Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität - Türk

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Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität - Türk
Onlineausgabe
März-April
2016
Vol: 01
Nr: 05
VOKAL
Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität
IMPRESSUM
Herausgeber
im Namen der
TDU
Halil Akkanat
Chefredakteur
Ünal Bilir
V. Redakteur
(V.i.S.d.P)
Tamer Tekgül
Autoren
Nihan Uzunoğlu
Ali Ömer Baykar
Mustafa Erkam Özateş
Deniz Kuru
Ece Gamzegül Kayalar
Sibylla Wolfgarten
Anja Martin
Titelfoto
Ünal Bilir
Anschrift
VOKAL
Türk-Alman Üniversitesi
Şahinkaya Cad. No: 86
34820, Beykoz-Istanbul-Türkei
Tel: +90-2163333027
Fax: +90-2163333038
E-Mail: vokal@tau.edu.tr
Alle Rechte der in dieser Zeitschrift veröffentlichten
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Redaktion sowie gegebenenfalls mit dem
zusätzlichen Einverständnis jeweiliger
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veröffentlicht werden. Jede Autorin, jeder Autor ist
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selbst verantwortlich.
März-April
2016
Vol. 01, Nr. 05
VOKAL
| Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität |
Prof. Dr. Philip Kunig
im Gespräch
Seit 2010 ist Prof. Dr. Kunig
Vizepräsident des
Hochschulkonsortiums der TürkischDeutschen Universität. Seit Lehrbeginn
im September 2013, unterrichtet Kunig,
neben seinen Aufgaben an der Freien
Universität Berlin, Öffentliches Recht
sowie Völkerrecht und ist auf deutscher
Seite Koordinator der juristischen
Fakultät. Im Rahmen des Face-to-Face
Interviews unserer Zeitschrift Vokal
stand Prof. Dr. Kunig für ein Gespräch
mit unserem Redaktionsleiter Dr. Ünal
Bilir und unserer Reporterin Nihan
Uzunoğlu zur Verfügung. Das Interview
können Sie unter der Rubrik „Face to
Face“ lesen.
Partner im Fokus:
Die Freie Universität
Berlin
Die Freie Universität Berlin ist seit
der Vorbereitungsphase der
Türkisch-Deutschen Universität auf
deutscher Seite federführend für das
Fach Rechtswissenschaft.
Neben Professor Kunig sind derzeit
zwei weitere Professoren der FUBerlin, Detlef Leenen und Hubert
Rottleuthner, mit Vorlesungen am
Lehrbetrieb unserer Universität
beteiligt. Diese wichtige
Unterstützung nehmen wir daher
zum Anlass, unseren Lesern die
Freie Universität Berlin als eine
„Exzellenzuniversität“ unter der
Rubrik „Partner im Fokus“
ausführlich vorzustellen.
Themen in dieser Ausgabe
30 Jahre High-Tech-Produktion in Anatolien
Industrie 4.0
Aufbruchsstimmung an der TDU: Kurzes Jahr, große Fortschritte
Face-to-Face mit Prof. Dr. Philip Kunig,Vizepräsident für
Rechtswissenschaft des K-TDU
Exkursion ins Zentrum der Truck-Welt
Partner im Fokus: Die Freie Universität Berlin
Vortragsreihe „Erfahrung spricht“: Emre Can von der Stiftung
zur Förderung der TDU
Visuelle Konstruktion von Migration und Heterogenität
Stellung der Frau im Berufsleben und GeschlechterDiskriminierung
Begegnung zweier Hochschulwelten: Besuch der Kölner
Studierenden an der TDU
30 Jahre
High-Tech-Produktion
in Anatolien
Vortrag von Prof. Dr. Frank Lehmann zum Thema
„Das Mercedes-LKW-Werk in Aksaray“
Von Nihan Uzunoğlu
Mercedes-Benz Türk A.Ş. Direktor, Prof. Dr. Frank H. Lehmann, referierte vor Studenten und
Dozenten der TDU zum Thema „Das Mercedes-LKW-Werk in Aksaray – 30 Jahre High-TechProduktion in Anatolien“; Ziel des Vortrags war es, das Werk und seine Arbeit kurz
vorzustellen und somit die teilnehmenden Studenten für eine kommende Exkursion im
selbigen vorzubereiten. Die Moderation des Gastvortrages übernahm der Generalkoordinator
der TDU, Herrn Prof. Dr. İzzet Furgaç, der seinerseits auch den geplanten Exkurs zu den
Mercedes-Werken in Aksaray initiierte.
1
Lehmann begann seine
E r w e r b s b i o g r a fi e m i t e i n e r
zweijährigen Lehre zum
Maschinenschlosser: „Ich wollte
meine Arbeit von der Pieke auf
lernen“, sagte er dazu. Später
absolvierte er Studium sowie
Promotion in Aachen und arbeitete
unter anderem für Thyssen. Seit
September 2015 ist er nun Direktor
des Mercedes-LKW-Werkes in
Aksaray.
„Unser Werk umfasst rund 560.000
m2, 120.000m2 sind überbaut. Wir
produzieren per anno ca. 20.000
LKWs - dies seit 30 Jahren allein in
Aksaray - im nächsten Jahr feiern
wir 50 Jahre Mercedes Türkei.
Unsere LKWs sind nach den
Kundenwünschen der Abnehmer
orientiert, daher müssen wir unsere
Fabrik sehr flexibel halten.
Laut Dr. Lehmann sind
fundierte
Fremdsprachenkenntnisse,
internationale Erfahrung,
Kompetenzen zur
Problemlösung, Neugierde
und Teamfähigkeit die
Erwartungen des
Unternehmens „MercedesBenz Türk“ an seine
potenziellen, neuen
Mitarbeiter.
Dies ist auch der Grund, warum wir fachkundiges
Personal aus allen Bereichen benötigen, z.B.
S t e u e r u n g s t e c h n i k , Ve r f a h r e n s t e c h n i k ,
Regelungstechnik, aber ebenso Schweißfachingenieure
werden gebraucht, denn die Erfolgsgeschichte soll
weitergehen: Geplant ist, das Werk um weitere 500
Hektar zu erweitern, mit 60% Investitionszuschüssen
soll ein Ziel von 35.000 produzierten LKWs erreicht
werden“, so Prof. Dr. Lehmann. Er fuhr damit fort, die
Erwartungen des Unternehmens an seine potenziellen,
neuen Mitarbeiter vorzustellen: „Vor allem sollten diese
fundierte Fremdsprachenkenntnisse und internationale Erfahrung,
Problemlösungskompetenzen und Neugierde mitbringen. Aber noch viel mehr legen wir
großen Wert auf Teamfähigkeit. Dafür bieten wir Ihnen internationale Karriere-Chancen an
vielen Standorten der Daimler AG, Weiterentwicklungsmöglichkeiten, ein professionelles Team
sowie herausfordernde Aufgaben im gesamten Produktionsverbund.“
2
Daraufhin zeigte er den Zuhörern seines Vortrages ein Bild von der Erde, welches aus dem
Weltall geschossen wurde: „Eigentlich sollte die Crew der Apollo 5 nur Bilder von der
Mondoberfläche schießen. Doch sie nutzten die Gelegenheit, die sich Ihnen bot und schossen
dieses Bild der Erde. Auch Sie müssen immer einen offenen Blick für solche Überraschungen
oder Gelegenheiten bewahren; das erfordert ein hohes Maß an Sensibilität. Nach 30 Jahren
Aksaray oder 100 Jahre Daimler-LKW-Bau, muss auch ein Unternehmen wie Mercedes stets
offen für Neues sein, aber auch für Fehlereingeständnisse, so wie im Falle des Elchtestes der AKlasse vor einigen Jahren. Es ist wichtig, im Team zu arbeiten, da diejenigen, die die Bauteile
zusammenfügen ein anderes Know-How haben als Sie als Ingenieur – und auch umgekehrt.
Das Entscheidende sind die Menschen um das Unternehmen herum und die gemeinsame
Suche nach Ursachen und Lösung. Sie sollten während des Studiums schon lernen, wie man
mit Menschen umgeht und wie man sie dahingehend motiviert, offen zu denken und Neues zu
schaffen.“
Im Rahmen seines Vortrages stand Herr Lehmann auch für ein Kurzinterview unserer
Zeitschrift Vokal zur Verfügung:
Wie beurteilen Sie aus Unternehmersicht das Konzept der TDU?
Also, ich muss zugeben – ich bin begeistert. Ich hätte nicht gedacht, dass ein solches Konzept
existiert. Ich bin umso begeisterter, da es genau die verschiedenen Kulturen zusammenbringt ich hatte es vorhin nicht erwähnt, aber die Menschen, die sich gut in der türkischen Kultur
auskennen, kommen generell auch mit anderen Kulturen sehr gut klar, die Brasilianer
beispielsweise denken ähnlich. Das ist die große Chance für jeden türkischen Studenten hier, er
kommt von der TDU, kennt also die deutsche Kultur und als Türke natürlich die türkische
Kultur und ist somit fähig, beides zu verbinden. Die Studenten werden perfekt für die Aufgaben
vorbereitet sein, die ihnen im Laufe ihres Lebens noch begegnen werden.
3
Wie sehen Sie die Rolle der „Ressource“ Mensch im Unternehmen?
Uns Führungskräften geht es darum, gemeinsam mit Menschen Ziele zu erreichen; Menschen
dafür zu begeistern, die zum Erfolg führenden Wege zu gehen. Aus HR-Perspektive ist es Ziel,
die Auswahl der Mitarbeiter - egal auf welcher Ebene, ob Produktion oder höher positionierte
Bereiche – so zu gestalten, dass sich teamfähige, offene Mitarbeiter finden lassen, die in der
Lage sind, ein Problem zu beschreiben, damit es anschließend auch gelöst werden kann. Dies
ist der erste Schritt. Darauf folgen erst klassische HR-Fragen wie Weiterbildung oder
Qualifizierung. Die erste Frage muss jedoch immer sein: Was bringen die Menschen an
Qualifizierungen mit?
„Das ist eine große
Chance für jeden
türkischen Studenten. Er
kommt von der TDU,
kennt also die deutsche
und als Türke natürlich
die türkische Kultur und
ist somit fähig, beides zu
verbinden.“
Wie schätzen Sie die Verzahnung von Theorie und Praxis ein? Wie wichtig ist für Sie im universitären
Kontext der Begriff Anwendbarkeit?
Auch, wenn man die Forschung zum Berufsziel hat, muss man die Praxis verstehen und
hinterfragen, ob die Lösung, an der man gerade arbeitet, überhaupt einen Beitrag dazu liefert,
das Problem zu lösen. Reine Theoretiker verlieren geradezu den Bezug zur Realität und sind
aus dem Grund oftmals auch nicht erfolgreich. Als Ingenieur, Betriebswirt o.ä. brauchen Sie
immer den Austausch von Theorie und Praxis. Das ist genau das, was mich an der TDU
begeistert, dass eben Praxis und Theorie sehr eng ineinander gehen. Die Studenten absolvieren
Praktika und Projektarbeiten mit der Industrie; das ist die Riesenchance der TDU, dieses
Konzept wird die allerbesten Absolventen des Landes hervorbringen.
Fotos: Gülten Kılınç
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VOKAL
INDUSTRIE 4.0
Von Ali Ömer Baykar und Mustafa Erkam Özateş
Fachvortrag an der TDU über die vierte industrielle Revolution
Am 30. März 2016 sprach Herr Ali Rıza Ersoy, stellvertretender
Geschäftsführer der Siemens Türkiye A.Ş. in einem von den ingenieurund naturwissenschaftlichen Fakultäten organisierten Fachvortrag über
die vierte industrielle Revolution, die sogenannte „Industrie 4.0“.
5
Ali Rıza Ersoy,
stellvertretender
Geschäftsführer der
Siemens Türkiye
A.Ş.
VOKAL
Im Jahre 1784 begann mit Anwendung der
Dampf- statt Menschenkraft in England die
Industrialisierung. Die zweite Revolution
erfolgte mit der Elektrifizierung. Heute sind wir
in der dritten Periode; Speicherprogrammierbare
Steuerung (SPS), die in den siebziger Jahren
erfunden wurden, spielen dabei eine wichtige
Rolle. Nun deuten die Zeichen auf eine vierte,
industrielle Revolution hin.
In den letzten zehn Jahren übertraf die
Produktion der Länder im Osten die der
Produktion im Westen. Die Europäische Union
produzierte im Jahre 2006 insgesamt 550
Milliarden €, 2011 stieg die Produktion auf 620
Milliarden € (bzw. Deutschland von 190
Milliarden € auf 220 Milliarden €). Im gleichen
Zeitraum verdreifachte sich in China die
Produktion: Von 170 Milliarden € auf 580
Milliarden €. Die größte Volkswirtschaft - die
der USA - wurde in eine Kommunikations- und
Informationstechnikwirtschaft umgewandelt, die
Produktion beträgt nur 280 Milliarden €. In
dieser Konkurrenzsituation brauchen westliche
Länder eine neue Strategie. Drei Aspekte können
die notwendige Umwandlung unterstützen:
1. Innovationszyklen: Markteinführung eines neuen Produktes bevor es
imitiert werden kann.
2. Flexibilität: Ein Fließband für viele Produkte mit unterschiedlichen
Konfigurationen und mit Individualisierung. Ein großer Vorteil der Länder im
Osten – in großen Mengen günstige Produktion – wird dann nicht relevant
sein.
3. Effizienz: Automatisierte Produktion ohne Menschen und ohne Fehler.
Somit kann gegen das niedrige Gehalt im Osten konkurriert werden.
Der Begriff Industrie 4.0 wurde erstmals im Jahr 2011 bei der CeBIT in
Hannover diskutiert. Um ein Diskussionsforum zu schaffen, bildete die
Bundesregierung - gemeinsam mit öffentlichen Organisationen,
Wissenschaftlern und industriellen Herstellern - ein Konsortium. Im April
2013 veröffentlichte die Bundesregierung eine Roadmap, die von diesem
Konsortium festgelegt wurde. Nur zehn Monate nach der Ankündigung,
führte Siemens Türkiye A.Ş. in unserem Land eine Vorstellung durch.
Ein weiteres Treffen im Dezember 2015 festigte den Eindruck, dass das
Ministerium für Wissenschaft, Industrie und Technologie die notwendigen
Rechtsordnungen bis zum Herbst 2016 erledigen wird.
Wenn wir nur drei Jahre nach der Ankündigung der Bundesregierung
unseren eigenen, strategischen Plan veröffentlichen können, haben wir
eine Chance, diese Revolution zu erfassen. 6
Der Begriff Industrie
4.0 wurde erstmals im
Jahr 2011 bei der
CeBIT in Hannover
diskutiert. Um ein
Diskussionsforum zu
schaffen, bildete die
Bundesregierung gemeinsam mit
öffentlichen
Organisationen,
Wissenschaftlern und
industriellen
Herstellern - ein
Konsortium. Im April
2013 veröffentlichte
die Bundesregierung
eine Roadmap, die
von diesem
Konsortium festgelegt
wurde.
VOKAL
Die Türkei hat enorme Vorteile im Vergleich zu anderen Ländern; weil es eine junge,
dynamische und unternehmerische Bevölkerung hat und etablierte Universitäten besitzt. Falls
die Türkei diese Revolution bewältigen kann, ist es gut möglich, dass sie sich zum
Produktionszentrum Eurasiens und Osteuropas wandelt - so kann auch das
Bruttoinlandsprodukt drastisch vergrößert werden. Eine Organisation, die Industrie 4.0
eingeführt hat, muss folgende acht Merkmale aufweisen.
1 - Cyber-physisches System
Jedes Objekt und jede Person muss durch eine Signatur und Simulation in der digitalen
Computerwelt abgebildet werden.
2 - Vertikale-Horizontale Integration
Informationen aus dem Produktionsbereich müssen in Echtzeit zur Verwaltung weitergeleitet
werden. Außerdem müssen Lieferanten, Händler, Vermarkter und Kunden stetig miteinander in
Verbindung bleiben.
3 - Internet der Dinge
Jedes Objekt muss in der Lage sein, sich mit einer eigenen Identität mit dem Internet mit zu
verbinden.
4 - Autonomer Roboter
Eine Organisation soll mit autonomen Robotern, deren Lernfähigkeit durch Software und
Algorithmen erhöht werden, ausgestattet werden.
5 - Big Data
Komplexe Daten in sehr großen Mengen aus allen Objekten sollen durch entsprechende
Programme zu verarbeiten und zu analysieren sein.
6 - Datenspeicherung
Daten sollen in Cloudsystemen statt in den lokalen IT-Systemen einzelner Firmen gespeichert
werden. Die Daten sollen immer erreichbar sein und mit den notwendigen Partnern sicher geteilt
werden können.
7 - Augmented Reality
Um die Qualität der Produktion zu messen und die Prozesse zu verbessern, soll Augmented
Reality benutzt werden.
8 - Cyber-Sicherheit
Die Daten sollen vor Cyberattacken geschützt werden.
7
VOKAL
Herr Ersoy berichtete von der Fabrik von Amberg, in der Automatisierungsprodukte
produziert werden und die zu einem sehr hohen Grad automatisiert in Betrieb ist. Diese
Fabrik schaffe 1000 verschiedene Produkte mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 0,0011%.
Um das Bewusstsein und eine Informationsquelle in türkischer Sprache zu schaffen, fördert
die Siemens Türkiye A.Ş. den Aufbau der Industrie 4.0-Plattform (http://
www.endustri40.com). Die Türkisch-Deutsche Universität und die Studierenden sollen eine
aktive Rolle bei der Etablierung dieser Plattform spielen.
In Zukunft werden Konzepte wie Open Innovation, Open Design, Open Organization, Open
Capital usw. immer wichtiger werden. Die Menschen möchten Teil der Entwicklung der
Produkte werden.
Mit dieser Revolution soll die Angst vor einer Arbeitslosigkeit bezwungen werden. Auch
vergangene Revolutionen brachten keine Arbeitslosigkeit hervor. Die Revolution werde
eigene, neue Arbeitsfelder zum Vorschein bringen, die wir heute gar nicht kennen und uns
nicht vorstellen können. Diese Revolution braucht nach optimistischen Schätzungen etwa 30
Jahre, deswegen wird es die heutigen Arbeiter nicht beeinflussen. Die nächste Generation
muss sich aber entsprechend vorbereiten und diese Zukunft mit aufbauen. Wer sich individuell nicht vorbereitet, steht natürlich der Gefahr der Arbeitslosigkeit
gegenüber. Die Jobs der Zukunft werden komplexer, detaillierter und fachgerichteter sein.
Allgemeine Ingenieure, wie Elektrotechniker oder Maschinenbauer, werden in der Form nicht
mehr gängig sein. An dieser Stelle müssen Universitäten ihre Strukturen anpassen und den
Studierenden die notwendigen Fähigkeiten ausstatten. Auch die Beziehungen zwischen
Universitäten und Industrie, die heute nicht ausreichend etabliert ist, wird von tragender
Bedeutung sein.
Fotos: Gülten Kılınç
8
VOKAL
Aufbruchstimmung an der TDU
Kurzes Jahr,
große Fortschritte
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Foto: G. Kılınç
VOKAL
Die TDU-Familie wächst
Von Deniz Kuru
Als vor 80 Jahren die erste
moderne, türkische
Universität (Universität zu
Istanbul) gegründet wurde,
nahmen dabei auch deutsche
Wissenschaftler, die wegen
des „Dritten Reiches“ ihr
Land verlassen mussten, eine
sehr große Rolle ein. Sie
waren
die
ersten
Professoren, die die aus
Europa bekannten,
modernen europäischen
Universitätslehrstühle in der
Türkei einführten und die
nächsten Generationen von
Wissenschaftlern der neuen
Republik ausbildeten. Die
Akademiker flohen aus ihrer
Heimat Deutschland in die
Türkei: Jüdische Herkunft,
demokratische Prägungen
oder Ablehnung einer
“inneren Emigration” waren
Gründe dafür. Sie statuierten
damit jedoch ein wichtiges
Exempel in türkischdeutscher, wissenschaftlicher
Foto: Ü. Bilir
Zusammenarbeit, respektive
akademischer Verflechtung.
Nach vielen Jahrzehnten steht nun das Ergebnis einer neuen Form türkisch-deutscher,
akademischen Kooperation vor uns: die Türkisch-Deutsche Universität, in der Metropole
Istanbul. Seit Gründung und Beginn des
Lehrbetriebs im Wintersemester 2013/2014,
Die TDU nahm im Jahr 2013 erstmalig h a t s i c h d i e U n i v e r s i t ä t s t e t i g
weiterentwickelt. Jeden Tag entsteht vor den
127 Studierende auf. Während die
Augen aller Studenten, Akademiker und des
Studierendenzahl 2014 auf 201 stieg,
Verwaltungspersonals ein neues Stück TDU,
wurden im Wintersemester 2015-16
mit modernen Gebäuden und viel wichtiger:
Mit neuen Mitgliedern im wissenschaftlichen
263 Studierende immatrikuliert.
Teams.
10
VOKAL
Foto: Ü. Bilir
Schaut man sich die CVs der Akademiker der TDU an, erkennt man eine Reihe an
Wissenschaftlern, die in führenden deutschen, türkischen, europäischen oder USamerikanischen Universitäten promoviert haben. Sie kommen mit erfolgreich durchgeführten
Projekten, einer immer länger werdenden Veröffentlichungsliste und nachweislicher Expertise
in internationalen, akademischen Kooperationen – zusammengefasst also alle Merkmale, die
eine neue Universität in der Gründungs- und Entwicklungsphase benötigt.
Ein kurzer Blick auf die folgende Tabelle zeigt den großen Fortschritt, den
unsere Universität seit 2015 gemacht hat - exklusive der “flying faculty”Akademiker.
Professoren
wissenschaftliche Mitarbeiter
Anfang 2015
April 2016
11
13
13
13
Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftliche Fakultät
Anfang 2015
April 2016
6
14
5
9
Anfang 2015
April 2016
1
3
1
2
Anfang 2015
April 2016
1
7
1
5
Anfang 2015
April 2016
8
14
4
10
Anfang 2015
April 2016
1
7
1
5
Fakultät für Rechtswissenschaft
Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften
Fakultät für Naturwissenschaften
Fakultät für Ingenieurwissenschaften
Fakultät für Naturwissenschaften
11
T
D
U
2
0
1
5
2
0
1
6
Face-to-Face
mit Prof. Dr. Philip Kunig
Vizepräsident für Rechtswissenschaft des K-TDU
FACE TO FACE
12
Zur Person
Lehr- und Vortragstätigkeiten sowie Gastprofessuren führten
Prof. Dr. Philip Kunig u.a. nach Tokyo, Peking, Taipeh, Shanghai,
Hanoi, Bangkok, Seoul und besonders häufig nach Istanbul und
Ankara. Seit 2010 ist er einer der Vizepräsidenten des
Hochschulkonsortiums der Türkisch-Deutschen Universität. Seit
Lehrbeginn an der TDU im September 2013 unterrichtet Kunig,
neben seinen Aufgaben an der Freien Universität Berlin, Öffentliches
Recht und Völkerrecht und ist auf deutscher Seite Koordinator der
juristischen Fakultät. Neben seinen Forschungs- und
Herausgebertätigkeiten im Bereich des deutschen und des
internationalen Rechts ist Kunig in mehrere türkisch-deutsche
Forschungsprojekte und rechtswissenschaftliche Kooperationen
involviert. Im Rahmen der Face-to-Face Interviews unserer
Zeitschrift Vokal stand Prof. Dr. Kunig für ein Gespräch mit unserem
Redaktionsleiter Dr. Ünal Bilir und unserer Reporterin Nihan
Uzunoğlu zur Verfügung.
Vokal: Schaut man sich Ihren Lebenslauf an, trifft man auf zahlreiche, global angesiedelte Projekte und
Lehrtätigkeiten. Uns stellt sich nun die Frage, wie solch ein internationaler Lebenslauf zustande gekommen ist?
Philip Kunig: Es ist ein beruflich bedingter Lebenslauf. Sie wissen, ich bin Jurist mit
Schwerpunkt auf dem Rechtsgebiet des öffentlichen Rechts. Ich betrachte es unter drei
Gesichtspunkten: Der erste ist das Verfassungsrecht, ein weiterer das Völkerrecht. Auch im
Umweltrecht bin ich tätig. In all diesen Bereichen bietet es sich an, das internationale Gespräch
und die internationale Kooperation zu suchen. Im Völkerrecht ist das selbstredend, man muss
sich dafür interessieren wie andere Staaten Recht definieren und umsetzen. Das Verfassungsrecht
ist nationales Recht. Jeder der weltweit ca. 200 Staaten hat seine eigene Verfassung, es tauchen
jedoch vergleichbare Grundstrukturen auf. Da macht es Sinn zu vergleichen und zu verstehen,
warum es Unterschiede gibt. Steht dies im Zusammenhang mit Traditionen, faktischen
Bedingtheiten oder unterschiedlichen Grundüberzeugungen? Man kann sehr viel - auch über sich
selbst - lernen, wenn man sich mit dem Recht anderer beschäftigt. Ich habe den Beruf des
Rechtswissenschaftlers aus diesem Grunde immer unter dem Aspekt des internationalen
Dialoges verstanden. Und dies führte mich dann in die verschiedenen Gegenden der Welt.
Vokal: Wie kam es dazu, dass sich gerade die Beziehungen mit der Türkei respektive Istanbul intensiviert
haben?
Kunig: Es spielte dabei auch ein außerberuflicher Aspekt eine Rolle: Ich interessierte mich schon
in meiner Jugend sehr für die Türkei - für ihre Kultur und ihre Geschichte. Sie ist ein Ort, an dem
zwar eine gewisse Ferne, aber ebenso Nähe zu Europa und insbesondere zu Deutschland
herrscht, erkennbar an vielen persönlichen sowie beruflichen Biografien von Menschen. Im
Zeitverlauf entwickelten sich dann Gastprofessuren und eine besonders enge Zusammenarbeit
mit der Istanbul Universität. Zusammengefasst: Ich fühlte mich hier beruflich sowie privat immer
sehr wohl und dies trug dazu bei, wie ich meine beruflichen Schwerpunkte setzte.
FACE TO FACE
13
Vokal: Wie kam es dazu, dass Sie letztlich an die TDU
kamen?
Kunig: Der Kontakt begann schon zu Anfang dieses
Projektes. Ich hatte von den Planungen bzw. der
Wiederaufnahme alter Planungen gehört und
informierte mich. Daraufhin wurde ich von der FU
Berlin gebeten, auf deutscher Seite die
Verantwortung für die Gestaltung des Studienganges
Rechtswissenschaft zu übernehmen. Ich fand die
Aufgabe, auf ein solches quasi unbeschriebenes Blatt
zu schreiben und in einem bilateralen Kontext
gemeinsam mit anderen ein Lehrkonzept zu
entwerfen, sehr reizvoll.
Vokal: Die TDU gilt als Leuchtturmprojekt der türkischdeutschen Hochschulkooperation - was ist Ihre persönliche
Meinung dazu?
„Eine Universität lebt von der Lehre
und der Forschung gleichermaßen.
Es liegt mir sehr am Herzen, die
Forschungszusammenarbeit mit den
türkischen Kollegen zu pflegen; die
drückt sich beispielsweise in
gemeinsamen Lehrbuch-Projekten
oder auch in der Gründung einer
Zeitschrift aus, aber ebenso in der
Forschung zu Einzelfragen, die die
deutsch-türkischen Beziehungen
betreffen. Derartige Kooperationen
müssen fortgeführt und intensiviert
werden. Entscheidend bei der
Forschungsarbeit: Vertrauen muss
untereinander wachsen - ich bin sehr
zuversichtlich, dass wir auch auf
diesem Feld zukünftig vieles erreichen
können, innerhalb der
Rechtswissenschaften, aber auch im
Zusammenwirken mit anderen
Wissenschaftsdisziplinen.“
Kunig: Die Legitimation eines Konzeptes wie das der
TDU liegt für mich darin, dass es klare
Alleinstellungsmerkmale aufweist. Nirgendwo sonst
ist ein vergleichbares Projekt zu finden. Man kann es
gut mit Bezug auf den Bachelorstudiengang
Rechtswissenschaften erklären. Er qualifiziert auf
hohem Niveau für den türkischen Arbeitsmarkt und
bringt zugleich eine besondere Expertise im
d e u t s c h e n Re c h t u n d i m s u p r a n a t i o n a l e n ,
europäischen Recht mit sich. Es geht um
Fokussierung auf Deutschland und die Türkei in Europa. Es existiert ja eine besondere Beziehung
zwischen den beiden Ländern, die ein wechselseitiges Interesse auslöst. Wir wollen unsere
Absolventen mit einem vollen Abschluss im türkischen Recht und zugleich hervorragenden
Kenntnissen im deutschen und internationalen Recht qualifizieren. Wir unterrichten daher
deutsches und türkisches Recht parallel und teilweise gemeinsam, stellen Vergleiche an und sind
auch hinsichtlich der Lehrmethoden gut vernetzt. Dies ist nirgendwo sonst so anzutreffen.
Vokal: Diese Zusammenarbeit läuft sicherlich nicht ohne Probleme. Welche Chancen und Schwierigkeiten
treten dabei auf?
Kunig: Überall dort, wo etwas Neues begonnen wird, treten Probleme auf, vor allem
organisatorischer Art. Die betreffen aber eigentlich nicht die Wissenschaftler, denn die haben sich
relativ schnell aneinander gewöhnt und stehen in guter Zusammenarbeit. Manchmal gibt es
Schwierigkeiten mit komplizierten Entscheidungsstrukturen. Dies ist auch dadurch bedingt, dass
bei solch einem großen Projekt, dessen Wichtigkeit und politische Symbolkraft von vielen
Akteuren erkannt wird, naturgemäß auch viele Entscheidungsträger mitwirken. Das bereichert,
aber manchmal verkompliziert es die Dinge. Die Motivation, die alle bei diesem Projekt
mitbringen, führt jedoch dazu, dass man solche Schwierigkeiten überwinden kann.
FACE TO FACE
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Vokal: Die Rechtsfakultät der TDU wurde von der Ehukuk.org in der Kategorie Online-Befragungen der
Studenten zu dem besten Aufsteiger unter den Rechtsfakultäten des ganzen Landes gewählt. Was ist Ihre
Meinung dazu?
Kunig: Als diese Nachricht kam, war ich natürlich sehr erfreut. Es ist eine Anerkennung für das
gesamte Kollektiv, wobei zu diesem selbstverständlich auch die Studenten gehören - ohne
begabte, fleißige und engagierte Studenten ginge die beste Hochschullehre ins Leere. Doch, wenn
man sich über diese Auszeichnung freut, muss man zugleich sagen, dass es die Verpflichtung und
Verantwortung mit sich bringt, zukünftig auf einem solchen guten Wege zu bleiben. Aufsteiger
des Jahres kann man nur einmal werden, jetzt geht es darum, diese Spitzenposition zu halten und
weiter auszubauen. In der Türkei sind bereits viele herausragende, juristische Fakultäten existent,
das bedeutet, dass sich die TDU im Wettbewerb unter diesen erst behaupten, ihren Platz
ausbauen und einnehmen muss.
Vokal: Welche positive Rolle können aus Ihrer Sicht die TDU Akademiker außerhalb der Lehre und Forschung
für die deutsch-türkische Beziehung übernehmen?
Kunig: Jura ist ein Phänomen, welches immer präsent ist, wenn Menschen miteinander zu tun
haben, im Beruf, in der Familie, im Verhältnis zum Staat, überall. Das Recht eröffnet und
begrenzt Handlungsspielräume. Aber wichtig ist auch zu sehen, dass das Recht
Gestaltungsinstrumente bereithält, mit denen man gesetzte Ziele erreichen kann. Man braucht in
allen Lebensbereichen Juristen. Wir möchten solche Persönlichkeiten ausbilden, die insbesondere
auch an den Schnittstellen der türkisch-deutschen Beziehungen arbeiten können, denn die
türkisch-deutsche Nähe hat sehr viele verschiedene Aspekte, privat, sozial und beruflich. Aber
auch ganz unabhängig von der türkisch-deutschen Dimension: Wir wollen einfach eine besonders
gute und niveauvolle Juristenausbildung anbieten, umfassend, verschiedene Traditionen
zusammenbringen. Wir sehen unsere Absolventen in verschiedenen Berufsfeldern, national wie
international. Dafür sollen sie hervorragend qualifiziert sein.
Fotos: Ünal Bilir
FACE TO FACE
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VOKAL
Exkursion
ins Zentrum der Truck-Welt
Von Ece Gamzegül Kayalar
Werksbesuch der Nachwuchsingenieuren der TDU
beim Mercedes-Benz Türk
Die Zweitsemesterstudenten der Studiengänge Mechatronik- und
Wirtschaftsingenieurswesen starteten gemeinsam mit den Dozenten
Tuba Çonka Nurdan, Ahmet Yıldız, Kayhan İnce, Mehmet İpekoğlu,
Sibel Özenler und den Assistenten Ahmet Yükseltürk und Mustafa
Erkam Özateş an einem kühlen Samstagmorgen vom Campus der
Türkisch-Deutschen Universität aus ihre lange Reise in Richtung
Kappadokien.
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VOKAL
Die Studierenden der
Studiengänge
Mechatronik-und
Wirtschaftsingenieurswesen
besuchten auch die
kappadokischen
Feenkamine.
Die von Mercedes-Benz Türk A.Ş. gesponserte Busfahrt begann pünktlich um 9 Uhr. Nach einer
zehn stündigen Fahrt kam der Bus endlich im Stadtteil Avanos und somit dem Hotel Avrasya
an. Nachdem die Zimmer bezogen wurden, gab es im Anschluss ein Abendessen am
abwechslungsreichen Hotelbuffet. Somit endete auch schon der erste Tag.
Der zweite Tag unserer Exkursion wurde viel spannender. Mit einem gemeinsamen Frühstück
im Hotel stärkten sich alle und es ging zu den Feenkaminen (türk. Peri Bacaları). Alle waren
von den Steingestalten und deren Entstehungsgeschichte vor mehreren hundert Jahren
fasziniert. Wir besuchten viele verschiedene Täler, unter anderem das „Aşk Vadisi“ und das
„Güvercinlik Vadisi“. Am Mittag erwartete uns die Vielfalt der traditionellen Küche
Kappadokiens im Zentrum von Avanos, darunter beispielsweise das sogenannte „Testi Kebabı“
- ein in einer Tonschale zubereitetes Rindfleischgericht. Danach ging es nach Ürgüp, wo wir
einen Hügel bestiegen, auf dem wir gemeinsam die Aussicht genossen und den Abend
ausklingen ließen.
Am nächsten Tag erwartete uns der eigentliche Grund unserer Reise nach Aksaray - die
Führung durch die Werke der Mercedes-Benz Türk A.Ş. Aufgrund der etwas längeren Strecke
zwischen Aksaray und Avanos, traten wir die Fahrt bereits um 7:30 Uhr an.
Überraschenderweise fiel an diesem Frühlingstag Schnee, welcher uns die Busfahrt erschwerte.
Dennoch kamen wir pünktlich im 560.000 m² großen LKW-Werk der Mercedes-Benz Türk an.
Bereits auf dem Parkplatz konnten wir die mächtigen Fahrzeuge sehen - die meisten in der
Farbe Weiß, da diese die meist nachgefragte Farbe sei, wie wir später während der
Werksführung erfahren sollten. Es empfing uns eine deutsche Atmosphäre, das Truck-Werk
hatte keinen Unterschied zu den Industriegebieten in Deutschland.
Nachdem wir die Parkposition erreicht hatten, wurden wir sehr freundlich von zwei
Mitarbeitern der Personalabteilung empfangen und zu Kaffee und Kuchen begleitet. Nun
konnte es losgehen - alle waren schon sehr gespannt auf das Werk. Zur Eröffnungsrede, in der
es um allgemeine Informationen über das Werk, Praktika Möglichkeiten und Karrierechancen
bei Mercedes-Benz Türk ging, schloss sich dann auch Werksleiter Prof. Dr.-Ing. Frank H.
Lehmann an. Er teilte uns mit, dass das Werk im Jahre 2018 um das Doppelte erweitert werde
17
VOKAL
und somit auch eine hohe Nachfrage an Ingenieuren bestehen würde. Zudem wurde uns
mitgeteilt, dass die Studenten der TDU nach Abschluss ihres Studiums das nötige Profil
mitbrächten. Des Weiteren seien von in Frage kommenden, zukünftigen Mitarbeiter
Fähigkeiten wie Teambereitschaft und Sprachkenntnisse geforderte Voraussetzungen.
Nach diesem informationsreichen Beginn, teilten wir uns in zwei Gruppen auf, um das Werk
Abteilung für Abteilung genauer zu erkunden. Dabei konnten wir einen Einblick in die
Produktionsabschnitte Rohbau, Lackieren, Innenausstattung und die allererste Probefahrt eines
fertiggebauten LKW‘s gewinnen. Wir wurden in jeder Abteilung von den jeweiligen Leitern, auf
deutscher Sprache geführt. Auch Prof. Dr.-Ing. Frank H. Lehmann begleitete uns und ergänzte
wichtige Einzelheiten. Wir erhielten sehr wertvolles Grundwissen über das Werk,
beispielsweise über die Taktzeiten, an die sich jede Abteilung halten muss. Dabei spielen
Faktoren wie Effizienz und Platzeinsparung eine wichtige Rolle. Ein weiterer, faszinierender
Punkt war, dass in der Endmontage des Fahrgestells alle Werkzeuge an der Decke
herunterhängen und die Werksarbeiter somit nicht ständig hin und her laufen müssen, um sich
die nötigen Utensilien zu holen. Die erforderlichen Utensilien sind zur richtigen Zeit vor Ort.
Zudem gab es vollautomatisierte Fahrzeuge aus Korea, die den Rohbau des Lastwagens von der
einen Produktionsstelle zur nächsten fuhren und dabei eine koreanische Melodie abspielten,
um die Mitarbeiter darauf aufmerksam zu machen. Dieser humorvolle Moment brachte jeden
zum Lachen.
Die vierstündige Werksführung endete im Bistro des Werkes, in dem an jedem Tisch jeweils ein
Mitarbeiter in Führungsposition saß und bereit war, all unsere Fragen zu beantworten. Hier
schlossen sich auch unser Universitätskoordinator Prof. Dr.-Ing. İzzet Furgaç und der Dekan
der Fakultät für Ingenieurwissenschaften Prof. Dr. Oğuzhan Çicekoğlu an. Zum krönenden
Abschluss gab es dann noch ein gemeinsames Foto und für jeden Studenten eine MercedesBenz Tragetasche mit Notizblock und einem USB-Stick in Form eines Mercedes-BenzAutoschlüssels.
Fotos: Sibel Özenler und Tuba Çonka Nurdan
18
VOKAL
Partner im Fokus
Foto: B. Wannenmacher
Freiheit als Gründungsimpuls
Die Freie Universität Berlin wurde 1948 von Professoren und Studierenden gegründet – als
Antwort auf die Verfolgung systemkritischer Studierender an der Universität Unter den
Linden, gelegen im damaligen sowjetischen Sektor des geteilten Berlins. Die Idee der
Gründung einer freien Universität fand weitreichende Unterstützung und finanzielle
Förderung im In- und Ausland. Dies trug dazu bei, dass die Freie Universität sich zu einer
Hochschule von internationalem Rang entwickeln konnte. Freiheit und Internationalität
bestimmen seither ihre Entwicklung. Das wissenschaftliche Ethos der Freien Universität
Berlin wird seit ihrer Gründung von drei Werten bestimmt: Wahrheit, Gerechtigkeit und
Freiheit.
19
VOKAL
Freiheit und Internationalität
bestimmen seit ihrer
Gründung die Entwicklung
der FU-Berlin. Ihre
Grundwerte prägen den
zukunftsweisenden Ausbau
akademischer Netzwerke
in der Forschung,
die Internationalisierung
und die Förderung des
wissenschaftlichen
Nachwuchses.
Foto: J. Oesterreich
Die FU-Berlin im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder
Im Jahr 2007 wurde die Freie Universität Berlin im Rahmen der Exzellenzinitiative des
Bundes und der Länder ausgezeichnet. Als eine von bundesweit neun Universitäten war sie
in allen drei Förderlinien erfolgreich und errang den Status einer Exzellenzuniversität. Mit
ihrem Zukunftskonzept Internationale Netzwerkuniversität konnte sie ihre Position
bundesweit und im internationalen Vergleich festigen und ausbauen. Im Jahr 2012 konnte
sie erneut im Exzellenzwettbewerb Erfolge verzeichnen und ist nun eine von elf
Exzellenzuniversitäten bundesweit.
Zukunftskonzept einer International Network University
Mit dem Zukunftskonzept „Veritas – Iustitia – Libertas. Internationale Netzwerkuniversität“
entwickelt die Freie Universität Berlin den in ihrer Gründungstradition verankerten
Netzwerkgedanken fort. Ihre Grundwerte prägen den zukunftsweisenden Ausbau
akademischer Netzwerke in der Forschung, die Internationalisierung und die Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses.
Internationalität prägt die Forschung und das akademische Leben an der Freien Universität
Berlin seit ihrer Gründung. Ein umfassender Austausch von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern und Studierenden sowie weltweite Kooperationen in Forschung und Lehre
prägen die Freien Universität bis heute. Sie unterhält weltweit Verbindungsbüros – in
Brüssel, Kairo, Peking, Moskau, New York, Neu-Delhi und São Paulo. Diese tragen in den
jeweiligen Regionen dazu bei, das internationale Netzwerk der Universität kontinuierlich zu
erweitern und zu pflegen.
Unterstützung beim Aufbau der Türkisch-Deutschen Universität
Die Freie Universität Berlin ist seit der Vorbereitungsphase der Türkisch-Deutschen
Universität auf deutscher Seite federführend für das Fach Rechtswissenschaft. Sie wird im
Präsidium des deutschen Hochschulkonsortiums durch Professor Kunig als Vizepräsident
und Koordinator für Rechtswissenschaft vertreten.
20
Foto: G. Rother
VOKAL
Neben Professor Kunig, der Öffentliches Recht und Völkerrecht lehrt, sind derzeit vor allem
zwei weitere Professoren der Freien Universität Berlin regelmäßig mit Vorlesungen am
Lehrbetrieb beteiligt: Professor Detlef Leenen unterrichtet das deutsche Bürgerliche Recht,
und Professor Hubert Rottleuthner lehrt die Grundlagenfächer Rechtsphilosophie und
Rechtssoziologie.
Der intensive Unterricht bei deutschen Professorinnen und Professoren soll die JuraStudierenden der Türkisch-Deutschen Universität dazu befähigen, berufliche Tätigkeiten im
türkisch-deutschen Rechtsverkehr auszuüben: In der Anwaltschaft, in Wirtschaft und
Verwaltung, in europäischen Institutionen und in internationalen Organisationen des
privaten oder öffentlichen Sektors. Das Ausbildungsziel ist die Qualifikation für juristische
Tätigkeiten nach türkischem Standard sowie eine besondere Expertise im deutschen Recht,
die gegebenenfalls auch den Anschluss an Vertiefungen und Fortbildungen in Deutschland
ermöglicht. Darüber hinaus begleiten die Berliner Professoren zusammen mit ihren
türkischen Kolleginnen und Kollegen die Rechtsentwicklungen in der Türkei durch
wissenschaftliche Forschungen, gemeinsame Vorlesungen, Seminare und auch
Fachtagungen.
Auslandssemester am Fachbereich Rechtswissenschaft der FU-Berlin
Seit dem akademischen Jahr 2015/2016 unterhält die Fakultät für Rechtswissenschaft der
Türkisch-Deutschen Universität einen Austauschvertrag im Rahmen des Programmes
ERASMUS+ der Europäischen Union mit dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien
Universität Berlin. Seitdem können jährlich zwei Studierende der Türkisch-Deutschen
Universität Erfahrungen im deutschen Studiensystem machen, das deutsche Recht
zusammen mit deutschen Jura-Studierenden erlernen und kulturelle Einblicke in das
vielfältige Berliner Leben gewinnen. Auch Professorinnen und Professoren der TürkischDeutschen Universität können einen Kurzlehraufenthalt am Fachbereich Rechtswissenschaft
der Freien Universität Berlin wahrnehmen und deutschen Studierenden das türkische Recht
nahebringen.
Text: Die Freie Universität Berlin
21
VOKAL
Erfahrung spricht
Emre Can von der Stiftung zur Förderung der TDU
Von Nihan Uzunoğlu
Im Rahmen des vierten Vortrages der Vortragsreihe „Erfahrung spricht“, veranstaltet von
der Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften, sprach dieses Mal Herr Emre
Can, Vorsitzender der Stiftung zur Förderung der Türkisch-Deutschen Universität e.V., vor
den Studierenden der TDU über sein bisheriges Schaffen und seine im Berufsleben
gesammelten Erfahrungen. Can absolvierte sein Studium der Betriebswissenschaften an den
Universitäten Istanbul und Boğaziçi und begann im Anschluss daran seine Karriere mit
einigen Führungspositionen im Industriesektor. Es folgten Leitungspositionen in der
Sabancı Holding, aber auch eigene Unternehmensgründungen - vornehmlich in der
Textilbranche. Des Weiteren verzeichnet er Tätigkeiten in Textil-, Bau- und
Immobilienbranche sowie im Tourismussektor. Nebenbei ist er Mitglied diverser Vereinsund Stiftungsvorstände.
22
VOKAL
Fotos: Gülten Kılınç
In seinem Vortrag referierte Can über Jugend und die Meilensteine seines beruflichen
Werdeganges: „Ich stamme aus einer Mittelschichtfamilie, die sehr viel Wert auf eine gute
Bildung legt. Ich besuchte die Istanbul Erkek Lisesi, dies bedeutete zu unserer Zeit 26
Unterrichtsstunden in deutscher Sprache. Es war unmöglich zu behaupten, man könne kein
Deutsch.“ Auf Basis der Erfahrungen aus seinem eigenen, bilateralen Bildungshintergrund
sensibilisierte Can die Studenten der TDU wie folgt: „Das System, auf welches wir dort
stießen, gab uns ein immenses Selbstvertrauen, dort wurde das türkische mit dem
deutschen System vereint: Der scharfe, türkische Verstand traf auf deutsche
Systematisierung und Disziplin sowie das deutsche Demokratieverständnis. Es entstand ein
völlig neuer Typus Mensch - in spätestens zwei Jahren werden Sie selbst spüren wie sehr Sie
sich von den Absolventen der übrigen 190 türkischen Universitäten unterscheiden
werden.“
Er setze seinen Vortrag damit fort, seinen Zuhörern zu vermitteln, wie wichtig es ist,
frühzeitig Arbeitserfahrungen zu sammeln: „Als ich im Anschluss daran mein Studium
anfing, musste ich nebenbei arbeiten gehen, um meine Familie zu unterstützen. Ich muss
sagen, man lernt das Leben ein wenig früher kennen, da man einem anderen Blickwinkel
ausgesetzt ist. Während die übrigen Studenten sich ausschließlich mit dem Lernen und
Sozialaktivitäten beschäftigen, musste ich bereits verantwortungsvolle Aufgaben
übernehmen. Man lernt ein Unternehmen oder eine Einrichtung kennen und sieht, wie
darin Individuen miteinander umgehen. Man beginnt das Leben vor allen anderen, läuft
voran. Man setzt sich auf eine andere Weise Ziele und verfolgt diese mit Ehrgeiz, das
entwickelt die Persönlichkeit auf eine besondere Weise.“ Can machte aber auch auf die
Kehrseite der Medaille aufmerksam: „Ich hatte zwischen Arbeit und Studium kaum Zeit für
zwischenmenschliche Kontakte und Beziehungen, mir entgingen also wertvolle
Erfahrungen anderer Art.“
Sein Übergang von Studium zum Berufsleben basierte auf einer zufälligen Begegnung:
„Dank meiner Fremdsprachenkenntnisse arbeitete ich damals in einem Unternehmen,
welches von ausländischen Banken Kredite beschaffte; ich reiste also sehr viel. Während
einer dieser Reisen traf ich am Flughafen zufällig auf Sakıp Sabancı, der zu den Idolen
meiner Zeit gehörte und entscheidenden Einfluss auf mein Leben haben sollte. Ich sprach
ihn an und wir kamen ins Gespräch.“ Später am Abend sei ihm ein Zettel unter der
Hotelzimmertür zugeschoben worden, auf dem er von Sabancı für den nächsten Morgen
zum Frühstück eingeladen wurde. „Er brachte meine Tätigkeiten und Interessen in
Erfahrung und bot mir daraufhin eine vierwöchige Anstellung in leitender Position in
seinem Unternehmen an - Hintergrund war, dass er einem seiner Direktoren gekündigt
23
VOKAL
hatte. Nun, aus diesen 4 Wochen wurden letztlich 5 Jahre. Warum ich Ihnen dies erzähle?
Manchmal ist es notwendig Gelegenheiten beim Schopfe zu packen und seines eigenen
Glückes Schmied zu werden. Hätte ich ihn damals nicht angesprochen, um nach seinem
Befinden zu fragen, wäre mein Leben vielleicht anders verlaufen.“
Später wurde Can in der Textilbranche tätig, indem er in das Blue-Jeans-Geschäft einstieg.
„Als ich sagte, dass ich kein Geld zur Begleichung der Forderungen habe und für den
Export arbeiten würde, wurde ich nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Das
Exportgeschäft wurde nicht begrüßt, niemand wusste, wohin die produzierten Waren gehen
würden und wieviel verdient werden würde. Vor 30 Jahren existierten in der Türkei kaum
Export- oder Kreditvergabemechanismen, geschweige denn eine großflächige Produktion.
Durch den Export wurden lediglich 3 Mrd. US-Dollar durch den Absatz von Baumwolle,
Rosinen und getrockneten Feigen. Nur zum Vergleich: heute liegen die Einnahmen bei rund
128,4 Mrd. US-Dollar.“ Nachdem die anfänglichen Hürden überwunden werden konnten,
ging er letztlich in die Jeanshosenproduktion ein und exportierte die gefertigten Waren ins
Ausland. Nach einiger Zeit wurden diese jedoch reklamiert. „Was geschehen war?
Reißverschlüsse und Knöpfe rosteten - niemand
wusste damals, was Oxidation ist. Zurückblickend war
es aber vollkommen in Ordnung diesen Fehler
begangen zu haben, so lernten wir und verbesserten
uns. Scheuen Sie sich niemals davor, Verantwortung zu
übernehmen und sich zu verbessern. Aber Vorsicht ist
geboten: Seien Sie niemals verliebt in Ihre Arbeit oder
Ihre Gründung, wenn sich jemanden ergibt, der Ihr
Unternehmen kaufen will, verkaufen Sie es! Denn
sobald Sie sich in Ihre Arbeit verliebt haben, wird es
Ihnen nicht möglich sein, es objektiv zu bewerten und
darüber zu urteilen, ob Ihr Unternehmen noch rentabel ist bzw. bleibt.“
Emre Can setzte mit einer persönlichen Betrachtung des gesellschaftlichen Wandels fort
und gab eine Beurteilung zu dem Einfluss dieses Wandels auf die Arbeits- und Lebensweise
ab: „Heutzutage verspürt jeder die andauernde Angst nicht mehr mitkommen oder mit
anderen mithalten zu können. Alles läuft über das sogenannte Vitamin B. Die Menschen
sind von den zahlreichen Informationsfluten schlichtweg überreizt. Von dem, was man sich
am Morgen vornahm, wird nur die Hälfte oder weniger erledigt. Aufgrund
Konzentrationsmangels werden gesetzte Ziele nicht mehr erreicht - das führt zu
Unzufriedenheit oder in weiterer Folge zur sozialen Einsamkeit.“
Zum Ende seines Vortrages gab Herr Can den Studierenden die folgenden Worte mit auf
den Weg: „Sie fragen sich sicherlich, wie Sie sich in Ihrer Position als Mitglied der heutigen
Gesellschaft verhalten sollen? Nun, offen gestanden müssen Sie Superman sein: Sie müssen
stets up-to-date und über jeden Themenbereich informiert sein. Ich muss zugeben, ich wäre
nicht gern an Ihrer Stelle. Zu meiner Zeit waren die Produktion und der Absatz nahezu
jedes Gutes möglich, heute muss es das Schnellste, das Beste und das Qualitätsreichste
sein. Lassen Sie sich davon jedoch nicht unterkriegen, seien sie neugierig, neugierig auf
alles und vor allem anderen: Lernen Sie. Seien Sie selbstbewusst und fliehen Sie nicht vor
Schwierigkeiten oder Problemen. Wir hier von der TDU haben die Aufgabe, Sie auf die
Hindernisse Ihres Lebensweges vorzubereiten und in das System zu entlassen, denn sie
sind die Zukunft. Träumen Sie, ein Mensch, der träumt kann nicht erfolglos sein.“
24
VOKAL
Visuelle Konstruktion von
Migration und Heterogenität
Von Sibylla Wolfgarten
Interessante Perspektiven zeigte Dipl.-Päd. Tim Wolfgarten in seinem Gastvortrag über
„Bild(ung) – zur visuellen Verhandlungspraxis gesellschaftlicher Inklusion in
Themenausstellungen zu Migration und Heterogenität in Deutschland“ und warf einige
interessante Fragen bei den Zuhörerinnen und Zuhörern auf, die am Nachmittag in die
Hochschule für Fremdsprachen gekommen waren.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für vergleichende Bildungsforschung und
Sozialwissenschaften der Universität zu Köln beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschung
mit der Frage, wie Migration und gesellschaftliche Heterogenität in Ausstellungen
dargestellt und repräsentiert werden. Dazu schaute er sich in Deutschland bisher 743
Ausstellungen mit Bildungscharakter an, die teils museal, aber auch teils bildungspolitisch,
zu verorten sind. Im Zentrum der Betrachtung steht nicht etwa die Frage, nach dem, was
ausgestellt wird, viel mehr interessiert ihn, wie etwas dargestellt wird.
25
VOKAL
An einem Beispiel einer Frau aus der Themenausstellung „Was glaubst Du denn?! Muslime
in Deutschland“ verdeutlicht Herr Wolfgarten, dass das Prinzip der Frontalität eine gängige
Darstellungsform innerhalb jener Ausstellungen ist, die jedoch kritisch hinterfragt werden
muss.
»Eigentlich
ändert sich
immer nur das
Kopftuch–oder
doch die
Person, die wir
sehen?«
„Diese Frage ist an einer der Stellwände zur Serie angebracht und soll Anlass zur
Auseinandersetzung mit unseren eigenen Interpretationsweisen geben sowie mit
Zuschreibungen, die wir innerhalb einer Migrationsgesellschaft tätigen. Das didaktische
Konzept, welches hinter dieser konzeptuellen Umsetzung liegt, zielt somit auf die
Reflexionsfähigkeit der Betrachter/innen und soll – auch ohne sprachliche Anleitung –
innerhalb des Rezeptionsprozesses der Portraitgruppen erfahrbar sein; so ist es die eigene
Wahrnehmung bzw. das selbstständige Bemerken von unterschiedlichen Sichtweisen auf ein
und dieselbe Frau, hervorgerufen durch den variierenden Stil der Kopfbedeckung“, so
Wolfgarten.
26
VOKAL
Der Referent bemerkt jedoch kritisch, dass nicht nur die Art, wie die Frau ihr Kopftuch
trägt, sondern auch die Perspektive, aus der sie fotografiert wurde, die Sichtweise anderer
auf ein und dieselbe Frau veränderten. Es ist somit nicht „nur das Kopftuch“, was sich
verändert, sondern die Haltung der dargestellten Frau zur Betrachterin bzw. zum
Betrachter.
Den Zuhörern wurde anhand dieses Beispiels demonstriert, dass die Form ein wesentlicher
Aspekt in der Bildungsvermittlung darstellt, welche oftmals vernachlässigt reflektiert wird.
So wird eine Frau mit modischem Accessoire sichtbar, die sich über Mimik und Gestik der
betrachtenden Person gegenüberstellt und sich von der Frau mit religiös lesbarer
Kopfbedeckung abhebt, denn diese wurde frontal dargestellt. Über einen zeitlichen
Rückgriff in bereits bestehende Bilddokumente wurde ein Rezeptionskontext aufgezeigt, in
dem es vornehmlich um eine aneignende Praxis vom gezeigten bzw. dokumentierten Sujet
handelt. Beispielsweise sind an dieser Stelle taxonomische Fotografien aus der Kolonialzeit
zu nennen, welche nach dem Prinzip hergestellt wurden, aber auch ikonische
Darstellungen, die lange vor unserer Zeit einen Streit um die Objektmachung geistlicher
Personen anfachte.
›En face‹ – Frontalität als Gestaltungsprinzip innerhalb der Szenographie
der Migration
Wenn wir also Migration und Heterogenität einer Gesellschaft darstellen wollen, so sollten
die Darstellungen nicht bloß Exponate sein, die als Objekt der Betrachtung dienen, sondern
durch ihre Darstellung rausgelöst aus der Frontalität zum Subjekt werden und somit die
Perspektive des Betrachters im Hinblick auf unsere gesellschaftliche Heterogenität
verändern.
Fotos: Gülten Kılınç
27
VOKAL
Stellung der Frau im Berufsleben und
Geschlechter-Diskriminierung
Foto: G. Kılınç/ Dozentinnen des Sprachzentrums der TDU
Anlässlich des Weltfrauentages am 08. März 2016 hielt Esra Yiğit, wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der TDU, einen Vortrag zum Thema
„Stellung der Frau im Berufsleben und Geschlechterdiskriminierung“.
„Nach Angaben des Türkischen Statistischen Instituts vom Juni 2015, liegt der Anteil der
berufstätigen Männer bei 72,4% und der der berufstätigen Frauen bei 32,3%. Die Gründe
hierfür sind vielfältig: Bei den Frauen liegende, gesellschaftliche Verpflichtungen, die
Schwarzarbeit, die sich auf Bereiche erstreckt, in denen Frauen tätig sind, ungeeignete,
betriebliche Arbeitsregelungen, des Weiteren der Wille, Frauen zu einem günstigeren Lohn
einzustellen und die Zuwanderung aus den Dörfern in die Städte, welche Frauen zumeist in
den Status von ungelernten Kräften fallen lässt.“
28
VOKAL
Anlässlich des
Weltfrauentages
am 08. März 2016 hielt
Esra Yiğit, wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der
rechtswissenschaftlichen
Fakultät, einen Vortrag zum
Thema „Stellung der Frau
im Berufsleben und
Geschlechterdiskriminierung“.
Diese Einflussfaktoren stünden im klaren Zusammenhang mit in der Gesellschaft
vorherrschenden Vorurteilen und der daraus resultierenden Diskriminierung, so Yiğit.
„Diskriminierung bedeutet, dass betroffene Personen negativen Handlungen ausgesetzt sind
oder von Rechten ausgeschlossen werden. Die häufigste, beobachtete Diskriminierung ist
diejenige an Arbeitsplätzen - die sogenannte geschlechterspezifische Diskriminierung von
Frauen am Arbeitsplatz. Einer Diskriminierung kann dort während des Aufsetzens des
Arbeitsvertrages, bei der Anwendung des Arbeitsvertrages oder bei der Kündigung des
Arbeitsvertrages begegnen.“ Jegliche Bestimmungen hinsichtlich einer Diskriminierung im
Arbeitsumfeld werden vom Arbeitsgesetz (IK) Nr. 4857 Artikel 4 geregelt. Laut dieses
Gesetzes darf in einem Arbeitsverhältnis keine Diskriminierung aufgrund von Sprache,
Rasse, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, einer Behinderung, politischen
Ansichten, persönlicher Einstellung, Religion oder ähnlichen Gründen erfolgen. Arbeitgeber
dürfen, sofern keine biologischen oder die Arbeitsqualität betreffenden Gründe vorliegen,
beim Aufsetzen des Arbeitsvertrages, der Aufstellung der Arbeitsbedingungen, der
Anwendung und bei der Kündigung, eine Schwangerschaft oder das Geschlecht nicht als
direkte oder indirekte Begründungen anführen. Auch dürfen für die gleiche Arbeit oder eine
gleichwertige Arbeit keine unterschiedlichen Vergütungen gezahlt werden. „Die Tatsache,
dass speziell schützende Bestimmungen auf Basis des Geschlechtes des Arbeitnehmers
herrschen, begründet keine Niedriglohn-Zahlung“, unterstrich Yiğit.
Eine andere Form der Diskriminierung sei die Ausübung von psychischem Druck
(Mobbing); diese Bestimmungen werden vom Türkischen Schuldenrecht (TBK) geregelt.
Gemäß Artikel 417 heißt es darin: „Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, die im
Arbeitsverhältnis stehende Person des Arbeitnehmers zu schützen, dieser mit Respekt zu
begegnen und am Arbeitsplatz, den Aufrichtigkeitsprinzipien gemäß, ein adäquates
Arbeitsklima zu gewährleisten. Ferner muss er diejenigen Maßnahmen einleiten, die den
Arbeitnehmer vor psychischen und sexuellen Angriffen schützen und muss, im Falle dessen,
dass er solchen ausgesetzt war, dafür Sorge zu tragen, dass diesem am Arbeitsplatz kein
weiterer Schaden zugefügt wird.“
29
VOKAL
Yiğit ging im Zuge dessen auch auf die Arbeitnehmerrechte in Bezug auf Verbeamtete ein:
„Für Arbeitnehmer im Beamtenstand wurde bezüglich der ‚Vorbeugung von psychischen
Angriffen am Arbeitsplatz (Mobbing)‘ vom Kanzleramt ein Dekret veröffentlicht und eine
entsprechende Servicehotline mit der Nummer 170 eingerichtet. Mobbing ist, laut des
Ministeriums für Arbeit und Soziales, wenn ein Individuum am Arbeitsplatz von einer oder
mehreren Personen über einen längeren Zeitraum systematisch durch gewollte, negative
Handlungen mit böswilliger Absicht eingeschüchtert oder passiviert wird, und zwar mit dem
Ziel, dass dieses aus seiner beruflichen Stellung tritt und den Selbstwert, die Gesundheit,
seine berufliche Stellung oder sozialen Beziehungen verliert. Diese Handlungen können von
übergestellten Personen auf Untergebene, von Untergebenen auf übergestellte Personen
oder Personen gleichen Ranges ausgeführt werden.“ Verstöße gegen das
Gleichberechtigungsprinzip am Arbeitsplatz werden, wieder gemäß Artikel 4 des
Arbeitsgesetztes (IK), geahndet. Betroffenen werden Schadensersatzleistungen in Höhe von
vier Monatslöhnen und ebenso alle übrigen Forderungen aufgrund von Rechten, die durch
die Diskriminierung verletzt wurden, gezahlt. Außerdem können gemäß dem Türkischen
Strafrecht (TCK) Artikel 122 Personen, die auf Grund von Diskriminierung Anstellungen
verhindern, mit einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis einem Jahr oder Bußgeldern
geahndet werden. Über diese Maßnahmen hinaus haben Frauen, die am Arbeitsplatz
sexuellen und psychischen Angriffen ausgesetzt sind, das Recht, ihren Arbeitsvertrag zu
kündigen und Schadensersatzforderungen gegen den Arbeitgeber zu erheben. Gerade für die
anwesenden, weiblichen Studierenden und Akademikerinnen war der Vortrag von hohem
Informationsgehalt, da er über rechtliche Fakten sowie Rechte der Frauen im Arbeitsalltag
aufklärte.
Fotos: Esra Yiğit Archiv
30
VOKAL
Begegnung zweier
Hochschulwelten
Von Anja Martin und Sibylla Wolfgarten
Treffen der Studierenden des Studiengangs Interkulturelle Kommunikation und Bildung
der Universität zu Köln und den Studierenden aus dem Vorbereitungsjahr der TDU
Am 31. März fand zum ersten Mal ein direkter Austausch zwischen Studierenden aus dem
Masterstudiengang Interkulturelle Kommunikation und Bildung und einer Gruppe
fortgeschrittener Studierender aus dem Vorbereitungsjahr statt. Die Kölner Studierenden
unternahmen unter der Leitung von Dipl.-Päd. Tim Wolfgarten, Seminarleiter und
wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für vergleichende Bildungsforschung und
Sozialwissenschaften, eine einwöchige Exkursion in Istanbul. Während dieser Exkursion
konzentrierten sich die Teilnehmer/innen zum einen auf die Fragen, wie transnationale
Biographien u.a. auf universitärer Ebene aussehen und zum anderen, wie sich aus ihnen
Ressourcen für den heutigen Bildungsmarkt gewinnen lassen. Dazu besuchte die Gruppe
verschiedene Bildungsinstitutionen, die u.a. mit Deutschland zusammenarbeiten.
31
VOKAL
Nachdem Anja Martin, Koordinatorin der fortgeschrittenen Klassen im Vorbereitungsjahr
und Sibylla Wolfgarten, Ortslektorin der Hochschule für Fremdsprachen, die Gäste aus Köln
an der YDYO empfangen hatten, wurde im ersten Teil des Nachmittages eine
Gesprächsrunde mit Herrn Prof. Dr. İzzet Furgaç, dem Koordinator des K-TDU, Frau Dr.
Aysel Uzuntaş, der Leiterin der Hochschule für Fremdsprachen, Frau Dr. Tülin Arslan,
Koordinatorin der Klassen im Vorbereitungsjahr und Frau Anja Martin veranstaltet. Den
Master-Studierenden ging es vor allem darum, zu sehen, wie genau die türkisch-deutsche
Kooperation der TDU im universitären Alltag aussieht und welche Ziele hinter der
binationalen Ausbildung der Studierenden stehen. Nach einem intensiven Austausch über
die Frage des Machbaren in der Fremdsprachenvermittlung mit Blick auf das anschließende
meist deutschsprachige Studium und die interkulturellen Herausforderungen, denen sich die
Lehrkräfte gegenüber gestellt sehen, wurde mit den Gästen eine Campusbegehung
unternommen. Diese endete auf der Terrasse der Mensa, wo die Gäste mit den Studierenden
der TDU bekannt gemacht wurden, worauf zwischen den Teilnehmer/innen direkt ein
neugieriger Austausch begann. Auch wenn sich die Gruppe lieber noch bei einem Tee in der
Sonne weiter unterhalten hätte, folgte der zweite Programmteil dieses Nachmittages.
Die Studierenden der TDU hatten unter der Leitung von Frau Martin und Frau Wolfgarten
einige Interviewfragen zu Themen aus Bildung und aktuellen Geschehnissen vorbereitet.
Das Interview unserer Studierenden veröffentlichen wir auszugsweise.
32
VOKAL
Aslı G.: Alle sind hier Studenten, deswegen möchten wir mit dem Thema beginnen, das
immer wieder zur Diskussion gestellt wird. In der Türkei werden das Ausbildungssystem
und das Prüfungssystem immer wieder verändert. Deshalb sind wir neugierig, wie diese
Situation in Deutschland ist. Wir würden gerne mit einem Zitat von Albert Einstein
beginnen und euch fragen, wie
ihr dieses im Hinblick auf das
Bildungssystem
in
Deutschland bewertet: „Jeder
ist ein Genie! Aber wenn Du
einen Fisch danach beurteilst,
ob er auf einen Baum klettern
kann, wird er sein ganzes
Leben glauben, dass er dumm
ist.”
Kathrin S.: Das deutsche
Schulsystem ist durch die
Gliederung in weiterführende
Schulen sehr einschränkend. Vor allem auf Hauptschulen können sich Jugendliche nur sehr
schwer sozial und kognitiv entfalten und bleiben oft weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Durch die Einteilung auf die Schulformen werden bestimmte Jugendliche sehr unterstützt
und andere müssen schauen, wo sie bleiben. Daher stimme ich insofern dem Zitat zu.
Gleichzeitig ist das Schulsystem aber auch sehr durchlässig und weitere Abschlüsse,
Ausbildungen und das Studium können gut aufeinander aufgebaut oder kombiniert werden.
In der Politik wird viel über Schulreformen diskutiert und in Nordrhein-Westfalen und
anderen Bundesländern gibt es jetzt immer mehr Gesamtschulen, an denen alle
Jugendlichen zusammen unterrichtet werden. Esin K.: Welche Eigenschaften sollten die Absolventen haben? Was ist z.B. wichtiger: Eine
gute Bildung oder praktische Erfahrung?
Stephanie H.: Ich denke, es gibt nicht nur das Eine oder das Andere, also schwarz oder
weiß. Es ist bestimmt beides wichtig, Bildung und praktische Erfahrung, und es kommt
auch darauf an, was man machen möchte. Was ich dabei auch glaube, ist, dass die
Persönlichkeit wichtig ist, wenn man sich um einen Job bewirbt. Wenn man z.B. durch ein
freundliches oder kompetentes Auftreten überzeugt, oder in einem anderen Bereich
Leistungen aufweisen kann, kann man punkten.
Tim W.: Ich glaube, dass die praktische Erfahrung ein Teil der Bildung ist.
Uygar T.: In der Türkei müssen die Studenten mindestens zwei Praktika machen, um die
Universität abzuschließen. Wie ist die Situation in Deutschland?
33
VOKAL
Kristina S.: Ich denke, dass das von Studiengang zu Studiengang unterschiedlich ist. An
manchen Universitäten ist zum Beispiel im Bachelor-Studiengang ein Praktikum Pflicht. In
manchen eben nicht. Zum Beispiel jetzt im Master wird mir freigestellt, ob ich ein
Praktikum mache, oder ob ich stattdessen zwei Seminare oder Ähnliches belege. Praktische
Erfahrungen werden von Arbeitgebern aber trotzdem sehr gern gesehen. Deshalb ist es
schon etwas, was man machen sollte.
Irem Ş.: Das zweite wichtige Thema ist Studium im Ausland. Diese Möglichkeit ist
einerseits für die Meisten attraktiv. Andererseits gibt es natürlich viele Schwierigkeiten.
Über diese Perspektive wollen wir uns ein bisschen mit euch unterhalten. Findet ihr ein
Studium im Ausland für die Zukunft der Studierenden förderlich? Warum? Würdet ihr im
Ausland studieren? In welchem Land würdet ihr studieren?
Sandra T.: Ich denke, dass ein Studium im Ausland eigentlich immer eine gute Sache ist. Ich
habe in Frankreich studiert. Ich glaube, dass dies aus verschiedenen Gründen eine sehr
positive Erfahrung für einen selbst ist. Zum einen ist es natürlich beruflich wichtig und es
wird generell als sehr positiv angesehen, wenn der Lebenslauf auch Auslandsaufenthalte
aufweist. Andererseits öffnet es auch Perspektiven, denn man lernt die Struktur eines
anderen Systems kennen.
Tim W.: Auch ich habe ein Auslandsemester gemacht und zwar vor zwei Jahren hier in
Istanbul. In dieser Zeit und auch in der Zeit danach konnte ich sehr viele gute Kontakte
knüpfen und ein Netzwerk aufbauen. Das heißt, ein Auslandssemester kann sich auch
positiv auf den Beruf auswirken. Denn noch heute kann ich auf das Netzwerk zurückgreifen,
was ich mir damals aufgebaut habe.
Ayhan M.: Wie ist die Haltung gegenüber ausländischen
Studenten in Deutschland? Kennt ihr ausländische
Studierende persönlich?
Kathrin S.: Ich kann das nur für unsere Universität in
Köln sagen. Es gibt sehr viele ausländische Studenten,
die für ein Semester mit Erasmus zu uns kommen, um
z.B. ihren Master zu machen. Ich muss sagen, es gibt
leider oft sehr wenig Kontakt mit diesen ausländischen
Studenten. Ich habe auch selbst mit Erasmus in Spanien
studiert und es war ein bisschen traurig, da ich kaum Kontakt mit Spaniern hatte und ich
glaube, dass das in Deutschland leider genauso ist. Oft spricht man jemanden nicht an, weil
man nicht auf die Idee kommt, dass er vielleicht aus dem Ausland kommt. Ich glaube, es
liegt aber auch daran, dass an der Universität zu Köln sehr viele Menschen studieren und
arbeiten. Außerdem sind wir es gewohnt, dass Menschen unterschiedlich aussehen und eine
unterschiedliche Sprache sprechen. Das ist in Deutschland alltäglich. Deshalb fallen
ausländische Studierende oftmals gar nicht auf.
34
VOKAL
Steffi S.: Ich kann ein bisschen etwas vom Gegenteil erzählen. Ich glaube, wenn man
möchte, dann gibt es viele Möglichkeiten, auch mit ausländischen Studierenden in Kontakt
zu treten. Ich persönlich habe zum Beispiel ein Sprachtandem gemacht. Wenn man dann mit
einem Muttersprachler in Kontakt käme und vielleicht eine Stunde Türkisch und eine Stunde
Deutsch sprechen würde, dann ist das kein Problem. Es ist auch ein wenig vom Studiengang
abhängig. In manchen Studiengängen gibt es ganz viele ausländische Studierende, die
Germanistik oder Englisch studieren. So ist in jedem Fall jedes Semester mindestens ein
Erasmus-Student da, mit dem man dann Projekte zusammen machen kann. Ich muss
allerdings sagen, dass wir noch nie jemanden da hatten, mit dem wir uns hätten
austauschen können. Leider.
Merve A.: Sie haben gesagt, dass es Kontaktprobleme zwischen ausländischen und
deutschen Studierenden gibt. Ich möchte fragen, was eine Lösung dafür sein könnte?
Kathrin S.: Es gibt ganz viele Angebote. Es gibt Hochschulgruppen an der Universität, die
sich selber organisieren und Konzerte und Feste anbieten. Da muss ich hingehen, also ich
muss aktiv werden, damit der Kontakt besser wird. Sprachtandems, glaube ich, sind auch
eine ganz tolle Sache. Ich glaube wirklich, dass man selber aktiv werden kann.
Sandra T.: Ich möchte, dass auch noch ausführen. Ich denke auch, dass es viele Angebote
gibt. Zum anderen aber ist die eigene Haltung und Offenheit sehr wichtig. Ich habe
momentan eine französische Freundin, eine Erasmus-Studentin. Sie ist sehr offen allen
anderen gegenüber. Sie macht Sport, Musik, Theater und sehr viele Aktivitäten und dadurch
lernt sie viele Menschen kennen.
Meltem K.: Das Leben wird von vielen Faktoren beeinflusst wie Tradition, Kultur oder
Religion. Zum Beispiel kann eine Studentin in der Türkei entweder mit ihrer Familie oder
mit ihrer Freundin in einer Wohngemeinschaft oder im Studentenwohnheim leben. Eine
Gastfamilienkultur ist in unserem Heimatland nicht geläufig. Deshalb wollen wir fragen, ob
es in Deutschland eine solche Gastfamilienkultur gibt?
35
VOKAL
Jane P.: Die Gastfamilienkultur, die Du
ansprichst, ist bei uns auch nicht geläufig.
Bei uns ist es auch ähnlich, dass viel in
Wohngemeinschaften zusammengelebt wird
oder, dass man bei der Familie wohnt, wenn
man in derselben Stadt studiert, oder man
lebt halt alleine. Ich z.B. lebe sehr weit weg
von meiner Familie. Ich lebe alleine.
Ayşe Nur T.: Was können die Studenten in Deutschland außerhalb der Universität machen?
Wie ist das Studentenleben in Deutschland?
Eva-Maria K.: Je nachdem, wen man jetzt fragen würde, würdet ihr ganz unterschiedliche
Antworten hören. Es gibt sicherlich genau die gleichen Angebote. Man kann sicherlich auch
bei euch viel Sport machen, oder sich politisch engagieren. Man kann innerhalb der
Universität, wie eben schon gesagt wurde, verschiedene Angebote wahrnehmen. Viele von
uns arbeiten auch noch neben dem Studium. Ansonsten geht man ins Kino, trifft sich viel
mit Freunden. Man nutzt die Zeit und auch diese Freiheit des Jungseins, um zu reisen und
auszugehen.
Derya D.: Ansonsten hat man oft Semestertickets, also, ganz viele Vergünstigungen. Zum
Beispiel kann man damit in einem ganzen Bundesland mit den öffentlichen Verkehrsmitteln
fahren. Ansonsten erhalten Studierende in Konzerten eine Ermäßigung, aber auch die
Sportangebote an vielen größeren Hochschulen sind super. Am liebsten würde ich immer
Studentin bleiben, weil man wirklich sehr viele verschiedene Sportarten ausprobieren kann.
Kathrin S.: Wir können auch sehr viele Dinge selber entscheiden, wann wir was machen,
wann wir in die Universität gehen, an welchen Seminaren wir teilnehmen und wann wir frei
haben. Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, dass ist in vielen Ländern anders. So kann
jeder für sich selber entscheiden und deswegen sieht auch jedes Leben anders aus.
Melise U.: Zum Schluss möchten wir über ein sehr wichtiges Thema, Flüchtlinge in
Deutschland, mit euch sprechen. Nicht alles, was in den Nachrichten berichtet wird, ist
richtig. Deswegen würden uns eure Ansichten zu diesem Thema interessieren. Was denkt
ihr über die Flüchtlingskrise in Deutschland? Sollte es eine Obergrenze geben? Und warum?
Kathrin S.: Was hören Sie denn in den Nachrichten?
Melise U.: Die Nachrichten sagen, dass manche Menschen die Obergrenze möchten und
manche nicht. Aber wir wissen nur das, deswegen möchten wir gern mehr wissen.
Uday G.: Zum Beispiel der Chef von der CSU möchte Obergrenzen, aber Angela Merkel
möchte keine Obergrenze.
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VOKAL
Eva-Maria K.: Es ist schwierig, glaube ich, generell
dazu etwas zu sagen, weil es sehr verschiedene
Positionen gibt. E s gibt viele Menschen, die sich
sehr für Flüchtlinge einsetzen, die in der
Willkommenskultur sehr aktiv sind, die sich viel
damit beschäftigen und Solidarität fördern und
Vereinigung, die auf Menschenrechte verweisen.
Also, da spreche ich jetzt auch persönlich für mich,
das ist sehr schwierig im Moment, wenn zu dieser
Zeit in Deutschland - auch von unserem geschichtlichen Hintergrund - neue Bewegungen
oder so sehr rechtsorientiertes Gedankengut sehr verstärk wieder zum Vorschein tritt. Es
gibt viele Menschen, die viel Stimmung machen wollen, und im Land hetzen. Das ist
wirklich schwierig. Das nimmt einen auch irgendwie wirklich mit, weil man damit täglich
konfrontiert ist. Es gibt viele Demonstrationen. Es gibt viele Proteste. Es gibt viele
Debatten, viele Diskussionen auch innerhalb des Freundeskreises und der Familie. Also, es
ist wirklich ein sehr großes Thema, was sehr viel Raum einnimmt.
Kathrin S.: Ich glaube, ein Problem mehr so auf der mittleren Ebene in dieser gesamten
Situation ist: Momentan gibt es im öffentlichen Diskurs meist nur dafür oder dagegen. Es ist
sehr eine schwarz-weiße Thematik bei uns. Es gibt wenig dazwischen. Das ist ein großes
Problem.
Yakup G.: Angesichts der aktuellen politischen Ereignisse in der Türkei freuen wir uns sehr,
dass ihr hier zu uns nach Beykoz an die TDU gekommen seid. Nichts desto trotz - hattet ihr
Bedenken, bevor ihr nach Istanbul gekommen seid?
Jane P.: Also, wir hatten Bedenken. Wir haben uns auch noch einmal davor getroffen, um zu
diskutieren, ob wir herkommen oder nicht. Einige Teilnehmerinnen haben sich dagegen
entschieden. Wir haben viel darüber diskutiert und uns auch gefragt, weil wir einerseits
diese Chance wahrnehmen wollten, ins Ausland zu gehen, um uns mit unserer
Forschungsfrage zu beschäftigen. Andererseits möchten wir uns auch nicht von medialen
Darstellungen einschränken lassen. Durch den Terrorismus entsteht eine gewisse Angst.
Dann stellt man sich die Frage: Lässt man sich von dieser Angst beherrschen oder nicht?
Das muss man für sich ganz individuell abwägen und dann eine Entscheidung treffen. Wir
haben uns dafür entschieden, hierher zu kommen. Einige haben sich dagegen entschieden,
was man auch nachvollziehen kann.
Merve A.: Wir danken euch für das interessante Interview. Da wir
nicht jeden Tag die Möglichkeit haben, mit Deutschen zu sprechen,
war es eine schöne Erfahrung für uns. Wir wünschen euch noch
viel Spaß auf eurer Exkursion.
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Fotos: Gülten Kılınç