Kein Lebenszeichen auf lange Zeit? Eine ausladende Stille
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Kein Lebenszeichen auf lange Zeit? Eine ausladende Stille
Kein Lebenszeichen auf lange Zeit? Eine ausladende Stille ohne die notwendige Ruhe fuer den Koerper und um so vielmehr fuer die Seele wuerde ich es nennen. Nur 4 Monate sind vergangen seit meiner Rueckkehr aus der Schweiz und aus Deutschland und ich fuehle mich ausgebrannt, nicht mehr faehig am Abend einige Zeilen in mein Tagebuch zu schreiben, geschweige denn motiviert einen persoenlichen Rundbrief aufzusetzen. Ich mag nicht zaehlen, all jene Momente, in denen ich den Gedanken hege aufzugeben und kurz entschlossen mein „altes“ Leben in Europa wieder aufzunehmen. Dabei sind es weniger die Ereignisse, die mich erdruecken als meine physische Befindlichkeit und psychische Unsicherheit. Die letzten 4 Tage in Kampala, die ersten 4 Tage in einer groesseren Stadt, nach all den Wochen und den wenigen Monaten auf dem Dorf lehren mich: 1. Achte auf deine koerperliche Konstitution. Mein Konfektionsgroesse ist von 42 auf 38 gesunken, an Bauch und Beinen haengen die Hautfalten einst angefuellt mit Fettressourcen von den Knochen; ich zaehle meine Rippen mit blossem Auge. Zuerst hatte ich keinen Appetit auf die laendliche Kost aus einer ansehnlichen Variation aus getrockneten Bohnen und Maismehl, dann wurde das Essen knapp und wir lebten Wochen weise von wilden Bohnenkrautblaettern gekocht und mit getrockneten Fisch angereichtert. Monatlich schlug ich mich mit einer Malaria herum, die nicht ausheilen wollte und er verblieb stets eine anhaltende, unkontrollierbare Durchfallerkrankung. Wie fuehlt manfrau sich, wenn 2 bis 3 Mal pro Tag die Hose voll ist? Ausgelaugt – gleich wie viel Fluessigkeit ich auch zu mir nehme. Da stellt dann eine herausgefallene Zahnfuellung ohne zahnaerztliche Behandlungsaussicht nur noch „den Tropfen auf den heissen Stein“ dar. In den letzten Wochen musste ich feststellen, dass der Durchfall eine allergische Reaktion auf ein Pop_Drink-Pulver war, in Ermangelung von frischen Fruechten war ich auf kuenstliches „Brausepulver“ (Vitamin C) uebergegangen. Die letzten Wochen brachten Entspannung auf dem Ernaehrungssektor: Im Garten wachsen gruene Bohnen, Okra, Tomaten und Auberginen. Der Mais ist reif. In Kuerze werden die ersten Guava und Passionsfruechte an den Baeumen gelb. Die Papaya sind noch gruen, die Physallis waechst praechtig. Ueber die Erdnuesse auf dem Feld machen sich die Nager, wie Eichhoernchen und andere nagende Vierbeiner (die Namen sind mir nur in Madi-Sprache gelaeufig – da ich hier kein Tierlexikon habe) her. Die ersten Generation von Meerschweinchen ist unbewacht von Mensch und Tier angegriffen worden, ersterer grillt und isst, zweiter frisst. Von den 16 Kaninchen mit ersten Wurf aus 9 sind 4 uebrig geblieben. Die Kaninchenstaelle sind nicht Schlangen sicher und was nicht heruntergeschlungen werden kann, verbleibt tot im Stall. Der erhoffte Gewinn fuer die haeuslichen Tisch entpuppt sich als beaengstigender Aerger und arger Verlust, mehr zweifelhalte, weil hilflose Arbeit faellt an, um die Angreifer fernzuhalten. Wie denn ueberhaupt die Garten- und Feldarbeit unuebersehbar wird. In den Monaten April und Mai gab es kaum Regen. Der Boden war verhaertet, so dass kein Spaten und Ho die Krumme aufbrechen konnte. Wir waren mit der Bewaesserung beschaftigt. Anfang Juni kam der Regen, der sich in starken Gewittern ueber das Land erschuettet, Steine und Erdreich mit sich zieht. Unsere Gaertnerin Rebecca und die Saisonarbeiter Paride und Andruge sind mit den Reparaturen am Zaun und Wegen, dem Sensen des aufschiessenden Grasses beschaeftigt. Wo nicht woechentlich Unkraut gejaetet wird, muss im monatlichen Rhythmus Feldrodung betrieben werden.Alles manuell und mit den Haenden. Weniger ein schmerzliches Problem fuer den gebeugten Ruecken als fuer die von Dornen und Graesern wunden Finger und Haende. Die Fingernaegel lassen erahnen, was Naegelkauen bis auf das Fleisch bewirken kann. Unser Vater ist seit Ende April bettlaegrig. Ich vermute Prostatakrebs. Die Diagnose ist offen. Im Mai ging es ihm so schlecht, dass wir mit seinem taeglichen Ableben gerechnet haben. Dann war eine Injektion (kuenstliche Ernaehrung) in die Hand neben die Vene gegangen und die Hand schwoll an; eine Vergiftung, die es notwendig machte ihn im Gulu/Uganda den Arm zu amputieren. Nach 1 ½ Monaten ist er nun zurueck, stark traumatisiert und darueber hinaus weiterhin bettlaegrig. Verena mag ermessen, was die Pflege beinhaltet, wenn eine ausgelegene Matratze, ein altes Holzbettgestell und en Plastikstuhl ausgesaegt zum Egon umfunktioniert in der Pflegestufe zur Verfuegung stehen. Gisela, keine Einrichtung weit und brei, die die Sorge uebernehmen kann. Und eigentlich ist es uns ganz recht ihn in vertrauter Umgebung mit all den vielen BesucherInnen aus dem Dorf zu haben. Allein in dieser kargen Zeit, die richtigen Lebensmittel zu finden, ist schwer. Das Essen muss puerriert werden, weil die Schluckbeschwerden groesser werden und schwer Verdauliches vom Koerper nicht angenommn wird. Meine wenigen Ersparnisse sind aufgebraucht. Ich habe mit ihm meine taegliche Avocado oder eine Banane geteilt. Finanziell sind wir privat am Ende. Die Reife der Feldfruechte gibt uns noch bis Oktober etwas zu essen. Auf dem Dorf fehlt es an Bargeld und die Kinder muessen der Schule fernbleiben. Es ist eine Durststrecke, die wir zu ueberwinden haben. In wenigen Monaten wird sich herauskristallisieren, ob wir von dem was wir produzieren leben koennen. Das Projekt laeuft dank der finanziellen Unterstuetzung von Brot fuer die Welt Oesterreich gut. Unsere Abfuellerstation wird gut angenommen, die DorfbewohnerInnen bringen Karikénuessen, Chillibohnen, Moringasamen und –blaetter und sammeln Neemsaat. Wir haben gruene Bohnen als Saatgut an sie ausgereicht und Ingwerwurzeln verteilt. Das Pflanzgut laesst hoffen, doch ist die Anbauflaeche noch zu gering und Feldarbeiter sind schwer zu bezahlen. Da wuensche ich mir einen kleinen Pflegetraktor wie er auf der Alm genutzt wird oder eine mit Benzin betriebene Sense. Wir haben einen Ladenraum angemietet und sind mit dem Einrichten beschaeftigt. Dies ist auch der Grund warum wir uns in Kampala befinden, wir haben Abfuellcontainer bei der Verpackungsindustrie eingekauft, eine Folie fuer ein ausgedientes UNICEF-Schulzelt, welches wir als Gewaechshaus nutzen wollen. Leider ist der Input durch die Mitglieder gering. Sie sindmit ihren Feldern ausgefuellt. In der angehenden Bibliothek liegen die angekauften Shea-Nuesse zum Oelpressen. Taeglich macht die Maschine ca. 26 kg. Die hohe Luftfeuchtigkeit verlangt die Nuesse bei aufgehender Sonne zum Trocknen auszulegen. Unsere zwei Solaroefen schaffen die Kapazitaet nicht. Das Oel ist von sehr guter Qualitaet. Taeglich kommen 1-3 Patienten aus der Ferne in das Dorf und lassen sich von uns beraten (Rheuma, Malaria, Asthma, Arterienverkalkung, Erkaeltung, Durchfallerkrankungen meist durch Bakterien und andere lebende Parasiten im Wasser verursacht). Im Dorf selbst wird weiterhin auf die fehlenden pharmazeutischen Artikel gesetzt (Was gilt der Propeht im eigenen Dorf?). Der anhaltende Buergerkrieg im Suedsudan hat eine ausreichende Versorgung der kranken Bevoelkerung verunmoeglicht. Jetzt wo Typhus, Malaria und Cholera um sich greifen, fehlt es an Medikamenten. Vielfach tragen Betagte die Medikamente bei sich, um beim ersten Anzeichen handlungsfaehig zu sein. Letztendlich steht das Dorf zum Projekt, doch der Boma Chief ist ein Trinker, die Aeltesten sind intellektuell den Neureichen aus der Stadt nicht gewachsen. Wir haben sehr aktuell einen Fall von Landraub, der das Projekt existentiell bedroht. Gleich anamed/Community Opari Natural Health (CoOpNaHe) einen Nutzungsvertrag ueber die kultivierte Flaeche besitzt, streiten sich Klanverwandte um das Land. Die familie ist fuer ihre habgier bekannt und die Mehrheit der EinwohnerInnen will sie nicht, doch aufgrund der Tradition nennen sie sich Anverwandte. Es geht um 100m x 100m Anrainerland. In einem Akt des Jaehzorns hat eine Frau 32 Artemisia, 2 Papaya, 2 Jakfrucht und einige Ananaspflanzen aus den Boden gerissen. Moses und der Vorsitzende des Vereins CoOpNaHe hat ein Klageverfahren bei der Polizei eroeffnet und das „Department for Plant Protection“ hat den Wert auf 33.850 SSP (ca. 8000 USD) geschaetzt. Darueber hinaus musste die gegnerische Partei gehoerige Strafen fuer die Poebelei mit der Polizei bezahlen, ein Bestechungsversuch ihrerseits ist ebenfalls fehlgeschlagen und wurde entsprechend geruegt. Die Aeltesten hatten sich den Plan zurecht gelegt, das Strafgeld zu erlassen, wenn sie die Haendeleien um das Land aufgeben wuerden. Weit gefehlt! Wir hatten 3 lange Sitzungen im Dorfrat mit der gesamten ansaessigen Bevoelkerung. Es wurde viel geredet doch keine loesung gefunden. Die gegnerischen Parteien blieben verhaertet. Der Fall ist nun an das Landesgericht uebertragen worden, da die Endscheide der traditionellen Gerichtsbarkeiten nicht respektiert werden. Der Schaetzwert liegt bei ca. 80.000 USD fuer den Landraub. Das Herausziehen der pflanzen gilt als Kapitalverbrechen und wird mit mindestens 7 Jahren Gefaengnis geahndet. Aufregend – sage ich euch. Taeglich frage ich mich fuer wen und was ich hier meine Ressourcen brach lege. Ich bin gefragt worden, ob die Fussballweltmeisterschaft ein Thema war. Ja, natuerlich am Radio haben wir so mache live-Uebertragung verfolgt. Zum Endspiel sind Moses und ich mit einigen Jungen aus dem oertlichen Fussballteam nach Nimule gefahren. Moses hat die Deutschlandfahne an unsere Eingangstuer gehaengt. Leider musste ich am eigenen Koerper erfahren, was es bedeutet, wenn Panik um sich greift. Die Fernsehzuschauer in der Bar waren von Geruechten ueber feindliche Uebergriffe so angespannt, dass zur Endrunde Panik ausbrach und in 1 min mehr als 100 Personen ueber einanderherfielen/stiegen und der Raum leer war. Ich lag am Boden und hielt mir die Arme ueber den Kopf dicht an die Wand gerollt von umgeworfenen Stuehlen ueberhaueft, die mir in die rechte Brust schnitten, ein Fusstritt traf mein Schienbein. Ich wartete auf Schuesse, als Ruhe eintrat sammelte ich mich mit weiteren 3 verbliebenen Personen - das T’Shirt in Fetzen. Die Computerkurse in unserem Trainingzentrum werden gut angenommen. Ich habe zwei Anfaengerkurse mit je 9 Personen fuer je drei Monate. Leider laesst die Zahlungsmoral zu wuenschen uebrig. Auch der Samstagvormittag-Workshop fuer Perlenarbeiten wird gut angenommen, Woche fuer Woche kommen mehr Frauen und Maedchen. Ich zahle ihnen die guten Arbeiten in der Hoffnung sie dann im Laden oder via website verkaufen zu koennen. Die Englischkurse wurden von den Frauen noch nicht angenommen; es kann nicht am Preis liegen, da wir anboten, sie koennten in Nauralien bezahlt werden. Die Feldarbeit laesst derzeit eine regulaere Teilnahme nicht zu, ausserdem ist die Befangenheitschwelle zu hoch. Die Frauen meinen, sie muessten fuer den Unterricht eine UebersetzerIn in der Muttersprache haben. Ich werde mit einer kleinen Gruppe beginnen muessen, so mir die Energie und die Zeit dazu bleibt. Jetzt hoffe ich, kurz vor der Rueckreise noch ein offenes Internet-Cafe zu finden. Dann kann der Bericht an Brot fuer die Welt Oesterreich, mein Rundbrief und so manche Post an die GeburtstagsgartulatInnen raus gehen. Vielen lieben Dank. Ich war am Geburtstag allein und naschte ein paar Kekse, Tage drauf brachte Moses eine Flasche alkoholfreien Sekt. Wie es jetzt weiter gehen wird... schwer zu sagen. Ich bin entsetzlich muede, aber am Mangel an Schlaf kann es nicht liegen. Manchmal ist die Arbeit recht kreativ, speziell die Elemente des City Gardening macht mir viel Freude. Ich arbeite lieber intensiv als extensiv, aber der Sprung in den Kommerz verlangt die Expansion mit noch mehr Baustellen und wenigen versierten Personal. Moses bemueht sich sehr und arbeitet mit, doch seine Pflichten als aeltester Sohn im Klan verlangen Praesenzen bei allen Konfliktfaellen: 1. Sarah (15) lief von zu Hause fort und warf sich in die Arme eines 16 Jaehrigen. Bei der trinkenden alleinerziehenden Mutter haette ich wohl dasselbe getan. Sie wurden ausgepeitscht, man nennt es stubborn. Das Strafgeld der Familie des Jungen geht an die trinkende Mutter, nicht an ein besseres Home fuer Sarah oder ihre kuenftige Lebensperspektive. 2. Grace wurde von Joel geschlagen. 2 Zaehne sind locker und einer ist gebrochen. Sie liegt mit steifen Hals auf der Krankenstation, doch will sie den fall nicht beim Familienrat anzeigen. Der Ehemann ist stickend faul, an 4 Frauen und mehr als 10 Kinder, traegt aber nicht zum Lebensunterhalt bei. Grace wurde geschlagen, weil sie fuer die Kinder in der Nachbarschaft betteln ging. 3. Der 4jaehrige Ismael ist mental gestoert. Er weiss nie unter welchen Bedingungen der Morgen beginnt. Seine Mutter hat neu geheiratet und ihn bei der trinkenden Grossmutter gelassen; wie ist die Grossmutter drauf: Roter Pfeffer, Milch oder Zucker? Ich fuehle mich hilflos. Noch ist mir der Zugang zum Lehren in der Schule verwehrt. Die Kinder haben viel frei, weil der Staat Feiertage, Schulsporttage etc verordnet. Die Maedchen sollen promoted werden, dh. Sie werden ohne akzeptable Schulnoten versetzt. Ich finde in den Schulhaeften der Kinder die Unterschrift des Lehrers mit ‚excellent‘ und mehr als 50 % der Aufgaben ist falsch. Korrekturen und Uebungen werden nicht angemahnt. Das ist so aergerlich, weil nicht nur die Kinder, sondern auch die Muetter betrogen werden. Sie koennen das Englische nicht lesen und freuen sich ueber den Progress ihres Kindes – so sie denn den Schulbesuc ihrer Kinder foerdern. Ich schaetze mehr als 45 % unserer Heranwachsenden Kinder besucht keine Schule. Sie werden fuer die haus- und feldarbeit gebraucht. 24 Maenner – Vaeter aus unserem Dorf sind im anhaltenden Krieg als Soldaten getoetet worden; ihre Frauen klagen Witwengelder ein. Entschuldige meinen Pessimismus. Es mag wieder Tage geben, wo ich besserer Stimmung bin Liebe Gruesse und fuehlt euch umarmt, auch wenn mir Geburtstage entfallen und persoenliche Nachrichten im Moment schwer von der Hand gehen. Alles Liebe Gunda