu nahe geht und uns zu
ergreifen beginnt …
Und man müsste auch jeden Versuch, Taktilität terminologisch einzugrenzen – indem man etwa auf einer
Unterscheidung zwischen wörtlichem
und figurativen Ausdruck beharrt –
aufgeben und durch einen Gedankengang ersetzen, der das gesamte Begrif fsfeld taktiler Empf indungen
durchquert und nicht einhält, bevor
er an seinen extremsten Polen die
Zweideutigkeit jeder Grenzziehung
aufspürt. Ein Versuch, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, könnte
ergeben : Tasten, Rühren, Streifen,
Fühlen, Spüren, Streicheln, Küssen,
Kosen – wovon man unversehens
gelangt zum : Kneifen, Grapschen,
Beißen, Fassen, Greifen, Stoßen …
Pole lassen sich hier schnell ausmachen. Zum einen ein sanfter, vorsichtiger, prozessualer, passivischer Modus, den man als eigentlichen Modus
des Tastens von alt her zu isolieren
bestrebt war und den das patriachale
Denken gerne als « weibisch » abgetan
hat. Sich voranzutasten, heißt sich auf
unsicherem Terrain zu bewegen, sich
langsam Schritt für Schritt orientieren zu müssen; wer sich vorantasten
muss, wird unwillkürlich an Dinge
geraten, Eindrücke erleiden … Für
Schiller ist jede taktile Empfindung
eine erlittene « Gewalt ». Der « Takt » gehört den « tierischen Sinnen » an, den
« Sinnen des Gefühls », die mit Bestimmtheit von den « Sinnen des Scheins »,
Sehen und Hören, zu scheiden sind, welche die « andringende Materie schon hinweggewälzt » haben und im freien Spiel
formen, was sie wahrnehmen. [38] Dem
ist unter Verweis auf den anderen, aktiven, « männlichen » Pol des begrifflichen Feldes natürlich entgegenzuhalten, dass das Tasten ebenso aktiv in
die Welt hinausgreifen kann wie die
Distanzsinne : Im Zugriff liegt das
Objekt in der Hand und ist uns zu
Willen und schon zu Eigen vielleicht.
Die Finger umschließen es, spüren es
nicht nach und nach, sondern simultan. Und das, was wir ergreifen, halten wir uns vom Leib, setzen es in
eine Distanz, die an ein theoretisches
Verhältnis zu denken nahe legt : Wer
etwas im Griff hat, hat es wohl schon
auch begrif fen. Solche Fälle der
Berührung scheinen das herrschaftliche und gewalttätige Prinzip des
Gesichtssinns schon einzubegreifen.
Wenn man aber bedenkt dass wer
begreift, es tunlichst meiden muss,
ergriffen zu sein, und sich den sinistren Doppelsinn in Erinnerung ruft,
den Canetti im Blick auf die von Berührungsfurcht erfassten modernen
Massen dem Angreifen beigelegt hat,
wird man zugeben müssen, dass die
beiden Pole im Begriffsfeld der Berührung untergründig miteinander
kommunizieren und die zwei Modi
des Haptischen stets ineinander umzuschlagen drohen. [39]
Man soll aber nicht einwenden,
dass eine Unterscheidung zwischen
eigentlichen und übertragenen Wortbedeutungen in diesem Feld die Ordnung wieder herstellen könnte. Jacques Derrida kommt in seinem Buch
über die Berührung immer wieder
auf den Punkt zurück, dass die Figuralität des Haptischen, die überall
und so leicht ins Spiel kommt, nie eindeutig von etwas, was eine « reale »
oder buchstäbliche Berührung wäre,
geschieden werden kann. In JeanLuc Nancys Texten, die dort Derridas
Schreibanstoß und -gegenstand sind,
spielt das Verb « toucher » eine hervorragende Rolle. Von der Philosophie
lesen wir bei Nancy immerzu, wenn
ihre entscheidenden Bewegungen
zur Rede stehen, dass sie an Grenzen
« rühre ». Jemandem, der hier einwenden wollte, dass dies nur figuraliter
geschehen könne, gibt Derrida hingegen zu bedenken :
« Mais inversement, et c’est le destin
de cette figuralité, on ne touche
jamais qu’une limite. Toucher, c’est
toucher une limite, un surface,
un bord, un contour. Même si on
touche un dedans, ‹ au-dedans ›
de quoi que ce soit, on le fait selon
le point, la ligne ou la surface,
la frontière d’une spatialité exposée
au dehors, offerte, justement,
sur sa bordure, au contact.» [40]
Nancys Denken der Berührung lässt
den Begriff unentscheidbar zwischen
wörtlichem und bildlichem Sinn, an
ihrer unentscheidbaren Grenze
gleichsam, schweben. Er beharrt dar-
auf, dass man einzig per f iguram
berühren kann, und gibt das « Berührbare » als etwas zu verstehen, das zu
berühren im Letzten unmöglich ist. [41]
Derridas umfangreiches Buch
über Nancy ist in mindestens zwei
Aspekten selbst Versuch, eine Grenze
zu berühren. Zuerst: Das Nachdenken
über das Berühren bei und über Nancy
war, wie der Titel, Le toucher, Jean
Luc Nancy, konnotiert, auch der Versuch, ihn zu berühren. Primär freilich
im Denken. Der Philosoph, der in einem
frühen Buch seine Disziplin an ihre
« Ränder » getrieben hat [42], versucht in
der Lektüre eines Kollegen, dessen kardinale Denkfigur und Metapher das
Entlanggehen an einer Grenze ist, eine
Randzone seines eigenen theoretischen
Schreibens aufzusuchen, um dort mit
Nancy ein Stück Weges gemeinsam
zurückzulegen – um ( « au cœur du
toucher » ) eine « partage » herbeizuführen : « comme participation et comme
partition, comme continuité et interruption ». [43] Allerdings spielt Derridas Text auch immer damit, Nancy als
Menschen und Freund zu berühren,
und setzt sich dabei stets der Gefahr
aus, ihm zu nahe zu treten ( wie etwa in
den zahlreichen Anspielungen auf dessen Herztransplantation : das zweite,
fremde Herz in dessen Brust ist Paradigma der Alterität im « Herzen » der
Berührung ). [44] Die Erfahrung der
Berührung ist damit immer auch in die
Nähe eines Modells der sozialen Beziehung gerückt, die sich als Begegnung
an einer gemeinsamen Grenze, als
Kommunion in der Trennung bestimmt:
« Partage sans fusion. Communauté
sans communauté, langage sans communication. Être-avec sans confusion. » [45] Jedoch wirft die Frage, wie
man vom Zusammensein zweier Freunde, die sich im irreduziblen Abstand,
der sie trennt, tangieren, zu einer
Gemeinschaft vieler gelangt, ein Problem auf, zu dem sich Derrida skeptisch
geäußert hat [46], während Nancy in
seinem Versuch über die « entwerkte
Gemeinschaft » die Zwei und die Vielen
a limine zusammengedacht zu haben
scheint. [47]
Le toucher, Jean Luc Nancy ist
schließlich wohl ein Grenzgang auch,
weil Derridas theoretischer Diskurs
in diesem Buch an vieles wieder zu
rühren beginnt, wovon sich sein Denken anfänglich vehement abgestoßen
hat. Zum einen werden im Kreisgang
der Gedanken quasi Konturen greifbar, welche die Position eines Subjekts jenseits der Sprache umreißen
könnten; zum anderen gerät die Argumentation, und das liegt freilich in
der Logik des Sujets der Berührung,
unablässig in Fühlung mit Instanzen
des Präsentischen. Wie immer, um
sie zu « dekonstruieren », hier aber –
und dies ist freilich ebenso der Logik
des Themas geschuldet – im Zuge
eines Denkweges, der sich der Grenze, « à laquelle ou depuis laquelle une
présentation s’annonce » [48], immer
wieder tangential annähert. Als Spezialfrage einer Derrida- oder NancyInterpretation müsste dies uns hier
nicht bekümmern. Allerdings : Die
erneute Aufmerksamkeit, die der Frage der Taktilität gegenwärtig entgegengebracht wird ( und die freilich
mit dafür verantwortlich ist, sie hier
aufzuwerfen ), ist in einem intellektuellen Klima entstanden, in dem man
eine « Krise » des Konstruktivismus und
Dekonstruktivismus gerne konstatiert; in dem man den anspruchsvollen Denkfiguren des Poststrukturalismus, Figuren des Aufschubs und
Entzugs, mit zunehmender Ungeduld
begegnet und sie gerne verabschiedet
hätte – im Namen einer Rückkehr zum
« Realen », zur « Präsenz » oder zur « Evidenz », im Zuge einer « Wende » im Zeichen des « Bildes » oder der « Performanz » etc. In diesen Zusammenhängen
ist es durchaus von großem Interesse,
dass der späte Derrida es für notwendig
hielt, der Unmittelbarkeit des Tastens
nachzugehen, und dabei, wie ich vermute, die Grenzen markiert hat, bis zu
denen sich solche Rückkehrbewegungen vorwagen können, ohne hinter das
Niveau des Denkens, dessen « Krise » sie
begegnen wollen, zurückzufallen.
— STEFAN NEUNER
12
15
Die Historiographie der neueren Kunstentwicklung trägt oft einen ideologiekritischen Akzent. Kunstwerke werden gerne
als Reflexe der politischen, ökonomischen oder technologischen Veränderungen gesehen, welche die Gesellschaft,
aus der sie hervorgehen, bestimmen. Die
Privilegierung eines optisch-spekulären
Verstehensmodells scheint in der Natur
solcher Diskurse zu liegen. Es kann
ausreichen, ein Bild der kapitalistischen
Alltagskultur in einem Kunstwerk wiederzuerkennen, um auf seinen affirmativen Charakter zu schließen. Dass man
zu ganz anderen Folgerungen gelangen
kann, wenn man bei der Erfahrung
ansetzt, die ein individueller Körper mit
solchen « Abbildern » macht, ist eine
Behauptung, die Richard Shiff im folgenden Beitrag vertritt. Der Text spannt
einen weiten Bogen, der von haptischen
Aspekten der Bedienung von Schaltern,
Tasten und Druckknöpfen über Walter
Benjamins Auseinandersetzung mit den
technologischen Umwälzungen seiner
Zeit bis zur Kunst der 1960er Jahre
reicht. Dabei zeigt sich, dass die taktile
Dimension der Erfahrung, die im Modernisierungsprozess zusehends zurückgedrängt wird, eine Ressource bleibt,
die – nicht zuletzt in der bildenden
Kunst – gegen die Mechanismen der
Ideologie mobilisiert werden kann. In
einer überraschenden Verschaltung eines
phänomenologischen Analysemodells mit
Benjamins Aura-Konzept entwirft Shiff
zugleich eine Theorie ästhetischer
Erfahrung, die ausgeht von Taktilität als
einem Paradigma der Sinneserfahrung,
und es erlaubt, das Verhältnis von Fernund Nahsinnen, Sehen und Tasten,
Bildlichkeit und Körperlichkeit als paradoxe Verschränkung zu denken. ( sn )
Richard Shiff
Durch die
Haut hindurch
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1 Vgl. Walter Benjamin, « Über einige
Motive bei Baudelaire » ( 1939 ), in : Rolf
Tiedemann / Hermann Schweppenhäuser ( Hgg.),
Gesammelte Schriften, Bd. 1.2, Frankfurt a. Main
1974, S. 630.
Schalter
Wir alle werden, je nachdem wo und auf welcher technologischen Entwicklungsstufe, in eine Welt hinein geboren,
die uns eine bestimmte Reihe von Werkzeugen, Geräten
und Praktiken zur Verfügung stellt. Die verschiedenen
technologischen Veränderungen verlaufen und überschneiden sich auf so komplizierte Weise, dass jeder Versuch herauszufinden, wie sie ein einzelnes Leben – dein Leben –
beeinf lussen, genauso schwierig ist wie eine klare
Bestimmung des Einflusses und der Folgen einer Ideologie.
Die Ideologie, in die wir hineinwachsen, formt uns wie viele andere Menschen, die denken und handeln wie wir, weil
uns die gleiche Kultur prägt, als wäre sie ihre wie unsere
Natur. Technologien und Ideologien wirken zusammen.
Als die vergesellschafteten Wesen, die wir sind, fällt es uns
nicht leicht, uns ein Leben ohne bestimmte, althergebrachte Ordnungssysteme, unsere zweite Natur, vorzustellen :
Errungenschaften wie schriftliche Aufzeichnung, Zeitmessung oder Ackerbau. Diese Technologien erleichtern die
Sozialplanung und erlauben politischen Einheiten zu
expandieren und ihren Ideologien sich zu verbreiten.
Wäre es zutreffend, wenn ich die Kernenergie ( besonders ihr großes destruktives Potential ), die Telekommunikation ( die grenzenlose Verbreitung von Information ) und den Mikrochip ( die schnelle Verarbeitung von
Daten und das Programmieren von Arbeitsabläufen ) als
die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierenden
Kräfte in den technologischen Veränderungen innerhalb
der Gesellschaft, in der ich lebe, identifizierte ? Wie verändert sich, als Reaktion auf sie, ein Individuum ? Manche
Theorien implizieren, dass dadurch auch ich globalisiert
worden sein muss. Vielleicht kann man die Telekommunikation und den Mikrochip mit ihren das Leben bestimmenden und global standardisierenden Auswirkungen in
ihrer Bedeutung mit den frühen mechanischen Uhren vergleichen oder, geht man noch weiter zurück, mit der Einführung der Schrift, einem besonders effektiven Mittel,
einer Gesellschaft Verhaltensregeln aufzuerlegen. Wenn
also der elektromechanische Computer innerhalb meines
Lebens die Gesellschaftsverhältnisse, in denen ich lebe,
verändert hat, wie, so dies der Fall ist, hat er mich verändert ? Er bestimmt jetzt weitgehend meinen Tagesablauf,
jedoch lebte ich in den prägendsten Jahren meiner Entwicklung ohne ihn. Hat er nur die Quantität der Information, die ich empfange, verändert oder auch die Qualität ?
Und wenn ja, auf positive oder auf negative Weise ?
Meine persönlichen Erinnerungen und Urteile müssen in
diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Es gibt Historiographien, die ihr Hauptaugenmerk nicht auf Individuen
richten, sondern das Leben des Einzelnen durch eine allgemeine kulturelle Schablone geformt sehen. Politikhistoriker, Ökologen, Ethnologen und Sozialwissenschaftler
vernachlässigen gewöhnlich die Details eines historischen
Moments oder einer Örtlichkeit. Wenn Technologie mit
einbezogen wird, berücksichtigen sie einschneidende Veränderungen : Bewässerung, Metallverarbeitung, Elektronik, Biotechnik. Ein bedeutender Moment in der technologischen Entwicklung kann sehr wohl die Erklärung für
den Aufstieg, den Niedergang oder die Neuausrichtung
einer Kultur sein.
Ein anderer Historikertyp – der Denker Walter Benjamin wird mein Beispiel sein – hält seine Untersuchungen
in einem intimen Rahmen und leitet dennoch Implikationen ab, die von Generalisten anerkannt werden. Benjamins
gelegentliche Bemerkungen über einen Fortschritt in der
Telefontechnik sind ein typisches Beispiel. Er zog ein Detail
des Alltagslebens heran, um die Bedingungen der Moderne, wie sie in den 1930er Jahren erfahren wurden, zu
beschreiben. Benjamin war von dem Gefühl, das die Bedienung des Wählscheibentelefons in ihm hervorrief, betroffen; den Hörer abzunehmen, eine « abrupte » Handlung,
bedeutete schon, quasi unmittelbar, den Vorgang des Anrufens auszulösen. Dieses neuartige Telefon unterschied sich
vom älteren, mit der Kurbel betriebenen Modell, bei dem
eine graduelle, « stetige Bewegung » nötig war, um es in
Gang zu setzen. [1] Auf den neuen Apparat umzuschalten –
eine Umstellung, die der Denker selbst erlebte, eine Wendemarke für seine Generation, wie es der Tastenwahlapparat oder das Tonwahltelefon für meine war – stellte mehr
als nur einen Fortschritt in den zwischenmenschlichen
Kommunikationsmöglichkeiten dar. Der neue Sinneseindruck des « Wählens » entfernte die bestehende Telefontechnologie noch weiter von einer Koordination mit
Körperbewegungen, wie sie mit älteren technischen Praktiken verbunden war. Ein Telefon anzukurbeln erinnert an
das Ankurbeln eines Automotors, und darüber hinaus daran, wie man Wasser aus einem Brunnen heraufwindet. Das
« Wählen » entkoppelte die körperliche Erfahrung der
Bedienung noch weiter von der technischen Funktionsweise des Telefons und schuf ein bis dahin unbekanntes Körpergefühl. Diese Veränderung trug das Potential in sich,
den Menschen als Lebewesen, verstanden als Bündel von
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Empfindungen, die eine komplexe Psychologie durchlaufen müssen, umzuformen. Wie sich die neue Technik
anfühlte, das sollte nicht nur kaum Rückschlüsse auf ihre
eigentliche Funktionsweise erlauben, die Schnelligkeit und
spezielle Art der Telefonverbindung sollte die Grundfesten
der individuellen Wahrnehmung natürlicher Lebensrhythmen erschüttern. Wenn Benjamins Betrachtungen über
das Telefon heute eigenartig wirken, so liegt das nur darin
begründet, dass der gegenwärtige Standard, das Tastenmodell, noch disruptiver ist. Verglichen mit der Tonwahl
erscheint das Wählen nicht mehr « abrupt », sondern geschmeidig und kontinuierlich wie das Kurbeln – eine
Kehrtwende in seiner phänomenologischen Bedeutung.
Telefonapparate und ihre unterschiedlichen Schaltmechanismen – von Hand im Fall des Kurbelns und der
von Telefonistinnen bedienten Zentrale, automatisch im
Fall des Wählscheibenapparats – führen mich zur grundlegenden Betrachtung von unterschiedlichen Schaltertypen.
Kinder der Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts
begegnen Schaltern als elementare Einrichtung einer typischen häuslichen Umgebung. Als Kind erkannte ich, dass
der binäre Ein-Aus-Charakter von Schaltern ( wie bei den
meisten Arten von Lichtschaltern ) einer grundsätzlichen
mechanischen Gegebenheit entspricht, die man als Stoßen
und Ziehen erfährt. Ein Kippschalter wird entweder hochgestoßen oder niedergedrückt ( oder « umgeschaltet » oder
« an- bzw. ausgeknipst » ); eine Variante, der Drehschalter,
wird entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn gedreht. [Abb. 1] Bei der Bedienung der echten Alternative
zum Kippschalter, beim Tastenschalter, drückt man hinein,
und dann, um den Vorgang rückgängig zu machen, drückt
man noch einmal und löst den Knopf, damit er seine
ursprüngliche, hervorstehende Position wieder einnehmen
kann – oder man drückt einen zweiten Knopf, der den ersten zurückspringen lässt wie beim dualen Tastenlichtschalter. Einige elektronische Geräte, wie Autoradios aus der
Mitte des 20. Jahrhunderts, haben eine MehrfachwahlFunktion : jeder Knopfdruck hebt den zuletzt erfolgten
Bedienungsvorgang auf und leitet zugleich einen neuen
ein. So wurde ein analoges Radioband digital kontrolliert.
An einem bestimmten Punkt in der jüngeren Technikgeschichte wurden elektromechanische und elektronische Schalter gebräuchlicher als rein mechanische. Ich
muss diese Umstellung miterlebt haben, aber nicht als
eine unvergessliche persönliche Offenbarung. Als Ergebnis dieser technischen Veränderung sollte der « Taster »,
ein « monostabiler » Druckschalter ( im Gegensatz zum
« bistabilen » mit zwei Schaltpositionen, « Ein » oder « Aus » ),
eigentlich eine spezifische kulturelle Bedeutung erlangt
haben, denn der Druck auf den Taster aktiviert einfach
irgendeinen Vorgang, der den vorangegangenen umkehrt
oder irgendetwas initiiert, das in einer vorprogrammierten Sequenz folgt. Bei diesem Schaltertyp gibt es keine
mechanische oder räumliche Orientierung, die « Ein » von
« Aus » unterscheidbar machen würde. Keine mechanische
Barriere muss überwunden werden, um vom einen
Zustand ( « Ein » ) zum anderen ( « Aus » ) zu gelangen; die
zwei Zustände folgen wie willkürlich aufeinander. Manche dieser monostabilen Schalter werden statt Taster
( push-push switches ) sachgemäßer Betriebsschalter
( engage-release oder push-to-make switch ) genannt; sie
haben unterscheidbare « Rein »- und « Raus »-Positionen,
die « Ein » und « Aus » entsprechen, aber ihre Aktivierung
bedarf einer konstanten Betätigung ( wie Shift und Ctrl
auf einer amerikanischen Standard-Computertastatur ).
Andere Betriebsschalter verursachen nur eine Veränderung der ihnen zugewiesenen Funktion und sind so konstruiert, dass sie ihren Ausgangsstatus sofort wieder einnehmen ( Caps Lock und Num Lock ). Wieder andere
Taster werden durch Berührung aktiviert und müssen
dabei überhaupt nicht bewegt werden : eine Berührung
initiiert die Funktion; eine zweite Berührung kehrt diese
Funktion um oder wechselt zu einer weiteren Funktion.
Ein Tastenschalter, im Besonderen der monostabile
Typus mit einer einzigen Position, passt sehr gut ins Zeitalter von Semiologie und Simulacrum, denn seine Bedienung kennt weder Ursprung, Grund noch eine fundamentale Orientierung. Er stellt nichts her als Differenz. Steigt
man in das System dieses Schalters ein, während es in
einem « An »-Modus ist – nicht in einer räumlichen oder
zeitlichen Position ( oben / unten; rechts / links; drin /
draußen; vorher / nachher ), sondern in einem Modus ( ein /
aus; positiv / negativ ) –, dann kann eine Betätigung in Bezug auf den Ausgangsstatus nur den « Aus »-Modus herbeiführen. Die Vorrichtung selber wie auch ihre Bedienung
steht eher für den Vorgang « Veränderung » oder für « Alternative » als für eine bestimmte Veränderung.
Die Erfahrung der Bedienung eines Tastenschalters
desorientiert den Körper, indem sie ihn von den physikalischen Konsequenzen seiner Handlungen entfernt –
dieselbe Bewegung, ein zweites Mal angewandt, ruft das
gegenteilige Resultat hervor. Das unterscheidet sich
grundsätzlich davon, einen Hebel nach links zu kippen,
um eine Kippung nach rechts rückgängig zu machen. Ein
anderer Typus elektromechanischer Geräte, der Wärmeschalter, verwirrt das Gefühl, das der Körper von seinem
physikalischen Potential hat, noch mehr. Die meisten von
uns assoziieren Schalter weiterhin mit Berührung, Druck
oder der Ausübung einer bestimmten kleinen Kraft. Das
Betätigen eines Schalters verbinden wir mit den allgemeinsten Erfahrungen von Gewicht, Impuls, Widerstand
und Schwerkraft. Wärmeempfindliche Bedienungsabläufe verblüffen, weil bei ihnen keinerlei Druck erforderlich
ist. Sie verlangen einen anderen, gewöhnlich passiven,
obgleich bei jeder menschlichen Berührung involvierten
Faktor : Körpertemperatur. Wärmeempfindliche Schalter
werden oft in Aufzügen benutzt, wo sie eher aufleuchten
als sich bewegen, wenn sie berührt werden. Das Aufleuchten zeigt nur an, dass die « Berührung » oder der Befehl
registriert wurde. Dieses visuelle Signal ist arbiträr; an
seiner Statt könnte auch ein Ton erklingen. Doch bedarf
es irgendeines supplementären sensorischen Signals, weil
man sonst nicht bemerken würde, dass ihre Berührung
die gewünschte Wirkung hatte.
Man wird sich dieser Art Berührung im negativen Sinn
bewusst, wenn sie in seltenen Fällen wirkungslos bleibt:
Drückt man an einem besonders kalten Tag den Knopf im
Aufzug mit angezogenem Handschuh, verhindert der kühle
Handschuh, dass die Körperwärme die äußerste « Haut »
der Hand ( in diesem Fall die Oberfläche des Handschuhs )
erreicht. Die Berührung leitet zu wenig Wärme weiter, um
registriert zu werden. Infolgedessen leuchtet der Druckknopf nicht auf; und der Aufzug setzt sich nicht in Bewegung. Eine solche Erfahrung hat zur Folge, dass man sich
plötzlich substanzlos und unfähig fühlt, eine physische Spur
zu hinterlassen. In diesem außergewöhnlichen Fall entmaterialisiert der wärmeempfindliche Schalter die lebendige
Erfahrung der Berührung; aufgrund eines irrigen ( aber
gerechtfertigten ) Gefühls, dass der Körper alles Gewicht
und jede Befähigung, Druck auszuüben, verloren hätte,
scheint er den Leib seiner Körperlichkeit zu berauben. Das
analytische Denken widerspricht deinem inneren Körpergefühl, das ja weiterhin das Gewicht des Leibes registriert.
Den Knopf stärker zu drücken, verändert nichts. Das Problem liegt in der behandschuhten Hand, deren Oberflächentemperatur weit unter die übliche Höhe abgesunken ist.
Unter diesen Umständen verliert der Körper sein Druck- und
Einflussfeld – nicht seine Ideologie, sondern seine Aura. [2]
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2 Wärmeempfindliche Schalter reagieren
natürlich auf Atemwärme wie auf Körperwärme;
sie reagieren, mit anderen Worten, auf die
signifikantesten Lebenszeichen – Atem und
Körperwärme, ganz im Unterschied zu Gewicht,
das auch totes Gewicht sein kann.
3 Marcel Proust, Im Schatten der jungen
Mädchen, Walter Benjamin / Franz Hessel
(Übers.), Frankfurt a. Main 1987 ( = Benjamin,
Gesammelte Schriften, Hella Tiedemann-Bartels
( Hg.), Suppl. II ), S. 25. Franz Hessel arbeitete
gemeinsam mit Benjamin an der Übersetzung,
die 1927 erschien.
Entsprechung
Eine Verbindung – nicht mehr und nicht weniger arbiträr
als die Schalterwirkung – kann zwischen der Körpertemperatur und Walter Benjamins Konzept der Aura hergestellt werden, die er mit der Integration von Geist, Körper
und Kultur in herkömmlichen Gesellschaften in Zusammenhang brachte. Benjamin bemühte sich zu verstehen,
wie sich menschliche Werte in einem Zeitalter rasanter
technologischer Fortschritte, die nicht nur die materielle
Bedeutung der Dinge, sondern auch die Beziehung zwischen Objekten und ihren Bildern veränderten, fortentwickeln. Die Auswirkungen der Photographie und des Films
als neue Mittel der Reproduktion und Verbreitung von Bildern hatten im kommerziellen Bereich der Nachrichtenund Unterhaltungsindustrie, in dem die Massenmedien –
Zeitungen, Kino, Radio – an die Stelle von Literatur und
Theater traten, viele Parallelen. Das alles waren Phänomene, die Benjamin beschäftigten.
Als Benjamin in der Mitte der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts an der deutschen Übersetzung von
Im Schatten der jungen Mädchen, des zweiten Bandes von
Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit,
arbeitete, hatte er Gelegenheit, über einfache optische
Geräte und wie sie die menschliche Perspektive neu ausrichteten, nachzudenken. Man betrachte diese Passage aus
Prousts Text, in der der junge Marcel davon berichtet, wie
er eine Theatervorstellung mitverfolgte:
« Ich sagte meiner Großmutter, ich sähe nicht gut. Sie gab
mir ihr Opernglas. Allein, wenn man an die
Wirklichkeit der Dinge glaubt, gibt der Gebrauch eines
künstlichen Mittels, sie sich zeigen zu lassen, nicht
das äquivalente Gefühl ihrer Nähe. Ich dachte, das sei nicht
mehr die [Schauspielerin] Berma, was ich sah,
sondern nur ihr Bild im vergrößernden Glase. Ich legte das
Glas weg; aber war nun das Bild, das mein Auge
durch die Entfernung verkleinert empfing, exakter ?
Welche der beiden Berma war die richtige ? » [3]
Proust beschwört hier ein Gefühl der Simulation, wie sie
besonders postmodernen Theoretikern vertraut ist, einen
Status reziproker Ähnlichkeit, der die Autorität des Originals untergräbt. Der junge Marcel erlebt ein Beispiel einer
technischen Verbesserung. Einen bestimmten Anblick
oder ein bestimmtes Bild durch ein Opernglas zu reproduzieren, bietet den Vorteil gesteigerter Größe und schein-
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Abb. 1 Claes Oldenburg, Light Switches – Hard Version
(1964), bemaltes Holz und Metall, 121,3 x 121,3 x 29,9
(Privatbesitz)
Abb. 3 Claes Oldenburg, Soft Switches (1964),
Vinyl gefüllt mit Dacron und Leinwand,
119,4 x 119,4 x 9,1 cm (The Nelson-Atkins
Museum of Art, Kansas City, Missouri)
Abb. 2 Eugène Atget, Coin rue de Seine, 6e
(ca. 1924) (Musée Carnavalet, Paris)
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4 Vgl. Oliver Sacks, Migraine : Understanding a Common Disorder, Berkeley 1985, S. 56.
Im Griechischen kann aura sich auf eine kühle
Brise, die vom Wasser erzeugt wird, beziehen.
5 Vgl. Proust ( wie Anm. 3 ), S. 25f. Ich
danke Katy Siegel dafür, dass sie mich auf die
Stelle bei Proust aufmerksam gemacht hat.
6 Walter Benjamin, « Kleine Geschichte
der Photographie » ( 1931 ), in : Gesammelte
Schriften ( wie Anm. 1 ), Bd. 2.1, S. 378; ders.,
« Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit » ( 3. Fassung, 1939 ), in :
ebd., Bd. 1.2, S. 479.
7 Man kann aber auch sagen, dass die
Aura eine signifikante taktile Dimension hat; vgl.
Richard Shiff, « Handling Shocks : On the
Representation of Experience in Walter
Benjamin’s Analogies », in : The Oxford Art
Journal, 15 ( 2 ), 1992, S. 88 – 103.
barer Nähe; aber sobald diese abrupte Verwandlung des
Bildes eingesetzt hat, muss sich der Betrachter fragen, ob
das Glas in Wirklichkeit nicht die Realität des Objekts verzerrt, oder, als Alternative, ob die Wahrheit des unvermittelten Anblicks sich nicht irgendwie verringert hat, ohne
Aussicht darauf, ihren vorherigen Status wiederzuerlangen. Das optische Wechselspiel zwischen groß und klein,
nah und fern verschleiert den essentiellen Charakter und
das Wesen der Wirkung der Schauspielerin und ihrer
Darbietung, ohne den Wunsch des Betrachters verringert
zu haben, dieses lebendige Objekt, mit seinen besonderen
Qualitäten, « in greifbarer Nähe » zu erfahren.
Proust führt im nächsten Absatz einen Ausdruck ein,
der bei Benjamin sehr prominent werden sollte : Aura. Das
Wort, das im französischen Original – vermutlich weil es
der Fachsprache der Medizin entnommen ist – unter
Anführungszeichen gesetzt ist, stößt weitere Gedanken
des Erzählers über die Beobachtung wichtiger Dinge an,
die sowohl nah als auch fern scheinen müssen – nah, weil
die Wirkung überwältigend und unausweichlich ist, fern,
da die volle Wirklichkeit nie begriffen werden kann. Aura
setzt Nähe und Ferne einander entgegen – wie ein Tastenschalter wechselt sie ständig von einer Wirkung zur anderen, verwischt räumliche Verhältnisse und hindert die
beiden Pole daran, zu einfachen Gegensätzen zu werden.
Die Aura bewirkt etwas Ähnliches für den mit Nähe assoziierten Tastsinn wie für den mit Ferne assoziierten
Gesichtssinn. Interessanterweise führt die medizinische
Definition der Aura Berühren und Sehen in der Substanz
der Luft oder des Atems oder des Dampfes zusammen :
Für einen antiken griechischen Arzt bezeichnete Aura
eine Sinneshalluzination, die epileptische Anfälle begleitete. Die Empfindung war die eines kalten Dunstes, der
durch den Körper in den Kopf aufstieg, von dem er als
sichtbarer Lichthof abstrahlte. Die Mediziner der Antike
hielten dies für möglich, weil ihrer Ansicht nach die
Gefäße des Körpers neben anderen Flüssigkeiten auch
Luftströme transportierten. [4] Die Aura konnte – wie ein
Atemzug oder das Ausstrahlen von Körpertemperatur –
sowohl mit dem Inneren wie dem Äußeren, der Substanz
des Körpers wie seinen externen Manifestationen und
Wirkungen identifiziert werden. Aura konnte als « Berührung » erfahren werden, nicht notwendigerweise weil sie
aus einer ( sichtbaren ) Substanz bestand, sondern weil sie
eine Temperatur hatte, eine physikalische Kraft, die leicht
von innen nach außen, durch ein Medium zum andern,
geleitet wurde.
In seiner Beschreibung des Auftritts der Berma bezieht
sich Proust auf die « ‹ Aura › rings um die großen Ereignisse », die « auf Hunderte von Kilometern » zu « sehen » ist –
zu « sehen », weil sie sich durch eine Art Berührung mitteilt. Prousts Beispiel für solch ein auratisches Ereignis ist
das weit entfernte militärische Gefecht, über das « ziemlich dunkle Nachrichten » zirkulieren, das aber dennoch
zu einem kohärenten, kollektiven Gefühl in der Menge
führt. Es ist, als würde – um eine Benjaminsche Metapher
zu bemühen – die Menge die Realität des Ereignisses, herangetragen von einer bedeutungsschwangeren Brise, egal
ob warm oder kalt, in sich aufnehmen. Mit dieser Massenreaktion auf ein berichtenswertes Ereignis vergleicht
Proust den Applaus der Menschenmenge im Theater, eine
Reaktion auf das Genie der Berma, die oft in unangebrachten Momenten während ihrer Darbietung ausbrach. [5] Applaus wirkt wie ein Gerücht. Er wird autogenerativ, indem er seine Simulation in der Form eines
immer enthusiastischeren Beifalls wie einer entsprechend
größer werdenden Begeisterung für die Darbietung hervorbringt. Bei solch spontaner Steigerung fragt man sich,
wie sich diese Massenreaktion auf die Aura der Berma zur
Realität ihres Schauspiels verhält ?
Die Benjaminische Aura ähnelt der Proustschen in
ihrer Vielgestaltigkeit. In Benjamins Aufsatz Kleine
Geschichte der Photographie ( 1931 ) findet sich eine Definition von Aura, die er in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ( 1935 – 1939 ) wiederholt : « […] einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah
sie sein mag ». [6] In seiner modernen Ausprägung konnotiert das Wort Aura üblicherweise Qualitäten, die durch
den Sehsinn erfasst werden – Brillanz, Leuchtkraft, Schein
–, ungreifbare Phänomene, die von weitem wahrgenommen werden können. [7] Wie im Diskurs der antiken Medizin verbinden sich mit Aura solche Assoziationen, da der
Begriff sich von den griechischen und lateinischen Ausdrücken für Hauch, Atem oder bewegte Luft herleitet,
etwas Ätherisches, das sich ausbreitet und die Umgebung
durchdringt. Obwohl das Auge seine Substanz nicht sehen
kann, kann man sich einen Hauch ( wie das Flair, das ein
Ereignis umgibt ) als luminose Emanation vorstellen; in
diesem Konzept von Aura konnte Benjamin Einatmen
( atmospheric inhalation ) und Ausstrahlung ( visible halation ) miteinander verschmelzen : « An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont […]
folgen, bis der Augenblick oder die Stunde Teil an ihrer
Erscheinung hat – das heißt die Aura dieser Berge […]
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8 Benjamin, Kleine Geschichte ( wie Anm.
6 ), ebd.; vgl. ders., Das Kunstwerk ( wie Anm.
6 ), ebd.
atmen. » [8] In diesem Fall scheint die Erfahrung der fernen Berge einen unvermittelten, jedoch instabilen, körperlichen Kontakt herzustellen : Du atmest das Objekt –
die Berge, die du betrachtest –, du atmest dieses Objekt
wie Luft ein und aus. Du nimmst das Medium körperlich
auf, das dem Sehsinn seine Funktion garantiert ( da die
Atmosphäre durchsichtig ist ), aber dieses Medium überträgt auch etwas von der Körperlichkeit des Objekts ( vielleicht seine Wärme oder Kälte, seinen Geruch, gar seinen
Geschmack ). Die Entfernung des Objekts schwindet. Dennoch bleibt das Objekt von uns getrennt. Die übliche
Unterscheidung zwischen Innen und Außen scheint verändert. Ist dieses äußerliche Ding plötzlich in dein Inneres eingedrungen, unter die Haut gegangen ? Wandert es
ein und aus, wie Körperwärme ? Das würde ihm eine
größere Substantialität verleihen als wenn es bloß sein –
immer fern bleibendes – visuelles Bild projizieren würde.
Wie die Aura, aber anders als ein Bild indiziert Temperatur eine bestimmte Präsenz. Luft und Atem haben – wie
auch die Aura – eine Temperatur.
Die Aura im Gegensatz zum Bild : Um sein Thema
des Verlustes der Aura im Zeitalter der mechanischen
Reproduktion von Bildern – im Besonderen im Zeitalter
des Tonfilms und seiner Möglichkeit, instantan sowohl
Nachrichtenereignisse wie Theateraufführungen wiederzugeben – zu beschreiben und auszuarbeiten, nimmt Benjamin den Filmschauspieler als Beispiel. Dieser Darsteller
steht vor der Kamera, nicht vor Publikum. Der Schauspieler vor der Kamera ist nicht in der Lage, mit seinem Publikum ein Medium ( die Luft, die Entfernung ) zu teilen; im
Unterschied zu Prousts Berma ist er für andere kein
lebendiges, auratisches Objekt noch kann er zu anderen
in eine reziproke Beziehung treten. Benjamin schreibt :
« [Z]um ersten Mal – und das ist das Werk des Films –
kommt der Mensch in die Lage, zwar mit seiner gesamten
lebendigen Person aber unter Verzicht auf deren Aura
wirken zu müssen. Denn die Aura ist an sein Hier und Jetzt
gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr. Die Aura, die auf
der Bühne um Macbeth ist, kann von der nicht abgelöst
werden, die für das lebendige Publikum um den
Schauspieler ist, welcher ihn spielt. Das Eigentümliche der
Aufnahme im Filmatelier aber besteht darin, daß sie an
die Stelle des Publikums die Apparatur setzt.
So muß die Aura, die um den Darstellenden ist, fortfallen –
und zugleich die um den Dargestellten.» [9]
9 Ebd., S. 489. Benjamins Reaktion auf die
Filmtechnologie war nicht außergewöhnlich,
obwohl er sie zu einer außerordentlich
provokativen Sozialgeschichte entwickelte. Man
vergleiche diese Feststellung einer früheren
Generation : « Die Schauspieler spielen einmal,
und es bleibt für die Ewigkeit; ihre Gesten sind
festgehalten und wenn sie alle in einer
Katastrophe sterben sollten, würde das nichts am
Weitergehen des Spektakels, das immer das
gleiche bleiben wird, ändern », Rémy de
Goumont, « Cinématographe », in : Mercure de
France 69, 1. September 1907, S. 126.
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Zürich ( ith )
10 Benjamin, Das Kunstwerk
( wie Anm. 6 ), S. 488.
11 Vgl. ebd., S. 496.
12 Ebd., S. 502.
13 Benjamin, Kleine Geschichte
( wie Anm. 6 ), S. 373.
Es sei daran erinnert, wie die optische Vergrößerung des
Bildes der Schauspielerin Berma, eine einfache mechanische Umwandlung, sich auf ihre Aura auswirkte und ihre
Realität fragmentierte, wenn auch in relativ unbedeutendem Ausmaß. Eindringlicher argumentiert Benjamin, dass
die Filmkamera ( ähnlich wie eine Wählscheibe oder ein
Schalter, die eine Kurbel ersetzen ) « nicht gehalten [ist],
die Leistung [des Filmdarstellers] als Totalität zu respektieren ». Bezieht man den Vorgang des Schneidens, der ein
Testen und einen Austausch mehrerer Möglichkeiten darstellt, mit ein, müssen « eine gewisse Anzahl von Bewegungsmomenten [die der fertig montierte Film umfasst],
[…] als solche der Kamera erkannt werden ». [10] Die Filmtechnik greift in entscheidender Weise ein, trennt den
Schauspieler vom Publikum, verhindert den gegenseitigen menschlichen Kontakt und löst das Bild vom Körper
des Darstellers ab. Der Kameramann, so die berühmte
Feststellung von Benjamin, arbeitet wie ein Chirurg, wie
um ungehindert von außen durch die Haut ( Bild ) ins
Innere des Fleisches ( Darsteller ) zu gelangen. [11]
Es liegt im Wesen der Technik, zu wirken. Aber welches Ausmaß technischer Prüfung, Fragmentierung und
Rekombination wird unter den Bedingungen einer
modernen Industriegesellschaft und ihrer sozialen Ordnung revolutionär ? Benjamins Essays verweisen auf
unterschiedliche Ansätze der Untersuchung, einer davon
bezieht sich auf die Schnelligkeit, in der die Technik
ein Bild entweder transformieren oder reproduzieren
kann : Ein Gemälde « lädt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf überlassen. Vor der Filmaufnahme kann er das nicht.
Kaum hat er sie ins Auge gefaßt, so hat sie sich schon
verändert.» [12] Das Tempo ist ausschlaggebend.
In der Kleinen Geschichte der Photographie merkt
Benjamin an, dass die frühe Daguerreotypie eine relativ
lange Belichtungszeit benötigte. Aus diesem Grund, meint
er, war es der frühen Portraitphotographie nicht möglich,
das volle technische Potential der Photographie umzusetzen : es gelang ihr nicht, den Hauch oder den Atem des
Objekts anzuhalten oder das Bild von der Aura des Sujets
abzulösen. Die frühsten photographischen Modelle lebten
« nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hinein
[…]; während der langen Dauer dieser Aufnahmen wuchsen sie gleichsam in das Bild hinein […] ». [13] Benjamins
Beschreibung suggeriert eine gemeinsame Anstrengung
des menschlichen Subjekts und des photographischen
Apparats, die der wechselseitigen Empfindlichkeit zwischen dem Schauspieler auf der Bühne und dem Publikum ähnelt. Die Kameratechnik substituiert nur Fertigkeiten der Hand, denn das Tempo des Abbildens ist, wenn
auch beschleunigt verglichen mit dem Vorgang des Zeichnens oder Malens, immer noch nicht schnell genug, um
das konventionelle Verhalten des Modellsitzenden und seine Wahrnehmungsgewohnheiten obsolet werden zu lassen. Wie das Publikum durch seinen Applaus Teil an der
Darbietung von Berma hat, so arbeitet das Modell in einer
Daguerreotypie-Sitzung mit dem Apparat zusammen, als
wäre er ein reaktionsfähiges Individuum. Das Modell wird
zum Schauspieler, korrigiert und verbessert tatsächlich
seine Leistung wie auch die der Kamera, indem es in sie
« hineinwächst ». Dieser Vorgang vermischt die durch das
Gerät erzeugte Realität mit der von der lebenden Person
hergestellten. Man vergleiche nur Prousts unauflöslich
ineinander verschwimmende Bilder der Berma : das eine
durch Linsen, das andere durch Applaus vergrößert.
Benjamins Kunstwerk-Aufsatz folgt, unter Wiederholung vieler Sätze, den Argumenten seiner Kleinen
Geschichte; er strich aber die Erwähnung des Hineinwachsens in « Bilder » bei langen Portraitsitzungen und wies nur
noch auf eine Aura menschlicher Präsenz hin, die man
« zum letzten Mal » in frühen Photographien gesehen hat.
Eugène Atgets Bilder von « menschenleeren Pariser
Straßen » werden demgegenüber zum Paradigma einer
vollkommen verwirklichten Photographie – isolierte Ansichten, aus der Geschichte geschnitten und abgelöst von
Persönlichkeiten, anstelle von lebendigen Gesichtern, die
lebenslange Erfahrungen widerspiegeln ( noch einmal das
Verhältnis zwischen Wählscheibe und Kurbel ). [1 4]
[Abb. 2] Benjamins praktisch gleichzeitig entstandener Essay
über Baudelaire stellt die frühe Portraitphotographie in
einem etwas anderen, weniger auratischen Licht dar :
« Was an der Daguerrotypie [im Unterschied zur schnelleren Papierabzug-Photographie wie der von Atget] als das
Unmenschliche, man könnte sagen Tödliche mußte empfunden werden, war das ( übrigens anhaltende ) Hereinblicken in den Apparat, da doch der Apparat das Bild des
Menschen aufnimmt, ohne ihm dessen Blick zurückzugeben.» [15] Dies, argumentiert Benjamin, laufe der Erfahrung
der Aura und der damit verbundenen kontemplativen Konzentration, dem « Hineinleben in etwas », der Empathie,
zuwider. Menschen wachsen kontinuierlich in gegenständliche Umgebungen und in Körper hinein, einschließlich
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14 Vgl. Benjamin, Das Kunstwerk
( wie Anm. 6 ), S. 485.
15 Benjamin, Über einige Motive
( wie Anm. 1 ), S. 646.
16 Benjamin, Das Kunstwerk ( wie Anm.
6 ), S. 491.
17 Walter Benjamin, « Franz Kafka » ( 1934 ),
in : Gesammelte Schriften ( wie Anm. 1 ), Bd. 2.2,
S. 436; vgl. Benjamin, Kleine Geschichte ( wie
Anm. 6 ), S. 371; vgl. Benjamin, Das Kunstwerk
( wie Anm. 6 ), S. 500.
18 Vgl. Walter Benjamin, « Was ist episches
Theater ? ( 2 ) » ( 1939 ), in : Gesammelte Schriften
( wie Anm. 1 ), Bd. 2.2, S. 537f.; vgl. Shiff,
Handling Shocks ( wie Anm. 7 ), S. 102, Anm. 60.
ihres eigenen, den sie üblicherweise verstehen oder von
dem sie annehmen, dass sie ihn verstehen. Wenn sie sich
verändern, so vollzieht sich der Wandel graduell und ganzheitlich. Kameras hingegen schneiden in Umgebungen
und Körper. Wenn es da Kontinuität gibt, dann ist sie « tödlich », konstant. Die Photographie hält jede beseelte Bewegung an; sie zerschneidet und fragmentiert die kontinuierliche Existenz, sei sie von physischer oder psychologischer
Substanz.
Atgets eigenartig befremdliche Bilder des frühen
modernen Paris verwirklichen das Vermögen der Kamera,
die Ablagerung oder Geschichte des menschlichen Austauschs, eine Quelle der Aura, abzulösen. Da es der Kamera
nicht gelingt, in aktive Kommunikation mit dem Menschen
zu treten, wird das Bild, das sie hervorbringt ( die « mechanische » Reproduktion ), zu einer Sache, die außer durch eine
Optik des Unbewussten nicht wiederzuerkennen ist. Wenn
es überhaupt ein Wiedererkennen gibt, dann kann es nur ein
unheimliches sein, eine Erscheinung: vertraut, aber nicht
lokalisierbar, weder hier noch dort, weder gegenwärtig noch
vergangen, weder die eigene noch die eines Anderen. Die
Situation, in die Kamera zu blicken, vergleicht Benjamin mit
der Wirkung des eigenen Spiegelbildes auf den Menschen,
« dem Befremden des Menschen vor seiner Erscheinung im
Spiegel ». [16] Auf ähnliche Weise, so bemerkt er, « erkennt
der Mensch den eigenen Gang [im Film] nicht ». [17] Der Film
trennt den Menschen von seiner Lebensgeschichte und jeder
kollektiven, sozialen Entwicklung, sogar noch bevor die
materielle Fragmentierung durch Montage oder Schnitt vorgenommen wird. Aus diesem Grund wird das moderne Kino
( der Tonfilm ) das Medium, das den neuen, revolutionären
urbanen Menschen am besten ( und auf natürliche Weise )
entspricht. Paradoxerweise bietet das Kino den Massen eine
Möglichkeit, sich ihre eigene unbewusste Wahrnehmungsweise – zerstreut, unpersönlich und vielleicht schockiert
( hinein schneidend ) im Gegensatz zu kontemplativ und
empathisch ( hinein wachsend ) – bewusst zu machen. [18]
Wenn die zerstreuten Massen den Film als Zerstreungsmedium erleben, dann findet eine eigenartige Verwandlung
statt: die Massen beginnen zu verstehen, wie ein Leben jenseits traditioneller « Lebensweisen » aussieht – ein Leben
ohne kontinuierliches, mythisches Selbstbild, ohne eine
undurchlässige ideologische Schutzhaut, ohne Normen stabiler Technologien und Verhaltensweisen. Solch eine Selbsterkenntnis auf Seiten einer revolutionären Klasse, der urbanen Massen, ist an sich revolutionär.
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31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 )
Das Magazin des Instituts für Theorie
Zürich ( ith )
19 Donald Judd, « Jackson Pollock » ( 1967 ),
in : ders., Complete Writings 1959 – 1975, Halifax
1975, S. 195.
Eine Technologie scheint manchmal einer anderen zu
entsprechen, ohne dass es eine zwingende empirische
Basis für die Parallele gäbe. Wie in der Schnell-SchnittFilmbearbeitung, so in der elektronischen Computertechnologie. Mit genügend Zeit und Energie kann ein konventioneller Trickfilmzeichner – entweder indem er
handgefertigte Bilder vor der Kamera abblättert, oder
indem er individuelle Photographien, Kader für Kader, in
einen Film verwandelt – die Elemente für jede beliebige
Anzahl metamorphotischer und anamorphotischer Transformationen, wie sie einem spezifischen Produkt computerisierter Animation entsprechen, herstellen. Aber der
Computer und sein Operator führen diese Transformationen mit der Hilfe elektronisch kodierter Algorithmen
durch, die unvergleichlich viel schneller ablaufen als alles
händisch Ausgeführte ( das war der Vorteil der Wählscheibe gegenüber der Kurbel ). Darüber hinaus ist die Bildschablone des Computers ein Set von elektronischen
Schaltungen oder Ziffern ( nach dem monostabilen Modus );
im Gegensatz zum Negativ in der konventionellen Photographie bleibt diese generative Schablone unabhängig von
den Eigenschaften eines bestimmten materiellen Stoffes
oder Grundes. Die Schablone, oder das Muster, kann in
jeder beliebigen physischen Form reproduziert werden;
und, obwohl sie vielleicht durch das Scannen eines Objekts
oder schon vorhandenen Bildes entwickelt wurde, könnte
sie genauso gut durch das Scannen jeder anderen Quelle,
durch die Anwendung einer anderen algorithmischen
Operation entwickelt worden sein. Die Digitalisierung
zeigt wenig Ehrfurcht vor der Integrität von Objekten oder
sogar von Bildern und entfernt die Wahrnehmung ( in diesem Zusammenhang dem Film ähnlich ) noch weiter von
der Erfahrung einer Aura und ihrer Besonderheit.
Benjamins Argument ist noch immer relevant. Genauso wie die Schnelligkeit der Photographie der fragmentierenden und entfremdenden Wirkung des Films
entspricht – als hätte die ältere Technologie die jüngere
schon heimlich in sich getragen und erst im rechten historischen Augenblick enthüllt –, so entspricht das Potential des Films, unendlich oft geschnitten und geklebt zu
werden, den körperlich desorientierenden Wirkungen
der Digitalisierung. Der elektronische Computer fügt der
Filmtechnik ein noch nie da gewesenes Maß der Geschwindigkeit und Entmaterialisierung hinzu. Er befreit nicht
nur die Hand des Trickfilmzeichners, sondern entbindet
auch den Geist von der mühseligen Aufgabe der Planung
einer sequentiellen Reihe sich verändernder Bilder. Mit
allen Vor- und Nachteilen erlaubt es die Computertechnik
dem Prüfen und Austauschen von Bildern in solcher
Geschwindigkeit vonstattenzugehen, dass da keine Zeit
mehr bleiben mag, ihre Auswahl zu ref lektieren. Die
Repräsentation ist der Vorstellungskraft weit voraus, sie
entschlüpft der Hand wie dem Auge. Wie Benjamin vom
Film sagte : « Kaum hat das Auge die Szene erfaßt, so hat
sie sich schon verändert.» Sieht man das als Problem an,
dann hat es die Computerisierung nur größer gemacht.
Transit
In den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bevor der Computer ein Massenkonsumartikel war,
reagierten europäische und amerikanische Künstler auf
den tatsächlichen oder versprochenen Überfluss in der
Nachkriegsgesellschaft. Produktion – eigentlich aber
Reproduktion – stand auf der Tagesordnung. Die Situation
begünstigte das Schwelgen in einer konsumistischen
Populärkultur, in das alle Gesellschaftsschichten involviert
waren. Unter Künstlern gab es aber auch eine gewisse
Zurückhaltung. Sie zeigte sich in einem verstärkten Interesse an einem personenbezogenen, ja sogar « auratischen »
Schaffen. Einerseits gab es Ausdrucksformen des Individuellen : den Abstrakten Expressionismus, zumindest wie
er von bestimmten kunstkritischen Fürsprechern wie
Harold Rosenberg und Thomas B. Hess wahrgenommen
wurde. Andererseits wurden Objekte und Situationen
geschaffen, die im Betrachter eine äußerst intensive,
besondere Sinneserfahrung auslösen sollten : Konkrete
Kunst, Happenings, Minimalismus, Op Art, frühe Beispiele der Pop Art und des Photorealismus. Die erste Position
ist mit der zweiten nicht unvereinbar – zumindest nicht in
der Erfahrung, im Gegensatz zur Theorie. Im Jahr 1967
kommentierte Donald Judd, der neue Formen des skulpturalen Raums entwickelte als würde er inmitten einer
neuen Technologie leben, die Arbeit von Jackson Pollock
folgendermaßen : « Getropfte Farbe ist in den meisten
[seiner] Bilder getropfte Farbe. Es geht um dieses Gefühl
… Es ist nicht etwas anderes, das auf getropfte Farbe
anspielt. » [19] Zusammen mit dieser materiellen Unmittelbarkeit begeisterte Judd die Tatsache, dass Pollock industrielle Lacke verwendete – eine Art Farbe, die vorher in
der Kunst nicht verwendet worden war. Auch dies schloss
wie die körperliche Aktion des Tropfens jede Anspielung
auf etwas, das über die unmittelbare Erfahrung des Kunst-
objekts hinausging, aus. Auf die eine oder die andere Weise reduzierte sich in weiten Teilen der bildenden Kunst
der Nachkriegsjahrzehnte das Potential für den Aufbau
einfacher metaphorischer Substitutionen. Die neue Kunst
verringerte die Kluft zwischen Objekt und Bedeutung,
d. h. zwischen physischer Materie und kulturellem Zeichen. Die Künstler widerstanden der reproduktiven Entfremdung des Bildes vom Körper und suchten eine materielle Basis oder physische Konstante, um Imagination
wie Repräsentation daran zu orientieren.
Im Jahr 1961 bot Claes Oldenburg eine phänomenologische Lösung an: « Ich habe versucht, mein Bewusstsein
im Verhältnis zum tatsächlichen Objekt im Augenblick
meiner Wahrnehmung darzustellen. Das wird durch die
Umstände der Herstellung erschwert… und es gibt nur
eine Möglichkeit, damit umzugehen : die Materialien als
einen komplizierenden Faktor des Objekts, selbst als Objekte des Bewusstseins, behandeln. » [20] Der Künstler war
bestrebt, der Distanz schaffenden Wirkung des Herstellungsprozesses entgegenzuwirken, indem er das gewählte
Material selbst zu einem Ausdruckselement machte, mit
dem er sein Körpergefühl identifizieren konnte: Das Medium als Bedeutung statt als Mittler einer Bedeutung. Oldenburg schuf skulpturale Repräsentationen von gewöhnlichen Konsumartikeln und Konsumgeräten in dafür
ungewöhnlichen, eigentlich unpassenden Materialien, die
aber, nichtsdestoweniger, eine Reihe von vertrauten körperlichen Empfindungen, kinästhetischer wie auch taktiler
Art, evozierten. Die Materialien sollten eine Erfahrung von
Körperlichkeit hervorrufen, die den Darstellungsgegenstand mit formten. Kippschalter wurden eines dieser Themen; Oldenburg variierte das Thema immer wieder und
fertigte unter anderem ein Paar solcher Schalter aus weichem, mit Kapok gefülltem Leinen an oder ein anderes
Paar in glattem, zinnoberrotem Vinyl. Sichtbar dem Zug
der Schwerkraft folgend, aber zugleich einigermaßen
straff, erinnern diese « Schalter » an menschliche Brüste,
Nippel und ähnliche Körperteile – es gibt viele Möglichkeiten. In den Arbeiten von Oldenburg nimmt der Kippschalter, eine Fußnote in einer rasant sich verändernden Technologiegeschichte, die Eigenschaften von menschlicher
Haut und Fleisch an, ruft den Gedanken an eine organische Entwicklungsordnung wach und schreibt sich in eine
transhistorische Reihe der Körperbilder ein. [Abb. 3]
Judd war der erste, der sich 1964, in ihrem Entstehungsjahr, zu Oldenburgs Soft Switches äußerte. Er merk-
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20 Claes Oldenburg, Store Days, New York
1967, S. 81.
21 Donald Judd, « In the Galleries : Claes
Oldenburg » ( 1964 ), in : ders., Complete Writings
( wie Anm. 19 ), S. 133.
te, dass ihre Form funktionalen Schaltern entsprach, während der sinnliche, materielle Faktor ins Erotische spielte :
wegen der Körperhaftigkeit der weichen Leinwand oder
des schlaffen Vinyls, aber auch wegen der strukturellen
Anspielung auf Nippel, und darüber hinaus, weil Nippel
Brüste evozieren. Nicht immer allerdings. Nach Judds
Ansicht waren die Soft Switches in ihrer Wirkung weniger
metaphorisch, als man denken würde: « Das sind nicht zwei
Brüste, das sind nur zwei Nippel. Die zwei Schalter sind zu
klar, zu eindeutig Schalter, als dass sie Brüste sein könnten. » [21] Judd meinte, dass die Formen ihre Identität als
Schalter – welchen anderen Titel sollten sie haben? –
behielten, dennoch stellten sie weder gewöhnliche Schalter
noch Brüste dar. Weder reproduzierten noch repräsentierten noch bezeichneten sie einen Schalter eines bestimmten
Typus oder einer bestimmten Größe. Trotz aller in ihr
angelegten evokativen, metaphorischen Möglichkeiten war
Oldenburgs Skulptur, wie Pollocks Farbe, schlicht das, was
sie war, ein « Objekt des Bewusstseins », auf das ein Mensch
mit der Aufmerksamkeit aller Sinne reagieren konnte. Sie
widersetzte sich der Verwandlung in ein bloßes Bild.
Das Beispiel von Oldenburg zeigt, dass in einer Welt,
die von technologischen Schocks ( das Drehen der Wählscheibe statt der Kurbel, das Tastentelefon anstelle des Wählscheibentelefons, elektronische Geschwindigkeit anstelle
mechanischer ) geprägt ist, Kunstwerke weiterhin das am
unmittelbarsten erlebte Körpergefühl ansprechen. Das ist
der Fall, obwohl das Werk nie das Ideal vollkommener
Unmittelbarkeit erreicht – an das sich Künstler, die mit Produktionstechniken ringen, vielleicht eher aus rhetorischem
Kalkül denn aus einem tatsächlichen Glauben heraus halten.
Kunst wird den offenen Schalter zwischen Medium und Bild
nicht schließen. Im Gegenteil, die beiden Erfahrungsbereiche bleiben getrennt und voneinander abgewendet. Malerei
und Skulptur sind Künste der bildhaften Oberflächenerscheinung. Doch führen sie auch durch die Haut hindurch zum
Fleisch des Leibes und zu einem substantielleren Gefühl
menschlicher Körperlichkeit. Bildende Kunst involviert den
Tastsinn mit seinem Potential, den ganzen Körper unserer
Erfahrung im physischen Raum und in historischer Zeit zu
affizieren. Erlaube dir, dafür empfänglich zu sein, dann wird
die durchdringende, berührende Kraft eines Kunstwerks
eher auratisch als ideologisch wirken. Werde noch empfänglicher, und gewöhnliche technische Geräte – Telefone, Schalter – werden auf dich wie Kunstwerke wirken.
— ÜBERSETZUNG : INGRID FICHTNER UND STEFAN NEUNER
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Das Auge vermag einen Gegenstand
schnell, ja instantan zu erfassen. Ist die
Distanz groß genug, reicht oft ein einziger Blick, um eine Sache zu erkennen.
Dem Tastsinn, der nur in intimster Nähe
operieren kann, ist solche Geschwindigkeit fremd. Taktile Empfindungen sind
lokal und geben erst allmählich Aufschluss über die Beschaffenheit der
Dinge. Die Produktion von Kunst gehört
in der Regel einer taktilen, ihre Rezeption einer visuellen Ordnung an. Jene ist
meist eine Sache zeitraubender, materieller Operationen, diese erschöpft sich
nur allzu oft in einem hastigen Hinschauen und eiligen Urteilen. Und dies insbesondere, wie James Elkins zu bedenken
gibt, wenn sie im kunsthistorischen
Seminarraum stattfindet. Die akademische Analyse hat gemäß ihrer diskursiven
Natur, in ihrer Ungeduld, zu Schlüssen
zu gelangen, wenig Sinn für die Rationalität langwieriger handwerklicher Prozesse. Es ist ein zentrales Anliegen des
amerikanischen Kunsthistorikers, die
Aufmerksamkeit seiner Disziplin auf die
materielle und manuelle Dimension der
Malerei zu richten, mit der er selbst als
ausgebildeter Künstler auch praktisch
vertraut ist. Auf den folgenden Seiten
macht sich Elkins grundsätzliche Gedanken über die theoretischen und methodischen Voraussetzungen eines solchen
Projekts und zeigt – nicht zuletzt in
kritischer Rückschau auf die eigene
Arbeit –, an welche Grenzen es gelangen
muss. ( sn )
James Elkins
On Some Limits
of Materiality
in Art History
Something like the following passage
might be a common claim in the current literature :
The optical models of modernism are
part of our past. We can understand
their ideology and the desires that
produced them, and we can see how
they supported a certain kind of art.
But now those optical models are fading. The first decade of visual studies
in the 1990s, with its emphasis on disembodied media and digital images,
has been supplanted by a new and
more versatile awareness of the real
range of images. Clement Greenberg’s
high-modernist trust in eyesight is no
longer viable, now that works of visual art are so often also textual, olfactory, tactile, or auditory. Synesthesia,
Einfühlung, empathy and sympathy,
immersion, performance, and embodied encounters are now central to the
art experience. Art history is no longer an archivist’s or iconographer’s
paradise, driven by textual sources : it
has become attentive to the physical
stuff, the presence, the material of the
artwork, its bulk, its human scale, and
even its « base materiality ». Theories
of visuality have abandoned the geometric diagrams of Jacques Lacan in
favor of more somatic accounts of seeing in Derrida, Merleau-Ponty, JeanFrançois Lyotard, and Deleuze and
Guattari. Seeing is embodied, and it
should no longer be separated from
touching, feeling, and from the full
range of somatic response.
Versions of this claim recur in
conferences and in edited volumes. It
is explicit in the rejection of Baudrillard in favor of authors like Lev
Manovich, and in studies of modernism such as Caroline Jones’s Eyesight
Alone. The claim is also elaborated in
visual studies anthologies, such as
Marita Sturken’s and Lisa Cartwright’s
Practices of Looking or Nicholas Mirzoeff ’s original anthology, Visual Culture Reader. [1] Versions of the claim
underwrite studies of recent bodycentered performance and video art
by Irit Rogoff, Peggy Phelan, and others. In academic art history, a version
of this claim underwritten by MerleauPonty is one of the principal differences between Michael Fried and
C l e m e n t G r e e n b e r g. I n i t s m o s t
abstract form, this claim is a principal
self-description of postmodernism as
well as a starting place for current
ideas about post-poststructuralism.
It would not make historical
sense to argue against this claim, either
in this general formulation or in its
many specific instances, because it is
the tenor of the times. But there are
interesting disparities in the conceptualization of the claim in different disciplines. Philosophical discourse has a
great deal to say about the shift from
opticality to embodied seeing, from
vision to touch, from the intellectual,
imagined, or ideal image to the physical painting, print, or drawing. Art
criticism, too, has a capacious vocabulary for body-oriented work, drawn
from psychoanalytic criticism, feminism, postcolonial theory, and area
studies. Art history has its own specialized vocabulary, including facture and
brushstroke; mark, sign, and trace;
matter, form, materialism ( with its
Marxist overtones ), and « base materiality », the term used by Rosalind Krauss
and Yve-Alain Bois to describe the surrealists’ interest in avoiding representation. There is even theological criticism, which employs terms such as
incarnation, acheiropoietai, homoiôsis, homoiôma, and homo ousia.
In this essay I will concentrate
on just three topics, which I think are
crucial for the coherence of this
claim. The first problem is that history, visual studies, Bildwissenschaft,
and art theory take an interest in
materiality provided that the examples of materiality remain at an
abstract or general level. Past a certain point, art history and other fields
are not interested in materiality, but
they lack an account of why they
should not be more interested. The
second problem is that conceptualizations of materiality are easy to find
– as in my last two paragraphs – but
encounters with examples of materiality are difficult to sustain. In less
abstract language : it is relatively easy
to build theories about materiality,
but relatively difficult to talk about
materiality in front of individual
objects. I will name these two problems the fear of materiality and the
slowness of the studio. Behind both
of them lies the fact that phenomenology, and phenomenological criticism, inform current writing in all
the fields I have mentioned. Phenomenology sets tacit limits to the specificity of talk about materiality. This
is the third problem, which I will call
the limits of phenomenological detail,
and I will mention it brief ly before
turning to the first and second problems.
1 Marita Sturken / Lisa Cartwright,
Practices of Looking : An Introduction to Visual
Culture, Oxford 2001 ( second edition forthcoming ); also Nicholas Mirzoeff, An Introduction
to Visual Culture, New York 1999; Nicholas
Mirzoeff ( ed.), The Visual Culture Reader,
London 1998 ( second edition, 2002 ); Jessica
and Stuart Hall ( ed.), Visual Culture : The
Reader, London 1999; Sunil Manghani / Arthur
Piper / Jon Simons ( ed.), Images : A Reader,
London 2006.
26
27
I
The limits of the phenomenological detail
In art history and art criticism, phenomenology is not
only the best available account of sense-transcriptions, it
is effectively the only one. Some art historians have read
turn-of-the-century German authors such as Theodor
Lipps and Robert Vischer, but most invoke Merleau-Ponty
( and more distantly, Sartre and finally Husserl ) when it
becomes necessary to cite a theoretical source for observations that are often informal transcriptions of the writer’s
own bodily reactions in front of artworks. To my mind
some of the most interesting art history currently being
written is done by writers who are attentive to what their
bodies tell them about artworks ( or who are compelled to
pay attention, for reasons that would have to be sought
outside of phenomenology ). I am thinking of writers as
diverse as Jean-Louis Schefer, Richard Shiff, Gottfried
Boehm, Michael Fried, and Georges Didi-Huberman, and
I would interpret the diversity of the list as an indication
of the pervasiveness of art writing informed and even
delimited by phenomenology.
Still, it’s significant that phenomenology is usually
kept a little behind the scenes – Merleau-Ponty is not often
quoted directly, because he seldom provides direct support
for the kinds of writing that art historians and critics prefer. The description of mixtures of senses, bodily attractions and analogies, somatic stand-ins for the viewer « in »
the paintings, proceed independently of their ultimately
phenomenological foundations. In part the relative absence
of Merleau-Ponty from the footnotes of art history, visual
studies, and art criticism is a matter of habit : writers educated in doctoral programs will have read him when they
were students, but – aside from the ubiquitous essay
on Cézanne – he is not often part of current conversations
on art. But there is a deep reason why an attempt to invoke
Merleau-Ponty as a theoretical source might seem unnecessary, and it has to do with the very simple matter of crit-
ical vocabulary. Merleau-Ponty’s work involves words like
« sensation », « horizon », « body », « head », « eye », « touch »,
« interior », « exterior », and « perspective ». Art historical and
art critical analyses tend to depend on much more specific
things : the way Cary Grant walks up the stairs in Notorious, the infantile balloonish forms in Lisa Yuskavage, the
annoying pulse of a repetitive video by Bruce Nauman.
This is an old issue in the relation between art history and
aesthetics, where it has been said in several different ways :
art history explores the particular, and aesthetics posits
the particular, but art history explores the particular; aesthetics depends on the particular as a counterpart to its
central interest in the universal and the general, but art
history depends on the general to create meaning for its
investigations of the particular. [2] I do not want to open
these questions here, because the point I am after is much
simpler : it is just that Merleau-Ponty does not provide the
vocabulary to describe individual artworks. Even the
Cézanne essay is so general that commentators are left to
their own devices if they want to find concrete examples
in Cézanne’s work.
The effects of this disparity are wide-ranging. It has
been noted that Judith Butler’s work is abstracted and
generalized in this way, and Barbara Stafford and I have
had friendly disagreements about how embodied contemporary medical imaging and other works of « body criticism » are. It would be possible to do more work on this. A
scholar might compare what counts as specificity in Merleau-Ponty’s accounts of painting with what counts as specificity in Michael Fried : that could be a fruitful way of
asking exactly how phenomenology informs Fried’s work.
But now I want to leave this question and turn to the two
other problems.
2 These and other formulations are
discussed in James Elkins ( ed.), Art History
versus Aesthetics, New York 2006 ( =The
Art Seminar 1 ).
II
The fear of materiality
In July 2008, I hosted the second annual Stone
Summer Theory Institute, a book series that will eventually involve over 500 scholars, artists, curators, and others
in discussions about unresolved issues in contemporary
art. The topic for July 2008 was the question « What is an
image ? » As I write this, I have just completed the provisional transcription of over 35 hours of conversations, and
my co-editor and I are pondering the way the transcript
will appear in the book. Naturally, given the question
« What is an image ? » the assembled faculty and students
spent time on etymology. The German Bild was discussed,
and so were Greek, Latin, English, Spanish, Sanskrit, and
Chinese alternates. We agreed, provisionally, in a working
distinction between picture and image, where – following
English usage – picture denotes a physical object, and
image denotes a memory, ideal, idea, or notion of a picture. The distinction proved to be helpful because some of
the participants were more interested in images than pictures : W. J. T. Mitchell, for example, had a lot to say about
the ways that images of the Twin Towers in New York City,
or political caricatures, travel across media. In those explorations he was less concerned with the physical form of
the pictures, and more with the things that were said
about them. Other participants, however, were more interested in pictures than images. Gottfried Boehm returned a
number of times to the conditions of the encounter with
actual images, and he was specially concerned with particular objects.
Still, picture and image are only heuristic categories,
and in the course of the week-long event many different
kinds of connections were explored. One three-hour session was especially illuminating : a seminar led by Jacqueline Lichtenstein, on and around the subject of image,
picture, and painting. Throughout the week, the relation
of painting to the other two terms was problematic and
unresolved. To some people, it seemed best to speak about
painting as an historically specific practice, associated
with the last five centuries in the West. In that way of
thinking, painting has become increasingly marginal, and
is not appropriate as an exemplar for images as a whole.
But to others, a painting is the central example of an
image, and the discourse on painting has intimately
informed the theorization of images from the middle ages
onward. As a scholar of eighteenth- and nineteenth-century painting, Lichtenstein has a special interest in painting
as a way to think about both pictures and images, and she
also has an interest in what makes paintings different from
other kinds of pictures and from disembodied images. So
for the duration of her seminar, the group was invited to
consider the materiality or physicality of painting as an
indispensable element.
The participants did not agree on the importance of
materiality – that much could be expected – but they were
also far from any agreement on what should count as
materiality. Lichtenstein cited detailed descriptions by
Huysmans, Diderot, and Baudelaire, emphasizing their
interest in the sometimes illegible detail that paintings
offer when they are seen from very close up. She said that
if we consider the texts on painting produced by art history, very few are on what she would consider painting :
the textures, colors, and lines. She asked how we describe
spots, patches, finger marks, and dots, and she observed
that the long tradition of ut pictura poesis had made it
easier to write about images than pictures – and by implication, easier to write about pictures than paintings. [3] We
then talked for a while about the difference between embodied marks in painting and disembodied « marks » on a
computer screen, and about Jacques Rancière and whether his writings on painting are an indication that he is
theorizing about pictures or paintings, rather than images.
On these and other topics our conversation was fluid and
fluent, and there were no major objections : a consensus
might have been that art history and visual studies can
become more attentive to materiality, but that the possibility of writing attentively about a painting’s physical form
has been inherent in Western art writing since the generation of Diderot.
Problems began to emerge, however, when the conversation turned to the extent and limits of art history’s
potential attention to materiality. How much materiality
can appear in an art historical text ? I mentioned my book
What Painting Is, which offers full-page details of portions of paintings that are on the order of 70 mm across,
and very detailed, mark-by-mark analyses of them. [4] That
book is flawed, I said, and it has been rightly criticized, for
giving up the history of oil painting in order to talk in such
myopic detail. When you get that close to a painting, and
pay careful attention to each barely visible mark, stray
brush hair, fingerprint, and scratch, you find it is nearly
impossible to connect your observations to art historical
accounts of the paintings. Nearly impossible, I said, but
not completely impossible. The problem with What Painting Is isn’t that there is no meaning to very tiny portions
of paintings, or that history has to be left completely
behind when you look so closely at oil paintings. The
problem is that it becomes excruciatingly difficult to keep
talking or writing when you are looking very closely. And
yet it is never impossible. The ideas come much more
slowly – this is the slowness of the studio, which I will
consider below – and they are hard to attach to other people’s meanings ( to the whole history of writing on, say,
Monet or Sassetta or Rembrandt ). They begin to sound
eccentric, forced, or willful. I think of that book as an
extreme case, a limit case, of what Lichtenstein said about
the lack of books on painting.
I draw two conclusions from this episode. First, the
interest that art historians and others have in materiality
has no inner logic that prevents it from paying closer and
closer attention to a picture’s materiality. There is no
account of the materiality or physicality of an artwork that
contains an argument about the limits of historical or critical attention to materiality, and therefore there is no reason not to press on, taking physicality as seriously as possible, spending as much time with it as possible, finding
as many words for it as possible. The fact that historians
28
29
and others do not do so demonstrates, I think, a fear of
materiality. The « purely » or « merely » physical or material
is conceived as a domain that is somehow outside of historical interpretation, or even outside of rational and critical attention. It is assigned to making, to the realm of art
production, and therefore it is set safely apart from historical, theoretical, and critical accounts. In the Stone
Summer Theory Institute, I proposed that no such gap
exists, and in other conversations we generally agreed it is
unhelpful to divide the visual into rational and non-rational, or linguistic and non-linguistic. And yet our habits of
writing and thinking continue to imply such a divide. The
book What Painting Is is deeply flawed for a number of
reasons, but it demonstrates that it is entirely possible to
go on seeing, and also speaking about what we see, as we
take the artwork’s materiality more and more into account.
We do not do so – and since that book, I haven’t done so
either – but not because of a structural problem in discourse. What stops us is not a lack of interest, as the seminar’s enthusiastic conversation showed : we are prevented
by an anxiety about what we could say, and an interest in
keeping the status quo. In art history, it is a topos, a commonplace, to assert that the discipline is interested in
materiality and physicality. But it is a fact, a unpleasant
one, that the overwhelming majority of art historians and
critics do not want to explore beyond the point where
writing becomes difficult.
3 I am paraphrasing because as I write this
( summer 2008 ), the transcript has not yet
been reviewed and edited by the participants.
4 James Elkins, What Painting Is, New
York 1999.
III
The slowness of the studio
Academia is a very fast place.
In the sciences, equations can be written hour after hour as fast as the
instructor can manage. I have been in
science classes where a fifty-minute
lecture was enough to fill three fifteen-foot blackboards ten times over
with graphs and equations. In the humanities, thoughts can f lash by in
blinding succession. A single conversation can stoke a research project for
a year, and a seminar can become a
pummeling succession of brilliant
insights. This speed has consequences
for the kinds of questions that can be
asked about materiality. [5]
The studio, by contrast, can be
overwhelmingly slow. Objects get in
the way : large things are difficult to
move, viscous substances are hard to
control. Artists have two fundamental
choices : either they optimize their
methods and media so they can make
things more efficiently, or they stick
with what they have and learn to think
at its level. The division is not exclusive, but it cuts deep. My impression is
that art historians tend to think that
artists regard their studios as tools,
with no more affection than the historians have for their computers. I think
the art historical opinion, largely, is
wrongheaded, and it excuses art historians from looking into the day-today workings of the studio, where
materiality is encountered in ways
that are not always amenable to the
conceptual speed of scholarship.
The challenge for a newcomer to
artists’ studios is to try to think at the
speed and in the rhythm that is right
for a given medium and purpose. Art
historians who are new to the studio
can find their minds racing like the
engines of cars stuck in the ice. After
a time they may notice that their
thoughts are ill-matched to the objects
around them, but it can be difficult to
figure out how to pay attention in a
more appropriate manner. When you
watch an artist, or make art yourself,
nothing may happen for long periods of
time, and even when something does
take place, it may not be immediately
clear what it was, or whether it might
be important.
To some degree the problem
occurs in any medium, but the situation
may be strongest in the visual arts. Few
people have had the experience of starting to work on a large marble block,
where ten minutes of hard work will
only yield a pitiful dent. A dab of paint
may cost an artist several minutes’ work,
adjusting the color, the thickness, and
the load on the brush – but it may only
represent a few leaves on one tree in a
landscape of trees.
To a philosopher, this might not
seem to be an issue at all. If ideas
come more slowly in the studio, maybe the thing to do is wait, and collect
insights and concepts that have accumulated over a long interval. Take the
sum total of insights gained over a
month in the studio, compress it, and
it is ready for analysis. Conceived this
way, slowness amounts to nothing
more than an annoying impediment.
An hour in the studio would be like an
hour with a phlegmatic teacher.
But consider some things that
slowness means. Slowness feels like
work. For the first few days, someone
used to academic discourse may find
studio work stultifying. A typical art
history student, exposed to the studio,
wants to try everything, and get to
know the studio in a day or two, as if it
were a book that could be expertly
skimmed and condensed for future use.
The experience can be unpleasant and
disappointing in a particular way : it
may start to feel like manual labor. It
may begin to attract all the feelings
that pervade ordinary work: the materiality of the studio will look dull, repetitive, dirty, and insufficiently rewarding. Class consciousness also pervades
many people’s first experiences of the
studio. It is common to find students
imagining that the studio exists in two
modes: either a kind of underpaid work
or, in the case of established artists, a
heavenly opportunity for self-expression. Both the utopian and the dystopian readings are colored by largely
inappropriate projections from the
world of manual labor. On the other
hand, studio work is labor in many
respects, and slowness is one of its
principal traits.
Slowness is painful. It follows
that the experience causes anguish :
nothing, it seems, is being learned, and
no thought can find expression without being dragged through a purgatory
of recalcitrant materials. For the first
time in some students’ lives, their
hands seem clumsy. In effect, a baptism
in the studio can be like returning to
infancy: the eye sees something it likes
( say, the contour of a model’s neck ),
but the hand simply cannot follow the
shape on paper. The student sees
something graceful, and her hand
draws something awful, and it happens
over and over. Like an infant in a crib
making wild gestures at a suspended
toy, the experience can become intolerably frustrating. Studio art can become
a kind of chronic, low-level pain, where
the mind is continuously chaf ing
against something it cannot have. Academic thinking – the running equations, the scintillating conversations –
aims to be as free of that pain as
possible. Our conversations in the
Stone Summer Theory Institute were
nearly seamless : nothing interrupted
the flow of words, and when we ran
out of ideas on one topic, we quickly
shifted to another. It was automatic
and unthinking: but it would not normally be possible in the studio. Materiality is something that gets in the way
of thinking as well as looking. Slow
thoughts cannot be sped up, and thinking slowly is thinking differently.
5 In Pictures, And the Words that Fail
Them, Cambridge 1998, I argue that virtually all
art historical interpretation moves too quickly.
Another book, Our Beautiful, Dry, and Distant
Texts : Art History as Writing, second printing,
with a new Preface, New York 2000, is an
attempt to draw attention to the qualities of art
historical writing that proceed from overly rapid
interpretation.
I have made three claims here regarding materiality.
1. Describing the materiality of artworks demands
words that are more specific than the terms available in
phenomenology, and yet phenomenology is the principal
theoretical ground for accounts of the physicality and materiality of art. But what figures in art history as the materiality of, say, oil painting, is only intermittently related to the
generative terms in phenomenological criticism. The result
is that talk about materiality in art history and theory is
effectively detached from the sources on which it depends.
2. It is one of the common self-descriptions of art history that it pays attention to materiality, to the embodied,
physical presence of the artwork. But it only does so in a
limited way. In Lichtenstein’s view, most texts on painting
written by art historians treat the pictures as images; and
from the point of view I took in What Painting Is, even texts
that treat paintings as pictures still fail to treat them as material objects.
3. It takes time to experience and articulate the materiality of artworks, but academic discourse prefers its
insights to come quickly. Real materiality – paying attention
to the matter and substance experienced by artists – does
not yield many ideas per page or per day. Like other disciplines, art history and art theory prefer continuous streams
of insights and ideas, and so they consider only general
aspects of materiality.
30
Die moderne Kunst hat sich dem Haptischen oft verschrieben. Doch gibt es
nicht viele Werke, in denen Taktilität mit
ähnlicher Konsequenz zugleich produktions- wie rezeptionsästhetisch bestimmend geworden wäre, wie im vorliegenden Fall: Stefan Thiels D.-A.-F. de Sade:
Die 120 Tage von Sodom. Fünfundzwanzig in Leinen gebundene Bücher enthalten eine Abschrift des berüchtigten de
Sade’schen Romanfragments, die der
Künstler in jahrelanger Arbeit, 1994 bis
98, mit einer Braille-Schreibmaschine
anfertigte. Nicht allein scheint sich dieses
Werk nur Fingerspitzen zu erschließen,
es ist auch die wahrhaft eindrückliche
Spur einer wohl obsessiv zu nennenden
digitalen Produktionsperformanz. Man
wird vielleicht fragen, ob es sich hier
nicht schlicht um Kunst – oder vielmehr
Literatur – für Blinde handelt ? Die
Bände werden allerdings jemanden, der
sie aufschlägt, um mit Fingern darin zu
lesen, ebenso überraschen wie einen der
Blindenschrift unkundigen Betrachter.
Denn die Blätter in Büchern für Blinde
sind – genauso wie in solchen für Sehende – auf beiden Seiten bedruckt und
zeigen dem Auge, an das sie sich
schließlich nicht richten, ein sinnbenebelndes Gewirr von Erhöhungen und
Vertiefungen. Dies ist hier nicht der Fall.
Stefan Thiel hat das Papier nur einseitig
beschrieben, um die visuelle Qualität der
Braille-Schrift als abstrakte serielle
Struktur zur Geltung zu bringen und
wohl auch, um dem aufgeschlagenen
Buch den Reiz einer bildhaft-symmetrischen Komposition zu verleihen ( links
sehen wir das Punktmuster als negatives,
rechts als positives Relief, links ist der
Satz rechtsbündig und rechts linksbündig ). Indem Thiel uns also links die
Rückseite eines für Blinde lesbaren
Textes vorführt, hebt er auch hervor, dass
bei der Blindenschrift der Ort der Einschreibung mit dem der Lektüre nicht
identisch ist: Denn die Braille-Maschine
perforiert das Papier a tergo und von
rechts nach links, damit die Schrift von
der anderen Seite her als positives Relief
in der gewohnten Richtung abgegriffen
werden kann. Man beginnt zu ahnen,
weshalb de Sades pornographische
Phantasie, die von allen Seiten her in
den Körper eindringt und die Ordnung
der Sexualität verkehrt, eine logische
Referenz dieser Arbeit bildet. Und man
wird folgern müssen, dass Thiels 120
Tage nicht auf ein sehbehindertes Publikum hin ausgerichtet, sondern vielmehr
dazu bestimmt sind, die Sinne aller
Beschauer und Betaster in Verwirrung
zu bringen. ( sn )
Stefan Thiel
D.- A.- F. de Sade
Die 120 Tage
von Sodom
D.-A.-F. de Sade : Die 120 Tage von Sodom
( 1994–98 ), Künstlerbuch in 25 Bänden,
Büttenpapier, in Halbleinen gebunden,
ca. 30 x 24 x 110 cm
33
Die zeichnerische Umsetzung perspektivischen Sehens durch Blinde kommt
einem Paradox gleich. Und doch lässt
sich feststellen, dass auch blinde Zeichnerinnen und Zeichner versuchen, durch
die Anordnung und Winkel von Linien
räumliche und perspektivische Darstellungen von Gegenständen herzustellen.
Die Psychologen John M. Kennedy und
Igor Juricevic sind in Versuchsreihen
dem Phänomen eines ‹ tastenden › Zeichnens durch Blinde nachgegangen, um zu
ermitteln, welche Formen ‹ taktile Bilder ›
annehmen können. Zu diesem Zweck
stellten sie blinden Personen Gegenstände zur Verfügung, die diese tastend
erfassen und anschließend mit Hilfe eines
Zeichensets wiedergeben sollten, das die
gezeichneten Linien als reliefierte Struktur auf einer gummierten Plastikplatte
hinterlässt. Die mit dem Kugelschreiber
gezogene Linie erzeugt dabei einen Grat
im Plastik, der als fühlbare und sichtbare
Spur zur Zeichnung wird. Bilder, so
zeigt es sich in diesen Experimenten,
sind nicht rein visuell, und entsprechend
schwer fällt Sehenden oft die Deutung
von blind gezeichneten Formen,
wie etwa den V-Linien, die zunächst auf
umgekehrte Perspektivdarstellung
schließen lassen. Tatsächlich zeigen die
Formen jedoch keine Verkürzung, sondern eine dem Alter des Kindes entsprechende Darstellung, in der verschiedene Charakteristika des Hauses in einer
Zeichnung zusammengeführt werden.
Nicht nur in diesem Stadium beobachten
die beiden Psychologen, dass die zeichnerische Entwicklung bei Sehenden und
Blinden einander entspreche. Im Rahmen eines grösseren Projekts, das über
die hier dargestellten Experimente
hinausgeht, können sie schliesslich zeigen,
dass Blinde im Laufe dieser Entwicklung
auf die gleiche Weise wie Sehende die
perspektivische Darstellung nutzen. ( jg )
John M. Kennedy /
Igor Juricevic
«Inverse Perspective»
Shapes in a
Drawing by a Blind
Woman
Inverse perspective
Sighted children of about 8 to 10 years of age commonly produce pictures of
cubes in which the front face is drawn as a square, and a side face is shown with
lines diverging as the side recedes. [4] Also, early Renaissance paintings show the
_–
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Pictures are more than visual, since they can be drawn by people who are congenitally blind, using raised-line drawing kits. [1] Indeed, the development of
drawing in the blind and the sighted may follow the same course. [2] If so, it is
important to consider inverse perspective, a common kind of drawing that has
puzzled art historians and psychologists since, as objects recede, they subtend
smaller angles, not larger. Here we analyze a drawing by a blind adult which
suggests two-point inverse perspective. We find the forms in the drawing are
intended to solve a local problem. We argue this supports the « same course »
drawing-development hypothesis.
The theory from which the hypothesis is derived is straightforward: Surface edges are tangible as well as visual. Lines depict surface edges for the sighted, and, likewise, raised lines stand for surface edges for the blind. Lines in both
vision and touch support perceptual impressions of edges of surfaces. Further,
beginners draw shapes that stand for the shapes of surface edges of faces of
objects – faces such as their fronts or sides. These shapes are tangible on the
object, and in the picture. With practice, sighted and blind people use more and
more aspects of perspective: foreshortening, convergence and freehand versions
of one, two and three-point perspective. This is due to a shift from copying edges
of faces of objects to copying the directions of the edges from a vantage point.
In this theory of tactile pictures, touch involves directions. As a result,
touch involves foreshortening. As we reach out from our point of observation we
discover the directions and distances of objects. Most especially, we discover that
tilting surfaces occupy a narrower set of directions from our point of observation
the more they tilt, until finally they are edge-on to our vantage point. They « foreshorten » in this fashion just as much in reaching-out and touching as in lookingout and seeing. This applies to distant objects, not just those at hand. If we walk
and reach out to an erstwhile distant object, we discover the distance and direction of the object from the vantage point we first occupied. Indeed, we discover
that from our vantage point, receding surfaces come to occupy increasingly narrow ranges of directions. A tabletop’s near corners subtend close to 180 degrees
when we stand beside it. Foreshortening rapidly, they often subtend less than 90
degrees if we step back only a metre.
An object’s set of directions from our vantage point is its angular « subtense ». For sighted subjects this is the object’s « visual figure ». [3] The subtense of
the distance between two parallel edges shrinks as the space between the parallels becomes more distant. Eventually, the subtense shrinks to zero, so a single
pair of parallels projects to our vantage point as converging to one point. Since
three orthogonal axes describe space, parallels project as converging in three
orthogonal directions. This means a picture in which parallels diverge with distance – inverse perspective – calls for explanation. In all the possible directions,
as objects recede they do not subtend larger angles.
1 M. A. Heller / J. M. Kennedy / A.
Clark / M. McCarthy / A. Borgert / E. Fulkerson / L.
A. Wemple / N. Kaffel / A. Duncan & T. Riddle,
« Viewpoint and Orientation Influence Picture
Recognition in the Blind », in : Perception, 35,
2006, pp. 1397 – 1420.
2 J. M. Kennedy, Drawing and the Blind :
Pictures to Touch, New Haven 1993.
3 R. Hopkins, Picture, Image and
Experience, Cambridge 1998.
4 J. Willats, Art and Representation,
Princeton 1997.
34
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back of a table with lines larger than the ones for the front, and the sides as if
folded-out. Controversially, Landerer suggests the painters used drawing systems
employed by children today. If the blind and the sighted are on the same developmental path, blind people inexperienced in drawing should also use features
suggesting inverse perspective. [5]
A 12-year-old blind girl, Gaia, highly practiced in drawing, did indeed draw
a cube, a table and a house in what looks like inverse perspective. [6] Her house
was drawn as a rectangle for the front, and a rectangular pitched roof was drawn
with a short line for the near edge, and a longer line for the roofline. She also
drew a cube as six attached squares, as if the cube had been folded out. Gaia
considered her inverse perspective drawings to be « better » than her fold-out
drawing. However, she did not explain her inverse perspective drawings.
A given drawing can be produced by many different drawing systems. Arnheim suggests that drawings that suggest inverse perspective actually arise from
showing significant parts of objects. [7] That is, perspective and the visual figure
of an object are not at issue. Rather, the goal of the artist may be to show both
the left and the right sides of a table in a symmetrical picture. Also the goal may
be to have a large area showing the top of a table. If Arnheim is correct, a picture
seeming to be in inverse perspective could be drawn by a blind person, and it
would represent significant features other than the direction of edges from a
vantage point.
The task presented to the blind adult reported here was to draw the roof
of a model house from a vantage point above the roof. Since the roof peaks, with
two rectangles coming together, in front of the observer is a convex corner, its
two wings receding from the observer in opposite directions. If inverse perspective is used to show one of the rectangles receding from the observer, it could
be used for both rectangles. The result would be two-point inverse perspective,
showing surfaces receding in two orthogonal directions, divided by a single line
depicting the convex corner. However, a drawing in keeping with two-point
inverse perspective could also result from more local considerations. Rather
than using a system to do with depth and receding surfaces, we will contend the
drawing may be showing the roof overhanging the front and rear walls of the
house, and the peak of the roof.
Method
Subject — M is a legally blind female, age 46 years. She is totally blind in her
right eye. She has 10 % peripheral vision in her left eye, with acuity of 20 : 200.
She has better peripheral vision than central vision. Her peripheral vision has a
circular field of vision. Her blindness is caused by cataract and glaucoma, both
conditions congenital. Moreover, she has nystagmus in her left eye. In sum, M
has no vision in her right eye, and severely limited vision in her left eye. M has
a doctorate in a social science. She rarely draws. Departures from realistic projection in her drawings are more likely the result of being inexperienced in
drawing than absence of general education.
5 C. Landerer, Kuntsgeschichte als
Kognitionsgeschichte : Ein Beitrag zur
genetischen Kulturpsychologie, Doctoral
dissertation, University of Salzburg 2000.
6 J. M. Kennedy, « Drawings by Gaia, a
blind girl », in : Perception, 32, 2003, pp.
321 – 340.
7 R. Arnheim, New Essays on the
Psychology of Art, Berkeley 1986, S. 174 – 175.
Procedure — M was asked to draw two pictures of the wooden model of a house.
She was allowed to pick up the model and to explore it tactually. For the first picture
( upright house ), the model stood flat on the table, front facing M. She was asked to
draw the house as if she was standing in front of the house. For the second picture
( tilted house ), the model was tilted forward 40°. At this tilt, the front portion of the
roof is perpendicular to the surface of the table and the roofline forms a convex
corner in front of M. M was asked to draw the house at this tilt.
As M drew, she was asked to describe what part of the house she was drawing,
and to say what the lines she was producing represented. Any questions were nondirective, for example, « What does this part of the picture stand for ? » or « What
does this part of the picture show ? » While she was questioned, M’s finger was
placed on parts of the picture and she was guided along the relevant lines. She
explored the picture and the object herself while answering. No comment was
made by the experimenter about the theoretical interests raised by the pictures.
Results
Figure 2 shows M’s upright-house picture. It resembles a freehand one-point perspective drawing. Lines that converge show the parallel sides of the roof. Also,
parallel lines show the parallel sides of the front of the house. M identified a small
rectangle inside the large one as representing the front door of the house.
Figure 3 shows M’s tilted-house picture. It comprises two adjoining trapezoids, inverted with respect to each other. According to M, the shared middle line
represents the roofline ( the top of the roof ). M identified the bottom trapezoid as
representing the half of the roof which was approximately perpendicular to the
table surface. The upper trapezoid represents the other half of the roof, which
slanted downwards and away from M, at an angle of ca. 10º below the horizontal.
Discussion
M said the Figure 2 drawing of the roof « edges at an angle, to show the point and
angle of the roof » and the picture of the upright-house was « projecting what I
touched.» The left and right sides of the bottom trapezoid in Figure 3 are diverging and « show that it is not a right angle,» in M’s words. M also reported that the
divergence of the left and right sides of the upper trapezoid was intentional,
although « they should not diverge as much as depicted.» Her comments confirm
that the convergence and divergence in her drawings is intended.
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Apparatus — M drew her pictures using a raised-line drawing kit comprising
textured plastic sheets ( 30.5 cm by 22.5 cm ) which form envelopes, inside of
which is placed a slim board with a rubberized front. The plastic crinkles, producing thin raised lines, when drawn-on with a ball-point pen.
A wooden model of a house was used. The house had a rectangular base
( 4.4 x 8 cm ) with four walls ( 7.4 cm high to the roofline ), with a raised rectangle ( 2 x 2.6 cm ) representing a front door centred on the lower edge of one wall.
The roof consisted of two rectangles joined at an acute angle ( 80° ). The roof
rectangles overhung the front and rear walls ( 9 cm overhang ).
Fig. 1 The tilted house from the side, with the
roof as a convex corner in front of the observer
Fig. 2 M’s drawing of a model house from the
front, with one-point perspective applied to the
rectangular roof
Fig. 3 M’s drawing of a model house from
above the roof. The rectangles of the roof
sections are drawn as if in inverse perspective in
two directions
36
Figure 2 has one-point convergence. Although she uses the term projection,
which reveals the directions of source objects, she explicitly describes her drawings as « edges at an angle.» The « angle of the roof » and its « point » may be her
terms for the roof peak. The angle is the angle at the peak, which is evident visually and tactually at the end wall, not the front. If so, her drawing shows the
V-shape of the roof over the end wall while simultaneously showing the front of
the house. It is a combination of front and side shapes. Also, Figure 2 has lines
that show the roof overhanging the sidelines, projecting to the left and right of
the straight sides of the house front. Her roof sidelines continue straight to their
junction with the top roofline. Her drawing neglects the fact that the corners of
the walls and the edges of the roof are parallel.
Figure 3 has two-point divergence. That is, the forms diverge in two directions, one up the page and one down, showing orthogonal surfaces in the referent. It shows the roof sides from above, and simultaneously the V-shape of the
roof. In linear perspective, the forms would converge so the longest line would be
for the convex corner near the observer, not the roof edges far from the observer.
In parallel projection, the corner and far edges would be shown by lines of equal
length. Using longer lines for the far edges is a feature of inverse perspective – but
that is not the system at work in the present case.
Our primary objective here is to argue that if sighted people produce features of inverse perspective pictures in their drawing development, inexperienced blind people should do so too, but neither the blind nor the sighted should be
intending inverse perspective. Their rationale should be the need to show local
features. M is a case in point.
Drawing development requires more and more aspects of direction to be
incorporated in pictures, until all three dimensions of space are treated, foreshortening shows receding distances, and convergence shows how this applies to
parallel sides. We suggest that M is at the beginning of this daunting task. She is
considering the shape of the object’s edges.
M depicted the overhang of the roof, the fact that the roof ’s edges are
straight all along their length, and the V-shape of the peak. She shows the overhang as projections to left and right of the straight sides of the house and continues her lines straight to the roofline because the roof has straight edges. Her
lines meet the roofline at acute and obtuse angles to show the roof is peaked. She
entirely neglects the fact that the corners of the walls and the edges of the roof
are parallel.
M is not using convergence in Figure 2 to show receding parts of parallelsided surfaces, copying directions of parts of objects. Nor is divergence used in
Figure 2 in violation of this principle. Rather, convergence and divergence on the
page are convenient features to show shapes such as overhang and peaks. She is
consistent across pictures in using convergence in Figure 2 and divergence in
Figure 3 for the same tasks: overhang, peak, and straight edges.
The final form of Figure 3 drew comments from M about being unsatisfactory, but her statement was simply that the divergence was more than she wished,
i. e. it did not copy the peak angle accurately.
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M may be at a common jumping-off place in drawing development. She shows
shapes of edges. If so, if she practices drawing and corrects herself using her
own judgment she should eventually come to deal with directions. This should
lead her to notice inverse projection is useful at times, but limited. It fills the
picture with near parts of objects and it often removes the option to show far
objects. Their directions are filled by the folded-out sides. The stronger the
desire to show a large scene, the less inverse perspective can serve.
Inverse perspective is common in drawings from sighted 8-to-10-year-olds
in developed countries. Its frequency diminishes in later childhood and adolescence. Freehand parallel projection with foreshortening, and one-point perspective convergence, take its place at age 10 to 12. Presumably, the goal of showing
the directions of the edges of an object takes over from the goal of copying
fronts, tops and sides. Also, the goal of situating the object in a scene would
diminish use of inverse perspective.
Early Renaissance artists used inverse perspective to show tables, chairs and
boxes. Once linear perspective became common knowledge, after about 1413, pictures of vast halls, piazzas, buildings, cityscapes and landscapes proliferated. Likely, an influence on this development is the limits of inverse perspective. Inverse
perspective is convenient for showing both the left and right sides of a table or
chair or box in one picture. But if the object is being shown in a scene, showing
the front and left and right sides of every object would result in neighbouring
objects invading each other. The larger the objects and the narrower the gaps
between them the more they would bump into each other’s spaces in the picture.
The 12-year-old blind girl who used inverse perspective drew a rectangle for
the front of the house, and an especially long line for the roofline. [8] The depiction
of the roof became wider toward the top of the picture. The result was the roofline
projected to left and right of the rectangle. Contact of the roof with the left and
right end walls of the house could have been shown as if the end walls were
folded-out. Renaissance pictures of tables often take this form, but 12-year-old Gaia
omitted the end walls. The drawing is therefore inconsistent. The roofline invades
space where the end walls could be shown, but are not. The end walls are not
folded out in the real object, and not in the picture, but the roofline offers the
opportunity. Such internal inconsistencies between opportunities in the picture
and physical features in the object may be the key factor that in time leads the artist to seek a consistent solution, i. e. converging lines to show distance.
In sum, a drawing of a house with the form of inverse perspective was
produced by an unpracticed blind adult. The reason may have been to show
overhang, straight sides of a roof, and a peak. Apparent inverse perspective can
result from copying target shapes. Both the blind and the sighted may produce
drawings with this form before convergence is used to show distance. If so, this
case study supports the hypothesis that drawing development in the blind and
sighted has a similar course.
8
Kennedy, Drawings by Gaia (op. cit.).
38
39
Blinde Zeichner dienen auch John
Michael Krois als Argument, die Zeichnung nicht als primär visuelles, sondern
als haptisches Medium zu begreifen.
Krois unternimmt den Versuch einer
Bildtheorie, welche die Zeichnung nicht
aufgrund von Platons Modell der Mimesis
definiert, sondern als einen zeitlichen
Prozess der ‹ Verkörperung › versteht.
Dabei möchte er sowohl die Überbetonung der Bedeutsamkeit von Bildern
durch die Semiotiker wie auch das eher
passiv-statische Verständnis des Bildes
durch die Phänomenologen überwinden.
Ikonische Formen seien niemals statisch
oder schlicht präsent, sondern ‹ berührten › ihre ‹ Betrachter › immer in irgendeiner Form. Einer statischen Ontologie
des Bildes setzt Krois demnach performative Prozesse entgegen, die er als
haptische beschreibt, auch wenn es sich
etwa um Röntgenbilder handelt, die
letztlich auch erst aufgrund von Kontakten und Berührungen zustande kommen.
Die Fähigkeit, Bilder zu ‹ erkennen ›,
unterscheide den Menschen gerade von
der Maschine, was Krois auf das so
genannte body schema zurückführt.
Diese dynamische, ikonische Form setze
den eigenen Körper immer in Relation zu
Raum, Zeit und Bewegung und verbinde
die visuelle Wahrnehmung zwangsläufig
mit allen anderen Sinnen. Erst dieses
body schema erlaube es auch Blinden,
Bilder herzustellen. Zwar erfordere das
Zeichnen von Bildern ebenso symbolisierende Fähigkeiten, aufgrund derer Linien
als Metaphern behandelt werden könnten, doch seien diese – wie das Beispiel
der Blinden belege – unabhängig vom
Visuellen. ( jg )
John Michael
Krois
Haptic Beginnings
of Depiction
« Movement is Form Awake.»
[ Plotinus VI. 3. 22, 13 – 14 ]
I
The assumption that depiction is a
matter of visual representation and
pictures are copies of the objects they
represent found its canonical philosophical expression in Plato’s characterization of mimesis. Of course, the
ancient Greeks made depictions of gods
and much else that nobody had ever
seen, as Plato himself recognizes ( Rep.
377e2 ), but for the mimetic theory such
images are simply proof of the unreliable nature of depiction. Hence, image
making ( eikasia ) was at the bottom of
Plato’s hierarchy of forms of knowledge
( Rep. 509d – 513e ). But even if it were
true that the human ability to create
depictions of what nobody has ever
seen illustrated a tendency to err, then
it would still be remarkable that such
image making practices are unique to
human beings. This fact led the philosopher Hans Jonas to argue in his 1961
essay « Homo pictor » [1] that the « differentia specifica » of human beings – that
which distinguishes them from other
animals – is their ability to create pictures. This claim contrasted sharply
with the traditional view that « reason »
was what typified human beings – the
capacity for abstract, theoretical thought.
But Jonas’s conception of pictures was
not revolutionary. His characterization
of depiction began with the claim: « An
erster Stelle steht die Eigenschaft der
Ähnlichkeit.» [2] This assumption, that
pictures resemble something else that
they depict, may seem obvious, but it
has been widely contested since the rise
of Modern art. One need only recall
Paul Klee’s famous claim : « Kunst gibt
nicht das Sichtbare wieder, sondern
macht sichtbar.» [3] The notion of similarity is static: something is given, and
something else is made that resembles
this given. This relationship admits
deviations, but not real creativity, which
would consist in the production of
something without any models in
nature. Klee explained his oft-quoted
declaration this way: « In Lessings Laokoon, an dem wir einmal jugendliche
Denkversuche verzettelten, wird viel
Wesens aus dem Unterschied von zeitlicher zu räumlicher Kunst gemacht. Und
bei genauerem Zusehen ist’s doch nur
gelehrter Wahn. Denn auch der Raum
ist ein zeitlicher Begriff.» [4] The view
that space is a temporal concept permits
us to understand depiction in a new
way, as an original act rather than as
reproduction.
We need to replace the static notion of similarity as the key to depiction
with the temporal process of « embodiment ». A « depiction » requires the creation of a bodily form possessing a kind
of meaning – not necessarily resembling something else. Instead of speaking only about depiction I want to rely
on the phrase « iconic form », which is
more general. To understand the production of iconic forms ( by which I
mean images of all kinds ) it is important to avoid one-sided conceptions of
the objects in question ( not just works
of art ) and in our theoretical approach.
For example, it is now commonplace to
understand depiction in comparison to
language and writing, so that even philosophers with very different orientations ( such as Roland Barthes and Nelson Goodman ) have opted for a purely
semiotic approach to iconic forms. As
semiotics is usually understood, it treats
objects in terms of their meanings, that
is, as signs, and only as signs, independently of their embodiment.
On a strictly semiotic view, we
never arrive at anything stable beyond
the signifying function, for the process
of referral from signifier to signified is
endless; we never arrive at the object
itself. The credo « like it or not, interpretation is the only game in town » has,
however, met with growing dissatisfaction in recent years. Reacting against
this outlook, some theoreticians today
seek to return to the concept of « presence » in order to preserve the autonomy
of objects in the face of endless interpretation. But this is accomplished at
the risk of falling back into static ways
of thinking. [5] Even Martin Heidegger’s
temporal understanding of « beingthere » [6] is too passive to make sense of
the active embodiment found in performances, and since even the act of
making a drawing is performative, the
notion of « presence » can be of little
help in the attempt to understand depiction. As it is usually understood, semiotics overemphasizes interpretation, while
Heidegger-inspired phenomenology is
inhibited by his emphasis on passivity
and anti-modern distrust of novelty.
Embodied processes require an enactive approach to objects.
The term « enactive » is used today
in research on human-computer-interaction to refer to knowledge based on
the active use of the hand for apprehension tasks ( think of a touchscreen or,
even better, a Wii ). The concept has
been extended to include the theory of
perception and conceptual thinking –
and it can help us to understand depiction and the creation of other iconic
forms as well. The view that space is a
temporal concept encapsulates the core
of enactive thinking, which turns the
contrast between « meaning » and
« being » around. In the enactive conception objects made from material substances are not « presences », but in a
constant state of change, as science and
our experience over time tell us they
are, whereas meaning and interpretation lift objects out of the changing here
and now and give them renewable and
enduring significance in time.
This invariance of meanings over
time is nonetheless a dynamic process,
which cannot be understood in terms of
static ontology. Natural images, such as
imprints ( such as fossils ), and manmade pictures ( such as a photograph of
a fossil ) are not static. Their invariance
over time derives in part from the fact
that each one is an individual material
object, although as such it is subject to
material aging. In the course of its natural history, each image is able to guide
viewers’ actions, perhaps to emotionally
move them, and to offer guidance for
their conceptual orientation. Iconic
forms are never merely present; they do
things to their viewers, changing the
way they feel, act, or think – either
immediately or in the long run. Depiction needs to be understood as a kind of
enactment rather than as imitation. In
this way, haptic processes, rather than
vision, prove to be the basis of iconic
forms.
40
41
II
Fig. 1 Rosalind Franklin, Photograph 51: x-ray
diffraction DNA-B Form, James D. Watson
Collection
Fig. 2 Leonardo da Vinci, Vitruvian Man
(ca. 1487), pen and ink with wash over metalpoint on paper, 344 x 245 mm
Fig. 3 M. C. Escher, Drawing Hands (1948),
Lithograph, 282 x 332 mm
Over the ages, the techniques of machines in which they are produced.
depiction have expanded, espe- Computer programs are Cartesian enticially since the invention of photogra- ties, independent of the hardware they
phy. [Fig. 1]
run on. But human identity derives from
This famous photo utilizes invisible the particular continuity of a person’s
X-rays. Today, digital imagery can dis- bodily life history. One of the most diffipense with photography completely and cult problems for software engineering
create reliable images without cameras is image recognition. Unlike pattern
or lenses and without involving even recognition, image recognition is a matpotentially visible objects, such as this ter of understanding what is depicted in
still image of the motion of electronic a picture. Humans can recognize in
fields in the muscles of the heart.
« Captcha » [7] tests that all the pictures
Such images depend neither on relate to the same kind of object, but as
visible light nor invisible X-rays. Instead, long as computer software has no bodthey are made using the data derived ily experience of living in the world
from sensors that register low-level there will be no way that programs can
magnetism. Computer programs trans- recognize objects in different images
form these signals into an image that that have no common appearance. For
maps the data. The « realistic » nature of this, active experience with such objects
such scientific images does not derive fills the gaps, but without it the images
from any similarity between their remain disparate.
appearance and the way something else
My thesis is that humans can reccan look to us. Few people can make ognize images because they possess
sense of such scientific images without what neurologists call a « body schema ».
guidance from experts. James Watson The body schema can be understood
was able to recognize the helix form of with the help of Leonardo’s so-called
DNA molecules in Rosalind Franklin’s « Vitruvian Man ». [8] [Fig. 2] This picture
X-rays, and a cardiologist can under- shows that the body defines a spatial
stand the meaning of an image made sphere, so-called peripersonal space, a
using MRI electrocardiographical tech- kind of invisible bubble that represents
niques to make arterial and ventricular our reaching distance. This space is not
electrical activation visible, which can- established by vision, but by our motor
not be seen even in open-heart surgery. capacities to reach. This is a dynamic
These « imaging » techniques may seem conception of space; it is not fixed, but
far removed from the topic of the « hap- changes with our movements. This
tic beginnings of depiction », but they sense of space is closely related to our
are not, in the sense that they result « body schema ». The neurologist Henry
from processes involving different kinds Head coined the term « body schema » in
of physical contacts, such as the spray of 1911 to refer to an organised non-conX-rays striking a photosensitive plate or scious postural model of our body in the
the measurement of magnetism regis- brain, but the philosophical importance
tered by sensors in magnetic resonance of this concept has only been developed
imaging ( MRI ) technology. The infor- in recent years, especially by Shaun Galmation derived from such soundings of lagher. Gallagher differentiates sharply
a body is not visible but needs to be between the body schema as a constanttransformed into images by instruments ly updated, largely unconscious model
or computer programs. The resulting of our body’s spatial disposition – in
visible iconic form or « picture » is in a movement or stasis – and the body
real sense a haptic image, even if it was image – our conscious picture of ourcreated without the sense of touch com- selves. We can become conscious of the
ing into play.
body schema on certain occasions such
When human beings receive as when, without thinking, we find that
information from their senses, it is also we can catch ourselves after slipping on
transformed into iconic forms, i. e. per- the sidewalk and do not fall. A recent
ceptual images. These may or may not neurological account gives these seven
be consciously perceived. The iconic characteristics of the body schema. [9]
forms created by imaging technologies
are never consciously perceived by the
The body schema is:
1. spatially organized – it represents the
body in space ( this is usually called proprioception ), 2. neurologically modular
– not located in a single place in the
brain, 3. updated with movement – the
state of our posture and positioning is
kept current, 4. adaptable – tools and
other extensions of the body become
incorporated into it, 5. supramodal –
visual, tactile and other stimuli enter
into it together, 6. coherent – continuity
of body experience across space and
time is preserved by a resolution of discrepancies between senses, 7. interpersonal – information from other bodies
and our own can be conjoined in it so
that group activities such as dance are
possible.
The body schema is iconic in
form, but unlike a picture of our body it
is not static. Our body image is relatively fixed and represents how we think
we appear to others. This can change
over time but the body schema is much
more dynamic. Like a motion picture it
is continuous over time but constantly
changing. It has been described as a
system of sensory motor capacities
which function « without awareness or
the necessity of perceptual monitoring ». [10] Insofar as it becomes conscious
to us, it has a haptic form : we notice
what, for us, is up and down, left and
right, front and back. Whereas our
body image is acquired over time after
birth, we are born with a body schema.
Gallagher calls it the « proprioceptive
self ». [11] Traditional notions of self-identity were mental, such as Kant’s notion
of the unity of apperception in his Critique of Pure Reason ( B 132 ) which he
described as the « Ich denke » that must
accompany all our thoughts. The « proprioceptive self » of the body schema
involves a motoric sensitivity to our
location in our peripersonal space,
whether we think about it or not. Apperception takes place in internal consciousness, but proprioception occurs
in the real space we are situated in. This
proprioceptive self has a corporeal unity
in space and time and this body is always
engaged in physically leaving marks or
casting shadows. It permits us to draw
lines and so create depictions. [Fig. 3]
The unity of apperception is the
continuity of thought in abstraction
from the body, but the proprioceptive
self involves the entire ambulatory
body. [12] The body schema enables even
those who were born blind to understand and make tactile images that utilize raised lines. [13] Only an ambulatory
subject that is subject to physical forces
and possesses a body schema can understand depictions. This is why computer
programs can recognize patterns but
not what is depicted by images. An
embodied intelligence can understand
embodied spatial organization and the
physical forces that characterize them, a
capacity found in animals as well as
humans. [14] But the ability to draw
requires symbolizing capacities as well,
the ability to treat lines metaphorically,
but these capacities are also independent of vision. [15] Homo pictor is also
animal symbolicum. Semiotic theoreticians are not wrong, only misled by the
association of meaning with the conventional signs in language, just as critics of semiotics are right to ask for the
embodied presence of iconic forms, but
prone to fall back into ontology. In
his Farbenlehre Goethe famously called
colours the « Taten und Leiden des
Lichts »: the acts and sufferings of light.
For humans, iconic forms originate
from a special kind of acting and suffering which depends not upon having
light to see, but having a body schema,
whose iconic form is the haptic beginning of depiction.
1 Hans Jonas, « Homo pictor und die
differentia des Menschen », in : Zeitschrift für
philosophische Forschung, 15, 1961, pp. 161 – 176.
2 Hans Jonas, « Homo pictor : Von der
Freiheit des Bildens », in : Gottfried Boehm (ed.),
Was ist ein Bild ?, München 1994, pp. 105 – 124,
esp. p. 107.
3 Klee’s contribution for « Schöpferische
Konfession », in : Paul Klee, Schriften : Rezensionen und Aufsätze, Christian Geelhaar (ed.),
Köln 1976, pp. 118 – 122, esp. p. 118.
4 Ibid., pp. 119 – 120.
5 Suzanne M. Jaeger, « Embodiment and
Presence. The Ontology of Presence reconsidered », in : David Krasner / David Z. Saltz (ed.),
Staging Philosophy. Interections of Theater,
Performance, and Philosophy, Ann Arbor 2006,
pp. 122 – 141, refers to Merleau-Ponty’s
phenomenological conception of the bodysubject and the « ontology » of presence in order
to discuss the concept of performance. But the
notion of « ontology » runs counter to her point
about embodiment, since « being-there » is
insuffient to explain performance. The difficulty
here may only be terminological, but it is highly
significant terminology, for it marks the
difference between enaction and mere existence.
6 Hans Ulrich Gumbrecht appeals to
Heidegger in his book Production of Presence :
What Meaning Cannot Convey, Stanford 2004.
7 « Captcha » stands for « completely
automated turning test to tell computers and
humans apart ». They were developed at
Carnegie-Mellon University. See http : / / www.
captcha.net / ( Oktober 2008 ).
8 Vitruvius, De architectura, 3.1.3.
Vitruvius describes how, in theory, the human
body fits into a circle and a square. Leonardo’s
picture does not show this happening.
9 Patrick Haggard / Daniel M. Wolpert,
« Disorders of Body Schema », in : Hans-Joachim
Freund / Marc Jeannerod / Mark Hallett / Ramón
Leiguarda (ed.), Higher-Order Motor Disorders.
From Neuroanatomy and Neurobiology to
Clinical Neurology, Oxford 2005, pp. 261 – 272,
esp. pp. 262 – 264.
10 Shaun Gallagher, How the Body Shapes
the Mind, Oxford 2005, p. 24.
11 Ibid., p. 83.
12 Kant recognized this; see Helge Svare,
Body and Practice in Kant, Dordrecht 2006.
13 See John M. Kennedy, Drawing & the
Blind : Pictures to Touch, New Haven 1993.
14 Dalila Bovet / Jacques Vauclair, « Picture
Recognition in Animals and Humans », in :
Behavioural Brain Research, 109, 2000,
pp. 143 – 165.
15 John M. Kennedy, « Meaning-Based
Theory of Depiction », in : Art Education, 36 ( 2 ),
March 1983 : Art and the Mind, pp. 12 – 14.
42
43
Körperliche Erfahrung und Taktilität sind
im Zuge einer Kultur- und Vernunftkritik
insbesondere im letzten Viertel des 20.
Jahrhunderts als verschüttete Garanten
authentischen Erlebens und leibhaftiger
Präsenz aufgedeckt geworden. Damit
wurde der Hierarchisierung der Sinne in
platonischer, christlicher und aufklärerischer Tradition und ihrer Privilegierung
der Fernsinne eine Aufwertung des
Tastsinns entgegengestellt, die Niklaus
Largier jedoch bereits in der mittelalterlichen Mystik beobachtet. Schon in Aristoteles’ Über die Seele ist der Tastsinn
nicht an ein eigenes Organ gebunden
oder als einzelner Sinn dargestellt,
sondern wird vielmehr als Fundament
aller Sinne begriffen. Diese Vorstellung
des Tastsinns als einer relationalen
Vernetzung aller Sinne wird in mittelalterlichen Texten aufgegriffen und als
Grundlage der Sinnlichkeit und Sinneserfahrung aller Lebewesen interpretiert.
Largier beschreibt mit Bezug auf Autoren
wie Thomas von Aquin oder Hendrik
Herp den Tastsinn als einen « Möglichkeitssinn », der sich immer wieder
den Versuchen entzieht, die Sinne physiologisch oder phänomenologisch zu
ordnen oder gar zu hierarchisieren, ohne
dass er dabei seine Materialität in Form
des Körpers, der Hand und der Haut
verlieren würde. Dies wird besonders
deutlich in mittelalterlichen Texten, die
sich mit der Praxis des Gebets beschäftigen und die eine Sprache der
Berührung, des Kusses, der Umarmung
oder des Schmerzes entwickeln, die
keineswegs nur als religiöse Allegorie
oder mystische Poetik zu lesen ist. Vielmehr entpuppt sich der Tastsinn in der
mittelalterlichen Mystik als das eigentliche, affizierende Medium zwischen
Mensch und Gott. Dabei steht jedoch das
Taktile gerade nicht nur für die Unmittelbarkeit des Bezugs zu den Dingen
und sich selbst, sondern für die Modellierbarkeit und Zeitlichkeit sinnlicher
Wahrnehmung, die ihrerseits die Seele
formt. ( jg )
Niklaus Largier
Gefährliche Nähe
Sieben Anmerkungen
zum Tastsinn
1.
Der dunkle Sinn
Wer über den Tastsinn nachdenkt, ist gefangen in den hierarchischen Konfigurationen, die den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung
traditionell in Nah- und Fernsinne,
höhere und niedere Sinne gliedern.
Dabei nimmt das « Gefühl », wie die
taktile und haptische Sphäre noch im
18. Jahrhundert vorwiegend genannt
wurde, zusammen mit dem Geschmack
und dem Geruch eine niedrige Stellung ein. Wo Sehen und Hören – platonisch, christlich und aufklärerisch
– mit Wort und Licht assoziiert werden, sind Schmecken, Riechen und
Berühren mit dem Dunkel und der
Verworrenheit des Körperlichen gepaart, in dem die unmittelbare Anbindung ans Materielle der Freiheit
des Geistes gegenübergestellt wird.
Schmecken, Riechen und Berühren
gehören in die diffuse Welt der Küche,
des Gartens und der Erotik, nicht in
den Bereich klarer visueller Perspek-
2.
Jenseits der Metaphysik ?
Was in diesem Bild vor uns steht, ist eines der Modelle, die wir schematisch als « abendländische Metaphysik » bezeichnen und als einen Leitdiskurs nicht nur der
Moderne betrachten. In Opposition zu solcher Schematik
paradigmatischer Gegensätze – Innen und Aussen, Objekt
und Subjekt, Präsenz und Absenz, Licht und Dunkel, Geist
und Sinne – haben sich denn auch die utopischen Rekurse
auf Körperlichkeit, Sinnlichkeit und schließlich die « niederen Sinne » verhalten, die charakteristisch sind für
Aspekte der Kultur- und Vernunftkritik besonders im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Man sprach vom Körper
und den Sinnen als Instanzen einer « Leibhaftigkeit », die
der Dominanz eines am Sehen und Hören orientierten
Herrschaftssystems, das zunehmend auch in seinen mediengeschichtlichen Dimensionen analysiert wurde, entgegengehalten wurden. Es überrascht daher nicht, wenn
auch die « Neubewertung » des Tastsinns in diesen Jahren
zu einem letzten Refugium solcher Metaphysik- und Kulturkritik geworden ist. Ich möchte diese, da sie immer im
Zeichen des Verlustes steht, als « romantisch » bezeichnen
– und ich tue dies durchaus im Wissen darum, dem spekulativen Verständnis der Sinnlichkeit bei den Romantikern unrecht zu tun. Im Unterschied zu dieser « romantischen » Haltung, die den Verlust der Natur, des Körpers,
der materiellen Unmittelbarkeit einklagt und das Taktile
letztlich als Residuum einer kulturell verschütteten oder
verbotenen Präsenz fasst, werde ich die Berührung als
eine Sphäre der Modalität und der relationalen Vernetzung fassen, die sich hierarchischer Ordnung entzieht.
Dies hat seinen Grund darin, dass vom Tastsinn nicht nur
tivierung, diskursiver Transparenz
und intellektueller Distinktion. Sie
stehen, trotz der reichen biblischen
Metaphorik, die das Paradies und das
kommende Reich in Bildern von Milch,
Honig und – vor allem im Hohelied –
intimer Berührung vorführt, unter
dem moralischen Verdacht überwältigender Affekte und dem epistemologischen Verdacht der Unschärfe und der
ungebändigten Vielfalt. So schreibt
der Heilige Hieronymus, dass die Sinne « gewissermassen die Fenster » sind,
die den « Lastern » Einlass gewähren,
und dass vor allem die « körperliche
Berührung » die Seele verdunkle und
den Menschen in den « Wahnsinn »
treibe : « Tactus autem alienorum corporum […] vicinus insaniae est. » Um
dem zu entfliehen, fährt er fort, haben
sich die Philosophen aus den Städten
zurückgezogen und in der Einsamkeit
ihrer Klausen und Studierzimmer
Zuflucht gesucht.
im Blick auf das Sinnesorgan, sondern vor allem im Bezug
auf die Vielfalt der Wahrnehmung und Affizierung die
Rede ist. Der Tastsinn, so könnte man vielleicht zugespitzt
sagen, ist nichts, und daher die Möglichkeit, alles zu sein
und alle Empfindung und Wahrnehmung zu begleiten. Er
ist Hand und Haut, haptischer Zugriff und taktiles Erspüren, darin jedoch zugleich ein Modus, in dem Aktivität und
Passivität zusammenfallen und so das Spezifische sinnlicher Wahrnehmung als Einheit von Produktion und
Rezeption beschreibbar wird. Berührung ist Relation und
Modalität affektiver und sinnlicher Kommunikation und
Absorption. Darin liegt, wie Hieronymus schreibt, ihre
Kraft, den Menschen erotisch in den Wahnsinn zu treiben
– und darin trifft sich der Aspekt der im Sinnesorgan der
Hand und Haut angesiedelten Erfahrung mit dem psychischen Ereignis, das wir unter dem selben Wort fassen,
wenn wir innerlich überwältigt werden. Im Tastsinn spiegelt sich, wenn wir nochmals Hieronymus folgen wollen,
die Unordentlichkeit des Urbanen und der sinnlichen Vielfalt, fehlt ihm doch die Fokussiertheit des Blicks und des
Wortes. Dies ist indes nicht der Fall, weil der Tastsinn der
unterdrückte niedrigste Sinn und die Ebene unmittelbarer
Materialität oder Leiblichkeit ist, sondern weil dieser sich
auf eigenartige Weise immer wieder den Versuchen entzieht, die Sinne physiologisch oder phänomenologisch zu
ordnen. Es ist, als wäre der Tastsinn – diesseits und jenseits des Greifens, Haltens, Berührens und körperlicher
Gewalt – das Leben der Sinne selbst, oder doch der Sinn,
innerhalb dem die übrige sinnliche Wahrnehmung Gestalt
annimmt.
44
45
3.
Taktilität
Wenn ich angesichts des Taktilen nicht eigentlich
von einem « Sinn » spreche, der über das hierarchische Modell der « fünf Sinne » zu verstehen ist, beziehe ich mich auf
eine Differenzierung, die Thomas von Aquin in seinem
Kommentar zu Aristoteles’ Traktat über die Seele macht. Er
schreibt dort im Anschluss an Aristoteles, dass der Tastsinn
nicht mit dem « Fleisch » als Organ zu identifizieren sei, sondern dass er « gewissermassen die Wurzel und das Fundament aller Sinne » und so die Grundlage der Sinnlichkeit
und Sinneserfahrung aller Lebewesen bilde. Was lebt und
empfindet, tut dies nur, solange es berührt und berührt
wird. Damit verliert der Tastsinn keineswegs seine Materialität. Er ist und bleibt Körper, Hand und Haut. Gleichzeitig
ist er aber auch mehr, nämlich das, was ich als « Modalität »
und « Relationalität » bezeichnet habe, gründet doch nach
Thomas alle Sinnlichkeit im strukturellen Moment der
Berührung und den damit einhergehenden Modifikationen
des Lebens der Seele. Wir können diese « Modalität » einerseits als Offenheit und Reziprozität verstehen, die alle Sinneserfahrung begleitet, und zwar auf eine ganz praktische
Weise. Wo immer die Sinne tätig werden, folgen sie zunächst dem Modell des Berührens, der Affizierbarkeit, in
der Innen und Aussen, Oben und Unten, Objekt und Subjekt
nicht prinzipiell unterscheidbar sind, sondern im Effekt und
im singulären Ereignis zusammenfallen.
4.
Darin liegt die Gefahr, von der Hieronymus spricht und
die er im philosophischen Schema zu überwinden sucht,
das aus der gefährlichen Nähe und dem Gewimmel der
Städte – kurz : aus dem Bereich der Manipulierbarkeit und
der artifiziellen Stimulierung – in die kritische Distanz
der philosophischen Klause flieht. Das Taktile ist dem
gegenüber nicht der « Sinn » für das Partikuläre und Singuläre, kurz für das, was sich aller Totalität entzieht, sondern die Form der Sinne, ihre Absorption im Ereignis und
im Moment, welche die einheitlichen und zeitlosen Bilder
der Welt in gefährlicher Nähe unterläuft ( ohne, wie ich
meine, dabei etwas « Authentisches » zum Ausdruck zu
bringen ).
Der Möglichkeitssinn
Umgekehrt bedeutet dies auch,
dass gerade der Tastsinn eine eigenartige Stelle besetzt, die ihn aus dem
Gegensatz von Naturalismus und AntiNaturalismus, Authentizität und Artifizialität heraushebt. Dies wird vor
allem dort deutlich, wo die mittelalterliche Spiritualität auf den Tastsinn
zurückgreift und diesen auf überraschende Weise dem Sehen und Hören
gegenüber aufwertet. Dabei stehen
nicht Strategien einer sensualistischen
oder anthropologischen Privilegierung oder Diskreditierung im Zentrum, die uns aus der Moderne bekannt sind. Der Tastsinn ( die Texte
sprechen von tactus und tactus spiritualis ) gilt hier vielmehr als derjenige
Sinn, der die Formbarkeit der Seele
in Prozessen der Wahrnehmung auf
b e s o n d e r e We i s e z u m Au s d r u c k
bringt. Als Sinn der Sinne, als Fundament aller sinnlichen Wahrnehmung
ist er das Medium, durch das die Seele
auf vielfache Weise Form annehmen
und durch das ihr künstlich Form verliehen werden kann. Als Hand, Haut
und Körper ist der Tastsinn der mate-
rielle Aspekt dessen, was Seele genannt wird und in mittelalterlichen
Traktaten unter Gesichtspunkten gerade auch der Virtualität, der Affizierbarkeit und der Manipulierbarkeit
behandelt wird.
Ich bin versucht, hier einen Begriff zu verwenden, den Robert Musil
im Mann ohne Eigenschaften einführt,
nämlich den des « Möglichkeitssinns ».
Als Fundament aller Sinne ist der
Tastsinn Möglichkeitssinn par excellence, da er Prinzip des Erfahrbaren
und Grundlage seiner Gestaltung ist.
Alle übrigen Sinne, selbst Sehen und
Hören, sind ihm gegenüber in dieser
Hinsicht sekundär, da es die Blindheit
und Dunkelheit des Tastens und der
Berührung sind, die den Raum der
Möglichkeit abgeben, den Sehen und
Hören, Riechen und Schmecken zu
gestalten vermögen. Damit befinden
wir uns jedoch nicht wieder in einem
hierarchischen Schema, sondern in
einem Schema der Konvertibilität, in
dem der Tastsinn, der als Sinn die Berührung verkörpert, gleichzeitig alle
anderen Sinne begleitet.
5.
Praxis
Deutlich wird diese Perspektive
vor allem in mittelalterlichen Texten,
die sich mit der Praxis des Gebets
beschäftigen und die oft eine der Mystik eigene Privilegierung des Dunkeln
und der Nacht zum Ausdruck bringen. Was sich damit verbindet, ist eine
Sprache der Berührung, des Kusses,
der Umarmung, die aus dem biblischen Text des Hoheliedes entwickelt
wird und die man in der Regel metaphorisch zu lesen geneigt ist. Die Privilegierung des Taktilen bei Autoren wie
Hugo von Sankt Viktor, Wilhelm von
Saint-Thierry, Mechthild von Magdeburg, Margarete Ebner und Rudolf von
Biberach ist indes keineswegs bloß
eine Spielart religiöser Allegorik oder
mystischer Poetik. So schreibt etwa
Mechthild, ihre « Andacht » bestehe
darin, « ohne Unterbruch die grundlose
Gottheit zu berühren ». Diese Betonung der Berührung, wie auch Margaretes Lob des « Liebeskusses » zwischen ihr und Gott, kompensiert nicht
nur metaphorisch in Anlehung ans
Hohelied die Unerkennbarkeit Gottes
und das « Dunkel der Gottheit », sondern sie rekurriert auf die Vorstellung
des Tastsinnes, die ich eben dargestellt
habe, um der Körperlichkeit ihrer Gotteserfahrung Ausdruck zu geben. Das
Taktile wird dabei privilegiert, da es
ultimativer Möglichkeitssinn ist, der
die Differenzmomente und die Objektivierung der anderen Sinne unterläuft,
aber gleichzeitig auch ihre Entfaltung
ermöglicht. So schreibt denn auch der
spätmittelalterliche Theologe Hendrik
Herp, der Tastsinn sei das « eigentliche
Medium zwischen Mensch und Gott »
( « tactus iste est ultimum medium inter
Deum et spiritum nostrum » ), da er
eine Einheit herzustellen vermöge, in
der Innen und Außen, Geist und Materie als Unterscheidungskriterium nicht
mehr gültig seien.
Die Einheit, von der Herp spricht, ist
keineswegs abstrakt, sondern als Praxis der Sinnlichkeit gedacht, in der die
Sinne im Gebet stimuliert werden. Dies
entfaltet sich oft in Form einer phänomenologischen Exploration sinnlicher
Erfahrung und leidenschaftlicher
Affekte, die gezielt durch Texte und
Bilder hervorgerufen werden und –
etwa in Texten der so genannten Frauenmystik – eine experimentelle Poetik
emotionaler und sinnlicher Zustände
herausbilden.
Dass diese Praxis der Erregung
der Sinne und Affekte und die damit
verbundene Phänomenologie immer
wieder auf die Taktilität rekurriert,
macht drei Dinge deutlich : Zunächst,
dass damit nicht ein bestimmter « Sinn »
privilegiert werden, sondern eine
Schwelle markiert werden soll, welche
die Sinnlichkeit zum Möglichkeitsraum
vielfältiger Erfahrung macht. Zweitens,
dass das, was wir Sinnlichkeit nennen
und den fünf Sinnen zuschreiben,
immer Objekt der Gestaltung, der
Manipulation und der medialen Vermittlung ist. Und drittens, dass die
Sphäre der körperlichen Erfahrung
nicht als natürliche und authentische
Sphäre vom virtuellen Raum artifizieller Konstrukte unterschieden werden
muss. Die Privilegierung des Taktilen
zeichnet vielmehr ein Bild der Sinne,
in dem das Virtuelle immer schon Teil
des Realen ist und sich darin einnistet.
Mittelalterliche Autoren sprechen denn
auch schon von den « virtuellen » Sinnen, besser der Virtualität sinnlicher
Erfahrung, wenn sie sich darauf beziehen, dass alle Sinneserfahrung durch
Artefakte und kulturelle Praktiken
gestaltet und intensiviert wird. Der
Tastsinn gibt dafür als Modell der Reziprozität die Folie ab. Die Macht der
Berührung von Reliquien hat darin
ebenso ihren Ursprung wie die visionäre Erfahrung, von der die Mystiker
sprechen, wenn sie die Liturgie hören
und Bilder betrachten.
46
47
Abb. 1 Jan Brueghel d. Ä. und Peter Paul
Rubens, Allegorie des Gefühls ( 1617–18 ), Öl auf
Holz, 65 x 110 cm ( Museo del Prado, Madrid )
6.
Allegorie des Gefühls
Eine theologische Voraussetzung dieser praktischen
Herausforderung fundamentaler metaphysischer Kategorien in der Sphäre des Taktilen und in einer Körperlichkeit, die Reales und Virtuelles vermischt, ist selbstverständlich die Lehre von der Inkarnation. Dies macht auch
die berühmteste Allegorie des Tastsinnes deutlich, nämlich Jan Brueghels Allegorie des Gefühls. [Abb. 1]
Einen Schwerpunkt des Bildes, das uns die Welt des
Haptischen und des Taktilen in ihrer Vielfalt vor Augen
führt, bilden Venus und Amor, die sich küssen. Das pagane
Motiv, das die Berührung als Kuss fasst ( und damit natürlich auch ans Hohelied erinnert ), steht indes hier nicht
allein. Über ihm hängen – als Bild im Bild – zwei Gemälde,
die Christus an der Geißelsäule sowie die Beschneidung
Christi darstellen. Sie öffnen einen Resonanzraum, in dem
der zwischen Amor und Venus ausgetauschte Kuss seine
scheinbar heidnische Natur verliert und als Verkörperung
der Liebe in der Berührung zu fassen ist, die sich in ihrer
körperlichen Wirklichkeit der Inkarnation verdankt.
Dass Brueghel nicht die topischen Motive des Noli
me tangere oder des zweifelnden Thomas aufgreift, um
seine Allegorie der Berührung christlich zu gestalten, ist
bezeichnend. Im Rückgriff auf die Flagellation, die als
Szene der in der Berührung am Körper geübten Gewalt
immer gleichzeitig als Negation und als Affirmation des
Fleisches zu lesen ist, übernimmt Brueghel ein schon im
Spätmittelalter und im Kontext der oben zitierten Autoren
wichtiges Motiv. Es verknüpft den Tastsinn, gerade in Hinsicht auf das intimste Moment des Kusses, mit der Inkarnation und mit der in der mittelalterlichen religiösen Praxis verbreiteten Imitatio Christi durch die Flagellation. Sie
ist Verkörperung der Berührung im Schmerz und damit
Bild der Absorption, für die das Taktile steht. Wer die Flagellation wiederholt, wird eins mit Christus nicht nur im
Glauben, sondern in der Realität des Schmerzes, die artifiziell hergestellt wird. Dass diese Absorption alle anderen
Sinne und den Bereich der Affekte umfasst, machen spätmittelalterliche und frühneuzeitliche religiöse Texte deutlich, wenn sie die Geißelungsszene zum Modell der Meditation machen. Man mag dies als Kuriosität und mystischen
Extremismus betrachten, doch verkennt man dabei die
systematische Bedeutung dieser Praktiken. Sie führen
nicht nur eine radikale Spiritualität vor Augen, sondern
eine Kunst des Experiments, welche die Sinne in vielfältigen Formen inszeniert, sie ästhetisch exploriert und dabei
immer neu auf die Taktilität rekurriert. Gerade in der
Kunst, die solche Traditionen begleitet, wird denn auch
das Visuelle zunehmend taktil. In Figuren des Schmerzensmannes, der Pietà, blutender und von Wunden gezeichneter Körper wird die visuelle Erfahrung gebunden an die
taktile Exploration, die immer punktuell ist.
7.
Paradoxien
Dass der Tastsinn in dieser spirituellen Perspektive als privilegierter
Sinn erscheint, mag man – nicht nur
im Licht der Hieronymus-Zitate – als
Paradoxie betrachten, wird doch damit die traditionelle Licht- und Wortmetaphysik nicht einfach außer Kraft
gesetzt, sondern einer Topologie unterworfen, die das Partikuläre, Singuläre
und – ästhetisch gesprochen – das Pittoreske privilegiert. Nicht die Harmonie und die Totalität ist Ort dieser – im
ursprünglichen Sinne von aisthesis –
ästhetischen Erfahrung, sondern der
fragmentierte Körper, die Spur der
Verwundung, die pittoreske Gestalt,
die Konvergenz von Figur und Disfiguration, von glatter Oberfläche und rauher Berührung.
So steht der Tastsinn gerade nicht
für die « Authentizität » der Erfahrung,
die Präsenz oder die Unmittelbarkeit
des Bezugs zu den Dingen und sich
selbst, sondern für die Modellierbarkeit sinnlicher Wahrnehmung, für ihre
Uneinheitlichkeit, Unebenheit und
Undeutlichkeit. Umgekehrt macht die
hier skizzierte Geschichte des Tastsinnes ebenso deutlich, dass es vielleicht
falsch ist, wie etwa Hartmut Böhme
vom « Christentum » als der « Kultur »
zu sprechen, « welche die Immaterialisierung am nachhaltigsten betrieben
hat, die heute medientechnisch verlängert wird ». Dass dies im Blick auf die
Etablierung gewisser kultureller Paradigmen in der Tat der Fall ist, lässt sich
nicht bestreiten, doch darf man wohl
im Gegenzug dazu auch von einer
Strategie der Materialisierung ausgehen, die dem « Christentum » entspringt
und die den Schrift sinn nicht « entmaterialisiert », sondern in einen Materialismus überführt. Dieser ist indes nicht
mit dem Materialismus oder Sensualismus der Metaphysik zu verwechseln,
sondern als Privilegierung des Taktilen im Zeichen eines strategischen
Umgangs mit dem Haptischen, das
immer auch von Gewalt gezeichnet ist.
Man mag das « Noli me tangere », das
« Berühre mich nicht », das Jesus nach
der Auferstehung zu Maria Magdalena
spricht, mit mittelalterlichen Autoren
– und zuletzt mit Jean-Luc Nancy in
Noli me tangere – denn auch nicht als
Verbot der Berührung lesen, sondern
als Verbot eines haptischen Zugriffs,
der das Berührte festhält und es damit
den Möglichkeiten sinnlicher Erfahrung entzieht, die das Taktile eröffnet.
In Jan Brueghels oben erwähntem Gemälde heißt dies : Der fleischlich-pagane Kuss, der im Zentrum steht, setzt
sich ab von der Welt der Objekte einer
haptisch-gewalttätigen Welt, insofern
er – selbst prekär, und nur scheinbar
paradox – gerahmt ist durch die singulären Szenen der Geißelung und der
Beschneidung Christi.
48
49
Architektur ist gebaute Masse. Ein Verbund aus den unterschiedlichsten Materialien. Eine Vielzahl von Oberflächen,
über die hinweg wir schreiten, auf denen
wir sitzen, an die wir uns anlehnen, an
denen wir uns festhalten, die wir jeden
Tag nicht nur mit Augen betrachten, sondern mit Füßen und Händen berühren
und betasten. Wenn Architektur auch
von alters her eine künstlerische Gattung
ist, die die Gesamtheit unserer Sinne
adressiert, so ist doch wenig über die
körperliche und kinästhetische Dimension ihrer Ästhetik geschrieben worden,
und kaum etwas, das die konkrete Haptik
bestimmter Gebäude zur Sprache brächte. Philip Ursprung hat sich dieser Aufgabe gestellt. In seinem Beitrag berichtet
er von Begegnungen mit zwei Werken
des Architekten Peter Zumthor, die für ihn
selbst Schlüsselerlebnisse gewesen sind
und sein Nachdenken über die Taktilität
von Bauten angestoßen haben.
Hans Danusers 1989 entstandene
Aufnahmen der Kapelle Sogn Benedetg
in Sumvitg begleiten den Text nicht
bloß als Illustrationen. Sie sind Ergebnis
einer bemerkenswerten künstlerischen
Auseinandersetzung mit diesem Bau, die
hier in Dialog mit der diskursiven tritt.
Wir hoffen, so eine Idee von jener Spannung zwischen visuellen und taktilen
Qualitäten vermitteln zu können, die
Zumthors Baukunst charakterisiert. ( sn )
Philip Ursprung
Zumthors
Oberflächen
Hans Danuser
Kaplutta Sogn
Benedetg Sumvitg,
1989
Mehr als die legendäre Episode zu Beginn von Marcel
Prousts Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen
Zeit, als sich der Erzähler durch den Geschmack einer in
Tee getunkten Madeleine in die Kindheit zurückversetzt
fühlt, hat mich stets eine andere, weniger bekannte Stelle
am Ende des monumentalen Werks interessiert. Nämlich
diejenige, als der Erzähler nach einem Fehltritt im Hof
eines Pariser Stadtpalais beginnt, eine bestimmte Schrittfolge auf zwei Steinstufen zu wiederholen. Die Passanten sehen dem gedankenverloren von einem Bein aufs
andere Tretenden amüsiert zu, bis dieser sich endlich an
den Anlass seiner Obsession erinnert – an Venedig. Genauer, an das überwältigende Gefühl des räumlichen Kontrastes, das er Jahre zuvor erlebte, als er über zwei unebene
Steinplatten des Baptisteriums von San Marco geschritten war. [1] Die von Proust geschilderte Erinnerung verbindet den Gesichts- und den Tastsinn – das Gefühl des
Bodens unter den Füssen – mit der Erinnerung an einen
Bewegungsablauf. Sie hängt mit dem zusammen, was
Maurice Halbwachs als « räumliches Gedächtnis » bezeichnet hat. [2] Und sie ist zweifellos grundlegend für unsere
Art, Architektur wahrzunehmen.
Peter Zumthor gehört zu denjenigen Architekten, für
den das Zusammenspiel des Gesichts- und Tastsinns zentral ist, und dessen Projekte sich stets um den Zusammenhang zwischen dem Körper des Individuums und dem
umgebenden Raum drehen. Ich habe allerdings lange
gebraucht, bis mir dies klar wurde. Mein Bild von seiner
Architektur stand bis vor wenigen Jahren einigermaßen
fest. Es war durch visuelle und ideologische Aspekte
fixiert. Ich hatte zwar Respekt vor der Schönheit und
atmosphärischen Wirkung seiner Bauten, der Konsequenz, mit der die verschiedenen Projekte auseinander
hervorgingen, und dem im internationalen Vergleich
gemächlichen Tempo, das sein Büro bestimmte. Aber ich
war skeptisch gegenüber seiner Idee der Authentizität,
der meiner Ansicht nach anachronistischen Auffassung
der Natur, sowie dem romantischen Impuls, der sein Werk
durchdringt. Obwohl ich viele seiner Bauten gesehen hatte, war mein Bild in erster Linie durch Photographien
geprägt, allen voran derjenigen, die Hans Danuser 1987
und 1988 von der eben fertiggestellten Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg, in den Bündner Alpen, gemacht hatte
und über die ich Zumthors Werk zuerst wahrgenommen
hatte. Namentlich jene Aufnahme, welche die sozusagen
im Nebel aufgelöste Kapelle zeigt, hatte sich in meiner
Imagination untrennbar mit dem Namen Zumthor verwoben. Es war mir gar nicht anders möglich, als seine Architektur unter dem Aspekt der Bildlichkeit zu sehen, also
gerahmt, distanziert, für den Blick gebaut.
Dann besuchte ich im Frühling 2004 Sogn Benedetg.
Ich ging ein Stück zu Fuß durch den kleinen Weiler über
Sumvitg, vorbei an Bauern- und Ferienhäusern, dann
einen schmalen Feldweg hoch, der recht steil zur Kapelle
führte. Die momentane Anstrengung des Aufstiegs, das
Knirschen des Kieses unter den Schuhen, der Geruch des
Tannenholzes des nahen Waldes, die Engräumigkeit der
Bauten prägten meine Perspektive. Ich hatte das Bild einer
erhaben in der Alpenlandschaft liegenden Kapelle im Kopf
und wartete darauf, dass dieses auch in Wirklichkeit erschien. Aber dann tauchte der Bau ganz unvermutet vor
mir auf, viel kleiner als erwartet, viel eleganter. Die Schindeloberf läche der Außenhaut war von der Sonne verbrannt, ganz so wie die Ställe der Umgebung. Die wenigen,
sehr schmalen Betonstufen, die zur Tür führten, fühlten
sich härter an als der Kiesweg, aber zugleich bequemer.
Nach dem Aufstieg über den Weg waren die zwei, drei
Schritte zur Kapelle mit keiner Anstrengung verbunden.
Ich hatte weniger den Eindruck, hinauf zu schreiten als
hinab zu gehen, und zugleich wurde der Schritt, nach der
Unsicherheit des Feldwegs, unwillkürlich gemessener,
dem Bau angemessen. Proust kam mir in den Sinn, beziehungsweise die räumliche Erinnerung an unzählige
Momente, in denen zwei, drei Schritte zu einer radikalen
Veränderung des Raumeindrucks geführt hatten.
Fast von selber glitt meine Hand über den dünnen
Handlauf aus Metall, so, wie man sich bei einer Gangway
gerne festhält, bevor man ein Schiff besteigt. Dann stand
ich vor der Türfüllung aus senkrechten Holzlatten, eine
Oberfläche, die viel leichter und zugänglicher wirkte als
die üblichen Tore, welche den Eingang zu Kirchen versperren. Ein kurzer Moment des Zögerns – wird die Kapelle offen sein, habe ich die lange Reise vergeblich gemacht ?
dann öffnete sich die Tür fast wie von selber. Die unerwartet lange, schmale Türklinke, welche die Hebelkraft verstärkte und wie ein Werkzeug gut in der Hand lag, erleichterte den Eintritt zusätzlich. Ich war somit bereits in der
Eingangssituation in die Räumlichkeit der Kirche involviert, Teil geworden einer Choreographie von alltäglichen
Bewegungen und Gesten. Meine Bewegungen waren von
den einzelnen Elementen des Baues gelenkt und wirkten
zugleich auf diesen zurück. Später sollte mir Zumthor im
Gespräch erklären, dass er Räume stets von einem Körpergefühl ausgehend entwickelt und « ein Gefühl für einen
Körper, für eine physische Präsenz oder eine Ausstrahlung » den Entwurf motivieren. [3]
Mein Hineintreten in den Bau war vergleichbar dem
Überziehen eines Kleidungsstückes. Der Moment des Eintretens war nicht durch eine konkrete Schwelle markiert,
sondern durch die Veränderung der Wahrnehmung. Der
Übergang war diskontinuierlich in dem Sinne, dass das
Außen mit dem Innen unvereinbar war – der Prozess des
Übergangs glich einer Reihe von Schnitten in einer filmischen Montage. Wiederum spielten Gehör-, Geruch-,
Gesichts- und Tastsinn ineinander. Die Wärme und Weichheit des Holzbodens unter den Schuhen unterschied sich
klar von der Kühle des Zements der Tritte. Der Holzgeruch war ein ganz anderer als draußen, wo sich der Duft
des Waldes mit demjenigen der Wiese gemischt hatte. Das
Licht war unerwartet hell. Und weil der Boden sozusagen
in die Konstruktion eingehängt war, kam ich mir vor wie
innerhalb eines begehbaren Resonanzkörpers, der die
Geräusche meiner Schritte verstärkte. Weil keine Fenster
existierten, keine Aussicht im eigentlichen Sinne geboten
wurde, veränderte sich auch die Bewegung des Körpers.
Während der Annäherung war dies eine lineare Bewe-
50
51
gung gewesen. Im Inneren lenkte der tropfenförmige
Grundriss die Schritte sozusagen zu einem Loop, bis ich
mich auf eine der massiven Holzbänke setzte. Für Gläubige war dies zweifellos der Moment, in dem sie sich für das
Gebet sammeln konnten. Für mich wurde es zu einem
Moment größter Aufmerksamkeit, wo die Erinnerungen
des Eintretens, die Wahrnehmung der diversen Sinneseindrücke und die Reflexion über den Ort miteinander verschwammen.
Mein Bild hatte sich verändert, beziehungsweise, ich
konnte den Bau nicht mehr auf ein Bild reduzieren. Anstelle eines in der Umgebung sich auflösenden Gebäudes, das
in der Abgeschiedenheit der Alpen mit der Natur verschwimmt, stand ich vor einem durch und durch zeitgemäßen Bau, als ob die Kapelle gerade eben errichtet worden wäre und nicht vor fast zwanzig Jahren. Der Bau, so
meine Wahrnehmung, bestand ausschließlich aus Oberflächen, die sich übereinanderlegten und eine topologische, aber keine kontinuierliche Räumlichkeit definierten,
so, als ob der Raum durch aufblätternde Schichten performativ entstehen würde. « Fenster », welche den Übergang
zwischen Innen und Außen artikulieren und ein Indiz für
räumliche Kontinuität sind, gab es nicht. Stattdessen war
das Dach ein wenig abgehoben, um Licht einzulassen.
Und die Wand, beziehungsweise die äußerste, mit Schindeln überzogene Schicht, die sich wie eine textile Membran um den Baukörper zog, war gerade so weit aufgespreizt, dass sich eine Öffnung anbot, die aber wiederum
kaum als « Tür » bezeichnet werden konnte. Zudem war der
Bau alles andere als erdverbunden. Im Gegenteil, die wenigen Stufen vor dem Eingang schienen vor dem Kontakt
mit der Kapelle zu zögern, als ob der direkte Übergang
zwischen dem Terrain und dem Gebäude unmöglich wäre.
Die Topographie der alpinen Landschaft und die Topologie der Architektur waren unvereinbar, diskontinuierlich.
Die konkrete Begegnung mit Sogn Benedetg hatte
mir klar gemacht, dass der visuelle Eindruck, die Wahrnehmung der Architektur als statisches Bild, dem Ansatz
von Zumthor nur partiell gerecht wird. Zumthor selber ist
sich dessen bewusst. Für die Retrospektive, die 2007 in
dem von ihm selber gebauten Kunsthaus Bregenz stattfand, verzichtete er ganz auf Photographie. Er fokussierte
auf die Ausstellung von Konzeptmodellen und der Projektion von Videoaufnahmen von Nicole Six und Paul Petritsch, die Ausschnitte aus seinen Bauten im Alltag zeigen.
In seinem jüngsten Bau, der Bruder-Klaus-Kapelle
( 2007 ) in Mechernich Wachendorf in der Eifel, etwa eine
Stunde von Köln entfernt, ist die Rolle des Bildes gegenüber der Taktilität noch einmal stärker in den Hintergrund
gerückt. Es zirkulieren zwar zahllose Aufnahmen des
Gebäudes, aber sie werden der unmittelbaren Erfahrung
vor Ort nicht gerecht. Die Wirkung der Materialien des
Baues auf die Besucher ist photographisch nicht wiederzugeben. Bei meinem eigenen Besuch im Frühling 2008
hatte ich wiederum eine Reihe von Bildern im Kopf. Aber
wie bei Sogn Benedetg musste ich diese revidieren. Der
Bau dreht sich ganz um die Thematik des Abdrucks. Die
Hülle entstand durch Stampf beton, der, Schicht für
Schicht, in zahlreichen so genannten Tagewerken, aufgetragen wurde. An der glatten Außenwand lassen sich diese
Schichten ablesen und machen damit den Zeitraum der
Entstehung deutlich. Im Inneren wurden nicht glatte
Schalungsbretter verwendet, sondern Fichtenstämme,
welche wie ein Zelt aufgeschichtet waren. Die Oberfläche
des Innenraums ist somit ein Negativ-Abdruck der Hölzer.
Um die Stämme anzutrocknen und damit leichter herauslösen zu können, wurde, wie in einem Köhlerhaufen, ein
dreiwöchiges Mottfeuer angezündet. Es verleiht der Betonoberfläche einen dunkel schimmernden Glanz und versieht den ganzen Bau mit Holzkohlengeruch. Der Fußboden wiederum besteht aus ausgeschüttetem Zinnblei. Die
verschiedenen Tempi der Herstellung sind als Spuren präsent und laden dazu ein, die Produktion nachzuvollziehen.
Unwillkürlich bediente ich mich dabei immer wieder des
Tastsinnes. Schon die überraschende Dunkelheit im Inneren brachte mich in den ersten Minuten, bis sich meine
Augen an sie gewöhnt hatten, dazu, mich stärker auf den
Tastsinn zu verlassen. Wegen der schmalen Eingangssituation – das Eingangstor in Form eines spitz zulaufenden
Dreiecks stimmt bereits auf die Zeltform im Innern ein –
war es ohnehin kaum möglich, in die Kapelle zu gelangen,
ohne die rauen Wände mit den Schultern und Armen zu
berühren. Die Unebenheit des Metallbodens, die überraschend weiche und warme Oberfläche, verführte mich
dazu, eine Weile ziellos hin und her zu schreiten und mich
ganz dem unerwarteten Genuss hinzugeben, einen Raum
einmal auch mit den Füssen zu erkunden. Wie bei Sogn
Benedetg bremste die räumliche Umgebung die Bewegung und wandelte sie von einer linearen zu einer loopförmigen. Die traditionellen Embleme für räumliche Kontinuität waren gänzlich ausgeschaltet. Das Tor aus Beton
war ein Stück Wand, das sich bewegen ließ. Die Verbindungsrohre, welche die innere und äußere Schalung verklammerten, waren mit Glaspfropfen verschlossen und
spendeten punktförmiges Licht. Am meisten Licht fiel
durch die Öffnung an der Decke, durch die man wie durch
einen offenen Kamin nach oben blickte.
Zumthor hat mit der Bruder-Klaus-Kapelle die Architektur weit weg von der Bildlichkeit bewegt. Die äußere
Form, ein scharfkantiger Monolith auf fünfeckigem Grundriss, ist von der inneren, höhlenartigen Form völlig unabhängig. Obwohl die meisten Interpreten, gestützt auf
Zumthors eigene Angaben, die Beziehung des Baus zur
Gegend betonen – etwa die Tatsache, dass der Bau von
einem lokalen Bauern in Auftrag gegeben und von diesem
teilweise auch selber errichtet wurde, oder auch die Tatsache, dass die Materialien aus der unmittelbaren Umgebung stammen –, ist abermals die Diskontinuität das vorwiegende Merkmal. Die Kapelle fungiert als Ort, wo die
Bilder im Kopf, die Erinnerung an andere räumliche Situationen, die divergierenden Eindrücke vor Ort, der religiöse Glauben und die skeptische Reflexion zusammentreffen. Die Komplexität dieses performativen Raums
kann, im Moment, weder begrifflich noch als Bild fixiert
werden. So, wie ich mich manchmal dabei ertappe, mich
in den Arm zu kneifen um sicherzugehen, dass ich nicht
träume, so kam ich auch im Inneren der Kapelle nicht
umhin, die raue Oberfläche des Innenraums mit den Fingern zu berühren, den Boden unter Schuhen zu ertasten
und mich dazwischen auf die kleine Bank zu setzen, um
mir über meinen Ort Gewissheit zu verschaffen. Mehr
kann ein Bau, der zugleich der Religion wie der Architektur dient, nicht leisten.
1 Vgl. Marcel Proust, Le temps retrouvé.
A la recherche du temps perdu VIII, Paris 1954,
S. 223.
2 Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive
Gedächtnis, Frankfurt a. Main 1985.
3 Peter Zumthor im Gespräch mit Philip
Ursprung, Januar 2007.
52
I
Hans Danuser, Kaplutta Sogn Benedetg Sumvitg
(1989), Photographien auf Barythpapier,
6-teilig, I, II 1 – II 2, III, IV 1 – IV 2, je auf Papierformat 40 x 50 cm (Bündner Kunstmuseum)
II 1
II 2
III
IV 1
59
Gewöhnlich neigt man zu der Ansicht,
Taktilität sei ein Modus der Sinneserfahrung, der frühen Entwicklungsstadien
angehört. In Berührungen vermittelt
sich – dem Säugling an der Mutterbrust,
dem Individuum im Schoße der « Gemeinschaft », – die Erfahrung eines unmittelbaren Eingebettetseins. Erst beim Übertritt ins ödipale Dreieck, oder in die
« Gesellschaft » schieben sich in diesen
Erfahrungsraum Distanzen ein, welche
die Fernsinne, die dann ihren Primatanspruch durchsetzen, zu überbrücken
haben werden. Auf der anderen Seite liegt
es auf der Hand, dass wer berührt, einen
Abstand überbrückt, den seine Handlung
folglich bereits voraussetzt – jedem Akt
der Berührung ist nach Jean-Louis
Chrétien eine irreduzible Transitivität
eingeschrieben. Vor jeder « ursprünglichen » taktilen Erfahrung der Verbundenheit läge dann wohl schon eine noch
« ursprünglichere » Trennung, hinter der
sich die taktile Einheit, die am Anfang
angenommen wird, in einem infiniten
Regress entzieht …
Mladen Dolar zeigt in seinem
Beitrag, dass man über solche Konfusionen hinausgelangt, wenn man Berührung
als psychoanalytisches « Objekt » konzipiert, wie es Jacques Lacan verstanden
hat. Ein solches Objekt ist kein Gegenstand in der Welt, auf den wir uns sinnlich beziehen könnten, sondern definiert
die Struktur dieser Beziehung schlechthin: Und zwar als einen ( topo-logischen )
« Schnitt », der über die para-doxe Eigenschaft verfügt, den Kontakt, den er unterbindet, erst herzustellen. Das Berührungsverbot, das die « Berührungslust » nach
sich zieht, ist ein handgreifliches Beispiel,
das mit Sigmund Freuds Schrift Totem
und Tabu im Zentrum von Dolars Überlegungen steht. Gemäß diesem theoretischen Modell sind Berührung und Tren-
nung als gleichursprünglich anzusetzen.
Es gibt demzufolge keine taktile Erfahrung, die nicht schon Erfahrung einer
Distanz wäre. Das heißt für ein Nachdenken über den Tastsinn zuallererst, dass
das, was immer auch vor der Berührung
als transitiv-transgressiver Akt gelegen
haben mag, ein Akt, der von einem im
selben Zug schon konstituierten Subjekt
ausgehen muss, sich als « Berührung »
nicht füglich verstehen lässt. ( sn )
Mladen Dolar
Touching Ground
The title relates to a quip by Lacan, notoriously a man of
many quips. When debating the question ‹ what does one
think with ›, he maintains that he thinks above all with his
feet, since it is with the feet that one touches ground.
Touching ground, however, as we will see, is no easy feat,
it doesn’t come naturally, if we are to conceive it as the
locus of both thought and touch.
Tactility, touching, the sense of touch, all appear to
be the firmest thing there is. What one can touch is, tautologically, the most palpable and the most tangible, not
only in relation to the hazy realm of concepts, ideas, names
and thought, all those ‹ untouchables › by definition, but
also in relation to the other senses, reputedly five of them,
if we are to trust a long and venerable tradition. What we
can touch is closer to us, closer to the bosom, more ‹ real ›,
to adopt this naïve parlance for the moment, than what we
can see or hear or smell, while taste, the ‹ closest contender › of touch, seems to present a special case of touching,
special by its strict localization and by its endowment with
an additional quality ( ‹ touching plus › ). Touching is singled out by its immediacy, while other senses are subject
to a certain deferral in various ways, and by its spatial
proximity, indeed the collapse of any spatial distance, zero
distance, zero space. It is further singled out as the seemingly first and originary sense, being there, most prominently, from the outset, being what one can most directly
feel to start with, and, by extension, a prenatal experience,
before one can sense anything else, for – as far back as one
can imagine – a living creature with a surface, a membrane, a skin, there must be a touching involved, the surface being affected by another element touching it, surrounding it, infringing upon it, pressing it. There is an
inside and there is an outside, in the most elementary
sense, only insofar as we can conceive of a limit of touching, of a surface rubbing against another surface, bumping
into something else, into the first other. To touch is to
limit, it happens at the limit and it constitutes a limit – one
cannot conceive of a limit without touching what is supposedly beyond the limit. Thus, touching implies a difference, it implies the possibly first notion of a difference, the
difference of an entity with regard to another touching it.
It takes two to touch. It takes a split to render touching
possible. Hence an entity that touches itself, like the human
body constantly does, is thereby turned into a split entity,
doubling itself. There is a ‹ philosophy of the two › implied
in the very notion of the touch. [1]
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1 I make this reference to the subtitle of a
book by Alenka Zupančič ( The Shortest Shadow.
Nietzsche’s Philosophy of the Two, Cambridge
( Mass.) 2003 ), to which this paper is indebted,
although in an oblique way.
2 The modern counterpart to the mythical
philosophers’ stone is the notorious ‹ invisible
hand ›, namely the invisible hand of the market,
reputed to perform the same sort of miracles.
Anything it touches is liable to turn into gold.
Our Adam, the Adam of market economy, i. e.
Adam Smith ( the joke frequently made by Marx )
used this formula only once in The Wealth of
Nations, but it justly came to epitomize the
whole. One could say that the present predicament displays another wonder, namely how
one can be harshly and most palpably touched
by the invisible hand. Indeed knocked out.
To put it in those very abstract and the roughest of terms,
one can already sense the vastness of the problem. What
seems to be the most firm and palpable, solid and plain,
starts to get ridden with speculation, we find ourselves
immediately involved in the scene of philosophy, indeed of
metaphysics, we cannot be spared the speculative concepts
not even for a moment. Even to use a very rough and
approximate description – and I am not trying to be accurate or subtle in this first approach – one has to engage a set
of concepts, rather spectacular and decisive concepts which
bear heavy consequences, such as the limit, the difference,
the inside and the outside, the nutshell of a self, the body,
affecting and being affected, materiality, the other, otherness, immediacy, mediation, distance, reciprocity, split, the
very notion of space, of contiguity, of contact, of the limited
and the unlimited. Touching immediately materializes and
palpably presentifies some basic concepts and elementary
speculative decisions, it touches upon metaphysics at its
most physical, as it were. One could say, not without irony,
that touching is the touchstone of philosophy.
There is, on the one hand, an old image of lapis philosophorum, the philosophers’ stone, and the search for it
epitomized the philosophical endeavour as such in some
periods, the force of its wisdom epitomized by a stone : a
stone which could supposedly possess the force of turning
all baser metals to gold ( and with the current collapse of
economy we seem to witness a renewal of the old demand
on philosophers, when the economists have come to their
wits’ end, namely to come up with some new version of
the philosophers’ stone and meet the greatest need of the
hour ). [2] This old image implies a certain notion of touch,
namely the magical touch which would, by mere touch,
bestow value, the highest value on the worthless ( one
could say ‹ the value-added touch ›, VAT ). The imagery of
touch involves the capacity for magical transformation.
The obverse side of this is the equally wide-spread imagery of touch as perpetrating the very opposite : its capacity
to soil and spoil, to tarnish and sully whatever it touches,
to stain and to taint, that is, to take away all value, to devaluate; touch as the instrument of degradation and debasement, of destruction of worth. So touch appears to be the
agent of a maximum transformation in opposite directions
( but is it ‹ the same › touch ? what is the identity of a touch ?
can one ‹ step › into the same touch twice ? ) : it can bestow
highest value or bring about a maximum loss of value – and
there is no shortage of evidence in the cultural history for
60
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31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 )
Das Magazin des Instituts für Theorie
Zürich ( ith )
3 It was a dark, flinty schist, jasper or
basanite. Its mythical source in antiquity is the
story of Battus ( Ovid’s Metamorphoses, II, 11 ),
who saw Mercury ( Hermes ) steal Apollo’s oxen,
and Mercury offered him a cow as a bribe to
keep silent. But Mercury then decided to probe
the man, he disguised himself and offered him a
cow plus an ox if he would be willing to tell
where he got the cow. Battus couldn’t resist the
temptation and divulged the secret, and Mercury
changed him into a touchstone. – Touchstone is
also the name of the clown character in Shakespeare’s As You Like It, the fool – as many
Shakespearean fools ( cf. King Lear ) – being the
natural touchstone of wisdom : « For always the
dullness of the fool is the whetstone of the wits.»
( I, 2 ).
both. What soils has the capacity to purify, and vice versa.
Could one say, speaking of touch : Die Wunde schließt der
Speer nur, der sie schlug ? Touch has all the makings of
pharmakon, of Plato’s poison and cure in one, as Derrida
has magisterially singled out.
As opposed to the magical philosophers’ stone, the
dream of the alchemists, the touchstone was a very real
device, going back to antiquity [3] , a probing stone with
which one could prove or disprove the worth of a metal,
by the streak made on it, to tell gold and silver from the
worthless stuff. Its purpose was, most philosophically, to
go beyond the appearance, to tell the real thing from its
counterfeit. The touchstone should be the prerequisite of
true philosophy, because of its ability to sift and sort out
the appearances, and more poignantly, to probe the truth
or falsity of the word by touching, by rubbing the word
against the stone, as it were. The alleged claims of value
are to be tested against the stone. It appears that probing
can most convincingly be done by touch, not by sight or
hearing or smell or taste. Touching seems to be the least
deceiving of them all, the least prone to trickery and ruse,
and the stone the least volatile of all substances. If the
philosophers’ stone has everything to inflame the imagination, then the touchstone points towards the empirical and
the material as the discriminating criterion of validity. But
there is no easy way to separate the two in touching, its
empirical side is constantly intertwined with the imaginary, its literality with metaphor, its groundedness with
the elusive; and furthermore, the physiological in touch is
interwoven with the social, since the first social command
is the injunction : don’t touch. Society begins with a severed touch, a gap introduced into touching. We will come
back to this.
If touching could thus serve as the touchstone of philosophy, this implies a number of presuppositions. There
is a certain metaphoricity of touching which puts it in
close kinship with sense certainty ( cf. Saint Thomas, no
doubt the patron-saint of touching ), and thus at the same
time the most basic and the most remote from the proper
philosophical endeavour. For if one takes the more elevated senses of sight and hearing, the gaze and the voice, as
the guiding metaphors of philosophy, one has already
accomplished a certain disentanglement, a separation, an
extrication, a detachment from the lower senses, one has
taken a distance to touch and the sort of sense certainty it
implies. Sight and hearing operate by interposition, medi-
ation and distancing, they function at a distance through a
medium, one has already separated the subject and the
object from their contiguity, their contingence ( contingence, from con-tango, co-touch, implies a haphazard contact, as opposed to necessity ). And to be sure the guiding
metaphors were taken from sight – theory, speculation,
insight, reflection, mind’s eye, eidos, form, phainomenon;
and there was a hidden metaphorical connection with the
presence of the voice, including the voice of conscience,
voice as presence, which Derrida has taught us to unravel
as the history of phonocentrism. To establish philosophy,
one has to gain distance from mere touch, one has to
detach oneself from the immediacy ( one has to de-touch ),
from the contamination of the most immediate and enveloping of senses. Conceptuality and ideality depend on
being ‹ out of touch › – if I leave aside here the utter chaotic
volatility of smell, the nightmare of philosophers, supposedly the lowest and the most inchoate of all senses, a telltale streak of animality, and the very special case of taste
( which eventually got its metaphorical credentials and
social promotion as the standard of judgment at the point
where all universal and conceptual standards fail, cf. Kant ).
So touching is the touchstone, being both the most basic
and the most remote from concepts – but concept, as well
as Begriff, stem from con-capio, begreifen, i. e. to grasp, to
grab, to seize, to capture, so the conceptual edifice has to
be probed by touching, it has to test its validity with the
contiguous and the contingent, with something that
presents its counterpart, something too firm to be liquefied by ideas and concepts, and yet not simply something
outside them, but presenting precisely their boundary, the
line where concepts and ideas touch upon their other – their real ?
Aristotle, on the classical spot about touching in De anima,
as classical as they come, took the boundary very seriously. Many basic philosophical questions are immediately
touched upon : to start with the question of the One, of the
unity of touch – can one speak of one sense at all ? Isn’t
touching from the outset ridden with multiplicity and the
heterogeneous, so that one cannot quite arrive at a common denominator ? It seems to imply a multiplicity of
senses and a multiplicity of objects. And then the hypokeimenon – what is the substance of what one touches ? Is
there one substance of touching ? But I am in particular
concerned with the question of the limit, the boundary
62
4 I am using the translation by J. A.
Smith : Aristotle, « De Anima / On the Soul »,
in : Richard McKeon ( ed.), The Basic Works
of Aristotle, New York 2001, pp. 535 – 606.
which is involved in the very notion of touch. How can one
conceive it ? A simple externality of two bodies, or objects,
touching each other ? Is touch as such ‹ inner › or ‹ outer › ?
What do we touch with ? For « if the experiment is made of
making a web and stretching it tight over the flesh, as soon
as this web is touched the sensation is reported in the same
manner as before, yet it is clear that the organ is not in this
membrane » [ 423a ]. [4] So one can interpose a membrane, a
very thin foil, one can redouble the limit, redouble the skin,
but touch doesn’t reside there. It is as if, to conceive of
touch, the touching surface would have to redouble itself.
The surfaces touch, but touch recedes, it is an inner faculty
of the surface. The membrane stretched over the surface of
the body redoubles the limit into the outer and the inner, so
the experiment is on the one hand useless, but at the same
time it testifies to a necessity of complication the moment
we start conceiving the limit. It involves both adding another skin and peeling the skin, the limit is an addition and a
subtraction, for the organ of touching lies beneath.
On top of that there is an interposition also on the
outer side :
« If two bodies touch one another under water, their
touching surfaces cannot be dry, but must have
water between, namely the water which wets their
bounding surfaces; from all this it follows that in water
two bodies cannot be in contact with one another.
The same holds of two bodies in air – air being to bodies
in air precisely what water is to bodies in water – but
the facts are not so evident to our observation,
because we live in air. […] For we perceive everything
through a medium; but in these cases [ of touch ]
the fact escapes us.» [ 423 a – b ].
So there is contact and no contact, one has to suppose an
ever so thin layer of water or air between the surfaces, making touch impossible, or mediating touch. We live in a bubble, yet the touch nevertheless pierces the bubble, it is the
most elementary sense for Aristotle, something that enables life – everything else is dispensable, except touch. « For
without touch it is impossible to have any other sense; for
every body that has soul in it must […] be capable of touch.»
[ 435b ] Touch is necessary to animals for their being, while
all the other senses are necessary merely « for their wellbeing ». Touch pertains to being, to live being, to being alive,
the rest is luxury and sophistication, a bonus, an extra.
A minimal medium is still a medium – the medium is
the message ? – , and it is just the question of distance and
scale : with hearing, sight and smell we perceive « over a
greater distance ». The collapse of a medium would entail
the sameness, the coincidence, but perception is distinction, the distinction of the inner and the outer, and the
distinction of the limit and the medium, if we are to get to
tactile distinctions at all. And ultimately the distinction of
tangible and intangible :
« Touch has for its object both what is tangible and what
is intangible. Here by ‹ intangible › is meant ( a )
what like air possesses some quality of tangible things in
a very slight degree and ( b ) what possesses it in
an excessive degree, as destructive things do.» [ 423 a ]
There is a threshold of touch, of too little or too much
touch, beyond which there is the intangible, the collapse
of touch, but which is also the collapse of a living creature, its death.
So what follows from Aristotle’s rough description
could be summed up by a slogan that the elementary difference, implied by touch, needs a third – the two cannot
touch without a third. It takes three to be two, it takes
three to make a difference, both as the reduplication of
the surface, the additional membrane, the split into
inner / outer, and the intervention of a medium – the bottom-line is : it takes a medium, but the medium keeps shifting. And this is, in a general way, where I want to get : to
the object implied in touch which is a surplus in relation
to the two touching surfaces. The difference plus the
object – not as a medium of the difference, not as its encompassing cover, but as its surplus, or its cut in the midst
of the difference, the object emerging in the cut, and
which strictly speaking can’t be quite counted as a third,
for the cut with its object is not quite an element to be
counted. There is ‹ two plus ›. Admittedly, Aristotle points
to it in a way which is both rough and convoluted.
From the reduplication, the complication of the limit Aristotle wants to get to the proper medium of touch,
which is for him the flesh, sarx ( as opposed to soma, the
body ). The addition of another layer of skin and of another layer of air has to lead to subtraction : we do not touch
and feel with the surface and at the surface, we touch and
feel with the flesh which redoubles the surface. The complication of the limit makes the touch recede into the flesh
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5 For the criticism of the tacit hierarchies
in Merleau-Ponty cf. Jacques Derrida, Le toucher,
Jean-Luc Nancy, Paris 2000, pp. 233, 235 etc.
There is an underlying primacy of vision and a
hidden primacy of the hand, according to Derrida, cf. Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie
de la perception, Paris 1945, p. 270.
as the medium. The proper medium of touch is not
detached from the body as in other senses, but is part of
the body itself, the flesh which connects the surface, the
skin, with interiority, with the inner sense, the seat of
sense, its heart, which is precisely the heart ( for Aristotle
as well as in antiquity in general ). One touches with the
heart, ultimately, but only through the medium of the
flesh. So the flesh is the distance of the body to itself, its
inner distance, the distance between the skin and the
heart. Other senses, seeing, hearing, need an outer medium, they are like touching at a distance, they are out of
touch, yet there seems to be more the question of scale,
the stretching of the medium.
Aristotle’s book is called De anima / On the Soul, so
the question lying at the bottom and framing the discussion of the senses would appear to be the question of the
soul and its touching the body, the interface of the body
and the soul. Yet this is not a good way of putting it, this
is not a version of the mind-body problem in any modern
sense; rather, the soul, for Aristotle, is the very principle
of life, it is what informs life and drives it, it is the very
form of the body, not a disconnected entity which would
then seek to be connected with its other. It is in touch
with the body ( De anima is indeed mostly De corpore ), it
inhabits all senses, and there is a question of gradation, of
graduation, graduality : from the vegetative soul to the animal and sensing soul, to finally the nous, the seat of reason, the only part of the soul which can pretend to immortality – there is like a ladder to immortality ( and the
question of the way to conceive the immortality of the soul
in Aristotle is a traditionally disputed one ). So the basic
distinction is not between the physical and the psychic,
but between the lower and the higher, and the soul, in the
graduality of its forms, inhabits both.
It is not quite so with Plato, who is far more adamant
in severing the graduality, severing the tie of touch and of
all other senses, for the benefit of a pure gaze. Plato is not
in touch with touch, one has to be out of touch in order to
see with the eyes of the soul alone. Soul has an eye and no
touch, and the gaze is not touching at a distance. In order
to touch the thing itself, one has to desist from touching. No
doubt one can say that there is denigration of touch, but
also, at the same time, there is the question of what is the
proper touch. How can one properly touch the thing itself ?
Can one ? Under what conditions ? Being out of touch also
means taking touch most seriously – and a whole line of
metaphysical ( haptocentric ? ) tradition follows from there.
There is, already in these ancient texts, an outline of
something one could call the basic predicament of touch.
On the one hand touching is ubiquitous, omnipresent,
unavoidable, one cannot escape being touched and touching, at every moment, from the outset. The world, the
other, keeps in touch whether we want it or not. Yet, at
the same time there is also the impossibility to touch, the
inability to touch properly, which accompanies touching
as its shadow. While being constantly in touch, there is
also a pervasive sense of being out of touch, of not being
able to reach out, and to be reached. But this basic dilemma is rather a description of a very modern predicament,
which can be described as an overwhelming and increasing flow of perception, of a constant amplification of perception, accompanied by a diminishing capacity to perceive; an overwhelming tide of contacts increasingly
deprived of a possibility of making a contact. We are both
more in touch and more out of touch than ever, and what
we touch most is the keyboard, and what is most appropriately called the touch-screen.
With the notion of the flesh, one can get in one deceptively simple step from Aristotle to Merleau-Ponty ( whose
centenary is celebrated this year ). Merleau-Ponty’s notion
of la chair, the flesh, as opposed to the body, is a very
Aristotelian move to start with, although Aristotle is never
quoted, and rarely mentioned, in Phenomenology of Perception or The Visible and the Invisible, where the ‹ idea ›
of the flesh is expounded – a singular omission ? MerleauPonty is, after a long out-of-touch era of philosophy, perhaps the most prominent philosopher of the touch, until
the recent surge spurred by Nancy. Not quite of touch as a
separate problem, for touching is implicated in perception
as one of its facets, and none of its facets can be, at least
de iure, quite singled out as the basic or the primary. [5] Perception, to put it simply, is precisely the problem,
not of how to conceive the boundary, but rather of how it
is impossible to posit a boundary : the ‹ body › extends itself
into the world and the world extends itself into the ‹ body ›,
and this is why it is inappropriate to speak of either the
body or the world as given, already constituted in themselves prior to perception. The body has to turn into flesh,
which is not something simply pertaining to the body, but
is at the same time the flesh of the world itself, la chair du
monde. Understanding flesh as the ‹ medium › of perception is but another side of the world itself being endowed
with flesh. It is the interface, or rather the interlace, which
9 Merleau-Ponty is not the man of the
surface, as opposed to Deleuze, with whom he
otherwise shares many features.
10 The circle of distinction and indistinction also applies to the distinction of ( five )
senses : « The senses translate each other with no
need for an interpreter, they understand each
other without the recourse to the idea », MerleauPonty, Phénoménologie, p. 271. Yet they
constitute separate realms; the world is constituted in their contacts, through their ‹ touching ›
each other, infringing upon each other. What
constitutes the world is la chose intersensorielle /
the intersensory thing.
has to be the starting point of the renewal of philosophy:
the point where we are not dealing with the constituted
subject and object, the self and the world, but the very
area of their overlapping, a pre-subjective and a pre-objective area, a touching without a subject and an object.
« Nothing determines me from the outside, » says MerleauPonty in a famous statement on the last page of The Phenomenology of Perception, « not that nothing solicits me,
but on the contrary because I am from the outset outside
myself and open to the world ». [6]
In this view, seeing and being seen are not divided as
subject and object, but reversible, and so is touching and
being touched ( and furthermore, an insertion of touching
into seeing and vice versa ). There is fundamental reversibility, yet a reversibility with a hiatus, a lag, a non-coincidence in the coincidence, a gap constantly recuperated but
never bridged or sublated, never aufgehoben. [7] The perceiving and the perceived, the touching and the touched
are like on a Moebius strip [8], they are parts of the same
surface – not surface, but depth and surface in one, there
is no simple surface for Merleau-Ponty [9] – but with a gap
in their very indistinction. [10] Through me, in me, the
world sees itself and touches itself. « I ought to say that one
perceives in me [ on perçoit en moi ] and not that I perceive » [11], there is a dimension of anonymity of perception
that has to be rescued and rehabilitated, as opposed to all
philosophical subjectivism and empiricism, idealism and
materialism, intellectualism and sensualism. Flesh is not
matter, but neither is it an ideality – Merleau-Ponty insists
on this at length in The Visible and the Invisible – it is
rather the point of their indistinction and distinctivity in
one. It is not a positive given, it is both tangible and intangible, its intangibility resides in its tangibility, not opposed
to it but inherent in it.
But I don’t want to dwell on Merleau-Ponty at length,
I just want to single out one aspect. If I started to describe
the problem of touch as the problem of the two, the problem of counting, of the proper count, then one can say that
Merleau-Ponty very much insists on not counting. What
he keeps saying is that one should never start with
two – subject / object, body / world, materiality / ideality,
senses / intellect, outside / inside, the One / the Other ( one
could economically say sense / sense, the sensual vs. meaning, this is very much his problem : the equivocation of the
two senses of sense, the birth of sense out of sense ). It is
starting with two, with the split, the distinction, which got
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6 Ibid., p. 520.
7 « Reversibility is the ultimate truth »,
states the last sentence of the famous paper
« L’ entrelacs – le chiasme » / « Intertwining –
chiasmus » ( Maurice Merleau-Ponty, Le visible
et l’invisible, Paris 1964, p. 204 ), but a nonsymmetrical and non-dialectical reversibility.
8 « [T]he sensing and the sensed body are
like the top side and the underside, or two segments of the same circular course, which runs
from left to right on the top side and right to left
on the underside, yet it is in both phases one
single movement », ibid., p. 182.
11 Ibid., p. 249.
12 Merleau-Ponty, Le visible, p. 193.
13 But if it is uncountable, it has to account
for counting – for where does this ubiquitous
fallacy come from ? Why are we so easily prey to
the illusion of counting, to making illegitimate
distinctions ? Why does the intertwining so
readily withdraw and disguise itself ? Why does
illegitimate counting start at all ? Why is perception deceptive while being itself the very cure
against its deception ?
14 Ibid., p. 192.
metaphysics into all the trouble, the two parts could then
never quite meet and intersect – and the meeting of the
two, the point of their indistinction, is for him the real of
the human experience, its crux, its knot. But one cannot
start with one either, there is no originary one, no underlying unitary principle, an arché, one substance, which
would then split into two, divide itself, so that the difference and the distinction would be derived as a self-splitting of a single source. One should start with the uncountable, something that cannot be submitted to count, cannot
be legitimately counted, something which is neither one
nor two. Counting doesn’t apply. Perception, sensation,
flesh are the names variously given this area. ( « What we
call the flesh […] has no name in any philosophy.» [12] ) His
prevailing rhetorical formula is neither-nor : neither subject nor object, neither matter nor spirit, neither inside
nor outside. The unlimited and the uncountable can only
be circumscribed by being delimited from the limited and
the countable, they cannot avoid being defined per negationem. [13] If the area which ‹ counts › is uncountable, if it
is neither one nor two, then it is the constant becoming
two, but a becoming which cannot reach its end, the two
sides can never quite become two, they cannot get loose
from their tie, but their unity resides only in their split.
Their common ground is not their common measure, but
the incommensurate as such. They can never cut loose
from each other, but they cannot coincide either. There is
their coincidence and non-coincidence ‹ in one ›, their distinction and indistinction ‹in one›, but ‹ one › is precisely
not the word. ( That would lead us into the dialectical trap
of the Hegelian ‹ identity of identity and non-identity ›.)
The uncountable area of flesh – one could put it simply : bodies can be counted, flesh can’t – is not an area of
chaos. Merleau-Ponty insists on it : « The flesh ( the flesh of
the world or my flesh ) is not contingency, chaos, but texture
[…] ». [14] It is a texture of minimal differences which overlap
and infringe upon each other, so they can neither be united
nor separated. Perception is both lucid and obscure, it produces sense and remains enigmatic, withdrawing and
revealing itself ‹ in one ›. The texture is not a structure, for
structure implies difference ( this is all it is made of ), the
texture is a sub-difference, the neither-one-nor-two. One
could sum up : there is touch, but there is no two. One
should start by touch, but one cannot arrive either at its
unity or a difference. There is touch, but there is no cut. For
positing an emphatic difference would, for Merleau-Ponty,
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15 I can add a brief footnote to MerleauPonty’s construction of perception. It is very
curious and telling that, in the first part of the
first part of The Phenomenology of Perception
after the lengthy Introduction, he practically
starts his analysis of the body not with the normal and common state of affairs, but with a
strange peculiarity, an oddity : with the discussion of the phantom limb ( Merleau-Ponty,
Phénoménologie, p. 90 ). An amputated leg or an
arm still ‹ feels ›, it is still endowed with
perception, and he looks at some length at the
medical evidence. The move is in a way ‹ vintage
Merleau-Ponty › : perception is not simply some
closeness of contact ( rather, it is too close for
contact ), but constantly haunted by phantoms,
permeated by something pertaining to phantasy
and endowed with a dreamlike quality ( cf. « Each
sensation contains a germ of a dream », ibid.,
p. 249 ), there is a streak of hallucination dwelling
in it. He spends quite some time arguing that the
phantom limb cannot be adequately accounted
for either in physiological or in psychological
terms, that the two strangely intersect in it, yet it
is also irreducible to their simple intersection
( that would already imply a separation of the
inseparable ). If Merleau-Ponty’s position could
be summed up not only by ‹ there is no cut ›, but
also by ‹ there is no lack ›, then it can appear
astounding that he starts off precisely at the
point of a lack and at the point of a rather
spectacular cut – a cut-off limb, and that he
chooses the lack as the privileged vantage point.
But what appears as a lack and a cut, as a
paradox in the seeming continuity of perception,
of the body-world continuum, as it were, doesn’t
contradict his basic stance, but endorses it : his
point can even be best made through the aspect
of this gap which is precisely not a gap, but like
an inner fold ( to use this Deleuzian term ) of
perception itself, a lack which is not an absence,
but a ‹ feeling › lack, a ‹ perceiving › lack, the simplest testimony to the fact that the body extends
over its limits. – If Merleau-Ponty’s ‹ example ›
( or rather a ‹ crown-case › ) rather massively
invokes castration, one could propose, simply,
that phallus is a phantom limb, yet not a limb
feeling anything ( despite the seemingly massive
evidence to the contrary, it figures as the apex
of most intense feeling and enjoyment, its paramount embodiment ), but something which,
as a cut, a bodily cut, enables access to enjoyment, to human ‹ feeling ›, to what constitutes
a surplus in human feeling, its ‹ object ›.
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16 Sigmund Freud, « Totem and Taboo »
( 1912 – 13, trans. James Strachey ), in : The
Pelican Freud Library, vol. 13, Harmondsworth
1985, p. 75.
be tantamount to falling into the trap of the traditional differences which have haunted the history of metaphysics – but can one conceive of a difference which would avoid
this pitfall ? A difference which wouldn’t amount to the traditional duality nor to the self-split of One ?
I have evoked the Moebius strip – it is a notorious
Lacanian device, not something used by Merleau-Ponty.
There is a top and a bottom, an upper side and an underside
of a surface, but both find themselves on the same surface,
they don’t touch, but they are nevertheless contiguous, they
cannot be detached from each other ( although one only
finds oneself on one side at the time ). But Lacan’s point, in
his multiple uses of this device, is precisely that the Moebius strip implies a cut, it results from a cut, although it has
no simple outside, both outside and inside are on the same
strip. And it is the nature of this cut which implies the
object – precisely the objet a, not on some separate location
beyond the strip, but inhabiting its very margin, the edge of
a cut. In the simplest terms one could say that what informs
Merleau-Ponty’s endeavour is a disavowal of the cut, or a
circumvention of the cut. Psychoanalysis would agree with
everything else except for this: there is a cut. [15]
For Freud, if I start with summing up rather than leaving
it for the end, the touch is the cut. Touch and cut coincide.
This is at the core of Totem and Taboo ( 1912 – 13 ) where
one can find his most extensive passages on the touch, and
I propose to briefly comment on them.
What defines the social as such, and hence the properly human dimension, is a cut in the touch. The core of
the social injunctions, in a nutshell, can be seen as ‹ don’t
touch ›. This is a zero-injunction which metaphorically
( metonymically ? ) spreads to all others. This is at the core
of taboo as the minimal ‹ model ›, implying the assumption
that « certain persons and things are charged with a dangerous power, which can be transferred through contact
with them, almost like an infection ». [16] This entails some
basic division of the social, a formal dividing line which
separates persons and things into two categories, the ones
that can be touched and the ones that can’t – the divide
embodied, in traditional societies, by the line between the
sacred and the profane, the divide massively sanctioned by
religious and political authority, which can in turn be seen
as relying on it. But this will not concern us any further
here. What Freud is trying to get to is a parallel between
those traditional injunctions, old as mankind, with the
behaviour of modern day neurotics ( he announces in the
subtitle of Totem and Taboo : « Some Points of Agreement
between the Mental Lives of Savages and Neurotics / Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und
der Neurotiker » ). The modern neurotics appear to be suffering from a re-enactment of the taboo in an era where
the prohibition of touching has been divested of its religious underpinning. One could say, tentatively, that once
upon a time, with the savages, it was possible to touch because it was prohibited to touch, and now, with the modern neurotics, it is prohibited to touch because it is impossible to touch. What Freud is after is the modern predicament of touching and its vicissitudes. [17] It is not
merely a surviving atavistic remainder of a prehistoric
past.
« As in the case of taboo, the principal prohibition, the
nucleus of the neurosis, is against touching; and
thence it is sometimes known as ‹ touching phobia › or
‹ délire de toucher ›. The prohibition does not
merely apply to immediate physical contact but has an
extent as wide as the metaphorical use of the phrase
‹ to come in contact with › [to be in touch with]. Anything
that directs the patient’s thoughts to the forbidden
object, anything that brings him into intellectual contact
with it, is just as much prohibited as direct
physical contact.» [18]
Just like touching is contagious, so is prohibition : given
the infinite possibilities of connectivity of things, the prohibition spreads along all these ways of possible connections, it is endowed with ‹ an extreme liability to displacement ›, new and new objects become ‹ impossible ›, « till at
last the whole world lies under the embargo of impossibility ». [19] Things and people are imbued with a fatal tendency to connect, to be in contact, so the whole world has
the fatal proclivity to become impossible. There is no way
of containing contact, and there is no way of containing
prohibition. One could say that the area of the untouchable, on which prohibition bears, could be localized and
circumscribed in traditional societies, whereas the modern predicament is rather that the boundless propagation
of contact entails a boundless transitivity of prohibition
– which is one of the ways to describe the mechanism of
the superego, as opposed to the rule of the name of the
father. Boundless profanation through contact has not
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17 As, in another context, Freud tries to
debunk the father as the secret of all authority
precisely in an era of the demise of the father.
It is not that the dead father ( of the primeval
horde ) is the hidden core of authority, but rather
that the dead father himself has died, but this
hasn’t terminated his rule. Everything can be
allowed, but authority persists. The prohibition
of touch has died along with the dead father, and
yet remained in vigour.
18 Ibid., p. 80.
19 Ibid., p. 81.
20 Here I must refer to the work of Giorgio
Agamben on profanation, e. g.: « An absolute
profanation without the slightest residue
coincides henceforth with a consecration which
is just as empty and total », Giorgio Agamben,
Profanations, Paris 2005, p. 102. One should
carefully distinguish secularization and profanation, secularization being « a form of repression,
leaving intact the forces which it limits itself to
displacing from one place to another », ibid.,
p. 96. So the modern predicament is that of an
absolute impossibility of profanation.
21 Der Trieb. I am replacing the
unfortunate Strachey’s translation ‹ instinct › by
‹ drive ›.
done away with the sacred, but has in a paradoxical way
reinstated it and made it intractable. [20] Freud sums up
the nature of these prohibitions in four points: their lack
of motivation; their internal necessity; their easily displaceable nature; and their imposition of ritualistic behaviour.
So how does this structure come about ?
« Right at the beginning, in very early childhood,
the patient shows a strong desire to touch [ Berührungslust; the word is utterly ambiguous : it can be the
pleasure of touching, and this is how I am spontaneously
inclined to understand it, as opposed to Strachey,
Lust like in Lustprinzip; curiously, Freud italicizes just
the last part, Berührungslust; maybe one can
propose a contingent homonymic English translation
with lust, the touching lust ], the aim of which is of
a far more specialized kind that one would have been
inclined to expect. This desire is promptly met
by an external [ von außen ] prohibition against carrying
out that particular kind of touching. [ At this point
Freud most curiously inserts a footnote : ‹ Both the desire
and the prohibition relate to the child’s touching
his own genitals. › Nothing sexual is mentioned in the
main text, sexuality appears relegated to the footnote,
as if, self-referentially, repressed from the text to the
bottom of the page, literally under the bar.
The text merely hints at the very special kind of
touching – but isn’t it touching that makes a particular
point special ? Couldn’t one rather maintain that
touching sexualizes the part of the body concerned ? Is
the sexual special before touching, without touching,
apart from touching ? Isn’t one of Freud’s main
points, say in Three Essays, that any part of the body
could be sexualized and that there is an erroneous
traditional assumption that sexuality resides in
the genitals ? ] The prohibition is accepted, since it is
supported by powerful internal forces
[ here again a footnote is inserted : ‹ That is, from the
child’s loving relation to the authors of the
prohibi tion. › ], and proves stronger than the
drive [21] which is seeking to express itself in the
touching. In consequence, however, of the child’s
primitive psychical constitution, the prohibition does
not succeed in abolishing the drive [ aufzuheben,
sublating, the notorious Hegelian term; there is no
Auf hebung of the drive ]. Its only result is to
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22 Ibid., pp. 82 – 3; Sigmund Freud, « Totem
und Tabu. Einige Übereinstimmungen im
Seelenleben der Wilden und der Neurotiker »
( 1912 – 13 ), in : Alexander Mitscherlich et al.
( ed.), Studienausgabe, vol. 9, Frankfurt a. Main
1974, p. 321.
23 The loving mother’s touch has its
flipside in the inscription of the law into the
skin, as it were. The law is a tattoo. A sinister
and most palpable parable of this is Kafka’s In
the Penal Colony, where law is literally inscribed
on the skin surface, the invisible tattoo made
visible by the lethal machine.
repress [verdrängen] the drive – the desire / pleasure
to touch – and banish it into the unconscious.
Both the prohibition and the drive persist : the drive
because it has only been repressed and not abolished,
and the prohibition because, if it ceased, the drive
would force its way through into consciousness and into
actual operation [ Ausführung ]. A situation is
created which remains undealt with – a psychical
fixation [ eine psychische Fixierung ] – and everything
else follows from the continuing conflict between
the prohibition and the drive.» [22]
Everything else follows. All Freud is like encapsulated in
this scene of touching : sexuality and prohibition, the
internal and the external, drive and its repression, conflict
and fixation, finally the unconscious. The scene no doubt
lends itself to commonsensical reading : the child touches
his genitals, finds pleasure in it, wants more, but the parents prohibit it, they step in in no uncertain terms, driven
by the sense of common propriety and decency, if not by
religious zeal. Enough to make anyone neurotic. Yet one
can also see that the conflictual alliance which sustains
touch is far more complicated. The prohibition can never
simply just come from the outside, it would never be effective if it was not sustained from the inside, if prohibition
and pleasure didn’t form a sort of pact. And also and above
all, prohibition itself has to take the form of touching, it
cannot be sustained by mere word, it has to be the word
sustained by touch, the word touching flesh, imposed by
the parental touch, this first language imposed on the
infant, the mother’s touch being the f irst mothertongue. [23] There is the touch which imposes the cut, the
cut of touch, the cut of self-touch – and this is where the
supposed mythical first phase of auto-eroticism, the selfsufficiency and self-affection of self-touching, is cut short,
the self-circuit is interrupted, in order to impose the step
towards the object, Objektwahl, if we follow Freud’s
account of the sexual progress from the Three Essays. But
this primary auto-eroticism itself is a retroactive myth, it
is rather something coinciding with the cut : the incidence
of sexuality results from the cutting and the cut touch.
And this is, rather than preventing simple pleasure, what
creates it, or rather creates it as enjoyment : « He is constantly wishing to perform this act ( the touching ), and
looks on it as his supreme enjoyment ( den höchsten
Genuß ), but must not perform it and detests it as
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24 Freud, Totem and Taboo, p. 83.
25 Cf. Nancy : « […] the unity of coming to
oneself as ‹ feeling oneself ›, ‹ touching oneself ›,
which necessarily passes by the outside – which
effectuates that I cannot feel myself without
feeling the other and without being felt by the
other », Jean-Luc Nancy, Corpus, Paris 2000,
p. 125.
well.» [24] One can sum this up simply by saying that the cut
creates touch as object, the touch cutting touch, and it is
there that enjoyment sneaks into the gap.
There is no neutral touch. To touch is to infringe, to
trespass, to overstep, to invade, to go too far, to transgress,
to violate. To touch is to touch too much. But this excessiveness of touch stems from the touch as cut. It is the cut
that exceeds touch. For if there is infringement and transgression, there has to be a limit which is thus exceeded,
and it is the cut which both imposes the limit and creates
touch as its trespassing. There is a supposed primary given of touching oneself, of discovering one’s body by selftouch, but there is a touch which interrupts this self-circuit, and this ‹ second touch › is not simply external to the
self, rather the self-touch, feeling oneself, is instated only
through external interruption, and the supposed primary
self-eroticism emerges at the same time with it. One
touches one’s body as the other touches it, in a movement
which both produces, links and separates the two. [25] It is
through the cutting touch, the cut touch, that one relates
to one’s body at all, the body emerges through the prohibition of touch.
No doubt this coincidence of touch and cut is the
point where the basic ‹ don’t touch › occurs, where religion,
politics, metaphysics, transcendence come bursting in,
molding the difference it implies into the divide of the
touchable and the untouchable, the sacred and the profane, and solidifying the object, endowing it with an aura,
separating it. But the point is precisely to try to ‹ redeem ›
the object touch from this heavy burden, to hold on to the
difficult touch and its cut structure, to reestablish it not in
its immediacy and deceptively simple palpability and
materiality, without cut, but in its ability to touch through
the very cut.
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26 Freud, Totem and Taboo, ibid.
27 I am well aware that what Freud is
describing is the basic mechanism of obsessional
neurosis which, for him, can provide an insight
into the origins of religion. Religious practices,
with the institution of the sacred / profane divide,
with the privileged handling of the untouchable,
are for him ultimately all derivative of the
obsessional neurotic elementary stance. It is the
way that neurosis constitutes a social tie by
codifying and sanctioning the untouchable. Hysteria rather functions by an opposite mechanism :
to push towards the impossible touch, to try to
touch too much, to touch properly, to exceed the
imposed limit, and discovering that ‹ this is
not it ›. ‹ I cannot touch, however spectacularly
I try ›. The hysterical subject precipitates herself
into the touch, while the obsessional fends off
any touching. The obsessional cannot escape
touching, however impossible the world is, and
the hysterical cannot touch despite ever more
transgressive gestures. They are two ways to deal
with touch as cut, and they could both be seen
as ‹ délire de toucher ›. – To round off the clinical
picture, one could say that perversion, as the
‹ negative of neurosis ›, relies on the mechanism
of domesticating the touch, neutralizing it into
the quantum of pleasure that one can handle and
play with, it ‹ cuts to size › the cut into a proper
distance, while psychosis collapses the cut and
makes the touch ‹ too possible ›, ‹ too successful ›,
so it slides to coincidence. Their various ways of
relating to touch, to follow Freud, are formative
of basic patterns of culture : « It might be maintained that a case of hysteria is a caricature [Zerrbild, distortion] of a work of art, that an obsessional neurosis is a caricature of a religion and
that a paranoiac delusion is a caricature of a
philosophical system », ibid., p. 130; Freud, Totem
und Tabu (op. cit.), p. 363.
28 Freud, Totem and Taboo (op. cit.), p. 81.
29 Indeed, the paramount example of the
contact magic would be Die Wunde schließt der
Speer nur, der sie schlug. Freud in a disguised
reference ( ? ) to Wagner says : « The belief that
there is a magical bond between a wound and
the weapon which caused it may be traced
unaltered for thousands of years », ibid., p. 139.
30 Jakobson’s famous paper on the two
types of aphasia, which influenced Lacan so
much ( cf. L’instance de la lettre ), singled
out the core opposition metaphor / metonymy
using at some point the examples from both
Freud’s dreamwork and Frazer’s theory of magic,
cf. Roman Jakobson, Essais de linguistique
générale I, Paris 1963, pp. 65 – 6.)
31 Freud, Totem and Taboo (op. cit.),
p. 140.
32 Ibid., p. 143; Freud, Totem und Tabu
(op. cit.), S. 374.
33 There is, apart from that, but not quite
apart, the problem of the symbolic ‹ touching
itself ›, as it were, the words being contaminated
by each other through their sound contacts, similarities, echoes, reverberations. This is what
constitutes homonymy, the contingent sounding
alike, which is at the basis of the mechanisms of
the unconscious and which Lacan, in his later
work, tried to pin down with lalangue, cf.
Mladen Dolar, His Master’s Voice. Eine Theorie
der Stimme, Frankfurt a. Main 2007,
pp. 186 – 202.
There is a double face to the touch : on the one hand it is
constituted by the cut, on the other hand it creates a fixation. Touch not only fixes, it transfixes, so to say, it creates
a mark of attachment, an anchorage point of enjoyment. It
is like the first mark, the first signifier, written on the skin,
and its elementary ‹ signifying › property stems from its double edge of being cut in the very gesture of touching. The
way Freud spells it out, fixation coincides with the unconscious. Touch, cut, and fixation are the flipsides of the
advent of the unconscious. Although Freud immediately
simplifies things, sorts them out in an unfortunate way by
saying that « the prohibition is noisily [ laut ] conscious,
while the persistent desire to touch [ Berührungslust ] is
unconscious.» [26] It is rather that the prohibition is the very
kernel of the unconscious, tending in the limit to make the
world itself impossible, untouchable. [27]
Touch coinciding with the cut has the fatal tendency
to spread. There is no way of containing touch, it spreads
not merely by contiguity, by contact and physical connection, so that things being touched become contaminated, it
also spreads by contiguity of something apparently not
touching, disconnected, such as, by definition, the word. If
disconnection is what seemingly defines the word as a signifier – having no common ground or similarity with the
thing ( le meurtre de la chose, as Lacan, following Kojève,
used to say in early days ) – then touching entails at the same
time a disavowal of cut, a supposition, an underlying and
pervasive belief, that words touch things. The word is treated as a property of a thing, on the same level, there is no
disentangling words from things. Freud relates about a
patient who wouldn’t touch a gift bought by her husband
on Hirschengasse, on the grounds that Hirsch was the married name of her childhood friend with whom she had
fallen out. The friend may be living in a distant city, but her
touch pollutes the objects purchased on the street contingently bearing her name. [28] Touch is an ubiquitous threat,
the world is not big enough to prevent touching, everything
touches, so nothing can be touched. The taboo concerning
names evokes well-known traits of the ‹ primitive › societies,
where the persons and objects which are taboo – kings, the
dead, the enemies, the polluting substances etc. – also fall
under the ban of using their names. Words are treated as
objects touching other objects, they are tainted by objects
they stand for, and one can inversely touch objects by mere
words. The cut instigates a contiguity and a continuity
without a cut – but this supposition is precisely based on a
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31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 )
Das Magazin des Instituts für Theorie
Zürich ( ith )
34 Cf. Octave Mannoni, « Je sais bien, mais
quand même », in : Clefs pour l’imaginaire ou
l’autre scène. Le théâtre et la folie, Paris 1969,
pp. 9 – 33; and Robert Pfaller, Die Illusionen der
anderen, Frankfurt a. Main 2002, respectively.
35 Joseph Breuer / Sigmund Freud, Studies
on Hysteria ( 1895, trans. Nicola Luckhurst ),
Freud Library (op. cit.), vol. 3, p. 354. One gets a
graphic description in the case of Lucy R.: « I
placed my hand on the patient’s forehead or took
her head between my hands and said : ‹You will
think of it under the pressure of my hand. At the
moment at which I relax my pressure you will
see something in front of you or something will
come into your head. Catch hold of it. It will be
what we are looking for. – Well, what have you
disavowal of the cut, and this is why, for Freud, it defines the
magical world and the magical thinking. Which brings us
to this new kind of magic, namely psychoanalysis, the art of
touching the body with the word.
Touch involves both metaphor – basically the cut – and
metonymy – basically the endless transitivity. It is the
crossing of both. For Freud this recalls the two basic types
of magic singled out by Frazer in The Golden Bough, the
great work which appeared just shortly before Totem and
Taboo and still figures as the touchstone of anthropology.
There is on the one hand the imitational magic, which operates by a metaphorical substitute – one sticks needles
into dolls, one makes an effigy of the enemy and what
befalls the effigy will befall the enemy, or one stages making rain to remind nature how to make rain. What counts
is similarity or analogy, while distance plays no role – this
magic works across distances on the supposition that analogy provides sufficient ground to secure efficacy. On the
other hand there is ‹ contact magic › which works by physical contiguity : one has to obtain some object belonging to
the enemy, or his hair, something which has been ‹ in
touch › with the person, so by affecting the contiguous one
will affect what it has touched. [29] In magical thinking we
oddly find the very mechanisms which for Freud constituted the basic dreamwork, the work of the unconscious,
condensation and displacement. [30] « Similarity and contiguity are the two essential principles of process of association » [31] , says Freud, adding a bit later that they
that this can be simply effectuated, that it only takes an
appropriate ritual. It is based on a disavowal of the cut and
firmly trusts that there is nevertheless a secret touch which
operates by occult ways. ‹ I know very well, but nevertheless… ›, the formula of disavowal made famous by Octave
Mannoni ( and admirably expounded by Robert Pfaller ). [34] But this illusion, shared by both savages and neurotics, is ‹ nevertheless › not just an illusion to be simply
dismissed, for words in some way do touch upon things,
the symbolic does touch the real, and if there is a cut, it is
not between the symbolic and the real, but they are both
parts of ‹ the same › cut, they result from the same cut –
though the cut is precisely what cannot be the same, but
institutes the incommensurate. The cut intertwines both
and embodies the absence of their common measure. So
the supposition that words do touch upon things is at the
basis, apart from magic, of psychoanalysis.
Freud, in his early days, didn’t shy away from touching his patients. In Studies on Hysteria ( 1895 ) he discusses at some point the problem of what to do when the flow
of associations runs dry and the patient claims not to
remember, resists remembering :
« are both included in the more comprehensive
concept of contact [Berührung, touch]. Association by
contiguity is contact in the literal sense; association
by similarity is contact in the metaphorical sense. The
use of the same word for the two kinds of relations
is no doubt accounted for by some identity in the psychical processes concerned which we have not yet grasped
[ eine von uns noch nicht erfaßte Identität ].» [32]
So there is some basic fact of psychical processes which
resides in the touch, Berührung, of metaphor and metonymy; two ways of touching touch each other. Cut and touch
both touch in something which eludes us. The two ways of
touching, by analogy and by contiguity, touch upon, or circle around, an impossible point where the word would
touch the thing, the impossible intersection of words and
things. [33] The magic is based on the belief that this works,
seen or what has occurred to you ? › », ibid.
pp. 173 – 4. Oddly, the triggering point is once
described as the touch and once as the removal
of touch, the cut.
36 Ibid., p. 363.
37 Freud, Totem and Taboo (op. cit.),
pp. 96 – 7.
38 Of course the presence of the analyst is
always surmised on the basis of some sensual
vestiges and traces. One has seen the analyst to
start with and his image and visual features may
well linger on in what follows in various ways, one
can e. g. glimpse his shadow; one has shaken his
hand, there is indeed a smell of the analyst, and
there is his rustling and breathing which informs
his silence.
« In these circumstances I make use in the first instance
of a small technical device. I inform the patient that,
a moment later, I shall apply pressure to his forehead,
and I assure him that, all the time the pressure
lasts, he will see before him a recollection in the form of
a picture or will have it in his thoughts in
the form of an idea occurring to him; and I pledge him
to communicate this picture or idea to me,
whatever it may be.» [35]
So touch should remedy the gap in the free associations,
it should give a push to their freedom. Touch is called in
at the point where the word fails, it is the relay of the missing word. And its point is to trick the defense, to catch it
off guard : « The procedure by pressure is no more than a
trick for temporarily taking unawares an ego which is eager
for defense. » [36] One touches to get around the ego, one
touches to reach the unconscious. So there is a point
where psychoanalysis, in its infancy, relied on a magical
touch at the point where the talking cure didn’t quite work
out, the touching cure had to supplement the talking cure,
and this is in line with what Freud would later describe as
the magical touch of the person in authority, the ruler, the
40 « Le corps est l’unité d’un être hors de soi.
[…] L’intouchable, c’est que ça touche », Nancy,
Corpus (op. cit.), pp. 125, 127.
41 Dolar, His Master’s Voice (op. cit.), p. 168.
42 The acousmatic voice – the voice whose
origin cannot be seen or located – is a paradigmatic case where the voice assumes extraordinary power through its counterpoint to visibility,
with the absence of visible framing.
43 « Observe that this mark of the cut is no
less obviously present in the object described by
analytic theory: the mammilla, faeces, the phallus
( imaginary object ), the urinary flow. An unthinkable list, if one adds, as I do, the phoneme, the
gaze, the voice – the nothing » , Jacques Lacan,
Écrits – A Selection ( trans. A. Sheridan ),
royal touch which could cure ( thus Charles II allegedly
touched a hundred thousand persons in his life to cure
them of scrofula [37] ). And this was in line with suggestion and hypnosis, these other ways by which Freud hoped
to touch directly upon the unconscious and retrieve a
missing bit of the puzzle from it.
How to touch the unconscious ? How to lay hands on
it ? This is where the basic tenet comes in that I have been
insisting on: the touch is the cut, and the cut is what institutes the unconscious. The royal road to the unconscious is
a roundabout, encircling it not as a piece of positive being,
an information, a missing bit of the puzzle which would
complete the picture, but precisely as a cut. Since our topic
is the connection between words, these untouchables, and
things, the objects of the senses, there is a double injunction which institutes the psychoanalytic situation, this
reduction of both personal and objectal relations to a minimal dispositive: on the one hand, there is the absence of any
prohibition or restriction concerning words – its ground
rule notoriously urges just to say freely whatever happens
to fall into one’s head without any restraints. In psychoanalysis there is no limit to the freedom of speech, it takes
the freedom of speech a bit too seriously, to the extreme. On
the other hand, its counterpart is a prohibition bearing
upon the senses, a real sense-deprivation: the analyst, this
‹ inhuman partner ›, ‹ a stranger ›, ein fremder Mensch, is in
principle not to be touched, not to be seen, not to be heard
( with the notorious ‹ silence of the analyst › ), and I suppose
not to be tasted and not to be smelled ( is there a smell of
the analyst ? is he the subject supposed to smell ? ). Well,
Freud doesn’t quite insist on the last two points. With words,
anything goes; with senses, nothing goes. The analyst
should be disconnected from the five senses, cut-off from
senses, he is not a creature of senses, not a sense object, a
non-sensual being. He undercuts any sense-certainty. Thus,
psychoanalysis, on the other hand, takes traditional restrictions a bit too far as well, there is extreme permissivity and
extreme restriction.
Is the analyst therefore an idea, a spirit, a ghost, a
beyond, a deity, a supersensible entity ? The point is precisely that this disconnection turns him into an object. He
is constituted by a cut, and the cut is the object, the object
emerges in the cut. There is the presence of the analyst,
essential to the process of cure, the core of the cure, but
this presence is there precisely by being cut-off, an alien
presence, a surmised presence [38] , an unbearable pres-
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39 From the double injunction of free
association of words and prohibition of the senses
one can infer the double function of the analyst:
as the addressee of speech, he is ‹ the subject supposed to know ›; in his presence cut-off from the
sensual, he embodies the object. And one can say
that the supposition of the subject supposed to
know is a ‹ necessary illusion › which triggers off
analysis and has to be dissipated by analysis, while
the presence of the analyst is no illusion, no
supposition – he is too much there and wouldn’t be
dissipated. It has to be linked to the notion of subjective destitution and the drive.
London 2001, p. 349. There is a ‹ kinship › which
links the various objects a to the bodily
apertures – the mouth, the anus, the voice, the
gaze … – and the touch, although closely
associated to openings, the mouth to start with,
has the ability to affect any part of the body, one
can touch the body all over, so one could say it
has the capacity to turn any point of bodily
surface into an opening. The touch bores a hole,
and creates an edge.
ence, an intractable presence. The point is, in this cut-off
presence, to make the object emerge as such. [39] The
object of the senses schlechthin, the object thwarting the
senses, bending the senses, transfixing the senses, haunting the senses.
To bring it to one simple formula : there is no limit to
the freedom of speech, except for the object – the object
which touches us, which finds itself not on the other side,
as a reference or the addressee of speech, but on this side
of my speech, too close. Or one could say, to exacerbate the
paradox, that the analyst is my own body, the body invoked
through my words, the body of the other which touches
me. « The point of the untouchable is that it touches » [40],
( to quote Nancy, in a last minute homage, who has been
developing this point in a very different way ).
I argued, in my book on the voice, that the analyst,
precisely through being silent, embodies the object voice
as such. [41] The argument can be extended to other senses, not quite by claiming that he embodies five different
objects, but rather the structure of the object is something
transversal, a cross-over, making the five senses overlap in
the same structure. The list of the objects – the breast, the
faeces, the voice, the gaze … – is both instructive and elusive, inconclusive, they overlap, take relay from each other,
condition each other [42] , present a multiplicity of facets,
precisely by not being firm and countable beings, but
inhabiting only the edge, the cut, something which emerges as a surplus created by the cut. [43]
The point of the analysis is to bring the two together,
the word and the object, to effectuate their link. The body
and the word intersect in the object, the body can only be
touched by the word through the object, the object is their
‹ interface ›, and the point – as far as we are concerned with
tactility – is to effectuate their impossible touch. To restore
to touch the transformative power through this mediation,
by this roundabout way. To restore the cutting edge of
experience, the sensual and bodily experience in its inextricable knot with speech, but which cannot be touched
upon directly, no more than the unconscious can.
It is no doubt unusual and I suppose counterintuitive
to conceive psychoanalysis as a reinvention of touch, a restoration of touch in an era which has anaesthetized and
virtualized experience, touching, made it impossible, but
this is what I tried to propose.
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71
Diesseits, jenseits und neben der Kunstgeschichte in ihrem engeren, neuzeitlichmodernen Sinne, waren und sind Bilder
Gebrauchsgegenstände und als solche
keineswegs der kontemplativen Betrachtung vorbehalten. Das Kultbild ward und
wird nicht nur angebetet, sondern auch
angerührt, und die Photographien der
Lieben trägt man mit sich herum, und
denen der Allerliebsten mag manch einer
gar einen Kuss aufdrücken. Vor diesem
Hintergrund nimmt sich das Bild als
ästhetisches Schauobjekt als ein eigenartiger Sonderfall heraus. Und nicht
zufällig wohl, dass es in der Praxis aufwendiger Sicherungsmaßnahmen bedarf,
um dem Berührungsverbot, mit dem es
belegt ist, Geltung zu verschaffen. Philipp
Stoellger befasst sich in seinem Essay
mit dem schwer bezähmbaren Verlangen,
gerade auch solche Bilder zu betasten,
und geht dabei von der Überlegung aus,
dass man das Kunstwerk am besten als
ein dem « Gebrauch entzogenes » Objekt
verstehen sollte. ( sm )
Philipp Stoellger
Vom Begehren
nach Berührung
oder ‹ Inoperativeness ›: Wenn etwas
dem Gebrauch
entzogen wird
Rühr mich nicht an
Kunst zu berühren, ist prekär. Denn sie zu berühren, bei
Kunst zuzugreifen, gilt als Angriff; zumindest was Kunst
angeht, für die gilt : nur anschauen, nicht anfassen. Eine
Bronze im öffentlichen Raum ist zum Anfassen gemacht.
Diese Spuren gehören zu ihrem Leben und ihrer Aneignung durch die, für die sie da ist. Offensichtlich gibt es
hier Unterschiede, die sich am Leitfaden der ‹ Berührbarkeit › ausmachen lassen. Berührbare Kunst ist Gebrauchskunst. Vor dem ‹ Zeitalter der Kunst › war das die religiöse
Kunst, und die lebt bekanntlich immer noch, ohne zur
Unkunst geworden zu sein. Auch wenn Epochentheoretiker das gerne insinuieren. Berührbare Kunst ist auch Alltagskunst, vom Design bis zum ‹ besten Stück ›, das man auf
dem Schreibtisch stehen hat. Es sind Dinge des täglichen
Umgangs, die exponiert sind, ausgesetzt dem täglichen
Gebrauch.
Aber was Gebrauchskunst ist, läuft Gefahr, Verbrauchskunst zu sein. Das Designobjekt ist irgendwann
abgenutzt. Nur wenige Objekte sind dafür gemacht, zu
altern, und das in Würde. Oberflächen mit Gedächtnis,
manches Metall, Holz, jedenfalls ‹ massive › Materialien,
sind umsatzschwach, weil sie zu lange halten. Aber in dieser Chance aufs Altern liegt auch ihr Reiz. Bei denen ist
der Lack nicht so schnell ab wie bei ‹ verchromtem › Kunststoff. Was sich nicht auf Dauer brauchen lässt, wird irgendwann dem Gebrauch entzogen – und entsorgt.
Dagegen lehnt sich die Kunst auf, die von Anbeginn
an dem Gebrauch wie dem Zugriff entzogen wird. Unalltägliche Kunst, wenn man nicht Sonntagskunst sagen will,
Sammler- und Museumskunst. Die prohibitiven Preise
sind neben vielem Anderen Anzeichen der Unbrauchbarkeit und Unzugänglichkeit derselben.
Kein Wunder, wenn dagegen sich in der Kunst selber Widerstand regt. Auch in den Sphären der Sammlerkunst gibt es dezidiert Antastbares. Aber diese Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Was sagt der Sammler,
wenn die Besucher seine Bilder anfassen ? Der Griff ins
Bild ist ein Angriff. Denn für Bilder gilt, was Christus nach
der Auferweckung im Garten zu Maria Magdalena sagte :
« noli me tangere / Rühr mich nicht an ». [1] Bei ihm war
das alles etwas einfacher und komplizierter. ‹ Halt mich
nicht fest! › war wohl die Pointe. Klammer dich nicht an
mich und mich an dich, denn sonst kann ich nicht in den
Himmel aufsteigen ( um dann überall und allen präsent zu
sein ). Bei Bildern ist es elementarer, handgreiflicher :
Berühren ist Beschädigen. Selbst ein Kuss hinterlässt
Spuren, die zu tilgen teuer kommt.
Kusskunst und Kunstkuss
Als im Oktober 2007 in Avignon eine dreißigjährige Französin namens Randy Sam dem reinweißen Gemälde ( Teil
des Triptychons Phaedrus ) von Cy Twombly einen Kuss
aufdrückte und mit ihren kräftig rot geschminkten Lippen
deftige Spuren hinterließ – war das justiziabel. « I left a
kiss », sagte sie. « A red stain remained on the canvas …
This red stain is testimony to this moment, to the power of
art.» [2] [Abb. 1] [Abb. 2]
Das Bild – immerhin zwei Millionen Euro schwer – galt
darauf hin als irreparabel zerstört, entjungfert könnte man
meinen. Denn, so der Kurator der Ausstellung, die Lippenstiftspuren würden ‹ nie wieder weggehen ›. Dass die
werte Dame sich als Künstlerin ausgab, die vom Weiß inspiriert worden sei und das Bild mit ihrer Lippenmalerei
habe verschönern wollen, hilft da wenig. Selbst wenn das
keine Schutzbehauptung sein sollte, wäre es so wohlfeil
wie möglich. Alles ist erlaubt, dem der da Kunst macht ?
Es mag kein Ikonoklasmus gewesen sein, keine intendierte Zerstörung; es ist aber ein iconoclash, eine nicht
( nur )intentionaler Zugriff, ein Zusammenprall zweier
Perspektiven – bei der der Schwächere nur nachgeben
konnte. Wer kann sich schon gegen einen zudringlichen
Kuss wehren, zumal wenn man wie das Bild nicht weglaufen kann. Ob man das gleich ‹ Kannibalismus › oder ‹ Parasitismus › nennen muss, wie die Staatsanwälte ? Es würde
auch reichen, es dümmlich, aggressiv und aufdringlich zu
nennen. Aber darüber hinaus ?
Es ist – bewusst oder nicht – eine gängige Geste vor
den ‹ Zeiten der Kunst ›. Heiligenbilder sind zum Küssen
da. Sie sind Kontaktmedien zum Heiligen, und im Kuss
werden sie demgemäß verehrt ( ob das Bild selber oder
der abgebildete Heilige, das mag der Herr entscheiden,
nicht aber der Beobachter ). Ikonen sind nicht nur Schauobjekte, sondern Kontaktkunst, Kuss und Berührung ebenso exponiert wie rußenden Kerzen. Was Wunder, wenn
ein Bild, das wie Malewitschs schwarze und weiße ‹ AnIkonen › mit der Ikonographie der Ikone spielt, eben ikonische Reverenzgesten auf sich zieht. So wird der Kuss des
Bildes zu einer Reprise der religiösen Praktiken in ( vermeintlich ) areligiösem Zusammenhang. Sollte darin die
eigentliche Empörung gründen, dass sich der angespielte
Hintergrund plötzlich in den Vordergrund drängt ? Dass
mit der Ikonizität eines weißen Quadrats ernst gemacht
wird – auf das Risiko hin, dass die Kunst ihre weiße Weste
verliert ?
Selbstredend ist ein roter Kussmund auf weißem
Grund trivial, ebenso wie der sensationslüsterne Versuch,
damit Kunst zu machen auf Kosten anderer Kunst. Selbstredend ist das zu Recht justiziabel. Selbst Ikonen gingen
nicht ohne edles Präservativ an die Öffentlichkeit. Zum
Küssen ausgestellt, wurden sie doch geschützt in Gold-,
Silber- oder Messingmantel. Schließlich sollten sie im
Gebrauch nicht verbraucht werden. Auch wenn die Ikonen
zum Verwechseln dem Abendmahl ähnliche Funktion zu
haben scheinen, sind sie keine verzehrbare Hostie. Aber
steckt nicht in der Geste der Exposition eines ‹ weißen Bildes › eine Koketterie ? Ein Exhibitionismus im Willen zum
Sichzeigen – bei gleichzeitigem Entzug, indem doch nicht
ganz Ernst gemacht wird mit der Öffnung und Preisgabe
an die Augen der Betrachter ? Wer könnte schon an der
Schau genug haben, wenn er doch letztlich haben will, was
er schauen will ? Und ‹ Habenwollen › ist doch der Trieb
eines jeden Sammlers. Sie zeigen, exponieren, was sie
haben – und können nicht vermeiden, darin eine ästhetische ( und ökonomische ) Leistungsschau zu veranstalten.
Wer könnte es einem Besucher verdenken, wenn er gerne
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73
einem der Bilder Beine machen wollte. Offenbar genügt
es nicht jedem, das Geschaute nur immateriell mitzunehmen, im flüchtigen Medium von memoria und imaginatio.
Der Wille zur Materialität ist ein Keim des Berührenwollens, Habenwollens, der Einverleibung als ultimativer
Aneignung – in aller Tragik( omik ).
Abb. 1 Cy Twomblys Ausstellung Blooming :
A Scattering of Blossoms and other Things
( Avignon : Collection Lambert, 5. 6.–14. 10.
2007 ) nach dem Besuch von Randy Sam
Abb. 2 Die Anwältin Agnes Tricoire präsentiert
eine Reproduktion des mit Lippenstift befleckten
Kunstwerks ( Avignon, Oktober 2007 )
1 Johannes 20, 11 : « Maria aber stand
draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun
weinte, schaute sie in das Grab 12 und sieht zwei
Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu
Häupten und den andern zu den Füssen, wo sie
den Leichnam Jesu hingelegt hatten. 13 Und die
sprachen zu ihr : Frau, was weinst du ? Sie
spricht zu ihnen : Sie haben meinen Herrn
weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn
hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte,
wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und
weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu
ihr : Frau, was weinst du ? Wen suchst du ? Sie
meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm :
Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo
du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
16 Spricht Jesus zu ihr : Maria! Da wandte sie
sich um und spricht zu ihm auf hebräisch :
Rabbuni!, das heißt : Meister! 17 Spricht Jesus zu
ihr : Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch
nicht aufgefahren zum Vater.»
2 Zit. n., « Painting meets its femme fatale », in : BBC News, Samstag 21. 7. 2007, auf :
http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/6910377.stm
( Oktober 2008 ).
3 Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Ausdünstungen der Betrachter
meist geduldet werden. Rauchen ist zwar verboten, Atmen und Schwitzen aber nicht. In
Höhlen ( Lascaux ) oder vor Fresken ( Pompeji )
kennt man das Problem. Taktilität kann sich
auch sublimiert ereignen, wenn der Betrachter
das zu Sehende anhaucht und verschwitzt.
Spurlosigkeit
Bilder sollen in der Regel keine Spuren des Gebrauchs
aufweisen – auf ewig neu und unberührt, nie und nimmer
gezeichnet von ihrer Geschichte. Darin zeigt sich ein ikonisches Paradox : obwohl die Bilder nichts ‹ spüren ›, sind
sie sensibel, berührungsempfindlich, gar passibel. Sie zeigen Spuren, wenn sie ‹ benutzt › werden : vom Licht, vom
Transport, von der Luft und von der Zeit, bis zu den Insekten, die darin Nester bauen können, sich durchfressen,
oder zu den Pflanzen, die darauf Wurzeln schlagen, wie
den Pilzen und ähnlichem. Spurlosigkeit ist selbstredend
eine Fiktion, die faktisch nie ganz durchgehalten werden
kann. Aber als normative Regel reguliert sie den Umgang
mit dem Bild. Mag das Bild selber noch so viel ikonische
Energie freisetzen, Bewegungsenergie, die den Betrachtern Beine macht und sie pilgern lässt, angekommen vor
dem Objekt des Begehrens sind allein die Augen, der
exklusive Sinn fürs Bild. Alle anderen Sinne sind verbotene Sinne. Kein Tasten, kein Schmecken, kein Hören. Allenfalls der Nahsinn des Geruchs ist noch erlaubt, wenn auch
meist unergiebig. [3]
Die Würde des Bildes ist unantastbar ?
Worauf geht diese Unberührbarkeit des Bildes zurück ?
Einfach gesagt, gefährdet die Berührung den Bestand des
Bildes, seine Oberfläche und seine Integrität. Damit tritt
zutage, dass die Würde des Bildes als unantastbar gilt.
Was für den Menschen in seiner leiblichen Integrität gilt,
gilt auch für das Bild. Und noch mehr : die Abbildungen
eines Menschen sind nicht vogelfrei, sowenig wie er selber.
Gleiches gilt für das Bild. Wer es besitzt, hat die Rechte
daran. Die ‹ Bildrechte ›, die anscheinend analog zu den
Menschenrechten und der Menschenwürde konzipiert
sind. Daher ist der Kuss eine Vergewaltigung dessen, der
sich nicht wehren kann : sexuelle Belästigung dessen, was
nicht rechtzeitig weglaufen kann.
An der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit
eines Bildes zeigt sich, dass es de facto durchaus antastbar
ist, wie die Würde des Menschen auch. Aber es gilt nichtsdestoweniger die ultimative Norm der Unantastbarkeit.
Der faktische Widerspruch hebt die normative Regel nicht
auf. Aber ebendiese Regel hat eine seltsame Isolationshaft
von Bildern zur Folge ( auch wenn sie sich gelegentlich in
Ausstellungen treffen und sogar Besuch empfangen dürfen ). Was derart verletzlich ist und in die Gesellschaft der
‹ höchsten Güter › versetzt wird ( wie Ideen, Hoffnungen,
Utopien ), wird zum Selbstzweck gemacht. Und das könnte
ein zweckloser Zweck werden – Zweck ohne Mittel. Den
Bildern würde in ihrer Unantastbarkeit und Isolation ihr
Mittelcharakter bestritten, ihre Medialität und damit ihre
Brauchbarkeit und Antastbarkeit. Sollte daher nicht auch
für Bilder gelten, was Kant für den Menschen formulierte :
« Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit
zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. » [4]
So soll man Bilder niemals ‹ bloß als Mittel brauchen›.
Aber ‹nur als Zweck ›, als ‹ reinen Selbstzweck › – könnte
man sie gar nicht mehr brauchen. Sie würden unbrauchbar – jedem Gebrauch entzogen. Das geschieht nicht einmal, wenn sie als Renditemittel im Keller stehen.
Dem Gebrauch entzogen
Wie entsteht solch eine Intuition : dass ein Artefakt, ein
Ding im weitesten Sinne, derartige Würde und Rechte
genießt ? Unantastbarkeit, Unverletzlichkeit des Leibes,
Unberührbarkeit – trotz aller Verehrung, allen Begehrens
und aller Lüste ?
Es kommt vor von Zeit zu Zeit, dass etwas dem Gebrauch entzogen wird. ‹ Inoperativeness › kann man das in
Aufnahme Giorgio Agambens nennen. Etwas wird außer
Kraft gesetzt, wird dem Gebrauch entzogen oder eben
‹ zur Seite gelegt ›. Das ist mehrdeutbar : Müll kommt in die
Tonne und gammelt nutzlos auf der Halde vor sich hin.
Abgelegte Klamotten geistern auf dem Dachboden herum
oder werden ‹ recycelt ›. Alles Nutzlose, Wertlose oder Kaputte ist nicht mehr Mittel und nicht mehr Zweck, sondern wertlos. Diese Anökonomie des Verbrauchten ist
phänomenal ihrer Verwandten nicht ganz fern, der wertsteigernden Anökonomie der Kunst. Dem Gebrauch entzogen werden – das widerfährt auch den Dingen, die
besonders sind, aufbewahrt und ausgestellt werden. Wenn
einem ein Ding wichtig geworden ist, weil es mit Erlebnissen und Geschichte imprägniert ist, die daran haften,
wird es vor allem denen dienen, nicht mehr seinem
‹ eigentlichen › Zweck.
Ein Glas zum Beispiel, aus dem man ‹ last drinks › mit
einem lieben Verstorbenen genossen hat, oder ‹ first drinks ›
mit einem Geliebten, wird womöglich nicht mehr in der
Spülmaschine behandelt wie alle anderen. All das, was
auf den heimischen Altären des Alltags landet, ist einem
liebes und teures Strandgut des Lebens, das eben auf dem
Hausaltar steht und dort nicht mehr im normalen Gebrauch
steht. Es wird dem Gebrauch entzogen – und einem anderen zugeführt : memorial, anschaulich, imaginativ –, aber
meist doch berührbar. Denn wovon man berührt wird, das
will man berühren. Nichts evidenter als das. Viele dieser
Dinge sind Kontaktreliquien, die ihren memorial-imaginativen Zauber gerade in der Berührung entfalten. Erst
wenn sich Staub auf ihnen sammelt, scheinen sie weggedriftet zu sein in ein nur noch visionäres Verhältnis. Was
abgestaubt werden muss, wird nicht mehr angefasst.
Unberührbar in einem normativen Sinne aber wird
erst das, was von der Berührung gefährdet würde, weil sie
das Artefakt verändern würde und am Ende gar ‹ verbrauchen ›. Damit sich etwas nicht verbraucht, wird es dem
Zugriff entzogen. Die Kaaba zeigt, wie steter Kuss selbst
den Stein höhlt. Würde jeder die Reliquien küssen dürfen,
wäre der tote Körper eines Papstes wohl schnell weggeküsst.
Eros zwischen Vision und Berührung
Worauf geht überhaupt das Begehren nach Berührung
zurück ? Bilder gehen auf die Augen, manchmal auf die
Nerven, aber Hand und Fuß sind nicht angesprochen,
geschweige denn Zähne oder Zunge. Ohne Füße wäre es
vor einem Bild gelegentlich problematisch. Aber ohne Hände hätte man kein Problem. Warum gibt es dann Fälle von
Zugriff ? Warum werden Bilder eingezäunt ? Doch nicht
eigentlich, damit sie nicht weglaufen, sondern damit man
ihnen nicht zu nahe tritt. Wenn die Augen gereizt werden,
will der Rest des Leibes hinterher. Darauf wettet – mit
Erfolg – noch jede Werbung: in den Augen ist im Sinn. Und
was einmal im Sinn ist, will man haben ( oder soll man
haben wollen ). Es geht um die Augen als passibles Organ,
in die einfällt, was einen anzieht und nicht mehr loslässt.
Was einen aber so gepackt hat, will man greifen, haben,
benutzen, wenn nicht verschlingen.
Taktilität, das Begehren nach hapsis, nach mehr als
visio, spielt im Register des Eros. Und der will mehr als nur
visio. Der will berühren, anfassen, küssen, lecken, lutschen
bis zur Einverleibung, wie auch immer. Im Grenzwert neigt
der Eros zum Kannibalismus, der glücklicherweise meist
hinreichend sublimiert wird, um nicht alles wegzufressen,
was er begehrt.
In platonischer Tradition ist der Eros das Pathos, das
höchste aller Gefühle, der Sinn fürs Übersinnliche. Im Eros
wird man hingerissen zum Göttlichen, und gelegentlich
auch zum einen oder anderen Knaben. Päderastie war
Ehrensache bei den Gebildeten unter den Griechen. Und
was macht der Eros mit einem dabei ? Zielt er nur auf
Schau oder auf Berührung ( visio oder hapsis ) ? Für gewöhnlich drängt er doch auf beides zugleich, zumindest
auf mehr als Schau. Aber da kommt einem eine Unterscheidung dazwischen, die Platon in die Welt gesetzt hat.
Das Übersinnliche geht auf die Augen, nicht eigentlich auf die im Gesicht, sondern auf die inneren Augen
( was immer damit gemeint sein mag ). Dieser Eros – das
Begehren nach dem Unsichtbaren, letztlich nach der höchsten aller möglichen Ideen – zielt auf visio, und nur auf sie.
Denn Schau als der Gipfel der Genüsse, das ist die Intuition,
die das platonische Erkenntnismodell dominiert. Aber wie
war das wohl mit den Knaben ? Oder wie mag es dem ergehen, der die Geliebte oder den Geliebten nur schauen darf
und an der Schau genug haben soll ? In weltlichen Dingen,
weniger übersinnlich als vor allem sinnlich, ist es eben nicht
genug, nur anschauen zu dürfen und nicht anzufassen.
Das zeigt sich drastisch im Mittelalter. Reliquien werden exponiert, zur Schau gestellt, damit man in deren
Schau teilnehme und Anteil erhalte an dem Heil, das sie
verkörpern. Heil ist visionär transportabel. Daher wird
auch die Hostie in der Wandlung hoch erhoben, damit alle
dies Mysterium schauen können. Die visionäre Teilnahme
an der Eucharistie galt als ‹ satis ›, als heilswirksam und
genug des Guten.
Aber Reliquiare, zumal die späteren, die Fleisch und
Knochen nach außen treten lassen, sind nicht nur Visionsobjekte. Der Gipfel der Genüsse war hier nicht mehr nur
Schau, sondern Kontakt und Berührung ( vielleicht auch
74
75
Geruch und damit sublimierter Geschmack ). Kontaktreliquien sind es, die das Objekt des Begehrens physisch präsent halten.
Visio oder hapsis, Schau oder Berührung ( wenn
nicht auch Geruch ) – das ist ein Doppelsinn, der aus dem
Begehren des Heiligen bekannt ist. Wer an der Vision
nicht genug hat, will Berührung. Aus dem Begehren nach
Mehr als Anschauung erwächst der Trieb zuzugreifen.
Das wird im Grenzwert verzehrend und kannibalisch, wie
sublimiert auch immer. Wer Reliquien nicht nur sehen,
sondern küssen will, der tendiert zum Verbrauch im
Gebrauch. Die Hostie ist auf Verzehr angelegt – und ist
damit das einzige ( ? ) Kultbild, das geschaut wird, um verzehrt zu werden. Dieses Zugeständnis an Hand und Mund
ist aber singulär : die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Libidinöse Melancholie – melancholische Libido
Der ‹ drive › des Eros, mehr zu wollen, immer mehr und
mehr – ist prekär. Denn die Endlichkeit zu fressen heißt,
darin der Unendlichkeit ermangeln ( noch mal : das Abendmahl ist die Ausnahme davon ). Das Unbesitzbare besitzen
zu wollen, das Unverzehrbare verzehren, das nicht Essbare verschlingen [5] – führt in die Akedie ( oder deren
moderne Nachfolgerin, die Melancholie bis in die ‹ Depression › ). Davon weiß Giorgio Agamben in seinen Stanzen
ein Lied zu singen. Unter dem Titel « Die Phantasmen des
Eros » geht er dem intimen Verhältnis von Eros und Melancholie nach, der sich zeigt in den Folgen des Begehrens
eines Unerreichbaren, Unverzehrbaren und sich Entziehenden. [6] Im Umgang mit dem Bild würde das Irreale
begehrt, zu berühren begehrt, aber doch nur nach dem
Realen gegriffen, das dadurch verletzt wird – während
sich das begehrte Irreale entzieht. Tragischerweise tendiert das zum Zerstören des ‹ Kontaktmediums ›, das doch
nur visionären Zugang zum original Unzugänglichen
gewähren kann. Einfach gesagt : Bilder sind keine Hostien
( auch wenn Hostien Kultbilder sind ). Dass manche Kirchenkunst wie Heiligenstatuen zum Gebrauch gemacht
sind, ist nur die Konsequenz aus ihrer Nähe zur Hostie.
Gebrauchskunst riskiert, Verbrauchskunst zu werden.
Sollte man sie darum gering schätzen oder gar musealisieren, um sie dem drohenden Verbrauch zu entziehen ?
Sie würden damit ähnlich auratisiert wie eine Hostie im
Tabernakel. Sie dem Gebrauch zu entziehen, lässt sie dem
Fetisch ähnlich werden.
Berührungs- und Bewegungsmelder
Umgekehrt sind die Zäune um die Bilder, die Bewegungsmelder und die Museumswärter ( die bodyguards der Bilder ) offensichtlich sinnvolle Disziplinierungsmaßnahmen.
Denn sie verhindern, dem libidinösen drive zum Berühren
ungehemmt nachzugeben. Es sind Zivilisierungsmittel,
die einen Unterschied schärfen und wahren, der in ‹ erfüllter Anschauung › nur zu schnell überwältigt wird. Wer
von der Fülle des Geschauten hingerissen ist, braucht Differenzwächter. Sonst würde er dem Überschwang des
Eros nur zu schnell nachgeben und zugreifen, haben wollen und mitnehmen.
Wer Bilder nicht nur schauen, sondern berühren
will, leidet vermutlich doch an einer Krankheit zum Tode,
und die führt in die Verzweiflung, wie Kierkegaard zeigte. Bei Gott ist das wieder einmal schlicht und einfach :
wer Gott nicht nur erkennen, sondern berühren, gar fressen will, wird an diesem Begehren verzweifeln : Akedie ist
der Preis dessen. Denn Gott ist zwar nicht ungenießbar,
aber er geht nicht durch den Magen. Das Abendmahl ist
( manchen zumindest ) die kleine, aber feine Ausnahme.
Was sich an Gott zeigt, erschließt vieles von dem, was
nicht in der Sinnlichkeit aufgeht : das Übersinnliche daran
wird sich nicht mit Händen greifen lassen. Und wer das
versucht, wird zum Nebeljäger.
Gefühllose Empfindlichkeit
Aber wie steht es um diejenigen Artefakte, die ihren Sinn
gerade in der Sinnlichkeit finden ? Kunst für Blinde beispielsweise ist zur Berührung gemacht ( aber auch nicht
zum Verzehr, wenn man von Kochkunst absieht ). Kunst
für Gläubige, die ihre Kunst anbeten, anfassen und küssen
wollen, ebenso. Bilder aber sind für die Augen gemacht
– sagt man. Die anderen Sinne müssen leider draußen
bleiben ‹ im Zeitalter der Kunst ›. Was hätte ein Bild der
Nase, den Ohren oder der Zunge zu bieten ? Erst ( ? )
wenn die Oberfläche des Bildes plastisch wird und haptische Reize zeigt, wird der Betrachter gereizt, einmal darüber zu streichen. Van Gogh und die Folgen sind evident:
Wenn das Plastische ins Bild einwandert, juckt es einen
in den Fingern. [7]
Der Griff ins Bild ist Angriff bei Bildern an der Wand.
Er greift ins Leere an der Leinwand. Und er findet nur
kalten Widerstand beim Griff an den screen. Das ist anders
geworden seit den ‹ touchscreens › – iPhone sei Dank. Berührungsempfindlich ist sein screen, sensibel, gelegentlich allzu sensibel. Ein Gerät zum Streicheln, Liebkosen
und ein Handschmeichler dabei. Das ‹ i › des Columbus.
Wenn, ja wenn doch nur der screen auch etwas zu fühlen
gäbe. Seine passive Sensibilität, seine Passibilität ( ? ), erwidert wenig. Eine aktive Oberfläche müsste sich fühlen
lassen. Sie müsste plastisch sein und zum Relief werden. [8]
Es bewegt sich zwar, aber es gibt nichts zu fühlen über die
schöne, glatte Oberfläche hinaus. Und die wird schmierig,
4 Immanuel Kant, « Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten » ( 1785 ), in : Deutsche
Akademie der Wissenschaften zu Berlin ( Hg.),
Kant’s gesammelte Schriften, Bd. IV, Berlin 1903,
S. 429, vgl. 433, 437f.
5 Paradoxerweise konnte von Cusanus das
Gottesverhältnis als ‹ ingustabiliter gustatur ›
bestimmt werden, ihn also unschmeckbar zu
schmecken ( und nicht : den Ungenießbaren zu
genießen ). Aber wie schmeckt Gott ? Nach
Hostie ? Nach Fleisch und Blut ? Oder nach
Kadaver, wie die Reliquien ? Die rechte Antwort
wäre nach Brot und Wein und immer noch nach
Mehr. In diesem Mehr liegt der Überschwang,
der in die Verzweiflung führen kann. Insofern
kehrt hier das Akedie-Problem wieder.
6 Siehe Giorgio Agamben, Stanzen. Das
Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur, Zürich 2005.
7 Aber leider nicht erst dann. Ikonoklasmen legen davon Zeugnis ab.
8 Oder wenn die Oberfläche des Bildes
sich öffnet, offen bleibt – kann das dazu reizen,
an der Öffnung allein nicht genug zu haben.
wenn man Gebrauch von ihr macht. Es ist eben ein Kultobjekt und das kardinale Kontaktmedium – aber doch
letztlich nur ein Verbrauchsobjekt.
Berührung der Macht
Es gehört zum normalen Bildbewusstsein, das ‹ Ist-und-istnicht › des Bildes wahrzunehmen und die Differenz zu
wahren. Manch einer küsst das Bild seiner Frau oder Kinder oder der Heiligen. Aber dieser ikonodule Grenzwert
ist nicht die Regel. Üblicherweise ist jedem klar, dass ein
Bild zu zerstören nicht das Abgebildete trifft. Exorzismen
wie die Bilderverbrennung in Trennungs- und Scheidungsprozessen bestätigen die Regel wohl vor allem. Aber
das ‹ Ist-nicht › daran ‹ haben › zu wollen – ist absurd. Als
würde der Höhlenkünstler seine Pfeile auf die Bisons an
der Wand schießen.
Worauf man schießt, das will man tödlich berühren.
Der Schuss aufs Bild ist daher ein sublimierter Tötungsakt. Als Niki de Saint Phalle auf die Bilder ( ihres Vaters )
anlegte, war das so gesehen mehr oder minder gelungenes ‹ Action Painting ›. Aber Bilder bluten nicht, und schon
gar nicht der Abgebildete dahinter. Kultbilder mögen da
wieder eine Ausnahme sein. Am Schuss jedenfalls zeigt
sich der Grenzwert der Berührung : die intendierte Tötung
des Bildes, die Zerstörungsgeste. Kein Wunder, denn
Berührung ist bereits a limine eine Ermächtigungsgeste.
Der Kuss ist nur die vermeintlich zurückhaltende Erosgestalt dessen.
Berührung ist eine Geste der Macht, der Er- und
Bemächtigung. Die Stars gewähren gelegentlich Berührungen und damit die Gnade des Kontakts – ähnlich den
alten Heiligen. Nicht nur : Ich habe den Herrn gesehen,
sondern ich hatte Kontakt. Und der wird immer gewesen
sein. Die Mächtigen berühren einander herzlich, umarmen sich und am Ende küssen sie sich sogar, zumindest
im einstigen Bruderkuss. Wer von den Sterblichen dürfte
das, es sei denn, es würde ihm solch eine Gnade gewährt.
Politiker zum Anfassen sind Designobjekte, um das Berührungsbedürfnis zu stillen. Was man anfassen kann, kann
man getrost wählen, anscheinend. Aber nicht nur ‹ von
oben › wird Berührung gewährt. Im Griff zum Apfel am
Baum wird die Geste zum Anfang der Kultur. Der Mensch
bemächtigt sich der Natur, ganz schlicht und einfach, mit
allen Folgen, die solche Apfelgeschichten haben können.
Im Töten des Tieres geht es nicht ohne zupackenden Eingriff in den Lauf des Lebens. Und zwischen Menschen ?
Berührung ist ein Sinn für Sinnlichkeit mit- und gegeneinander.
Die Affinität von Berührung und Macht – in allen
Spielarten von Heiligen, Stars und Politikern oder anderen Machthabern – wirft noch einmal Licht auf die Macht
des Bildes : Bilder berühren – ohne berührt zu werden.
Betrachter werden berührt – ohne berühren zu dürfen.
Der Betrachter ist antastbar, das Bild nicht. Ist dann die
ganze Unberührbarkeit der Bilder nicht eine Inszenierung
ihrer Macht ? Daran würden auch die Ausnahmen nichts
ändern, Inszenierungen, in denen Kunst gerade dem
Zugriff exponiert wird.
Nur – der Betrachter rächt sich nicht selten für das
Berührungsverbot. Begriff statt Zugriff heißt das ‹ stubenreine › Medium, in dem der Betrachter alles greifen und
begreifen darf, was ihm handgreiflich verwehrt bleibt.
Der Bildbegriff ist die Rache des Betrachters, der nur
anschauen, aber nicht anfassen darf. Im Bildbegriff inszeniert sich die Macht des schauenden Denkers – über das
Bild. So sublimiert kann es sich dem Zugriff nicht mehr
entziehen. Und der Bildbegriff hinterlässt Spuren, wenn
auch keine materiellen. Wenn es nicht beim Begriff bleibt,
folgen Urteil und Schluss. Das kann so weit gehen, dass
im Urteil beschlossen wird, was mit einem Bild geschehen möge. Das Bild vor Gericht, in der Inquisition der es
Begreifenden, kann auch zum Tode verurteilt werden,
oder zumindest zum aging bis in den Verfall. Die salonfähige Version der Taktilität, der Begriff, ist eine gefährliche
Sublimierung des Begehrens nach Berührung. Wer
berührt wurde und im Gegenzug begreift – kommt dem
Bild nicht weniger gefährlich nahe.
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77
Die körperlich haptische Erfahrbarkeit
von Bildern sowie das ‹ totale › Eintauchen
des Betrachters in ein bildliches Geschehen werden oftmals auf die Errungenschaften der Technik, wie etwa die 3DSimulation oder die so genannte Virtual
Reality,zurückgeführt. Robin Curtis
zeigt jedoch in ihrem Beitrag, dass diese
Annahme zu kurz greift, da sie nur die
produktionsästhetischen Voraussetzungen
in den Blick nimmt und das komplexe
Funktionieren des menschlichen Wahrnehmungsapparates, also die rezeptionsästhetischen Voraussetzungen, außer
Acht lasse. Curtis zeigt mit Bezug auf
die psychologische Wahrnehmungsforschung an Säuglingen, dass die menschliche Wahrnehmung grundsätzlich kinästhetisch und darauf angelegt ist, eine
Verschmelzung des eigenen Körpers mit
umgebenden ‹ Bildern › einzugehen.
In der Konsequenz interessiert sich Curtis
denn auch dafür, Immersion im Film
nicht auf ein an ‹ reale Räume › und technische Mittel gebundenes Phänomen
zu reduzieren, sondern sie untersucht
gerade auch die Immersionsfähigkeit ungegenständlicher Filmbilder am Beispiel
Lázló Moholy-Nagys. Die filmische oder
allgemein bildliche Immersion begründet
sich demnach gerade in einem körpereigenen Rezeptionsmodus und in der
Schwellenfunktion haptischen Empfindens, das zugleich innen wie außen
angesiedelt ist und durch das Fremderfahrung immer auch zur Selbsterfahrung
wird. ( jg )
Robin Curtis
Mit dem ganzen
Körper dabei
Immersion als
körpereigener
Rezeptionsmodus
3 Dementsprechend reproduziert Grau in
seiner Argumentation zur Immersion immer
wieder die schon vielfach widerlegte Legende
der ersten Filmvorführung 1895 : « The audience
reacted to the approaching train in this film, its
‹ brutal reality ›, with screams of panic, by
running away, and, according to many
contemporary sources, by fainting ». Siehe Oliver
Grau, Virtual Art. From Illusion to Immersion,
Gloria Custance ( Übers.), Cambridge 2003,
S. 151. Die filmhistorische Korrektur dieser populären Legende findet man bei Tom Gunning,
« An Aesthetic of Astonishment : Early Film and
the ( In )Credulous Spectator », in : Linda Williams ( Hg.), Viewing Positions : Ways of Seeing
Film, Baltimore 1994. S. 114 – 133 und Martin
Für das Individuum gilt die Haut als spürbare und sichtbare
Grenze, die imstande ist, Auskunft z. B. über Nähe und Distanz, Selbst und Andere, Lust und Unlust zu geben. Dass ein
Individuum bei der taktilen Erfahrung primär an der Bestätigung von Grenzen, an der Differenzierung zwischen Eigenund Fremdkörper interessiert ist, ist die hier implizite Annahme. Was aber geschieht, wenn eine Erfahrung der
Verschmelzung des eigenen Körpers mit einem Fremden
angestrebt wird ?
Eine solche Art der Fusion versprach die Virtual Reality, wie sie vor allem zu Anfang der 1990er Jahre vielfach
formuliert wurde, als eine Vermengung von menschlichem
Nervensystem und externen Daten, die zuerst bei William
Gibsons Neuromancer als ein jacking-in in die « Matrix »
beschrieben wurde. [1] Diese Vorstellung einer Vereinigung
von Innen und Außen, von Selbst und Fremdem enthob der
eigenen Haut die Definitionsgewalt bei der Frage, wie die
eigenen Grenzen zu definieren seien. Diskussionen, die an
Gibsons utopische Vorstellung anzuknüpfen versuchen, fußen
in der Regel auf apparativen Voraussetzungen für einen solchen fantastischen Datenaustausch und damit auf einer technologischen Ergänzung des Körpers: es ist dabei gleichgültig,
ob ein Head-mounted-display ( HMD ) mit Datenhandschuh
oder mit einem ähnlichen Haptikersatz kombiniert wird –
die Fähigkeit zur Immersion, zur Ausdehnung des Körpers in
eine andere ‹ mögliche Welt ›, wird hier in der Apparatur
lokalisiert. Doch die offene Frage heute, zwanzig Jahre nachdem etwa Harold Rheingold, einer der ersten Kommentatoren dieser Szene, seine erste Begegnung mit der Virtual Reality in einem Forschungslabor der NASA machte [2], ist, ob
die Immersionserfahrung, die in den zahlreichen euphorisierten Beiträgen zugleich zukunftsgerichtet ‹ fantasiert › wie
auch definiert wird, bisher nicht viel zu enge Parameter
gesetzt bekommen hat. Immer wieder wird die Immersion
mit Techniken in Verbindung gebracht, die bestrebt sind,
naturalistisch abgebildete Welten für den Zuschauer bzw.
Nutzer wortwörtlich zugänglich zu machen.
Die Kritik, die in vorliegendem Beitrag gebracht wird,
zielt nicht nur auf jene Vorstellung von Immersion als einem
Apparat-abhängigen Phänomen, sondern auch auf die unhinterfragte und vereinfachende Vorstellung von Haut und taktiler Erfahrung, die in jenen historischen Beiträgen implizit ist
und die Taktilität vor allem mit dem Erfahrungsspektrum der
Hand assoziiert. Es scheint aber an der Zeit zu sein, diese
frühe Phase der Immersionsforschung aus einer historischen
Perspektive zu betrachten. Nur so wird deutlich, dass die bis-
_–
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1 William Gibson, Neuromancer, New
York 1984.
2 Howard Rheingold, Virtual Reality, New
York 1991. S. 15.
Loiperdinger, « Lumières ‹ Ankunft des Zuges ›
Gründungsmythos eines neuen Mediums »,
in : Kintop 5, 1996, S. 37 – 70.
4 Michael Fried, Menzel’s Realism :
Art and Embodiment in the 19th Century,
Berlin / London 2002.
herige Betonung der technischen Apparatur, dazu geführt
hat, dass die Komplexität des Rezeptionsvorgangs vernachlässigt wurde.
Der kunsthistorische Überblick des immersiven Potentials von Bildern, der von Oliver Grau in seinem Buch Virtual
Art. From Illusion to Immersion angeboten wurde, könnte –
vielleicht wider Erwarten – als Abschlussbericht jener ersten
Phase der Immersionsforschung betrachtet werden. Obwohl
er scheinbar Abschied von einer technophilen Bestimmung
der Immersion nimmt, indem er von der Notwendigkeit des
Wahrnehmungsersatzes eines HMD oder Datenhandschuhs
absieht, bietet Grau immer noch eine apparative Definition
der Immersionserfahrung an. Er universalisiert dabei Immersion vielmehr, indem er einen historischen Bogen schlägt
von den panaromatischen Raumerfahrungen angesichts der
Fresken Pompejis bis hin zum Eintauchen in die virtuelle
Räumlichkeit der Medienkunst der 1990er Jahre. Dies führt
jedoch zu einer Vernachlässigung des komplexen Wahrnehmungsapparates des Nutzers selbst. Grau beschränkt Immersion ausschließlich auf Erfahrungen, die durch Medien ( seien es Gemälde oder Datenräume ) ermöglicht werden, welche
den Rezipienten 360° umschließen, und fokussiert damit
ausschließlich auf produktionsästhetische Aspekte des Phänomens. Für Grau ist die Geschichte der Medien entsprechend eine Geschichte des Fortschritts, während das Publikum eine naive Masse darstellt, die jeweils nur kurz den
illusionistischen Täuschungen der neuesten Technik unterliegt und dann ihren Hunger nach ‹ besseren › Illusionen stillen muss. [3] Eine solche Betonung der technischen Basis der
Illudierungskraft der Immersion bringt notwendig eine Vernachlässigung der menschlichen Wahrnehmung selbst mit
sich, so dass in Graus Beitrag der Rezipient zum irrelevanten
Faktor reduziert wird.
Eine gänzlich andere Interpretation von Immersion
strebt dagegen Michael Fried an, der die Technik des 20.
Jahrhunderts gänzlich außer Acht lässt. Er versteht unter
Illusion eine spezifische Rezeptionsform, durch welche die
atmosphärische Dichte eines gemalten Raums, z. B. bei
Adolph Menzel, für den Betrachter leiblich zugänglich
wird. [4] Während bei Grau die Immersion eine objektive
Eigenschaft von gewissen Medien ( wie etwa Panorama oder
Cinerama ) per se darstellt, ist bei Fried das leibliche Eintauchen in eine Bildfläche Ausdruck der Dynamik zwischen
Betrachter und Bild. Betrachtet die erste Position Immersion
eher aus produktionsästhetischer Perspektive, so betont die
andere ihren rezeptionsästhetischen Aspekt. Vor dem Hinter-
78
5 Vgl. Michael Frieds Ansatz mit Erkki
Huhtamo, « Encapsulated Bodies in Motion », in :
Simon Penny ( Hg.), Critical Issues in Electronic
Media, New York 1995, S. 159 – 186 sowie mit
Marie-Laure Ryan, Narrative as Virtual Reality :
Immersion and Interactivity in Literature and
Electronic Media, Baltimore 2001 oder auch mit
der philosophischen Auseinandersetzung mit
dem Phänomen in Kendall Walton, Mimesis as
Make-Believe, Cambridge 1990.
6 Klinische Forschung zeigt sogar, dass
eine Dysfunktion jener haptischen Sinne aufgrund einer Infragestellung durch andere sensorische Daten eine geschwächte Selbstwahrnehmung zur Folge hat; vgl. Israel Rosenfield,
« The Counterfeit Leg and the Bankruptcy of
grund der Übertragung von Immersion auf den Kontext der
Kunsterfahrung erweist sich das ursprünglich utopische Versprechen, Virtual Reality sei das privilegierte Medium totaler
Simulation und Immersion, selbst als ein historisches. Und
tatsächlich fällt heute auf, dass Immersion ein ubiquitäres
Phänomen geworden ist, insofern als damit sowohl Erfahrungen mit Texten, mit Virtual Reality, mit Kunst und Kino
gleichermaßen charakterisiert werden können. [5] Der
gemeinsame Nenner beim Gebrauch des Begriffes in diesen
vielfältigen Kontexten ist das Versprechen einer Grenzüberschreitung bzw. einer grenzüberschreitenden Erfahrung.
In Anlehnung an diesen Ansatz, der den Rezipienten in
den Mittelpunkt stellt, möchte ich hier auf die phänomenologische Perspektive der Immersion verweisen, die vor allem
mit bewegten Bildern möglich ist und auf einem erweiterten
Verständnis haptischer Erfahrung basiert, die auch kinästhetische und propriozeptische Erfahrung einschließt. Genau
gesehen bezieht sich das Haptische des bewegten Bildes auf
den Tastsinn, d. h. auf die Erfahrungen, die durch die hauteigene Fähigkeit, Nähe spüren zu können, ermöglicht werden,
und zwar nicht nur durch die Finger und Hände, sondern
mittels der gesamten Körperoberfläche ( sowohl außen wie
innen ). Die Kinästhetik wird durch die Muskelbewegung
gewonnen und vermittelt dadurch Information über die
Wahrnehmung von Körperbewegung. Die Propriozeption
dagegen stellt durch Rezeptoren an Muskeln, Gelenken und
Sehnen Informationen über die Haltung und Stellung des
Körpers im Raum und die Wirkung der Schwerkraft zur Verfügung. Diese Aspekte des Haptischen arbeiten zusammen,
um die Parameter des leiblichen Selbst zu vermitteln, was
sowohl die Erfahrung der Ganzheit des Körpers wie auch die
Verortung des Selbst im Raum einschließt. Die essenzielle
Bedeutung der haptischen Wahrnehmung für die Stabilität
des Selbst wird im Fall einer Dysfunktion umso deutlicher. [6] Doch scheint der Körper nicht in direkten Kontakt
mit Materie kommen zu müssen, um haptische Erfahrung zu
machen, denn das Sehvermögen wird unmittelbar durch die
anderen Sinne und sogar durch erinnerte Daten beeinflusst.
Schon 1985 hat sich der Psychologe Daniel Stern für
eine intermodale Sicht der Sinne stark gemacht. In seiner
Forschung an Säuglingen hat er festgestellt, dass Menschen
in der frühesten Kindheit eine ausgeprägte Neigung zur
amodalen Wahrnehmung haben. Dies bedeutet, dass die Sinne nicht als getrennt funktionierende Vermögen konzipiert
werden, sondern dass Säuglinge in der Lage sind, Informationen, die in einem bestimmten sensorischen Modus aufge-
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_–
_–
79
31 — # 12 / 13 ( Dezember 2008 )
Das Magazin des Instituts für Theorie
Zürich ( ith )
Classical Neurology », in : ders., The Strange,
Familiar, and Forgotten. An Anatomy of
Consciousness, New York 1993 und Oliver
Sachs, « The Disembodied Lady », in : ders., The
Man Who Mistook His Wife for a Hat and Other
Clinical Tales, New York 1998.
7 Vgl. Daniel N. Stern, Die Lebenserfahrung des Säuglings, Stuttgart 2003,
S. 79 – 80.
8 Ebd, S. 83.
9 Ebd.
10 Für eine Anwendung der Theorien
Daniel Sterns auf die Filmanalyse siehe Raymond Bellour, « Le dépli des emotions », in :
Trafic 43, 2002 oder Robin Curtis, « Bewegung,
Rhythmus, Immersion : Räumliche Effekte der
Abstraktion », in dies. / Marc Glöde / Gertrud Koch
( Hgg.), Synästhesie-Effekte. Zur Intermodalität
der äisthetischen Wahrnehmung, München 2009
( in Druck ).
11 Siehe hier vor allem Vivian Sobchack,
Carnal Thoughts. Embodiment and Moving
Image Culture, Berkeley 2004.
nommen werden, in einen anderen zu übersetzen. Dies
bedeutet allerdings keine direkte Übertragung von z. B.
‹ Hören › ins ‹ Sehen ›, sondern, so Stern, die Einkodierung in
eine so genannte « amodale Repräsentation », die in allen sensorischen Modalitäten erkannt werden kann: « Bei diesen abstrakten, für den Säugling wahrnehmbaren Repräsentationen handelt es sich nicht um Bilder, Töne, haptische
Eindrücke und benennbare Objekte, sondern vielmehr um
Formen, Intensitätsgrade und Zeitmuster – also um eher ‹ globale › Merkmale des Erlebens.» [7] Sterns Forschung führt vor,
dass Menschen von der frühesten Kindheit an mittels jener
Neigung zur amodalen Wahrnehmung in der Lage sind, sogenannte « Vitalitätsaffekte » wahrzunehmen. Das sind Affekte, die laut Stern « schwerbestimmbar » sind, weil sie sich
durch unserer übliche Taxonomie der Affekte nicht bestimmen lassen, sondern « sich besser mit dynamischen, kinetischen Begriffen charakterisieren, Begriffen wie ‹ aufwallend ›,
‹ abklingend ›, ‹ flüchtig ›, ‹ explosionsartig ›, ‹ anschwellend ›,
‹ abklingend ›, ‹ berstend ›, ‹ sich hinziehend › ». [8] Stern formuliert dazu:
« Wie der Erwachsene den Tanz, so erlebt der Säugling
seine soziale Welt in erster Linie als Welt der
Vitalitätsaffekte, bevor sie sich zu einer Welt formaler
Handlungen entwickelt. Sie weist auch eine Analogie
zur physischen Welt der amodalen Wahrnehmung
auf, die in erster Linie eine Welt abstrahierbarer
Eigenschaften wie Form, Anzahl, Intensitätsstufe usw.
darstellt und nicht etwa aus gesehenen, gehörten
oder getasteten Dingen besteht.» [9]
Stern beschreibt also eine Kapazität in der Wahrnehmung,
die viel eher mit qualitativen, fast atmosphärischen Aspekten
der Wahrnehmung zu tun hat, als mit konkreten « Handlungen ». Es sind Kapazitäten, die wir alle in den frühesten
Phasen unserer Entwicklung erleben und von denen wir
auch in unserer heutigen Wahrnehmungsweise noch geprägt
werden. [10] Diese Forschung führt vor Augen, dass die Basis
für eine grenzüberschreitende, atmosphärisch überwältigende Erfahrung, wie sie die Immersion verspricht, an sich schon
im Wahrnehmungsapparat latent angelegt ist.
Eine solche Verwischung der Sinnesgrenzen ist auch in
der Filmphänomenologie und vor allem in der Arbeit Vivian
Sobchacks, die sich mit einer Vielfalt von überraschenden,
überwältigenden sinnlichen Erfahrung bei der Filmrezeption
befasst hat, von zentraler Bedeutung. [11] Trotz der Tatsache,
14 Für einen Überblick des filmischen
Schaffens Moholy-Nagys siehe Jan Sahli,
Filmische Sinneserweiterung : László MoholyNagys Filmwerk und Theorie, Marburg 2006.
Weitere Auseinandersetzungen mit den komplexen ästhetischen Ansprüchen jener Filme
findet man bei Jan-Christopher Horak, « The
Films of Moholy-Nagy », in : Afterimage 13 ( 1 / 2 ),
1985, S. 20 – 23 und Robin Curtis, « The Stranger
in a City Filled with Strangers : Moholy-Nagy’s
Urban Gypsies », in: Framework. The Journal on
Cinema and Media, 44 ( 2 ), Fall 2003: Special
Issue – Roma in Cinema, S. 42 – 56 und Robin
Curtis, « Urban Immersion: Synchronization and
the Motion of the Metropolis in the Work of
László Moholy-Nagy », in: Dietrich Neumann /
dass Film – banal gesehen – aus Ton- und Bildaufnahme d. h.
aus nichts anderem als Licht und Geräuschen besteht, werden aus phänomenologischer Sicht weitaus fulminantere
Körpereffekte durch eine Filmvorführung ausgelöst. Sobchack beschreibt dies folgendermaßen:
« My sense of sight, then, is a modality of perception that
is commutable to my other senses, and vice-versa.
My sight is never only sight – it sees what my ear can
hear, my hand can touch, my nose can smell, and
my tongue can taste. My entire bodily existence is
implicated in my vision.» [12]
Obwohl Sobchack nicht direkt mit dem Begriff der Immersion arbeitet, hat sie vielerlei Aspekte der involvierenden Kraft
des bewegten Bildes untersucht und ist wegweisend für weitere rezeptionsbasierte Untersuchungen. In der Tat liefert
Sobchacks Filmphänomenologie für die Untersuchungen
zum Thema ‹ Kino und Tastsinn ›, die in den letzten Jahren
erschienen sind, explizit die Grundlage. [13]
Ich möchte hier aber auf einen Aspekt verweisen, der
in anderen Abhandlungen zu Film und haptischer Erfahrung
eher vernachlässigt wird: die immersive Kraft der Abstraktion. In der Regel wird immersive Erfahrung im Kino an die
kinetische Kraft des bewegten Bildes gebunden, Bewegung
im dreidimensionalen Raum zu reproduzieren. Die sogenannte Movie Ride-Ästhetik gilt als zentrale immersive
Attraktion des Spielfilms, eine Technik und Ästhetik, welche
die kinetische Erfahrung der Achterbahn in die Filmgestaltung überträgt. Constance Balides hat hierfür etwa die ausgedehnten Fahrten durch die Sterne in Star Wars aus dem
Jahr 1977 als ein frühes Beispiel vom Einsatz jener Ästhetik
genannt. Man könnte sich mit dieser Feststellung zufrieden
geben und einfach die zahlreichen Filme der letzten Jahre
auflisten, die explizit mit einer solchen Movie Ride-Ästhetik
eine haptische bzw. kinästhetische Wirkung beim Zuschauer
erzielen, indem Bewegung im Raum simuliert wird. Diese
Ästhetik legt es darauf an, ‹ reale › Reaktionen auf vermeintliche Gefahren, die im Bild vorbeiflitzen, beim Zuschauer und
damit gezielt Erfahrungen der ‹ Grenzüberschreitung › zu
produzieren. Mir scheint allerdings die Wirkung von ‹ Abstraktion › im Film in dieser Hinsicht vielversprechender zu
sein, denn sie verweist auf eine unbeachtete Ebene in der
Filmrezeption, die für das Erleben von « Vitalitätsaffekten »,
wie sie von Stern beschrieben wurden, durchaus verantwortlich sein könnten.
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_–
_–
12 Vivian Sobchack. The Address of the
Eye. A Phenomenology of Film Experience,
Princeton 1992, S. 78.
13 Vgl. Laura U. Marks, Touch : Sensuous
Theory and Multisensory Media, Minneapolis
2002 und Jennifer M. Barker, The Tactile Eye :
Touch and the Cinematic Experience, Berkeley
2009.
Alan Marcus ( Hgg.), Berlin : Screening a
Metropolis, Manchester 2009 ( in Vorbereitung ).
Ein interessantes und wegweisendes Gegenbeispiel zu einer
Realismus-Immersion liefert etwa das filmische Œuvre László Moholy-Nagys, generell und vor allem sein Kurzfilm Ein
Lichtspiel Schwarz Weiß Grau. Die kinetischen Effekte, die
in dieser ‹ Dokumentation › durch Moholy-Nagys « Licht-RaumModulator » produziert werden, verweisen auf eine Art von
alternierender Rezeption, die zwischen ‹ Abstraktion › und
‹ Gegenständlichkeit › ständig und beliebig changiert und
damit sowohl einen immersiven dreidimensionalen Raum
der Gegenständlichkeit eröffnet wie auch einen zweiten
immersiven Raum, der als eine texturierte Fläche ohne
Fluchtpunkt erscheint. Tatsächlich sind aber beide Räume in
einem einzigen Bild zur gleichen Zeit spürbar, was MoholyNagys Filme so revolutionär macht, denn sie führen vor, dass
filmische Rezeption an sich immersiv sein kann. Der Film
ermöglicht die Projektion des zuschauenden Selbst in eine
Welt von ‹ ungegenständlichen Dingen ›, eine ganzheitliche
Immersion in eine Materie, die eine strikte Trennung zwischen Oberfläche und Tiefe auf hebt. Dabei basiert die Integration des Zuschauers in die Bewegung des Bildes gerade
nicht nur auf dem realistischen Abbild.
Das Beispiel Moholy-Nagys deutet nicht nur darauf hin,
dass die gesamte Geschichte des bewegten Bildes eine fruchtbare Quelle für die weitere Erforschung einer ganzkörperlich erfahrbaren immersiven Taktilität bietet, sondern macht
auch deutlich, dass Filmkünstler schon früh diese Möglichkeiten der Raumerfahrung gezielt erforscht haben in einer
Forschungsarbeit, die im Fall von Moholy-Nagy sowohl
schriftliche wie auch filmische Form angenommen hat, aber
bisher nur selten ernst genommen wurde. [14] In seinem
Œuvre wird immer wieder eine Verschmelzung mit, beziehungsweise eine ganzkörperliche Erforschung der Welt vorausgesetzt, die ihm als Basis einer performativen pädagogischen Praxis dient. Eine grundlegende Auseinandersetzung
mit der Materie der unmittelbaren Umgebung und mit den
oft ungeahnten Fähigkeiten des menschlichen Wahrnehmungsapparats setzt demnach keine komplexe Technik oder
bestimmte künstlerische Praxis voraus, sondern steht jedem
zur Verfügung. Indem die Erfahrung von Bildern über eine
Körpergrenze verläuft, die zugleich Innen wie Außen ist,
bleibt die amodale Wahrnehmung des Anderen immer an
eine Erfahrung des Selbst gebunden. Immersion wird damit
zu einem körpereigenen amodalen Rezeptionsmodus.
80
81
Gewisse kunsthandwerkliche Techniken
( Malen, Zeichnen, Bildhauern ) sind
stark an den Gesichtssinn gebunden,
andere hingegen eher an den Tastsinn.
Viele der Techniken, die man traditionell
der « weiblichen » Handarbeit zuordnet,
gehören hierher: Sticken, Nähen, Häkeln,
Stricken usf. Wer stickt ( oder näht ), hat
in der Regel nicht die Totalität eines
( Bild -)Feldes ( wie die Leinwand in der
Malerei ) vor sich und « komponiert »
nicht unter Anleitung der – den Überblick bewahrenden – Augen. Eine textile
Oberfläche wird Schritt für Schritt, Detail
nach Detail, bestickt, wobei die Nadel
üblicher Weise einem vorgedruckten
oder -gezeichneten Muster folgt, an dem
sie sich gleichsam vorantastet. Beim
Häkeln und Stricken ( eher mit Skulptur
verwandt ) fehlt die Übersicht gleichermaßen. Und was dabei entsteht, wird
allein formlos in sich zusammensacken
und nur als Umhüllung eines Körpers
und nur im Wechselspiel mit diesem
Gestalt annehmen. Es handelt sich um
Gestaltungsformen ( sie sind eher reproduktiv als kreativ, eher zweckbestimmt
als autonom ), die auf verschiedenen
Ebenen mit « Passivität » assoziierbar sind.
Katrina Daschner bedient sich
solcher Arbeitstechniken, doch auf
ungewohnte Weise. So nimmt sie die
Nadel, um durch eine schwarz-monochrome Photographie zu stechen und
etwa das Wort « NEIN » mit weißem
Faden zu sticken. Oder sie häkelt ein
Kleid, das im Oberteil dem Rumpf « passiv » anliegt und den Körper ganz zweckmäßig bekleidet, während es unterwärts
nutzlose phallische Auswüchse ( « Dildos » ) auszubilden scheint. Oder sie stellt
zwei alte Matratzen bildhaft vor uns hin:
Gebrauchsgegenstände, maschinell mit
Ziermustern bestickt, die gewöhnlich
horizontal orientiert sind; fleckig und
verbeult unter dem Druck der Körper, die
auf ihnen ruhten; Dinge, die wir nie
betrachten würden, sondern nur unter
unseren Gliedern fühlen; sie werden in
die Vertikale gehoben und wie monumentale Gemälde den Augen präsentiert.
Diese Umkehrung ist der gleichen Logik
geschuldet wie die Umwertung, welche
die taktilen Produktionstechniken bei
Daschner erfahren. Im Begriffsfeld der
Taktilität entspricht dieser Bewegung
eine Verschiebung vom « passiven » und
« sanften » Bedeutungspol ( Spüren,
Katrina Daschner
TäterIn
Tasten, Berühren, Gefühl usf.) zum
« aktiven » und « aggressiven » ( Fassen,
Stoßen, Stechen, Greifen, ja Übergriff ).
Damit werden Aspekte des Tastsinns
betont, die ihn in die allernächste Nähe
zur Semantik des Sehens rücken.
All dies impliziert eine Verweigerung zu wiederholen, was « man » von
einer Künstlerin erwartet ( « NOCH
EINMAL BITTE » – « NEIN »! So wird
vielleicht eine Näherin zur Täterin ? ).
Und es läuft quer zur ( patriarchalen )
Ordnung der Handwerke, der Künste und
der Sinne. Aber dies umso mehr, als
Daschners Umkehrungen und Umwertungen überall Zweideutigkeiten produzieren, welche die Dichotomien dieser
Ordnung verwirren. Also besser: So wird
der Näher zur Täterin!
TäterIn war auch der Titel einer
multimedialen Installation, die Katrina
Daschner im vergangenen Jahr in der
Fotogalerie Wien präsentierte. Die folgenden Seiten zeigen Ansichten und
Objekte aus dieser Installation, sind
jedoch nicht als Dokumentation, eher als
medienspezifische Reinszenierung, aber
wohl am besten als eine autonome Arbeit
zu verstehen. ( sn )
Matratze # 1
(Erwin und Petra), 2007
Matratze # 2
(Magda und Paul), 2007
Noch einmal bitte – Nein,
Stickerei auf C-Print, 2007
Was heisst nein – Nein,
Stickerei auf C-Print, 2007
Dildokleid,
gehäkelt, 2007
Installation TäterIn
(Fotogalerie Wien), 2007
89
Dass es in der Kunst um Selbsterfahrung
gehe, dass sie dem Künstler als Mittel der
Selbstbespiegelung diene und auch das
Selbstgefühl des Beschauers befreien und
bestärken solle, das sind Vorstellungen,
die seit der Romantik normativ geblieben
sind. Das ästhetische Subjekt und das
ästhetische Objekt unterhalten demzufolge eine reflexive Beziehung. Andrea
Ehrats Photoserie abnorm scheint – ihrem
Titel zum Trotz – diese ästhetische Norm
durchaus zu bestätigen. Ein spekuläres
Dispositiv – die Künstlerin war ihr
eigenes Modell – bestimmte die Arbeitssituation im Atelier. Doch die Resultate
dieser photographischen « Selbstreflexion »
sind im höchsten Maße befremdlich
ausgefallen. Im Spiegel der Kamera
mutierte der Körper zu einem Ding, das
die Eindeutigkeit der menschlichen
Gestalt verloren hat und aller identitätsstiftenden Attribute entkleidet ist: stets
azephal, hier gliederlos, dort mit nur
einem Bein begabt, und wieder anders
als ein Lebewesen, das nur aus Extremitäten zu bestehen scheint; ein weiblicher
Akt fraglos, doch einer, der primäre wie
sekundäre Geschlechtsmerkmale vermissen lässt und sich in kauernden Posen
zeigt, die phallische Figuren beschreiben.
Am verunsicherndsten vielleicht, dass der
Leib hier zugleich Fragment und Ganzheit ist. All dies sind Merkmale, die sich
mit dem psychoanalytischen Begriff des
« Partialobjekts » verbinden. Solche Objekte weisen in eine Entwicklungsphase,
die vor dem Lacanschen « Spiegelstadium »
( in dem sich das Subjekt dem Spiegel
gegenüber, angesichts seiner eigenen
Gestalt, als ganzheitliche Entität konstituiert ) angesiedelt ist. In dieser Ära domi-
nieren taktil-orale Empfindungen, Ich
und Anderer, Subjekt und Objekt sind
nicht eindeutig geschieden, die Geschlechterdifferenz noch nicht installiert,
Körperteile noch nicht in die imaginäre
Ganzheit eines Leibes integriert. Der
partiale Tastkörper, der in Ehrats photographischer Arbeit entsteht, hat das
Potential, die Norm des spekulären
Wahrnehmungs- und Erkenntnismodells
von innen her aufzusprengen. ( sn )
Andrea Ehrat
abnorm
abnorm (2006),
Photo, 100 x 100 cm
94
95
Wenn im modernen Denken Tasten und
Greifen – jene der menschlichen Hand
vermeintlich vorbehaltenen Modi der
Kontaktaufnahme – zur Sprache kommen, entfaltet sich zuallermeist ein
anthropologischer Diskurs, der historischen und sozialen Determinationen
nicht Rechnung trägt. Dahingegen ist die
Geschichtlichkeit taktiler Manipulationen
Ausgangspunkt des folgenden Beitrags.
Juliane Vogel setzt voraus, dass Berührungen nur innerhalb spezifischer Tastkulturen stattfinden können. Sie geht der
Frage nach, was aus dem männlichen
Griff nach dem Sexualobjekt, der in der
höfischen Ikonographie der frühen
Neuzeit stets ein räuberischer war, in der
Epoche der Empfindsamkeit und der
bürgerlichen Liebe geworden ist. Während der Übergriff der Frauenräuber
nicht unversehrt ließ, wessen er sich
bemächtigte, und eine Vereinigung er-
zwang, die sich mitunter als eine für
beide Seiten gefahrvolle Vermischung
herausstellen konnte, rührt das Getast der
Verliebten an jene impermeable Grenze,
in die sich das moderne Subjekt einschließen wird. Doch zeigt sich auch,
dass solch zaghafter Berührung nun die
Kraft zuwächst, die Innerlichkeit, die sie
konstituiert, umso heftiger und gewaltsamer zu ergreifen. Bei John Keats heißt
es einmal: « Touch has a memory ». ( sn )
Juliane Vogel
Galatea unter Druck
Skizzen zu einer
Geschichte des
räuberischen Griffs
Wer unter den Göttern und Helden
Ovids nach feinfühligen Wesen sucht,
wird nicht schnell fündig werden. In
den Situationen, die für die Metamorphosen als strukturbildend gelten können, dienen Hände nur selten für zarte
Geschäfte. Der Kontakt zwischen den
Personen gestaltet sich gewaltsam und
ohne die Mitwirkung feiner Sensoren.
Insbesondere sind es Szenen des
Raubs, lateinisch gesprochen: Raptusund Verfolgungsszenen, in denen Hände zum Einsatz kommen. Der Raptus
ist ein gewaltsames Ergreifen und Hinwegreißen, das keine Zweifel daran
gestattet, dass sie den Menschen zunächst als Greifwerkzeuge gegeben
worden waren. Hände werden im Sinne der ersten anthropologischen
Grundausstattung, d. h. ohne Finessen,
gebraucht. In großen Teilen des ovidischen Epos kommen sie vor allem bei
der Aneignung einer Beute zum Zug.
Vor allem sind es sexuelle Kontakte,
die ihren gewaltsamen Gebrauch rechtfertigen. Der Griff nach dem begehrten
Objekt gehört zum motorischen Grundinventar der ovidischen Mythologie,
sowie zur Gründungsgeschichte Roms,
die in den Raubszenen der Metamorphosen jeweils miterzählt wird. Wie
sehr Ovid auch in seinen anderen
Schriften von der Gewalt des plötzlichen Ergreifens ausgeht, zeigt der
Anfang der Ars amatoria, die gleichfalls aus einem Raptusszenarium entwickelt wird. Auch die Regeln der
römischen Liebeskunst werden aus
einem gesetzlosen Akt des Frauenraubs herausgesponnen, der den
Beginn der römischen Bevölkerungspolitik darstellt. Um die gebaute, aber
noch frauenlose Stadt zu besiedeln,
gibt Romulus den Befehl zum Beutemachen. Das umständliche Spiel der
Liebeswerbung, das in späterer Zeit
einen Akt des Findens – invenire –, des
Berührens – tangere – und einen Akt
des Festhaltens – tenere – umfassen
wird [1], führt Ovid auf einen initialen
Raptus zurück, in dem der gierigen
Hand – cupida manus – eine tragende
Rolle zugemessen wird. Ihre Fortpflanzung sichern die Römer durch den
Raub der Sabinerinnen : « Alsbald »,
übersetzt Michael von Albrecht, « springen sie auf, bekunden ihren Willen
durch Geschrei und ergreifen mit gie-
r i g e r H a n d vo n d e n Ju n g f r a u e n
Besitz. / protinus exiliunt animum clamore / virginibus cupidas iniciunt
manus. » [2] Der weitere Text widmet
sich dem vergeblichen Sträuben einer
Beute, die im Widerstand noch an
Schönheit gewinnt, und listet die
Gebärden und Szenen, die dieser Raub
in sich einschließt : « Hatte sich eine
auch allzu sehr gesträubt und sich
nicht zur Begleiterin hergeben wollen,
hob der Mann sie auf, trug sie voller
Begierde fort.» [3] Auch wenn sich das
Liebesspiel der Ars amatoria später
verfeinert, bleibt der Befehl des Romulus stets gegenwärtig. Die Herkunft
der « feineren Art » aus einem initialen
Gewaltakt scheint durch die raffiniertesten Liebeslisten und die zartesten
Berührungen durch. Fluchtpunkt allen
Werbens und Voraussetzung aller
Hochzeit bleibt der Raub, der sich sine
lege über den Widerstand der Jungfrau und ihrer Herkunftswelt hinwegsetzt und die Grundlagen für ein starkes, gesetzgeleitetes und auf der Ehe
gegründetes Gemeinwesen legt. [4]
Diesen Vorgaben Ovids ist es zu
verdanken, wenn die so genannte Raptusgruppe in das feste Repertoire neuzeitlicher Herrscherikonographie eingeht. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
demonstrieren Fürsten italienischer
Stadtstaaten und absolutistische Könige ihre politische wie ihre männliche
Stärke, indem sie sich an öffentlichen
Orten mit skulpturalen Raubszenen
umgeben. [5] Diese Plastiken zeigen
einen Helden, der sich einer Widerstrebenden bemächtigt, indem er sie
umfängt und vom Boden auf hebt. Dem
Skriptum der Ars amatoria oder der
Metamorphosen folgend, versetzen sie
den Herrscher in die Lage eines gewalttätigen Brautwerbers, der sich im Raptus einer zukunftsmächtigen Genealogie versichert und die Legitimität
seiner Herrschaft auf der Erbeutung
einer Jungfrau gründet. Unter wechselnden Namen aus dem Pantheon
Ovids als Pluto, Theseus, Romulus,
Alfeus oder Apollo stellen sie sich in
die Reihe der antiken Raptoren, die
ihre sexuellen Forderungen im Raptus
geltend machen. Skulpturenvergleiche
haben ergeben, dass die formalen
Anregungen zu den genannten Raptusgruppen oftmals auf Kampfgruppen
gleichgeschlechtlicher Anordnung
zurückgehen : Die geraubten Frauen
übernehmen Körperpositionen antiker, mythologischer und biblischer
Kämpfer – des Antäus, den Herakles
vom Boden emporhob, um ihm die
Kraft zum Widerstand zu entziehen,
des Samson, der mit den Philistern
und des Cacus, der wiederum mit
Herakles kämpfte. [6] Raptusepisoden
– so gaben sie auf diese Weise zu
erkennen – operieren an der unentscheidbaren Grenze zwischen Ringkampf und Koitus. Sie überblenden
Vereinigung und Vergewaltigung und
verbinden, wenn sie die beteiligten
Körper durcheinanderwinden, eine
wechselseitige Durchdringung mit
einer Auseinandersetzung. [7]
Die Auslegung dieser Ambivalenz
kann nur zu neuen Unübersichtlichkeiten führen. Der gesetzlose Moment des
Frauenraubs sedimentiert sich in der
formalen Unentscheid barkeit eines
körperlichen Ge f lechts [8] ohne erkennbaren Durchlaufsinn. Organisierendes Prinzip der Raptusanordnung
ist die kunstvolle Verwicklung der
kämpfenden Protagonisten, die sich zu
einer komplexen Dreh- und Serpentinenfigur zusammenschließen. [9] Raubgruppen erproben Grade und Formen
körperlichen Ineinanders. Ihre größte
energetische Dichte erreichen sie
einerseits dann, wenn sich angreifende
und widerstrebende Körperteile in
einer Weise übereinanderlegen [10] ,
die ihre eindeutige Zuordnung erschwert, andererseits in der Hand, die
als ein Geflecht sui generis ins gegnerische Fleisch greift. [11]
In diesem intrinsischen Widerspiel verflochtener Glieder spielen so
die Finger eine hervorgehobene Rolle.
Wo sie sich in den Körper des Opfers
eindrücken und an seinem Fleisch
eine wahrnehmbare Vertiefung hinterlassen, konzentriert sich die Macht
des Raptus in spezifischer Weise. Wie
von Ovid vorgegeben, betätigt sich die
Hand des Raptors zuallererst als ein
Greifwerkzeug, das im Zugriff Gewalt
ausübt und einen intakten Körper verformt. Ihre entstellende Wirkung zeigt
sich dort, wo die Beute durch den
Druck der räuberischen Hand aus
ihrer « ersten und echten Gestalt » [12]
herausgetrieben wird. An der sichtba-
96
97
1 P. Ovidius Naso, Ars amatoria / Liebeskunst, Michael von Albrecht ( Hg. u. Übers.),
Stuttgart 1992, S. 11, Buch 1, V. 91ff.
2 Ebd., S. 11, V. 115f.
3 Ebd., S. 13, V. 130.
4 Zur Logik von Gründungserzählungen
vgl. Albrecht Koschorke, « Zur Logik von
Gründungserzählungen », in : Zeitschrift für
Ideengeschichte, 1 ( 2 ), 2007, S. 5–12; vgl. Gerald
Schröder, « Versteinernder Blick und entflammte
Begierde. Giambolognas ‹ Raub der Sabinerin › im
Spannungsfeld poetischer reflektierter Wirkungsästhetik und narrativer Semantik », in : Marburger
Jahrbuch für Kunstwissenschaft 31, 2004,
S.175–203, S. 195.
5 Vgl. Saskia Hüneke, « Das Spiel der
Kräfte in der Bildhauerkunst. Kampf- und
Raubgruppen in Caputh, Rheinsberg, Potsdam
und Charlottenburg », in : Generaldirektion der
Stiftung Preussische Schlösser und Gärten
Berlin-Brandenburg ( Hg.), Kunst in Preussen.
Hans-Joachim Giersberg zum 65. Geburtstag,
Berlin 2003, S. 139–151; vgl. Eva M. Schmitz,
Raptusdarstellungen in der Plastik von der Renaissance bis zum Zeitalter des Klassizismus,
Diss. Univ. Aachen 1992.
6 Vgl. Schröder, Versteinernder Blick
( wie Anm. 4 ), S. 184.
7 Georges Didi-Hubermann, Die
leibhaftige Malerei, Michael Wetzel ( Übers.),
München 2002, S. 42ff.
8 Zur Problematik des Geflechts
in der Bildenden Kunst vgl. ebd., S. 41ff.
9 Schröder, Versteinernder Blick
( wie Anm. 4 ), S. 184ff.
10 Vgl. Schmitz, Raptusdarstellungen
( wie Anm. 5 ), S. 169ff. Schmitz beobachtet die
chiastische Gliederstellung in der Raptusgruppe.
11 Schröder, Versteinernder Blick ( wie
Anm. 4 ), S.185.
12 Eintrag : « Entstellung », in : Das Deutsche
Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm auf
CD-Rom und im Internet, auf : http ://germazope.
uni-trier.de (September 2008).
13 Symplegma setzt sich aus dem
griechischen sym und plegma zusammen, das
Geflecht, Korb, Netz bedeutet. Das zugehörige
Verb ist pleko ( plekein ), das flechten, schlingen,
knüpfen, aber auch künstlich anfertigen oder
verfertigen bedeutet.
14 Vgl. Irving Lavin : « Ex uno lapide. The
Renaissance Sculptor’s Tour de Force », in :
Matthias Winner u. a. ( Hgg.) : Il Cortile delle
Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan.
Akten des internationalen Kongresses zu Ehren
von Richard Krautmeier, Rom 21. –23. Oktober
1992, Mainz 1998, S. 191; S. 199 : Verweis auf
Plinius XXXVI, 24 : « Praxiteles filius Cephisodotus et artis heres fuit.cuius laudatum est
Pergamon symplegma nobilis digitis corpori
verius quam marmori impressis.»; vgl. auch
Victor M. Schmidt, « Marble flesh. An addition to
‹ Bernini and Ovid › », in : Source, 18 ( 1 ), 1998,
S. 25–26; vgl. auch Hinweise von Regina
Schallert, Studien zu Vicenco de’ Rossi. Die
frühen und mittleren Werke ( 1531-1561 ),
Hildesheim u. a. 1998, S. 218.
15 Lavin weist darauf hin, dass das Wort
symplegma immer von dem Adjektiv nobile
begleitet werde, vgl. ders., Ex uno lapide ( wie
Anm. 14 ), S. 199.
ren Druckstelle zeigt sich nichts weniger als ein Verlust der formalen wie
der jungfräulichen Integrität. Zu den
Herausforderungen an den Bildhauer
der Raptusgruppe gehört es daher,
die Entstellungen am Fleisch der
Geraubten darzustellen und die Folgen zu bezeichnen, die der gewaltsame Kontakt mit dem Gegner zeitigt.
Der Raub war eine captatio – er wurde als capere konzipiert, als Zwang
und Druck, die in die Verformung der
Ergriffenen münden.
Dabei sind nicht nur die Raubgeschichten, sondern auch der Griff, in
dem sie sich zuspitzen, kanonisiert.
Auch das Kunststück, das es verlangt,
die Finger und die Druckstellen nachzubilden, die der Räuber an seinem
Opfer hinterlässt, wird durch eine
römische Autorität verbürgt. Die Forschungen zu den Raptusgruppen der
Renaissance und des Barock haben
wiederholt die Quelle bezeichnet, die
den Reiz dieser technischen Schwierigkeit begründet und die neuzeitliche
Kunst zur Überbietung einer antiken
Meisterschaft anregt. In seinen Ausführungen über die römische Skulpturenkunst im 36. Teil seiner Historia naturalis würdigt Plinius den Cephisodotus,
Sohn und Erben des Praxiteles, dessen
besondere Fähigkeiten in der Darstellung von Fingereindrücken im Fleisch
eines Gegners zur Geltung gekommen
seien. Seine Spezialität sei das « Symplegma nobile » : die Darstellung körperlicher Verflechtung [13], bei der sich,
wie es heißt, die Finger in den Marmor
wie in weiches Fleisch eindrückten :
« Greatly admired is his celebrated
group at Pergamon of figures interlaced, in which fingers seem to press
on flesh.» [14] Wie Irving Lavin, Gerald
Schroeder und Regina Schallert nachgewiesen haben, nehmen die Raptus-Künstler die Herausforderung
durch Cephisodotus an. In ihren Raptusgruppen, so zum Beispiel in Giambolognas Der Raub der Sabinerin
( 1579 – 82 ), Berninis Raub der Proserpina ( 1621 – 22 ) [Abb. 1–2] , in Rossis
Raub der Helena u. a. erproben sie ihre
Kunst, indem sie den Griff des Fraunräubers als eine zumindest angedeutete Verflechtung von Finger und Fleisch
inszenieren. In ihrer Konzentration auf
die Hand und in der Freistellung der
Figuren auch im Moment der Verschlungenheit umgehen sie jedoch die
Gefahren, die von der formalen Instabilität des Symplegmas drohen. Nur
von ferne lassen sich hier die Konsequenzen erahnen, die eine Intensivierung des Geflechts für die Struktur der
Gruppe nach sich ziehen würde. Dass
dieses über die Hände hinaus auch auf
die Körper übergreifen und ein noch
viel umfassenderes und vernichtenderes Ineinander herbeiführen könnte,
ist in ihnen nur angedeutet. Das auf
den ganzen Körper ausgedehnte Symplegma erhöht die taktile Intensität der
wechselseitigen Berührung und gefährdet die Kenntlichkeit der « ersten
und echten Gestalt » in einer weit über
den einfachen Griff hinausgehenden
Weise. Es produziert Momente und
Zustände der morphologischen Unentschiedenheit und lässt das weitere
Formschicksal der Betroffenen zumindest für den Zeitpunkt der Verschlingung im Ungewissen. Die Raptusgruppen hingegen wahrten die Nobilität [15] des Symplegmas, die Plinius an
den Pergamonskulpturen des Cephisodotus gewürdigt und wohl auch deshalb eingefordert hatte, um einer Verstrickung Grenzen zu setzen, die dem
Adel, der Schönheit und der Kenntlichkeit der Kämpfenden Eintrag getan
hätte. So verwundert es nicht, dass sie
vor der skulpturalen Realisierung einer
Raptusepisode des Ovid zurückschreckten, die von einer radikal gesteigerten
und nicht mehr vornehmen Verschlingung erzählte und dabei ihre äußersten Möglichkeiten erkundete. Bezeichnenderweise ist es diesmal eine weibliche Täterin, deren Raptus im Chaos
einer Mischform endet. Die Geschichte
von der Najade Sarmacis aus dem vierten Buch der Metamorphosen überschreitet die Grenzen, die einer auf die
Hände beschränkten symplegmatischen Struktur gezogen sind. Ihre Protagonisten verstricken sich in einem
Ausmaß, das die Konturen des Einzelnen verschwinden läßt. In ihrem
Begehren nach einem namenlosen
Knaben drängt es Sarmacis so sehr in
die Vereinigung hinein, dass Ovid ganze Metaphernzüge aufbietet, um die
Intensität der Verschlungenheit anschaulich zu machen : So umschlingt
sie ihn wie « Efeuranken lange Baum-
stämme zu umspinnen pflegen und
wie der Polyp seinen Feind, den er in
der Wassertiefe gepackt hat, umklammert, indem er von allen Seiten all
seine Fangarme ausstreckt ». Wie die
Schlange den Adler fesselt sie ihm
« Kopf und Füße und umschnürt ihm
mit dem Schwanz die Flügel, die sich
ausbreiten wollen ». Die Folge ist, dass
« die beiden ineinander verschlungenen
Körper der beiden eins werden. » [16]
Auf diese Weise ergeben sie ein Geflecht von solcher Verdichtung, dass
sie in dieser hermaphroditischen Unform für immer beieinander bleiben.
Geht es um Verformung und
Entstellung, ist der Bezug auf den literarischen Kontext des Raptusgriffes
noch einmal zu unterstreichen. Symplegmatische Strukturen, welche die
Taktilitätszonen erweitern und die
Körper oder auch die Finger einer allseitigen Berührung durch einen anderen aussetzen, sind thematisch wie
auch in ihren künstlerischen Zielen
im Kontext von Ovids Metamorphosen
angesiedelt. Die überwiegende Zahl
der Raptusplastiken greifen charakteristische mythologische Episoden aus
einem Epos auf, das einen unmittelbaren Bezug zwischen Raptus und Verwandlung stiftet. Sie geben radikale
Varianten jener Verformung, die das
Fleisch unter dem Druck einer Situation, eines Körpers oder einer Hand
erleidet. Zumindest im Deutschen ist
das Wort « Verformung » immer wieder als Synonym des Wortes « Verwandlung » gebraucht und auf die
Metamorphosen des Ovid bezogen
worden. [17] Vor diesem Hintergrund
wäre das Symplegma noch einmal als
eine Zone der Verwandlung und des
Übergangs zu beschreiben, in der die
Figuren ihre « erste und echte Gestalt »
verlassen, um in eine zweite und vorerst noch unkenntliche einzutreten.
Hinsichtlich der Statuen, die sich
in einer Raptusgruppe verstricken, ist
jedoch vor allem eine Verwandlungsepisode von Bedeutung. In der Konzentration auf die Hand sowie in der
Verbindung von Verformung und Verwandlung ist der Bezug zu einer der
prominentesten Episoden des Epos
Ovids hergestellt – einer Episode, die
gewöhnlich nicht unter die Raptusgeschichten gezählt wird und dennoch
bei jedem Griff in das Fleisch einer
Statue gegenwärtig ist. Die Rede ist
wenig überraschend von dem Bildhauer Pygmalion aus dem 10. Buch
der Metamorphosen, der eine so schöne Elfenbeinstatue erschuf, dass er
sich in sie verliebte und mit Hilfe der
Venus zum Leben erweckte. Die für die
weitere Rezeptionsgeschichte bedeutsamste Passage handelt von den Sensationen der Hand bei der Berührung
der erwachenden Form und beginnt
nach dem Bittgebet und Opfer an die
Göttin der Liebe : Pygmalion legt, wie
es bei Ovid heißt,
« Mund an Mund und
tastet mit der Hand nach der Brust.
Er tastet noch, da wird das
Elfenbein weich, verliert seine
Starrheit, weicht zurück und gibt
den Fingern nach, so wie Wachs
vom Hymettus an der Sonne
geschmeidig wird, sich unter dem
Druck des Daumens zu tausenderlei
Gestalten formen läßt und
in der Hand des Bildners immer
bildsamer wird.» [18]
Die Bedeutung dieser Episode
für die skulpturale Imagination Europas überschreitet den Rahmen der
hier gestellten Frage bei weitem. In
diesem Zusammenhang kann nur der
Raptusgriff selbst in den Blick genommen werden und auf die Attraktivität
einer Verwandlung hingewiesen werden, die sich unter der Hand eines
Bildhauers vollzog. Jeder Raptuskünstler, der den Griff des Helden im
Sinne des Plinius gestaltete und im
Stein den Anschein des Lebens erwecken wollte, adressierte, auch wenn er
einen Pluto, einen Romulus oder
einen Theseus im Blick hatte, immer
auch jene Metamorphose, die an den
Namen des Bildhauers Pygmalions
geknüpft war. [19] In der Reihe der
Metamorphosen kommt ihr die Rolle
eines Metamythos zu, der alle anderen Verwandlungsgeschichten, sofern
sie in Skulpturen darstellbar sind, einbegreift und zugleich die Schönheit
der verwandelten Gestalt garantiert. [20] Vor dem Hintergrund der
hier angestellten Überlegungen ist
aber vor allem darauf hinzuweisen,
dass auch der griechische Bildhauer
Pygmalion ursprünglich als ein Aggressor eingeführt wird. Die zarte und
tastende Kontaktaufnahme der zitierten Stelle darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er mit seiner Statue,
die dann den Namen Galatea erhält,
im ersten Teil der Episode noch eine
Raptusgruppe bildet. Hier berichtet
Ovid, dass der Bildhauer das begehrte, aber zunächst noch unnachgiebige
Elfenbeinbild so fest gedrückt habe,
dass er befürchtete, « an den Gliedern,
die er preßt, möchten blaue Male entstehen ». [21] Wenn das Vorgehen des
Frauenräubers daran erkennbar ist,
dass er seinem Opfer die Finger ins
Fleisch drückt, dann zählt auch Pygmalion zu den Gewalttätern, so wie er
in den anderen Raptoren gegenwärtig
ist, die sich mit gierigen Händen an
einer Frau vergreifen. Andererseits ist
der Druck des Daumens – pollice –
auch in der zweiten Episode noch
gegenwärtig. Sogar in einer Lage,
deren Zärtlichkeit unbestreitbar ist,
drücken sich « Finger ins Fleisch » und
erproben « tausend Möglichkeiten »
der Verformung. Der ursprüngliche
Charakter der captatio, das gewaltsame Ergreifen des Gegenstands, bleibt
in wenn auch abgemilderter Form
erhalten. [Abb. 3]
Nur andeutungsweise kann hier
nun der Versuch unternommen werden, die weiteren Wege dieses Griffes
zu verfolgen und die Verwandlungen
nachzuvollziehen, denen er unterliegt,
als die symbolische Kraft absolutistischer Herrscherrepräsentation nachzulassen beginnt. Genauer wäre an
dieser Stelle die Schwächung der captatio nachzuzeichnen und die Abnahme des körperlichen Drucks, den der
Held und Herrscher auf das ihm
unterworfene Objekt ausübte. Der
Griff des neuzeitlichen Raptors gehörte einer monarchischen Ordnung an
und ließ sich nur mit gravierenden
16 P. Ovidius Naso, Metamorphosen,
Michael von Albrecht ( Hg. u. Übers.), Stuttgart
1994, S. 201, 4. Buch, V. 360ff.
17 Eintrag : « Verformung », in : Das Deutsche
Wörterbuch ( wie Anm. 12 ).
18 Ovid, Metamorphosen ( wie Anm. 16 ),
S. 529, 10. Buch, V. 280f.
19 Vgl. Schröder, Versteinernder Blick
( wie Anm. 4 ), S. 188f.
20 Zum Verwandlungsparadigma Stein
– Fleisch vgl. Paul Barolsky, « Andromeda’s
tears », in : Arion, 6 ( 3 ), 1999, S. 24–28.
21 Ovid, Metamorphosen ( wie Anm. 16 ),
10. Buch, V. 260, S. 529.
98
99
Abb. 1–3 Gian Lorenzo Bernini, Raub der
Proserpina ( 1621–22 ), Marmor, 255 cm, Sockel
109 cm ( Galleria Borghese, Rom )
und folgenreichen Umbe setzungen in
bürgerliche Vorstellungsformen überführen. Seit dem 18. Jahrhundert
zumindest werden die Zugriffe der
Macht nicht mehr allein in Spielarten
der pressura bzw. der körperlichen
Deformation imaginiert, sie nehmen,
zumindest auf den ersten Blick, andere und weniger augenfällige Gestalt
an. [22] Währenddessen erfährt die
ovidische Raubszene eine Umdeutung, die ihre Bedeutungsrichtung
verkehrt und doch die durch Ovid vorgegebene Anordnung in ihren Grundzügen beibehält. Die Umstrukturierung der greifenden zur tastenden
Hand, wie sie in den ästhetischen
Schriften des 18. Jahrhunderts vorgenommen wird, erfolgt wiederum « im
Zeichen Pygmalions », der nun zum
mythologischen Gewährsmann eines
neuen und anderen Umgangs mit
begehrten Objekten wird. Demnach
wandelt sich das Greifen, das bis
dahin ein capere bzw. ein Kapern war,
zu einem Tasten, das mit dem lateinischen Wort palpare zu übersetzen
wäre. Die gesamte internationale Pygmalionrezeption der Aufklärung lässt
die Formenwelt der Druckstellen hinter sich und konzentriert sich auf die
Erfahrungen des in der Hand lokalisierten Tastsinns. [23] Zügig beseitigt
sie den Aspekt der Stärke und der
Überwältigung und betrachtet das
ursprüngliche Kraf tzentrum, das
Greifwerkzeug des Brautwerbers, aus
einem anderen Gesichtspunkt. Die
manus cupida erweicht und lockert
sich, und an die Stelle des räuberischen Zugriffs tritt eine Form der passivischen Inbesitznahme, die den
Gegenstand berührt, ertastet und
zugleich ertastet wird. Ein neuartiger
und nicht mehr feindlicher Kontakt
zwischen den Protagonisten ermöglicht es nun der Hand, zu dem begehrten Objekt vorzudringen. In den deutschen Pygmalionsettings werden die
statuarischen Frauenkörper in Fühlung und nicht in den Griff genommen. Die Texte Rousseaus, Bodmers
und Herders, die das mythologische
Paradigma in der Ästhetik des 18.
Jahrhunderts verankern, entwerfen
den Liebhaber des 18. Jahrhunderts
als Gegenbild zu den Täterfiguren der
Metamorphosen. In Rousseaus Scène
lyrique Pygmalion von 1762 läßt sich
das Ende der gewalttätigen Annäherung in actu nachvollziehen. Der Bildhauer, der der Statue Galathee mit
dem Meißel zunächst noch « un seul
coup » versetzen möchte, um ihr eine
gegenüber der ersten veränderte Form
aufzuzwingen, wird von Zögern überfallen, da er fürchtet, ihr Fleisch zu
verletzen.
« Je tiens le ciseau d’une main
mal assurée… je ne puis… je…
n’ose… je gâterai tout
( Il s’encourage, et enfin, présentant
son ciseau, il en donne un
seul coup, et, saisi d’effroi, il le
laisse tomber, en poussant
un grand cri.) Dieux! Je sens la
chair palpitante repousser
le ciseau! » [24]
Dieser neue Stil der Annäherung, der
hier nur in Hinblick auf die Szene des
Greifens und ohne Rücksicht auf die
erkenntnistheoretischen Implikationen der Pygmalionrezeption skizziert
wird, resultiert dabei weniger aus
einem Sinneswandel des Räubers als
aus einem neuen Entgegenkommen
des Objekts. Sie folgt aus der Tatsache, dass sich ihm die geliebte Frau
freiwillig in die Hände gibt und steht
im Zusammenhang einer empfindsamen Kultur, die sich, anstatt zu rauben, mit der Bitte an die Geliebten
wendet, sie möchten « auf halbem
Weg » entgegenkommen. [25] Die Protagonisten der Gruppe kämpfen nicht
mehr, sie erfühlen einander, zuletzt
aber sich selbst, in tastenden Bewegungen. Aus der einseitigen Machtbezeugung der greifenden Hand wird
nun Hingabe auf beiden Seiten, aus
dem Widerstand der Galatea die Autopoiesis eines weiblichen Materials,
das sich erst im Akt des Entgegenkommens als lebendig erweist. Die
Finger Pygmalions suchen die weichen Stellen der Statue nicht mehr,
um sich ihnen gewaltsam einzudrücken, sie werden, so schreibt Herder
in der zweiten Fassung seiner Schrift
zur Plastik, die 1778 den Zusatz Einige Wahrnehmungen über Form und
Gestalt aus Pygmalions Bildendem
Traume erhält, vielmehr « Zug um
Zug und fast willkürlich auf jede wei-
che Stelle, jede zarte Form tastend
gezogen ». [26] Im Zuge dieser Erweichung verändert sich die Rolle des
Raptors grundlegend. Indem seine
Hand nicht mehr auf feindliches
Gelände vordringt, sondern tastend
gezogen wird, ohne das Vorgefundene zu entstellen, zeigt sie sich von
ihrer empfangenden Seite. Unter die
Auspizien des Tastsinns gestellt, wird
die Brautwerbung im Atelier zu einer
Sache der Feinfühligkeit, der Widerstand der Braut aber zu einem Entgegenkommen, das ihre gesamte physiologische Konstitution als eine freudige
Antwort auf das Begehren der männlichen Hand erscheinen läßt. In seiner
Kritik der Urteilskraft nennt Immanuel Kant diese Erweichung Liebe. Zumindest nimmt er eine Bestimmung
des Liebeszustands vor, dessen Daten
auch mit Hilfe des Tastsinns erhoben
und am Körper überprüft werden
können. Deutlich werden ihr pygmalionische Kriterien zugrundegelegt,
wenn es heißt : « Nachlassung, Losspannung und Erschlaffung der
Fibern des Körpers, mithin eine Erweichung, Auflösung, Ermattung, ein
Hinsinken, Hinsterben, Wegschmelzen vor Vergnügen. » [27] Erst nach
Auflösung der im Raptus aufgebauten
Körperspannung kann der Tastsinn
den Kontakt herstellen. Erst wenn
sich das Objekt freiwillig darbietet,
gleiten die Finger den Körper entlang.
Entsprechend sind nun auch die weiblichen Finger auf Fühlung und nicht
auf Abwehr eingerichtet : « Gott ließ »,
so heißt es in Herders 1778 überarbeiteter Schrift zur Plastik, « am Weibe
die Hand sanft abf ließen, in kleine
Zylinder. Und bepolsterte sie von
innen in jedem sammeten Mäuschen
und in jedem Blumenbusche der Fühlbarkeit, der auf Gefühl wartet, mit
dem ersten Druck der Liebe. » [28] In
Herders Pygmalionszene hat sich die
einstmals Fliehende so zu einer Wartenden gewandelt, deren fühlsame
Finger sich nun der Hand des Freundes entgegenstrecken. Der Druck, der
in der Raptusgruppe nur in eine Richtung weitergegeben wurde, kehrt nun
in empfindsamer Umformung in das
Werbungsspiel der Geschlechter
zurück. Er wird durch den erwünschten « Druck der Liebe » abgelöst, wel-
100
101
cher um so sanfter ausfällt, als nun
auch die männliche Hand mit Bezug
auf Pygmalion als « ein Gebilde voll
feinen Gefühls und tausendförmiger
organischer Übung » beschrieben
wird. [29] In der Konsequenz dieser
Umbesetzung liegt es auch, dass die
Autoren des 18. Jahrhunderts den von
der Hand gegebenen Druck als eine
Mitteilung von Gefühlen lesen. In den
1744 erschienenen Rostschen Schäfererzählungen heißt es mit der Klarheit
eines schlichten Exempels : « Er drückt
die schöne Hand. / Ein sanfter Druck
macht oft das Herz bekannt.» [30] Bodmers Pygmalion und seine Statue Elise finden sich « mit einem sanften
Händedrücken », das allen falls noch
durch « ein sanftes Drücken an die
Brust » gesteigert wird. [31] Der sichtbare Ausdruck sexueller Begierde
wandelt sich in eine Botschaft des
Herzens und erscheint unter den diskreten Liebeszeichen des galanten
wie des empfindsamen Stils. Der ehemals Greifende wird zum Empfänger
eines wenn auch nur angedeuteten, so
doch belebenden Gegendrucks. [32]
Dieser « erste Druck der Liebe »
bleibt anders als der Druck des Raptors, den der Bildhauer in sichtlichen
Vertiefungen darstellt, in mehrfacher
Weise den Augen des Betrachters entzogen. Er erfolgt ohne Zuschauer, er
spricht die Sprache der Intimität und
gehört zu den bürgerlichen Lüsten, die
ein Geheimnis unter Liebenden bleiben. Unsichtbar ist er jedoch auch
noch aus einem anderen Grund : Im
« sanften Druck » der Hand haben sich
die Spuren des Raptus so weit verflüchtigt, dass kein Eindruck und keine
Druckstelle am Fleisch des Gegenübers
zurückbleibt. Die sichtbaren Vertiefungen, die der Raptus am Körper des
Objekts hinterlassen hatte, weichen
einer neuen Elastizität des Fleisches
und einer Erotik, die nach außen hin
keine Verformungen hinterläßt.
Vor allem aber dem Symplegma
als einer im Raptus erreichten körperlichen Verflechtung ist in dieser Anordnung des 18. Jahrhunderts jede
Grundlage entzogen. Die Pygmalionschriften Rousseaus, Bodmers und
Herders widerstehen sämtlich den
Versuchungen der Verschlingung. Als
Förderer des Tastsinns im ästheti-
schen Diskurs des 18. Jahrhunderts
lehnen sie einen Typus der Annäherung ab, die im gewalttätigen sexuellen Akt die ertastete Form vernichten
und verwandeln konnte. Auch am
lebendigen Fleisch bestehen sie auf
der Klarheit der Linien, die den tastenden Finger auf seinem Weg um
den Körper leiten und führen. [33] Was
sich nicht deutlich entwickeln läßt
und der erkennenden Wahrnehmung
durch die Hand entzieht, wird von
Herder als ein Monstrum : als « eine
dunkle Grauenvolle Verwirrung » oder
auch als « Misswachs zweener Körper » [34] bezeichnet und verworfen.
Ringkämpfe und sexuelle Verflechtungen verdienen die Annäherung des
Tastenden nicht, der sich bei aller
Weichheit des entgegenkommenden
Körpers dennoch einer letzten und
schützenden « Härte » vergewissern
muss. [35] Die pygmalionische Vorrichtung des 18. Jahrhunderts ist gegen
das semiotische Chaos des Symplegmas gerichtet. In der Furcht vor dem
Formschicksal der Sarmacis muss die
formale Stabilität des ertasteten Körpers in jedem Fall gesichert werden.
Entsprechend ersehnt sich der Pygmalion auch keine geschlechtliche
Vereinigung mit dem begehrten « Bilde » – sein Tasten dient in erster Linie
der Erforschung und Erfahrung eines
Gegenstandes, der sich auch im Dunkeln, wo sich der Tastsinn am besten
entfaltet, in sanften, aber kenntlichen
Konturen darstellt. [36] Dessen Erfassung erfolgt anstatt auf dem Weg der
Einverleibung, wie sie von jedem
Symplegma her drohte, auf dem Weg
der forschenden Hingabe, die der vorgefundenen Form gleichmäßig und an
jeder einzelnen Stelle gerecht werden
sollte. Wenn die Hand « Zug um Zug
und fast unwillkürlich auf jede Stelle,
jede zarte Form tastend » gezogen
wird, wie es bei Herder heißt, dann
gleicht sie « dem jeder Form und Beugung sich sanft anschließenden und
anplätschernden Wasser ». [37] Mit dieser metaphorischen Wendung ist
nicht nur die Sanftmut unterstrichen,
mit der sich der Tastfinger der tastbaren Form nähert – in ihrer Totalität
suggeriert sie auch eine Umschließung,
die sich fundamental von der aggressiven Verschlingung des Symplegmas
22 Man könnte die hier angestellten
Überlegungen auch zu einer Fußnote zur
Hauptthese von Foucaults Überwachen und
Strafen ausbauen, vgl. Michel Foucault,
Überwachen und Strafen. Die Geburt des
Gefängnisses, Frankfurt a. Main 2003.
23 Vgl. dazu grundlegend : Inka MülderBach, Im Zeichen Pygmalions. Das Modell der
Statue und die Entdeckung der « Darstellung » im
18. Jahrhundert, München 1998; Nathalie
Binczek, Kontakt. Der Tastsinn in Texten der
Aufklärung, Tübingen 2007 ( = Studien zur
deutschen Literatur, 182 ); vgl. Ulrike Zeuch,
Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die
Aufwertung des Tastsinns seit der frühen
Neuzeit, Tübingen 2000 ( = Communicatio, Bd.
22 ). Zur modernen Pygmalionrezeption vgl.
auch Mathias Mayer / Gerhard Neumann,
Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in
derabendländischen Kultur, Freiburg im Breisgau
1997.
24 Jean-Jacques Rousseau, « Pygmalion.
Scène lyrique », in : ders., Œuvres complètes, Bd.
2, Paris 1961, S. 1226ff.
25 Paradigmatisch für diese auf dem
freiwilligen Entgegenkommen und nicht auf der
Eroberung basierenden Geschlechterkultur des
18. Jahrhunderts ist Gottfried August Bürgers
Gedicht Gegenliebe. Sowohl bei Bodmer als auch
bei Rousseau kommen die Statuen Pygmalion
entgegen.
26 Johann Gottfried Herder, « Plastik. Einige
Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus
Pygmalions Bildendem Traume » ( 1778 ), in :
Wolfgang Pross ( Hg.), Werke, Bd. 2, Darmstadt
1987, S. 528.
27 Immanuel Kant : Kritik der Urteilskraft,
Wilhelm von Weischedel ( Hg.), Werkausgabe,
Bd. 10, Frankfurt a. Main 1977, S. 205.
28 Herder, Plastik ( wie Anm. 26 ), S. 512.
29 Ebd.
30 Belegstelle in : Eintrag : « Druck », in : Das
Deutsche Wörterbuch ( wie Anm. 12 ).
31 Johann Jacob Bodmer, « Pygmalion und
Elise », in : Klaus Völker ( Hg.), Künstliche
Menschen. Dichtungen und Dokumente über
Golems, Homunculi, Androiden und liebende
Statuen, München 1971, S. 339.
32 Das Erwachen der Statue, welche dem
Druck mit Gegendruck antwortet, führt zuletzt
zur Marginalisierung, ja Aussparung Pygmalions
bzw. wird die Binarität der Anordnung zu einer
der Selbstreferenz. Die Aufmerksamkeit wendet
sich der allmählichen Ausbildung der kognitiven
Vermögen der Statue zu, vgl. Binczek, Kontakt
( wie Anm. 23 ), S. 317ff.
33 Johann Gottfried Herder, « Plastik »
( 1770 ), in : Werke ( wie Anm. 26 ), S. 414.
34 Ebd., S. 433.
35 Vgl. Immanuel Kant, « Anthropologie in
pragmatischer Hinsicht abgefasst », in : ders.,
Werkausgabe ( wie Anm. 27 ), S. 447. Die
« Erkundigung der Gestalt » setzt auch bei Kant
eine gewisse « Härte » derselben voraus.
36 Die Festigkeit der Linie ist bei Herder
mit « Rundheit » umkleidet, vgl. Herder, Plastik
( 1778, wie Anm. 26 ), S. 521.
37 Vgl. ebd., S. 528.
unterscheidet. Durch die tastende und
gleichmäßige Flutung wird eine andere und umfassendere Inbesitznahme
des Objekts angestrebt als im Griff
des Raptors. Der herantretende Tastfinger beschädigt nicht, was er berührt
und dringt umso erfolgreicher an jede
verborgene Stelle des Körpers vor.
Mit der Brautwerbung ist es damit allerdings vorbei. Wenn Herder
auf den Grundrissen der ovidischen
Pygmalionepisode den Tastsinn zum
Platzhalter aller anderen sinnlichen
Erfahrung erklärt, dann orientiert er
sich an der Figur des Blinden [38] und
an der Figur des experimentierenden
Kindes, nicht aber an der Figur des
Raptors, dessen auch formale Verschmelzungswünsche sich schon im
Zugriff der Hand erfüllen sollten.
Während die Raptusgruppe den Räuber als Brautwerber in Szene setzte
und die Darstellung politischer Legitimität an die Geschlechtsreife des
Helden band, interessieren sich Rousseau, Herder und Bodmer für die
Entwicklungsgeschichte des Individuums und eine Methode, « sich seiner
Begriffe langsam und vollständig zu
sichern ». [39] Die Gewalt des gesetzlosen Ergreifens, die den tradierten
Brautwerbeszenen innewohnte und
in den Gründungsakt der Ehe einbezogen wurde, wird aus einer Geschichte eliminiert, die nun hauptsächlich
der Erforschung und Erfahrung des
Selbst gewidmet war. [40] Nur an entlegenen Stellen wird die auch im
sanf testen Händedruck drohende
Gewalt überwundener Pressionspolitik noch angesprochen. In einem
von « unmerklichen Eindrücken »
( Wieland ), vom « Druck der Luft »
( Goethe ) und anderen kaum mehr
wahrnehmbaren Anmutungen bestimmten Diskurs der Berührung
scheinen die alten Druckverhältnisse
zu verschwinden und eine Ära der
unverformten Körper einzuleiten. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass sie
sich an anderer und verschobener
Stelle in alter Gewaltsamkeit wiederherstellen. Wenn Johann Wolfgang
von Goethe in seinem erotischen
Gedicht Alexis und Dora schreibt :
« Denn die weichliche Feige, die jeder
Druck schon entstellet » [41] , dann
macht er unmißverständlich klar, dass
mit der Macht des Drucks noch zu
rechnen ist. In Hinblick auf das kaum
verhüllte weichlich-weibliche Organ,
um das es hier eigentlich geht, stellen
sich antike und alteuropäische Herrschaftsverhältnisse « unter der Hand »
wieder her. Darüberhinaus aber ist zu
beobachten, dass der Frauenraub, der
unter frühneuzeitlichen Machtverhältnissen das symbolische Entrée einer
legitimen ehelichen Beziehung bildete, nun zur illegitimen Waffe aristokratischer Schurken wird, wenn sie
eine bürgerliche Jungfrauen aus dem
Stand der Unschuld herausreißen,
ohne ihr Verhältnis zu legitimieren.
Anders als die Eroberer vom Typ des
Pluto oder des Romulus kehren die
« rogues », wie sie bei Richardson, Lessing oder Wakefield auftreten, nicht
zum Gesetz zurück. Der Griff, mit dem
sie ihre Beute entführen, verschafft
sich in kriminalisierter Form und
ohne Rückbindung an die matrimoniale Ordnung weiterhin Geltung. Doch
auch über die Geschlechterverhältnisse hinaus bleibt zu fragen, wie es mit
der Gewalt eines Griffs weitergeht,
der aus den taktilen Kontakten im
Umkreis der Brautwerbung zu verschwinden scheint. Vieles deutet darauf, dass er seine Wirkung nun in so
allgemeiner Weise entfaltet, dass er
auf eine einzige Raptusszene und
einen kenntlichen Täter nicht mehr
zurückgebunden werden kann. Der
Griff des Raptors wird im Folgenden
zu einer zentralen traumatischen
Grunderfahrung des 18. Jahrhunderts
gewendet. Die symbolische Schwächung des Eroberers muß als Ausdruck einer noch viel weitreichenderen Umstrukturierung gesehen werden, die hier nur kurz und thesenhaft
angedeutet werden kann. In der Inversion des Griffs, die den ehemals Greifenden nun selbst zu einem Ergriffenen macht, werden nun, im 18. Jahrhundert, die Leitlinien einer Kultur
sichtbar, deren Protagonisten sich selber in der Position einer immer schon
vorausgesetzten Ergriffenheit phantasieren. In der Aufgabe und Kriminalisierung der Täterperspektive und in
der euphorischen Hingabe an einen
Raptus, der eine psychische Form des
Hinweggerissenseins darstellt, finden
sich nicht nur die Frauen, sondern alle
Protagonisten des bürgerlichen 18.
Jahrhunderts auf der Seite des Passivs
wieder, dessen Aktiv sie nicht mehr
erkennen oder nur mit Nebenrollen
besetzen können. Zum Menschen werden die Bürger der Aufklärung, indem
sie ihr Sein als einen Zustand der
Ergriffenheit bestimmen und erfahren. « Being born is like being kidnapped », heißt es bei Andy Warhol.
38 Vgl. Mülder-Bach, Im Zeichen
Pygmalions ( wie Anm. 23 ), S. 60ff.
39 Herder, Plastik ( 1770 ), in : Werke ( wie
Anm. 26 ), S. 409. Zur Entwicklungsperspektive
bei Herder vgl. auch Binczek, Kontakt ( wie
Anm. 23 ), S. 354ff; vgl. Mülder-Bach, Im
Zeichen Pygmalions ( wie Anm. 23 ), S. 52ff.
40 Zur Selbstaffektation der erwachten
Statue vgl. Binczek, Kontakt ( wie Anm. 23 ),
S. 284ff.
41 Johann Wolfgang v. Goethe, « Alexis und
Dora », in : Karl Richter u. a. ( Hgg.), Sämtliche
Werke nach Epochen seines Schaffens.
Münchner Ausgabe, Bd. 4.1, S. 848. Goethes
erotische Gedichte, z.B. die Römischen Elegien
wären auf verschobene Raptus-Situationen hin
zu untersuchen.
102
103
Während der Blick und damit der Sehsinn keiner Erwiderung bedarf, zeichnet
sich der Tastsinn dadurch aus, dass die
Berührung des Fremden immer zugleich
eine Selbstberührung ist. Diese von
Richard Sennet als « Dialektik des Widerstands » bezeichnete Eigenschaft des
Taktilen als einer Domäne der Grenzziehung und Grenzerfahrung machte sich
das Expanded Cinema der Künstlerin
VALIE EXPORT in den späten 1960er
Jahren zunutze. So kehrte sie mit ihrem
Tapp und Tastkino die voyeuristischen
Prinzipien des Kinos um, indem sie
die ZuschauerInnen zu blind Tastenden
umfunktionierte, die beim Berühren
der Brüste der Künstlerin in einer verschlossenen Box den Blicken des umstehenden Publikums ebenso ausgesetzt
waren wie dem gleichgültigen Lächeln
der Künstlerin, ohne jedoch selbst die
Objekte des Begehrens sehen zu können.
Manuela Ammer zeigt auf, dass die von
EXPORT initiierte « Kommunikation qua
Kontaktsinne » letztlich zu der Erfahrung
führen sollte, dass der Tastsinn, gerade
weil er auf dem Zusammenspiel aller
Sinne basiert, ohne den Sehsinn auf
verlorenem Posten ist. Auf diese Weise
wurde in EXPORTs Aktion der voyeuristische Blick durch körperliche Nähe
ausgehebelt, um jedoch zugleich zu
demonstrieren, dass es keine unmittelbare taktile Erfahrung und damit auch
kein körperliches Reales außerhalb der
Repräsentation gibt. ( jg )
Manuela Ammer
Taktile Manöver
Zum feministischen
Aktionsbegriff
in VALIE EXPORTs
Tapp und Tastkino
( 1968 )
Als VALIE EXPORT am 11. November 1968 ihr Tapp und
Tastkino in Wien erstmals zur Aufführung brachte, kam es
zu einem Eklat. Im Rahmen der « Maraisiade Junger Film
’68 » war EXPORTs « Spielfilm » Ping Pong zum politischsten Film des Festivals gekürt worden. Zur Preisverleihung
verkündete die Künstlerin jedoch mit vor die nackte Brust
geschnallter bevorhangter Styroporbox, den Anwesenden
anstelle des prämierten Filmes den « ersten echten Frauenfilm » vorführen zu wollen :
sie gegen den betrug feit. kommunikation qua fernsinne
erweist sich häufig als sublime matrix für manipulation
und ausbeutung der bedürfnisse. kommunikation
qua kontaktsinne ist der versuch, jenseits der barrieren
von öffentlichkeit und intimsphäre, markierungen
einer entfremdeten kommunikation, stile menschlicher
kommunikation, in denen sich von staat und
industrie emanzipierte bedürfnisse realisieren können,
zu rekonstruieren oder zu errichten.» [7]
« nach der ankündigung betretenes schweigen im
publikum. plötzlich stürmt der schweizer jungregisseur g. radanowicz die bühne, tritt vor v. export und
versucht, ihren kinokasten vor dem nackten
busen zu zertrümmern, mit ausrufen wie ‹ seht her
diesen busen fürs volk ›, was eben durchaus den
intentionen exports widersprach. bevor es soweit kam,
schlug weibel ein paarmal kräftig zu, das licht ging
aus… als es wieder anging, stand weibel als sieger auf
der bühne, v. export war geflohen, radanowicz suchte
seine brillen am boden.» [1] [Abb. 1]
Die Aktion, deren Erfolg sich nicht zuletzt der regen Teilnahme der anderen FilmemacherInnen verdankte – auf
den Dokumentationsphotos sind unter anderem Birgit
Hein als Zuschauerin und Werner Nekes als « Kinobesucher » [Abb. 3] zu erkennen –, zog ein enormes mediales
Echo nach sich. Vom Mainzer Karneval bis zum ostdeutschen Rundfunk, der es als Symptom des westlichen Kulturverfalls apostrophierte, ging das Tapp und Tastkino in
den populären Diskurs ein. [8] Ihren Höhepunkt fand die
mediale Verwertung 1969, als die Aktion in München für
die vom österreichischen Fernsehen produzierte Sendung
Apropos Film reinszeniert wurde. [9] Im selben Jahr war
das Tapp und Tastkino auch Teil von VALIE EXPORTs
und Peter Weibels Beitrag zum Avantgarde-Festival Underground Explosion, das von April bis Juni durch verschiedene Städte im deutschsprachigen Raum tourte und laut
Weibel von Publikumstumulten und Polizeieinsätzen
begleitet wurde ( « in zürich wollte uns das publikum lynchen » ). [10] Diesen ersten Aufführungen folgten bis 1971
weitere in verschiedenen europäischen Städten. Besondere Erwähnung finden soll die Präsentation in Köln, da
dort nämlich der Kinokasten von Erika Mies vorgeführt
wurde, während EXPORT mit dem Megafon die Begleitrede hielt. Die Künstlerin erinnert sich, dass die Präsenz von
zwei Frauen auf der Straße die Leute besonders aggressiv stimmte, weil sie sich an Prostitution erinnert fühlten. [11] Es waren auch nicht ausschließlich Männer, die
ihre Hände durch den Eingang des Tapp und Tastkinos
schoben, wenngleich sie zweifelsohne die große Mehrheit darstellten. Auf einem während der Underground
Explosion in München entstandenen Photo ist zu sehen,
wie EXPORT von Limpe Fuchs betastet wird, die gemeinsam mit ihrem Mann Paul ebenfalls Teil der Tournee
war. [12] [Abb. 4] Offenheit und Variabilität in der Paarung
von AkteurIn und BesucherIn finden sich auch konzeptuell festgeschrieben : « dadurch, daß alles auf der straße passiert und der ‹ konsument › jeder sein kann, also mann oder
frau, ist das ein unverschleierter einbruch in das thema
der homosexualität. » [13] Diese Anmerkungen sollen veranschaulichen, dass der intellektuelle Horizont, den das
Tapp und Tastkino aufspannt, von Anbeginn an weiter und
ambivalenter gefasst war, als uns Interpretationen glauben machen wollen, die auf simplen Dualismen aufbauen
( männliches Subjekt versus weibliches Objekt, Sehen versus Tasten, Illusion versus Realität, Repräsentation versus
Aktion usw.). [14] EXPORTs Ansatz war so umfassend wie
die Visionen groß, die mit der Aktion verbunden waren :
EXPORT erinnert sich zudem, dass jemand zum Mikrofon
stürzte und brüllte: « Ist das noch Kino ? Das ist kein Kino,
das ist gar nichts! » [2] Und in der österreichischen Tageszeitung Express ließ Eleonora Gray zum Filmfestival und dem
Auftritt der Künstlerin verlauten : « Ich stifte hiermit eine
Schachtel Zünder. Damit wird man durchkommen, einen
Teil der eingereichten Filme zu verbrennen, mit Ausnahme
des letzten Werkes von Valie Export. Das ist nämlich kein
Film. Das ist sie selber, und Hexenverbrennungen sind nicht
mehr üblich.» [3] Selbst unter Berücksichtigung des konservativen politischen und kulturellen Klimas in Österreich
Ende der 1960er Jahre überrascht die Heftigkeit der Reaktionen. [4] Der größte Affront schien für Georg Radanowicz
( « Seht her… » ) und die anderen KritikerInnen darin zu liegen, dass den Händen geboten wurde, worauf das Auge ein
Anrecht zu haben glaubte. [5]
Nur wenige Tage später, am 14. November 1968, präsentierte EXPORT das Tapp und Tastkino im Rahmen des
1. Europäischen Treffens unabhängiger Filmemacher in
München. [Abb. 2] Assistiert von Peter Weibel stellte sie sich
am belebten Stachus auf, das Miniaturkino aus Styropor
vor die bloße Brust geschnallt. Weibel wiederum war mit
einem Megaphon ausgerüstet und forderte die PassantInnen dazu auf, die 12-sekündige Filmvorführung zu besuchen, was hieß EXPORTs Busen für exakt eine Fünftelminute zu betasten. In einer « Mischung aus Marktschreier und
Theoretiker » [6] informierte er über den Hintergrund der
Aktion und proklamierte neben der « Rehabilitierung des
Tastsinns » auch die « Kommunikation qua Kontaktsinne »:
« […] im staatskino wird zum voyeurismus degradiert,
was lust am sehen sein könnte. um jener
deprivation zu entgegnen, um den busen als warenfetisch zu entdinglichen, wird ein unterdrückter
partialtrieb, der tastsinn, rehabilitiert, wird an stelle
der visuellen die taktile rezeption gesetzt, weil
104
105
Abb. 1 Maraisiade-Diskussion : Hans Scheugl,
Peter Weibel und Georg Radanowicz ( Wien
1968 )
Abb. 2 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino
( Stachus, München, 14. 11. 1968 )
Abb. 3 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino
( Stachus, München, 14. 11. 1968 )
Abb. 4 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino ( als
Teil der Underground Explosion, Circus Krone,
München 1969 )
« tapp und tastfilm ist ein beispiel für die aktivierung des
publikums qua neue interpretation. taktile statt
visuelle kommunikation. […] soziologische modelle wie
sie im kino verstärkt werden, werden somit
aufgebrochen, es entstehen neue soziologische modelle,
neue menschliche verhaltensweisen […].» [15]
Das Tapp und Tastkino war in einen Kontext künstlerischer Aktivitäten eingebunden, die beabsichtigten, die
« Inszenierung der Wirklichkeitserfahrung durch technische Medien darzustellen », wie die Künstlerin dies in
einem späteren Vortrag formulierte. [16] Auf das Kino bezogen prägten VALIE EXPORT und Peter Weibel für ihre
Untersuchungen den Begriff « Expanded Cinema ». [17] Konzept und Intention der so bezeichneten Arbeiten war
zu entschlüsseln, « wie die Realität im Film manipuliert
wird », sowie « den cinematrophischen Apparat in die Installation von Raum und Zeit zu transportieren, um aus
der Zwei-Dimensionalität der flachen Oberfläche auszubrechen.» [18] Was in dieser Definition EXPORTs formalistisch anmutet, wurde von der expliziten Forderung nach
realgesellschaftlichen Konsequenzen für den Status der
KinobesucherInnen, ihre Wahrnehmungs- und Partizipationsmöglichkeiten begleitet. Die Filmindustrie repräsentierte eine bürgerliche Organisation, die « jene bilder der
welt liefert, die dem bild des staates entsprechen ». [19] Ihr
Anteil an der gesellschaftlichen ( Körper- )Kontrolle, wie
sie sich nicht zuletzt in der Arretierung, Isolation und
Reduktion der KinobesucherInnen auf bloße audiovisuelle
Präsenz manifestiert, war erklärtes Angriffsziel. [20] Erst
die Abkehr von industriellen Normen, die Provokation
unmittelbarer Erfahrung und die Aktivierung aller Sinne,
das heißt die « Subjektivierung » des Films, kann den vom
Staat etablierten Wirklichkeitsbegriff demontieren, so
Weibel :
« erweitertes kino bedeutet auch eine erweiterte
wirklichkeit. veränderte medien produzieren eine
veränderte welt, und eine auf veränderung
drängende welt drängt nach veränderten medien. […]
expanded cinema ist nicht nur eine erweiterung
der skala der optischen phänomene, sondern in der
gegenwärtigen phase der radikale entschluß,
mit der wirklichkeit aufzuräumen und mit der sprache,
die sie kommuniziert wie konstruiert.» [21]
Von dem « radikalen Entschluss », die illusionäre Apparatur des Kinos zu durchbrechen, um so mit den Konstruktionsprinzipien der Wirklichkeit « aufzuräumen », sprechen eine Vielzahl von Arbeiten um 1968. VALIE EXPORT
konzipierte das « Expanded Movie » Filme in Form von Pillen, die die sensorische Apparatur desintegrieren und
« visionen jenseits der sprache » liefern sollten. [22] Peter
Weibel erdachte erlebnisfilm no. 1, ein simuliertes Erdbeben in einem Kinosaal, sowie den « realfilm » straßenfilm,
für den während einer Filmvorführung die straßenseitige
Wand des Kinos mit Pressluftbohrern aufgebrochen werden sollte, um den BesucherInnen den Blick durch die
1 Peter Weibel, unter Mitarb. v. Valie
Export ( Hg.), Bildkompendium Wiener
Aktionismus und Film, Frankfurt a. Main 1970,
S. 293.
2 Andrea Juno, « VALIE EXPORT »
( Interview ), in : dies. ( Hg.), Angry Women.
Die weibliche Seite der Avantgarde, Kirsten
Borchardt / Patricia Grzonka (Übers.),
St. Andrä-Wördern 1997, S. 209.
3 Zit. n. der Homepage der Künstlerin,
auf : http://www.valieexport.org/index.php
( September 2008 ).
4 Von 1966 bis 1970 bestand in Österreich
eine ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler
Josef Klaus. Unterrichts- und damit auch
Kulturminister war Theodor Piffl-Pečević , der
nicht zuletzt durch seinen türenschlagenden
Abgang während der Dankesrede Thomas
Bernhards anlässlich der Verleihung des Kleinen
Österreichischen Staatspreises in Erinnerung
geblieben ist.
5 Vgl. Linda Hentschel, « Unwegsamkeiten
auf dem Feld des Sehens. Raumwahrnehmungen,
Sehirritationen und Geschlechtersituierungen bei
Valie Export und Cindy Sherman », in: Frauen,
Kunst, Wissenschaft, 22, Dez. 1996, S. 58.
6 Matthias Michalka, « ‹ Schießen Sie doch
auf das Publikum! › Projektion und Partizipation
um 1968 », in : Ausst.-Kat. X-Screen. Filmische
Installationen und Aktionen der Sechziger und
Siebziger Jahre, Wien : Museum Moderner Kunst
Stiftung Ludwig, Köln 2004, S. 100.
7 Peter Weibel, Das offene Werk :
1964 – 1979, Ostfildern 2006, S. 581.
8 Vgl. Juno, VALIE EXPORT ( wie
Anm. 2 ), S. 209; und Weibel, Bildkompendium
( wie Anm. 1 ), S. 261.
9 Matthias Michalka diskutiert die
Reinszenierung des Tapp und Tastkinos für das
öffentlich-rechtliche Fernsehen als exemplarisches Ereignis, das auf einer Metaebene das
problematische Verhältnis von kritischer Distanz
zu den staatlichen Institutionen und medialer
Vereinnahmung durch dieselben vorführt,
welches den Kern der Expanded-Cinema-Aktion
ausmacht, vgl. Michalka, Projektion und
Partizipation ( wie Anm. 6 ), S. 101.
10 Vgl. Weibel, Das offene Werk ( wie
Anm. 7 ), S. 515.
11 Vgl. Kristin Stiles, « CORPORA VILIA,
VALIE EXPORT’s Body », in : Elsa Longhauser
( Hg.), Ausst.-Kat. VALIE EXPORT.
Ob / De+Con( Struction ), Philadelphia : Goldie
Paley Gallery, Galleries at Moore, Moore College
of Art and Design, Philadelphia 2001, S. 27.
12 Auf diesem Photo ebenso wie in der
ORF-Dokumentation ist zu erkennen, dass die
provisorische Styroporbox nach den ersten
Aufführungen durch eine von Wolfgang Ernst
konstruierte Aluminiumbox mit Eingängen aus
Schaumgummi ersetzt worden war.
13 VALIE EXPORT zit. n. Anita Prammer,
VALIE EXPORT : Eine multimediale Künstlerin,
Wien 1988, S. 106.
14 So greift auch Régis Michels Überlegung, dass der « Herold » Weibel für den
männlichen logos stünde, während EXPORT als
Frau mit ihrem Körper agiere, zu kurz, vgl. Régis
Michel, « I am a woman. Three Essays on the
Parody of Sexuality », in : Ausst.-Kat. VALIE
EXPORT : Summary / Sommaire, Paris : Centre
national de la photographie u. a., Montreuil :
2003, S. 28.
15 VALIE EXPORT zit. n. Prammer, VALIE
EXPORT ( wie Anm. 13 ), S. 106.
16 VALIE EXPORT, « Mediale Anagramme.
Ein Gedanken- und Bilder-Vortrag. Frühe Arbeiten »,
in : Sabine Breitwieser ( Hg.) White Cube / Black
Box. Werkschau VALIE EXPORT und Gordon
Matta-Clark. Reader zur Vortragsreihe / Ausstellung, Wien 1996, S. 107.
17 « Expanded Cinema » ist eine Abwandlung des Terminus « Expanded Arts », der 1966
als Titel einer Sondernummer der Zeitschrift
Film Culture fungierte.
18 Vgl. Roswitha Mueller, « Interview mit
VALIE EXPORT », in : dies., VALIE EXPORT :
Bild-Risse, Reinhilde Wiegmann (Übers.), Wien
2002, S. 215.
19 Vgl. Peter Weibels Rede im Rahmen der
Aufführung der Feueraktion exit in einem
Münchner Kino am 15. November 1968, zit. n.
Weibel, Das offene Werk ( wie Anm. 7 ), S. 516.
20 Vgl. Michalka, Projektion und Partizipation ( wie Anm. 6 ), S. 101.
21 Peter Weibel, « selbst-porträt einer
theorie in selbst-zitaten », in : Gottfried
Schlemmer ( Hg.) : Avantgardistischer Film
1951-1971 : Theorie, München 1973, S. 110.
22 Vgl. « Chronologie », in : Ausst.-Kat.
Split :Reality. VALIE EXPORT, Wien : Museum
Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien 1997,
S. 68.
23 Vgl. Weibel, Das offene Werk ( wie
Anm. 7 ), S. 531 – 542.
24 VALIE EXPORT, « ping pong », in :
Schlemmer, Avantgardistischer Film ( wie Anm.
21 ), S. 95.
25 Vgl. Michalka, Projektion und Partizipation ( wie Anm. 6 ), S. 98.
26 Vgl. Hentschel, Unwegsamkeiten
( wie Anm. 5 ), S. 58.
27 Vgl. Prammer, VALIE EXPORT
( wie Anm. 13 ), S. 106.
28 « Diese Konzentration auf den Blick, die
Schaulust, durchbricht sie, indem sie ihren
Körper dem Blick entzieht und das Publikum
tasten und fühlen läßt », ebd., S. 105.
29 Demselben Prinzip folgte Hans Scheugls
Expanded-Cinema-Aktion Der Voyeur von 1968 :
Der Künstler stand mit einem 8-mm-Projektor
direkt vor der Kinoleinwand und projizierte
einen pornografischen Film. Die Dimensionen
der Projektion waren jedoch so minimal, dass
das Bild vom Zuschauerraum aus nicht zu sehen
war. Interessierte mussten also auf die Bühne
kommen, um den Film zu sehen, vgl. Hans
Scheugl, Erweitertes Kino. Die Wiener Filme der
60er Jahre, Wien 2002, S. 142.
30 Vgl. Marie-Luise Angerer, body options.
körper.spuren.medien.bilder, Wien 1999, S. 137.
31 1979 prägte EXPORT im Rahmen einer
Veranstaltungsreihe in der Innsbrucker Galerie
Krinzinger den Begriff « Feministischer Aktionismus », den sie als Fortsetzung des Aktionismus
mit anderen Mitteln und Medien definierte. Der
wichtigste Ausgangspunkt des Feministischen
Aktionismus ist die Geschichte weiblicher Erfahrung, die sowohl der Körper in Form von
Gesten, Haltungen, Krankheiten usw. wie auch
die Psyche speichern. Kunsthistorisch sieht
EXPORT Verwandtheiten zum Surrealismus,
Informel, Happening usw., siehe VALIE EXPORT, « Feministischer Aktionismus », in : Zur
Definition eines neues Kunstbegriffes. 11. Juni
– 11. Juli 1979. Dokumentation der Vorträge,
Performances, Ausstellungen und Workshops,
Innsbruck : Galerie Krinzinger, Innsbruck 1979,
S. 59; siehe auch VALIE EXPORT, « Feministischer Aktionismus. Aspekte », in : Frauen in der
Kunst, Bd. 1, Frankfurt a. Main 1980, S. 139 – 176.
32 Vgl. Prammer, VALIE EXPORT ( wie
Anm. 13 ), S. 9.
33 VALIE EXPORT, « Woman’s Art », in :
Neues Forum, 228, 1972, S. 47.
34 Vgl. Silvia Eiblmayr, « ‹ Split Reality › – Zur
Repräsentationsstruktur im Werk von Valie
Export », in : Ausst.-Kat. Split :Reality ( wie Anm.
22 ), S. 167.
35 Vgl. Silvia Eiblmayr, « Split Reality,
Facing a Family, Body Sign Action. Drei frühe
Arbeiten von VALIE EXPORT », in : Ausst.-Kat.
VALIE EXPORT. Mediale Anagramme, Berlin :
Akademie der Künste, Berlin 2003, S. 109.
36 Vgl. ebd.
37 Mueller, Interview ( wie Anm. 18 ),
S. 214.
106
107
Wand auf die Straße zu ermöglichen. [23] EXPORTs bereits
erwähnte Arbeit Ping Pong ist wohl eines der interessantesten Experimente dieser Art. [Abb. 5] Auf die Leinwand
wird ein Film projiziert, der aus an verschiedenen Stellen
erscheinenden und verschwindenden Punkten besteht.
Ein/e SpielerIn steht mit Tischtennisball und -schläger vor
der Leinwand und versucht, diese Punkte zu treffen. « ledig
der semantik, wird die beziehung zwischen zuschauer
und leinwand klar : reiz und reaktion. […] was hier das
auge dem hirn erzählt, ist anlaß zu motorischen reflexen
und reaktionen, nicht zu intelligiblen oder emotionalen
[…] . » [24] Der visuelle Stimulus – der projizierte Punkt –
verwandelt den / die TeilnehmerIn in eine Art Pawlowschen Hund : Zwar nimmt der Körper Anteil, jedoch kann,
was das Auge « erzählt », Intellekt und Emotionen nicht
rühren. Ping Pong demonstriert, dass EXPORTs Expanded-Cinema-Arbeiten jeglicher Naivität in Bezug auf die
Möglichkeit einer ideologischen Befreiung der KinobesucherInnen durch sinnliche und körperliche Involvierung
entbehren. Vielmehr wird eine Situation kreiert, die zwar
Partizipation ausdrücklich einfordert, letztlich jedoch vor
allem deren « strukturelle Unmöglichkeit » demonstriert. [25] Das Tapp und Tastkino betreffend müssen wir
uns folglich die Frage stellen : Was aber geschieht, wenn
der Reiz nun kein visueller ist, wenn an die Stelle der planen, Tiefe nur suggerierenden Projektionsf läche ein
greifbarer Körper tritt, als hätte sich « eine glatte Oberfläche gewölbt » ? [26] Wie gestaltet sich der Status des Kinobesuchers / der Kinobesucherin, wenn nicht das Auge
« erzählt », sondern die Hand ?
Eine genauere Betrachtung des Aktionsszenarios
zeigt, dass die Behauptung einer derartigen Dialektik
von Optik und Physis für das Tapp und Tastkino nicht
fruchtbar ist. Die Teilnehmenden sahen sich während
ihres Zugriffs auf EXPORTs Körper die ganze Zeit über
sowohl den Blicken der Künstlerin wie der versammelten Schaulustigen ausgesetzt. Das « taktile Erlebnis
außerhalb der Familie » – so die Künstlerin in ihrem
Konzepttext – hatte sich unter dem wachsam-neugierigen Auge der Öffentlichkeit zu vollziehen. [27] Die voyeuristische Struktur des filmischen Apparates wurde demnach nicht durchbrochen, wie beizeiten behauptet
wurde, sondern vielmehr umgewichtet und ausgestellt. [28] Denn die Herausforderung, vor die potenzielle
TeilnehmerInnen sich gestellt sahen, war wohl weniger,
die nackte Brust der Künstlerin zu berühren, denn dabei
wissentlich beobachtet zu werden. [29] So möchte ich
behaupten, dass EXPORT mittels des Tapp und Tastkinos zwar das kinematographische Spektakel des nackten
Frauenkörpers durch die Darbietung ihres eigenen –
verhüllten – Körpers ersetzen konnte; worauf sie jedoch
keinen Zugriff erhielt, waren die imaginierten – und
imaginär betasteten – Frauenkörper in den Köpfen der
Teilnehmenden und PassantInnen ( immerhin blieben
der eigentliche Akt des Berührens ebenso wie das
Berührte unsichtbar ). Das taktile Erlebnis einiger Weniger als Phantasma Zahlloser ist ein Aspekt der Aktion,
der sich bis heute wirksam zeigt.
« Körper und Blick – die zwei zentralen Achsen feministischer Auseinandersetzungen wurden in unerträgliche
‹ Nähe › gerückt », schreibt Marie-Luise Angerer zum Tapp
und Tastkino. [30] Die Repräsentation des weiblichen Körpers im medialen und öffentlichen Raum, in der Geschichte der Kunst – seine buchstäbliche « Bildhaftigkeit » – war
von Anbeginn ein zentraler Ansatzpunkt VALIE EXPORTs.
Dabei war die Körperauffassung der Wiener Aktionisten,
die in der österreichischen Bundeshauptstadt annähernd
zeitgleich künstlerisch aktiv waren, ex negativo maßgeblich. [31] Anders als diese inszenierte EXPORT den ( weiblichen ) Körper jedoch nicht, um über seine « triebhafte
Natur » kulturelle Konflikte aufzulösen, wenngleich sie in
ihm ebenso einen « Spiegel und Ort gesellschaftlicher
Zurichtung » sah. [32] Sie suchte nicht nach einem « natürlichen » und authentischen Körper jenseits der kulturellen
Determinationen, sondern betrachtete ihn stets als Zeichen und Zeichenträger, dessen Beschriftungen es zu entschlüsseln und dessen Kodifizierungen es zu entkommen
galt. Dies erklärt auch EXPORTs Interesse am Funktionieren der medialen Apparaturen, die Wahrnehmungen und
Identifikationen strukturieren und somit an der Produktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit teilhaben. So forderte sie in einem 1972 unter dem Titel Woman’s Art publizierten Essay die Aneignung der Technologien, die den
weiblichen Körper gestalten : « wir frauen müssen, um zu
einem von uns selbst bestimmten bild der frau kommen
zu können und damit zu einer veränderten abbildung in
der gesellschaftlichen funktion der frau, an der konstruktion der wirklichkeit via den medialen bausteinen
teilhaben.» [33]
Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz des Körpers
der Künstlerin im Rahmen ihrer Expanded-Cinema-Aktionen gleichsam als Versuch zu verstehen, die Mechanismen
der Repräsentation am eigenen Leib zu erfahren. Insbesondere dann, wenn EXPORT ihren Körper tatsächlich
mit der medialen Apparatur kurzschloss, das heißt wie
etwa im Tapp und Tastkino buchstäblich als « Projektionsfläche » einsetzte, demonstrierte sie die « Identifikation der
Frau mit dem Bild durch eine strukturelle Verschränkung
ihres Körpers mit dem Medium selbst ». [34] Dabei ist
bemerkenswert, wie Silvia Eiblmayer beobachtet, dass
EXPORTs Erweiterung des Kinos nicht von einer virtuellen räumlichen Expansion gekennzeichnet war, sondern
vielmehr den abrupten Einbruch des Realen und Konkreten in die « illusionären medialen Entgrenzungsphantasien » inszenierte. [35] Erst wenn das Reale und Konkrete –
der Körper – als « ( an- )greifbares Objekt in einem künstlerisch problematisierten Repräsentationsraum erscheint »,
so Eiblmayr, « werden die sozialen Normen und symbolischen Zuweisungen erfahrbar, denen er unterliegt ». [36]
In späteren Jahren wuchs EXPORTs Skepsis, den
Bildern überhaupt etwas entgegensetzen zu können :
« […] allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, daß
man im textuellen Gewebe gefangen bleibt, weiterhin
beherrscht von Zeichen. Ich habe irgendwie das Gefühl,
daß es eine radikalere Position geben müßte, weiß aber
nicht genau, was eine solche wäre.» [37] In ihrem 1987 in
108
Abb. 5 VALIE EXPORT, Ping Pong ( 1968 ),
Expanded Movie
Abb. 7 VALIE EXPORT, Tapp und Tastkino
( Stachus, München, 14. 11. 1968 )
Abb. 6 Lutz A. Grzegorzitza, Karikaturen zu
VALIE EXPORTs Tapp und Tastkino ( in Film,
Nr. 4, Februar 1969 )
109
Bern gehaltenen Vortrag Das Reale und sein Double : Der
Körper diskutierte die Künstlerin die Frage, ob das weibliche Selbst sich nicht gänzlich vom Körper und den Bildern lösen müsste, um der Wirkkraft der Repräsentationsformen zu entkommen. « Wenn die Frau nicht existiert,
und ihr Raum deshalb unsichtbar, schwarz ist, dann kann
ihre Realität nicht der sichtbare Körper sein, und auch
nicht das Bild der Realität. » [38] An anderer Stelle merkte
EXPORT wiederum an, dass sie in ihren Performances
versucht habe, den Körper « unbewohnbar » zu machen,
das heißt ihn aller gesellschaftlicher und kultureller Projektionen zu entkleiden. [39] Betrachtet man das Tapp und
Tastkino durch den Filter dieser Aussagen, so wird das
tragbare Miniaturkino zur Schleuse, die es zu passieren
galt, um sich der Existenz des Körpers zu versichern. Und
da die Zutrittsrestriktionen das Auge ausschlossen, musste der Voyeur seine sichere Distanzposition aufgeben und
dem Gebot des Tastsinns Folge leisten, das den Wahrnehmenden und das Wahrgenommene zur selben Zeit an
denselben Ort zwingt. Nun sind mediale Anordnungen
wie das Kino aber keine Orte der Befriedigung, sondern
Settings eines Begehrens, das dort keine Erfüllung finden
soll. [40] Was bedeutet es dann für den Voyeur, in greifbare
Nähe seines Objekts der Begierde zu rücken ?
Die Frage nach der Relation von Taktilität und Repräsentation ist also auch eine Frage nach Distanzen und nach
der Rolle, die Medien bei deren Überbrückung einnehmen.
Dabei stellte bereits Walter Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz die taktile Qualität des Films heraus, die auf
dem « Wechsel der Schauplätze und Einstellungen beruht,
welche stoßweise auf den Beschauer eindringen ». [41] In
den 1960er Jahren gehörte die populärste Stimme zu
medienspezifischen Fragestellungen jedoch zweifelsohne
Marshall McLuhan, der in Understanding Media. The
Extensions of Man von 1964 – eine Publikation, mit der
auch EXPORT wohlvertraut war [42] – tatsächlich auf den
Tastsinn zu sprechen kam : « It begins to be evident that
‹ touch › is not skin but the interplay of the senses, and ‹ keeping in touch › or ‹ getting in touch › is a matter of a fruitful
meeting of the senses, of sight translated into movement,
and taste and smell. » [43] Dabei war es ausgerechnet das
Medium Fernsehen, das McLuhan am engsten mit dem
Tastsinn verknüpfte und sogar als « extension of the sense
of touch » bezeichnete. [44] Er erklärte dies mit dem Maß an
Beteilung, das das Fernsehbild von seinen RezipientInnen
einforderte, wenn sie die Schwächen des zweidimensionalen « Bildmosaiks » kompensierten: « The TV image requires
each instant that we ‹ close › the space in the mesh by a
convulsive, sensuous participation that is profoundly kinetic and tactile, because tactility is the interplay of the senses, rather than the isolated contact of skin and
object.» [45] Wenngleich EXPORT mit dem Tapp und Tastkino selbstredend keine fernsehbezogene Arbeit realisierte, so bediente sie sich doch eines strukturell verwandten
Vorgangs: Die Prinzipien des Kinos umkehrend, das seine
ZuschauerInnen aus der Distanz in die Bilderflut eintauchen lässt, limitierte sie den Informationsfluss und holte so
ihr Publikum zu sich heran.
Diejenigen jedoch, die EXPORT aus Neugierde oder in der
Hoffnung auf eine erotische Begegnung nahe kamen, um
zu ertasten, was dem Blick verborgen blieb, mussten die
Erfahrung machen, dass das voyeuristische Auge Nähe
scheut und räumlicher Distanz bedarf: « Indem Export […]
simultane Wahrnehmung aus der Distanz ( sehen ) gegen
einen sukzessiven Prozeß der Nähe ( tasten ) austauscht
und die Lichtverhältnisse umkehrt, ist der Voyeur ertappt
[…], » schreibt Linda Hentschel. [46] Die Rolle der reinen
Beobachtung verkehrte sich in ein Unbehagen, angesehen
zu werden, und Schamgefühl löste das Begehren ab, da
das Subjekt erkannte, dass es immer schon selbst ein Bild
für den Blick abgab. [47] Régis Michel kommt in seiner Einschätzung der Situation des Voyeurs zu einer noch drastischeren Schlussfolgerung: « […] changing fantasy into reality. For a voyeur there is no worse punishment. » [48] Er
argumentiert, dass der visuelle Entzug des Tapp und Tastkinos zu einem allgemeinen sinnlichen Mangel führte, der
einer Kastration gleichkam. [49] Die Trennung von Blick
und Berührung, die Blindheit des Tastens, unterband jede
Erotik des Unterfangens. Beide Gedanken – das Miniaturkino als Kastrationsmaschine und die Blindheit der Hand
– existierten bereits in der zeitgenössischen Rezeption. Im
Februar 1969 widmete die Zeitschrift film EXPORTs Aktion einen Beitrag, der unter anderem aus zwei Karikaturen
bestand, von denen eine sogar das Titelblatt zierte. [50] [Abb.
6] Die Karikaturen entstammen der Feder von Lutz A.
Grzegorzitza und sind mit den Wortspielen Lustspiel –
Kriegsspiel beziehungsweise Lustspiel – Suchspiel untertitelt. Während Lustspiel das jeweils männliche Wunschbild darstellt ( durch die transparente Kiste ist sichtbar,
wie die Hand die weibliche Brust berührt ), zeigt Kriegsspiel das Miniaturkino als vaginale Guillotine, die dem
männlichen Eindringling die Hand abnimmt. Suchspiel
wiederum lässt die Hand nicht finden, was sie zu berühren erhofft : Die Finger ertasten einen Oberkörper, dem
die weiblichen Merkmale fehlen. In beiden Fällen ist der
Tastsinn ohne den Sehsinn auf verlorenem Posten. Michel
macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam, der für den
Versuch, mit dem Tapp und Tastkino die voyeuristische
Struktur des Kinos zu unterminieren, eine entscheidende
Rolle spielte : die Mimik der Akteurin. Die blinden Hände
in der Kiste, von Angesicht zu Angesicht, blieb dem Voyeur nichts anderes, als die ihm versagte Lust im Gesicht
seines Gegenübers zu suchen. [51] [Abb. 7] Auf allen veröffentlichten Photographien jedoch zeigt EXPORT ein
indifferentes Lächeln : Ungerührt von der Berührung verweigerte sie dem Tastenden, was dieser benötigt hätte, um
die Begehrensstruktur zu reinstallieren. In der Wiederaufführung der Aktion für das österreichische Fernsehen
griff die Künstlerin sogar selbst zur Stoppuhr, um mit der
Zeit auch die Potenz der Teilnehmenden zu « beschneiden ».
Der weibliche Körper – von EXPORT an anderer
Stelle als Instrument der Differenzierung bezeichnet [52] –
vermittelte im Rahmen des Tapp und Tastkinos Leidenschaftslosigkeit. Die unerwiderte Berührung bildete
EXPORTs Antwort auf das voyeuristische Setup, das
von einem folgenlosen Blick ausgeht, das heißt von der
Ahnungslosigkeit und damit Handlungsunfähigkeit
des / der Beobachteten. [53] Während das Auge jedoch der
Erwiderung nicht bedarf und die Schaulust obendrein an
die Ohnmacht des Erblickten gekoppelt ist, ist dem Taktilen Reziprozität eigen : Keine Berührung geht ohne Selbstberührung vonstatten. [54] Damit ist der Tastsinn die einzige Form der Wahrnehmung, die, wie Richard Sennett
schreibt, auf der « Dialektik des Widerstands » basiert, das
heißt zur Erwiderung nicht nur fähig, sondern vielmehr
außerstande ist, nicht « widerständig » zu sein. [55] Ist das
Taktile derart als Bereich der sinnlichen Gegenwehr definiert, als Domäne der Grenzziehung und Grenzerfahrung,
lässt sich das Tapp und Tastkino leicht als Versuch werten,
das voyeuristische Auge aus seiner sicheren Reserve heraus an einen Ort zu locken, wo es unerwartet auf Widerstand stieß. An diesem Ort wurden nicht nur dem Blick
das Bild und der Hand die Rückkoppelung verwehrt, sondern auch das gewohnte Zusammenspiel der beiden Sinne demontiert. Derart vereinzelt und fragmentiert fand
sich das wahrnehmende Subjekt aus dem Kinodispositiv
in die Realität geworfen, wo der Blick ebenso Konsequenzen zeitigt wie sich die Welt dem Zugriff als widerständig erweist ( und sei es durch Gleichgültigkeit, wie
VALIE EXPORT dies vorführte ). Dabei ist der Tastsinn
nicht weniger durch Repräsentation vermittelt als das
Bild, wie Kaja Silverman im Zusammenhang mit EXPORTs
späterem Film Syntagma anmerkt. [56] Es gibt kein körperliches Reales außerhalb der Repräsentation, keine direkte
taktile Erfahrung. [57] Was Haltung und Blick der Künstlerin dem Teilnehmenden spiegelten – das Bild, das sie
gleichsam von ihm schuf – stand in kritischem Widerspruch zu dem Bild, das dessen fühlender Körper antizipierte. Leibliche Realität und Repräsentation gerieten aus
dem Takt und exponierten sich derart als Zweigespann.
Anders gesagt : Indem EXPORT das Tasten des Auges
abwehrte, « blendete » sie auch die Hand. [58]
Für den britischen Experimentalfilmemacher und
Autor Malcolm LeGrice kreisten die Strategien des Expanded Cinema gerade um die Problematik der Lokalisierung
des « Realen » im Film. [59] Dies manifestierte sich in dem
Bestreben, den « symbolischen Raum hinter der Leinwand »
hervorzuholen und vor die Leinwand zu bringen sowie die
Zeit der Handlung von der « mythischen Vergangenheit » in
die « kritische Arena des Hier und Jetzt » zu verlegen. [60] Das
Reale wiederum definiert sich nach LeGrice über die Begegnung mit Konsequenzen und deren Unumkehrbarkeit. [61] Das Tapp und Tastkino von VALIE EXPORT markierte einen solchen Ort der folgenreichen Begegnung, wo
das Reale im Film tatsächlich außerhalb des Films geortet
wurde, in der Allgegenwart gesellschaftlicher Projektionen und Repräsentationen sowie in den leiblichen Handlungen, die diese nach sich ziehen.
38 VALIE EXPORT, Das Reale und sein
Double : Der Körper, Bern 1987, S. 34f.
39 Vgl. Juno, VALIE EXPORT ( wie Anm.
2 ), S. 208.
40 Vgl. Marie-Luise Angerer, « Die Haut ist
schneller als das Bild : Der Körper – das
Reale – der Affekt », in : dies. ( Hg.) Der Andere
Schauplatz. Psychoanalyse – Kultur – Medien,
Wien 2003, S. 181.
41 Walter Benjamin, « Das Kunstwerk im
Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit »
( 3. Fassung, 1939 ), in : Rolf Tiedemann / Hermann Schweppenhäuser ( Hgg.), Gesammelte
Schriften, Frankfurt a. Main 1974, S. 503. Zu
Taktilität und Film bei Walter Benjamin siehe
insbesondere : Nicolas Pethes, « Die Ferne der
Berührung. Taktilität und mediale Repräsentation
nach 1900 : David Katz, Walter Benjamin »,
in : Zeitschrift für Literaturwissenschaft und
Linguistik, 30 ( 117 ), März 2000: Taktilität, Ralf
Schnell (Hg.), S. 33 – 57.
42 Bereits in ihrer ersten Filmaktion Cutting von 1967 / 68 bezieht sich EXPORT explizit
auf den Medientheoretiker, indem sie Teil Zwei
der Aktion mit Hommage an Marshall McLuhan
betitelt und dessen Aussage « the content of
writing is speech » integriert.
43 Marshall McLuhan, Understanding
Media. The Extensions of Man, New York 1964,
S. 67.
44 Vgl. ebd., S. 290.
45 Vgl. ebd., S. 273.
46 Vgl. Hentschel, Unwegsamkeiten
( wie Anm. 5 ), S. 60.
47 Vgl. ebd.
48 Michel, Three Essays
( wie Anm. 14 ), S. 24.
49 Vgl. ebd., S. 25.
50 Film, 4, Februar 1969, Titelblatt
und S. 14.
51 Vgl. Michel, Three Essays
( wie Anm. 14 ), S. 26.
52 EXPORT, Das Reale ( wie Anm. 38 ),
S. 28.
53 Ralf Schnell formuliert in diesem
Zusammenhang folgenden Gedanken, der jedoch
nichts an den gesellschaftlichen Folgen des
Blicks ändert : « Blicke, die töten können, sind
elegant, diskret und juristisch folgenlos. Sie
treffen, sie verletzen, und sie vernichten. Aber
sie hinterlassen garantiert keine nachweisbaren
Spuren. Ein Mord, den jeder begeht, mit garantierter Straffreiheit », Ralf Schnell, « Einleitung »,
in : Taktilität ( wie Anm. 41 ), S. 5.
54 Vgl. Hartmut Böhme, « Der Tastsinn im
Gefüge der Sinne. Anthropologische und
historische Ansichten vorsprachlicher Aisthesis »,
in : Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland ( Hg.) : Tasten, Göttingen
1996 ( Schriftenreihe Forum 7 ), S. 203f.
55 Vgl. Richard Sennett, « Der Tastsinn », in :
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik
Deutschland ( Hg.) : Der Sinn der Sinne,
Göttingen 1998 ( Schriftenreihe Forum 8 ),
S. 479 – 495.
56 Vgl. Kaja Silverman, « Sprich! Körper »,
in : Ausst.-Kat. Split :Reality ( wie Anm. 22 ),
S. 47.
57 Vgl. ebd.
58 Im Jahr 1998 veröffentlichte EXPORT
eine interaktive CD-Rom mit dem vielsagenden
Titel Bilder der Berührungen, auf der ihre
wichtigsten Arbeiten seit den späten 1960er
Jahren um den zentralen Film Syntagma ( 1983 )
gruppiert sind. Das Interface der CD-Rom zeigt
das Bild einer Hand : Mittels Mausklick gelangt
der / die BenutzerIn zu den verschiedenen
Bereichen der CD, das heißt seine / ihre
Berührung aktiviert die Bilder. Einmal mehr
kreiert EXPORT eine Situation, in der die Hand
nicht nur symbolisch, sondern buchstäblich in
die Produktion von Repräsentationen und
Bedeutungen involviert ist; siehe dazu : Margit
Grieb, « New Media and Feminist Interventions :
VALIE EXPORT’s Medial Anagrams », in :
Avant-Garde Critical Studies, 23 ( 1 ), Nov. 2007,
S. 339 – 354.
59 Vgl. Malcolm LeGrice, « Mapping im
Multi-Space? Vom Expanded Cinema zur
Virtualität », in : Breitwieser, White Cube ( wie
Anm. 16 ), S. 244.
60 Vgl. ebd., S. 243.
61 Vgl. ebd., S. 258.
110
111
Es ist nun schon einige Zeit her, dass es
in der Popmusik Mode geworden ist, den
« Stecker rauszuziehen ». Seitdem die
MTV Unplugged-Show in den frühen
1990er Jahren startete, ist es für alle
Stars, die als Musiker etwas auf sich
halten, zu einer Pflichtübung geworden,
die Bühne einmal nur mit der akustischen Gitarre zu betreten, um unter
Beweis zu stellen, dass sie auf den
technischen Apparat, der üblicherweise
zwischen ihre Instrumente und das
Publikum geschaltet ist, nicht angewiesen sind. Solche Auftritte scheinen aus
dem multimedialen Spektakel, zu dem
Popkonzerte geworden sind, einen
vermeintlich authentischen Kern herauszuschälen, der in dem allein bestünde,
was sich im unvermittelten Kontakt
zwischen dem Musiker und dem Instrument und zwischen den Bandmitgliedern
ereignet, die sich bei solchen Anlässen
nicht selten gehalten sehen, eng zusammenzurücken und sich im Kreis auf dem
Boden niederzulassen wie um ein imaginäres Lagerfeuer.
Vom Elektro-Utopismus der 1960er
Jahre ist man hier Lichtjahre entfernt.
Man fragt sich, wie sich ein unverkabeltes Konzert von Jimi Hendrix angehört
hätte ? Denn die legendäre Virtuosität des
afro-amerikanischen Musikers war eine
spezifische E-Gitarren-Virtuosität und sie
entfaltete sich in dem Möglichkeitsraum,
den die Elektrifizierung des Instrumentalspiels erst eröffnet hatte. Paradoxerweise
ist es die technische Aufrüstung der
Gitarre gewesen, die es Hendrix erlaubte,
seinem Spiel einen bis dahin ungekannten somatischen Charakter zu verleihen.
Bestechend sind seine Improvisationen
nicht so sehr durch ihre technische
Makellosigkeit, sondern vor allem, weil
Hendrix es verstand, jedem Ton die
Signatur eines einzigartigen Körpers
aufzuprägen. Allerdings handelt es sich
um einen Körper, der erst im elektroakustischen Medienverbund entsteht – den
sich Hendrix erst im stromgeladenen
Kontakt mit seiner Gitarren-Prothese
schafft. Und es ist ein Körper, wie Klaus
Theweleit betont, den er mit seinem
Publikum teilen kann, da er sich im
Raum der apparativen Vermittlung
Klaus Theweleit
Jimi Hendrix
Der elektrifizierte
Körper
zwischen Musiker und Zuhörern inkarniert. So war es möglich, dass sich in den
späten 1960er Jahren eine pazifistische
Kollektivität konstituierte, die immun
geworden war gegenüber den todbringenden Gemeinschaftsphantasien, welche
noch die vorangehende Generation
bestrickt hatten. Sie stand im Zeichen
nicht mehr einer Verschmelzung zu
einem nationalen oder martialischen
Gemeinschaftskörper, sondern ereignete
sich als eine Kommunion im Zwischenraum, als eine Berührung in der Trennung. ( sn )
Auf den folgenden Seiten geben wir
Auszüge aus dem 7. Kapitel der jüngst
bei Rowohlt erschienenen Hendrix-Biographie von Klaus Theweleit und Rainer
Höltschl wieder.*
* Klaus Theweleit / Rainer Höltschl,
Jimi Hendrix. Eine Biographie, Copyright
© 2008 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg. Abdruck mit freundlicher
Genehmigung des Rowohlt Verlags.
« Ich wollte, sie hätten in der guten, alten Zeit auf
den Baumwollfeldern elektrische Gitarren
gehabt. Dann wären ’ne Menge Dinge geklärt worden.
Nicht nur für die Schwarzen und die Weißen,
ich meine: für die Sache. » [1]
« Wer ist der zweite Gitarrist ? », fragte nicht nur Richie
Havens 1966 im Cheetah beim Versuch, mit dem Ohr Hendrix’ Soundverschlingungen zu folgen, dem Octopus, als
den Noel Redding ihn sah und hörte, oder dem Wal, MobyDick, der überall zugleich ist, übermächtig, todgeweiht,
unnennbar, von welcher Gestalt und Farbe. « Ich dachte,
ich wäre der heißeste Gitarrist der Szene. Ich ging die
Straße rüber und sah ihn mir an. Hendrix wusste, wer ich
war, und er verbrannte mich bei lebendigem Leib. Ich holte danach nicht mal mehr meine Gitarre raus. Wasserstoffbomben explodierten, Raketen flogen durch die Luft – ich
kann den Sound gar nicht beschreiben, den er aus seinem
Instrument holte. Er fabrizierte jeden Sound, den ich je
von ihm gehört habe – nur mit einer Stratocaster, einem
Fender-Twin-Verstärker und einem Maestro Fuzz. Wie er
es machte, ist mir immer ein Geheimnis geblieben.» Mike
Bloomfield von der Butterfield Blues Band zum Guitar
Player-Magazin über die Unmöglichkeit, Hendrix als Gitarrist auf die Schliche zu kommen. Eine heutige Gitarristin,
die nicht weiß, ob sie sich überhaupt so nennen soll oder
darf in Relation zu Hendrix’ Wundertätigkeiten – Judith
Holofernes von der deutschen Gruppe Wir sind Helden –
fragt sich, hingerissen :
« Ob es nicht doch gut wäre, wenn man wüsste, was man
täte. Ob nicht das In- und Auswendigkennen des
eigenen Instrumentes in Wirklichkeit Liebe sein könnte und
nicht Wichserei. Ob ich nicht doch in der Nähe dieses
Feuers stehen wollte. […] Bis heute geht es mir so, wenn
ich Jimi Hendrix höre oder sehe. Dann denke ich:
Vielleicht sollte man doch mal rausfinden, wozu die Knöpfe
an meinem Verstärker gut sind. Und wie die Töne
auf meiner Gitarre heißen. Und wie man spielt, ohne
hinzukucken. Und immer noch bleibe ich dann doch
lieber gemütlich neben Herrn Hendrixens Feuer stehen und
wärme mir die Hände daran, ohne zu nah ranzugehen
und mir vielleicht sogar Blasen zu holen.» [2]
Oder, in einem Satz, Jeff Beck : « Hendrix tat genau, was
ich wollte. Ich konnte bloß nicht.» Ein Geheimnis bis heute, nicht zu erfassen mit einer einfachen Beschreibung
gitarristischer Techniken. Obwohl er diesen und jenen
Hinweis gegeben hat : Ich spiele eine Fender Stratocaster.
Man kann da an der Rückwand so eine kleine Klappe
abnehmen, dann kann man auf den Federn rumklopfen…
Auf diversen Konzertaufnahmen kann man das beobachten. Diese Technik stünde allerdings anderen Gitarristen
ebenso zur Verfügung. Und ist nicht alles.
Spielweisen : 1 — Hendrix drehte seine MarshallTürme stets voll auf – nicht nur eine Sache der Lautstärke,
sondern der heftigeren Rückkopplungen. Gut gesteuert
erlaubt dieses Feedback jede Sorte Heul-, Brüll- und
Gewittereffekte. 2 — Voll aufgedrehte Verstärker ermöglichen die Tongebung mit nur einer Hand, die zweite wird
frei für andere Bewegungen ( « zwei Spieler » ). 3 — Hendrix spielte auf jedem nur möglichen Teil seiner Fender
Strat und mit jedem möglichen Körperteil. Was nur Sinn
macht bei E-Gitarren mit guten Tonabnehmern – drei bei
seiner Fender –, wo jedes Hantieren mit dem Korpus der
Gitarre als kontrollierbares Geräusch im Verstärker
ankommt. Wie manche Klavierspieler schlägt er mit dem
Ellbogen in die Saiten und mit der Handfläche auf die
Rückseite des Halses für perkussive wie für Akkord-Effekte. 4 — Die « zwei Spieler » stecken noch aus einem anderen Grund in ihm. Vater Al Hendrix versuchte, Jimi dessen
Linkshändigkeit nicht nur beim Schreiben, sondern auch
an der Gitarre auszutreiben. « Er lernte sie mit links und
rechts zu spielen, weil er die Gitarre jedes Mal, wenn Dad
ins Zimmer kam, umdrehen und verkehrt herum spielen
musste, sonst hätte Dad ihn angeschrien » ( Bruder Leon ).
Das ist ein exquisites Gehirn- und Fingertraining in puncto Personenverdoppelung. [3] 5 — Er veränderte die
Klangmöglichkeiten der Gitarre, indem er Zwischenstellungen des dreistufigen Tonabnehmerschalters nutzte, um
fünf Tonabnehmerkombinationen zu haben und einen
Out-of-Phase-Effekt einsetzen zu können. Jede Verkoppelung mehrerer Tonabnehmer erweitert das Spektrum
möglicher Klänge. 6 — Das von Hendrix erwähnte Ablösen der Klappe an der Rückseite des Korpus ermöglichte
es ihm, auf die für die Saitenspannung zuständigen Federn
zu schlagen; ein Sound-Effekt vergleichbar dem, die Saiten eines Flügels mit Metall zu präparieren. 7 — Das
besondere Fingervibrato; dies ist individuell bei jedem
einzelnen Gitarrenspieler, je nach Fingerkraft und Tempo
des Druckwechsels auf der Saite. Interessant bei Hendrix
besonders im Zusammenhang mit 8 — dem Ziehen der
Saiten. Hendrix zog die Saiten oft abwärts auf dem Bund;
die meisten anderen Gitarristen nur aufwärts. Seine Fingerkraft reichte aus, auf einem E-Bass die erste Saite bis
zur untersten hinunterzuziehen. 9 — Hendrix entspannte die Saiten mit Hilfe des Vibrato-Hebels so sehr, dass sie
fast auf dem Griffbrett auflagen. Der Vibrato-Hebel wurde
dafür stark verbogen, passend gemacht für den Linkshandspieler. Auf der Gitarre war damit fast jede Amplitude des Ziehens möglich. 10 — Die von Albert King übernommene, um einen Halbton tiefer gestimmte Gitarre; sie
macht das Ziehen der Saite leichter. 11 — Beim gleichzeitigen Spielen von zwei Saiten, deren eine gezogen ist,
ergeben sich Intervalle, die die sauberen Tonleiterskalen
sprengen, Viertelton-, Achteltonabstände, wie sie in orientalischer Musik vorkommen oder von Synthesizern elektronisch erzeugt werden. 12 — Er spielt oft dieselben
Melodietöne auf zwei verschiedenen Saiten, was ihnen
Akkordcharakter gibt. 13 — Wie alle amerikanischen
Gitarristen aus der Blues- oder Jazztradition spielt er nicht
das klassische europäische Barré, sondern greift mit dem
Daumen von oben über das Griffbrett. Bestimmte Akkorde
– besonders aus dem amerikanischen Jazzrepertoire –
sind überhaupt nur so spielbar. Das Besondere bei Hendrix : Mit seinem langen Daumen konnte er nicht nur die
112
113
E-, sondern alle drei Basssaiten von oben greifen. Der
Daumen ersetzt so teilweise die Barré-Funktion, ist aber
auch frei beweglich. Hendrix bekommt die « zwei Spieler »
auf diese Weise in eine einzige Hand. 14 — Die SlideTechniken; im Prinzip amerikanisches Allgemeingut.
Besonderheit bei Hendrix : Statt eines Bottlenecks benutzt
er die Mikrofonständer, an denen er die Saiten rauf- und
runterzieht, oder er setzt die Ringe an seinen Fingern auf
den Saiten ein. 15 — Er verwendet das Feedback selbst
als « zweiten Spieler » : Ein Akkord, auf zwei oder drei Saiten gespielt, schwingt weiter als Feedback aus dem Verstärker, während er auf den anderen drei Saiten Melodietöne spielt. Kombiniert mit einigen der anderen Techniken
wird der Eindruck von manchmal « drei Spielern » nahezu
unabweislich.
Resultat all dessen ist unter anderem das auffällige
Fehlen dieser brillanten Tempoläufe bei Hendrix, die das
Spiel von Eric Clapton oder später John McLaughlin auf
so bezeichnende Weise leerlaufen lassen. Hendrix spielt
kein lineares Tempo; es ist ein Tempo innerhalb eines
Laufs, einer Phrasierung. Als würde er schneller und langsamer zugleich. Jeder Finger übt einen verschieden starken Druck auf die Saite aus, einer tippt sie nur kurz an,
einer streicht auf ihr entlang, einer drückt sie fest gegen
das Holz, dies jeweils verschieden lang. Bei den meisten
Spielern bleibt der Fingerdruck innerhalb desselben Laufs
relativ gleich; entsprechend seiner so oder so trainierten
Muskulatur, abgesehen von den absichtlich oder zwanghaft herausgehobenen Betonungen. Aus dieser Gleichmäßigkeit der charakteristisch perlende Ablauf oder
erwartbare Zäsuren an den immer gleichen Stellen bei
vielen Instrumentalisten : Töne wie Zahnreihen. Hendrix
entgeht dieser Gleichförmigkeit nicht nur durch den
gezielten Einsatz der Verstärker und Verzerrer, sondern
auch durch die differenzierte Fingertechnik, die weniger
auf « Brillanz » geht als auf intensivierten Ausdruck. All
diese Verwischungen des « sauberen » Klangs verlassen
den Ordnungsrahmen, den Normkörper westlicher Musik.
Sie richten sich, wie alles intensiv von der Norm Abweichende, verstärkt an die Affekte, gehen auf Potenzierung
der Körperlichkeit der Musik. Die Gitarre « klingt » nicht
mehr, sie heult, sie schreit. Schreie: So, wie die Saxophone bei Sun Ra sich seit den frühen sechziger Jahren heftig
« afrikanisieren », zum Modell ihrer Tongebung die menschliche Stimme nehmen, den Schrei, wie das animalische
Kreischen, das Krächzen und Jubilieren der Vogelstimmen, aber auch « Naturgeräusche » wie das Rascheln
und Wispern des Schilfrohrs im Wind, passieren die
Hendrix’schen Gitarrenschreie und Geräuschcollagen in
einem nicht mehr Soul-amerikanischen Ambiente. Hendrix’ Klänge transzendieren das Soul-Universum. Nur hat
er selber weniger « Afrika » dazu gesagt als vielmehr
« Space ». Sich selber in einer anderen Galaxie verankernd
statt in einem andern ( historischen ) Kontinent. Ich möchte der erste Mensch sein, der über die Blues-Szene auf der
Venus berichtet – im New Musical Express, Januar 1967.
Sein berühmtes I’m from Mars berührt sich exakt mit Sun
Ras « I’m from Saturn ». Beide Wesen from outer space.
Das sind überhaupt keine Science-Fiction-Spielereien bei
diesen Musik-Autoren, es sind Wortversuche für neue, für
unerhörte Klänge, die sie hervorzuzaubern suchen aus
ihren Instrumenten und Experience-Gruppen, seien es
Hendrix’ Trio oder Sun Ras Riesen-Orchester, die er figurieren ließ unter bald fünfzig verschiedenen intergalaktischen Namen. Jederzeit war zu unterstreichen, hier steht
nicht die Sun-Ra-Band von gestern auf der Bühne, auch
nicht die von jeweils heute, sondern die mit dem Klang
von morgen; ein Klang, dem Hendrix unauf hörlich auf der
Spur war. Textlich gespickt mit Weltraum-Witzen : Einsteigen in den Milchstraßen-Express! « No throwing cigarette-butts out the window. Thank you, thank you. I hope
all of you got your toothbrush, yeah. Now to the right
you’ll see Saturn. Out of sight, really out of sight. And if
you look to the left you will see Mars, yeah okay, yeah okay.
I hope you brought your parachutes with you. » [4]
[…]
Gleichzeitigkeiten : mehrere Instrumente zugleich spielen;
in derselben Phrasierung gleichzeitig schneller und langsamer werden. Genauso gegenrhythmisch arbeitet der
menschliche Körper in seinen verschiedenen Funktionen :
Atmung, Stoffwechsel, Herz, Blut, Motorik, Denken.
« Hendrix was a body building guitar player », fand, angeturnt, Gitarrist Ralph Towner. [5] Entsprechend spürte
Miles Davis, dass sein Spiel in den Bitches Brew-Sessions
( 1969 ) sich dem annäherte, was die Experience vorgab.
Miles elektrifiziert seinen Trompetensound – von dem
nicht nur er immer schon gefunden hatte, er hätte etwas
Gitarristisches – und umgibt sich mit drei E-Pianos,
E-Gitarre und E-Bass. Sein Anlauf, Rock und Jazz zu verkoppeln, macht Geschichte unter dem Namen « Fusion ».
Ein missverständlicher Name. Musikalisch geht es um
etwas anderes; geht es um « die wenigen Ausnahmen, wo
Jazz und Pop in einem passieren », wie Diedrich Diederichsen schreibt; und zu denen zählt er Hendrix. [6] Elektronisierungen: Es sind Gerätebauer, Elektroingenieure,
Bastler, die das liegengelassene Weltkriegs- und das neuentwickelte Weltrauminstrumentarium für musikalische
Ausdruckszwecke nutzen und so weiterentwickeln, dass
Klanggeräte herauskommen. Klangmaschinen, auf die
Musiker, die das übliche Blues-, Soul-, Bop- und RockRepertoire hinter sich lassen wollen, nur so fliegen. So
wie Sun Ra – unerhörterweise und zum Entsetzen der
amerikanischen Jazzwelt – sein Ellington’sches Piano
durch einen Moog-Synthesizer ersetzt, auf dem er in Konzerten gut zwanzigminütige Soloeinlagen hinlegt – « I’m
from Saturn! » Und mit einem Mal klingt er auch so. Zu
seiner Herkunft gab er an, er sei von Außerirdischen auf
einer Parkbank in Birmingham, Alabama, abgesetzt worden. Ein Birmingham, dessen Musikszene Sun Ra ganz
ähnlich beschreibt wie Hendrix sein Seattle : Brutstätte
schwarzer überirdischer Musiker. [7] Was heißt : Die
Hendrix’schen Spieltechniken allein hätten es nicht
gemacht; sie hätten einen Gitarrenvirtuosen ergeben;
einen weiteren Eric Clapton, plus / minus. Hendrix ist eine
andere Figur. Er macht einen anderen Gebrauch von
diesen Geräten. Sie sind ihm nicht nur Verstärker seiner
Gitarre, sondern Amplifier des Wunsches nach einer
anderen Galaxie; Verstärker seiner Ausbruchssehnsucht,
Raumschiffe zu einer anderen Körperbasis, von der aus
die Electric Skies zu erreichen sind. Jener Himmel, in dem
sich alles wiederfinden lassen würde, was einmal da war
oder vielmehr nicht so da war, wie es hätte sein sollen.
Wiederfinden lassen als Sound.
[…]
Paradoxien wilden Wünschens : Wiederhaben, was man
nie gehabt hat. So etwas liegt im Bereich der Versprechen
des Electric Sky. Wobei der fleischliche Körper der derart
ins All sich Erhebenden größte Schwierigkeiten hat, zu
entscheiden, auf welchen Wegen er dahin gelangen soll;
auf den Schwingungen der neuen Sounds, auf den Schwingen der körperlichen Liebe oder den Vibrations bestimmter Drogen, die im Jahr 1967 bewusstseinsverändernde
heißen. Wo ist der Ort für Electric Love plus richtige Droge ? – die Formel, die sich ergibt aus Are You Experienced,
der ersten LP des Londoner Hendrix-Trios: Ich weiß, was
ich will, aber nicht, wo ich’s kriege [8] – « Manic Depression ». « But first, are you experienced ? » Die erweiterte Frage « Or have you ever been experienced ? » justiert den
Blick genauer auf die Frage nach dem weiteren Umgang
mit der ursprünglichen Drogenerfahrung, Frage nach der
Kombination der Drogen, nach ihrer Dosierung. Es handelt sich immer um die Frage nach der richtigen Droge
beim Betrachten der Funktionsweisen eines Sozialkörpers.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich der Droge
Blutrausch, Rassismus, Auslöschung « Anderer » verschrieben; politische Namen: Faschismus, Stalinismus. Zentrum
Deutschland und Russland, die Sowjetunion – zwei Verlierernationen von World War One. Wiederhaben wollen,
was man nie hatte: den Sieg im Weltkrieg. Alles ausrotten,
was sich in den Weg stellte; egal ob « äußerer » oder « innerer » Feind. Daseinsform : Orgie. Das Töten als Droge. Ein
Hit auch in anderen Kulturen. Die Zentraldroge der Sechziger – Music Is the Healing Force of the Universe – verschob die politische Szenerie komplett. Resultat war eine
Generation, von der nicht primär Tötungen verlangt waren
und die auch nicht danach verlangte. Die daher entschieden rebellierte, als Uncle Sam doch noch mit dieser Nötigung hervorkam : Vietnam. Die Power für die Verweigerung kam aus neuen Technologien. Technologien, die
sonst für Kriegszwecke entwickelt und eingesetzt werden.
Die rapide Elektrifizierung der Musik ist weniger, wie
Friedrich Kittler gern anmerkt, Missbrauch von Militärgerät; sie ist sein für den Moment gelingendes Kidnapping;
zur dauerhaften Enteignung hat es nicht gereicht. Aber
der entscheidende Schritt von der Blues- und Soul-Welt
zur neuen Galaxie der Rock Music liegt in den neuen Verstärkern; liegt in der potenzierten Elektrifizierung. So was
in der Richtung hatte zwar schon Lenin geschwant bei
seiner despotischeren Revolution fünfzig Jahre zuvor :
Kommunismus sei Sowjetmacht plus Elektrifizierung; das
hatte aber nicht geklappt, « zu früh », zu gewalttätig. Der
« Kampf ums Teewasser » wurde verloren; es reichte nur
für neue Waffen und Unterdrückungstechnologien. Jetzt,
in den Sechzigern, fand die elektrische Verstärkung ihr
angemessenes, ihr Erfüllungsobjekt. Soundgeräte. Oder
auch die richtige Religion. Heißes Teewasser plus, in Hendrix’ Worten, Electric Church. Gesprochen ohne Berührungsangst mit der Gospel Church des alten schwarzen
Amerika oder sonst welchen Christlichkeiten irgendwo
auf der Welt. Die waren nicht gemeint; längst hinter sich
gelassen in den Electric Skies.
Electric Amplifiers – ein komprimierter Überblick :
Vor der Experience benutzte Hendrix einen marktüblichen
Fender Twin Reverb mit eingebautem Hall und Vibrato.
Für die US-Tournee 1968 bekam die Gruppe neuentwickelte Fender Dual Showman. Unbefriedigt vom zu klaren
Sound und der zu schwachen Leistung dieser populären
Verstärker stieg Hendrix sukzessive um auf MarshallEquipment. Jim Marshall entwickelte seit 1965 100-WattVerstärker ( zuerst für Pete Townshend und John Entwistle von The Who ) mit zwei 4 x 12-Zoll-Lautsprecherboxen,
die meist zu einem « Full Stack » übereinandergestapelt
wurden. Sie lieferten einen stärker verzerrten, kräftigeren
Sound als die Fender-Verstärker. Bei Live-Auftritten verwendete Hendrix bis zu drei dieser Stacks. Für die meisten Aufnahmen im Electric-Lady-Studio wurde aber weiterhin der Fender Twin Reverb benutzt, ergänzt von einem
Marshall-Turm. Gesteigert wurde die elektrische Liebe mit
verschiedenen Geräten zur Tonmodulation. Im Wechsel
vier Verzerrer : das Arbiter Fuzz Face und das Maestro
Fuzz ( nur live ), das Axis Fuzz ( in den Olympic Studios
und mit der Band of Gypsys ), das Mosrite Fuzz ( nur im
Studio, 1969 / 70 ). Hinzu kam ein Vox-Wah-Wah ( die ersten Wah-Wah-Effekte – in « I Don’t Live Today » – wurden
aber im Studio auf dem Band erzeugt, ohne Wah-WahPedal ). Weiterhin das Uni-Vibe, ein Effektgerät, das den
Klang der rotierenden Lautsprecher von Leslie-Orgelboxen simulieren soll; es schafft einen « wirbelnden » Sound,
den Hendrix seit Woodstock gern live einsetzte und der
bei « Machine Gun » zu hören ist. Und schließlich der Frequenzverdoppler Octavia. Dieses Gerät fügt der jeweiligen
Phrasierung die obere Oktave hinzu, multipliziert sämtliche Obertöne und erzeugt so einen Effekt wie ein mehrfaches Spiegelbild des ursprünglichen Sounds. Der erste mit
Octavia aufgenommene Titel ist « Purple Haze ». Bei LiveAuftritten wurde immer ein Effekt-Board zwischen Gitarre und Verstärker geschaltet. Das Ausgangssignal der
Gitarre ging in das Vox-Wah-Wah, dahinter waren in der
Regel das Octavia, das Arbiter Fuzz Face und das Uni-Vibe
geschaltet; letztes Glied der Kette waren die Marshall-Türme. Während der US-Tournee 1969 deponierte man vier
dieser Anlagen an verschiedenen « strategisch » günstig
gelegenen Orten in den Vereinigten Staaten. Ergänzt wurden die Marshalls gelegentlich von einem 100-Watt-SoundCity-Turm; besonders bei den Aufnahmen zu Axis: Bold as
Love. Für eine kurze Zeit Anfang 1968 experimentierte die
Gruppe mit Equipment des amerikanischen Herstellers
Sunn, das viel versprach, aber wenig halten konnte; es
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hieß immer wieder Back to Marshall, aber das Experimentieren hörte nicht auf. [9] Im Februar 1969 in der Royal
Albert Hall und beim Isle of Wight Festival im August
1970 stehen auch Säulenboxen der britischen Firma WEM
auf der Bühne. [10] Ein Fehler all dieser Verstärker : Sie
sind schlecht abgeschirmt und funktionieren auch als
Rundfunkempfänger. Zwischen den Songs werden Musiker und Zuhörer deshalb manchmal von Radiogedudel
genervt.
Der Satz eines Ingenieurs von Sunn, Hendrix würde
mehr auf dem Amp spielen als auf der Gitarre, ist so überzogen wie richtig : Er feiert Hendrix angemessen als Pionier des bewussten Einsatzes des Equipments. Der Eindruck seiner Musikerkollegen, da würden ( mindestens )
zwei Gitarristen am Werk sein, beruht in erster Linie auf
Hendrix’ Erfindungen als Verstärker-Zauberer. Tontechniker erzählen, Hendrix habe, wenn sie mit neuen Schaltungen experimentierten, ausgerufen : Stopp! Das ist es!
Genau den Sound hab ich im Traum gehört! Er dachte
nicht nur musikalische Geräusche, er träumte auch Sounds
und wollte sie im Studio verwirklichen. Wir wissen von
Komponisten, dass sie eine genaue Vorstellung von Klangabläufen im Kopf haben, bevor sie sie in Noten fixieren.
Hendrix, der weder Noten schrieb noch las, fügt diesen
Fähigkeiten die neue des geträumten Vorwegnehmens
elektronisch erzeugbarer Geräusche hinzu – die er dann
im Studio mit den Technikern auch findet; eine neue
Kompositionsqualität. Aus der Army, sechsundzwanzig
Absprünge mit dem Fallschirm, hatte der durch die Luft
sausende Gitarrist die Absicht mitgebracht, so klingen zu
wollen wie der Wind in den Ohren beim Sprung aus dem
Flugzeug… « den Wind spielen wollen »… von Orpheus
bis Wagner… Nono, Rihm, Ligeti … jemand « windiger »
als Hendrix ? Gleichzeitig mit den Studioexperimenten der
Beatles zu Sgt. Pepper « entdeckt » Hendrix im Studio die
Möglichkeiten der Geräuscherzeugung ( « Winde » ) durch
Tricks mit dem Magnetband, Rückwärts-Abspielen von
Bändern, Rückwärts-Einspielungen von Gitarrensoli mit
dem charakteristischen Rauschhintergrund, Veränderung
der Bandgeschwindigkeit plus Automatic Double Tracking,
was Phasenverschiebungen zur Folge hat. Erzeugen einer
Art « Telefonstimme » mit dem Pultec-Filter. Der Panorama-Regler am Mischpult ( Panning ) lässt den Ton zwischen den Lautsprechern wandern. Und beim Direct Inject
geht der Ton direkt ins Mischpult und kann mit dem über
Mikrofon aufgenommenen gemischt werden – eine ganze
Reihe weiterer Zutrittstore zum Universum ungehörter
Sounds. Sie werden in London ab 1967 gleichzeitig in den
Olympic Studios, bei EMI und im Abbey Road Studio entwickelt. Wie die Beatles in Toningenieur George Martin
findet Hendrix in Eddie Kramer den kongenialen Studiotechniker und in George Chkiantz den tüftelnden technischen Bastler.
ihrem natürlichen Zustand zurückfinden, der einfach nur
positiv ist – wie in der Kindheit, wo man noch auf natürliche Weise high wird; wenn du die Leute an ihrem
schwächsten Punkt erwischst, dann kannst du ihnen
das, was wir sagen wollen, ins Unterbewusste predigen.
Deshalb taucht auch immer wieder der Begriff « Electric
Church » auf… Ein Musiker, der wirklich was zu sagen
hat, ist wie ein Kind, das von seiner Umwelt noch nicht
allzu sehr beeinflusst ist, das noch nicht allzu viele Fingerabdrücke auf seinem Gehirn hat – who hasn’t had too
many fingerprints across his brain. Darum ist Musik so
viel intensiver als alles andere, was du fühlst. [11]
[…]
Immer, wo Hendrix in Musik denkt, fallen ihm Formulierungen zu wie « preaching into the subconscious ». Man
musste kein Freud-Leser sein in den Sechzigern, nur ein
aufmerksamer Guitar and Song Man, um zu sehen, zu
hören und zu fühlen, wohin die Musiken bei den Empfängern sich richten, um lässig vom Unbewussten seiner
Zuhörer zu sprechen. Hendrix hat gesehen, wie seine
Musik sich direkt dorthin wandte. ( Man kann ja all die
Groupies aller Farben und Völker nicht einfach zu Nutten
erklären.) « Have You Ever Been ( To Electric Ladyland ) » –
Warst du jemals da, warst du jemals in Electric Ladyland,
der magische Teppich erwartet dich, komm nicht zu spät.
Ich will dir alle Gefühle zeigen, mit dir durch Klänge und
Bewegungen gleiten, die elektrische Frau erwartet dich
und mich. Das vierfache make love am Ende der Strophe
ist mehrfach bezogen : einmal auf you = uns alle; zweimal
auf die elektrische Frau ( Gitarre ); einmal auf das Mädchen, das mitfliegen soll über die love-filled sea : Ich will
dir zeigen, wie Engel ihre Flügel spreizen, ich möcht’ es
dir zeigen, Gut und Böse liegen Seite an Seite wenn elektrische Liebe den Himmel durchbohrt. Ich möcht’ es dir
zeigen. Ich möcht’ es dir zeigen.
Musiker wie Musikphysiologen betonen immer wieder die materielle Realität von Schallwellen, die verändernd in menschliche Körperzellen ( die ja auch Schwingung sind ) einwirken. Robert Jourdain, Gehirnforscher
und Musiktheoretiker aus New York, hält es für bewiesen,
dass musikalische Reize nicht nur im Gehirn abgespeichert werden, sondern primär in der Körpermuskulatur.
Der Körper speichert. Der Psychoanalytiker und Jazzpianist Steven Knoblauch beobachtet, wie die Musikalität der
Stimmen, Rhythmus und Tonhöhen des Sprechens in
einer Psychoanalyse deren Verlauf bestimmen. Ein Drittes
bildet sich im Raum aus der Verflechtung der beteiligten
Stimmen. Der amerikanische Analytiker Thomas Ogden
spricht bündig vom « analytischen Dritten » – « ein drittes
Subjekt mit einem Eigenleben, vom analytischen Paar
gemeinsam geschaffen » –, das nicht weniger ist als das
Subjekt der Analyse. Träume während der Analyse sollten
[…]
wir « nicht mehr ausschließlich als eigene verstehen »; vielmehr als « Träume des gemeinsam, aber asymmetrisch
Denken in Musik. Hendrix : Mit Musik kann ich alles besser konstruierten Dritten ». [12] Diesen « unsichtbaren Dritten »
erklären. Du hypnotisierst die Leute, bis sie wieder zu behandelt Ogden wie eine reale Person. Ein dritter Körper
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entsteht auch da, wo die Schallwellen eines Lautsprechers
mit den entgegenströmenden Wellen der eigenen Körperlichkeit intensiv zusammenstoßen und sich verbinden zu
einer neuen Materialität im Raum. Dritter Körper oder,
etwas weniger spektakulär formuliert, ein « Schwingungsobjekt », nicht unähnlich dem, was D. W. Winnicott « Übergangsobjekte » genannt hat. Die Wahrnehmung eines tragenden Mediums im Raum, in dem die « Wellen », die zwei
Personen aussenden, sich treffen und vereinigen, « ohne
zu Boden zu stürzen », hat tatsächlich zuerst Winnicott für
die psychoanalytische Situation beschrieben. Bei ihm ist
es ein Patient, ein Ingenieur, der das Gefühl hat, er rolle
von der Couch, stürze aber nicht, da sein Körper im Raum
umgeben und getragen wird von einem Medium, für das
er das Bild fand : wie die Kugeln im Öl eines Kugellagers.
Bei Hendrix-Platten, besonders wenn sie noch ganz frisch
für einen sind, findet man sich getragen nicht im Öl von
Kugellagern, aber schwebend auf elektromagnetischen
Schwingen; die Musik laut aufgedreht, man selbst tanzt
oder liegt, und ein « Etwas » ( was religiösere Leute « die
Seele » nennen ) wandert aus dem eigenen Körper aus und
trifft sich im Raum mit Hendrix’ Space Ships zu etwas
Neuem, Drittem; daraus das plötzliche Gefühl einer
Körperveränderung. Teilantwort auf die Frage « wie man
wächst », psychisch wächst, emotional wächst; eine Frage,
auf die der Club der Großdenker nichts zu antworten weiß
( wenn sie dort die Frage überhaupt kennen ).
Freud immerhin schlug den Wahnzustand des Verliebtseins vor; es braucht einen Wahnsinn, eine Trance,
einen Rausch, eine Über-Idealisierung des Anderen, um
« sich », den alten, eingefleischten Körper, so weit zu « vergessen » oder zu verlassen, dass er fähig wird zur Transformation. Bei Hendrix Transformation durch Trance & Transistoren. Nach Ogden gleicht sich strukturell, was zwischen
ihm und einem Gedicht von Robert Frost oder zwischen
ihm und Patienten in der Analyse abläuft. « Das Gedicht
erzeugt ebenso wie die analytische Sitzung starke Resonanzen von Klang und Bedeutung. » In beiden Fällen entsteht
ein « Zwischenreich der Resonanzen ». Dies nennt er « das
Lebensblut aller Kunst ». Wie das Lebensblut glückender
Analysen. Beide erzeugen zwischen den Beteiligten tranceartig das « dritte Subjekt ». « Dritter Körper » entstünde somit
in allen Fällen, wo die Akteure über sich hinauswollen, aus
sich herauswollen, auf eine Ebene neuer Erfahrungen,
wofür sie ein Vehikel brauchen : dies Schwingungsobjekt,
dessen Real-Werden im Metamorphose-Raum neuer Sounds
eine notwendig transgressive Tätigkeit ist; keine regressive,
wie es ängstlichen Deutern gern erscheint. Bernd Matheja,
auf der Suche nach Wörtern, die den Sound von Hendrix’
« Burning of the Midnight Lamp » angemessen beschreiben,
fand ein Wort zu Hendrix’ eingreifenden Tönen: Nervenabrieb, sagt er, würden sie erzeugen. [13] Hendrix’ Fender
Stratocaster als Radiergummi, der abgestorbene Reste von
seinem / unserem Nervenkostüm abrubbelt. Bon. Notwendig
für solchen aufbauenden Nervenabrieb ist ein Überfluss in
den Musiken, eine Verschwendung, ein Überströmen ihrer
Energien und Klangfelder.
[…]
1 Harry Shapiro / Caesar Glebbeek, Jimi
Hendrix – Electric Gypsy. Die Biographie, Köln
1993, S. 481.
2 Joachim Köhler, « Jimi Hendrix », in :
Stern Spezial Biografie, 3, 2005, S. 10 – 41, hier
S. 41.
3 Vater Al ließ auf Hendrix’ Grabstein eine
Gitarre gravieren, eine für Rechtshänder, versteht
sich.
4 Aus « Stars That Play with Laughing
Sam’s Dice » aus dem Album Smash Hits ( 1968 ).
5 Christoph Dieckmann, « Das wirklich
kulturvolle Gegenwartsschaffen progressiver
Kräfte im Kapitalismus. Hendrix-Fan in der
DDR », in : Frank Schäfer ( Hg.), A Tribute To
Jimi Hendrix, Berlin 2002, S. 179– 187, hier
S. 184.
6 Diedrich Diederichsen, 2000 Schallplatten 1977–1999, Höfen 2000, S. 73.
7 Vgl. John F. Szwed, Space Is the Place.
The Lives and Times of Sun Ra, New York 1998.
8 « Don’t know what I want, but I know
how to get it », haben die Sex Pistols in Anarchy
in the U.K. ( 1976er Single ) punkistisch darauf
geantwortet.
9 Entsprechend die Gitarrenwechsel.
Außer der Stratocaster : Höfner Club 40, Gretsch
Corvette, Epiphone Acoustic, Gibson Flying V
1967, Fender Jaguar, Zamaitis 1960, Fender
Jazzmaster, Goya 1968, Gibson Les Paul, Guild
SF-V Starfire Deluxe, Gibson SG Custom Type 2,
Gibson Flying V 1970 ( eigens für ihn gebaut );
aber noch viele weitere. In New York bei
Manny’s Musical Instruments, 48th Street, kaufte
Hendrix große Mengen Gitarren, « von einer
Rickenbacker über eine Firebird und eine
elektrische Dobro von Mosrite bis hin zu einer
Guild und einer akustischen Martin mit
Perlmutt-Einlagen ». Gab oft Gitarren weiter.
Henry Goldrich von Manny’s : « Ich sah Kids mit
Gitarren in den Laden kommen, die ich Jimi
eine Woche vorher verkauft hatte. Wenn er so
einen jungen Typen mochte, gab er ihm seine
Gitarre, nagelneu. » Shapiro / Glebbeek, Jimi
Hendrix ( wie Anm. 1 ), S. 680.
10 Welche Röhren-Fabrikate sich in den
jeweiligen Modellen befanden, kann der
interessierte Technik-Freak nachlesen bei Harry
Shapiro und Caesar Glebbeek, deren detaillierter
777-Seiten-Biographie Jimi Hendrix – Electric
Gypsy wir hier weder Konkurrenz machen
können noch wollen.
11 Victor Sampson, Hendrix. An Illustrated
Biography, New York 1984, S. 74.
12 Thomas Ogden, Gespräche im
Zwischenreich des Träumens. Der analytische
Dritte in Träumen, Dichtung und analytischer
Literatur, Gießen 2004, S. 17, 19, 26, 96.
13 Bernd Matheja, « Späte Erleuchtung
oder : ‹The Burning Of The Midnight Lamp› », in :
Schäfer, Jimi Hendrix ( wie Anm. 5 ), Berlin
2002, S. 83–85, hier S. 85.
« Dritte Körper » entstehen auch beim Spielen zwischen
Musikern; zwischen Lehrer und Schüler beim Unterricht,
wenn’s zwischen ihnen « klappt »; wie auch beim Anhören
von Musik zwischen den Hörenden, zu zweit oder in der
Konzertmasse. Regel : Wie man etwas hört, verändert sich,
wenn man mit anderen zusammen hört ( brauchbar auch
als Test für die Gruppenfähigkeit der Einzelnen ). Man
hört eine Platte allein und findet sie passabel oder sogar
super; man hört sie mit anderen, deren Hören man schätzt,
zu zweit, zu dritt, und die Platte bricht zusammen; oder
auch umgekehrt, mit einem Mal ist sie groß. Als hätte man
« einen neuen Satz Ohren bekommen », wie Jann Wenner
das Phänomen benannt hat. Bei Hendrix hängt der Eintritt der Körperverwandlung entscheidender als bei anderen Musikern von der akustischen Dosis ab. Erst oberhalb
einer bestimmten Schwelle « fasst er dich an ». Anders als
die Beatles, deren Art Schwingungen man bei mittlerer
Zimmertemperatur aufnehmen kann. Die Dinge ins
Schwingen zu bringen, den eigenen Körper, den Raum,
das Space Ship, dafür ist ein hoher Pegel erforderlich, viel
Höhen, viel Bässe; sonst kommt nicht, was da kommen
kann. Wenn es kommt, ist es unabweisbar; eine Kraft, die
berührt, den Körper hochhebt, schwindeln lässt; den Körper sich selbst transzendieren lässt zum dritten Körper
hin, der ein ganz und gar unkriegerischer ist.
Was so viele am Anfang des Hendrix-Hörens als « Brutalität » empfanden, entpuppt sich als Wärme, als tragendes
Medium im Raum sowie als Umschmelzkraft. Hendrix ist
eine der Kräfte, die in der Lage sind, das, was man einen
« dynamisierten Tötungsunwillen » nennen könnte, bei Leuten, die sich auf ihn einlassen, zu erzeugen oder zu verstärken. Eine riesenhafte Anti-Zerstörungskraft, die an Körperumbauten bastelt und diese Kraft leichter Hand, wirklich
leichter Hand, unter die Leute wirft. Etwas, das Liebende
können, Mütter manchmal, und Kunst, die Geräte der
Electric Love. Sie erschließen nicht nur musikalisch Neuland, sie setzen, ebenfalls mit leichter Hand und beinah
absichtslos, alles außer Kraft, was bis in die sechziger Jahre
des 20. Jahrhunderts nach einigermaßen geteilter ( verlogener ) Übereinkunft in der westlichen Welt als « Moral » galt.
Hendrix formuliert das präzise; präziser, als es Nietzsche
möglich war, behindert und gefangen in den Netzen wortgebundener Philosophie: Gut und Böse liegen Seite an Seite, während elektrische Liebe den Himmel durchbohrt…
ist dies Liebe oder nur Konfusion… is it tomorrow or just
the end of time… sind das Sterne da im Himmel, oder regnet es weit von jetzt… oh mein Kopf dreht sich, round and
round and round and round…
« Sterne » und « Himmel » waren früher etwas « da
oben » und Metaphern für Symbolisches. Bei Hendrix sind
sie Bezeichnungen für Körperteile, Körperzustände. Die
Welt ist geschrumpft, die Körper erweiterten sich unterm
Bohrgeräusch der elektrischen Liebe. Die mindestens
zwei Körper, die Hendrix in seiner Musik erzeugt auf seinem Space Ship Stratocaster, um sie dem Hörer entgegenzuschicken, um aus dieser Doppelung und dem Körper des
Hörers einen dritten Körper zu bilden, treiben nicht nur
seinen Sound um, sie geistern auch durch das Gesagte.
Und lösen nebenbei ein Hauptproblem der philosophischen Moderne : den Streit um die Konstitution des modernen « Subjekts ». Hendrix’ Musik wie Texte antworten bündig, dass es dieses als ein isoliertes Einzelnes, als « Ich »,
nicht gibt. Die Musik wie die Texte führen das neue Individuum vor als Wesen ohne klare körperliche wie psychische Grenzen, in affektiven Vermischungszuständen; und
zwar so niedrig ansetzend wie möglich im Bild des jelly
fish, der Qualle. Wahnsinnig schön, so herumzutreiben,
sogar eine Qualle wird dir das erzählen. Ich sagte, in der
Strömung liegen ist groovy und leicht, sogar eine Qualle
fängt da was mit an. Ja, die Quallen treiben lässig und
schon lange, Gott – der hat auch keine Knochenstange in
seinem Quallenrücken drin. In den Strömen treiben, jede
Nacht, auf den Wellen, high, dann wieder ruh’n. ( Gut,
manchmal ist der Wind nicht richtig. ) [14] Solche Texte
zeigen Hendrix mehr als jeden anderen Rockmusiker als
Aufzeichner von körperlichen Aggregatzuständen, ihren
Wechseln, Schmelz-, Kondensations-, Sublimierungstemperaturen: Purpurschleier in meinem Hirn… müssen da all
diese Farben sein, ohne Namen, ohne Sounds… ja ich fließe
durch flüssige Gärten und Arizonas roten Sand… mein
Regenbogen ruft mich durch den Schleierdunst meines
Wasserfalls… mein Kopf ist schwindlig, dreht sich… du
bringst mich zum Fließen, immer aufwärts, in Kreisen…
[…]
Für die Darstellung des Wechsels körperlicher Aggregatzustände, die beschwörende Wahrnehmung ungekannter
Gefühlsräume, ist in Hendrix’ Sprache der Einsatz von
geballtem Weltraumvokabular nicht weniger wichtig als
die Beschwörung der elektrischen Klangwelten. Gitarre
und der eigene Körper stehen gleichermaßen unter Strom.
So ist das « Wachstum » der ersten Nachkriegsgenerationen bei uns, weg von ringsum verordneter Deutsch-Norm,
musikalisch dirigiert und befeuert gewesen von Aliens.
Den uniformierten Aliens von der anderen Seite des
Teichs, die sich glücklich eingenistet hatten in unseren
Radio-Sphären. In ihren Stimmen im Äther auf AFN oder
BFBS nicht als Uniformierte zu erkennen. Stimmen auf
Engelsf lügeln, die Englisch sprachen, logisch; nichts
weniger als Götterboten. Denen Hendrix seine Reverenz
erweist am Anfang seines letzten Albums mit der Experience : in den vier kosmischen Donnerschlägen am Anfang
von « Electric Ladyland », gefolgt von Sphärenrauschen und
Äthersalat, Tonband rückwärts und der eigenen verlangsamten Stimme; in dem elektronischen EinundachtzigSekunden-Intro unter dem Titel « And the Gods Made
Love ». Fünf Wörter, die genauer nicht sein könnten. Vier
Donnerschläge aus dem Äther, die Straußens ZarathustraPauken ablösen, mit denen noch Elvis, Jimis früherer Körpergott, seine Auftritte einläutete in Las Vegas. Sie werden
ersetzt durch die Götter-Liebe der Electric Skies. [15]
[…]
118
119
Die Frage : « But first, are you experienced », präzise und
etwas drängender fortgesetzt mit : « Or have you ever been
experienced », enthüllt sich schließlich als Frage nach den
Körperorten. Die Orte, an denen man war im Leben; die
der Hörer, die du / ich experienced haben, von denen man
etwas mitgenommen und beibehalten hat. Nicht nur als
Frage nach dem Stand der eigenen Drogenerfahrung,
beziehungsweise war genau dies die Frage nach der Drogenerfahrung : Wo bist du gewesen ( during your lifetime )
und : Was hast du aufgenommen dabei. Welche Töne
welcher Orte ( nicht nur die Pillen ). Töne heißt : Körper,
Lebensf luss. This is our drug store. Dem Medienguru
Vilém Flusser haben seine hochentwickelten Fühler für
alle Vorgänge zwischen Menschen und Medien Formulierungen zur Musik eingegeben, die die meisten Musiktheoretiker so staunen lassen müssten, wie das Spiel von Hendrix seine gitarristischen Kollegen staunen ließ. Beim
Hören von Musik, sagt Flusser, gleiche sich der Körper
der empfangenen Botschaft an. Sein kleiner Text Die Geste des Musikhörens notiert : « Der menschliche Körper ist
für Schallwellen permeabel, und zwar so, dass ihn diese
Wellen in Schwingungen versetzen, dass sie ihn ergreifen.
Zwar gibt es im Körper spezifische Hörorgane, welche die
akustischen Schwingungen in andere, zum Beispiel elektromagnetische Schwingungen übertragen, aber Musik
bringt nicht nur den Hörnerv, sondern den ganzen Körper
zum Schwingen. […] Der Musikhörende konzentriert sich
eigentlich gar nicht, sondern er konzentriert die ankommenden Schallwellen ins Innere seines Körpers. Das
bedeutet : Beim Musikhören wird der Körper Musik, und
die Musik wird Körper.» [16] Eine wechselseitige Transformation also, mit dem Ergebnis eines Verwandlungs-Wunders : « Da der Hörende beim Hören selbst die gehörte
Musik ist, da sein ‹Selbst› die Musik ist, heißt, sich der
Musik anpassen, eben selbst Musik zu werden.» Was nicht
weniger heißt, als dass man beim Aufnehmen der Töne
des Electric Sky selbst Teil dieses Himmels würde. Erlebnisse, die laut Flusser zeigen, dass Worte wie « Geist »,
« Seele » oder « Intellekt » tatsächlich körperliche Prozesse
benennen; beim Musikhören ganz greifbar, « weil die akustischen Schwingungen die Körperhaut nicht nur durchdringen, sondern sie dabei zum Mitschwingen bringen.
Die Haut, jenes Niemandsland zwischen Mensch und
Welt, wird dadurch aus Grenze zu Verbindung. Beim
Musikhören fällt die Trennung zwischen Mensch und
Welt, der Mensch überwindet seine Haut, oder umgekehrt, die Haut überwindet ihren Menschen. Die mathematische Schwingung der Haut beim Musikhören, die sich
dann auf die Eingeweide, aufs ‹Innere› überträgt, ist ‹Ekstase›, ist das ‹mystische Erlebnis›.» [17]
Damit hat Flusser das Wort aus dem Ärmel geschüttelt, um das der Musiktheoretiker und Hirnforscher Robert
Jourdain sein Buch Music, the Brain, and Ecstasy gebaut
hat : Ekstase. Das Ziehen der Saite auf der Gitarre erleben
wir als Ziehen der Haut, die bei Flusser nichts anderes tut,
als ihren Menschen zu « überwinden », ihn aus sich herauswachsen zu lassen und sich mit der Musik zu durchdringen : Näher ist noch keine Beschreibung dem gekommen,
was hier der « dritte Körper » heißt. Und keine Musik kam
der Erzeugung dieses dritten Körpers im Raum näher als
die flying saucers von Jimi Hendrix. Hendrix « hört » ( mit
der Haut ) die « Musik » der Götter vom Mars und verstärkt
sie. [18] Näher kommt auch keine Beschreibung dem Kern
der Angst, die in diesen Prozessen bei labileren Menschen
entsteht : Sie lösen tatsächlich Körpergrenzen auf, öffnen
Abgründe. Über denen es immer heißt : « Are you experienced ? » ( « Hast du denn überhaupt ’n Schimmer, Baby ? » )
Auf die Frage, ob und wie solche Vorgänge zur bleibenden
Veränderung von Körper- und Hirnstrukturen führen, gibt
es noch keine exakten Antworten. Aber auf die Frage :
« Was unterscheidet unsere Körper eigentlich von denen
der Eltern ? » Von einem Lehrer-Freund, Hendrix-Jahrgang,
kommt ohne Zögern die Antwort : Jazz & Rock; dass wir
die nicht nur kennen, sondern haben. Wie eine Krankheit,
oder deren Heilung. Uns scheint – wenn wir die digitalisierte Raumauffassung der jetzt Jungen ansehen, ihr verschwindendes Bewusstsein von einer linearen Geschichte,
ihre Einbettung in Elektronisches –, dass hier nicht einfach nur Negativ-Befunde angebracht sind, sondern die
Erwägung, dass « das Verschwindende » bei ihnen ersetzt
worden sein könnte und weiter ersetzt wird durch die
Abspeicherung weitgefächerter Musikfelder in einem
wachsenden Anteil von Übergangs-Häuten mit vielen
Übergangserfahrungen, die an neue Synapsenverschaltungen im Hirn zurücksenden, was sie einst als akustische
Wellen empfangen haben : übers Ohr, übers Gehirn, über
die Haut, im schubweisen Herauswachsen aus der eigenen
Haut; Wachstumsprozesse, die der jeweils älteren Generation gern als « Rückschritte » erscheinen. Für die nach 1940
Geborenen ist Hendrix ihr massivster Einschalter gewesen. « ’Cause I’m a million miles away / And at the same
time I’m right here inside your picture frame […] And the
n New York drowns as we held hands. » [19]
[…]
Hendrix ist ein Chauffeur zwischen diesen Welten; unentwegt unterwegs auf seinem Gitarrenbesen, der right in
time die richtigen Steckdosen fand; eine Art gitarristischgalileischer Existenzbeweis dessen, woraus manche Menschenkörper gemacht sind, die in oder nach dem Zweiten
Weltkrieg geboren wurden, worum sie kreisen : die
fließenden Körperaggregatzustände, das kosmische Fühlen, Ghosts wie Hendrix zwischen ihnen, mit einem Engel
an der Hand, Liebeslyriker, Minnesänger, Melancholiker,
Märchenmann, dessen Rollstuhlköniginnen gen Himmel
schweben, Mutter hin oder her, indianerschwarzer Gypsy,
weniger Afro als multi-colored; Medizinmann, gefolgt von
einem Federgeschmückten mit Pfeife, dahinter das
Straßenkind mit dem geprügelten Anti-Violence-Körper,
das aufruft, nicht Häuser anzustecken, aber Blitze zu
schleudern, die der Liebe und die im Kopf. Keine spezielle
Mischung transgressiver menschlicher Sexualitätsformen
macht Hendrix zu dem Mehr- oder Übergeschlechtlichen,
der er in diesen Konstellationen ist. [20] Es ist die pansexuelle Aufladung des Elektrisch-Gitarristischen, die das Lie-
besfeuer schafft, das Friedensfeuer und das Androgyne
auch « das Weiße » mitmischen darf. Das Plattencover für eines der kommenden, der nie mehr gekommenen
Alben sollte vier Rassen in einer zeigen – ein Kreuz aus
Menschenköpfen mit ihm selbst als Synthese in der Mitte.
Zu seiner Linken der schwarze Kopf, rechts von ihm der
weiße, über ihm der gelbe und unter ihm der rote ( Entwurf
von seiner letzten Freundin Monika Dannemann ). Multicolored und offen für ein ganzes Bündel von Erweckungen
bei der Verpflanzung nach London, wo 1967 black nicht nur
beautiful war, sondern das Größte, wenn es so bunt behängt
und rockgitarristisch daherkam wie Hendrix. Wie gemacht
für den Aufprall auf die eigengesetzliche Kunstgruppe, die
es auch hier braucht, um Führungsfigur von Ausgefreakten
zu werden. Was vierzig Jahre zuvor in Paris die Surrealisten waren, sind in London 1967 der Rockclan um Jagger,
Lennon, Townshend, Clapton, Burdon. Sie setzen die
Regeln, ohne allzu strenge Tempelherrn zu sein. Dazu kommen die Frauen in der Bedeutung von « Life Is Love » und
« Love Is Sex » und « Sex Is Music ». Alles zusammen gesehen
durch die blaue Pille, die die Bilder löst und jene Teile des
Gehirns, die sich trauen, auch öffentlich nichts anderes als
traum- und märchenhaft zu sein. Sie alle, dahinter das
harte Handwerk von fünf Jahren Knochenarbeit on the
road – Zirkustraining –, erzeugen das Gitarrenwunder des
Summer of Love.
[21], wobei
14 Aus « Power Of Soul » von der CD South
Saturn Delta ( 1997 ).
15 Als Kind nahm Jimi ein Radio
auseinander, « um die Musik darin zu finden »,
erzählt Bruder Leon – die Urheber der
Götterstimmen.
16 Vilém Flusser, « Die Geste des
Musikhörens », in : Silvia Wagnermaier / Nils
Röller ( Hgg.), absolute Vilém Flusser, Freiburg
2003, S. 148 – 154, hier S. 150 f.
17 Ebd., S. 153.
18 Er hat ganz richtig gehört, wie einige
Aufnahmen in J.-E. Berendts Hörwerk Die Welt
ist Klang zeigen : Mikrofone, die am äußersten
Rand der Erdatmosphäre das Drehgeräusch der
Erde aufzeichneten, liefern Klänge, die aus
Hendrix’ Gitarrenarbeit stammen könnten.
19 Aus « Voodoo Child ».
20 Wie bei den Transgressiven der
Warhol-Factory der Fall.
21 Das schüchterne Grinsen als Vortäuschung kindhafter Geschlechtslosigkeit.
120
123
AutorInnen
Laufende Ith Forschungsprojekte
AbgeschLossene
Ith - Forschungsprojekte
Publikationen
Impressum
s. 123
s. 125
s. 125
s. 127
s. 128
AUTORINNEN UND AUTOREN
Manuela Ammer
manuela.ammer@mumok.at
—
( * 1977 ), Studium der Publizistik und
Kommunikationswissenschaften und
der Kunstgeschichte an der Universität Wien. Seit 2002 mit Unterbrechungen wissenschaftliche und kuratorische Tätigkeit am MUMOK Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig
Wien; 2005 Praktikum kuratorische
Abteilung Dia Art Foundation, New
York; 2007 kuratorische Assistenz
documenta 12, Kassel; Katalogbeiträge
zur Kunst seit den 1960er Jahren.
Robin Curtis
robin.curtis@fu-berlin.de
—
Filmemacherin, Kuratorin und Medienwissenschaftlerin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien
Universität Berlin im SFB Kulturen
des Performativen im Projekt Synästhesie-Effekte: Kinetische und farbliche Dimensionen des Films. FeodorLynen Stipendiatin, Alexander von
Humboldt Stiftung 2008 – 2010.
Arbeitet derzeit an einer Theorie der
Immersion. Publikationen ( Auswahl ): Conscientious Viscerality: The
Autobiographical Stance in German
Film and Video, Berlin 2006; Einfühlung – Zu Geschichte und Gegenwart
eines ästhetischen Konzepts ( Hg.
mit Gertrud Koch ), München 2008;
Synästhesie-Effekte: zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung
( Hg. mit Marc Glöde und Gertrud
Koch ), München 2008; Sonderheft
Immersion, montage / av ( Hg. mit
Christiane Voss ) 2 / 2 / 2008.
Hans Danuser
www.hansdanuser.ch
—
( *1953 ), 1971 – 1974 Assisitenz beim
deutschen Werbefotografen Michael
Lieb in Zürich, danach folgten künstlerische Experimente mit lichtempfindlicher Emulsion an der ETH Zürich. Auszeichnungen ( Auswahl ):
Manor Kunstpreis, 1993; Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis für junge Kunst
Zürich, 1996; Der Bündner Kulturpreis 2002. Internationale Veranstaltungen ( Auswahl ): Biennale Venedig
1995; Biennale de Lyon 1997. Einzelausstellungen ( Auswahl ): Argauer
Kunsthaus, 1989; Lenbachhaus München, 1991; Kunsthaus Zürich, 1996;
Scalo, New York, 2004; Fotomuseum
Winterthur, 2002; Bigh Maneshe, Moskau 2007. Collaborations: Projekt Partituren und Bilder mit Peter Zumthor,
Architekt, 1989; Projekt Wildwechsel
/ Helldunkel mit Reto Hänny, Schriftsteller, 1994; Projekt Mäander / Frozen-Embryo mit Fritz Hauser, Musiker, 1996; Projekt Vorlage / Bildhauerei
mit Marcus Casanova, Bildhauer, 1998.
Katrina Daschner
www.katrinadaschner.net
—
ist Künstlerin und lebt in Wien.
2001 – 2002 betrieb sie zusammen
mit Johanna Kirsch und Stefanie Seibold den Performance Space Salon
Lady Chutney. Seit 2003 spielt sie in
der Performanceband SV DAMENKRAFT. In ihren künstlerischen Projekten, die sie seit etwa 10 Jahren
international vor allem in Ausstellungsformaten zeigt, beschäftigt sie
sich vorwiegend mit Sexualität,
Machtstrukturen, sowie queer-feministischen ( Körper- )Politiken. Sie
unterrichtet seit 2005 an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Mladen Dolar
mladen.dolar@guest.arnes.si
—
(* 1951), Studium der Philosophie
und Romanistik in Ljubljana, Paris
und Westminster. Außerordentlicher
Professor für Philosophie an der Universität Ljubljana. Publikationen
(Auswahl): Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist… Mozart und die
Philosophie in der Oper, Wien 2001;
His Master’s Voice. Eine Theorie der
Stimme, Frankfurt a. Main 2007.
Andrea Ehrat
andrea.ehrat@gmx.net
—
( *1971 ), 1987 – 1988 Vorkurs an der
Hochschule für Gestaltung und Kunst
Zürich. 1988 – 1992 Lehre als Dekorationsgestalterin, Jelmoli HG Zürich.
1992 – 1993 Regie- und Bühnenbildassistenzen an Theatern im In- und
Ausland. 1993 – 1998 Studium
Film / Video an der Hochschule für
Gestaltung und Kunst Zürich.
1999 – 2001 Kamera, Kameraassistentin, Cutterin für verschiedene Spielund Dokumentationsfilme; Bühnenbilder verschiedener Theaterprojekte
im In- und Ausland. 2001 – 2007
Wissenschaftliche Assistentin der
Professur für Bildnerisches Gestalten
( Prof. Peter Jenny ), Departement
Architektur, ETH HönggerbergZürich. Einzelausstellungen: abnorm,
Zürich 2007; Je ne sais rien, FensterInstallation, Grüngasse Zürich 2006;
Gruppenausstellungen ( Auswahl ):
Kult Zürich Ausser Sihl, Galerie / Museum Baviera, Zürich ( ch )
2008; Ernte ’07, Museum zu Allerheiligen, Kunstverein Schaffhausen
Kult Zürich 2007 – 2008; Die Bahnhofstrasse lebt, Effretikon 2005.
James Elkins
www.jameselkins.com
—
Professor für Kunstgeschichte am Art
Institute in Chicago, bis 2006 auch
am University College Cork ( Irland ),
wo er wesentlich am Aufbau des
kunsthistorischen Instituts mitgewirkt
hat. Zahlreiche Veröffentlichungen
zur Geschichte und Theorie des Bildes ( Auswahl ): On Pictures and the
Words That Fail Them, Cambridge
1998; Why Are our Pictures Puzzles ? On the Modern Origins of Pictorial Complexity, New York 1999;
Visual Studies. A Skeptical Introduction, New York 2003. Elkins ist
auch Mitherausgeber des internationalen Kunstgeschichte-Journals IRIS
( erscheint seit 2007 ).
Julia Gelshorn
gelshorn@khist.uzh.ch
—
( *1974 ), Studium der Kunstgeschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft und der Italienischen Literatur an den Universitäten Köln und
Bern. 2001 – 2008 wissenschaftliche
Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern, seit
2005 wissenschaftliche Assistentin
am Kunsthistorischen Institut
der Universität Zürich. 2006 – 2008
Habilitationsstipendiatin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in
Paris. Seit Oktober 2008 Vertretungsprofessorin am Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie der
Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Jüngste Publikation:
Strategien der Aneignung. Bilddiskurse im Werk von Gerhard Richter
und Sigmar Polke, München,
erscheint 2008.
Jörg Huber
joerg.huber@zhdk.ch
—
( *1948 ), Studium der Germanistik,
Kunstgeschichte, Volkskunde und
Geschichte in Bern, München und
Berlin. Professor für Kulturtheorie an
der Zürcher Hochschule der Künste
( ZHdK ). Leiter des Instituts für Theorie. Veröffentlichungen in den Bereichen Ästhetik und Kulturtheorie.
Igor Juricevic
igorphd@hotmail.com
—
( *1975 ), erhielt sein BA und MA
sowie seinen PhD ( Toronto, 2006 )
bei J. M. Kennedy als supervisor, und
ist derzeit Postdoctoral Fellow an der
University of Nevada ( 2007 – 2009 ).
John Kennedy
kennedy@utsc.utoronto.ca
—
( *1942 ), studierte Psychologie an
der Queen’s University Belfast ( MA
1965 ) und an der Cornell University
( PhD 1971 ), bevor er in Harvard
( 1970 – 1972 ) und an der University
of Toronto unterrichtete ( seit 1972 ),
wo er nun ordentlicher Professor in
Psychology ist. Er ist Mitglied der
Royal Society of Canada ( gewählt
2005 ) und des Wissenschaftskollegs
zu Berlin ( 2008 – 2009 ).
—
Gemeinsame Publikationen mit Igor
Juricevic ( Auswahl ): « Blind man
draws using convergence in three
dimensions », in: Psychonomic Bulletin and Review 13 ( 3 ), 2006, pp.
506 – 509; « Looking at perspective
pictures from too far, too close and
just right », in: Journal of Experimental Psychology: General, 135 ( 3 ),
2006, pp. 448 – 461.
Werke ( Hrsg.), Frankfurt a. Main
1993; Lob der Peitsche. Eine Kulturgeschichte der Erregung, München
2001 ( amerik. Übers. 2007, span. und
chines. Übers. im Erscheinen ); Die
Kunst des Begehrens. Dekadenz,
Sinnlichkeit und Askese, München
2007.
John Michael Krois
kroisj@philosophie.hu-berlin.de
—
( *1943 ), Studium der Philosophie,
Ethnologie und Kunstwissenschaft in
den USA ( Ohio und Pennsylvania ).
1975 – 1983 wissenschaftlicher Mitarbeiter an Universitäten in Braunschweig und Trier, 1983 – 1988 Assistant Professor an der Emory University in Atlanta, 1988 Habilitation an
der Philipps-Universität Marburg in
Philosophie, 1988 – 1994 wissenschaftlicher Assistent am Institut für
Philosophie an der Universität Düsseldorf, seit 1994 an der HumboldtUniversität zu Berlin, seit 2000 als
apl. Professor. Gastprofessor in Wien,
Lausanne, Uppsala, Hamburg. Publikationen ( Auswahl ): Edgar Wind.
Kunsthistoriker und Philosoph
( Mithg.), Berlin 1998; Kulturelle
Existenz und Symbolische Form. Philosophische Essays zu Kultur und
Medien ( Mithg.), Berlin 2006;
Embodiment in Cognition and Culture ( Mithg.), Amsterdam 2007.
Richard Shiff
rshiff@mail.utexas.edu
—
( *1943 ), PhD 1973 in Kunstgeschichte an der Yale University. Seit
1989 Effie Marie Cain Regents
Chair in Art und Director of the Center for the Study of Modernism an
der University of Texas at Austin.
Publikationen ( Auswahl ): Cézanne
and the End of Impressionism,
Chicago 1984; Critical Terms for Art
History ( Mithg.), Chicago 1996 / 2003;
Barnett Newman: A Catalogue Raisonné, gem. m. Carol C. MancusiUngaro u. Heidi Colsman-Freyberger,
New Haven 2004; Doubt, New York
2008.
Niklaus Largier
nlargier@berkeley.edu
—
( *1957 ), Studium der Germanistik,
Philosophie und Russischen Literatur
in Zürich und Paris. 1985 – 1992 wissenschaftlicher Assistent und
Oberassistent am Deutschen Seminar
der Universität Zürich. 1996 – 2000
Professor für Philosophie an der
DePaul University, Chicago, seit 2000
Professor für Deutsche Literatur an
der University of California, Berkeley.
Fellowship am Getty Center for the
History of Art and the Humanities
1992 – 1993, Guggenheim Fellowship
2004 – 2005; Gastprofessor an der
Harvard University 2006. Publikationen ( Auswahl ): Meister Eckhart,
Stefan Neuner
neuner@khist.uzh.ch
—
( *1974 ), Studium der Kunstgeschichte und Musikwissenschaft in Wien.
1999 – 2005 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Kunstgeschichte
der Universität Wien, seit 2005 wissenschaftlicher Assistent am Kunsthistorischen Institut der Universität
Zürich. Jüngste Publikationen:
Maskierung der Malerei. Jasper Johns
nach Wilhelm de Kooning, München
2008; Bild und Gemeinschaft, München 2009 ( Mithg., in Vorbereitung ).
Philipp Stoellger
philipp.stoellger@freenet.de
—
( *1967 ), Prof. Dr. theol., ordentlicher
Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der
Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Mitbegründer des Zürcher Kompetenzzentrums Hermeneutik. Publikationen ( Auswahl ): Metapher und Lebenswelt : Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont,
Tübingen 2000; Sprachen der Macht:
Gesten der Er- und Entmächtigung
in Text und Interpretation, Würzburg
2008.
Klaus Theweleit
klaus.theweleit@soziologie.uni-freiburg.de
—
Schriftsteller, Professor für Kunst und
Theorie an der Staatlichen Akademie
der Bildenden Künste Karlsruhe,
Lehrauftrag am Institut für Soziologie, Universität Freiburg. Publikationen (Auswahl): Männerphantasien, 2
Bde., Frankfurt a. Main 1977 – 78;
Objektwahl. All You Need Is Love.
Über Paarbildungsstrategien &
Bruchstück einer Freudbiographie,
Frankfurt a. Main 1990; « You give me
fever ». Arno Schmidt. Seelandschaften mit Pocahontas. Die Sexualität
schreiben nach WW II, Frankfurt a.
Main 1999; Deutschlandfilme.
Godard, Hitchcock, Pasolini. Filmdenken & Gewalt, Frankfurt a. Main
2003.
Stefan Thiel
thiel-stefan@gmx.de
—
( *1965 ), 1988 – 1994 Studium an der
Hochschule der Künste Berlin, lebt
und arbeitet in Hennigsdorf bei Berlin.
Preise und Stipendien ( Auswahl ):
1994 Denkmal Berliner Mauer, 2004
Künstlerhaus Schloss Balmoral. Ausstellungsbeteiligungen ( Auswahl ):
Institute of Art & Design, Milwaukee,
1995; schwarz auf weiss, Kunstmuseum Solothurn, 2004; Ausgezeichnet!,
Kunstverein Freiburg, 2007. Einzelausstellungen ( Auswahl ): 2001 – 2008
Mai 36 Galerie, Zürich; Nächst
St. Stephan – Rosemarie Schwarzwälder, Wien; VOUS ETES ICI,
Amsterdam; Jesco von Puttkamer,
Berlin; Dominik Mersch Gallery, Sydney; Fucares, Madrid.
Philip Ursprung
ursprung@khist.uzh.ch
—
( *1963 ), Studium der Kunstgeschichte,
Allgemeinen Geschichte und Germanistik in Genf, Wien und Berlin.
Assistenz an der Universität Genf und
der ETH Zürich. Vertretungsprofessuren an der ETH Zürich, den
Universitäten Basel und Zürich und
der Universität der Künste Berlin.
2001 – 2005 SNF-Förderungsprofessor an der ETH Zürich. Seit 2005
Professor für Moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität
Zürich. 2007 Gastprofessur an der
Graduate School of Architecture,
Planning and Preservation der
Columbia University New York. Gastkurator u. a. am Museum für Gegenwartskunst Basel und dem Canadian
Center for Architecture in Montreal.
Publikationen ( Auswahl ): Herzog &
de Meuron: Naturgeschichte, Montreal und Baden 2002; Grenzen der
Kunst: Allan Kaprow und das Happening, Robert Smithson und die Land
Art, München 2003.
124
125
Juliane Vogel
juliane.vogel@uni-konstanz.de
—
Professorin für Deutsche Literatur
und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz.
Permanent Visiting Professor an
der Princeton University. Publikationen ( Auswahl ): Elisabeth von Österreich. Momente aus dem Leben einer
Kunstfigur, Frankfurt a. Main 1992 /
1998; Die Furie und das Gesetz. Zur
Dramaturgie der « großen Szene »
in der Tragödie des 19. Jahrhunderts,
Freiburg im Brg. 2002; Weiß. Ein
Grundkurs, ( Mithg.), Frankfurt a.
Main 2003. Arbeiten zur Literatur
der Jahrhundertwende und zur österreichischen Ge-genwartsliteratur, zur
Montage und zu den Grundlagen
europäischer Dramaturgie. Forschungsprojekt ( Exzellenzcluster ):
gem. mit David Levin und Christopher Wild: Kulturelle Poetiken des
Auftretens.
LAUFENDE ITHFORSCHUNGSPROJEKTE
ABGESCHLOSSENE ITHFORSCHUNGSPROJEKTE
Migration Design
Codes, Identitäten, Integrationen
Leitung: Christian Ritter
—
Im Zentrum des Forschungsprojekts
stehen die Beobachtung und Analyse
medialer und ästhetischer Prozesse
der Selbstrepräsentation und Kommunikation von Jugendlichen aus den
westlichen Balkanstaaten. Untersucht
wird das Verhältnis der kulturellen
Hintergründe und Bedeutungen visueller Codierungen zu ihren Rezeptions- und Wirkungsweisen. Das Projekt erweitert die visuelle und kommunikative Kompetenz in der Praxis (z.B.
Lehrbetriebe, Berufsintegration,
Jugendhilfe) hinsichtlich spezifischer
Fragestellungen der Integration. Das
Forschungsprojekt erarbeitet dafür ein
präzises Setting an Anwendungsformaten. Sie sind ausgerichtet an
der interdisziplinären Anlage des Forschungsprojekts und an den unterschiedlichen Bedürfnissen und Tätigkeitsfeldern der Wirtschaftspartner.
—
Komplizenschaft
Arbeit in Zukunft
Leitung: Gesa Ziemer
—
Komplizenschaft ist nicht nur eine
zeitgemäße, sondern auch eine
äußerst produktive Form temporärer
Zusammenschlüsse, die sowohl im
künstlerischen als auch wirtschaftlichen Umfeld rege angewendet wird.
Das Forschungsprojekt untersuchte
die Energetik der Komplizenschaft
als neue Aktionsform in Wirtschaft,
Kunst und Theorie und kooperierte
deshalb mit Forschungspartnern
aus diesen Bereichen. Als Projektabschluss sind 2007 die Publikation
« Komplizenschaft - Andere Arbeitsformen » sowie die DVD « Komplizenschaften » erschienen.
—
Ein KTI-Projekt.
Beginn: 1. November 2008, Dauer: 19 Monate.
Team: Patricia Bissig, Gabriela Muri, Basil
Rogger (Wissenschaftliche Mitarbeit).
Prototyp
Möbel in Kunst und Design
Leitung: Burkhard Meltzer
—
Das Forschungsprojekt setzt sich zum
Ziel, aktuelle Entwurfs- und Produktionspraktiken zur Möbelherstellung
in den Feldern von Design und Kunst
zu untersuchen. Durch einen transdisziplinären Forschungsprozess sollen
Aneignungspraktiken zwischen den
Feldern von Kunst und Design sichtbar
gemacht werden und Verknüpfungen
zwischen den Fachgebieten Kunst-,
Design-, Architekturtheorie sowie Soziologie hergestellt werden. Von
Aneignungsprozessen zwischen Kunst
und Design kann man sprechen,
seit das moderne Autonomiekonzept
der Kunst eine Abgrenzung beider
Bereiche notwendig werden liess. Der
thematische Schwerpunkt « Möbelgestaltung und -herstellung » zeigt sich
als besonders geeignet, um mediale
Transfers und individuelle Aneignungsstrategien zwischen den genannten
Feldern sichtbar zu machen. Mit diesem Fokus lassen sich enge Beziehungen zwischen begrifflichen Konzepten
wie Funktion, Objektverhältnis und
Lebenswelt und ästhetischen Ideen
beobachten.
—
Ein DORE-Projekt.
Beginn: 1. Dezember 2008, Dauer: 10 Monate.
Team: Norbert Wild (Wissenschaftliche
Mitarbeit).
Ein KTI-Projekt.
Team: Andrea Notroff, Nina Aemisegger
(Wissenschaftliche Mitarbeit).
Film: Barbara Weber (Visuelle Gestaltung
und Montage), René Baumann (Kamera).
Und plötzlich China!
Das touristische Setting ‹ Schweiz ›
im globalisierten Tourismus
Leitung: Peter Spillmann
—
Als Reiseziel übertrifft China bereits
heute die Destination England, und
in Zukunft werden immer mehr Chinesen in der Lage sein, selber Reisen
nach Europa zu unternehmen. Deshalb gelten die Chinesen schon vielerorts als Hoffnungsträger für die
stagnierende Tourismusbranche. Im
Projekt « Und plötzlich China! » wurde
untersucht, was die Voraussetzungen
sind, damit es gelingt, in unterschiedlichen kulturellen Kontexten z.B.
Sehnsucht nach « Schweiz » zu wecken, und welche Bilder, Motive und
Akteure darin eine Rolle spielen.
Grundlage der Forschung bildeten
theoretische Ansätze, die das Alltagshandeln der Akteure in den Vordergrund rücken, Prozesse und Effekte
der Globalisierung auf der Mikroebene/lokaler Ebene beschreiben und
kulturelle Austauschprozesse als
Teil einer transkulturellen und transnationalen Dynamik verstehen.
—
Das Projekt wurde als Kooperation des Instituts
für Theorie (ith) der Zürcher Hochschule der
Künste (ZHdK) mit dem Institut für Öffentliche
Dienstleistungen und Tourismus (IDT HSG St.
Gallen) und dem Institut design2context der
ZHdK durchgeführt.
—
Ein KTI-Projekt.
Team: Flavia Caviezel (Wissenschaftliche
Mitarbeit); Angela Sanders, Nika Spalinger,
Marion von Osten, Michael Zinganel (Mitarbeit
Fallstudien); Diana Wyder, Silvia Osterwalder
(Mitarbeit Recherche).
Brands & Branding
Ein Forschungsprojekt zur (trans)
kulturellen Kommunikation
Leitung: Jörg Huber
—
Das transdisziplinär angelegte Projekt
erkundete einerseits visuelle und rhetorische Strategien in der Kommunikation von « Lifestyle »-Marken, die
auf die Selbstausstattung und Selbstauszeichnung von Konsumenten
nicht nur hinsichtlich ihres sozialen
Status, sondern auch ihrer Lebensentwürfe, Gruppenzugehörigkeiten,
(sub)kulturellen Orientierungen usw.
abzielen. Andererseits untersuchte es
Techniken und Verhaltensmuster,
anhand derer Konsumenten diese
Marken adaptieren, wie dabei Selbstbilder und Identitäten konstruiert,
ausgestaltet und im öffentlichen Raum
zur Darstellung gebracht werden.
—
Als Projektabschluss ist 2008 die Publikation
« BrandBody&Soul – gepflegt: krass » erschienen.
—
Ein DORE-Projekt.
Team: Renate Menzi, Flavia Caviezel, Richard
Feurer, Matthias Michel, Christian Ritter
(Wissenschaftliche Mitarbeit).
Bilder im Medientransfer
Museen als Orte des Bildgedächtnisses und der Bildtransformation
Leitung: Matthias Vogel
—
Das Projekt hat die suggestive Kraft
und den informativen Gehalt von Bildern an medialen Schnittstellen untersucht. Die Institution Museum, innerhalb der sich die verschiedensten Medientransfers abspielen, ist dabei im
Vordergrund gestanden. Im Museum
werden Photographien gesammelt und
archiviert, um dann in die verschiedensten Erscheinungszusammenhänge
gebracht zu werden. Das Projekt ziegte
auf wie sich bei diesen betrieblichen
Abläufen Effizienz mit dem Bildungsauftrag verbinden lassen.
—
Die Publikation « Made in Transition » erscheint
im Frühling 2009.
—
Ein KTI-Projekt.
Team: Ulrich Binder, Künstler, Ausstellungsmacher und Dozent an der ZHdK (Wissenschaftliche Mitarbeit).
Landschaftsbilder
Bildeinsatz in der visuellen Vermittlung eines komplexen Landschaftsverständnisses
Leitung: Annemarie Bucher
—
Das Projekt soll die Bedeutung und
Problematik der visuellen Repräsentation im Rahmen der komplexen zeitgenössischen Landschaften sichtbar
machen und durch einen reflektierten
Umgang mit Bildern Voraussetzungen
für ein verändertes Landschaftsverständnis schaffen.
—
Ein KTI-Projekt.
Team: Manfred Gerig, Elisabeth Sprenger und
Michèle Novak (Wissenschaftliche Mitarbeit).
city_space_transitions
Leitung: Jürgen Krusche
—
Das Forschungsprojekt fokussierte
aktuelle Ansätze zu relativistischen
Raumkonzepten im Kontext von Philosophie, Kunst, Architektur und
Urbanismus sowie soziologischer und
ethnographischer Stadtforschung.
Diese westlichen Konzepte wurden
mit japanischen verglichen, vor allem
mit dem traditionellen Konzept ma
[Zeichen], welches als grundlegend
für den « Japanese sense of place »
angesehen wird. Abschluss des Projekts bildeten 2006 eine Tagung
im Japanisch-Deutschen-Zentrum in
Berlin sowie eine Ausstellung
im Museum Bellpark, Kriens und im
Tokyo Art Museum, Tokyo.
—
Ein DORE-Projekt.
Team: Yana Milev, Raumforscherin und
Resonanzarchitektin, Angela Sanders,
Ethnologin und Videomacherin (Wissenschaftliche Mitarbeit).
Check it — Grenzgänge
im Flughafen Zürich
Eine Installation für den virtuellen
und physischen Raum
Leitung: Flavia Caviezel und
Susanna Kumschick
—
Digitale Medien bieten ein noch
wenig ausgeschöpftes Potential, um
sozialwissenschaftliche Fragestellungen zu erforschen und deren Resultate zu präsentieren. Das DORE-Projekt suchte nach innovativen Präsentationsformen für hybrides dokumentarisches Material wie Film, Foto,
Ton/Musik und Text, das als Resultat
aus der qualitativen Forschung mittels audio-visueller Medien zum Kontrollakt am Flughafen Kloten entstanden ist. Präsentiert wurden die Forschungsresultate in der Ausstellung:
Check on Arrival — Grenzland Flughafen (Landesmuseum Zürich,
Herbst 2006). Weitere Ausstellungen: Tagung Kunsthochschulen
Schweiz, Bern (2007); Solothurner
Filmtage, Freitagsgalerie, Internationales Filmfestival Göttingen, Kunstraum Sandra Romer, Chur (2008).
> http://checkit.ith-z.ch
—
Ein DORE-Projekt
Team: Denis Hänzi (Wissenschaftliche
Mitarbeit), Jörg Huber (Supervision).
Maghreb Art and
Research Project
Leitung: Ursula Biemann
—
Die Beziehungen zwischen Europa
und Nordafrika sind in eine neue
postkoloniale Phase getreten. Das
Kunst- und Forschungsprojekt untersuchte die Ökonomie mediterraner
Migration und suchte nach einer diskursiven und visuellen Repräsentation der wachsenden Komplexität
nordafrikanischer Mobilität in Bezug
auf die EU. Die hohe Priorität, die
gegenwärtig dem Management von
Migration eingeräumt wird, macht
illegale MigrantInnen zum Gegenstand internationalen Handels im
Austausch für Erdöl, Waffen, ansehnlichen Export-Portfolios und politischen Vorteilen. Das Interesse lag
dabei in der Frage, wie neue wirtschaftliche Interaktionen die alten
kolonialen Verhältnisse ablösen. Der
Blick wurde auf die Migrationsknotenpunkte gerichtet, die zu den wichtigsten Passagen übers Mittelmeer
geworden sind: Tanger, Tripolis-Lampedusa und Sizilien.
—
Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit ägyptischen, italienischen
und marokkanischen KünstlerInnen.
Basislager des Projekts war das ith,
Zürich und esba, Genf mit Finanzierung von Pro Helvetia und der Heinrich Böll Stiftung Beirut. Ausstellung
des Projekts: Townhouse Gallery, Cairo im Oktober 2006 und Centre d’Art
Contemporain, Genf im März 2007.
Dazu ist eine arabisch-englische Publikation mit dem Titel « The Maghreb
Connection » erschienen.
> www.geobodies.org
Black Sea files
Leitung: Ursula Biemann
—
Das visuelle Forschungsprojekt folgte
der Energie-Geographie im kaukasischen Korridor, welcher das Schwarze Meer mit dem Kaspischen Meer
verbindet. Am Beispiel der riesigen,
gegenwärtig im Bau befindlichen ÖlPipeline untersuchte das Projekt die
Korrelation zwischen den transnationalen Strömen von Ressourcen,
Kapital, Menschen, Daten und Bildern in diesem hochpolitischen Terrain. Die entstandene Videographie
folgt der logistischen Technologie
der Pipeline und geht auf die Menschen ein, die an ihrer Bahn wohnen. In Anlehnung an investigative
Feldforschung, wie sie von Anthropologen, ‹ embedded journalists › und
Geheimdienstagenten betrieben wird,
kommentiert das Projekt die künstlerischen Methoden vor Ort und die
Art und Weise, wie Informationen
und visuelles Material entdeckt,
in Umlauf gesetzt oder vorenthalten
wird. Die Black Sea files bilden
einen Teil der Transcultural Geographies, einem kollaborativen Forschungsprojekts am ith.
> www.geobodies.org
Projekt Migration
Leitung: Marion von Osten und
Kathrin Rhomberg
—
Im Dezember 2005 jährte sich zum
50. Mal die Unterzeichnung des
deutsch-italienischen Anwerbeabkommens und damit der Beginn neuer Migrationsbewegungen in Europa.
Über mehrere Jahre arbeiteten im
PROJEKT MIGRATION, einem Initiativprojekt der Kulturstiftung des
Bundes, WissenschaftlerInnen und
KünstlerInnen in Köln, Frankfurt,
Zürich, Istanbul, Belgrad, Athen und
Berlin entscheidende Lücken in der
deutschen und europäischen
Geschichtsschreibung seit der Nachkriegszeit auf. Zahlreiche Veranstaltungsreihen im Kölnischen Kunstverein und ein internationales Symposium in Griechenland haben diese
Arbeit begleitet und neue Fragen für
die Zukunft von Migrationsgesellschaften eröffnet. Mit einer groß
angelegten, transdisziplinären Ausstellung 2005 in Köln, einem Filmfestival, einem internationalen Symposium sowie diversen Begleitveranstaltungen und einer umfassenden Publikation hat das PROJEKT
MIGRATION seinen vorläufigen
Abschluss gefunden.
> www.projektmigration.de
> www.transitmigration.org
Das Menschenbild im Bildarchiv
Zur Funktion und Qualität der
Schweizer Fotoarchive
Leitung: Matthias Vogel
—
Das Forschungsprojekt untersuchte,
ob die zahlreichen Fotoarchive in
der Schweiz ihren Anspruch, ein
wichtiger Teil des visuellen Gedächtnisses zu sein, einlösen. Es ging
davon aus, dass die Archive selbst
Medien sind, welche die anfallenden
Bilder durch Selektions-,
Erschließungs- und Abrufverfahren
zurichten. Ordnung im Archiv bedeutet immer auch Musterbildung. Da
Archive diachron angelegt sind, ließ
sich analysieren, welche Stereotypen
in den letzten Jahrzehnten einem
Transformationsprozess ausgesetzt
waren und welche sich resistent zeigten. Bildarchive — als Arsenale der
Erinnerung gedacht — sind immer
auch Medien zur Ermittlung kultureller Veränderungen. Sie sind Orte des
Erinnerns, die Kulturgeschichte verbildlichen, und Teil der Kulturgeschichte, indem sie das Bedürfnis
nach Verbildlichung sichtbar machen.
—
Seinen Abschluss fand das Projekt mit der
Publikation « Das Menschenbild im Bildarchiv.
Untersuchung zum visuellen Gedächtnis der
Schweiz » (vgl. Publikationen).
—
Ein KTI-Projekt.
Team: Flavia Caviezel, Ethnologin,
Filmwissenschaftlerin und Videastin, Ulrich
Binder, Künstler und Publizist, Dozent an der
HGKZ (Wissenschaftliche Mitarbeit).
Japan Made in Switzerland
Nonverbale und materielle Aspekte interkultureller Kommunikation
am Beispiel Schweiz-Japan
Leitung: Jürgen Krusche
—
Die Kommunikation zwischen den
Kulturen wird in allen Bereichen, in
der Wirtschaft, der Kultur sowie
innerhalb der Gesellschaft zunehmend wichtiger. Im Zuge der fortschreitenden Globalisierung werden
Kenntnisse über alle Facetten der
interkulturellen Kommunikation
immer notwendiger. Interkulturelle
Kompetenz ist hier ein neues Stichwort. Das KTI-Projekt leistete zur
Verbesserung der interkulturellen
Kommunikation dadurch einen Beitrag, dass es einen ungewohnten
Ansatz verfolgte. Es untersuchte spezifisch die Zusammenhänge zwischen materiellen Gestaltungen und
der Konstruktion innerer Bilder, welche zu einem großen Teil die Beziehungen der Kulturen untereinander
prägen. Am Beispiel der Beziehung
Schweiz-Japan wurden exemplarisch
nonverbale und materielle Aspekte
der Kommunikation auf ihre Anteile
an der inneren Bildgenese hin
erforscht.
Verletzbare Orte
Andere Körper auf der Bühne
Leitung: Gesa Ziemer
—
Das von DORE mitfinanzierte Projekt
handelte von der Wahrnehmung und
Darstellung von Körpern, die nicht
der Norm entsprechen. Der verletzbare Körper ist eine ästhetische Figur,
die in den Künsten und im Alltag vermehrt auftritt — so die These.
KünstlerInnen mit und ohne körperliche Behinderung haben künstlerische
Strategien von Deformation und Formation untersucht. Die im deutschsprachigen Raum bis jetzt wenig
rezipierten Disability Studies wurden
beigezogen. Die Ergebnisse der Forschungen und Interviews wurden in
einem Dokumentarfilm und einer
Publikation dargestellt. In Kooperation mit dem Tanzhaus Wasserwerk
wurde ein abschließendes Symposium mit Vorträgen, Tanz-Performances, Workshops und Filmpräsentation
(augen blicke N, DVD, 50 min.,
Zürich 2004) veranstaltet.
—
Ein DORE-Projekt.
Team: Benjamin Marius Schmidt, Kulturwissenschaftler, Gitta Gsell, Filmerin (Wissenschaftliche Mitarbeit).
126
127
Be Creative!
Der kreative Imperativ
Leitung: Marion von Osten
—
Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt in Zusammenarbeit mit
dem Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst Zürich (ith) und der
Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) ging dem Wandel des Kreativitätsbegriffs und dem
damit verbundenen gesellschaftlichen
Gestaltungsprozess nach. Es verfolgte
die veränderte Struktur der Ökonomie und der Arbeitswelt auf der Ebene der Betriebs- und Raumorganisation, des Zeitmanagements bis hin
zum Zwang zu Mobilität. Im Rahmen
dieses Projekts fanden eine Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich
(2002/2003) sowie eine Tagung
(2002) statt.
Das Menschenbild als
kulturelles Konstrukt
Zur visuellen Repräsentation und
Rezeption anonymer Menschen in
Schweizer Tageszeitungen
Leitung: Matthias Vogel
—
Vorstellungen vom Menschen, seiner
charakterlichen, ethnischen, beruflichen, geschlechtlichen Identität,
werden als kulturelle Konstrukte
angesehen, bei deren Herstellung Bilder eine wesentliche Rolle spielen.
Ideen und Stereotypen vom Eigenen
und vom Fremden können von Medienbildern bestätigt oder in Frage
gestellt werden. Diesen Vorstellungen
und Stereotypen ging das von DORE
unterstütze Projekt nach und kam mit
der Publikation « Das tägliche FrauenBild » (vgl. Publikationen) zum
Abschluss.
PUBLIKATIONEN
31 Das Magazin des Instituts
für Theorie
# 01 ( Oktober 2002 ) [vergriffen]
# 02 Ästhetik der Kritik
( Juni 2003 )
# 03 Heterotopien: Kulturen
( Dezember 2003 )
# 04 Ästhetische Entwürfe
( Juni 2004 )
# 05 Only A Swan Lake
( Dezember 2004 )
# 06 / 07 Call for Images. Bilder
an der Arbeit
( November 2005 )
# 08 / 09 Doing Theory
( Dezember 2006 ) [vergriffen]
# 10 / 11 Paradoxien der Partizipation
( Dezember 2007 ) [vergriffen]
# 12/13 Taktilität – Sinneserfahrung
als Grenzerfahrung
(Dezember 2008)
Interventionen Jahrbuch 1-14
—
# 10, Interventionen 2001
Kultur — Analysen
Hg.: Jörg Huber, Edition Voldemeer
Zürich/Springer
Wien/New York 2001
SFr. 36.–, € 24.—
# 11, Interventionen 2002
Singularitäten — Allianzen
Hg.: Jörg Huber/ith, Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2002
SFr. 36.–, € 24.–
—
# 12, Interventionen 2003
Person — Schauplatz
Hg.: Jörg Huber/ith, Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2003
SFr. 36.–, € 24.–
—
# 13, Interventionen 2004
Ästhetik — Erfahrung
Hg.: Jörg Huber/ith, Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2004
SFr. 36.–, € 24.–
—
# 14, Interventionen 2005
Einbildungen
Hg.: Jörg Huber, Edition Voldemeer
Zürich/Springer
Wien/New York 2005
SFr. 36.–, € 24.–
Die Reihe Interventionen ist
abgeschlossen.
Reihe T:G (Theorie:Gestaltung)
—
T:G\01, Mit dem Auge Denken
Strategien der Sichtbarmachung in
wissenschaftlichen und virtuellen
Welten
Hgg.: Bettina Heintz &
Jörg Huber, ith
Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2001
SFr. 68.-, € 44.–
—
T:G\02, Stuff it — The Video Essay
in the Digital Age [vergriffen]
Hg.: Ursula Biemann, ith, Englisch
Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2003
SFr. 48.-, € 32.–
—
T:G\03, Norm der Abweichung
Hg.: Marion von Osten, ith
Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2003
SFr. 48.–, € 32.–
—
T:G\04, Kultur Nicht Verstehen
Produktives Nichtverstehen und Verstehen als Gestaltung
Hgg.: Juerg Albrecht, Jörg Huber,
Kornelia Imesch, Karl Jost &
Philipp Stoellger (Koproduktion vom
Institut für Kunstwissenschaft
Zürich, Institut für Hermeneutik und
Religionsphilosophie der Universität
Zürich und dem ith)
Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2005
SFr. 49.–, € 33.–
Mit Beiträgen aus der Veranstaltung
« Kultur Nicht Verstehen » (Zürich,
November 2003).
—
T:G\05, Ästhetik der Kritik
oder: Verdeckte Ermittlung
Hgg.: Jörg Huber, Philipp Stoellger,
Gesa Ziemer & Simon Zumsteg
Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2007
SFr. 46.–, € 30.–
Mit Beiträgen aus der Veranstaltung
« Ästhetik der Kritik oder: Verdeckte
Ermittlung » (Zürich, Juni 2006).
—
T:G\06, Gestalten der Kontingenz
Ein Bilderbuch
Hgg.: Jörg Huber, Philipp Stoellger
Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2008
SFr. 49.–, € 33.–
—
T:G\07, Archipele des Imaginären
Hgg.: Jörg Huber, Gesa Ziemer &
Simon Zumsteg
Edition Voldemeer Zürich/Springer
Wien/New York 2008
SFr. 49.–, € 33.–
Mit Beiträgen aus der Veranstaltung
« I Imagine… Das Imaginäre als Provokation » (Zürich, 2007/2008).
FILME
Forschungsfilm
Komplizenschaften
Barbara Weber & Gesa Ziemer.
DVD, 33 min., Zürich 2007.
augen blicke N
Gitta Gsell & Gesa Ziemer. DVD, 50
min., Zürich 2004.
Chado & Shodo
Mit Suishu T. Klopfenstein-Arii und
Soyu Yumi Mukai.
Jürgen Krusche & Marcel Erdèlyi,
DVD, 30 min. Farbe, HGKZ 2003.
EINZELPUBLIKATIONEN
BrandBody&Soul –
gepflegt:krass
Hgg.: Richard Feurer, Jörg Huber
und Matthias Michel, Zürich 2008
SFr. 66.-, € 39.90
Komplizenschaft - Andere
Arbeitsformen
(K)ein Leitfaden
Hgg: Andrea Notroff, Erwin Oberhänsli, Gesa Ziemer, Zürich 2007
SFr. 10.-, € 7.Das tägliche Frauen-Bild
Zur visuellen Repräsentation
und Rezeption anonymer Frauen
in Schweizer Tageszeitungen
Hg.: Matthias Vogel, Verlag ith,
Zürich 2002
SFr. 20.–, € 14.Design — ein Zwischenfall
Hgg.: ith und André V. Heiz,
Verlag ith, Zürich 2004
SFr. 28.–, € 19.–
Verletzbare Orte
Zur Ästhetik anderer Körper
auf der Bühne
Benjamin Marius Schmidt
und Gesa Ziemer
www.ith-z.ch/publikationen/
weitere+publikationen/
Design hören [vergriffen]
21 Texte zur Theorie der Gestaltung
von Platon bis heute Gelesen von
Peter Schweiger
Hgg.: Köbi Gantenbein (Hochparterre), Plinio Bachmann und
Jörg Huber (ith), Zürich 2004
Doppel-CD mit Booklet
JAPAN swiss made
In fact no one actually looks at
architecture
Jürgen Krusche & Rolf Gerber,
HGKZ 2004
Das Menschenbild
im Bildarchiv
Untersuchung zum visuellen
Gedächtnis der Schweiz
Hgg.: Matthias Vogel, Ulrich Binder
und Flavia Caviezel,
Limmatverlag Zürich 2006
SFr. 40.-
ABBILDUNGSNACHWEIS
Für den Beitrag von Richard Shiff
S. 19 ( Abb. 1 )
Photo: David Heald; © Claes
Oldenburg und Coosje van Bruggen.
S. 19 ( Abb. 2 )
Musée Carnavalet, Paris.
S. 19 ( Abb. 3 )
Photo: Robert Newcomb; © Claes
Oldenburg und Coosje van Bruggen.
Für den Beitrag von Stefan Thiel
Alle Abbildungen, © Stefan Thiel.
Für den Beitrag von John M. Krois
S. 41 ( Abb. 1 )
Cold Spring Harbor Laboratory
Archives. http://library.cshl.edu
S. 41 ( Abb. 2 )
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/22/Da_Vinci_Vitruve_Luc_Viatour.jpg; Inhaber der
Bildrechte: Luc Viatour
S. 41 ( Abb. 3 )
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/b/ba/DrawingHands.jpg
Für den Beitrag von Niklaus Largier
S. 47 (Abb. 1), Klaus Ertz, Jan Brueghel der Ältere (1568 – 1625), Köln
1981, S. 44.
Für den Beitrag von Philip Ursprung
und Hans Danuser
Alle Abbildungen, Courtesy Bündner
Kunstmuseum.
Für den Beitrag von Philip Stoellger
S. 72 ( Abb. 1 )
Photo: Francois Hall / AFP / Getty
Images.
S. 72 ( Abb. 2 )
Photo: Boris Horvat / AFP.
Für den Beitrag von Katrina Daschner
Alle Abbildungen, © Katrina Daschner.
Für den Beitrag von Andrea Ehrat
Alle Abbildungen, © Andrea Ehrat.
Für den Beitrag von Juliane Vogel
S.99 ( Abb. 1 )
Anna Coliva / Sebastian Schütze
( Hgg.), Ausst.-Kat. Bernini Scultore.
La nascita del Barocco in Casa
Borghese, Rom: Galleria Borghese,
Rom 1998, S. 181.
S.99 ( Abb. 2 )
Photo: Vicenzo Pirozzi; Alessandro
Angelini, Gian Lorenzo Bernini e i
Chigi tra Roma e Siena, Mailand
1998, S. 46.
S.99 ( Abb. 3 )
Ausst.-Kat. Bernini Scultore, S. 189.
Für den Beitrag von Manuela Ammer
S. 105 (Abb. 1)
Hans Scheugl, Erweitertes Kino. Die
Wiener Filme der 60er Jahre, Wien
2002,
S. 105 (Abb. 2)
ebd., S. 143.
S. 105 (Abb. 3)
Photo: Hans Scheugl; ebd., S. 122.
S. 105 (Abb. 4)
Ausst.-Kat. VALIE EXPORT: Summary / Sommaire, Paris: Centre national de la photographie ( u. a.), Montreuil: 2003, S. 149.
S. 108 (Abb. 5)
Photo: Werner H. Mraz; Elsa Longhauser ( Hg.), Ausst.-Kat. VALIE
EXPORT. Ob / De+Con( Struction ),
Philadelphia: Goldie Paley Gallery,
Galleries at Moore, Moore College of
Art and Design, Philadelphia 2001,
S. 37.
S. 108 (Abb. 6)
Ausst.-Kat. VALIE EXPORT: Summary / Sommaire, S. 70.
S. 108 (Abb. 7)
Photo: Werner Schulz; Ausst.-Kat.
VALIE EXPORT. Ob / De+Con( Struction ), Cover Innenseite.
Für den Beitrag von Klaus Theweleit
S. 115 (Abb. 1)
www.mobiusgallery.net
S. 115 (Abb. 2)
theredpepper.files.wordpress.com
S. 115 (Abb. 3 – 4)
www.stratocaster.name
S. 115 (Abb. 5)
www.teigland.de/resources
IMPRESSUM
Herausgeber und Verlag
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Redaktion
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Konzeption und
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Korrektorat
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Bonbon — Bonin, Bontognali
mit Mark Grossenbacher
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100, 90, 80 gm2
Schrift
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ISSN Nr. 1660-2609
ISBN Nr. 978-3-906489-10-0
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Die Bildrechte liegen, wenn nicht
anders erwähnt, bei den einzelnen
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Das Institut für Theorie ( ith ).
Prof. Dr. Jörg Huber, ist Teil des
Departements Kunst & Medien,
Prof. Giaco Schiesser, an der Zürcher
Hochschule der Künste ( ZHdK ),
—
—
Zürcher Hochschule der Künste
Institut für Theorie
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—
Zürcher Fachhochschule, Rektor Prof.
Dr. Hans-Peter Schwarz.
Die Forschungsaktivitäten des ith
werden betreut vom Bereich
Forschung und Entwicklung, F+E
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Administration und
Koordination
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128
KatrIna Daschner s. 123// Autorinnen
TäterIn
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For­
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s. 125// Abgeschlossene
Ith-Forschungsprojekte
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Das MagazIn
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s. 33