Geburt eines Orchesters
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Geburt eines Orchesters
18 Kultur KONZERTKRITIKEN Telefon (089) 53 06-447 kultur@merkur-online.de Telefax: (089) 53 06-86 55 Münchner Merkur Nr. 230 | Dienstag, 7. Oktober 2014 .............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Bachs Wellenbrecher Orgelherbst, St. Michael Im Jahr 1840 fürchtete Felix Mendelssohn Bartholdy, dass Johann Sebastian Bachs Werk den Bach runtergeht und initiierte ein Konzert, in dem ausschließlich Orgelstücke des Thomaskantors präsentiert wurden. Vom Erfolg dieser Renaissance war nun auch im Eröffnungskonzert des Münchner Orgelherbstes viel zu spüren, bei dem Mendelssohns Leipziger Programm Werk für Werk wiedergegeben wurde – und dies von Peter Kofler, Michaelsorganist und künstlerischer Leiter des Festivals. Mit dem einleitenden Präludium und der Fuge in Es- INTERVIEW Dur wurde das Publikum in der prall gefüllten Michaelskirche sofort in den monumentalen Sog des Bach’schen Orgelwerks gezogen. Mittels Videoleinwand wurde das Geschehen auf der Empore und die Komplexität des Spiels auf vier Manualen und die beidfüßige Virtuosität Koflers an den Pedalen für die Besucher sichtbar. Gut war aber auch, dass die Leinwand, etwa in der Choralbearbeitung „Schmücke dich, o liebe Seele“, bewusst dunkel blieb. Durchsichtig entwickelte Kofler das zarte Kleinod bis hin zum sinnlich wabernden Schlussakkord. Umso stärker wirkte das quirlige Präludium in a-Moll mit seinen sich harmonisch Zum Sterben schön brechenden Wellen und ihrer Mündung in die strahlend helle Fuge. Dagegen lebt die Passacaglia in c-Moll von dialektischen Kontrasten, während tänzerische Melodien durch die Register wandern, um in einem mächtigen Basspunkt zu gipfeln. In der „Pastorella“ erweckte Koflers Spiel den Eindruck von stufenloser Dynamik und lieferte damit ein Zeugnis von Bachs Meisterschaft. Noch mehr gilt das für die berühmte Toccata und Fuge in d-Moll, in der alle Register gezogen wurden – was man auf das Königsinstrument beziehen konnte, aber auch auf Peter Koflers Können: der Höhe- und Schlusspunkt. ANNA SCHÜRMER First Aid Kit, Muffathalle Der Sonntagabend nach einem langen Wochenende ist an sich schon eine recht entspannte Angelegenheit. Einen passenden, tiefenentspanntharmonischen Schlussakkord gab’s dazu in der Münchner Muffathalle, wo das viel gelobte schwedische Folk-Duo First Aid Kit einen Stopp auf seiner aktuellen „Stay-Gold“Tour einlegte. Der fiel übrigens eine Nummer größer aus als geplant: Statt im deutlich kleineren Ampere bescherten galoppierende Ticketverkäufe den schwedischen Schwestern Johanna und Klara Söderberg einen Auftritt in der Halle. Entsprechend brachten sie auch eine ausgewachsene Produktion mit: Vor güldenem Bühnenbild, in funkelnden Abba-GedächtnisGewändern und mit hochglanzpoliertem Klang wirkten die beiden Folk-Sirenen anfangs fast ein wenig deplatziert in Szene gesetzt. Wenngleich ihre Band hochprofessionell den Sound vom aktuellen Hit-Album umsetzte, war bisweilen zu viel Pop im Folk. Dass die beiden Goldkehlchen derartigen Budenzauber nicht nötig haben, wurde spätestens nach der ersten Konzerthälfte deutlich. Für das zum Sterben schöne „Ghost Town“ von ihrem Debütalbum traten sie einen Schritt von den Mikrofonen weg und gossen ihre warmen, klaren Stimmen pur über das atemlos lauschende Publikum. Derartige Glücksmomente gab es einige, in denen musikalische Begabung, beseelte Harmoniesucht im besten Sinn und hörbares Wissen um die Wurzeln von Country und Folk aufeinandertrafen. Kein Wunder, dass die Geschwister Söderberg musikalische Prominenz wie Conor Oberst (Bright Eyes) und Jack White (White Stripes) zu ihren Fans zählen dürfen. Und nach minutenlangem Jubel und einem fabelhaften Zugaben-Block („A Long Time Ago“, „Emmylou“, „Master Pretender“) auch gut tausend Münchner. CHRISTOPH ULRICH .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Geburt eines Orchesters Die Accademia di Monaco gibt am kommenden Wochenende bei der Residenzwoche ihr erstes Konzert VON GABRIELE LUSTER Seit der gemeinsamen Arbeit an Händels „Imeneo“ für die Bayerische Theaterakademie im Herbst 2013 sprudelt bei Joachim Tschiedel und Mary Utiger der Ideenquell. Was ihm nun entsteigt, ist ein neues Orchester für Alte Musik: die Accademia di Monaco. Mit der Eröffnung der Münchner Residenzwoche am kommenden Samstag schlägt die offizielle Geburtsstunde des Ensembles, das mit den Sängerinnen Maria Pitsch und Mary Utiger FKN Merit Ostermann im Kaisersaal Arien und Ouvertüren von Mozart, Hasse, Gluck, Mysliveček und dem langjährigen Münchner Hofkomponisten Bernasconi musizieren wird – natürlich auf alten Instrumenten. Mary Utiger, die Alte-Musik-Spezialistin und Professorin für Barock-Geige und Bratsche an der Münchner Musikhochschule sagt, dass sie sich mit Tschiedel, dem Musikalischen Leiter der Akademie-Sparte Musiktheater, „auf Anhieb“ verstanden habe. „Musikalisch wie menschlich.“ Und der Diri- AUSSTELLUNG Joachim Tschiedel von der Bayerischen Theaterakademie lässt auf alten Instrumenten musizieren. gent schwärmt davon, wie die Konzertmeisterin den Studenten der Historischen Aufführungspraxis manche Angaben „übersetzt“ habe und „wie die jungen Musiker an ihren Lippen hingen“. Da wurden die Weichen gestellt für die Accademia di Monaco, die ein ganz spezielles Orchester ist. Sie vereint Studenten mit Absolventen und Dozenten, die quasi eine Patenschaft übernehmen und ihr Wissen an die Jungen weitergeben. „Das ist in Deutschland bei einem Ensemble für Alte Musik einmalig“, konstatiert Tschiedel, „deshalb auch der Name Accademia“. Mary Utiger weiß, dass etliche ihrer Absolventen gerne in München und Bayern bleiben würden. „Aber als Freiberufler mit Originalinstrumenten können sie nur schwer überleben. Für die meisten ist es weiterhin wichtig, auch mit ihren modernen Instrumenten aktiv zu sein. Die Kulturstadt München hinkt in Sachen Alte Musik leider immer noch etwas hinterher.“ Eigentlich ist Joachim Tschiedel ein Allrounder, der als Opernkapellmeister mit Mozarts „Figaro“ startete, aber schon in seinem ersten Engagement in Eisenach viel mit Werken von Bach und Telemann zu tun hatte. „Als wir an der Theaterakademie Mozarts ‚Così fan tutte‘ mit den Studenten der Historischen Aufführungspraxis produzierten, habe ich so richtig Blut geleckt. Diese sinnfällige Klanglichkeit und Musizierhaltung haben mich sofort überzeugt. Ich kann mir Mozart nicht mehr anders vorstellen.“ Wen wundert es, wenn Mozart nun auch im ersten Konzertprogramm der Accademia di Monaco den Ton angibt. Doch höchst spannend ist: Seine Vertonungen von Tex- FOTO: SCHÖNECK ten des Operndichters Metastasio werden mit solchen von berühmten (Gluck, Hasse) und auch weniger bekannten Kollegen (Bernasconi, Mysliveček) konfrontiert. 22 Musiker werden beim Debüt auf dem Podium in der Residenz sitzen. Je nach Programm variiert die Anzahl. Natürlich gehören die hohen Streicher aus der Klasse Mary Utigers dazu, aber auch Studenten und Ehemalige der anderen Instrumentalklassen. Utiger selbst fungiert als Konzertmeisterin, ihr ProfessorenKollege Günter Holzhausen streicht den Kontrabass, und Profi-Gäste übernehmen die Holzbläser-Parts. Der Repertoire-Schwerpunkt des neuen Ensembles liegt auf Werken der Barockzeit und der Wiener Klassik. Obwohl, wie Mary Utiger betont, „noch zu RichardStrauss-Zeiten Darmsaiten völlig normal waren, werden wir uns wohl nur bis in die Romantik vortasten“. Vielleicht zu Johann Simon Mayr, Franz Danzi oder Franz Schubert. „Aber das ist noch Zukunftsmusik.“ Auch wenn sich die Accademia jederzeit über Kooperationsangebote von der Musikhochschule und der Theaterakademie freut, agiert sie unabhängig und eigenständig. Auch in puncto Finanzen. „Da halte ich mich lieber zurück“, lacht Mary Utiger und vertraut auf die Kassenkünste ihres Kollegen. „Noch liegt unser Kontostand bei Null“, bilanziert Tschiedel, der für die logistische Unterstützung der Theaterakademie, etwa im Fall der Probenräume, sehr dankbar und auf der Suche nach Sponsoren und Mäzenen ist, die sich für mehr Alte Musik in München engagieren wollen. Die Hasse-Gesellschaft gab bereits eine Finanzspritze fürs Debüt, für 2015 hat man schon drei Konzerte vereinbart: In Holzkirchen, Kloster Seeon und Wasserburg wird sich die Accademia di Monaco mit Werken von Wolfgang und Leopold Mozart, Johann Schobert, Johann Christian Bach und Michael Haydn im April und Juni vorstellen. Konzert am 11. Oktober im Rahmen der Residenzwoche, die bis zum 19. Oktober dauert; www.residenzwoche.de; Telefon 089/ 54 81 81 81. ......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Wunschbilder aus dem Farbenreich Das bunte Reise-Universum von Willy Puchner: Bilder, Grafiken, Texte und Puppen in der Jugendbibliothek von Schloss Blutenburg VON TERESA PANCRITIUS Die Welt unter Glas. Unter der Platte eines großen Tisches liegen aufgeschlagene Bücher. Die darin enthaltenen Bilder und Texte erzählen von Reisen in die Wüste, nach Indien, Japan, Venedig. Neben den in dünnen Großbuchstaben geschriebenen Worten „Medico della pesta“ wurde die Schutzkleidung eines Pestarztes gemalt inklusive der grotesk anmutenden Maske mit dem langen, gebogenen Schnabel. Auf der anderen Buchseite ist ein maskiertes Pärchen während des Karnevals zu sehen. Einige Zeilen erklären die Bedeutung der Gesichter. „Text und Bild bilden immer eine Einheit“, sagt Willy Puchner. Der Wiener Künstler, Autor und Fotograf stellt in der Internationalen Jugendbibliothek auf Schloss Blutenburg in München unter anderem zum ersten Mal seine sehr persönlichen Reisebücher aus. „Seine Heiligtümer“, wie er sie nennt, zeugen von zahlreichen Reisen, Erlebnissen, Eindrücken, Fantasien. „Das ist, als würde ich mich selbst reinlegen.“ Farbenfroh ist sie, die Welt des 62-Jährigen, heiter, voller Leben, bevölkert von Tieren und Märchengestalten, die mit viel Liebe zum Detail geschaffen wurden. Nun kann „Ich liebe Träume und Illusionen“: zwei Beispiele aus dem umfangreichen Werk des Wieners Willy Puchner. FOTO: AUSSTELLUNG man tief darin eintauchen: Für seine Ausstellung „Willy Puchners Universum. Bilder – Grafiken – Texte“ hat der Künstler viel Platz bekommen. 120 Bilder sind zu sehen plus weitere Objekte wie Handpuppen und lebensgroße Figuren. Das Puchner’sche Universum beginnt in der Blutenburg-Bibliothek, zieht sich durch die Wehrgang-Galerie und endet in dem kleinen Turm, wo man sich hinsetzen und den Farbenrausch auf sich wirken lassen kann. Extra für die Schau hat Willy Puchner 40 Blätter gemalt, die sich an einem Band die Wand entlang ziehen. Jedes Bild stellt eine Farbe dar – von Hunde-Rot bis Ozean-Blau. Er habe mit den Namen die Welt der Nummern durchbrechen wollen, mit denen Farben normalerweise bezeichnet werden, sagt er. Sein Blick auf die Kunst ist auch in kleinen Texten nachzulesen: „Mich interessieren Mythen, Geschichten und Erlebnisse, weniger das Sensationelle, eher die Stille und vor allem stille Wasser...“, heißt es da. „Ich liebe Träume, Wunschbilder, Illusionen und fliegende Menschen, Narren und kleine Banditen.“ Bis 29. Januar 2015 Mo.–Fr. 10–16 Uhr, Sa. u. So. 14–17 Uhr; Tel. 089/ 121 10. KULTUR IN KÜRZE Rocksänger Paul Revere gestorben Paul Revere, Sänger der US-Rockband Paul Revere and the Raiders, ist am Samstag im Alter von 76 Jahren gestorben, wie erst jetzt bekannt wurde. Die Gruppe, die meist in den Uniformen des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs auftrat, hatte in den Sechziger- und Siebzigerjahren vor allem in ihrer Heimat mehrere Hits. Der Song „Indian Reservation“ schaffte es auf Platz eins der US-Charts. Erster Professor des Biser-Lehrstuhls Der Jesuit Georg Sans (47) ist der erste Inhaber des neuen Eugen-Biser-Stiftungslehrstuhls für Religions- und Subjektphilosophie an der Münchner Hochschule für Philosophie. Er wolle wie der Namensgeber des Lehrstuhls auf der „Grundlage eines breiten philosophischen Fundaments mit Andersdenkenden und Andersgläubigen in Dialog treten“, sagte Sans. Er stammt aus Mannheim und lehrte seit zehn Jahren als Professor für Geschichte für Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts an der Gregoriana in Rom. Gestiftet wurde der Biser-Lehrstuhl von der Straubinger Verlegerfamilie Balle sowie dem früheren Bertelsmann-Manager Ulrich Wechsler. Anzeige Wir sind für Sie da! 00 Uhr Mo bis Do 7:00 bis 19: 7:00 bis 17:00 Uhr Freitag 00 Uhr Samstag 7:00 bis 12: Anzeigen: 089 / 53 06 666 Abonnement: 089 / 53 06 777 Trauer um Autorin Sigrid Heuck Die Kinderbuchautorin Sigrid Heuck ist im Alter von 82 Jahren in Bad Tölz gestorben. Zu ihren erfolgreichsten Titeln gehören die Bilderbücher von Pony und Bär, der Märchenroman „Saids Geschichte“ und der Kriminalroman „Meister Joachims Geheimnis“. Sigrid Heuck wurde 1932 in Köln geboren und lebte seit 1949 im bayerischen Alpenvorland. Nach dem Studium der Mode-Grafik besuchte sie die Akademie der Bildenden Künste in München und machte sich als Grafikerin selbstständig. Seit 1959 veröffentlichte sie neben belletristischen Titeln für Erwachsene mehr als 80 Bilder-, Kinder- und Jugendbücher, die sie zum Teil selbst illustrierte. B. B. King muss Tournee abbrechen B. B. King, gerade 89 gewordene Musiklegende, hat wegen einer Krankheit seine Tournee abgebrochen. Er sei während eines Konzerts im Chicagoer House of Blues krank geworden, bestätigte sein Management. „Er wurde sofort von einem Arzt untersucht, der Dehydrierung und Erschöpfung feststellte. Deshalb wurden die letzten acht Konzerte der Tour abgesagt.“ King gilt als einer der einflussreichsten Musiker in der Geschichte des Blues. Er tritt noch regelmäßig auf.