Titelvorschlagsliste Belletristik 2012
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Titelvorschlagsliste Belletristik 2012
Belletristik aus Brasilien Amado, Jorge/ Spacca: Jubiabá, 2009 Graphic Novel, Bearbeitung und Zeichnungen von Spacca, 96 Seiten Über das Buch: Der erstmals 1935 veröffentlichte Roman Jubiabá erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen Antônio Balduino, einem armen Waisenjungen aus Salvador da Bahia, und Jubiabá, einem Priester des afrobrasilianischen Canbomblê- und Macumba-Kultes. Antônio Balduino kommt in die Obhut einer weißen Großgrundbesitzerfamilie. Der Hausherr ist zunächst angetan von der Intelligenz des Jungen und fördert ihn. Doch dann wird er zu Unrecht beschuldigt, Lindinalva, die Tochter des Hauses, sexuell belästigt zu haben, und muss fliehen. Er landet auf der Straße und muss nach einem Streit mit tödlichem Ausgang fliehen. Zurück in Bahia trifft er auf Lindinalva, die nach dem Tod ihres Vaters verarmt ist und sich als Prostituierte verdingen muss. Lindinalva leidet an Tuberkoluse und gibt auf dem Sterbebett ihren Sohn in die Obhut von Antônio Balduino. Der Roman wurde 1986 von Nelson Pereira dos Santos verfilmt. Die Umsetzung als Graphic Novel durch den brasilianischen Zeichner Spacca begann 2009 im Auftrag des brasilianischen Verlags Companhia das Letras, der Spacca darum bat. Spacca entwickelt dabei eine sehr ausdrucksvolle und lebendige Bildsprache, die nicht nur die historische Atmosphäre Salvadors adäquat wiedergibt, sondern auch die Charaktere lebendig werden lässt. Der sehr abwechslungsreiche Aufbau der Seiten und die Farbgebung tun ihr übriges, um eine eigene Erzähldynamik zu entwickeln. Über den Autor: Jorge Amado, geboren 1912 als Sohn eines Kakaoplantagenbesitzers im brasilianischen Bundesstaat Bahia, gestorben 2001 in Salvador da Bahia, gilt als einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Amado, der bereits mit 13 Jahren als Hilfsarbeiter auf Plantagen arbeitete und mit 15 zu schreiben begann, ist einer der Hauptvertreter des brasilianischen Regionalismus. Amados bekanntestes Werk ist der Roman Gabriela wie Zimt und Nelken, der von Curt Meyer-Clason ins Deutsche übersetzt wurde und später auch als Telenovela nach Deutschland kam. Amados Werk wurde aber auch in der ehemaligen DDR übersetzt und gepflegt, nicht zuletzt auch deshalb, weil er sich als Journalist und Schriftsteller für die Armen und Unterdrückten einsetzte und als aktives Mitglied der kommunistischen Partei viele Jahre im europäischen Exil leben musste. 1994 wurde er mit dem Prémio Camões, dem wichtigsten Literaturpreis der portugiesischsprachigen Welt, ausgezeichnet. Einschätzung: Insgesamt ist die Umsetzung des Werks als Graphic Novel sehr gelungen, der Zeichner Spacca kann auf jeden Fall mit der internationalen Konkurrenz mithalten. Die atmosphärischen Bilder und auch die Geschichte geben Einblicke in die afrobrasilianische Kultur und die Geschichte des brasilianischen Nordostens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig ist Spaccas Bearbeitung eine reizvolle Annäherung an ein anerkanntes Werk der Weltliteratur. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Almino, João: Cidade livre (Freie Stadt), 2010 Roman, 240 Seiten Über das Buch: Thema von Cidade Livre ist das Abenteuer der Gründung und des Aufbaus von Brasilia, der avantgardistischen Hauptstadt Brasiliens, die in den Jahren 1956 bis 1960 im Zentrum des Landes fernab jeder Zivilisation aus dem Boden gestampft wurde. Dabei bezeichnete Cidade Livre die provisorische Siedlung, in der sich Bauarbeiter, Architekten und erste Bewohner der zukünftigen Hauptstadt niederließen. Der Ich-Erzähler João erzählt, einmal aus der Perspektive eines Kindes und einmal als Erwachsener, die Geschichte seiner Familie und die eines ungeklärten Verbrechens. Über den Autor: João Almino (geb.1950) veröffentlichte bereits mehrere Romane zur Retortenstadt Brasilia:„Idéias para onde passar o fim do mundo“ (Gedanken, wo man den Weltuntergang verbringen könnte), „Samba-enredo“ (Samba-Verwicklung), „As cinco estaçoes do amor“ (Die fünf Stationen der Liebe) und „O Livro das Emoçoes“ (Das Buch der Gefühle). Für diese Romanen erhielt er eine Reihe brasilianischer Literaturpreise; Cidade Livre wurde für den renommierten Jabuti-Preis nominiert und war Gewinner des Zaffari & Bourbon Literaturpreises 2011. João Almino arbeitete als Dozent an verschiedenen internationalen Universitäten, darunter Berkley und Stanford, und ist heute brasilianischer Generalkonsul in Madrid. Einschätzung: Auf eindringliche Weise beschreibt der Autor die Stimmung und den Geist jener aufregenden Gründerjahre um das fast mythische „Projekt Brasilia“. Auch die Beschreibungen des Urwalds und der Landschaft des Hochplateaus sind atemberaubend und äußerst anschaulich. Die vielen historischen Details erschlagen den Leser anfangs zwar etwas und lassen das Buch zunächst eher historisch erscheinen. Hat man sich aber einmal an diesen detailverliebten, eher bedächtigen Stil des Autors gewöhnt, entwickelt der Roman durch seine gerade aus den Details erwachsende Plastizität eine starke Sogwirkung. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Aquino, Marçal: O Invasor (Der Eindringling), 2011 Roman, 122 Seiten Über das Buch: Ivan und Aloar, Mitinhaber eines Bauunternehmens, beauftragen einen Profikiller, ihren Geschäftspartner umzubringen, damit sie freie Bahn für ihre korrupten Geschäfte haben. Als Anísio, der Killer, nach getaner Arbeit Dauergast in der Zentrale der Firma wird und obendrein eine Affäre mit der Tochter des Getöteten beginnt, verliert Ivan die Nerven … Über den Autor: Marçal Aquino, Jahrgang 1958, wurde für seinen Erzählungsband O amor e outros objetos pontiagudos 1999 mit dem Prêmio Jabuti, dem wichtigsten brasilianischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Von Aquino erschienen außerdem die Erzählbände Faroestes (2001) und Famílias terrívelmente felizes (2003) und die Novelle Cabeça a prêmio (2003) Sein Roman Eu receberia as piores notícis dos seus lindos lábios (2005) wurde 2010 ins Deutsche überrsetzt. Außerdem arbeitete Aquino auch als Drehbuchautor für die Filme Os matadores, Ação entre amigos, O invasor, Nina, Crime deliçado und O cheiro do ralo. Einschätzung: In dieser ursprünglich als Drehbuch konzipierten Geschichte beleuchtet der Autor die Abgründe einer scheinbar intakten, unter der dünnen Oberfläche jedoch zutiefst korrupten Gesellschaft. Auf Deutsch liegt der Titel Flieh und nimm die Dame mit (Übersetzer Kurt Scharf, 2009) in der Edition Büchergilde vor. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden. Bonassi, Fernando: Subúrbio (Vorstadt), 2005 Roman, 296 Seiten Über das Buch: Subúrbio erzählt die Geschichte eines verschrobenen alten Paares, das einen stummen Krieg gegeneinander ausficht. Während seine Frau mit ihrem Klappbett in den Flur gezogen ist, flüchtet sich der Alte aus seinem trostlosen Leben, indem er in einsamen Nächten ein Loch in die Badezimmerwand bohrt, um die Nachbarin nackt zu sehen. In einer ebenso schroffen wie poetischen Sprache reiht der Autor schlaglichtartig Szenen des trostlosen Vorstadtlebens aneinander, die Geschichte steuert dabei auf eine unvermeidliche Katastrophe zu. Über den Autor: Fernando Bonassi, Jahrgang 1962, Schriftsteller, Drehbuchautor und Cineast, stand mit seinem Roman Declaraçao universal do moleque invocado 2002 auf der Auswahlliste für den Prêmio Jabuti, dem wichtigsten brasilianischen Literaturpreis. Außerdem schrieb er diverse Theaterstücke und hat eine Kolumne bei der Folha de São Paulo. 1997 verbrachte Bonassi im Rahmen des DAAD-Künstlerprogramms ein Jahr in Berlin. Einschätzung: Bonassis erstmals 1994 veröffentlichter Roman Subúrbio gilt als bahnbrechendes Werk des zeitgenössischen brasilianischen Großstadtromans. Siehe auch: http://ejournals.library.vanderbilt.edu/ojs/index.php/lusohispanic/article/view/3217/1419 Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden . Bracher, Beatriz: Antonio, 2007 Roman, 184 Seiten Über das Buch: Antonio erzählt die Geschichte einer Familie der oberen Mittelschicht São Paulos im Zeitraum von 1950 bis in die Gegenwart, unaufdringlich, aber eindringlich eingebettet in die Landesgeschichte Brasiliens: die Ära Vargas, der Militärputsch von 1964 und die darauffolgende Militärdiktatur, deren Gesetze die bürgerlichen Freiheiten einschränkten; die Studentenunruhen und Streiks des Jahres 1968, die darauffolgenden Säuberungsaktionen, Verfolgungen und die Zensur durch das Militär; die ersten freien Wahlen 1985. Ereignisse und Namen werden eingestreut, ohne den Leser zu überfordern. Im Vordergrund stehen die Figuren, ihre Beziehungen zueinander, ihre Ideologien und Ansichten. Dass Bildung und persönliche Freiheit sowohl Chance als auch Last sein können, ist das zentrale Thema des Romans. Über die Autorin: Beatriz Bracher, 1961 in São Paulo geboren, studierte Literaturwissenschaften. Sie war Mitbegründerin der Zeitschrift 34 Letras, später des Verlags Editora 34, in dem sie acht Jahre als Lektorin tätig war, bevor sie sich ganz dem eigenen Schreiben widmete. Beatriz Bracher gilt in Brasilien als eine der herausragenden Stimmen der Gegenwartsliteratur und als eine mutige Autorin, die sich an schwierige Themen wagt. Bracher ermöglicht eine intime Sicht auf die obere Mittelschicht São Paulos, aus der sie selbst stammt. Einschätzung: Cover und Titel von Beatriz Brachers Roman Antonio sind trügerisch schlicht – dahinter verbirgt sich eine komplexe Geschichte. Diese will aufwühlen und beanspruchen und verlangt nach einem aufmerksamen Leser, der die zahlreichen ihm dargebotenen Puzzleteile sorgfältig zusammensetzt. Der Roman ist u.a. mit dem Prêmio Jabuti, dem wichtigsten Literaturpreis Brasiliens, ausgezeichnet worden. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Braga, Flávio & Luis Daltro: 68, 2008 Roman, 238 Seiten Über das Buch: 68 (meia oito) begleitet Roberto, Ava, Dan und Rosa durch die wirren Monate des Jahres 1968. Während der virtuose Gitarrist Dan in Salvador da Bahia Auseinandersetzungen mit dem diktatorischen Regime fürchten muss, kämpft Rosa, Mutter zweier Kinder und Prostituierte, für ihre Freiheit und die ihrer Kinder gegen einen Ehemann, der in den Abendstunden mit einer Todesschwadron Jagd auf Homosexuelle macht. Zur gleichen Zeit zieht Roberto, Sohn einer Bankiersfamilie aus São Paulo, mit seiner Frau Ava zum Studium nach San Francisco. Er verzehrt sich an seiner Liebe zu Ava, die sich mehr und mehr in der andersartigen Kultur von Oakland und L.A. verliert. Einige dieser Geschichten führen in diesem rasanten Roman früher oder später zusammen, andere bleiben zumindest vordergründig unverbunden. Die einzelnen Fragmente der Handlungsstränge werden – im Stil des Romans 1919 von John dos Passos – durch lose eingewobene Schlagzeilen und Liedtexte ergänzt, die nicht nur die Stimmung des Romans begleiten, sondern ihn strukturell und auch typografisch besonders interessant gestalten. Über die Autoren: Flávio Braga stammt aus São Paulo und veröffentlichte zwölf Bücher, darunter Sade em Sodoma und O que contei a Zveiter sobre sexo. Luis Daltro ist Musiker und Schriftsteller aus Bahia, der unter anderem 7 dias no inferno veröffentlichte. 68 gemeinsam zu schreiben, bricht im Geiste des Jahres 1968, so die beiden Autoren, mit der traditionellen Eigenständigkeit des Romanautors. Einschätzung: 68 bewegt sich kontrastreich und ebenso elegant wie schonungslos in dem Spannungsfeld von diktatorischer Repression und musikalischer Inspiration, freier Liebe und brutaler Vergewaltigung, lebensfrohem Samba und tödlichem Krieg in Vietnam. Der Roman eröffnet eine einzigartige, ungewohnte Perspektive auf das Jahr 1968. Der deutsche Leser wird jedoch durch zahlreiche Bezüge zu den USA, Frankreich und auch Deutschland immer wieder in vertraute Gefilde geführt, sodass die Exotik des Romans nicht überfordert. Die unterschiedlichen sozialen Hintergründe ihrer Protagonisten verankern die beiden Autoren sprachlich und stilistisch in den verschiedenen Handlungssträngen. Ihnen gelingt es außerdem, in einen Dialog mit dem Leser zu treten – einem Leser, der die Thematik auch vierzig Jahre später als überraschend aktuell empfinden wird. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden de Brito, Ronaldo Correia: Galiléia (Galilea oder Galiläa), 2008 Roman, 236 Seiten Über das Buch: Archaische Saga und Roadmovie zugleich, erzählt Galiléa die Geschichte der drei Cousins Ismael, Davi und Adonias auf dem Weg durch den Sertão im Nordosten Brasiliens zu ihrem Großvater, dem todkranken Patriarchen der Fazenda Galiléa. Nach einer gemeinsamen Kindheit auf der Fazenda haben die drei als Erwachsene alles daran gesetzt, jede Verbindung zu den zahlreichen Mitgliedern der Familie abzubrechen. Nach Aufenthalten in Europa und den USA haben sie sich ein Leben in São Paulo, in Recife, bzw. in Norwegen aufgebaut. Zurück in der alten, verfallenden Fazenda der einst reichen Familie werden sie von der Vergangenheit und den Geschichten von Verrat, Ehebruch und Rache eingeholt. Sehr bald kommen sie zur schmerzhaften Erkenntnis, dass sie der Gewalt und den Familiengeheimnissen, gegen die sie all die Jahre angekämpft haben, nie wirklich entkommen sind. Über den Autor: Ronaldo Correia de Brito wurde 1951 in Ceará im Nordosten Brasiliens geboren und lebt als praktizierender Arzt in Recife. Bereits seine ersten beiden Bücher, die Kurzgeschichtensammlungen Faca (Messer), 2003 und Livro dos Homens (Buch der Männer), 2005 waren sehr erfolgreich. Correia de Brito ist zugleich Autor von Theaterstücken und schreibt für verschiedene Zeitschriften. 2007 erhielt er ein Schriftstellerstipendium (Writer in Residence) der Universität von Berkeley, Kalifornien. Für Galilea, seinen Debütroman, bekam er 2009 den renommierte Literaturpreis São Paulo. Einschätzung: Galiléia ist ein einzigartiges Buch, da es stilistisch und thematisch zeitlos und zeitgemäß zugleich ist: Ronaldo Correia de Brito vereint die im Nordosten Brasiliens immer noch verbreitete mündliche Erzähltradition mit einer beeindruckenden Darstellung des kargen Sertão und der Wucht antiker Tragödien. Übersetzungsprobe vorhanden, Gutachten in Vorbereitung Colasanti, Marina: Minha Guerra Alheia (Mein fremder Krieg ), 2010 Autobiographischer Roman, 288 Seiten Über das Buch: Marina Colasanti, italo-brasilianische Schriftstellerin und Malerin, beschreibt in ihren Memoiren ihre Zerrissenheit zwischen drei Kontinenten – Afrika, Europa und Südamerika. 1937 wurde sie in Asmara (Eritrea) geboren, damals noch italienische Kolonie. Ihre Eltern gehörten zu den Enthusiasten der Mussolini-Diktatur. Das Buch beginnt mit der Hochzeit der Eltern im September 1935, kurz bevor sich der Vater mit einem Kontingent italienischer Truppen in das Kolonialabenteuer in Ostafrika stürzte. Der Krieg beherrscht auch weiterhin Colasantis Kindheit, in einer langen Irrfahrt über mehrere Stationen in Italien endlich nach Brasilien. Es ist die Geschichte einer Kindheit im Zweiten Weltkrieg und einer Emigration, bei der alle verlieren. Marina Colasanti verliert ihre Heimat und ihre Sprache, erobert sich aber in Brasilien eine neue Sprache und eine neue Heimat. Als 60jährige besucht sie wieder Italien – auf Spurensuche. Über die Autorin: 1937 in Italienisch-Eritrea geboren. Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin, Autorin von 33 Büchern, darunter Kurzgeschichten, Gedichte und Kinder-und Jugendliteratur. Für ihr Kinderbuch: Uma ideia toda azul (Global Editora, 1998) ausgezeichnet von der Fundação Nacional do Livro Infantil e Juvenil (renommierte brasilianische Stiftung für Kinder- und Jugendbücher).. Einschätzung: Marina Colasantis jüngstes Buch stellt eine Art Vergangenheitsbewältigung dar und liest sich wie ein Roman. Das Buch ist eine faszinierende Emigrationsgeschichte und eine Spurensuche im Alter nach dem, was einst die Heimat ausmachte. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Faraco, Sérgio: Lágrimas na chuva (Tränen im Regen), 2002 Erlebnisbericht, 171 Seiten Über das Buch: Lágrimas na chuva rekonstruiert die Leidensgeschichte des Autors als Patient der Sowjet-Psychiatrie in verschiedenen Lagern. Sie ist das Trauma seines Lebens, zugleich das Ende aller revolutionären Illusionen. Über den Autor: Sérgio Faraco, 1940 in Alegrete (Rio Grande do Sul) geboren, ist Schriftsteller, Soziologe, Jurist und Übersetzer. Von 1963 bis 1965 lebte er in der Sowjetunion, wo er an einem Internationalen Institut in Moskau Soziologie studierte, bis er 1965 über Umwege nach Rio Grande do Sul zurückkehrte. In Brasilien studierte er Jura und verfasste das bislang einzige brauchbare Lexikon der Schriftsteller seines Bundeslandes: Quem é quem nas letras riograndenses (1983 – Who is who in der Literatur von Rio Grande do Sul). Er veröffentlichte seit den 1980er Jahren mehrere Bände mit Erzählungen, 2005 erschien eine Gesamtausgabe seines Werkes. Einschätzung: Aus der südlichsten Provinz Brasiliens ist wenig Literatur publiziert worden und bislang wurde nichts davon ins Deutsche übersetzt, nicht einmal zur Buchmesse 1994, als Brasilien schon einmal Gastland war. Gutachten und Übersetzungsprobe in Arbeit Ferréz: Manual prático do ódio (Praktische Anleitung zum Hass), 2003 Roman, 253 Seiten Über das Buch: Ein von Armut, Drogenhandel und Gewalt gekennzeichnetes Randgebiet São Paulos. Fünf Kriminelle planen einen Banküberfall, der ihnen viel Geld einbringen und vielleicht sogar den Ausstieg aus dem „gefährlichen Geschäft“ ermöglichen soll. Der Roman ist der Ästhetik der zeitgenössischen brasilianischen Literaturbewegung literatura marginal verpflichtet, die der sozialen Peripherie eine eigene literarische Stimme verleihen will. Das Buch wurde bereits in vier Sprachen übersetzt. Über den Autor: Ferréz (geboren 1975 in São Paulo) ist Schriftsteller, Dichter, Rap-Musiker, Blogger und sozialer Aktivist. Er musste die Schule früh verlassen und eine Reihe von Gelegenheitsarbeiten aufnehmen. In den letzten Jahren ist er zu einer Leitfigur der literatura marginal geworden. Manual prático do ódio ist sein zweiter Roman. Neben seiner literarischen Tätigkeit ist er auch in der Gruppe 1DaSul aktiv, die Kulturprojekte im Viertel Capão Redondo am Stadtrand São Paulos organisiert. Einschätzung: Obwohl einzelne Passagen belehrend oder kitschig wirken können, wird der Roman den deutschen Leser nicht nur durch die medienpräsente Thematik, sondern auch durch einprägsame Charaktere und Milieuschilderungen sowie eine spannende Geschichte überzeugen. Er kann aber auch als Schilderung der Gewalt in den Favelas gelesen werden. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Figueiredo, Rubens: Passageiro do Fim do Dia (Passagier vom Ende des Tages), 2010 Roman, 200 Seiten Über das Buch: Am Ende Tages fährt Pedro, der Protagonist dieses Romans, im Bus hinaus in das 40 Kilometer von der Innenstadt entfernte Wohnviertel seiner Freundin. Die Fahrt durch das feierabendliche Chaos der Großstadt wird zu einer Assoziationskette, die von den Entdeckungsreisen Darwins über die Zeit der Militärdiktatur bis in die Gegenwart reicht. Mit waghalsigen, an Kamerafahrten erinnernden Sätzen zeichnet der Autor im Rhythmus der Busfahrt ein manchmal minutiöses, manchmal anspielungsreiches Bild des heutigen Brasilien mit seinen historischen, sozialen und politischen Verwerfungen, dem Kontrast zwischen Elend und Reichtum, Sumpfland und Beton. „Ein notwendiger Roman“ urteilt die Literaturzeitschrift Rascunho. Über den Autor: Rubens Batista Figueiredo, geboren 1956, ist ein renommierter Übersetzer aus dem Russischen und seit 1986 Schriftsteller. Drei seiner inzwischen acht Bücher wurden mit dem Prêmio Jabuti ausgezeichnet. Darüber hinaus lehrt er literarisches Übersetzen an verschiedenen Universitäten des Landes. Einschätzung: Passageiro do Fim do Dia situiert brasilianische Geschichte und Gegenwart „en passant" in das alltägliche Ambiente einer Busfahrt vom Zentrum in die Peripherie einer brasilianischen Großstadt. Damit ist es ein Porträt dieses Landes aus einer eher ungewöhnlichen (wenngleich alltäglichen) Perspektive. Erzählerisch sehr dicht empfiehlt es sich als ein Roman, der authentisch und detailgenau von Brasilien erzählt. Gutachten liegt vor, Probeübersetzung kann angefordert werden Galera, Daniel : Mãos de Cavalo (Pferdehände), 2006 Roman, 192 Seiten Über das Buch: Mãos de Cavalo ist die Geschichte eines Schönheitschirurgen aus Porto Alegre, der unterwegs zu einer Bergbesteigung mit einem Freund auf sein Leben zurückblickt, die Rituale seiner Jugend, seine Ehe, Momente zwischen Feigheit und Heldentum, erzählt aus zwei verschiedenen Perspektiven, der des Fünfzehnjährigen innerhalb einer Gruppe von Jugendlichen und der des Dreißigjährigen auf der Fahrt nach Bolivien. Galeras Thema ist dabei die Frage, „inwieweit wir in der Lage sind zu entscheiden, wie wir sein wollen und welches Bild die anderen von uns haben“. Über den Autor: Daniel Galera wurde am 13.Juli 1979 in São Paulo geboren, verbrachte jedoch die meiste Zeit seines Lebens in Porto Alegre. Er gehört zu den Gründern der Verlagskooperative Livros do Mal, in der er u.a. die Erzählungen Dentes Guardados (2001) und den Roman Até o Dia em que o Cão Morreu (2003) publizierte. Er arbeitet als Übersetzer und schreibt für Kino und Theater und publizierte zusammen mit Rafael Coutinho eine Graphic Novel (HQ), für die er einen Preis erhielt. Einschätzung: Galera ist ein stilistisch brillanter, packender psychologischer Entwicklungsroman gelungen, die Szenen sind außergewöhnlich präzise und eindringlich beschrieben, die Sprache ist klar, teilweise lakonisch und trotz der teilweise nur aus einem Absatz bestehenden Kapitel niemals ermüdend. In seiner mitreißend genauen Erzählweise erinnert der in seiner Heimat wohl einzigartige Autor an Größen wie Ian McEwan. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Henriques , José Humberto: Cangalha (Unter dem Joch), 2001 Roman, 501 Seiten Über das Buch: Cangalha erzählt das Schicksal der Familie Assunção in den brasilianischen Bundesstaaten Minas Gerais und Goiás. Bis heute ist das eine Region des Goldes und der Edelsteine. Der Roman umspannt drei Generationen: Im Zentrum steht der Patriarch der Familie, Major Zulião Fernão Assunção. Er ist ein Sucher neuer Wege, ein Pfadfinder. Auf einer Expedition wird er als sterbenskrank zurückgelassen. Er schläft im Wasser und lebt von Wildobst und Wurzeln. Eine Frau rettet ihn jedoch und er lebt mit ihr in einem privaten Urwaldparadies. Weitere Familiengeschichten folgen. Der Roman ist reich an Details, Fakten und überraschenden Episoden. Eine Eigenheit des Autors sind die Beschreibungen der körperlichen Anomalien seiner Romangestalten, die als Metaphern dienen: ein Mann mit sechs Fingern, ein hervorstehender Nabel, Blindheit etc. Über den Autor: José Humberto Henriques wurde am 17.12.1958 im Staat Minas Gerais geboren. 1981 schloss er sein Medizinstudium ab und lebte, um Daten für seine Dissertation zu sammeln, ein Jahr bei den Xacriabá-Idianern. 2001 schloss er seine Dissertation ab und arbeitete danach als Kardiologe und Kinderarzt. Als Vielleser gehörte seine Liebe jedoch schon immer auch der Literatur, sein erstes Buch erschien 1994. Meist schrieb er Lyrik und Erzaählungen, Cangalha ist sein fünfter Roman. Einschätzung: Der Roman ist gleichzeitig eine abenteuerliche Reise durch ein tropisches Land, ein Familiendrama und eine Komödie voll erotischer Sehnsucht. Der Stil des Autors erinnert an Garcia Márquez. Eine Übersetzung, die besonderen Wert auf eine dem spezifisch brasilianischen Stil adäquate Sprache legt, ist hier vonnöten. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit de Leones, André: Dentes negros (Schwarze Zähne), 2011 Roman, 144 Seiten Über das Buch: Dentes Negros ist eine post-apokalyptische Allegorie Brasiliens, angesiedelt in nicht allzu ferner Zukunft: Eine mysteriöse Epidemie hat innerhalb weniger Stunden in einem riesigen Gebiet im mittleren Osten die Bevölkerung dahingerafft, bevor sie durch Schutzimpfungen geschützt werden konnte. Wenige Überlebende, jugendliche Plünderer und Soldaten befinden sich noch im Krisengebiet. Doch auch für die Menschen im verschonten Süden des Landes ist nichts mehr wie zuvor. Zwei junge Leute brechen aus São Paulo auf, um nach einer Cousine zu suchen. Nachdem sie von einer Bande Jugendlicher ermordet werden, trifft ein im Epidemie- Gebiet stationierter Soldat die gesuchte Cousine, die nach dem Tod ihrer gesamten Familie völlig isoliert dort lebt. Über den Autor: André de Leones wurde 1980 in Goiânia geboren, hat Film studiert und in Brasília und Jerusalem gelebt. Bisher sind drei Romane und ein Kurzgeschichtenband von ihm erschienen, heute lebt er als Schriftsteller und Literaturkritiker in São Paulo. Einschätzung: Der Roman überzeugt durch eine karge, dennoch atmosphärisch-dichte und bedeutungsschwangere Darstellung. In der Ungewissheit über die Herkunft der Epidemie und die Zukunft des Landes und seiner Bevölkerung liegt eine Stringenz, die sich universellen Themen zuwendet. Der Roman wurde auf der Frankfurter Buchmesse 2011 von einem brasilianischen Literaturkenner als bedeutendste junge Neuerscheinung in Brasilien hervorgehoben. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Lins e Lima, Flávia: Mururu no Amazonas (Mururu vom Amazonas), 2010 Roman/ Jugendbuch, 86 Seiten Über das Buch: Ein schmales Boot treibt auf dem Amazonas, schwimmt an den Ufern entlang, an Mangrovenwäldern und Stränden. Das Boot heißt Mururu und darin sitzt Dorinha, das Mädchen der Wasser, das festem Land nicht traut. Sie sucht ihren Vater, der verschwunden ist. Das Wassermädchen liebt Vögel und Fische und kennt alle ihre Geschichten und Geheimnisse. Obwohl Dorinha festes Land nicht mag, verliebt sie sich in Piú, den Jungen, der nach Erde riecht und nach Früchten schmeckt. Piú will die Holzfäller vertreiben, die seine Heimat zerstören, was ihm nicht gelingen kann. Piú und Dorinha suchen zusammen weiter, Erde und Wasser vereint. Doch der Junge, dem das Wasser unheimlich ist, wird krank auf dem Boot. Dorinha muss ihn wieder an Land bringen. Für Land und Wasser zusammen gibt es keinen Ort, siemüssen sich trennen, der Abschied ist schmerzhaft. Dorinha geht zurück zu ihrer Mutter in ihrem Haus auf dem Wasser, jetzt eine junge Frau und – schwanger. Ihr Leben wird sie weiter allein leben müssen, in der Hoffnung Piú irgendwann einmal wieder zu treffen. Über die Autorin: Flávia Lins e Silva wurde 1971 in Rio de Janeiro geboren, wo sie immer noch lebt. Nach einem Studium der Publizistik arbeitet sie als Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Dokumentarfilmschaffende. Sie lebte bereits in den USA, in Italien, Deutschland und Österreich. Flávia Lins e Silva hat mehr als 10 Kinder- und Jugendbücher geschrieben und viele Preise gewonnen. Ihr jüngstes Buch, Mururu no Amazonas wird daher meist als Jugendbuch bezeichnet, ist aber eigentlich als Roman für jedes Alter anzusehen. Einschätzung: Die mystisch-zarte Liebesgeschichte, eine Coming-of-age Erzählung, aber in erster Linie eine Hommage an die Schönheit des Amazonasgebietes, in dem Wasser und Land eine nahezu magische Einheit bilden. Übersetzungsprobe vorhanden, Gutachten in Arbeit Lobato, Monteiro: O Presidente Negro (Der schwarze Präsident), 2008 (Erstveröffentlichung 1926) Roman, 202 Seiten (enges Satzbild) Über das Buch: In eine Rahmenhandlung eingebettet entwirft Lobato ein Zukunftsszenario: Die Vereinigten Staaten im Jahr 2228 sind zur größten Weltmacht aufgestiegen. Sie haben sich aller Behinderten, Kriminellen und Akkulturierungsunwilligen entledigt, die Farbigen sind „entpigmentiert“, werden jedoch weiterhin als Farbige betrachtet. Das Leben ist bis ins kleinste Detail geregelt. Dennoch befindet sich das Land im Alarmzustand. Die Wahl des 88. Präsidenten steht unmittelbar bevor und bringt die Bürger gegeneinander auf. Die weiße Wählerschaft ist gespalten, beiden Fraktionen gegenüber steht der charismatische „Farbige“ Jim Roy mit seinen zahlenmäßig überlegenen Anhängern. Er gewinnt die Wahl und wird zum ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Doch bereits nach einem Tag findet man ihn ermordet an seinen Schreibtisch im Weißen Haus. Über den Autor: José Bento Monteiro Lobato (1882 - 1948) war einer der schillerndsten und vielseitigsten Intellektuellen seines Landes, Impulsgeber und enfant terrible der brasilianischen Literatur. Mit seinen Kinderbüchern prägt er eine ganze Generation. Auf der Liste seiner Berufe stehen u.a. noch Jurist, Staatsanwalt, Großgrundbesitzer, Verleger, Journalist, Übersetzer, Sozialreformer, Druckereien- und Ölquellenbesitzer. Einschätzung: Der Roman erschien zunächst unter dem Titel Roman über den Zusammenprall der Rassen im Amerika des Jahres 2228 als Fortsetzungsroman in der Tageszeitung A Manhã in Rio de Janeiro. In den USA, wo sich Lobato mit seinem Zukunftsroman großes Interesse und hohe Verkaufszahlen erhoffte, stieß er, wie auch in England, nach anfänglicher Begeisterung auf Ablehnung. Man empfand sein provokatives Bild einer künftigen nordamerikanischen Gesellschaft nicht nur als abträglich für das Ansehen der USA, sondern auch als anstößig und unethisch. 2008 wurde der Roman nach etlichen Querelen mit den Erben neu aufgelegt. Seither findet es in Brasilien, in den USA und in England große Beachtung und wird in der Presse, an Universitäten und in brasilianischen Internetforen diskutiert. Das von Düsternis und Pessimismus geprägte Werk, in dem sich Humor und Grauen die Waage halten, wird durch seinen lakonisch-ironischen, teils satirischen Ton zu einem wahren Lesevergnügen. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Lunardi, Adriana: A vendedora de fósforos (Die Streichholzverkäuferin), 2011 Roman, 192 Seiten Über das Buch: A vendedora de fósforos ist ein packendes, poetisch dichtes Mosaik über die Beziehung zwischen zwei Schwestern, die beide davon träumen, Schriftstellerinnen zu werden und dabei Konkurrentinnen, aber auch Vertraute sind. Die Erzählerin lebt als Schriftstellerin in Rio de Janeiro, als sie die Nachricht vom Selbstmordversuch ihrer Schwester ereilt. Die Reise zu ihr, die in einem kleinen Ort im südlichen Brasilien lebt, bringt die Erinnerungen an eine rastlose Kindheit hervor. Der Vater, ein unangepasster Buchhalter, hatte – auf der Flucht vor Schulden – seine Familie zu ständigen Ortswechseln gezwungen. Frau und Kinder suchten ihre eigenen Auswege, in der Phantasie oder durch den realen Ausbruch, blieben aber immer unfähig, Beständigkeit aufzubauen oder zu ertragen. Adriana Lunardi beschreibt den Konflikt zwischen einer nicht enden wollenden Kindheit und der Suche nach Identität beim Erwachsenwerden. Es bleibt dem Leser verborgen, welche der Schwestern die Erzählerin des Buches ist, oder ob sich beide in einem kunstvollen Reflexionsspiel einander abwechseln. Über die Autorin: Adriana Lunardi wurde 1964 in Xaxim in dem brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina geboren. Sie hat Kommunikation und Literatur studiert und als Journalistin und Werbetexterin gearbeitet. Mittlerweile lebt sie in Rio de Janeiro und schreibt Texte und Drehbücher für das brasilianische Fernsehen. Ihre literarische Karriere begann mit As meninas (Die Mädchen), einem Kurzgeschichtenband, für den sie gleich zwei brasilianische Literaturpreise erhielt. A vendedora de fósforos ist ihr zweiter Roman. Übersetzungsprobe vorhanden, Gutachten in Arbeit Machado, Ana Maria: Infâmia (Schande), 2011 Roman, 280 Seiten Über das Buch: Infamia hat zwei Haupterzählstränge, die kunstvoll miteinander verknüpft sind. Zum einen die Familiengeschichte des Diplomaten Manuel Serafim Soares de Vilhena, der eigentlich einen geruhsamen Lebensabend verbringen könnte, wären da nicht die belastenden Lebensumstände, die seine Tochter in den Tod trieben und die er nun zur Kenntnis nehmen muss. Zum anderen, die Geschichte von Custódio Fialho Borges Filho, einem rechtschaffenen Beamten, der nach der Umstrukturierung in seinem Betrieb „Unregelmäßigkeiten“ entdeckt und dokumentiert und daher von seinen Kollegen und einer Presse, die nicht mehr sorgfältig recherchiert, verleumdet und isoliert wird. Über die Autorin: Ana Maria Machado hat an die 100 Bücher veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurden. Ihre Verkaufszahlen können sich sehen lassen: 18 Millionen Bücher. Ana Maria Machado ist seit Dezember 2011 die Präsidenten der brasilianischen Literaturakademie, der Academia brasileira das Letras. Einschätzung: Infamia ist ein packender Roman über Rufmord und Verleumdung, der gerade deshalb so unter die Haut geht, weil Ana Maria Machado von den Verletzungen des Einzelnen ausgeht und damit implizit Kritik an einer Gesellschaft übt, die dies gleich gültig hinnimmt. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Martins, Altair: A parede no escuro ( Die Mauer im Dunkeln), 2008 Roman, 254 Seiten Über das Buch: A Parede no Escuro erzählt die Geschichte zweier Familien im ländlichen Milieu, die in tragischer Weise miteinander verstrickt sind. Zentral sind eine Vater-Sohn- und eine Vater-Tochter-Beziehung, die beide von Gewalt geprägt sind, die Handlung dreht sich um Schuld und Sühne und um Verlust. Über den Autor: Altair Martins wurde 1975 in Porto Alegre, geboren, wo er heute als Lehrer arbeitet. Er veröffentlichte einige, mehrfach preisgekrönte Erzählbände. Sein Debütroman A Parede no Escuro wurde 2009 mit dem renommierten Prêmio Sao Paulo ausgezeichnet. Einschätzung: In lyrisch-metaphorischer Sprache beschreibt dieser im ländlichen Milieu angesiedelte Roman die schmerzliche Auseinandersetzung beider Hauptfiguren mit ihrer Kindheit. Das Auffälligste an dem Roman ist der häufige Perspektivwechsel. Dieser Wechsel erfolgt sowohl in Bezug auf die Figuren als auch auf die Erzählhaltung (Ich-Perspektive und auktorialer Erzähler). Wenn man sich auf dieses „Experiment“ des Autors einlässt, ergibt sich eine interessante, kontrastierende Sichtweise. Der Roman ist fesselnd, berührend und durchgängig spannend. Faszinierend ist insbesondere der Umgang des Autors mit dem Thema Missbrauch, bei dem dennoch in symbolischer Weise zum Ausdruck kommt. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Mautner, Jorge: O filho do holocausto (Der Sohn des Holocausts), 2006 Autobiographie/Roman, 192 Seiten Über das Buch: Jorge Mautners Eltern – sein Vater stammt aus dem jüdischen Großbürgertum Wiens, seine Mutter aus Jugoslawien – flohen 1938 nach Brasilien, nachdem sich eine Emigration in die USA zerschlagen hatte. In seiner Autobiographie hält der 1941 in Rio geborene Jorge Mautner Rückblick auf die ersten siebzehn Jahre seines Lebens, die er in Rio und São Paulo verbrachte. Europa und den Holocaust kennt er nur aus den Erzählungen seiner Eltern und anderer europäischer Einwanderer. Er weiß nur, dass ein Großteil seiner Familie umgekommen ist. Jorge, von einem schwarzen brasilianischen Kindermädchen erzogen, lässt sich wie schon sein leichtlebiger Vater voll und ganz auf Brasilien ein. Über den Autor: Jorge Mautner ist ein ebenso eigenwilliger wie prophetischer Künstler. Er schrieb Gedichte und Romane, ist jedoch in erster Linie Musiker. Während der Militärdiktatur arbeitete Jorge Mautner bei der UNESCO in New York und war Sekretär des Dichters Robert Lowell. Im London der 1970er Jahre befreundete er sich mit den Ikonen der Musica popular brasileira Gilberto Gil und Caetano Veloso, mit denen er eng zusammenarbeitete. Anfang 2012 erschien der Dokumentarfilm O filho do holocausto von Pedro Bial und Heitor D´Alincourt, der auf Mautners gleichnamiger Autobiographie basiert. Einschätzung: Jorge Mautner erzählt anschaulich und packend von seiner Kindheit und Jugend in Brasilien, die zwischen zwei Polen hin und her schwankt, dem Bezug auf den Holocaust und die Erfahrung der kulturellen Vielfalt in Brasilien. „Ich musste stets die verängstigten Trümmer der Seelen, die im Holocaust umgekommen waren, mit dem schrillen und betäubenden Glück in Brasilien geboren zu sein, verbinden (falls überhaupt möglich), eingehüllt in die Trommelklänge der Nachfahren jener Sklaven, die diese Nation errichtet hatten.“ Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Molica, Fernando: Bandeira negra, Amor (Schwarze Fahne, Liebe), 2005 Roman, 217 Seiten Über das Buch: Bandeira Negra, Amor ist der zweite Roman von Fernando Molica, der im Grenzbereich von Polizei und Verbrechen vor dem Hintergrund der sozialen Spannungen Rio de Janeiros spielt. Sein erster Roman Krieg in Mirandão erschien 2005 in deutscher Übersetzung von Michael Kegler bei Edition Nautilus. In Bandeira Negra, Amor geht es um den Mord an einigen Jugendlichen aus einer Favela. Es ist offensichtlich, dass die Schuldigen im Umfeld der Polizei zu suchen sind, ebenso offensichtlich ist aber, dass der Mord nie gesühnt werden wird. Ein junger schwarzer Anwalt aus der Bürgerrechtsbewegung (der ein heimliches Faible für Arthur Friedenreich, den ersten schwarzen Nationalspieler Brasiliens hat) nimmt sich der Sache an. Gleichzeitig ermittelt die Freundin des Anwalts, die selbst Polizistin ist, und überraschenderweise gelingt es ihr – zumindest scheinbar – das Geflecht aus Korpsgeist und Korruption innerhalb der Polizeibehörde zu durchbrechen. Doch die Illusion währt nur kurz … Wie in seinem ersten Roman nutzt Fernando Molica Stilelemente des Krimis, um soziale Gemengelagen in Rio de Janeiro sichtbar zu machen: den alltäglichen Rassismus, die Verflechtung von Polizei, Politik und Verbrechen, die alltägliche Gewalt, die für manche schon fast zur Folklore geworden ist. Über den Autor: Fernando Molica ist 1961 in einem der Außenbezirke von Rio de Janeiro geboren. Er arbeitete lange Jahre als Zeitungsjournalist und seit 1996 als Reporter des Fernsehsenders TV Globo. Neben seinen Romanen veröffentlichte er auch Anthologien, Reportagebände und ein Kinderbuch. Einschätzung: Fernando Molica ist ein genauer Beobachter seiner Stadt Rio de Janeiro. In diesem Roman analysiert er mit den Stilmitteln des Krimis den Korpsgeist eines von Korruption durchdrungenen Polizeiapparats, die Gewalt, aber auch den alltäglichen Rassismus in Brasilien. Ein spannender Roman vor dem Hintergrund einer dramatischen Realität. Übersetzung vorhanden, Gutachten in Arbeit Mutarelli, Lourenço: Miguel e os Demônios (Miguel und die Dämonen), 2009 Roman, 120 Seiten Über das Buch: São Paulo zu Weihnachten, es ist heiß. Miguel ist Streifenpolizist, seine Frau hat sich von ihm getrennt, seit der Scheidung lebt er bei seinem Vater, der den ganzen Tag Verkaufssendungen im Fernsehen sieht. Er wirkt verloren, sieht sich einer Welt ohne Moral und den Machenschaften seiner Mitmenschen ausgesetzt. Seine Freundin Sueli hat zwei Töchter und eine Schwester, die ihm Avancen macht. Als Miguel mit ihr zum Sex in ein Motel fährt, begegnet er seinem Chef in Begleitung einer jungen Frau. Tage später ruft der ihn zu sich und will, dass er sich versetzen lässt. Bei einem Einsatz trifft Miguel auf besagte junge Frau, Cibele. Im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, dass Cibele ein Transvestit ist (sehr Brasilientypisch), dem Miguel hoffnungslos verfällt, wie vor ihm schon sein Chef, der sich schließlich zu entmannen versucht, um von ihm/ihr loszukommen, und Miguel mit einem Abriss allgemeiner Verschwörungstheorien vor Cibele warnt. Miguel trennt sich von Sueli, die ihm kurz zuvor gebeichtet hat, ihr Ex-Mann Augusto habe Nacktbilder der Töchter auf dem Computer gespeichert und im Internet verkauft. Miguel begräbt Augusto bei lebendigem Leibe. Über den Autor: Lourenço Mutarelli, 1964 geboren, ist Schriftsteller, Grafiker, Autor und Schauspieler. Er veröffentlichte er mehrere Comic-Alben von Comics, für die er in der Szene der in den späten 1980ern und 1990ern sehr bekannt war. In dem Film nach seinem ersten Roman O cheiro do ralo (Der Geruch aus dem Abfluss) wirkte er auch als Schauspieler mit. Einschätzung: Mutarelli schreibt drehbuchartig knapp, präzise und rhythmisch überzeugend. Zeilen aus einem Rap-Song tauchen auf: „Selbst in der Hölle ist es gut zu wissen, mit wem man unterwegs ist“, Drehbuchanweisungen wie „Wir sehen ihre kleinen Brüste“ oder Fade, Flashbacks in Sepia. Das vermittelt insgesamt eine Atmosphäre zwischen David Lynch und Paulo Lins, erinnert stilistisch manchmal vielleicht sogar an Judith Hermann. Gutachten und Übersetzungsprobe in Arbeit Nazarian, Santiago: O Prédio, o Tédio, e o Menino Cego (Das Gebäude, die Langeweile und ein blinder Junge), 2009 Roman, 344 Seiten Über das Buch: O Prédio, o Tédio, e o Menino Cego changiert gewagt zwischen Allegorie, Fantasy- bzw. Zombiegeschichte und Coming-of-Age Roman. Der Schauplatz ist ein schiefstehendes Hochhaus in einem Badeort am Meer, die Protagonisten sind sieben auf sich selbst gestellte Nachbarjungs mit prägnanten Charakteren und Hobbys. Die Jungen pendeln zwischen Selbstgenügsamkeit, jugendlichem Abenteuerdrang und Monotonie. Plötzlich fängt das Wetter an, verrückt zu spielen, eine junge Lehrerin zieht ins Hochhaus, die Jungen sterben nach und nach. Und bei jedem Tod kann eine Verbindung zur Lehrerin gezogen werden. Die realistische Erzählung kippt überraschend ins Zombie-Genre und konfrontiert den Leser so mit zwei unterschiedlichen Lesarten der Geschehnisse. Über den Autor: Santiago Nazarian wurde 1977 in São Paulo geboren. Der Schriftsteller und Übersetzer (u.a. Washington Irving, Téa Obreht) wurde 2007 vom Hay Festival zu einem der 39 bedeutendsten Autoren Lateinamerikas unter 40 Jahren gewählt. Er wird in Brasilien als kultiger und schillernder Provokateur geschätzt. Einschätzung: Der überraschende Aufbau des Romans ist gewagt. Diese Furchtlosigkeit beim Mischen von höheren und niederen Stilebenen, das nur literarisch versiert, in klarer Sprache und mit sehr lebendigen Charakterbeschreibungen funktionieren kann, macht die Lektüre des Romans reizvoll, zeitgemäß und provokant. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Nazarian, Santiago: Pornofantasma, 2011 Erzählungen, 320 Seiten Über das Buch/Einschätzung: Santiago Nazarian, der mit mehreren Romanen in Brasilien bereits für Aufsehen gesorgt hat, ist vor allem ein begnadeter Erzähler. Seine Erzählungen, Short Stories und Novellen, die 2011 erstmals in einem Band versammelt wurden, changieren zwischen dem Phantastischen und dem Grotesken, sind aufgeladen mit (meist homosexueller) Erotik und beleuchten dezent den impliziten Horror des Alltags: „Vierzehn Geschichten über Sex und Tod“, so der Autor, wie in der Titelgeschichte, in der ein spät homosexuell gewordener Mann einen Pornodarsteller sucht, der ihn an seinen mit 16 Jahren ums Leben gekommenen Sohn erinnert. Über den Autor: Santiago Nazarian wurde 1977 in São Paulo geboren. Der Schriftsteller und Übersetzer (u.a. Washington Irving, Téa Obreht) wurde 2007 vom Hay Festival zu einem der 39 bedeutendsten Autoren Lateinamerikas unter 40 Jahren gewählt. Er wird in Brasilien als kultiger und schillernder Provokateur geschätzt. Probeübersetzungen vorhanden, Gutachten in Arbeit Nogueira, Joaquim: Informações sobre a vítima (Informationen über das Opfer), 2002 Kriminalroman, 347 Seiten Über das Buch: Hauptfigur ist der Erzähler Venício, ein zweiundvierzigjähriger Polizist, der in einer lokalen Wache Dienst tut. Venício arbeitet als Inspektor und muss sich normalerweise nur mit kleineren Delikten befassen. Er lebt allein und zurückgezogen und mit nur wenigen Kontakten. Als ein anderer Polizist, der ihm einmal aus einer misslichen Situation gerettet und mit dem sich Venício angefreundet hatte, erschossen wird, will der Inspektor den Fall übernehmen. Gern lässt die überlastete Kriminalpolizei dies zu. Doch je mehr Venício über das Opfer herausfindet, desto ambivalenter und undurchsichtiger wird dieser. Venício muss zuletzt erkennen, dass sein Freund in allerhand krumme Geschäfte verwickelt war und ihm selbst auch nach dem Leben trachtete, da er Drogengeschäften in die Quere gekommen war. Wie in einem film noir muss Venício schließlich erkennen, dass Freunde und Vorgesetzte korrupt sind und sein Freund ein skrupelloser geldgeiler Machtmensch war. Über den Autor: Joaquim Nogueira wurde 1940 geboren. 1960 kam er nach São Paulo und verdiente seinen Lebensunterhalt als Fliesenleger, in einem Büro und als Bankangestellter. 1983 beendete er, wie sein Held Venício, ein Jurastudium und arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1998 bei der Polizei in São Paulo. Einschätzung: Die Geschichte spielt zwar im heutigen São Paulo, die unmittelbare Gegenwart wird jedoch nur durch den Gebrauch von Mobiltelefonen angedeutet. Insgesamt dominiert eine eher zurückgenommene Atmosphäre im Stil der Nouvelle vague. Informações sobre a vítima wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und setzt nicht vordergründig auf Spannung. Auch wenn die Geschichte etliche Haken schlägt, wirkt sie doch beim Lesen nicht verworren. Dem Autor gelingt es, noch die überraschendste Wendung plausibel zu machen und die vielen Fäden zusammenzuhalten. Im Rahmen des Romans besitzt das alles Logik, zumal hier eben keine lineare Beweiskette erstellt, sondern ein kriminelles Rhizom punktuell aufgedeckt wird. Die Stärke des Textes liegt sicher in der Innenansicht auf die Polizeiarbeit und ihre Strukturen. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Nogueira, Joaquim : Vida pregressa (Die Vorgeschichte), 2003 Kriminalroman, 373 Seiten Über das Buch: Mit seinem zweiten Roman baut Nogueira auf das in Informações sobre a vítima eingeführte Personal und Setting auf. Wir haben es mit einem neuen Fall des Inspektors Venício zu tun, diesmal untersucht er das Verschwinden bzw. den wahrscheinlichen Tod eines Hotelbesitzers mit dem merkwürdigen Namen Anatole France Castanheira und bewegt sich dabei wieder durch die unterschiedlichsten Sphären seiner Heimatstadt São Paulo. Er begegnet verführerischen Frauen, nimmt die Hilfe eines etwas zweifelhaften, wegen Alkohols vom Dienst suspendierten Kollegen in Anspruch und gerät selber zunehmend in die Schusslinie krimineller Elemente, denen er mit seiner Ermittlung auf die Nerven geht. Über den Autor: Joaquim Nogueira wurde 1940 geboren. 1960 kam er nach São Paulo und verdiente seinen Lebensunterhalt als Fliesenleger, in einem Büro und als Bankangestellter. 1983 beendete er, wie sein Held Venício, ein Jurastudium und arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1998 bei der Polizei in São Paulo. Einschätzung: Vida pregressa entfaltet seine Kraft in der detailgenauen Schilderung alltäglicher Abläufe, in der Figurenzeichnung, im lakonischen Humor und in der Wiedergabe sprachlicher Eigenheiten. Der Roman gestaltet sich v.a. über Dialoge, in denen auch lokale Besonderheiten verarbeitet werden. Es stimmt also, was im Klappentext steht: „Venício hat das Gesicht der Stadt São Paulo.“ Die profunde Kenntnis seines Gegenstands verleiht dem Roman unbezweifelbare Authentizität. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Noll, João Gilberto: Lorde (Lord), 2004 Roman, 111 Seiten Über das Buch: Ein alternder Schriftsteller erhält ein Stipendium in London. Was er dort soll, bleibt bis zuletzt vage. Bereits ohne Erwartung und im Vorfeld desillusioniert trifft er am Flughafen der kalten Stadt ein. Als Anti-Flaneur streift der Protagonist dieses atmosphärisch ungeheuer dichten und trotz der depressiven Grundstimmung geradezu turbulenten Romans durch die Straßen der Stadt auf der Suche nach einem Ziel, nach Wärme, einem Sinn, nach sich selbst, bei der er sich nicht nur zunehmend verliert, sondern fast buchstäblich auflöst. Über den Autor: João Gilberto Noll, 1946 in Porto Alegre geboren, zählt zu den wichtigsten Vertretern der brasilianischen fiktionalen Literatur. Seit der Veröffentlichung seines ersten Buches, des Erzählbandes O cego e a dançarina im Jahr 1980, wurden seine Romane und Erzählungen vielfach ausgezeichnet und übersetzt. Seine Sammlung Mínimos, múltiplos, comuns (2003) zählte 2004 gleich dreimal zu den Finalisten des Prêmio Jabuti und wurde im selben Jahr mit dem höchsten Preis der Academia Brasileira de Letras ausgezeichnet. Einschätzung: Noll schrieb diesen, 2005 mit dem Prêmio Jabuti ausgezeichneten Roman, als er selbst »Writer in Residence« in London war. Die Protagonisten seiner athmosphärisch aufgeladenen Prosa sind meist Personen in empfundenen Grenzsituationen, in denen die Realität sich zu einem tiefen Mysterium entwickelt, durch das sie nicht selten an die Grenze ihres Verstandes geraten. Eine Dissertation über Nolls Werk hier: http://www.joaogilbertonoll.com.br/Thesis.pdf Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Petronio, Rodrígo: Pedra de Luz (Stein des Lichts), 2005 Lyrik, 270 Seiten Über den Autor: Der für seine Lyrik mehrfach ausgezeichnete Rodrígo Petronio wurde 1975 in São Paulo geboren. Nach seinem Studium arbeitete er als Schriftsteller und Journalist. In verschiedenen Zeitschriften Brasiliens veröffentlichte er Essays, Kurzgeschichten und Gedichte. Einschätzung: Einen „Versuch, die Durchsichtigkeit der Erde zu berühren“, nennt Rodrigo Petronio (*1975) seinen Gedichtband Pedra de Luz. Es sind lange, welthaltige Gedichte, poetische Selbstaussagen, kühne Affirmationen, Wahrnehmungen vom „Puls der Pflanzen und Steine“. Buchstabiert wird mal in weit ausgreifenden, reimlosen Strophen, mal in konzentriertester Dichte, das „Alphabet der Erde“. Die Belebtheit der Welt, ihr aus Einzelheiten bestehender Reichtum, der sich in allem kundtut. Alles hängt mit allem zusammen, alles verwandelt sich. Was es gibt, ist biegsam, fähig zu neuer Gestalt, zum Kreislauf. Veröffentlichung ist angedacht in Auswahl und zweisprachig Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden. Rodrigues, Sérgio : Elza, a garota (Das Mädchen Elsa), 2009 Roman, 238 Seiten Über das Buch: Elza, a Garota erforscht in gekonnter Verzahnung von journalistischer Recherche, Krimi, literarischer Fiktion und politisch-historischer Reflektion eine wahre Begebenheit zu Zeiten der Regierung Gétulio Vargas'. Es geht um Liebe und Verrat, Politik und Paranoia. Der Hintergrund und die Figuren des Romans sind größtenteils historisch, ihr Erleben aber wird in der Stimme eines verschmitzten Geschichtenerzählers plastisch: Als die blutjunge und bezaubernde Elza, Geliebte eines führenden Mitglieds der Kommunistischen Partei Brasiliens, nach dem gescheiterten kommunistischen Umsturz 1936 von Genossen als Spitzel beschuldigt und hingerichtet wird, gerät nicht nur die kommunistische Bewegung, sondern auch das Leben zweier Brüder ins Wanken. Eine nur scheinbar marginale und tatsächlich fast vergessene Geschichte der brasilianischen Linken, die Sérgio Rodrigues nun – hervorragend erzählt – ans Licht holt. Über den Autor: Der Journalist und Schriftsteller Sérgio Rodrigues wurde 1962 in Muriaé, Minas Gerais, geboren, und schreibt in Print und Online für bedeutende brasilianische Tageszeitungen und Zeitschriften. Mit Elza, a Garota liegt sein zweiter Roman vor, daneben hat Rodriges Kurzgeschichtenbände veröffentlicht. Einschätzung: Sérgio Rodrigues gelingt in bester postmoderner Manier eine raffinierte und reflektierte Verquickung von Schuld und Sühne, Fakt und Fiktion. Der Leser folgt dieser intelligenten Lektüre gespannt und wird mit aufmerksamen Beobachtungen über eine vergangene Zeit, hoher Aktualität und einem unterhaltsamen Plot belohnt. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Ruas, Tabajara: O fascínio (Die Verlockung), 1997 Kurzroman, 141 Seiten Über das Buch: Thema von O fascínio ist die unbewältigte, gewalttätige Vergangenheit des Rio Grande do Sul: Bertholino José de Paes Rodrigues, Anwalt aus Porto Alegre, erbt von seinen Vorfahren ein Landgut an der Grenze zu Argentinien. Doch die Idylle trügt. Touro Passo, so der Name des Anwesens, steht für ein Blutbad zur Zeit der Bürgerkriege am Ende des 19. Jahrhunderts. Der Roman spielt zur Zeit der Militärdiktatur. Die Wahrheit kommt langsam ans Licht, Morde geschehen, bis zuletzt alle Opfer in einem Brunnen verschwinden, um dem Sohn des Anwalts, Bento Rodrigues, eine Karriere als Politiker zu ermöglichen. Kurzum: eine abgründige Metapher über die Militärdiktatur in Brasilien. Über den Autor: Tabajara Ruas, 1942 in Uruguaiana (Rio Grande do Sul) geboren, ist Schriftsteller, Journalist und Filmemacher. Er studierte Architektur an der Universidade Federal in Porto Alegre, bis die Militärdiktatur ihn zu einem langjährigen Exil zwang, zunächst in Uruguay, dann in Chile, Argentinien, Dänemark, São Tomé e Príncipe und zuletzt in Portugal, bevor er 1981 nach Hause zurückkehren konnte. Seine ersten Romane sind geprägt von der Erfahrung des Exils. 1996 publizierte er seinen historischen Roman Netto perde sua alma (Netto verliert seine Seele) über den Bürgerkrieg in seiner Heimat, der La-Plata-Region. Diesen Roman verfilmte er 1999, zusammen mit Beto Souza. Einschätzung: Aus der südlichsten Provinz Brasiliens ist wenig Literatur publiziert worden und bislang wurde nichts davon ins Deutsche übersetzt, nicht einmal zur Buchmesse 1994, als Brasilien schon einmal Gastland war. Dieser weiße Fleck auf der literarischen Landkarte könnte nun gefüllt werden. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Sabino, Fernando: O menino no espelho (Der Junge im Spiegel), 1982 Kindheitsautobiografie, 196 Seiten Über das Buch: In zehn Kapiteln erzählt der kleine Junge Fernando seinem 50 Jahre älteren Alter Ego seine Erlebnisse und Abenteuer: die Rettung einer Henne vor dem Kochtopf, eine allein im Wald verbrachte Nacht, ein Treffen mit dem Doppelgänger, die Befreiung einer bunten Vogelschar aus den Käfigen ... Realität verschmilzt dabei mit kindlichen Tagträumen: Zunächst realistisch anmutende Episoden schlagen oft ins Fantastische um. Zentrales Thema ist die Selbstfindung durch kindliche Fantasie und durch die Kunst. Über den Autor: Fernando Sabino (*1923 in Belo Horizonte, Minas Gerais, † 2004 in Rio de Janeiro) war ein bedeutender brasilianischer Schriftsteller, Journalist und Verleger. Bekannt wurde er vor allem durch seine humoristischen Kurzgeschichten. Für die Erzählsammlung O Homem Nu (Der nackte Mann) wurde er mit dem Jabuti Preis ausgezeichnet. Seine Werke sind eine beliebte Schullektüre in Brasilien. Seine von ihm selbst verfasste Grabinschrift lautet: „Hier ruht Fernando Sabino, der als Mann geboren wurde und als Junge starb!" Einschätzung: Der Junge im Spiegel ist ein poetisches Buch über eine idyllische Kindheit und die Macht der Fantasie, eher für Erwachsene als für Kinder geschrieben. Durch seine traditionelle Schreibweise und den zuweilen moralistischen Ton wird dieser moderne Klassiker der brasilianischen Literatur wahrscheinlich vor allem bei einer eher traditionell orientierten Leserschaft gut ankommen. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Salem-Levy, Tatiana: Dois Rios (Zwei Flüsse), 2011 Roman, 221 Seiten Über das Buch: Zwei Flüsse ist ein Roman über eine schwierige Zwillingsgeschwisterliebe und ein originelles amouröses Dreiecksverhältnis. Der Roman besteht aus zwei Teilen, die beide aus der Ich-Perspektive erzählt werden. Obwohl sich diese beiden Erzählerstimmen stilistisch nicht sehr unterscheiden, spürt man beim Lesen doch den Kontrast zwischen weiblicher und männlicher Erzählperspektive. Joana und Antonio sind Zwillinge. Sie teilen nicht nur ihre Kindheitserinnerungen, sondern auch die an die tragischen Ereignisse, die ihr Leben für immer veränderten. Joana lebt in Rio, gefangen in ihren Ängsten und den Besessenheiten ihrer Mutter. Am Strand trifft sie eines Tages Marie-Ange, eine französische Touristin. Mit ihrer Hilfe gelingt es Joana, sich aus ihren Zwängen zu befreien. Auf Korsika, wo Antonio lebt, trifft auch er eine französische Touristin, Marie-Ange. Die Zwillinge treffen die gleiche Frau, sie verändert beider Leben. Und beide teilen die Erfahrung, dass Marie-Ange auf einem Boot in den Nebel hinein verschwindet und denken: Wird sie wiederkommen? Über die Autorin: Tatiana Salem Levy wurde 1979 in Portugal als Kind exilierter Brasilianer geboren. Ihre Großeltern sind türkische, nach Brasilien emigrierte Juden. Sie studierte Literaturwissenschaft und lebt heute als Schriftstellerin und Übersetzerin in Rio de Janeiro. Ihr erster Roman Chave de casa (Hausschlüssel) wurde mehrfach übersetzt und mit dem Sao Paulo Preis für den besten Debüt-Roman ausgezeichnet. Er war außerdem für den Jabuti-Preis nominiert. Dois Rios ist für den Portugal-Telecom-Preis 2012 nominiert. Einschätzung: Ein Spiel mit Emotionen, Erinnerungen, unterschiedlichen Sichten auf die gleichen Dinge. Reizvoll ist das Spiel der Autorin mit dem Entscheidungsdilemma von MarieAnge und auch die Idee der „Dreiecksbeziehung“, in der Marie-Ange zum Katalysator für die Reflexionsprozesse der Geschwister wird. Der Schluss bleibt offen und rätselhaft. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit Sant’Anna, André: O Paraíso é bem bacana (Das Paradies ist schon eine tolle Sache), 2006 Roman, 451 Seiten Über das Buch: Ein brasilianischer Nachwuchsfußballer sprengt sich im leeren Stadion von Hertha BSC in die Luft, weil er sich für einen Islamisten hält. Im Koma fantasiert er nun über das, was er aus seinem verpfuschten Kleinstadthorizont heraus für das Paradies hält: 72 Jungfrauen, die aussehen wie Pamela Anderson, bunte Bilder aus Telenovelas und Pornofilmen, gepaart mit einer kindlich-anrührenden Sehnsucht nach einem anständigen Leben. Über den Autor: André Sant’Anna wurde 1964 in Belo Horizonte geboren, lebt jedoch seit vielen Jahren in Rio de Janeiro. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete er auch als Musiker und Fernsehredakteur. Sant'Anna war in den 1980er Jahren Bassist von Tao e Qual und ist seit 2007 wieder mit einem Musikprojekt Sons e Furyas unterwegs. Die zu einer Trilogie gehörenden Romane Amor, Sexo und O Paraíso é bem bacana haben ihn als Schriftsteller bekannt gemacht. Neben den Romanen sind Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien erschienen. Einschätzung: Der Roman ist ein bizarres Sprachkunstwerk von großer Intensität. André Sant'Annas Literatur arbeitet mit einem bisweilen drastischen Vokabular, dessen Melodie und Rhythmus er zu einer sehr eigenen Poesie des brasilianischen Alltags komponiert. Übersetzungsprobe vorhanden, Gutachten in Arbeit Sant’Anna, André: Amor (Liebe) 1998 Prosagedicht, 100 Seiten Über das Buch/ Einschätzung: Dieses 100 Seiten lange Prosagedicht hat Literaturgeschichte geschrieben. In ihm verdichtet der frühere Bassist der Avantgarde-Band Tao & Qual Fernsehbilder, Gedankenfetzen, Informationsfragmente im Stakkato zu einer krassen Poetik des brasilianischen Alltags. Seine Arbeit mit Melodie und Rhythmus brasilianischer Gassensprache ist stilbildend geworden für eine ganze Reihe jüngerer brasilianischer Erzähler. Über den Autor: André Sant’Anna wurde 1964 in Belo Horizonte geboren, lebt jedoch seit vielen Jahren in Rio de Janeiro. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit, arbeitete er auch als Musiker und Fernsehredakteur. Sant'Anna war in den achtziger Jahren Bassist von Tao e Qual und ist seit 2007 wieder mit einem Musikprojekt Sons e Furyas unterwegs. Die zu einer Trilogie gehörenden Romane Amor, Sexo und O Paraíso é bem bacana haben ihn als Schriftsteller bekannt gemacht. Neben den Romanen sind Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien erschienen. Übersetzungsprobe vorhanden, Gutachten in Arbeit Silveira, Maria José: O fantasma de Luís Buñuel (Der Geist Luis Buñuels), 2004 Roman, 334 Seiten Über das Buch: Erst ist es das Kino, der Wunsch, etwas Großartiges zu schaffen, das die Gruppe Studenten in Brasilia am Ende der 1960er Jahre eint. Doch aus der ästhetischen Revolution wird nach Verschärfung der Antiterrorgesetze im Jahr 1969 schnell eine politische. Aus Kommilitonen werden Genossen. Manche verschwinden in der Illegalität, andere werden verhaftet, andere arrangieren sich oder entkommen der Folter, indem sie im Hipster-Untergrund von Rio de Janeiro oder New York untertauchen. In ihrem vielstimmigen Text begleitet die Autorin ihre Protagonisten durch die Jahrzehnte: 1968, 1978, 1988, 1999. Wie auf einem Klassentreffen begegnen sie sich alle zehn Jahre wieder. Nach und nach stellt sich heraus, dass auch die Helden nicht makellos sind. Eine Illusion nach der anderen zerbricht, als schließlich im neuen Jahrtausend eine der Überlebenden einem Bombenanschlag in einem arabischen Land zum Opfer fällt. Über die Autorin: Maria Jose Silveira wurde 1947 in Jaragua geboren, lebt heute, nach Stationen in New York, Paris und Lima (Exil während der Militärdiktatur) in Sao Paulo. Sie studierte Kommunikationswissenschaften, Anthropologie und Politikwissenschaft. 1980 gründete sie den Verlag Ground Zero, den sie bis 1998 leitete. Seit 2002 ist sie Schriftstellerin. Einschätzung: In die Biographien ihrer Protagonisten bettet Maria José Silveira in ihrem dritten und bislang besten Roman die ganze Geschichte Brasílias mit ein und viel von der jüngeren Geschichte und den Widersprüchen Brasiliens: die sozialen Milieus, die aufeinanderprallen, der Zukunftswahn, der sich in Brasilia architektonische Bahn bricht, um dann von einer brutalen und rückwärtsgewandten Diktatur okkupiert zu werden. Und sie begleitet ihre Figuren in einem vielstimmigen Text durch die Jahrzehnte: 1968, 1978, 1988, 1998. Es gibt Tote, Erschossene, Gefolterte, aus dem Hubschrauber über dem Meer Abgeworfene. Die entsetzlichen Todesarten der frühen 1970er Jahre, personifiziert und mit Namen versehen. Gutachten und Übersetzungsprobe in Arbeit Sperling, Rafael: Festa na usina nuclear (Party im Kernkraftwerk), 2011 Surreale Miniaturen, 104 Seiten Über das Buch: Das Debüt des erst 26 Jahre alten Rafael Sperling ist eine Sammlung von surrealen Miniaturen, die Alltagssituationen ohne Vorwarnung ins Absurde überdrehen. So bringt in „Eternamente seu“ eine Frau ihren verschwundenen Ehemann zur Welt, in „Amores efêmeros“ bestellt ein Paar seine Kinder aus dem Katalog und verwirft sie nach Gebrauch, in „Ovelhas Amargas“ führt ein Teller Fertignudeln auf dem Weg über das Internet und SaudiArabien direkt zum Tode. Anklänge an Filme von Buñuel oder die psychedelischen 1960er Jahre sind erkennbar. Im gnadenlosen Überdrehen auch dieser Einflüsse entwickelt Sperling bereits in seinem ersten Buch eine ganz eigene Linie. Gutachten und Übersetzungsprobe in Arbeit Trevisan, Dalton: O Vampiro de Curitiba (Der Vampir aus Curitiba), 1964 Kurzgeschichten, 74 Seiten Über das Buch: In den zwölf Kurzgeschichten begleitet der Leser den erotomanen Protagonisten Nelsinho bei seinen Abenteuern. In dunklen, modrigen Zwischenräumen einer heruntergekommenen Provinzstadt – in Hinterhöfen und leeren Geschäften – bewegen sich Figuren am Rand der bürgerlichen Existenz. Nelsinho verführt, erpresst oder vergewaltigt seine Opfer. Der Akt selbst wird ausgespart, im Mittelpunkt steht das soziale Vor- und Nachspiel, das sich in meisterhaft geschriebenen Dialogen offenbart. Hinter dem schäbigen Alltag von Curitiba deckt Trevisan psychologische Abgründe auf: „Tief in jedem Familiensohn schläft ein Vampir“. Über den Autor: Dalton Jérson Trevisan, geboren 1925 in Curitiba, gilt als ein moderner Klassiker der brasilianischen Literatur. Bekannt wurde er, als seine Erzählsammlung Novelas nada Exempalres (etwa: Mitnichten exemplarische Novellen) 1959 den renommiertesten brasilianischen Literaturpreis Jabuti gewann. Mit Ausnahme des Romans A Polaquinha widmet sich Trevisan ausschließlich dem Genre der Kurzgeschichte. Seine Texte sind ins Englische, Niederländische und Spanische übersetzt. 1980 erschien sein Erzählband Ehekrieg (Guerra Conjugal) bei Suhrkamp (übersetzt von Georg Rudolf Lind, vergriffen). Der Autor lebt zurückgezogen und verweigert sich dem Literaturbetrieb. Oft wird er „Vampir aus Curitiba“ genannt. Einschätzung: Mit zum Teil immer noch schockierender Offenheit setzt sich der Text mit dem Thema der sexuellen Ausbeutung und Gewalt auseinander. Der Leser muss bereit sein, sich auf ein nicht-exotisches Brasilienbild einzulassen und wird mit psychologischen Einsichten, meisterhaften Dialogen und einer dichten, thrillerhaften Atmosphäre entlohnt. Dalton Trevisans so provinzielles wie universelles Curitiba ist eine lohnende Entdeckung auf der literarischen Landkarte Südamerikas. Gutachten und Übersetzungsprobe vorhanden Tezza, Cristovão: Um erro emocional (Ein emotionaler Fehler), 2010 Roman, 191 Seiten Über das Buch: Ein Psychogramm, ein intensives Kammerspiel: Ein Schriftsteller und sein weiblicher Fan treffen bei einem Abendessen aufeinander. Gleich am nächsten Tag verspricht er ihr einen Job und seine Liebe. Das Buch erzählt die ersten Stunden einer unerwarteten Begegnung zweier Menschen, die gefangen sind in ihrer Einsamkeit, Vergangenheit und ihren Ängsten und die dennoch ihre Hoffnungen miteinander teilen wollen. Über den Autor: Cristovão Tezza wurde 1952 in Lages, Santa Catarina, geboren, zog jedoch schon als Kind nach Curitiba um. Tezza ist nicht nur mehrfach preisgekrönter Autor von über einem Dutzend veröffentlichen literarischen Werken, sondern lehrt auch an der Bundesuniversität des Staates Paraná und schreibt für wichtige brasilianische Zeitungen und Zeitschriften. Einschätzung: Tezzas karger, fast klinischer Stil spiegelt die von ihm behandelten universellen Themen wie Vereinsamung, Sehnsucht, Versagensängste und schwierige Vaterschaft. Gewiss bedient er nicht den europäischen Wunsch nach einem bunten, verrückten Brasilien, ist aber einer der am meisten gefeierten Autoren des heutigen Brasilien, den man lesen muss, um die dortige literarische Szene kennenzulernen und der jeden von uns durch seine Einsicht bereichert. Übersetzungsprobe vorhanden, Gutachten in Arbeit Varella, Drauzio: Estação Carandiru (Station Carandiru), Non-Fiction, 302 Seiten Über das Buch: Drauzio Varella arbeitete 1989-2002 als freiwilliger Arzt im Männergefängnis Carandiru in São Paulo, dem mit über 7000 Insassen damals größten Gefängnis Südamerikas. In Station Carandiru greift er auf diese Erfahrungen zurück und beschreibt das komplexe Gefängnisuniversum, in dem ein eigener Moral- und Verhaltenskodex herrschte, und das zu einem erheblichen Teil von den Gefangenen selbst verwaltet wurde. Der Bericht ist fiktionalisiert, basiert aber nach Aussage des Autors auf realen Figuren und Begebenheiten. Das Buch wurde zu einem brasilianischen Bestseller, 2000 erhielt es den wichtigsten brasilianischen Literaturpreis Jabuti in der Kategorie „Buch des Jahres: Nicht-Fiktion“. Station Carandiru liegt bereits in englischer Übersetzung vor. 2003 wurde das Buch verfilmt. Über den Autor: Drauzio Varella (geb. 1943 in São Paulo) ist ein bekannter brasilianischer Arzt, Wissenschaftler und Schriftsteller. Als praktizierender Arzt und als Forscher beschäftigt er sich vor allem mit Krebs und AIDS. Varella ist in den brasilianischen Medien sehr präsent und nimmt oft an Fernseh- und Radiosendungen zu medizinischen Themen teil. Neben Station Carandiru liegen von ihm zwei Kinderbücher und einige populärwissenschaftliche Sachbücher vor. Einschätzung: Station Carandiru gewährt einen faszinierenden Eiblick in die fremde Welt des größten brasilianischen Gefängnisses und die ungeschriebenen Gesetze seiner Insassen. Es überzeugt durch charismatische Figuren, tragikomische Geschichten und eine zutiefst humanistische Erzählerfigur, die sich weigert, ein moralisches Urteil zu fällen. Gutachten vorhanden Veríssimo, Luis: Os espiões (Die Spione), 2009 Roman, 171 Seiten Über das Buch Der Ich-Erzähler, ein 42-jähriger Mann und studierter Literaturwissenschaftler ist seit zwölf Jahren verheiratet und führt eine höchst unbefriedigende Ehe. Seine Arbeit als Lektor in einem drittklassigen Verlag, dessen verlegerisches Hauptwerk ein verkaufsträchtiges Buch mit dem Titel Astrologie und Liebe ist, befriedigt ihn ebenfalls nicht, und so ergibt er sich ab Freitagnachmittag das Wochenende über dem Alkohol. Die restlichen Tage der Woche verbringt er damit, sich von seinen Besäufnissen zu erholen. Die Manuskripte, die dem Verlag dank des Erfolgs von Astrologie und Liebe in großer Zahl zugeschickt werden, verreißt er regelmäßig. Mit dem Korrektor streitet er sich freitags in der Bar vom Spanier vorzugsweise über die Regeln der Kommasetzung, mit Professor Fortuna, der ebenso wenig ein Professor ist wie der Spanier ein Spanier, nach Säufermanier über philosophische Fragen. Alles ändert sich, als das Manuskript einer Frau aus einem Nest namens Frondosa sein Interesse erregt. Ihr Mann habe ihren Geliebten getötet, auch sie plane den Selbstmord. Die drei Freunde reisen nach Frondosa und geraten nicht nur in die verwickelte Gemengelage des entlegenen Provinznestes, in dem ein Fußballkrieg tobt und die Eifersucht regiert, sondern es stellt sich auch heraus, dass die Autorin lange Passagen ihres Manuskripts bei Sylvia Plath abgekupfert hat und dass die Geschichte des geheimen Geliebten frei erfunden ist. Zuletzt sind aber doch zwei Tote zu beklagen und der Ich-Erzähler, der zwischenzeitlich fast ganz zu trinken aufgehört hatte, verfällt wieder gänzlich dem Suff. Über den Autor: Luis Fernando Verissimo wurde 1936 in Porto Alegre geboren. Während sein Vater Erico Verissimo für seine Sagen von Balzacscher Opulenz berühmt wurde, feiert Luis Fernando Verissimo seit den frühen 1970er Jahren mit humorvollen Short Stories BestsellerErfolge. Einschätzung: Wie bereits in früheren Romanen Veríssimos rankt sich die ebenso abstruse wie spannende und witzige Handlung auch in Os Espiões um das Schreiben und die Literatur. Dem Autor ist auch mit diesem Roman wieder ein Meisterstück der Tiefsinnigkeit und Ironie gelungen, mit dem er das allseits weit verbreitete Schreiben über Banales, Sentimentales und Esoterisches auf höchst intelligente und amüsante Weise entlarvt. Gutachten vorhanden, Übersetzungsprobe in Arbeit