die formel1 im gepäck
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die formel1 im gepäck
14_01.09_44_49_F1 Logistik 44 04.03.2009 15:50 Uhr Seite 44 14_01.09_44_49_F1 Logistik 04.03.2009 15:50 Uhr Seite 45 MAN forum 0 1 / 2 0 0 9 45 spektrum DIE FORMEL 1 IM GEPÄCK Fotos: imago, Boris Schlegelmilch Die Formel-1-Saison 2009 hat begonnen. MAN Nutzfahrzeuge trägt wieder zur reibungslosen Logistik in den Rennställen bei. Ein Heer von Sattelzugmaschinen bringt die Show auf die Straße und die PS-Boliden zu den Rennen. 14_01.09_44_49_F1 Logistik 04.03.2009 15:51 Uhr Seite 46 46 spektrum >>> Zwei Stunden dauert ein Formel-1-GrandPrix maximal. Sein offizieller Teil zumindest. Denn wenn die schwarz-weiß karierte Flagge gefallen ist, die Boliden endlich zur Ruhe kommen und die Sieger in Champagnerlaune sind, beginnt bereits der nächste Wettlauf. Beim Rennen nach dem Rennen gewinnt, wer seine Fahrzeuge samt Ausrüstung schnellstmöglich wieder am heimischen Teamsitz oder beim nächsten Rennen hat. So sind in nur wenigen Stunden die Boxenanlagen wieder leergeräumt. Die Fracht landet, fein säuberlich sortiert, in Hightechtrucks, die sich unmittelbar auf den Weg machen. Dabei klingt die logistische Herausforderung zunächst gar nicht spektakulär: Alle 14 Tage drei Fahrzeuge an eine europäische Rennstrecke zu bringen hört sich bei Weitem nicht so stressig an, wie es tatsächlich ist. 01 03 02 WETTRENNEN ZUR STRECKE Doch die Fracht ist empfindlich, die Beladung kompliziert und der Zeitdruck immens. Je früher die Rennfahrzeuge wieder zurückkommen, desto eher kann mit ihnen gearbeitet werden: Schäden können ausgebessert und die Technik modifiziert werden. Wer seine Autos eher daheim hat, kann länger an der Weiterentwicklung arbeiten und erhöht seine Chance, die Konkurrenten auf der Strecke zu überholen. Bis in die Fünfzigerjahre hinein war es daher nicht ungewöhnlich, dass Rennwagenhersteller eigene Transporter zur Beförderung konstruierten – meist auf Pkw-Basis mit starken Sportmotoren. Und musste es besonders schnell gehen, wurde auch schon mal ein Rennfahrzeug auf eigener Achse überführt. Beides ist mittlerweile natürlich unvorstellbar. Heute gibt es in der Formel-1-Welt eine weitaus effizientere Transportlösung: Sattelzugmaschinen mit bis zu 680 PS. Sechs von zehn Formel-1-Rennställen setzten im 01. Formel-1-Boliden werden mit größtmöglicher Vorsicht entladen. Ihr Wert: bis zu fünf Millionen Euro. 02. Ein Toyota-Mechaniker erklimmt die Außentreppe zu seinem MAN-Teamtruck im Fahrerlager. 03. Mit Thermohüllen werden die Reifen geschützt. Sie sind das „schwarze Gold“ der Formel 1. >GRAND-PRIX-KALENDER 2009 17 Rennen bis zum Titel 29. März: Australien, Melbourne 5. April: Malaysia, Kuala Lumpur 19. April: China, Shanghai 26. April: Bahrain, Manama 10. Mai: Spanien, Barcelona 24. Mai: Monaco, Monte Carlo 7. Juni: Türkei, Istanbul 21. Juni: England, Silverstone 12. Juli: Deutschland, Nürburgring 26. Juli: Ungarn, Budapest 23. August: Spanien, Valencia 30. August: Belgien, Spa 13. September: Italien, Monza 27. September: Singapur, Singapur 4. Oktober: Japan, Suzuka 18. Oktober: Brasilien, São Paulo 1. November: Abu Dhabi, Abu Dhabi 14_01.09_44_49_F1 Logistik 04.03.2009 15:51 Uhr Seite 47 Fotos: imago (3) MAN forum 0 1 / 2 0 0 9 vergangenen Jahr für ihre Straßenlogistik auf MAN – das spricht für sich. Bis ins kleinste Detail mit den jeweiligen Teamlackierungen versehen, reihen sie sich im Fahrerlager auf und sind längst fester Bestandteil des Grand-PrixSports geworden. Eine besonders enge Beziehung entstand in den letzten Jahren zwischen dem Nutzfahrzeughersteller und dem Panasonic Toyota Racing Team, das in Köln beheimatet ist. Der Fuhrpark des Rennstalls umfasst allein 16 neue MAN TGX. Zu ihnen gesellten sich in der Saison 2008 zwei 7,5-Tonner der TGL-Baureihe sowie zwei dreiachsige TGA. Doch John Day, bei Toyota Racing für die Renn- und Testlogistik verantwortlich, ist sich sicher, dass für die neue Grand-PrixSaison Veränderungen ins Haus stehen. „Wenn es tatsächlich zum Verbot der Testfahrten zwischen den Rennen kommen sollte, hat das natürlich auch Auswirkungen auf unseren Fuhrpark“, analysiert der Logistiker. Denn nur zehn seiner 20 MAN-Fahrzeuge bringt John Day zu einem Formel-1-Wochenende mit. Die übrigen sind – zumindest bislang – überwiegend für das Testteam im Einsatz, das häufig bereits in unmittelbarem Anschluss an ein Rennwochenende seine Arbeit an einer anderen Rennstrecke aufnimmt. „Die Lkw des Einsatzteams spulen jährlich jeweils rund 25 000 Kilometer ab, die des Testteams erreichen fast das Dreifache“, rechnet Logistikchef John Day vor. Mag sein, dass in reinen Speditionen die Laufleistung höher ist. Dafür ist die Ladung nur selten so kostspielig wie in der Formel 1. An der Spitze steht dabei der Sattelzug, in dem die Rennfahrzeuge befördert werden. Deren Materialwert kann mit insgesamt gut fünf Millionen Euro angesetzt werden, schließlich sind gleich drei Toyota an Bord: zwei Einsatzfahrzeuge und ein Ersatzwagen. Vier weitere Lastzüge sind so dicht mit Tech- 47 Fünf erstaunliche Dinge über die Formel 1, die Sie noch nicht wussten: Herzschlag Mitten im Vulkan Der Stress der Rennfahrer lässt sich am Puls ablesen. Der Ruhepuls liegt bei 60 Schlägen in der Minute. Beim Einstieg ins Cockpit liegt er bei 90, kurz vor dem Start nähert er sich der 130. Der Adrenalinhöchststand wird vor der ersten Kurve gemessen: Dann schlägt das Herz 180 Mal pro Minute. Schwerstarbeit im Rennmotor leisten vor allem die Kolben. Bei 300 Kilometern pro Stunde brodelt im Kraftpaket des Rennwagens ein Vulkan. Bei 19 000 Umdrehungen pro Minute legen die Kolben innerhalb einer Sekunde 25 Meter Weg zurück. Dabei müssen sie das 8 500-Fache der Erdbeschleunigung aushalten. Luftikusse Klarsicht Feiner Zwirn Der Luftwiderstand von Formel-1Boliden ist eine Katastrophe. Ihr Strömungswiderstands-Koeffizient liegt im Durchschnitt bei 1,20. Schuld sind die frei stehenden Räder und die vielen Flügel und Spoiler. Zum Vergleich: Der neue Audi A4 erreicht lediglich 0,27. Visiere müssen strenge Sicherheitstests bestehen: Sie werden mit 500 Kilometer pro Stunde schnellen Projektilen beschossen. Die Einschläge dürfen nicht tiefer als 2,5 Millimeter sein. Das kleinste Teil im 5 000-TeilePuzzle Rennwagen ist der Faden, aus dem die Kohlefaserhülle der Sicherheitszelle gewebt wird. Jeder Kohlefaserfaden besteht aus 12 000 Mikrofäden, die jeweils 15 Mal dünner sind als ein menschliches Haar. nik bepackt wie ein gut gesetztes Tetris-Spiel: mit Verschleißmaterial wie Schrauben, Muttern, Fett und Öl, mit Ersatz- und Wechselteilen für eine Woche und mit dem mobilen Rechenzentrum, das zur Analyse der Fahrzeugdaten benötigt wird. DAS RESTAURANT FÄHRT MIT In den übrigen fünf Trucks sind die nicht technischen Komponenten beheimatet, zum Beispiel das Motorhome und die Hospitality, die zur Bewirtung und als Rückzugsort im hektischen Fahrerlager dienen. Aber auch klassische Verbrauchsmaterialien, Merchandisingartikel und Nahrungsmittel befinden sich an Bord der großen Auflieger: Spezielle Papierservietten, bedruckt mit dem Teamlogo, dekorative Topfpflanzen, elegante Teppichböden und gut gekühlter Champagner sind genauso fester Bestandteil der Formel1-Welt wie die Rennfahrzeuge selbst. Doch im Gegensatz zu den exklusiven Requisiten werden Wagen und Technik nach dem Rennen sehnlichst im Toyota-Werk in KölnMarsdorf zurückerwartet. „Unsere Techniktrucks verlassen normalerweise noch am Sonntag gegen 20.30 Uhr die Rennstrecke“, erklärt John Day. Das sind nur wenige Stunden nach dem Fallen der Zielflagge. „Wir gehören damit stets zu den Ersten“, ergänzt der Brite stolz, weist aber auch auf Besonderheiten hin: „In Monaco oder Spa-Francorchamps sieht es anders aus. Dort sorgen bauliche Gegebenheiten und Sonderregelungen dafür, dass die Teams erst am Montagvormittag loskommen.“ Und noch ein anderer europäischer Grand Prix stellt eine Herausforderung für die Logistik dar. „Zum Rennen in Istanbul kommen die Motorhomes auf dem langen Landweg, während der Rest der Flotte Mittelmeerfähren nutzt. Das bedeutet einen höheren organisatorischen Aufwand, ganz zu schweigen von der längeren Reisedauer“, hebt 14_01.09_44_49_F1 Logistik 04.03.2009 15:51 Uhr Seite 48 48 01 03 01. In der Formel 1 dreht sich alles ums Tempo – auch im mobilen Rechenzentrum des Toyota-Teams. 02. Wichtig für die Aerodynamik ist der Frontflügel. Dieser erzeugt rund ein Viertel des Abtriebs eines F1-Autos. 03. Mit ausfahrbaren Erkern lässt sich der Arbeitsbereich an Bord der Lkw-Auflieger merklich vergrößern. 04. Längst fester Bestandteil jedes Grand Prix: reihenweise MANTrucks im Fahrerlager 02 Fotos: Toyota Motor Corporation (3), imago 04 14_01.09_44_49_F1 Logistik 04.03.2009 15:51 Uhr Seite 49 MAN forum 0 1 / 2 0 0 9 49 spektrum John Day den Türkei-Grand-Prix hervor. Eigene Regeln gelten auch bei „Back-to-back Races“, wie es im Fachjargon heißt. Damit ist die Abfolge zweier Rennen innerhalb von sieben Tagen gemeint. Nach dem Formel-1-Kalender 2009 ist das in Europa nur einmal Ende August der Fall. „Doch dann wird es hart“, prognostiziert John Day und skizziert: „Es gibt zwischen den Rennen keinerlei Erholung, und wir müssen die Personalstärke verdoppeln. Be- und Entladen bleiben zwar grundsätzlich gleich, nur führen die Transporte direkt zum nächsten Veranstaltungsort ohne Zwischenstopp und technische Kontrolle.“ An jeder Formel-1-Strecke sehen die Boxen etwas anders aus, daher ist die Einrichtung jedes Mal maßgeschneidert. Am Nürburgring gibt es beispielsweise alles vom Feinsten: große, moderne Boxen, reichlich Steckdosen und Toiletten. Das lässt sich von Monza nicht behaupten, wo die Boxen alt und eng sind. In Monaco ist alles mehr oder weniger improvisiert. Die Teams müssen wirklich alles mitbringen: angefangen bei der Verkabelung – im Schnitt mehr als 500 Meter pro Box – über die Zeitansagen, das Gestell, an dem die Karosserien hängen, und nicht zu vergessen die Wandpaneele mit Markenzeichen, damit das Ganze wirklich wie die jeweilige Formel-1-Werkstatt aussieht. OHNE LKW-TEAMS LÄUFT NICHTS Der Aufbau vor Ort dauert in der Regel gut zwei Tage. Und gleich am Sonntagabend muss alles wieder eingepackt werden. Aber auch dazwischen haben die Lkw-Teams jede Menge zu tun. Besonders die Reifenmechaniker, die ab Donnerstag praktisch nonstop die Reifen einsammeln, auf den richtigen Druck bringen, markieren, auflisten, einpacken, erhitzen und ausgeben. Lkw-Trucks und ihre Fahrer bilden zweifellos das Fundament für den Formel-1-Zirkus und seine Akteure: die Teamchefs, die Topfahrer und nicht zuletzt die Medienleute, die das Publikum bedienen. Ohne die Lkw-Fahrer hätten sie keine Rennwagen, ja nicht einmal Werkstätten an der Boxengasse. Jede Panne und jede Verzögerung zwischen den Grand-PrixRennen wäre eine Katastrophe. T-SHIRTS FÜR DIE POLIZEI Selbstredend, dass Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der MAN-Zugmaschinen daher eine besonders große Rolle spielen. Denn nur, wenn die Fracht pünktlich eintrifft, können die Mechaniker ab Mittwochmorgen vor dem Rennen mit den Vorbereitungen vor Ort beginnen. Staus und Umwege sind beim Transport genauso wenig gefragt wie ungeplante Kontrollen, von denen die bunt lackierten Lastzüge aber nicht verschont sind. Immer wieder passiert es den Lkw-Fahrern, dass sie von schaulustigen Polizisten oder dem Zoll gestoppt werden. Auf einem Trip nach Monte Carlo oder Monza kann es schon mal zwei oder drei Stopps wegen neugierigen Beamten geben. Frustrierend, wenn man es ohnehin eilig hat und nur 80 Kilometer pro Stunde fahren darf. Doch oft reicht ein exklusiver Blick in den Laderaum oder das Verteilen eines kleinen Give-aways wie Mütze oder T-Shirt, um die Weiterfahrt rasch fortsetzen zu können. Verzögerungen ganz anderer Art stellen Tankstopps der Lastzüge dar. Markus Bürger, der Cheftrucker von Toyota Motorsport, wird beim minutenlangen Befüllen des 400Liter-Lkw-Tanks regelmäßig ungeduldig: Er steuert nicht nur den Toyota-Renntransporter, sondern ist am Wochenende auch Tankwart bei den Boxenstopps. Dort schießen zwölf Liter Benzin pro Sekunde in die Tanks der Formel-1-Boliden, sodass sie im Handumdrehen vollgetankt sind. So weit wird es mit der Geschwindigkeit in der F1-Logistik wohl aber nie getrieben. < > GEPÄCKLISTE 40 Tonnen teure Fracht – was ein Formel-1-Team geladen hat „Ohne die Motorhomes und die Lkw wiegt unsere Ausstattung 38 bis 40 Tonnen, einschließlich der drei Rennfahrzeuge“, rechnet John Day, bei Toyota Racing für die Renn- und Testlogistik verantwortlich. „Sie ist fast unabhängig davon, ob wir zu einem europäischen oder einem interkontinentalen Rennen reisen.“ In diesem Gesamtgewicht sind die technischen Komponenten wie Motoren, Spoiler und Räder enthalten, aber auch Werkstattausrüstung, Computer, Datenleitungen, Stromkabel und Funkgeräte. Viele Ersatzteile werden in bis zu sechsfacher Ausführung eingepackt. Lang ist auch die Liste der Artikel aus der Rubrik „Wohlfühlen und Bewirtung“ – von kompletten Küchen über komfortable Ledersessel bis hin zu Streichhölzern muss alles mit. Geht man ins Detail, kommen so rund 10 000 Einzelpositionen zusammen, die auf einer knapp 100-seitigen Checkliste erfasst werden müssen.