Geburt eines Orchesters

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Geburt eines Orchesters
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Kultur
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Münchner Merkur Nr. 230 | Dienstag, 7. Oktober 2014
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Bachs Wellenbrecher
Orgelherbst,
St. Michael
Im Jahr 1840 fürchtete Felix
Mendelssohn Bartholdy, dass
Johann
Sebastian
Bachs
Werk den Bach runtergeht
und initiierte ein Konzert, in
dem ausschließlich Orgelstücke des Thomaskantors präsentiert wurden. Vom Erfolg
dieser Renaissance war nun
auch im Eröffnungskonzert
des Münchner Orgelherbstes
viel zu spüren, bei dem Mendelssohns Leipziger Programm Werk für Werk wiedergegeben wurde – und dies
von Peter Kofler, Michaelsorganist und künstlerischer Leiter des Festivals.
Mit dem einleitenden Präludium und der Fuge in Es-
INTERVIEW
Dur wurde das Publikum in
der prall gefüllten Michaelskirche sofort in den monumentalen Sog des Bach’schen
Orgelwerks gezogen. Mittels
Videoleinwand wurde das
Geschehen auf der Empore
und die Komplexität des
Spiels auf vier Manualen und
die beidfüßige Virtuosität
Koflers an den Pedalen für die
Besucher sichtbar. Gut war
aber auch, dass die Leinwand, etwa in der Choralbearbeitung „Schmücke dich, o
liebe Seele“, bewusst dunkel
blieb. Durchsichtig entwickelte Kofler das zarte Kleinod bis hin zum sinnlich wabernden Schlussakkord.
Umso stärker wirkte das
quirlige Präludium in a-Moll
mit seinen sich harmonisch
Zum Sterben schön
brechenden Wellen und ihrer
Mündung in die strahlend
helle Fuge. Dagegen lebt die
Passacaglia in c-Moll von dialektischen Kontrasten, während tänzerische Melodien
durch die Register wandern,
um in einem mächtigen Basspunkt zu gipfeln. In der
„Pastorella“ erweckte Koflers
Spiel den Eindruck von stufenloser Dynamik und lieferte
damit ein Zeugnis von Bachs
Meisterschaft.
Noch mehr gilt das für die
berühmte Toccata und Fuge
in d-Moll, in der alle Register
gezogen wurden – was man
auf das Königsinstrument beziehen konnte, aber auch auf
Peter Koflers Können: der
Höhe- und Schlusspunkt.
ANNA SCHÜRMER
First Aid Kit,
Muffathalle
Der Sonntagabend nach einem langen Wochenende ist
an sich schon eine recht entspannte Angelegenheit. Einen
passenden, tiefenentspanntharmonischen Schlussakkord
gab’s dazu in der Münchner
Muffathalle, wo das viel gelobte schwedische Folk-Duo
First Aid Kit einen Stopp auf
seiner aktuellen „Stay-Gold“Tour einlegte.
Der fiel übrigens eine
Nummer größer aus als geplant: Statt im deutlich kleineren Ampere bescherten galoppierende Ticketverkäufe
den schwedischen Schwestern Johanna und Klara Söderberg einen Auftritt in der
Halle. Entsprechend brachten sie auch eine ausgewachsene Produktion mit: Vor güldenem Bühnenbild, in funkelnden Abba-GedächtnisGewändern und mit hochglanzpoliertem Klang wirkten
die beiden Folk-Sirenen anfangs fast ein wenig deplatziert in Szene gesetzt. Wenngleich ihre Band hochprofessionell den Sound vom aktuellen Hit-Album umsetzte,
war bisweilen zu viel Pop im
Folk.
Dass die beiden Goldkehlchen derartigen Budenzauber
nicht nötig haben, wurde spätestens nach der ersten Konzerthälfte deutlich. Für das
zum Sterben schöne „Ghost
Town“ von ihrem Debütalbum traten sie einen Schritt
von den Mikrofonen weg und
gossen ihre warmen, klaren
Stimmen pur über das atemlos lauschende Publikum.
Derartige Glücksmomente
gab es einige, in denen musikalische Begabung, beseelte
Harmoniesucht im besten
Sinn und hörbares Wissen um
die Wurzeln von Country und
Folk aufeinandertrafen. Kein
Wunder, dass die Geschwister Söderberg musikalische
Prominenz wie Conor Oberst
(Bright Eyes) und Jack White
(White Stripes) zu ihren Fans
zählen dürfen. Und nach minutenlangem Jubel und einem
fabelhaften Zugaben-Block
(„A Long Time Ago“, „Emmylou“, „Master Pretender“)
auch gut tausend Münchner.
CHRISTOPH ULRICH
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Geburt eines Orchesters
Die Accademia di Monaco gibt am kommenden Wochenende bei der Residenzwoche ihr erstes Konzert
VON GABRIELE LUSTER
Seit der gemeinsamen Arbeit
an Händels „Imeneo“ für die
Bayerische Theaterakademie
im Herbst 2013 sprudelt bei
Joachim Tschiedel und Mary
Utiger der Ideenquell. Was
ihm nun entsteigt, ist ein neues Orchester für Alte Musik:
die Accademia di Monaco.
Mit der Eröffnung der Münchner Residenzwoche am kommenden Samstag schlägt die
offizielle Geburtsstunde des
Ensembles, das mit den Sängerinnen Maria Pitsch und
Mary Utiger
FKN
Merit Ostermann im Kaisersaal Arien und Ouvertüren
von Mozart, Hasse, Gluck,
Mysliveček und dem langjährigen Münchner Hofkomponisten Bernasconi musizieren
wird – natürlich auf alten Instrumenten.
Mary Utiger, die Alte-Musik-Spezialistin und Professorin für Barock-Geige und
Bratsche an der Münchner
Musikhochschule sagt, dass
sie sich mit Tschiedel, dem
Musikalischen Leiter der
Akademie-Sparte Musiktheater, „auf Anhieb“ verstanden
habe.
„Musikalisch
wie
menschlich.“ Und der Diri-
AUSSTELLUNG
Joachim Tschiedel von der Bayerischen Theaterakademie lässt auf alten Instrumenten musizieren.
gent schwärmt davon, wie die
Konzertmeisterin den Studenten der Historischen Aufführungspraxis manche Angaben „übersetzt“ habe und „wie
die jungen Musiker an ihren
Lippen hingen“.
Da wurden die Weichen gestellt für die Accademia di
Monaco, die ein ganz spezielles Orchester ist. Sie vereint
Studenten mit Absolventen
und Dozenten, die quasi eine
Patenschaft übernehmen und
ihr Wissen an die Jungen weitergeben. „Das ist in Deutschland bei einem Ensemble für
Alte Musik einmalig“, konstatiert Tschiedel, „deshalb auch
der Name Accademia“. Mary
Utiger weiß, dass etliche ihrer
Absolventen gerne in München und Bayern bleiben würden. „Aber als Freiberufler mit
Originalinstrumenten
können sie nur schwer überleben.
Für die meisten ist es weiterhin wichtig, auch mit ihren
modernen Instrumenten aktiv
zu sein. Die Kulturstadt München hinkt in Sachen Alte
Musik leider immer noch etwas hinterher.“
Eigentlich
ist
Joachim
Tschiedel ein Allrounder, der
als Opernkapellmeister mit
Mozarts „Figaro“ startete,
aber schon in seinem ersten
Engagement in Eisenach viel
mit Werken von Bach und Telemann zu tun hatte. „Als wir
an der Theaterakademie Mozarts ‚Così fan tutte‘ mit den
Studenten der Historischen
Aufführungspraxis produzierten, habe ich so richtig Blut geleckt. Diese sinnfällige Klanglichkeit und Musizierhaltung
haben mich sofort überzeugt.
Ich kann mir Mozart nicht
mehr anders vorstellen.“
Wen wundert es, wenn Mozart nun auch im ersten Konzertprogramm der Accademia
di Monaco den Ton angibt.
Doch höchst spannend ist:
Seine Vertonungen von Tex-
FOTO: SCHÖNECK
ten des Operndichters Metastasio werden mit solchen von
berühmten (Gluck, Hasse)
und auch weniger bekannten
Kollegen (Bernasconi, Mysliveček) konfrontiert. 22 Musiker werden beim Debüt auf
dem Podium in der Residenz
sitzen. Je nach Programm variiert die Anzahl. Natürlich
gehören die hohen Streicher
aus der Klasse Mary Utigers
dazu, aber auch Studenten
und Ehemalige der anderen
Instrumentalklassen. Utiger
selbst fungiert als Konzertmeisterin, ihr ProfessorenKollege Günter Holzhausen
streicht den Kontrabass, und
Profi-Gäste übernehmen die
Holzbläser-Parts.
Der
Repertoire-Schwerpunkt des neuen Ensembles
liegt auf Werken der Barockzeit und der Wiener Klassik.
Obwohl, wie Mary Utiger betont, „noch zu RichardStrauss-Zeiten
Darmsaiten
völlig normal waren, werden
wir uns wohl nur bis in die Romantik vortasten“. Vielleicht
zu Johann Simon Mayr, Franz
Danzi oder Franz Schubert.
„Aber das ist noch Zukunftsmusik.“
Auch wenn sich die Accademia jederzeit über Kooperationsangebote von der Musikhochschule und der Theaterakademie freut, agiert sie
unabhängig und eigenständig.
Auch in puncto Finanzen.
„Da halte ich mich lieber zurück“, lacht Mary Utiger und
vertraut auf die Kassenkünste
ihres Kollegen. „Noch liegt
unser Kontostand bei Null“,
bilanziert Tschiedel, der für
die logistische Unterstützung
der Theaterakademie, etwa im
Fall der Probenräume, sehr
dankbar und auf der Suche
nach Sponsoren und Mäzenen ist, die sich für mehr Alte
Musik in München engagieren wollen. Die Hasse-Gesellschaft gab bereits eine Finanzspritze fürs Debüt, für 2015
hat man schon drei Konzerte
vereinbart: In Holzkirchen,
Kloster Seeon und Wasserburg wird sich die Accademia
di Monaco mit Werken von
Wolfgang und Leopold Mozart, Johann Schobert, Johann
Christian Bach und Michael
Haydn im April und Juni vorstellen.
Konzert
am 11. Oktober im Rahmen
der Residenzwoche, die bis
zum 19. Oktober dauert;
www.residenzwoche.de;
Telefon 089/ 54 81 81 81.
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Wunschbilder aus dem Farbenreich
Das bunte Reise-Universum von Willy Puchner: Bilder, Grafiken, Texte und Puppen in der Jugendbibliothek von Schloss Blutenburg
VON TERESA PANCRITIUS
Die Welt unter Glas. Unter der
Platte eines großen Tisches
liegen aufgeschlagene Bücher.
Die darin enthaltenen Bilder
und Texte erzählen von Reisen in die Wüste, nach Indien,
Japan, Venedig. Neben den in
dünnen Großbuchstaben geschriebenen Worten „Medico
della pesta“ wurde die Schutzkleidung eines Pestarztes gemalt inklusive der grotesk anmutenden Maske mit dem langen, gebogenen Schnabel. Auf
der anderen Buchseite ist ein
maskiertes Pärchen während
des Karnevals zu sehen. Einige Zeilen erklären die Bedeutung der Gesichter.
„Text und Bild bilden immer eine Einheit“, sagt Willy
Puchner. Der Wiener Künstler, Autor und Fotograf stellt
in der Internationalen Jugendbibliothek auf Schloss
Blutenburg in München unter
anderem zum ersten Mal seine sehr persönlichen Reisebücher aus. „Seine Heiligtümer“, wie er sie nennt, zeugen
von zahlreichen Reisen, Erlebnissen, Eindrücken, Fantasien. „Das ist, als würde ich
mich selbst reinlegen.“
Farbenfroh ist sie, die Welt
des 62-Jährigen, heiter, voller
Leben, bevölkert von Tieren
und Märchengestalten, die
mit viel Liebe zum Detail geschaffen wurden. Nun kann
„Ich liebe Träume und Illusionen“: zwei Beispiele aus dem umfangreichen Werk des Wieners Willy Puchner. FOTO: AUSSTELLUNG
man tief darin eintauchen: Für
seine Ausstellung „Willy
Puchners Universum. Bilder –
Grafiken – Texte“ hat der
Künstler viel Platz bekommen. 120 Bilder sind zu sehen
plus weitere Objekte wie
Handpuppen und lebensgroße Figuren. Das Puchner’sche
Universum beginnt in der Blutenburg-Bibliothek, zieht sich
durch die Wehrgang-Galerie
und endet in dem kleinen
Turm, wo man sich hinsetzen
und den Farbenrausch auf
sich wirken lassen kann.
Extra für die Schau hat Willy Puchner 40 Blätter gemalt,
die sich an einem Band die
Wand entlang ziehen. Jedes
Bild stellt eine Farbe dar – von
Hunde-Rot bis Ozean-Blau.
Er habe mit den Namen die
Welt der Nummern durchbrechen wollen, mit denen Farben normalerweise bezeichnet werden, sagt er.
Sein Blick auf die Kunst ist
auch in kleinen Texten nachzulesen: „Mich interessieren
Mythen, Geschichten und Erlebnisse, weniger das Sensationelle, eher die Stille und
vor allem stille Wasser...“,
heißt es da. „Ich liebe Träume,
Wunschbilder, Illusionen und
fliegende Menschen, Narren
und kleine Banditen.“
Bis 29. Januar 2015
Mo.–Fr. 10–16 Uhr, Sa. u. So.
14–17 Uhr; Tel. 089/ 121 10.
KULTUR
IN KÜRZE
Rocksänger Paul
Revere gestorben
Paul Revere, Sänger der
US-Rockband Paul Revere
and the Raiders, ist am
Samstag im Alter von 76
Jahren gestorben, wie erst
jetzt bekannt wurde. Die
Gruppe, die meist in den
Uniformen des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs auftrat, hatte in den
Sechziger- und Siebzigerjahren vor allem in ihrer
Heimat mehrere Hits. Der
Song „Indian Reservation“
schaffte es auf Platz eins
der US-Charts.
Erster Professor
des Biser-Lehrstuhls
Der Jesuit Georg Sans (47)
ist der erste Inhaber des
neuen Eugen-Biser-Stiftungslehrstuhls für Religions- und Subjektphilosophie an der Münchner
Hochschule für Philosophie. Er wolle wie der Namensgeber des Lehrstuhls
auf der „Grundlage eines
breiten philosophischen
Fundaments mit Andersdenkenden und Andersgläubigen in Dialog treten“, sagte Sans. Er stammt
aus Mannheim und lehrte
seit zehn Jahren als Professor für Geschichte für Philosophie des 19. und 20.
Jahrhunderts an der Gregoriana in Rom. Gestiftet
wurde der Biser-Lehrstuhl
von der Straubinger Verlegerfamilie Balle sowie dem
früheren Bertelsmann-Manager Ulrich Wechsler.
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Trauer um Autorin
Sigrid Heuck
Die
Kinderbuchautorin
Sigrid Heuck ist im Alter
von 82 Jahren in Bad Tölz
gestorben. Zu ihren erfolgreichsten Titeln gehören
die Bilderbücher von Pony
und Bär, der Märchenroman „Saids Geschichte“
und der Kriminalroman
„Meister Joachims Geheimnis“. Sigrid Heuck
wurde 1932 in Köln geboren und lebte seit 1949 im
bayerischen Alpenvorland.
Nach dem Studium der
Mode-Grafik besuchte sie
die Akademie der Bildenden Künste in München
und machte sich als Grafikerin selbstständig. Seit
1959 veröffentlichte sie neben belletristischen Titeln
für Erwachsene mehr als 80
Bilder-, Kinder- und Jugendbücher, die sie zum
Teil selbst illustrierte.
B. B. King muss
Tournee abbrechen
B. B. King, gerade 89 gewordene Musiklegende,
hat wegen einer Krankheit
seine Tournee abgebrochen. Er sei während eines
Konzerts im Chicagoer
House of Blues krank geworden, bestätigte sein
Management. „Er wurde
sofort von einem Arzt untersucht, der Dehydrierung
und Erschöpfung feststellte. Deshalb wurden die
letzten acht Konzerte der
Tour abgesagt.“ King gilt
als einer der einflussreichsten Musiker in der Geschichte des Blues. Er tritt
noch regelmäßig auf.