Online-Strafanzeige
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Online-Strafanzeige
Masterarbeit (überarbeitet Fassung) im Masterstudiengang „Kriminologie und Polizeiwissenschaft“ Ruhr-Universität Bochum Juristische Fakultät Thema: Bundesweiter Vergleich der Online-Strafanzeige als neues Instrument der Kriminalitätsbekämpfung Gutachter: 1. LKD a.D. Robert Weihmann 2. Dipl. iur. Andreas Ruch Vorgelegt von: Stephan Ottens Polizeipräsidium Düsseldorf Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz - Ständiger Stab Tel.: 02 11 / 870 - 43 06 Graduiert am 07. Mai 2010 Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 4 1 Einleitung 8 1.1 Einführung in das Thema 8 1.2 Themendarstellung 8 1.3 Methode 9 2 Strafanzeige 11 2.1 Begriffsgeschichte und Definition 11 2.2 Legalitäts- und Opportunitätsprinzip 12 2.3 Form der Strafanzeigen 14 2.4 Arten von Strafanzeigen 16 2.4.1 Anonyme und pseudonyme Strafanzeigen 16 2.4.2 Selbstanzeigen 18 2.4.3 Andere Arten von Strafanzeigen 18 2.5 Inhalt von Strafanzeigen 19 2.6 Antrags- und Privatklagedelikte 19 2.7 Anzeigerechte und -pflichten 21 2.7.1 Recht zur Erstattung einer Strafanzeige 21 2.7.2 Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige 21 2.7.3 Rechte und Pflichten von Personen im Rahmen einer Anzeigenerstattung 21 Bedeutung der Strafanzeige für den Umfang der registrierten Kriminalität und der Kriminalitätsbekämpfung 23 2.9 Motivation zur Anzeigenerstattung 24 2.10 Kriminalitätsaufkommen in Deutschland und dessen statistische Erfassung 25 3 Internet und E-Government 26 3.1 Internet 26 3.1.1 Begriffsgeschichte und Entwicklung 26 3.1.2 Internetstrukturdaten 27 3.2 E-Government 28 3.2.1 Begriffsgeschichte und Entwicklung 28 3.2.2 Beispiele für E-Government-Angebote 30 2.8 2 3.2.3 Internet- und Onlinewachen der Polizei 31 4 Online-Strafanzeige 32 4.1 Entwicklung zur Online-Strafanzeige 32 4.2 Bundesweiter Vergleich 33 4.2.1 Baden-Württemberg 33 4.2.2 Bayern 34 4.2.3 Berlin 35 4.2.4 Brandenburg 37 4.2.5 Bremen 41 4.2.6 Hamburg 42 4.2.7 Hessen 44 4.2.8 Mecklenburg-Vorpommern 49 4.2.9 Niedersachsen 51 4.2.10 Nordrhein-Westfalen 55 4.2.11 Rheinland-Pfalz 59 4.2.12 Saarland 60 4.2.13 Sachsen 62 4.2.14 Sachsen-Anhalt 64 4.2.15 Schleswig-Holstein 66 4.2.16 Thüringen 68 4.2.17 Bundeskriminalamt 70 4.2.18 Bundespolizei 70 4.3 Zusammenfassung und Auswertung 72 4.3.1 Unterschiedlicher Informationsumfang 72 4.3.2 Online-Strafanzeige in den Bundesländern und bei den Bundesbehörden 74 4.3.3 Fehlende Einheitlichkeit 75 4.3.4 Anzeigenaufkommen 77 4.3.5 Fehlende Untersuchungen 80 4.3.6 Missbräuchliche Online-Strafanzeigen 80 4.3.7 Weiterentwicklungen 80 5 Fazit und Ausblick 81 6 Verzeichnisse und Anhang 88 6.1 Abbildungen 88 3 6.2 Literatur 88 6.3 Zeitungs- und Zeitschriftenartikel 91 6.4 Internetquellen 91 6.5 Anhang 94 6.5.1 Anschreiben 94 6.5.2 Bildschirmausdrucke Ehrenwörtliche Erklärung 101 107 4 Abkürzungsverzeichnis a. a. O. a.D. Abb. Abs. AG Kripo AK II AO ARPA Art. AT&T Inc. Aufl. Az. BB BE BGHSt BKMS BMI BPOL BPolG BPOLP BVerfGE BW BY CERN ComVor Dez. DHPol dt. et al. e.V. EDI eKoBS am angeführten Ort außer Dienst Abbildung Absatz Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes Arbeitskreis 2 der Innenministerkonferenz Abgabenordnung Advanced Research Project Agency (US-amerikanische Forschungsbehörde) Artikel American Telephone & Telegraph Corporation (US-amerikanischer Telekommunikationskonzern) Auflage Aktenzeichen Brandenburg Berlin Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Business Keeper Monitoring System (Internetportal des Landeskriminalamtes Niedersachsen zur anonymen Abgabe von Hinweisen zu Korruption und Wirtschaftskriminalität) Bundesministerium des Innern Bundespolizei Gesetz über die Bundespolizei (Bundespolizeigesetz) Bundespolizeipräsidium Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Baden-Württemberg Bayern Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (dt.: Europäische Organisation für Kernforschung) Computergestützte Vorgangsbearbeitung (Software zur Vorgangsbearbeitung, die durch die Polizeibehörden in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Hessen verwendet wird) Dezember Deutsche Hochschule der Polizei deutsch Abkürzung für lat.: „und andere“ eingetragener Verein Elektronischer Detektiv im Internet elektronisches Kommunikationssystem Bürger/Sachbearbeiter 5 ELSTER etc. EU EVA f. Febr. ff. Fn. GG GVG GwG HB Hg. HH k. A. lat. LKD LPA m. w. N. MV NI NIVADIS Nr. NSFNET NStZ NW o.J. PDV PKS PMK POLIKS Rdn. RGSt RiStBV RP S. Elektronische Steuererklärung et cetera Europäische Union Elektronischer Vorgangsassistent (Software zur Vorgangsbearbeitung, die durch die Polizeibehörden in Mecklenburg-Vorpommern verwendet wird) folgende [Seite] Februar folgende [Seiten] Fußnote Grundgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz) Hansestadt Bremen Herausgeber Freie und Hansestadt Hamburg keine Angaben lateinisch Leitender Kriminaldirektor Landespolizeiamt der schleswig-holsteinischen Polizei in Kiel mit weiteren Nachweisen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Niedersächsisches Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentationsund Informations-System (Software zur Vorgangsbearbeitung, die durch die Polizeibehörden in Niedersachsen verwendet wird) Nummer(n) Hintergrundnetz der National Science Foundation (US-amerikanische Regierungsorganisation zur finanziellen Unterstützung von Forschung und Bildung in allen Wissenschaftsbereichen außer der Medizin) Neue Zeitschrift für Strafrecht Nordrhein-Westfalen ohne Jahr Polizeidienstvorschrift Polizeiliche Kriminalstatistik politisch motivierte Kriminalität Polizeiliches Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (Software, die bei der Polizei Berlin verwendet wird.) Randnummer Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Rheinland-Pfalz siehe / Seite(n) 6 SH [sic] SL SN ST StA StGB StPO SubvG TH Vgl. VStGB WDO WStG ZPD Schleswig-Holstein lat.: „so“, „auf diese Weise“ Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Staatsanwalt(schaft) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Gesetz gegen missbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen (Subventionsgesetz) Thüringen vergleiche Völkerstrafgesetzbuch Wehrdisziplinarordnung Wehrstrafgesetz Zentrale Polizeidirektion der niedersächsischen Polizei in Hannover 7 1. Einleitung 1 Einleitung 1.1 Einführung in das Thema Vor über 40 Jahren wurden die Grundlagen für eine Technologie gelegt, die heute unter dem Begriff Internet bekannt ist. Insbesondere seit Beginn der 1990er Jahre erlebt das Internet ein rasantes Wachstum. Immer mehr Betriebe, Vereine, Behörden, Institutionen und Privatleute nutzen das Internet zur Bereitstellung von Informationen, zur Kommunikation und für besondere Dienstleistungen. Einkäufe aller Art, Versteigerungen, Erledigung von Bankgeschäften, Informationsrecherchen und eine Vielzahl anderer Aufgaben können über das Internet vorgenommen werden. Mit der zunehmenden Informationsfülle im Internet steigt auch die Anzahl der Internetzugänge und -nutzer. Behörden von Bund, Ländern und Kommunen haben das Potenzial des Internets für ihre Arbeit erkannt und ihre Internetauftritte ausgebaut. Mittlerweile können Serviceleistungen zwischen Behörden und Unternehmen beziehungsweise Bürgern vollständig digital abgewickelt werden. Zwar ist die Zeit der papierlosen Verwaltung noch nicht erreicht, doch die Zahl der online verfügbaren Verwaltungsdienstleistungen des gesamten öffentlichen Sektors nimmt weiter zu. Im Rahmen dieses, als Electronic Government (kurz: E-Government) bezeichneten Angebotes ist es zum Beispiel möglich, Steuererklärungen und Bewerbungen online vorzunehmen oder in Rechtsprechungsdatenbanken und Bibliothekskatalogen zu recherchieren. Zu den E-Government-Projekten zählt auch die Möglichkeit, online Strafanzeige zu erstatten. Diese Funktion wird inzwischen in elf Bundesländern angeboten. 1.2 Themendarstellung Die Online-Anzeigenerstattung ist eine noch recht junge und unerforschte Einrichtung. Während eine wissenschaftliche Untersuchung des Krimino- 8 1. Einleitung logischen Seminars an der Universität Bonn1 zur Auswirkung von online erstatteten Strafanzeigen auf das private Anzeigeverhalten und damit auf den Umfang der bekannt gewordenen Kriminalität noch nicht abgeschlossen ist, werden die Möglichkeiten zur Online-Anzeigenerstattung weiter ausgebaut und immer stärker genutzt. Die Angebote der Bundesländer sind jedoch sehr unterschiedlich. Während Brandenburg schon Anfang 2003 als erstes Bundesland eine flächendeckende Internetwache mit großem Funktionsumfang eingerichtet hatte, haben bislang fünf Bundesländer noch keine vergleichbaren Angebote umgesetzt. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einem bundesweiten Vergleich der Möglichkeiten zur Online-Erstattung von Strafanzeigen bei den Polizeien der Länder, dem Bundeskriminalamt und der Bundespolizei. Dieser Vergleich beinhaltet neben der zeitlichen Entwicklung auch die länderspezifischen Entscheidungsgründe für beziehungsweise gegen die Einrichtung einer Online-Anzeigenerstattung, die jeweiligen Konzeptionen, Ausmaße und Strukturen des Anzeigenaufkommens und bezieht künftige Weiterentwicklungen ein. 1.3 Methode Wegen der polizeilichen Monopolstellung zur Entgegennahme von Strafanzeigen (siehe Kapitel 2.2) wurden etwaige Einrichtungen der Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte zur Entgegennahme von Online- Strafanzeigen ebenso wie solche anderer Strafverfolgungsbehörden wie Zoll- und Finanzverwaltung nicht berücksichtigt. Um eine möglichst umfangreiche Informationsbasis als Grundlage für einen Vergleich verfügbar zu haben, wurden am 16.07.2009 die Innenministerien und -senatoren der Bundesländer2, das Bundeskriminalamt und das Bundespolizeipräsidium angeschrieben (siehe Anhang 6.5) und um Beantwortung konkreter Fragen gebeten. Die Rückmeldungen auf diese Informationsanfrage waren in Art, Inhalt und Umfang sehr unterschiedlich und überstiegen insgesamt die Erwartungen des Verfassers. Mit Ausnahme des Innenministeriums Sachsen1 2 Vgl. Rüther (w2009) Anstelle der Innensenatoren Hamburg und Berlin wurden die Polizei Hamburg und der Polizeipräsident Berlin angeschrieben. 9 1. Einleitung Anhalt reagierten alle angeschriebenen Behörden auf die Anfrage, zwei von ihnen jedoch erst nach einer weiteren E-Mail. Die Polizei Hamburg und das Innenministerium Nordrhein-Westfalen erteilten keine Auskünfte und begründeten dies insbesondere mit zu vielen Anfragen vergleichbarer Art. Eine Antwort seitens des Thüringer Innenministeriums blieb trotz einer zunächst signalisierten Unterstützungsbereitschaft aus. Das Bundeskriminalamt (BKA), das Innenministerium Brandenburg und die Polizei Berlin knüpften an die Herausgabe von Informationen bestimmte Bedingungen, von denen die des BKA nicht erfüllt und die anderen teilweise einvernehmlich angepasst wurden (siehe Kapitel 4.2.3 und 4.2.4). Zum Teil enthielten die Antworten nur grundlegende Informationen oder entsprachen inhaltlich ganz überwiegend den entsprechenden Pressemitteilungen der eigenen Behörde. Einige Rückmeldungen waren sehr umfangreich und orientierten sich an den Fragestellungen der Anfrage. Die ausführlichsten Informationen wurden durch das Innenministerium Brandenburg zur Verfügung gestellt. Die auf diese Weise gewonnenen Daten wurden ergänzt durch eine Inhaltsanalyse von offiziellen Pressemitteilungen und anderen Veröffentlichungen der Innenministerien und Polizeibehörden sowie durch Fachbeiträge und Medienberichte. Informationen wurden außerdem auf den Internetportalen der angeschriebenen Behörden recherchiert und in die Betrachtung mit einbezogen. Andere elektronische Dienstleistungen, die nicht primär der Erstattung von Strafanzeigen dienen, blieben dabei ebenso unberücksichtigt wie Möglichkeiten zur Mitteilung von inkriminierten Internetinhalten, Hinweisen auf Gewalttaten oder Korruptionsdelikten – auch wenn sie zu strafrechtlichen Ermittlungen führten. Die Einzelergebnisse des Vergleichs sind in den Kapiteln 4.2.1 bis 4.2.18 aufgeführt. Eine zusammenfassende Gesamtübersicht enthält Kapitel 4.3. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, wurden – soweit möglich – die Anteile der Online-Strafanzeigen an der im jeweiligen Bundesland registrierten Gesamtkriminalität errechnet. Teilweise betreffen die Online- Strafanzeigen solche Straftaten, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik 10 1. Einleitung (PKS) nicht aufgeführt werden (siehe Kapitel 2.10), konnten aber mangels Aufschlüsselung nicht herausgerechnet werden. Diese im Regelfall kleine Anzahl dürfte jedoch keine entscheidenden Auswirkungen auf den Anteil der Online-Strafanzeigen an der jeweiligen Gesamtkriminalität haben. In Einzelfällen enthalten die Jahressummen zusätzlich auch sonstige Hinweise und Mitteilungen. Der errechnete Anteil der Online-Strafanzeigen an der jeweiligen Gesamtkriminalität fällt daher etwas höher aus, als er tatsächlich ist. 2 Strafanzeige 2.1 Begriffsgeschichte und Definition Der Begriff Strafanzeige stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet das ‚Angeben einer Person bei der Obrigkeit’ oder das ‚Hinweisen auf einen Schuldigen’.3 Er ging hervor aus dem bis ins 19. Jahrhundert gebrauchten denunciatio beziehungsweise dem eingedeutschten Wort Denunziation. Während denunciatio früher zunächst als bloßes Prozessinstrument und wertneutraler juristischer Fachbegriff verstanden wurde, erlebte die Bezeichnung im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Folge auch in der Rechtsprechung eine erhebliche Bedeutungsabwertung und wurde durch den Begriff Anzeige oder Strafanzeige verdrängt. Eine Strafanzeige wird definiert als „die Mitteilung eines Sachverhalts, der nach Meinung des Anzeigenden Anlass für eine Strafverfolgung bietet.“ 4 Sie erfolgt bei einer Strafverfolgungsbehörde oder einem für die Verfolgung von Straftaten zuständigen Beamten5 und stellt eine Anregung dar, den gemeldeten Sachverhalt zu prüfen, „ob Anlass zur Einleitung eines [strafprozessualen] Ermittlungsverfahrens besteht.“6 Voraussetzung für die Mitteilung ist der Verdacht einer strafrechtlich bedeutsamen Gegebenheit. Dieser ist maßgebend für den Begriff der Strafanzeige. Sofern der Ver- 3 4 5 6 Vgl. Weihmann (2008), S. 188 / Koch (2006), S. 1. Meyer-Goßner (2009), § 158 Rdn. 2. Vgl. Geerds (1980), S. 170. S. Fn. 4. 11 2. Strafanzeige dacht zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von § 152 Strafprozessordnung (StPO) begründet, kommt durch ihn das strafprozessuale Ermittlungsverfahren in Gang. „Der Verdacht ist Anlass und prozessbezogener Grund [sic] des Verfahrens.“7 Die Strafanzeige ist ein „tatsächliches Geschehen …, aufgrund dessen die Strafverfolgungsbehörden … Nachforschungen über das Vorliegen eines strafbaren Sachverhaltes [anstellen]“8. 2.2 Legalitäts- und Opportunitätsprinzip Zuständig für die Entgegennahme von Strafanzeigen und zugleich dazu verpflichtet9 sind gemäß § 158 Abs. 1 StPO Polizeibehörden und -beamte, Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte. Sobald Behörden und Beamte von Staatsanwaltschaft oder Polizei von einer Straftat Kenntnis erhalten, unterliegen sie – unabhängig von der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit – dem Legalitätsprinzip. Dabei „ist es ohne Bedeutung, ob ein Strafantrag gestellt ist beziehungsweise wird oder nicht …, wenn nur die Möglichkeit besteht, dass ein solcher Antrag noch gestellt werden kann“.10 Das Legalitätsprinzip verpflichtet nach § 160 Abs. 1 StPO die Staatsanwaltschaft zur Sachverhaltserforschung sowie Strafverfolgung und nach § 163 Abs. 1 StPO die Polizei zur Straferforschung. Amtsgerichte dürfen im Regelfall nicht aufgrund entgegengenommener Strafanzeigen tätig werden und müssen diese deshalb an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. „Die Anzeigenerstattung beim Amtsgericht ist daher im allgemeinen [sic] wenig zweckmäßig und in der Praxis kaum üblich.“11 Direkt bei der Staatsanwaltschaft werden insgesamt nur wenige Straftaten angezeigt. „Lediglich bei Unterschlagung …, Betrug … und bestimmten Wirtschaftsdelikten [werden] Strafanzeigen in nennenswertem Umfang bei der StA angebracht“.12 Üblicherweise werden Strafanzeigen bei der Polizei 7 8 9 10 11 12 Schulz (2001), S. 475. Kürzinger (1978), S. 12. Vgl. Meyer-Goßner (2009), § 158 Rdn. 8. Kürzinger (1978), S. 13. Erb (2008), § 158 Rdn. 16. Schöch (1992), § 158 Rdn. 40. 12 2. Strafanzeige erstattet, die aus diesem Grunde ein „faktisches Monopol … [zur] Entgegennahme … von Strafanzeigen“13 innehat. Polizeibeamte sind nur zur Entgegennahme von Strafanzeigen verpflichtet, wenn sie nach Aufgabenzuweisung ihres Dienstvorgesetzten allgemeine und sicherheitspolizeiliche Aufgaben erfüllen.14 Behörden mit besonderen polizeilichen Aufgaben wie zum Beispiel die Bundespolizei müssen nur Anzeigen aufnehmen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Außerhalb der Dienstzeit gelten für Polizeibeamte grundsätzlich die gleichen Pflichten wie für andere Bürger. Auch ihnen wird ein geschützter Bereich menschlicher Beziehungen zugebilligt.15 Von den begangenen Straftaten müssen sie nur solche anzeigen, die schwerwiegend sind oder einen Wiederholungscharakter haben, wie zum Beispiel Organisierte Kriminalität und Schutzgelderpressung. Diese sind jedoch für das Thema der vorliegenden Arbeit nicht von Bedeutung und bleiben daher unberücksichtigt. Die Aufnahme einer Strafanzeige darf nur abgelehnt werden, wenn sich aus den Darstellungen des Anzeigenerstatters keine tatsächlichen oder nur unzureichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat ergeben oder wenn ein nicht mehr auszuräumendes Verfahrenshindernis, wie zum Beispiel Verjährung oder verstrichene Antragsfrist bei Antragsdelikten, besteht.16 Nach ERB (2008) sind jedoch auch erkennbar haltlose Anzeigen aufzunehmen, wenn der Anzeigenerstatter darauf besteht.17 In Zweifelsfällen entscheidet die Staatsanwaltschaft über eine Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips ist das Opportunitätsprinzip, das im Rahmen der Strafverfolgung den Gerichten und Staatsanwaltschaften begrenzten Handlungsspielraum gewährt. Für Polizeibeamte bestehen jedoch keinesfalls Ermessensspielräume über die Aufnahme oder Nichtaufnahme einer Strafanzeige. Gleichwohl sind unterschiedliche Entscheidungen über das Vorliegen ausreichender oder nicht ausreichender An- 13 14 15 16 17 Kürzinger (1978), S. 15. Vgl. Erb (2008), § 158 Rdn. 17 / Weihmann (2008), S. 191. BGHSt 38, 388 [391]. Vgl. Kürzinger (1978), S. 14. Vgl. Erb (2008), § 158 Rdn. 18. 13 2. Strafanzeige haltspunkte für eine Straftat bei ein- und demselben Sachverhalt durch verschiedene Polizeibeamte möglich.18 Untersuchungen zufolge kommt es in der polizeilichen Praxis jedoch zu Nichtbeachtungen des Legalitätsprinzips: „Dort, wo es aus bestimmten Gründen keinen Sinn macht, eine Straftat formell zu verfolgen …, weil die Arbeitsbelastung im Verhältnis als zu hoch angesehen wird oder ohnehin eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft erwartet wird, ist man im polizeilichen Alltag bereit, das Legalitätsprinzip zurückzustellen.“19 FELTES (1996) bezeichnet dieses Phänomen als „faktisches Opportunitätsprinzip“. In einer anderen Untersuchung „konnte eine beträchtliche Selektion durch die Polizei festgestellt werden“, indem Sachverhalte durch die Polizeibeamten als „Bagatellen oder zivilrechtliche Vorgänge“20 eingestuft wurden. Eine wissentliche oder absichtliche Missachtung des Legalitätsprinzips durch Polizeibeamte stellt jedoch in jedem Fall eine Strafvereitelung im Amt dar, die mit mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist (vgl. § 258a StGB). 2.3 Form der Strafanzeigen Gesetzlich ist nach § 158 StPO für Strafanzeigen keine besondere Form vorgeschrieben. Die Erstattung kann demzufolge mündlich, schriftlich, fernmündlich, durch Telegramm, Telefax oder E-Mail oder in jeder anderen geeigneten Form erfolgen.21 Schriftliche Anzeigen müssen weder eigenhändig verfasst noch unterschrieben sein; strafprozessuale Auswirkungen ergeben sich hierdurch nicht. Bei mündlich erstatteten Strafanzeigen schreibt § 158 Abs. 1 StPO eine Beurkundung vor. Diese erfolgt zumeist in Form einer Protokollaufnahme unter Verwendung von standardisierten Anzeigenvordrucken bei den Polizeibehörden. 18 19 20 21 S. Fn. 16. Feltes/Klukkert/Ohlemacher (2007), S. 298f. Schöch (1992), § 158 Rdn. 41. Vgl. Burghard (1996) / Erb (2008), § 158 Rdn. 15. 14 2. Strafanzeige Die Übermittlung eines Verdachts über dafür vorgesehene Eingabemasken im Internet erweitert die Varianten der Anzeigenerstattung und entspricht der Formfreiheit, zumal diese Möglichkeit durch die Strafverfolgungsbehörden selbst eingerichtet wurde.22 Für derartige Strafanzeigen gibt es jedoch bislang keine einheitliche Bezeichnung. Neben dem wohl am weitesten verbreiteten Begriff der „Online-Anzeige“23 beziehungsweise „Online-Strafanzeige“24 werden auch Ausdrücke wie „Strafanzeige per Internet“25, „‚per Mausklick’ online Strafanzeigen stellen“26 und „Anzeigen per Netz“27 sowie unterschiedliche Schreibweisen der Bezeichnungen verwendet. Zur Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs und semantischen Klarheit erscheint die Festlegung auf einen eindeutigen Begriff, der das Instrument der formulargestützten Strafanzeigenerstattung im Internet umschreibt, sinnvoll und hilfreich. Dabei lässt die gesetzliche Bindung an die deutsche Sprache als Gerichtssprache (§ 184 Gerichtsverfassungsgesetz) Bezeichnungen aus der Informationstechnologie wegen ihres vielfach englischsprachigen Ursprungs und Einflusses nur bedingt zu. Ungeachtet dessen existieren oftmals keine oder nur komplizierte entsprechenden deutschsprachigen Begriffe. Das Wort online – gleichwohl ein Wort aus der Informationstechnologie – trifft in seiner Bedeutung („ans Datennetz, Internet angeschlossen; im Datennetz, Internet zur Verfügung stehend“28) am besten die Besonderheit der virtuellen Strafanzeige. Es ist im allgemeinen Sprachgebrauch verankert und durch die Aufnahme in den ‚DUDEN’ im Jahr 1986 für die Gerichtssprache verwendbar. Als Bezeichnung für das Instrument der formulargestützten Strafanzeigenerstattung über das Internet wird der Begriff Online-Strafanzeige beziehungsweise zur Vereinfachung des Sprachgebrauchs O-Anzeige gewählt und nachfolgend – sofern nicht anders zitiert – verwendet. Er meint die Mitteilung eines Tatver22 23 24 25 26 27 28 Vgl. Puschke (2005), S. 381 m. w. N. Pressemeldung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 17.07.2006, zuletzt online aufgerufen am 31.10.2009, 18:13 Uhr / Schwind (2009), § 20 Rdn. 7a. Rüther (w2009), S. 1 / Puschke (2005). Presseinformation des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. vom 12.04.2007, zuletzt online aufgerufen am 31.10.2009, 18:22 Uhr. Rüther (2004), S. 700. Hanauer (2005b). DUDEN – die deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl., Mannheim 2009, S. 795. 15 2. Strafanzeige dachts über eigens für diese Zwecke eingerichtete Eingabemasken auf den Internetseiten einer für die Entgegennahme von Strafanzeigen zuständigen Behörde. Es bleibt abzuwarten, ob sich eine einheitliche Wortwahl und insbesondere die gewählte Kurzform auch in der Fachsprache durchsetzen werden. 2.4 Arten von Strafanzeigen Im Regelfall wird eine Strafanzeige offen, das heißt unter Angabe der Personalien des Anzeigenerstatters, gegen eine oder mehrere andere Personen oder gegen unbekannt erstattet. Es gibt aber auch besondere Arten von Strafanzeigen, die aufgrund bestimmter Merkmale von der Standardanzeige abweichen. 2.4.1 Anonyme und pseudonyme Strafanzeigen Namenlose (anonyme) und unter falschem Namen (pseudonym) erstattete Strafanzeigen entsprechen in Form und Inhalt grundsätzlich den normalen, offenen Anzeigen.29 Besonderes Kennzeichen ist jedoch die Absicht des Anzeigenerstatters, seine (wahre) Identität gegenüber den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt zu geben. Aus diesem Grunde erfolgt die Erstattung von anonymen und pseudonymen Anzeigen zumeist fernmündlich oder (fern)schriftlich.30 Die Motive des Anzeigenerstatters für das Verschweigen der eigenen Identität können vielfältig sein. GROOS und GEERDS (1977) stellen heraus, dass „Hass, Neid und Eifersucht“ im Gegensatz zu „Geltungsdrang“ oder „Schabernack oder Übermut“31 bedeutende Beweggründe sind. Am häufigsten dürften jedoch Umstände wie die Furcht vor dem Angezeigten zum Beispiel aufgrund persönlicher Beziehung oder die Scheu vor Unbequemlichkeiten für den Anzeigenerstatter im Rahmen eines behördlichen Ermittlungsverfahrens sein.32 29 30 31 32 Vgl. Groos/Geerds (1977), S. 18. S. Fn. 29. Gross/Geerds (1977), S. 19f. Vgl. Gross/Geerds (1977), S. 20. 16 2. Strafanzeige Anonyme und pseudonyme Anzeigen können wichtige Ermittlungsansätze zur Aufklärung schwerer Straftaten beinhalten. Sie müssen inhaltlich demzufolge „mithin keineswegs unrichtig sein“33, sondern können einen Verdacht begründen. Daher sind auch diese besonderen Arten von Strafanzeigen aufzunehmen.34 Ermittlungen auf Grundlage der anonymen/ pseudonymen Anzeige müssen jedoch „sehr vorsichtig“35 erfolgen. Anders als bei anonymen Mitteilungen über eine Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut wie Leib, Leben oder Freiheit, dürfen bei anonymen Anzeigen erst dann strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen erfolgen, wenn zusätzliche überprüfbare Tatsachen vorliegen.36 Die Ermittlungen müssen daher neben der Aufklärung des angezeigten Sachverhalts auch die Identifizierung des Anzeigenerstatters zum Ziel haben. „In jedem Falle sind Ermittlungen zur Identifizierung und Erforschung der Motive des Anzeigeerstatters gleichgewichtig zur Aufklärung des behaupteten Sachverhaltes zu führen.“37 Das Instrument der anonymen Strafanzeige kritisieren BACKES/LINDEMANN (2006) in ihrer Untersuchung über das Internetportal des niedersächsischen Landeskriminalamts zur Abgabe von anonymen Hinweisen zu Korruption und Wirtschaftskriminalität. Sie stellten fest, dass durch zugesicherte Anonymität bei ausgewählten und schwer aufzuklärenden Straftaten das Dunkelfeld durch erhöhtes Anzeigenaufkommen aufgehellt und die Strafverfolgung verbessert werden soll, konnten aber in keinem Fall Hinweise dafür finden, dass die anonymen Anzeigenerstatter Repressalien hätten befürchten müssen, wenn sie ihre Identität bekannt gegeben hätten. Es hat sich im Rahmen der Untersuchung herausgestellt, dass „bei den Ermittlungen, die sich auf anonyme Anzeigen stützten, nicht nur im Wesentlichen nichts heraus[kam], es wurden vielmehr Unschuldige mit schweren Eingriffen belastet, die ihnen auch langfristig noch schaden können.“38 33 34 35 36 37 38 Geerds (1980), S. 172. Vgl. RiStBV Nr. 8 / Weihmann (2008), S. 195. Geerds (1980), S. 172. Vgl. Weihmann (2008), S. 195. Burghard (1986), S. 19. Backes/Lindemann (2006), S. VI. 17 2. Strafanzeige 2.4.2 Selbstanzeigen Bei Selbstanzeigen bezichtigt sich der Anzeigenerstatter selbst einer Straftat. Wie anonyme Anzeigen können auch Strafanzeigen gegen die eigene Person einen Verdacht begründen.39 Die Motive für Selbstanzeigen sind vielfältig. Vorwiegend erfolgt die Erstattung der Anzeigen aus Geltungsbedürfnis, aus Gewissenskonflikten, Reue oder vergleichbaren Beweggründen, zur Verschaffung eines Alibis für eine schwerere Straftat, um den tatsächlichen Täter zu decken oder zur Verbesserung der eigenen strafprozessualen Position, wenn die Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden unmittelbar bevorzustehen scheint.40 Als Selbstanzeigen bezeichnet ERB (2008) auch „Mitteilungen eines Anzeigenden über einen Sachverhalt, aus dem sich seine eigene Strafbarkeit ergibt“.41 Dies kann bewusst oder unbewusst erfolgen und stellt keine Anzeige im Sinne von § 158 Abs. 1 StPO, sondern einen anderen Weg der Kenntniserlangung nach § 160 Abs. 1 StPO dar. 2.4.3 Andere Arten von Strafanzeigen Neben den dargestellten Anzeigearten gibt es noch weitere besondere Formen von Anzeigen, wie Meldungen insbesondere seitens anderer Behörden zur Prüfung eines Sachverhalts auf strafrechtliche Relevanz sowie vertrauliche Strafanzeigen, bei denen unter hohen rechtlichen Voraussetzungen die Identität des Anzeigenerstatters durch die Strafverfolgungsbehörden geheim gehalten wird. Darüber hinaus gelten bei Strafanzeigen gegen Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen, Bundes- und Landtagsmitglieder und Kinder sowie in Fällen von sexuellen Gewaltdelikten besondere rechtliche Bedingungen. Für das Thema der vorliegenden Arbeit erscheinen diese anderen Arten von Strafanzeigen jedoch ohne größeren Belang und werden daher nicht detaillierter betrachtet. 39 40 41 Vgl. Meyer-Goßner (2009), § 160 Rdn. 9. Vgl. auch Geerds (1980), S. 171. Erb (2008), § 158 Rdn. 13. 18 2. Strafanzeige 2.5 Inhalt von Strafanzeigen Zur Aufnahme einer Strafanzeige werden durch die Polizei zumeist standardisierte Vordrucke verwendet, die der Vereinfachung der Verwaltungsarbeit dienen. Diese bestehen im Regelfall aus der ersten Anzeigenseite (sogenanntes ‚Rubrum’) mit den wichtigsten Grunddaten zu aufnehmender Dienststelle, Zuständigkeiten, Delikt, Tatzeit und -ort sowie Personalien42 und der Sachverhaltsschilderung. Wichtiger als die Form der Anzeige ist jedoch ihr Inhalt. Aus der Sachverhaltsschilderung muss die Möglichkeit des Vorliegens einer Straftat erkennbar sein. Es ist erforderlich, dass ein „historisches Ereignis mindestens in Umrissen“43 dargestellt wird. Die Schilderungen müssen möglichst präzise und umfassend sein und stellen die Grundlage für Fahndungsansätze nach dem Täter und abhandengekommenen Gegenständen dar. Die Polizeidienstvorschrift (PDV) 100 schreibt in Ziffer 2.2.2 vor, dass „alle für die weiteren Ermittlungen erkennbar relevanten Daten … über Geschädigte beziehungsweise Opfer, Tatbestand, Tatort, Tatzeit, Tatmittel, Tatausführung, Tatmotiv, Tatverdächtige sowie Tatzeugen“ bei der polizeilichen Anzeigenaufnahme festzustellen sind. In der Praxis hat sich bewährt, die wichtigen Inhalte einer Strafanzeige soweit wie möglich anhand von „sieben goldenen kriminalistischen W – wer, was, wo, womit, wie, wann und warum –“44 zu beschreiben. Je detaillierter und umfassender die Angaben sind, desto weniger Rückfragen ergeben sich im Rahmen der kriminalpolizeilichen Sachbearbeitung und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, die Straftat aufzuklären. 2.6 Antrags- und Privatklagedelikte Im Gegensatz zu Offizialdelikten, bei denen eine Strafverfolgung von Amts wegen erfolgt, ist dies bei Antragsdelikten grundsätzlich nicht der Fall. Dabei handelt es sich vorwiegend um Delikte der massenhaften kleinen bis mittleren Kriminalität wie zum Beispiel Hausfriedensbruch, Sachbeschädi- 42 43 44 Vgl. Burghard (1996) / Weihmann (2008), S. 194. Erb (2008), § 158 Rdn. 14. Gross/Geerds (1977), S. 14. 19 2. Strafanzeige gung, Körperverletzung sowie Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen. Hier erfolgt eine Strafverfolgung nur, wenn durch den dazu Berechtigten (§§ 77, 77a StGB) der Wille zur Strafverfolgung unmissverständlich und schriftlich zum Ausdruck gebracht wird. Eine Anzeige wegen eines Antragsdeliktes enthält für sich noch keinen Strafantrag, wenngleich in der Praxis Strafanzeige und -antrag nicht nur häufig miteinander verbunden werden, sondern begrifflich auch oft synonym verwendet werden. Durch den Strafantrag kommt zur „Wissenmitteilung [sic] die Willensäußerung des Anzeigenden …, die Strafverfolgungsbehörden mögen aufklärend und gegebenenfalls anklagend tätig werden“45 hinzu. Ein Strafantrag muss bei einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei Polizeibehörden jedoch stets schriftlich gestellt werden. Die Anforderungen an die Schriftform sind nicht hoch. Entscheidend ist, dass kein Zweifel an dem Verfolgungswillen des Antragstellers entstehen kann. Als ausreichend wird „die Blanko- Unterzeichnung eines Formblattes … [oder] eine mechanische Herstellung der Unterschrift“46 angesehen. Aufgrund der durch das Signaturgesetz geschaffenen Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen ist damit zu rechnen, dass zukünftig auch elektronische Strafanträge zulässig sind. So plant das Bundesland Hessen, digital erzeugte Strafanträge für registrierte Nutzer ihrer Onlinewache einzuführen (siehe Kapitel 4.2.7). Die Einstufung einer Straftat als Antragsdelikt hat auf strafprozessuale Maßnahmen keinen Einfluss. Sie sind auch ohne das Vorliegen eines Strafantrages zulässig (Nr. 6 und 7 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, RiStBV). Bei bestimmten Antragsdelikten wie zum Beispiel Sachbeschädigung oder Körperverletzung erfolgt auch unabhängig von der Stellung eines Strafantrages eine Strafverfolgung, wenn die Staatsanwaltschaft besonderes öffentliches Interesse bejaht und aufgrund dessen ein Einschreiten von Amts wegen für erforderlich erachtet. Viele Antragsdelikte sind zugleich Privatklagedelikte. In diesen Fällen bedarf es keiner Anrufung der Staatsanwaltschaft, um die Straftat zu verfol45 46 Erb (2008), § 158 Rdn. 7. Erb (2008), § 158 Rdn. 31b. 20 2. Strafanzeige gen (§ 374 StGB). Teilweise ist zunächst ein Sühneversuch vor einer Vergleichsbehörde wie einem Schiedsamt erforderlich. Ein Verweis auf den Privatklageweg und eine damit verbundene Ablehnung der Anzeigenaufnahme stehen der Polizei nicht zu. Derartige Strafanzeigen werden unerörtert der Staatsanwaltschaft zur Prüfung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung zugeleitet (Nr. 86, 87 RiStBV). 2.7 Anzeigerechte und -pflichten 2.7.1 Recht zur Erstattung einer Strafanzeige Die Befugnis zur Erstattung von Strafanzeigen steht jedem zu. Sie ist ein Ausfluss aus dem Petitionsrecht nach Artikel 17 Grundgesetz (GG), wonach jeder das Recht hat, sich mit Eingaben an die zuständigen Behörden zu wenden.47 Schon Anfang 1880 stellte das Landgericht Cottbus fest, dass „jedem Staatsangehörigen zur Aufrechthaltung der öffentlichen Rechtsordnung die Befugnis zusteht und zustehen muß [sic], von strafbaren Handlungen, welche er in Erfahrung bringt, auch wenn er nicht davon unmittelbar betroffen wird und bezüglich deren ihm eine spezielle Denunziationspflicht nicht obliegt, zum Zwecke der Verfolgung bei der zuständigen Behörde die Anzeige zu machen, selbst wenn dieses aus Motiven geschieht, welche vom sittlichen Standpunkte keine Billigung verdienen.“48 Gesetzlich verankert ist das Recht zur Anzeigenerstattung in § 158 StPO. 2.7.2 Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige Eine Pflicht zur Anzeige strafbarer Handlungen besteht für Privatpersonen grundsätzlich nicht. Es liegt im Ermessen jedes Einzelnen, eine begangene Straftat den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen oder nicht.49 Ausnahmen von diesem Grundsatz bestimmen §§ 138, 139 StGB. Demnach ist jeder verpflichtet, bei Kenntnis von bestimmten bevorstehenden, schwerwiegenden Straftaten, wie zum Beispiel Mord, Raub und Menschenhandel, entweder das potenzielle Opfer darüber zu unterrichten oder 47 48 49 Vgl. Rieß (2004), § 158 Rdn. 6. RGSt 1, 81. Kürzinger (1978), S. 18. 21 2. Strafanzeige eine Strafanzeige zu erstatten, um auf diese Weise die Delikte rechtzeitig verhindern zu können. Eine weitere Verpflichtung zur Erstattung von Strafanzeigen durch Privatpersonen ist mit der Änderung des Geldwäschegesetzes (GwG) geschaffen worden. § 11 GwG bestimmt, dass bei Verdacht der Geldwäsche gemäß § 261 StGB die im Gesetz genannten Verpflichteten wie zum Beispiel Rechtsanwälte, Vermögensverwalter, Notare und Immobilienmakler die Strafverfolgungsbehörden hierüber informieren müssen.50 Für bestimmte Personenkreise gelten darüber hinaus aufgrund besonderer gesetzlicher Bestimmungen weitergehende Anzeigepflichten. Dies betrifft beispielsweise Polizeibeamte, Dienstvorgesetzte von Soldaten sowie Amtsträger von Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden.51 2.7.3 Rechte und Pflichten von Personen im Rahmen einer Anzeigenerstattung Entschließt sich jemand dazu, eine Straftat anzuzeigen, so hat er im Zusammenhang mit der Anzeigenerstattung bestimmte Rechte und Pflichten. Aus Artikel 2 und 1 GG folgt der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich gegenüber einer staatlichen Instanz selbst zu belasten und damit einer Strafverfolgung auszusetzen. Dieses Prinzip spiegelt sich auch im Strafverfahrensrecht wider. Nach § 55 StPO steht dem Anzeigenerstatter das Recht zu, Auskünfte auf solche Fragen zu verweigern, durch deren wahrheitsgemäße Beantwortung er sich oder einen der gesetzlich festgelegten Angehörigen der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit aussetzen würde. Demgegenüber müssen der mitgeteilte Sachverhalt und die sich gegebenenfalls daraus ergebende Beschuldigung der Wahrheit entsprechen. Strafanzeigen, die diese Voraussetzungen erfüllen, sind für den Anzeigenerstatter grundsätzlich straflos. „Um den notwendigen Informationsfluss zwischen Bevölkerung und Strafverfolgungsbehörden sicherzustellen, wird das strafrechtliche Risiko für den Anzeigenerstatter gering gehal- 50 51 Vgl. Erb (2008), § 158 Rdn. 5a. Zum Beispiel nach § 159 StPO, § 183 GVG, § 40 WStG und § 29 Abs. 3 WDO, § 116 AO und § 6 SubvG sowie nach § 14 VStGB. S. auch BGHSt 38, 388 [391]. 22 2. Strafanzeige ten“52. Nur wenn vorsätzlich oder leichtfertig unwahre Strafanzeigen gestellt werden, kommen für den Anzeigenerstatter strafrechtliche Konsequenzen zum Beispiel durch falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), Vortäuschung einer Straftat (§ 145d StGB), Betrug zum Nachteil von Versicherungen (§ 263 StGB) oder üble Nachrede (§ 186 StGB) infrage. In diesen Fällen kann ein Gericht dem Anzeigenerstatter die entstandenen Verfahrenskosten sowie die notwendigen Auslagen von Nebenbeteiligten und Beschuldigten auferlegen (§ 469 StPO). Lässt sich eine wahrheitsgemäß angezeigte Tat nicht beweisen, ist der Anzeigenerstatter strafrechtlich und zivilrechtlich nicht haftbar.53 2.8 Bedeutung der Strafanzeige für den Umfang der registrierten Kriminalität und der Kriminalitätsbekämpfung Mit der privaten Strafanzeige wurde die früher übliche Selbsthilfe und -justiz verdrängt und die Verfolgung von Straftaten ausschließlich beim Staat angesiedelt. Heute ist die private Strafanzeige ein „Restbestand des ursprünglichen Rechtes des Verletzten auf Selbsthilfe bei der Verfolgung von Straftaten“ und die – mit Ausnahme von Notwehrsituationen – einzige Möglichkeit für ein Opfer zu einer Reaktion.54 Ganz überwiegend beruht die staatliche Strafverfolgung auf Anzeigen aus der Bevölkerung. Der Anteil der privaten Strafanzeigen an den registrierten Massendelikten beträgt – deliktsspezifisch unterschiedlich – über 90 %.55 Damit bestimmt das Anzeigeverhalten einerseits maßgeblich Umfang und Struktur der registrierten Kriminalität, andererseits aber auch das Ausmaß des Dunkelfeldes, also des Teils an der Gesamtkriminalität, der den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt wird. Untersuchungen zufolge werden vermutlich durchschnittlich weniger als die Hälfte aller Straftaten angezeigt und damit registriert.56 Schwankungen in Art oder Umfang der registrierten Kriminalität müssen kein Spiegelbild von Veränderungen 52 53 54 55 56 Koch (2005). BVerfGE 74, 257 (262). Vgl. Kürzinger (1978), S. 17f. Vgl. Heinz (1993), S. 29. S. Fn. 55. 23 2. Strafanzeige der Gesamtkriminalität sein, sondern können auf verändertem Anzeigeverhalten beruhen. Weil nur 2 – 10 % der registrierten Delikte von Amts wegen, durch Informanten oder zufällig bekannt werden57, stellen private Anzeigenerstatter die „entscheidende Selektionsinstanz“58 dar, ob eine Straftat verfolgt und registriert wird. SCHWIND (2009) spricht in diesem Zusammenhang von der „Selektionsmacht des Opfers“59. Vor diesem Hintergrund wird zur Sicherung einer effektiven Strafverfolgung die private Anzeigenerstattung durch die grundsätzliche Straffreiheit inhaltlich wahrer Anzeigen (siehe Kapitel 2.7.3), durch den Schutz der Anonymität (siehe Kapitel 2.4.1) und durch gesetzliche Anzeigepflichten (siehe Kapitel 2.7.2) erleichtert. 2.9 Motivation zur Anzeigenerstattung Die Beweggründe und Motive für eine Anzeigenerstattung sind vielfältig und unterschiedlich. Sie hängen ab von Interessen, Einstellungen und Bedürfnissen des Opfers, die deliktsspezifisch verschieden sind und dem sozialen Wandel sowie regionalen Besonderheiten unterliegen.60 Wichtige Einflussfaktoren sind nach SCHWIND (2009): Art und Schwere der Straftat sowie die Schadenshöhe Merkmale von Täter und Opfer Beziehungen zwischen Täter und Opfer Einflüsse Anderer Versicherungsbedingungen und Veränderte Sozialtoleranz.61 Folgende grundsätzliche Tendenzen lassen sich feststellen: Schwere Straftaten (solche mit höherer Strafandrohung, mit größerem materiellen Schaden oder stärkerer Verletzung des Opfers) werden eher angezeigt als leichte. 57 58 59 60 61 Vgl. Schwind (2009), § 2 Rdn. 34. Koch (2006), S. 13. Schwind (2009), § 20 Rdn. 2. Vgl. Eisenberg (2005), § 26 Rdn. 3. Vgl. Schwind (2009), § 20 Rdn. 9. 24 2. Strafanzeige Kinder, Jugendliche und alte Menschen sowie Familienangehörige oder Freunde werden seltener angezeigt als andere. Jugendliche und alte Menschen erstatten seltener Strafanzeige als andere. Zur Erlangung von Versicherungsleistungen werden Eigentumsdelikte häufig angezeigt. Gute Erfahrungen bei früherer Anzeigeerstattung, positive Einstellung zur Polizei, Wunsch nach Bestrafung sowie Wut auf den Täter begünstigen die Erstattung einer Strafanzeige.62 2.10 Kriminalitätsaufkommen in Deutschland und dessen statistische Erfassung Das Ausmaß der tatsächlichen Kriminalität in Deutschland kann nicht sicher bestimmt werden, weil nur ein Teil davon den Strafverfolgungsbehörden bekannt wird. Es wird mit unterschiedlichen amtlichen Statistiken gemessen. Die tatnächste Statistik ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), in der hauptsächlich alle der Polizei bekannt gewordenen Straftaten und die vom Zoll bearbeiteten Rauschgiftdelikte erfasst werden. Sie weist für das Jahr 2008 insgesamt rund 6,1 Millionen Straftaten aus.63 Darin sind (mit einigen Ausnahmen) nicht enthalten: Verkehrsdelikte, Delikte der politisch motivierten Kriminalität (PMK, sogenannte Staatsschutzdelikte) sowie Auslandsstraftaten und strafrechtliche Verstöße gegen Ländergesetze. Die Zahl der erfassten politisch motivierten Straftaten betrug im Jahr 2008 insgesamt 31.801 Delikte64, die der Verkehrsstraftaten im Jahr 2007 rund 371.000.65 Weitere Statistiken wie die Strafverfolgungs-, die Strafvollzugs- und die Bewährungshilfestatistik, allesamt herausgegeben vom Statistischen Bundesamt, bedienen sich einer anderen Zählweise und bilden nur einen Teil62 63 64 65 Vgl. Schwind (2009), § 20 Rdn. 9a-10a / Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (2006) / Baurmann/Schädler (1991) / Kury et al. (1992). Zu den Einzelheiten und Fehlerquellen der PKS siehe Bundeskriminalamt (2009) sowie Schwind (2009), § 2. Bundesministerium des Innern (2009), S. 34. Kraftfahrt-Bundesamt (2008), S. 9. Jüngere Zahlen liegen noch nicht vor. 25 2. Strafanzeige bereich der registrierten Kriminalität ab. Sie bleiben daher für diese Arbeit unberücksichtigt. 3 Internet und E-Government 3.1 Internet 3.1.1 Begriffsgeschichte und Entwicklung Die Entwicklung der Grundlagen für das heutige Internet begann Ende der 1950er Jahre. Nachdem durch die Sowjetunion Sputnik-Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht wurden, gründete der damalige amerikanische Präsident Eisenhower die Advanced Research Project Agency (ARPA), eine Behörde zur Koordinierung und finanziellen Unterstützung von Forschungsprojekten vor allem in universitären und militärischen Einrichtungen. Aufgrund der Forderung der Universitäten nach immer mehr Computerressourcen entwickelte der ARPA-Mitarbeiter Bob Taylor 1966 die Idee, die Computer mehrerer Universitäten zu einem Netzwerk zu verbinden und so die damals teure Rechenleistung gemeinsam zu nutzen und Doppelarbeit an verschiedenen Hochschulen zu vermeiden66. Parallel dazu arbeiteten andere Forscher an Konzepten für den Aufbau von Kommunikationsnetzen, die auch nach atomaren Angriffen sichere Kommunikation des Militärs gewährleisten konnten. Diese Überlegungen wurden jedoch von dem amerikanischen Telefonmonopolisten American Telephone & Telegraph Corporation (AT&T Inc.) als ungeeignet abgelehnt.67 In der Folgezeit arbeiteten in Amerika Paul Baran und in Europa Donald Watts Davies unabhängig voneinander an einem verteilten Netzwerk, bei dem die Datenübertragung in kleineren Einheiten und nicht mehr als Ganzes erfolgte.68 Diese Entwicklung wurde von Vertretern der ARPA bei der Vernetzung von vier Computern verschiedener amerikanischer Universitä66 67 68 Vgl. Siegert (w2009), S. 11. Vgl. Hafner/Lyon (2000), S. 60 / Siegert (w2009), S. 12. Vgl. Siegert (w2009), S. 12 / Braun (2005), S. 5. 26 3. Internet und E-Government ten durch Telefonleitungen genutzt, sodass im Jahr 1969 das sogenannte ARPANET entstand. Nachdem 1971 die erste elektronische Post (E-Mail) über das ARPANET verschickt wurde und sich E-Mail als die beliebteste Anwendung herausstellte, entwickelte ein Jahr später der amerikanische Informatiker Ray Tomlinson das erste Mail-Programm.69 In den 1980er Jahren nahm die Zahl der Forschungsnetzwerke immer weiter zu, sodass 1985 bereits 2.000 Rechner online waren. Durch das Zusammenwachsen der einzelnen Netzwerke zu einem Verbund entstand der Begriff Internet70. Die Leistungen des ARPANET wurden ab 1986 zunehmend vom Hintergrundnetz der National Science Foundation, dem sogenannten NSFNET, übernommen, durch das amerikanische Universitäten miteinander verbunden wurden. 1989 wurde das veraltete ARPANET abgeschaltet. Im gleichen Jahr gelang mit der Entwicklung des World Wide Web durch Tim Berners-Lee an der Forschungseinrichtung CERN in Genf der Durchbruch des Internets im kommerziellen und privaten Bereich.71 Die ersten Browser72, wie der Mosaic-Browser der Firma Netscape, waren frei verfügbar. Am 30.04.1993 wurde das World Wide Web durch das CERN für die Öffentlichkeit freigegeben. Als die Firma Microsoft ab dem Jahr 1995 standardmäßig jeden Windows-Rechner mit dem Browser Internet-Explorer auslieferte73, waren bereits über 6 Millionen Rechner ans Internet angeschlossen. 3.1.2 Internetstrukturdaten Das Internet hat in den letzten fünfzehn Jahren eine rasante Entwicklung erfahren. Die Zahl der ans Internet angeschlossenen Rechner ist seit der Öffnung des World Wide Web im Jahr 1993 ebenso um ein Vielfaches gestiegen wie die Zahl der Internetnutzer. Im Jahr 2009 sind weltweit rund 625 Millionen Rechner ans Internet angebunden74, und ca. 1,3 Milliarden 69 70 71 72 73 74 Vgl. FOCUS Online (w2009). Internet = interconnected Networks (dt.: untereinander verbundene Netzwerke). Vgl. Braun (2005), S. 6. Computerprogramm zum Betrachten von Seiten oder Dateien im Word Wide Web. Vgl. FOCUS Online (w2008). S. Fn. 69. 27 3. Internet und E-Government Menschen75 surften 2008 im Word Wide Web. Schätzungen zufolge lag die Zahl der Webadressen im Jahr 2008 bei etwa 170 Millionen.76 Wie die Forschungsgruppe Wahlen in einer repräsentativen Umfrage für das dritte Quartal 2009 erhoben hat, nutzen 72 % aller deutschen Erwachsenen das Internet. Gegenüber dem Jahr 2003 ist das ein Zuwachs von knapp 50 %. Insbesondere die Altersgruppe der unter 50-Jährigen nutzt zu mindestens 90 % das Internet, die der über 60-Jährigen nur zu gut einem Drittel. Deutlich wird auch, dass der Anteil der Internetnutzer umso größer ausfällt, je höher der Schulabschluss ist.77 Der ganz überwiegende Teil der Nutzer, die im ersten Quartal 2008 das Internet privat verwendeten, kommunizierte über E-Mail und suchte nach Informationen über Waren und Dienstleistungen.78 Darüber hinaus erledigte jeweils knapp die Hälfte Bankgeschäfte und Einkäufe online. Die Möglichkeit, über Internet mit Behörden und öffentlichen Einrichtungen Kontakt aufzunehmen, wurde im Jahr 2007 von mehr als jedem zweiten Internetnutzer in Anspruch genommen. Die Nutzung des Internets zur Kommunikation mit Behörden ist Gegenstand der nachfolgenden Kapitel. 3.2 E-Government 3.2.1 Begriffsgeschichte und Entwicklung Der Begriff E-Government stammt aus dem Englischen und steht für Electronic Government. Er umfasst die „Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten … mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien“79. Hierbei werden Verwaltungsdienstleistungen online verfügbar gemacht und so die Kommunikation mit Behörden vereinfacht. Geschäfts- 75 76 77 78 79 S. Fn. 73. S. Fn. 73. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (w2009). Czajka/Mohr (2009), S. 557. Lucke/Reinermann (w2000), S. 1. 28 3. Internet und E-Government prozesse werden vollständig elektronisch abgewickelt und auf diese Weise kostengünstiger, serviceorientierter flexibler und schneller.80 E-Government richtet sich insbesondere an Bürger, aber auch an Unternehmen. Ziel ist eine vollständige elektronische Kommunikation und virtuelle Erledigung von amtlichen Service-Dienstleistungen und Verwaltungsvorgängen von Behörden untereinander und mit Bürgern und Unternehmen. E-Government beinhaltet Informationsdienste, Kommunikations- und Formularlösungen, Online-Transaktionsdienste, elektronische Marktplätze sowie internetbasierte Service- und Dienstleistungen öffentlicher Dienststellen.81 Unter der Federführung des Bundesministeriums des Innern begann im September 2000 die E-Government-Initiative BundOnline 2005, mit der 376 internetfähige Dienstleistungen von Bundesbehörden online zur Verfügung gestellt werden sollten82. Dieses Ziel wurde bis zum Ende der Initiative am 31.12.2005 mit 440 Onlinedienstleistungen übertroffen und trug zur Verwaltungsmodernisierung und zum Bürokratieabbau bei83. Die Ergebnisse dieser Initiative flossen in den im Jahr 2006 beschlossenen Aktionsplan Deutschland-Online ein. Durch diese gemeinsame EGovernment-Strategie von Bund, Ländern und Kommunen sollte die informationstechnologische Infrastruktur bundesweit homogenisiert und „eine vollständig integrierte E-Government-Landschaft“84 in Deutschland geschaffen werden. Aufgrund der Erfahrungen von BundOnline 2005 sowie DeutschlandOnline wurde am 13.09.2006 durch die Bundesregierung die Strategie E-Government 2.0 beschlossen, mit der die Ziele der EU-Initiative i2010, die die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und den weiteren Ausbau der elektronischen Behördendienstleistungen vorsieht, erreicht werden sollen.85 80 81 82 83 84 85 Vgl. Oberhuber (2004) / Reinfeld (w2007). Vgl. Lucke/Reinermann (w2000), S. 3-4. Vgl. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (w2009), S. 3. Vgl. Bundesministerium des Innern (2006a), S. 3. Vgl. http://www.deutschland-online.de (zuletzt aufgerufen am 15.09.2009, 19:12 Uhr). Vgl. Bundesministerium des Innern (2006b), S. 6. 29 3. Internet und E-Government Parallel dazu arbeiten die Bundesländer und die Kommunen an der Umsetzung eigener E-Government-Konzeptionen. Trotz Milliarden- Investitionen86 in die Onlineprojekte befand sich Deutschland im europäischen Vergleich 2006 im Mittelfeld. Zu diesem Zeitpunkt waren „OnlineBehördengänge in Deutschland … kaum möglich“87. Die Onlineangebote der öffentlichen Verwaltung sind seitdem jedoch weiter ausgebaut worden, sodass im Jahr 2007 43 % der Bundesbürger über das Internet Behördengänge erledigt haben.88 3.2.2 Beispiele für E-Government-Angebote Annähernd jede Kommune ist inzwischen mit einem eigenen Portal im Internet vertreten.89 Viele dieser Web-Auftritte beschränken sich jedoch auf das Bereitstellen von Informationen und das Anbieten von Downloads. Formulare, die online zur Verfügung gestellt werden, können im Regelfall nicht auf elektronischem Wege ausgefüllt übermittelt werden, sondern müssen ausgedruckt und unterschrieben zurückgesandt oder persönlich überbracht werden. Onlineangebote ohne diesen Medienbruch sind bislang die Ausnahme.90 Gleichwohl sind inzwischen einige Dienstleistungen vollständig online verfügbar. Viele Länder und Kommunen wie zum Beispiel die Freie und Hansestadt Hamburg bieten virtuell und zum Teil nach vorheriger Registrierung die zumeist kostenpflichtige Möglichkeit, Auskünfte aus amtlichen Registern und Dateien (Melderegister, Kraftfahrzeugregister, Fahrerlaubnisregister, Handels- und Vereinsregister etc.) zu erhalten oder Anträge (Haltverbotszone bei Umzügen, Lohnsteuerkarten, Briefwahlunterlagen etc.) zu stellen.91 Darüber hinaus lassen sich wie in Berlin online vielfach Informationen aus anderen Datenbeständen (Bibliothekskataloge, Recht- 86 87 88 89 90 91 Vgl. Oberhuber (2004). Presseinformation des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. vom 27.11.2006, zuletzt online aufgerufen am 31.10.2009, 18:28 Uhr. Vgl. Presseinformation des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. vom 10.06.2008, zuletzt online aufgerufen am 31.10.2009, 18:30 Uhr. Vgl. Bundesministerium des Innern (2006b), S. 7. S. Fn. 88. Vgl. https://gateway.hamburg.de (zuletzt aufgerufen am 15.09.2009, 19:37 Uhr). 30 3. Internet und E-Government sprechungsdatenbanken, Fundlisten) abrufen92 oder andere Dienstleistungen (Reservierung von Wunschkennzeichen, Terminvereinbarung) nutzen. In Nordrhein-Westfalen werden neben einer Fülle weiterer OnlineDienstleistungen eine Lehrer-Stellenbörse, aktuelle Verkehrslageübersichten, digitale Karten und Luftbilder sowie die Bewerbung bei der Polizei im Internet angeboten. „Ein positives Beispiel“93 unter den angebotenen elektronischen Verwaltungsdienstleistungen ist die Elektronische Steuererklärung ELSTER. Im Jahr 2008 wurden rund 8,2 Millionen Steuererklärungen auf diesem Wege abgegeben.94 Neben all diesen Angeboten haben auch die Polizeien der Länder und des Bundes ihre Internetpräsenzen und Online-Serviceleistungen ausgebaut. Dazu zählen das Einsehen und Herunterladen von Statistiken, Faltblättern und Informationsbroschüren sowie das Abrufen von Fahndungen nach Personen und Sachen sowie aktuellen Pressemitteilungen, Berichten, Informationen und Terminen. Auch interaktive Dienstleistungen wie die Datenbank CAUTIO (lat.: „Sicherstellung“) des Bundeskriminalamts zur Recherche nach sichergestellten nicht-numerischen Kunst- und Wertgegenständen oder die Online-Übermittlung von Mitteilungen, Beschwerden, Bewerbungen, Strafanzeigen und Hinweisen auf Gewalttaten werden angeboten. Diese sind meist unter Bezeichnungen wie Internetwache, Onlinewache oder eRevier zusammengefasst. 3.2.3 Internet- und Onlinewachen der Polizei Bei den Internet- und Onlinewachen der Polizeien handelt es sich ganz überwiegend um separate Rubriken in den zentralen Internetportalen der Landespolizeien und zumeist in die jeweiligen E-Government-Strategien eingebettet. Die Gestaltung und der Funktionsumfang sind sehr unterschiedlich und in Einzelfällen an die länderspezifischen Besonderheiten 92 93 94 Vgl. http://www.berlin.de/verwaltungsfuehrer/interaktive-dienstleistungen-interaktiv (zuletzt aufgerufen am 15.09.2009, 19:58 Uhr). S. Fn. 88. Vgl. https://www.elster.de/elster_stat_nw.php (zuletzt aufgerufen am 15.09.2009, 20:02 Uhr). 31 3. Internet und E-Government des polizeilichen Aufgabenspektrums angepasst. Allen Internet- und Onlinewachen ist gemein, dass sie ein Bündel von verschiedenen Verwaltungsdienstleistungen umfassen. Kernfunktion ist stets die Möglichkeit, online mit der Polizei in Kontakt zu treten, um Hinweise oder Mitteilungen abzugeben, Anträge zu stellen oder Strafanzeigen zu erstatten. Die Online-Erstattung von Strafanzeigen ist unter den angebotenen Funktionen eines der wesentlichsten Elemente der Internet- und Onlinewachen. 4 Online-Strafanzeige 4.1 Entwicklung zur Online-Strafanzeige Aus Anlass des EU-Gipfels und des Weltwirtschaftsgipfels im Juni 1999 in Köln richtete das Polizeipräsidium Köln eine eigene Internetpräsenz ein, auf der eine E-Mail-Erreichbarkeit zur Kontaktaufnahme mit der Behörde veröffentlicht wurde. Neben allgemeinen Kontakten erfolgte über die E-Mail-Adresse jedoch zunehmend eine formlose Erstattung von Strafanzeigen. Dieses bis dahin in Nordrhein-Westfalen nicht bekannte Phänomen ließ den Ruf nach einer Strukturierung dieser Online-Strafanzeigen aufkommen. Vor diesem Hintergrund wurde durch einzelne Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Köln ein Formular zur Online-Erstattung von Strafanzeigen entwickelt, das im April 2000 auf den Internetseiten der Kölner Polizei zur Verfügung gestellt wurde.95 Während in nordrhein-westfälischen Polizeibehörden dezentral vergleichbare Angebote getestet wurden, eröffnete die Polizei Brandenburg im Februar 2003 als erstes Bundesland flächendeckend ein Internetportal unter anderem zur Erstattung von Strafanzeigen. In der Folgezeit wurden durch die Mehrzahl der Bundesländer und durch die Bundespolizei unter verschiedenen Bezeichnungen Möglichkeiten geschaffen, über das Internet Strafanzeigen zu erstatten. Zuletzt wurde im Januar 2009 durch das Bundesland Sachsen ein solches Portal eingerichtet. 95 Vgl. Rüther (w2009), S. 4. 32 4. Online-Strafanzeige 4.2 Bundesweiter Vergleich 4.2.1 Baden-Württemberg Grundlage der nachfolgenden Ausführungen ist zum einen eine E-MailAntwort des Landeskriminalamts Baden-Württemberg96, die wegen nicht beziehungsweise nicht mehr geführter Auswertungen und Statistiken ausschließlich einige grundsätzliche Informationen enthielt. Zusätzlich wurden zwei Medienberichte ausgewertet und die Angaben auf der Internetseite der Polizei Baden-Württemberg97 herangezogen. Themenbezogene polizeiliche Pressemitteilungen konnten nicht recherchiert werden. Seit Oktober 199798 verfügt Baden-Württemberg über eine Internetwache, die als Serviceangebot für Bürger gedacht ist. Diese wurde im Zuge der Inbetriebnahme der Homepage der Polizei Baden-Württemberg zunächst unter der Bezeichnung EDI (Elektronischer Detektiv im Internet) umgesetzt.99 Nachdem anfänglich Mitteilungen und Anzeigen zu Straftaten über E-Mail entgegen genommen wurden, ist seit der Überarbeitung der Homepage im Jahr 2007 ein einfaches Kontaktformular verfügbar, über das gleichermaßen Mitteilungen, Hinweise und Anzeigen übermittelt werden können. Dazu muss zwingend eine E-Mail-Adresse eingetragen werden. Zuvor erfolgen unter anderem eine Belehrung über die mögliche Strafbarkeit von Falschanzeigen sowie ein Hinweis auf die Ungeeignetheit der Internetwache für Notfälle. Das Kontaktformular ist beispielhaft im Anhang 6.5.2.1 abgedruckt. Nach dem Absenden der Daten wird eine Sendebestätigung angezeigt. Über das Kontaktformular wurden im Jahr 1998 knapp 400 Hinweise und Anzeigen, im Jahr 2006 bereits knapp 2.300 Nachrichten100 an das Führungs- und Lagezentrum des Landeskriminalamts Baden-Württemberg übermittelt. Die Zahl der jährlichen Mitteilungen inklusive O-Anzeigen er- 96 97 98 99 100 E-Mail des Landeskriminalamts Baden-Württemberg vom 04.08.2009, 12:13 Uhr, ohne Az. Zuletzt aufgerufen am 02.12.2009, 22:09 Uhr. Vgl. Wittich (2008). S. Fn. 96. Vgl. Rosenberger (2007). 33 4. Online-Strafanzeige höhte sich jüngst auf 2.500 bis 2.700 und steigt weiterhin leicht an.101 Der Anteil der O-Anzeigen an der registrierten Gesamtkriminalität in BadenWürttemberg im Jahr 2008 beträgt demnach maximal 0,46 %102. Angezeigt werden Straftaten aller Art, darunter überwiegend Betrugs- und Internetdelikte sowie pornografische Internetinhalte, aber auch Straftaten wie Volksverhetzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Mitteilungen sind teilweise anonym oder pseudonym. Über den Umfang einer missbräuchlichen Nutzung dieses Kommunikationsweges liegen keine Erkenntnisse vor. Änderungen an der Internetwache sind derzeit nicht geplant. 4.2.2 Bayern Die Informationen zur Online-Strafanzeige in Bayern beruhen auf einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern103 sowie den Angaben auf den Internetseiten der Polizei Bayern 104. Weitergehende Informationen lagen nicht vor. Die bayerische Polizei bietet auf ihrer Homepage zurzeit keine OnlineAnzeigenerstattung an. Lediglich zu den dort veröffentlichten Personenund Sachfahndungen können formulargestützt Hinweise abgegeben werden. Im Jahr 2002 befasste sich eine Arbeitsgruppe der bayerischen Polizei mit der Thematik der Anzeigenerstattung im Internet. Dabei ist deutlich geworden, dass das Internet in erster Linie eine weitere Kommunikationsform und damit einen Mehrwert sowohl für Bürger als auch für die Polizei darstellt. Bürger finden dort zahlreiche Informationen zu häufigen Problemstellungen und wichtige Präventionshinweise. Darüber hinaus dient das Internet der Polizei als Verbreitungsmedium von Fahndungen. 101 102 103 104 S. Fn. 96. Die in dieser Arbeit angegebenen Prozentzahlen sind stets auf die zweite Nachkommastelle mathematisch gerundet. Zu der in den jeweiligen Bundesländern registrierten Gesamtkriminalität der Jahre 2003 bis 2008 vgl. Bundeskriminalamt (2004, 2005 und 2006), jeweils S. 50, T9 sowie Bundeskriminalamt (2007, 2008 und 2009), jeweils S. 48, T9. Bayerisches Staatsministerium des Innern vom 18.08.2009, Az. IC5-0123.6-530. Zuletzt aufgerufen am 02.12.2009, 22:13 Uhr. 34 4. Online-Strafanzeige Zur Erstattung von Strafanzeigen wird in Bayern insbesondere bei mittleren bis schweren Delikten „aus ermittlungstaktischen Gründen“105 Wert auf den persönlichen Kontakt der Polizeibeamten zum Anzeigenerstatter gelegt. Dies erleichtert sofortige Rückfragen, vermittelt dem aufnehmenden Beamten einen persönlichen Eindruck vom Anzeigenerstatter und erhöht die Hemmschwelle, unwahre Angaben zu machen. Darüber hinaus soll „der persönliche Kontakt zwischen Bürger und Polizei, seine vertrauensbildende und Konflikt mindernde Wirkung sowie die Qualität der polizeilichen Arbeit … insgesamt nicht reduziert werden“106. Nur bei Straftaten der leichten bis mittleren Kriminalität kommt demnach eine Online- Anzeigenerstattung infrage. Vor diesem Hintergrund wird seit Anfang 2006 auf den Internetseiten der bayerischen Polizei ein Formular für die allgemeine Kontaktaufnahme angeboten. Den Formularfeldern ist der Hinweis vorangestellt, dass für dringende Angelegenheiten und Notfälle das Kontaktformular ungeeignet sei und stattdessen der Notruf gewählt werden solle. Außerdem wird zur Erstattung von Strafanzeigen an die zuständige Polizeidienststelle verwiesen, weil auf dem elektronischen Wege keine Anzeigenerstattung erfolgen könne. Mit Ausnahme der Empfängerdienststelle ist kein Pflichtfeld vorhanden, sodass auch anonyme Mitteilungen versandt werden können. Wenngleich das Kontaktformular nur für Fragen, Hinweise und Anregungen konzipiert ist, wird es entgegen seiner Bestimmung durch die Bürger auch zum Anzeigen von Straftaten genutzt. Vor diesem Hintergrund und der großen Verbreitung und Nutzung des Internets sowie den positiven Erfahrungen aus anderen Bundesländern wird im Bayerischen Staatsministerium des Innern zurzeit geprüft, ob eine Anzeigenerstattung über das Internet der Polizei Bayern in Betracht kommt. Mit einer Umsetzung könnte im Jahr 2010 begonnen werden. 4.2.3 Berlin Für die nachfolgenden Ausführungen wurde ein Antwortschreiben des Polizeipräsidenten Berlin107 verwandt sowie die Internetseite108 und Veröf105 106 107 S. Fn. 103. S. Fn. 103. Der Polizeipräsident in Berlin vom 29.10.2009, Az. PPr St 3321. 35 4. Online-Strafanzeige fentlichungen der Berliner Polizei und einige Medienberichte ausgewertet. Pressemitteilungen zu diesem Thema lagen nicht vor. Online-Strafanzeigen nimmt die Berliner Polizei über ihre ‚Internetwache’ entgegen. Durch einen Projektauftrag des Polizeipräsidenten Berlin begannen am 20.10.2004 die Planungen zur Umsetzung. Ziel war es, „den Berlinerinnen und Berlinern sowie allen Besuchern der Stadt Wege zu ersparen und eine möglichst umfassende Dienstleistung ‚frei Haus’ anzubieten“.109 Sieben Monate später, am 20.05.2005, wurde die Internetwache in Betrieb genommen.110 Diese ist zugänglich über die Homepage der Polizei Berlin. Nach Hinweis auf den polizeilichen Notruf in Notfällen sowie Erläuterungen allgemeiner Art können die online angebotenen Dienstleistungen, darunter auch die Erstattung einer Strafanzeige, ausgewählt werden. Sie beginnt mit einer Rechtsbelehrung und umfasst Formularfelder für Angaben zur Person des Anzeigenerstatters sowie Freitextfelder, die sich eng an den sieben goldenen kriminalistischen W (siehe Kapitel 2.5) orientieren. Angaben zur Person sind dabei zwingend auszufüllen, um die O-Anzeige erfolgreich abschließen zu können. Eine Prüfung auf Plausibilität der Pflichteinträge erfolgt offenbar nicht, und Hinweise auf eine Speicherung der IP-Adresse111 oder andere Vorkehrungen zur Verhinderung von anonymen O-Anzeigen lassen sich nicht finden. Beim Ausfüllen der Formularfelder bieten kurze Erklärungen zu den jeweiligen Fragen Hilfestellungen. Bei Bedarf steht zudem rund um die Uhr das Bürgertelefon der Berliner Polizei zur Verfügung. Im Anschluss an das Absenden der Online-Strafanzeige per Mausklick wird eine Bearbeitungsnummer angezeigt, mit der über eine gesonderte Funktion der Internetwache ab 30 Minuten nach dem Versand elektronisch der Eingang der O-Anzeige abgefragt werden kann. 108 109 110 111 Zuletzt aufgerufen am 02.12.2009, 22:32 Uhr. Glietsch (w2009). S. Fn. 107. Individuelle Adresse eines Computers in einem Netzwerk (zum Beispiel Internet) auf der Basis des Internet-Protokolls (IP). Anhand der IP-Adresse lässt sich über die Telekommunikationsunternehmen der Inhaber des Anschlusses, über den die Netzwerkverbindung hergestellt und sämtliche Aktivitäten erfolgten, feststellen. 36 4. Online-Strafanzeige Die Anzeigen werden durch Mitarbeiter der rund um die Uhr besetzten Funkbetriebszentrale gesichtet, bewertet und an die zuständige Dienststelle gesteuert. Bei Bedarf können sofort polizeiliche Maßnahmen eingeleitet werden.112 Bis Ende August 2005 wurden in Berlin 2.301 Strafanzeigen online erstattet.113 Im Jahr 2006 kam es auf diesem Wege zu insgesamt 12.843 Online-Strafanzeigen.114 In den Monaten Januar bis August 2009 betrug das durchschnittliche monatliche Aufkommen an O-Anzeigen 2.500115; bei gleichbleibender Entwicklung ist für das Jahr 2009 mit einer Anzahl von 30.000 Online-Strafanzeigen zu rechnen. Dies entspräche einem Anteil von 6,43 % an einer registrierten Gesamtkriminalität in Berlin im Jahr 2009.116 Aussagen über die Zahl der anonymen oder missbräuchlichen Anzeigen können nicht getroffen werden. Aus Sicht der Polizei Berlin hat sich die Einführung der Möglichkeit zur Online-Erstattung von Strafanzeigen „als Kommunikations- und Arbeitsmittel für den Bürger und für die Polizei bewährt.“117 Worauf diese Auffassung gestützt wird, ist allerdings unklar. Als Weiterentwicklung ist geplant, die Internetwache in das Polizeiliche Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) zu integrieren.118 4.2.4 Brandenburg Die Angaben zur Online-Strafanzeige der Polizei Brandenburg beruhen überwiegend auf Informationen des Zentraldienstes der Polizei des brandenburgischen Innenministeriums119. Dazu ergänzend wurden ausgewertete Pressemitteilungen und andere Veröffentlichungen des Innenministeriums Brandenburg sowie einzelne 112 113 114 115 116 117 118 119 S. Fn. 107. Vgl. Weger (2005). Vgl. Diederichs (2007). S. Fn. 107. Grundlage der Berechnung ist eine weitere Verringerung der Gesamtkriminalität in Berlin, wie sie seit 2003 um durchschnittlich 16.228 Delikte pro Jahr zu verzeichnen ist auf dann 466.537 Straftaten im Jahr 2009. S. Fn. 107. S. Fn. 107. Nach einer E-Mail-Antwort vom 22.07.2009, 10:28 Uhr, wurde am 07.09.2009 eine Fülle von Dokumenten in elektronischer Form zur Verfügung gestellt. 37 4. Online-Strafanzeige Medienberichte und Informationen von den Internetseiten der Polizei Brandenburg120 herangezogen. Mit der Einrichtung einer ‚Internetwache’ am 13.02.2003121 wurde in Brandenburg die bundesweit erste flächendeckende Möglichkeit zur OnlineErstattung von Strafanzeigen geschaffen. Die Idee dazu entstand im Oktober 2002, nachdem aufgrund intensiver Nutzung des Internetportals der Brandenburger Polizei während des Elbe-Hochwassers im Jahr 2002122 deutlich wurde, dass „das Bedürfnis der Menschen an moderner, unbürokratischer Verwaltungsdienstleistung, die Zeit und Wege erspart“123, gewachsen war. Seitdem sind die Internetwache und die Funktion der Online-Strafanzeige ausgebaut und weiterentwickelt worden. Die Erstattung einer Anzeige erfolgt in mehreren Schritten über die entsprechende Funktion auf der Hauptseite der Internetwache. Dort und auf der ersten Seite zur Anzeigenerstattung wird auf den polizeilichen Notruf und das Notfall-Fax für dringende Fälle hingewiesen. Das Lesen der ebenfalls dargestellten Rechtsbelehrungen und der allgemeinen Erklärungen zur OnlineStrafanzeige sowie der Datenschutzhinweise muss zusammen mit der Einwilligung in die Speicherung der IP-Adresse bestätigt werden. Anfangs wurde durch Verzicht auf die Speicherung der IP-Adresse bei Bedarf die Anonymität des Anzeigenerstatters gewährleistet. Polizeifachliche Überlegungen führten im November 2008 jedoch zu der Entscheidung, zukünftig die IP-Adressen der Nutzer zum Zwecke der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung für die Dauer von acht Wochen zu speichern.124 Seit der zwischenzeitlichen Umsetzung ist die Einwilligung in die Speicherung der IP-Adresse obligatorisch zur Erstattung einer OnlineStrafanzeige. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes stellt die Meldung und Anzeige von Wirtschaftsdelikten und Korruption dar, die auch weiterhin vollkommen anonym über eine separate Online-Dienstleistung der Internetwache 120 121 122 123 124 Zuletzt aufgerufen am 02.12.2009, 22:46 Uhr. Vgl. Pressemitteilung Nr. 015/2003 des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 13.02.2003, zuletzt online aufgerufen am 08.11.2009, 18:23 Uhr. S. Fn. 121. Hirche (w2004). Ausführlich dazu Wölk (2009), S. 14ff. 38 4. Online-Strafanzeige erfolgen kann. Diese Möglichkeit wurde auf Anregung des Landeskriminalamtes Brandenburg im Juli 2006 verwirklicht.125 In einem zweiten Schritt zur Anzeigenerstattung muss zwischen Fahrraddiebstahl, Kraftfahrzeugdiebstahl, Onlineauktionsbetrug und allgemeiner Straftat die Art des anzuzeigenden Deliktes festgelegt werden. Die nachfolgenden deliktsspezifischen Eingabemasken enthalten eine Fülle von Formular- und Textfeldern (in Einzelfällen als Pflichtfelder) zur möglichst detaillierten Schilderung der Tat. Dabei steht jederzeit eine umfangreiche Online-Hilfe zur Verfügung. Nachdem das zuständige brandenburgische Polizeipräsidium ausgewählt wurde, kann ein persönliches, passwortgeschütztes Benutzerkonto angelegt werden. Diese Funktion mit der Bezeichnung elektronisches Kommunikationssystem Bürger/Sachbearbeiter (eKoBs) wurde am 28.04.2005 verwirklicht126 und ermöglicht einen unmittelbaren Nachrichtenaustausch mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Strafanzeige sowie das Einsehen von vorgangsbezogenen Informationen wie Bearbeitungsstatus und Erreichbarkeit des Sachbearbeiters. Im Rahmen einer anonymen Anzeige einer Wirtschafts- oder Korruptionsstraftat kann ebenfalls ein persönlicher Bereich angelegt und trotzdem die Anonymität beibehalten werden, sodass Rückfragen durch den Sachbearbeiter beim anonymen Hinweisgeber möglich sind. Ohne die Einrichtung eines persönlichen Bereiches können in der Folgemaske die Personendaten eingegeben werden. Das Nicht-Ausfüllen dieser Felder ermöglicht wegen der Speicherung der IP-Adresse (siehe oben) allerdings keine absolute Anonymität. Die Maske zur Eingabe der Personalien bildet den Abschluss der Datenerfassung. Anschließend werden alle Einträge zusammenfassend dargestellt und können bei Bedarf korrigiert und letztlich versendet werden. Daraufhin wird eine Sendebestätigung mit einer individuell zugeteilten VorgangsID angezeigt. Die Eingabemasken zur Erstattung einer allgemeinen Strafanzeige sind beispielhaft im Anhang 6.5.2.2 abgedruckt. 125 126 Vgl. Reinhardt (2005), S. 17. Vgl. Pressemitteilung Nr. 088/2005 des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 28.04.2005, zuletzt online aufgerufen am 26.10.2009, 12:01 Uhr. 39 4. Online-Strafanzeige Die Online-Strafanzeigen werden im Lagezentrum des zuvor ausgewählten Polizeipräsidiums rund um die Uhr gesichtet. Auf diese Weise soll in Notfällen die Einleitung von Sofortmaßnahmen ohne Zeitverzug gewährleistet sein.127 Nach der Weiterleitung des Vorgangs an die zuständige Dienststelle erhält der Anzeigenerstatter – sofern er seine Erreichbarkeit angegeben hat – von dort eine Eingangsbestätigung.128 Über eine Datenschnittstelle zum polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem Computergestützte Vorgangsbearbeitung (ComVor), die im November 2007 realisiert wurde, stehen die Daten der Online-Strafanzeige medienbruchfrei digital zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung.129 In den ersten 50 Tagen seit der Inbetriebnahme der Internetwache wurden online 292 Anzeigen, vor allem wegen Eigentumsdelikten wie Fahrradund Handydiebstahl, erstattet130. Diese Zahl erhöhte sich bis Anfang April 2005 auf 4.664 Strafanzeigen, darunter 21 anonyme.131 14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Abb. 1: Gesamtzahl der Online-Strafanzeigen in Brandenburg in den Jahren 2003 bis 132 2009 Die Gesamtzahl der Online-Strafanzeigen nahm trotz zurückgegangener registrierter Kriminalität kontinuierlich zu. Ihr Anteil an der Gesamtkriminalität Brandenburgs stieg von 0,63 % im Jahr 2003 auf 5,13 % im Jahr 127 128 129 130 131 132 Vgl. Freyer (2009), S. 8. S. Fn. 121. Vgl. Datenblatt ComVor (o.J.), Bestandteil des Datenpakets vom 07.09.2009. Vgl. Pressemitteilung Nr. 046/2003 des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 04.04.2003, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 15:50 Uhr. S. Fn. 126. Die Zahlen für die Jahre 2003 bis 2009 waren in tabellarischer Form Bestandteil des Datenpaketes vom 07.09.2009. Für das Jahr 2003 betrifft die Gesamtzahl der Online-Anzeigen den Zeitraum ab der Inbetriebnahme der Internetwache am 13.03.2003. Für das Jahr 2009 liegt die Gesamtzahl der Online-Anzeigen bis einschließlich August 2009 vor. Anhand des bis dahin durchschnittlichen monatlichen Anzeigenaufkommens wurde der Wert auf das gesamte Jahr 2009 hochgerechnet. 40 4. Online-Strafanzeige 2008. Bei Fortsetzung der gegenläufigen Entwicklung könnte der Anteil im Jahr 2009 knapp 6 % betragen. Die Internetwache wurde knapp zwei Monate nach ihrer Inbetriebnahme als „innovative[s] Serviceangebot“ bezeichnet, das sich aufgrund der intensiven Nutzung zu einer „Erfolgsstory“ entwickele.133 Inwieweit sich das Instrument der Online-Strafanzeige für die Polizei des Landes Brandenburg bewährt hat, geht aus den verfügbaren Informationen nicht direkt hervor, sondern kann nur aufgrund geplanter Erweiterungen angenommen werden. Nach den vorliegenden Konzeptionen soll die Internetwache bis weit ins Jahr 2011 um weitere Funktionen ergänzt werden. Die Kernvorhaben für den Bereich der Online-Strafanzeige sehen vor, die Eingabemasken zur Vorgangserfassung zu erweitern, Dateianhänge wie Digitalfotos zuzulassen und Anzeigenvorlagen für häufige Nutzer einzurichten. Darüber hinaus ist geplant, eine Speicherfunktion für erstellte Vorgänge unabhängig eines persönlichen Bereichs zu integrieren sowie eine Schnittstelle zwischen der Internetwache und den Vorgangssystemen von beruflich bedingt häufigen Anzeigern wie Kaufhäuser, Energieversorger und OnlineAuktionshäusern einzurichten.134 4.2.5 Bremen Grundlage der nachfolgenden Ausführungen ist eine E-Mail-Antwort des Bremer Senator für Inneres und Sport135 sowie die Informationen eines ausgewerteten Medienberichts und der Homepage der Polizei Bremen136. Durch das Bundesland Bremen ist bislang keine Möglichkeit geschaffen worden, Strafanzeigen online zu erstatten. Wenngleich eine Projektgruppe der Polizei Bremen eine solche Einrichtung im Jahr 2004 aufgrund positiver Erfahrungen mit der Online-Strafanzeige aus anderen Bundesländern prüfte137, fehlen die hierzu notwendigen Ressourcen. Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel reichen nicht aus, eine Online-Anzeigenerstattung 133 134 135 136 137 S. Fn. 130. Vgl. die Aufstellung in Siegert et al. (2008). Bremer Senator für Inneres und Sport vom 12.08.2009, ohne Az. Zuletzt aufgerufen am 02.12.2009, 22:59 Uhr. Vgl. N.N. (2004a). 41 4. Online-Strafanzeige durch die Polizei Bremen einzurichten oder eine Fremdfirma damit zu beauftragen138. Auf der Homepage der Polizei Bremen wird daher darauf hingewiesen, dass eine E-Mail zur Anzeigenerstattung und für Notrufe ungeeignet ist und deswegen über die Internetseiten keine Straftaten angezeigt werden können. Für diese Zwecke wird auf die Bremer Polizeireviere verwiesen. 4.2.6 Hamburg Das Informationsersuchen wurde durch die Polizei Hamburg mit Schreiben vom 27.10.2009139 dahin gehend beantwortet, der Bitte um Auskunft wegen zahlreicher derartiger Anfragen und der damit verbundenen personellen Belastung nicht entsprechen zu können. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen daher ausschließlich auf Informationen von den Internetseiten der Hamburger Innenbehörde140 und der Auswertung von Pressemitteilungen und Medienberichten. Die Polizei Hamburg nimmt seit dem 03.01.2006 über eine ‚Onlinewache’ O-Anzeigen entgegen. Zusammen mit den Kooperationspartnern Baden-Württemberg und Hessen wurde seit 2001 an einer Umsetzung der Onlinewache gearbeitet, mit dem planmäßigen Ziel der Einrichtung bis zum 31.12.2005141. Die Angebote sollten dem Wunsch der Bürger nach Erledigung bestimmter Vorgänge über das Internet entsprechen und eine ergänzende Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit der Polizei schaffen. Über die Homepage der Hamburger Polizei kann die Onlinewache erreicht werden. Dort wird zunächst darauf hingewiesen, in Notfällen den polizeilichen Notruf zu wählen. Vor der erstmaligen Nutzung der angebotenen Dienstleistungen, und damit auch der O-Anzeige, ist eine vorherige Online-Registrierung beim HamburgService der Freien und Hansestadt Hamburg erforderlich. Dies soll zusammen mit der Speicherung der IP-Adresse des eigenen Compu- 138 139 140 141 S. Fn. 135. Polizei Hamburg vom 27.10.2009, Az. 273/10/2009. Zuletzt aufgerufen am 06.12.2009, 17:15 Uhr. Vgl. Hanauer (2005a). 42 4. Online-Strafanzeige ters den Missbrauch der Onlinedienste verhindern.142 Eine Prüfung der Eingaben auf Authentizität erfolgt bei der für die O-Anzeige notwendigen niedrigsten Sicherheitsstufe 1 nicht. Nach Abschluss der Registrierung werden zunächst allgemeine und rechtliche Hinweise angezeigt. Dabei muss zwingend in die Speicherung der IP-Adresse eingewilligt und das Lesen von Rechtsbelehrung und Datenschutzerklärung bestätigt werden. Auf den Folgeseiten werden formulargestützt und zum Teil freitextlich Daten zur Person, zu Tatort und -zeit sowie zum Sachverhalt abgefragt. Hilfestellungen stehen dazu unterstützend zur Verfügung. Die Eintragungen werden abschließend zusammenfassend dargestellt und können korrigiert werden. Nach dem Absenden erhält der Benutzer eine sofortige Bestätigung mit individuellem Aktenzeichen.143 Die O-Anzeigen werden automatisch in das Vorgangsbearbeitungssystem ComVor übernommen und dem zuständigen Polizeikommissariat zur Verfügung gestellt. Sofern der eingetragene Tatort außerhalb des Stadtgebietes von Hamburg liegt, erfolgt beim Kriminaldauerdienst eine Prüfung und Weiterleitung der Vorgänge an die zuständige Polizeidienststelle.144 Ob dies eine sofortige Sichtung der Online-Strafanzeigen auf notwendige Sofortmaßnahmen gewährleistet, ist unklar. Ein Jahr nach Inbetriebnahme der Onlinewache werden in der Bilanz der Hamburger Polizei 2.059 Strafanzeigen ausgewiesen, die „vorrangig … Diebstähle, Körperverletzungen, Verkehrsdelikte und Straftaten rund um das Internet“145 betreffen. Dies entspricht einem Anteil von 0,87 % aller im Jahr 2006 in Hamburg erfassten Straftaten. Eine anteilsbezogene Aufschlüsselung liegt nicht vor. Missbräuchliche Strafanzeigen wurden bis zu diesem Zeitpunkt nicht entdeckt.146 142 143 144 145 146 S. Fn. 141. Vgl. Hanauer (2005b). Vgl. Pressemitteilung der Innenbehörde Hamburg vom 11.01.2007, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 15:55 Uhr. S. Fn. 144. S. Fn. 144. 43 4. Online-Strafanzeige Für regelmäßig Anzeigende wie Kaufhäuser oder Verkehrsbetriebe mit einem eigenen Vorgangsbearbeitungssystem wurde gemeinsam mit dem Bundesland Hessen eine Software zur Realisierung einer Datenschnittstelle zur Online-Wache entwickelt.147 Die Einrichtung dieser Schnittstelle sollte „Einspareffekte und Prozessoptimierungen“ aufseiten der teilnehmenden Firmen und der Polizei bewirken. Inwieweit diese Schnittstelle sowie geplante Erweiterungen des Formularund Fragekatalogs inzwischen umgesetzt sind, ist nicht bekannt. Von den Bürgern wird die Onlinewache als nützlich und modern eingestuft und hat sich daher nach Auffassung der Hamburger Innenbehörde bewährt.148 Über geplante Weiterentwicklungen liegen keine Informationen vor. 4.2.7 Hessen Für die nachfolgenden Ausführungen zur Online-Strafanzeige in Hessen wurden ein Antwortschreiben des Hessischen Landeskriminalamts149 sowie Informationen aus Pressemitteilungen, Internetseiten150 und anderen Veröffentlichungen der Polizei Hessen herangezogen. Die Polizei Hessen nimmt über ihre ‚Onlinewache’ Online-Strafanzeigen entgegen. Am 01.09.2004 wurde bei der Polizei Hessen das Projekt Onlinewache gestartet.151 Hintergrund war die Umsetzung der E-Government-Strategie, von der Arbeitserleichterungen erwartet wurden. Das Online-Angebot der hessischen Polizei sollte für Bürger und Unternehmen erweitert werden und auf diese Weise eine schnellere und direktere Erreichbarkeit bewirken.152 Gleichzeitig sollte die Einrichtung einer OAnzeige zur Arbeitserleichterung bei der Polizei führen. Ziel war es, Informationen schneller zu gewinnen, auszuwerten und weiterzuleiten, weltweit erreichbar zu sein, die Kommunikation mit der Polizei barrierefrei zu ges147 148 149 150 151 152 Vgl. Hanauer (2007). S. Fn. 144. Hessisches Landeskriminalamt vom 25.08.2009, Az. -PB-Onlinewache-. Zuletzt aufgerufen am 06.12.2009, 17:22 Uhr. S. Fn. 149. Vgl. Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 11.03.2005, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 15:59 Uhr. 44 4. Online-Strafanzeige talten, Medienbrüche abzuschaffen, die polizeiinternen Arbeitsabläufe zu vereinfachen, den Erfassungsaufwand zu reduzieren, Vorgänge zielgerichtet zu steuern und automatisiert Vorgangsnummern zu vergeben.153 Ob sich diese Erwartungshaltung an Erfahrungen anderer Landespolizeien orientiert, geht aus den vorliegenden Informationen nicht hervor. Insbesondere vor dem Hintergrund des geringen Anteils der O-Anzeigen an der Gesamtkriminalität ist es fraglich, ob die erhofften Effekte tatsächlich zu einer spürbaren Arbeitserleichterung führen können und nicht nur marginal zutage treten. Am 24.02.2005 wurde die Onlinewache Hessen unter anderem mit der Funktion der Erstattung von Strafanzeigen im Internet in Betrieb genommen154 und im Juli 2007 um eine Schnittstelle zur Übernahme von Massendaten aus netzwerkbasierten Vorgangsbearbeitungssystemen registrierter Unternehmen erweitert. Über einen Link auf der Homepage der Polizei Hessen kann das Portal der Onlinewache aufgerufen werden. Hier erfolgen Erklärungen zum Umgang mit der Onlinewache sowie zu Systemvoraussetzungen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Darüber hinaus wird zentral und deutlich hervorgehoben, dass die Onlinewache für Notfälle nicht geeignet ist und stattdessen der Notruf gewählt werden muss. Zur Erstattung einer allgemeinen Anzeige wird in der entsprechenden Rubrik ein Formular angeboten, dem zunächst bestätigungspflichtige, umfangreiche rechtliche Belehrungen vorangestellt sind. Außerdem erfolgt ein Hinweis auf die Speicherung der IP-Adresse zu Ermittlungszwecken im Falle eines Missbrauchs der Online-Anzeigenerstattung. Im Folgenden können detaillierte Angaben zur Person, zum Tatort und zur Tatzeit eingegeben werden. Die konkrete Schilderung der Straftat ist in einem freitextlichen Sachverhaltsfeld vorzunehmen. Abschließend wird anhand einer Grafik um Auswahl des hessischen Polizeipräsidiums, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Tatort befindet, gebeten. Die Eingabe wird rubrikweise durch eine optional aufrufbare Online-Hilfe, erleichtert. Insbesondere zur Sachverhaltsschilderung sind dort zahlreiche 153 154 S. Fn. 151. Der offizielle Beginn des Projekts Onlinewache erfolgte am 11.03.2005; s. Fn. 152. 45 4. Online-Strafanzeige Hilfestellungen für eine möglichst präzise Darstellung des Vorfalls und Beschreibung von abhandengekommenen Gegenständen verfügbar. Zwar sind keine Pflichtfelder vorhanden, sodass die Angaben zur Person unterbleiben können, doch wird wegen der Speicherung der IP-Adresse keine absolute Anonymität gewährleistet. Zusätzlich zu der Möglichkeit, eine allgemeine Strafanzeige zu erstatten, wird seit April 2008155 ein spezielles Formular zur Meldung eines Onlineauktionsbetrugs angeboten. Es ergänzt den Aufbau und den Umfang des allgemeinen Formulars um zahlreiche Formularfelder zur Eingabe detaillierter und deliktsspezifischer Angaben. Als eines der wenigen Bundesländer hat Hessen seit Inbetriebnahme der Onlinewache ein Portal für registrierte Nutzer eingerichtet. Nach einem anfänglichen Pilotbetrieb in Frankfurt am Main, an dem sich Kaufhäuser sowie Transport- und Logistikunternehmen beteiligten, wurde diese Funktion landesweit freigeschaltet. „Regelmäßig wiederkehrende Geschädigte mit erhöhtem Anzeigenaufkommen“156 können mit dem für sie zuständigen hessischen Polizeipräsidium eine Nutzungsvereinbarung abschließen und konkrete Personen als Nutzer benennen. Nach Anmeldung über einen Benutzernamen und ein Kennwort steht zusätzlich zu den oben beschriebenen und weitestgehend identischen Funktionen die Möglichkeit zur Verfügung, Vorlagen für Massen- und Bagatelldelikte mit regelmäßig wiederkehrenden Daten zu Anzeigenerstatter, Tatort und Geschädigten (zum Beispiel Ladendiebstahl, Erschleichen von Leistungen) zu erstellen und zu speichern. Diese Vorlagen können im Bedarfsfall als vorausgefüllte Strafanzeige herangezogen werden und beschleunigen die Dateneingabe. Zusätzlich zu dieser Funktion wurde im Juli 2007 eine Massendatenschnittstelle eingerichtet (siehe oben), über die registrierte Nutzer bereits erstellte Datensätze aus den firmeneigenen Vorgangsbearbeitungssystemen an das für sie zuständige Polizeipräsidium übermitteln können. Nach der Erfassung der Daten für die Online-Strafanzeige haben registrierte wie nicht-registrierte Nutzer die Möglichkeit, die Eingaben zu korrigieren, zu verwerfen oder abzusenden. 155 156 Telefonat mit Hr. Wienand, Hessisches Landeskriminalamt, vom 16.09.2009, 12:55 Uhr. Wienand (2007), S. 5. 46 4. Online-Strafanzeige Die Vorgänge werden an das zuvor ausgewählte Polizeipräsidium übermittelt und dort von den Beamten des rund um die Uhr besetzten Führungs- und Lagedienstes gesichtet.157 Ob auf diese Weise gegebenenfalls notwendige Sofortmaßnahmen gewährleistet werden können, ist unklar. Die übertragenen Daten werden automatisch in das Vorgangsbearbeitungssystem ComVor der Polizei Hessen übernommen, wo sie sofort zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung stehen. Dabei wird automatisch ein Aktenzeichen generiert und dem Nutzer mitgeteilt.158 Registrierten Nutzern, die mehrere Datensätze über die Massendatenschnittstelle übermitteln, wird eine Datei mit den jeweiligen Aktenzeichen der erzeugten Vorgänge zum Herunterladen und Einbinden in das firmeninterne Vorgangsverwaltungssystem zur Verfügung gestellt.159 Durch die automatisierte Übernahme der Online-Strafanzeigen in das polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem „wird die Polizei von einem erheblichen Erfassungs- und Verwaltungsaufwand entlastet“160. Vorgänge, die in die sachliche Zuständigkeit anderer Behörden oder anderer Bundesländer fallen, werden postalisch oder elektronisch weitergeleitet.161 Dateianhänge können aus Sicherheitsgründen der Online-Strafanzeige nicht beigefügt werden.162 Bis zum 03.08.2005 gingen auf diesem Wege bei der hessischen Polizei „mehr als 1.300 Strafanzeigen“163 ein. Bis zum 10.07.2007 erhöhte sich diese Zahl auf „über 13.200“164 insgesamt. Von Februar 2005 bis einschließlich August 2009 verzeichnete die Onlinewache der Polizei Hessen 35.727 Vorgänge (Mitteilungen/Hinweise und Strafanzeigen), davon rund 4.500 Anzeigen durch registrierte Nutzer. 157 158 159 160 161 162 163 164 Vgl. Presseinfo der Webredaktion des Polizeipräsidiums Mittelhessen vom 17.03.2005, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 16:08 Uhr. S. Fn. 152. Vgl. Wienand (2007), S. 21. Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 11.09.2005, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 16:06 Uhr. S. Fn. 151. S. Fn. 157. S. Fn. 160. Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 10.07.2007, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 16:03 Uhr. 47 4. Online-Strafanzeige 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 2005 2006 2007 2008 2009 Abb. 2: Gesamtzahl der Online-Vorgänge in Hessen in den Jahren 2005 bis 2009 165 Da gegenüber dem Verfasser keine Aufschlüsselung der Vorgangszahlen in Strafanzeigen und sonstige Mitteilungen erfolgte, ist eine verlässliche Berechnung des Anteils von Online-Strafanzeigen an der Gesamtkriminalität in Hessen nicht möglich. Der Anteil der O-Anzeigen ist jedoch maximal so hoch wie der aller Online-Vorgänge. Demnach betrug er im Jahr 2005 maximal 0,81 % und stieg auf höchstens 2,35 % im Jahr 2008. Ein Großteil der Anzeigen betrifft dabei Diebstahl (45 %) und Betrug (35 %). Der Anteil der anonymen und missbräuchlichen Onlineanzeigen liegt bei unter 1 %. Sofortmaßnahmen waren bislang kaum erforderlich.166 Die Onlinewache hat sich nach Auffassung des hessischen Landeskriminalamts bewährt, weil sie zum Beispiel bei der Abwicklung von Geschädigtenvernehmungen in einem Großverfahren im Jahr 2008 zu Zeit- und Arbeitsersparnis aufseiten der Polizei und der Bürger geführt habe.167 Inwieweit sich das Instrument der Online-Strafanzeige ebenfalls bewährt hat, und ob die mit ihr verknüpften Erwartungen eingetreten sind, wird 165 166 167 Für das Jahr 2005 betrifft die Gesamtzahl der Online-Vorgänge den Zeitraum ab der Inbetriebnahme der Onlinewache am 24.02.2005. Er wurde anhand des durchschnittlichen Vorgangsaufkommens der Monate März bis Dezember 2005 auf das gesamte Jahr 2005 hochgerechnet. Ende 2008 wurden in einem größeren Betrugsverfahren die Geschädigtenvernehmungen über die Onlinewache abgewickelt. Hierdurch hat sich die Zahl der OnlineVorgänge in den Monaten September und Oktober mehr als verdoppelt. Für diese beiden Monate wurden daher nur das durchschnittliche Vorgangsaufkommen der übrigen Monate aus 2008 angesetzt. Für 2009 liegt die Gesamtzahl der Online-Vorgänge bis August 2009 vor. Anhand des durchschnittlichen Vorgangsaufkommens der Monate Januar bis August 2009 wurde der Wert auf das gesamte Jahr 2009 hochgerechnet. S. Fn. 149. S. Fn. 149. 48 4. Online-Strafanzeige nicht ausdrücklich erwähnt. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass sie kein Ersatz für den direkten und unmittelbaren Kontakt zwischen Bürger und Polizei sein kann.168 Es ist angedacht, die Onlinewache um weitere deliktsspezifische Anzeigeformulare zur Verbesserung der inhaltlichen Qualität der Anzeigen sowie um Übermittlung eines digital erzeugten Strafantrags für registrierte Nutzer zu erweitern. Darüber hinaus wird in Erwägung gezogen, zukünftig eine beidseitige Kommunikation für eventuelle Rückfragen sowie die Möglichkeit zum Hinzufügen von Dateianhängen im Bereich der registrierten Nutzer zu realisieren.169 4.2.8 Mecklenburg-Vorpommern Das Antwortschreiben170 und einige Pressemitteilungen des Innenministeriums sowie Informationen auf den Internetseiten der Polizei MecklenburgVorpommern171 sind die Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen. Über die ‚Internetwache’ der Polizei Mecklenburg-Vorpommerns können Strafanzeigen online erstattet werden. Anfang März 2005172 wurde der Internetauftritt der Polizei MecklenburgVorpommern aufgrund des landesspezifischen Masterplans eGovernment, in dem die Grundlagen zur umfassenden elektronischen Abwicklung von Verwaltungsprozessen und deren Online-Angebot beschrieben sind, um eine Internetwache erweitert.173 Ziel war es, den „Kontakt mit der Polizei [zu] erleichtern und ihnen Zeit und Kosten [zu] ersparen“174. Seitdem sei es unter anderem möglich, „schnell, bequem und durch Fachfragen gestützt Anzeigen [zu] erstatten“175 sowie andere Online-Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Ob diese Auffassung von den Anzeigenerstattern 168 169 170 171 172 173 174 175 S. Fn. 149. S. Fn. 149. Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern vom 17.08.2009, ohne Az. Zuletzt aufgerufen am 06.12.2009, 18:15 Uhr. Die Einrichtung der Internetwache wird seitens des Innenministeriums MecklenburgVorpommern in den verschiedenen Quellen nicht einheitlich datiert und variiert zwischen dem 28.02.2005 und dem 01.03.2005. S. Fn. 170. Pressemeldung Nr. 37 des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 28.02.2005, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:03 Uhr. S. Fn. 170. 49 4. Online-Strafanzeige geteilt wird, ist jedoch unklar, weil vergleichbare Erhebungen dazu nicht vorgelegt wurden. Über die entsprechende Rubrik auf der Homepage kann ein knapp erläutertes Formular, dem rechtliche Hinweise über die Strafbarkeit des Vortäuschens von Straftaten vorangestellt sind, aufgerufen werden. Die Anzeigenerstattung erfolgt anhand von elf Fragen, die sich an den sieben goldenen kriminalistischen W (siehe Kapitel 2.5) orientieren. Hinweise auf eine Speicherung der IP-Adresse oder anderer Vorkehrungen zur Verhinderung von anonymen O-Anzeigen finden sich nicht. Die eingegebenen Daten werden per Mausklick automatisch an die Einsatzleitstelle der örtlich zuständigen Polizeidirektion geschickt. Die Entgegennahme der Anzeige wird daraufhin automatisch auf einer abschließenden Seite bestätigt. Sofern der Anzeigenerstatter seine E-MailAdresse angegeben hat, erhält er von der zuständigen Polizeibehörde umgehend eine Eingangsbestätigung. Die Online-Strafanzeigen werden rund um die Uhr in den Polizeidirektionen gesichtet und an die zuständige Dienststelle weitergeleitet. Dort erfolgt die Eingabe der Daten in die Vorgangsverwaltungssoftware Elektronischer Vorgangsassistent (EVA)176. Zwar werde „von Seiten [sic] der Polizei … gegenüber dem Nutzer eine schnelle Reaktion garantiert“177, doch wie die aussieht, und ob darunter eine Gewährleistung von eventuell notwendigen Sofortmaßnahmen fällt, bleibt offen. Innerhalb der ersten sechs Wochen nach Einrichtung der Internetwache wurden 141 Anzeigen online erstattet178, bis Mitte Juli 2005 ca. 500.179 Insgesamt stieg die Zahl der O-Anzeigen von ca. 1.500 im Jahr 2005 auf ca. 4.700 im Jahr 2008. In dem Zeitraum 01.01. - 12.08.2009 sind bereits 3.660 Strafanzeigen über das Internet erstattet worden.180 Der Anteil der Online-Strafanzeigen an der Gesamtkriminalität Mecklenburg-Vorpommerns stieg von 1,03 % im Jahr 2005 auf 3,2 % im Jahr 2008. 176 177 178 179 180 S. Fn. 170. S. Fn. 170. Vgl. Pressemeldung Nr. 60 des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 08.04.2005, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:07 Uhr. Vgl. Pressemeldung Nr. 105 des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 18.07.2005, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:08 Uhr. S. Fn. 170. 50 4. Online-Strafanzeige 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 2005 2006 2007 2008 2009 Abb. 3: Gesamtzahl der Online-Strafanzeigen in Mecklenburg-Vorpommern in den Jah181 ren 2005 bis 2009 Diebstahl (vor allem Fahrraddiebstahl) macht mit knapp 45 % den größten Anteil unter den online angezeigten Delikten aus. Darüber hinaus werden schwerpunktmäßig Betrugsstraftaten im Internet sowie Sachbeschädigung an Kraftfahrzeugen und durch Graffiti angezeigt. Rund 1 % der Online-Strafanzeigen wurde anonym erstattet. Missbräuchliche O-Anzeigen waren bislang nicht zu verzeichnen. Nach Auffassung des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern hat sich das Instrument der Internetwache bewährt, weil sie „intensiv genutzt“ und dadurch „sehr gut angenommen“182 wird. Es ist geplant, zukünftig zur Erleichterung der Datenerfassung durch Dauernutzer wie Kaufhäuser und Gebäudeverwaltungen Kundenkonten einzurichten, über die auf Standarddaten zurückgegriffen werden kann. 4.2.9 Niedersachsen Die Darstellungen zu Möglichkeiten der Online-Anzeigenerstattung in Niedersachsen beruhen auf Angaben aus dem Antwortschreiben des nieder- 181 182 Die Zahlen für die Jahre 2005 bis 2008 sind ca.-Werte und wurden so durch das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern am 17.08.2009, ohne Az., mitgeteilt. Für das Jahr 2005 betrifft die Gesamtzahl der Online-Anzeigen den Zeitraum ab der Inbetriebnahme der Internetwache am 28.02.2005 beziehungsweise 01.03.2005. Er wurde anhand des durchschnittlichen Vorgangsaufkommens der Monate März bis Dezember 2005 auf das gesamte Jahr 2005 hochgerechnet. Für 2009 liegt die Gesamtzahl der Online-Anzeigen bis 12.08.2009 vor. Anhand des bis dahin durchschnittlichen täglichen Anzeigenaufkommens wurde der Wert auf das gesamte Jahr 2009 hochgerechnet. S. Fn. 178. 51 4. Online-Strafanzeige sächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration183, ausgewerteten Presseinformationen des Innenministeriums und Informationen der Internetseite der niedersächsischen Polizei184. Die Polizei Niedersachsen nimmt über ihre ‚Online-Wache’ O-Anzeigen entgegen. Aufgrund der E-Government-Strategie Niedersachsens, alle geeigneten Verwaltungsdienstleistungen des Landes online zur Verfügung zu stellen, wurde auch das Internetangebot der Polizei Niedersachsen überarbeitet. Seit 1997 besteht die Möglichkeit, über die E-Mail-Adressen der niedersächsischen Polizeibehörden Strafanzeigen zu erstatten. Da dieser Kommunikationsweg optimiert werden sollte, begann im Jahr 2006 durch die Zentrale Polizeidirektion (ZPD) in Hannover die Erarbeitung eines Fachkonzepts zur Einführung einer Internetwache. Es habe sich gezeigt, „dass der Bedarf an einem derartigen Serviceangebot beim Bürger vorhanden ist und entsprechende Angebote vermehrt in Anspruch genommen werden. Ein solcher Service ist unter anderem dazu geeignet, dem Bürger beziehungsweise den Opfern von Straftaten den ersten Schritt zur Polizei zu erleichtern und gegebenenfalls vorhandene Berührungsängste oder Hemmschwellen abzuschwächen. ‚Online-’ beziehungsweise ‚Internet-Wachen’ sind damit ein zeitgemäßes, zusätzliches Angebot, um mit den Bürgern in Kontakt zu kommen.“185 Unklar bleibt, inwieweit diese Auffassung auf entsprechenden Untersuchungen basiert, oder ob sie lediglich eine Erwartungshaltung zum Ausdruck bringt. Zur Erstellung der Konzeption wurden die Erfahrungen anderer Bundesländer mit vergleichbaren Einrichtungen abgefragt und in die Planungen einbezogen. Innerhalb von vier Monaten wurde eine Online-Wache durch das niedersächsische Polizeiamt für Technik und Beschaffung in Hannover, einer Dienststelle der ZPD, realisiert und am 26.02.2007 freigeschaltet.186 Damit 183 184 185 186 Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Integration vom 22.07.2009, Az. P 21.23 – 02839/1 – 2.1. Zuletzt aufgerufen am 06.12.2009, 18:22 Uhr. Presseinformation des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 15.09.2006, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:33 Uhr. Vgl. Presseinformation des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 26.02.2007, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:36 Uhr. 52 4. Online-Strafanzeige sollte insbesondere eine zusätzliche Möglichkeit der Erstattung von Anzeigen und Hinweisen geschaffen und den Bürgern die Kontaktaufnahme mit der Polizei erleichtert werden. Die Online-Wache ist über einen Link auf der Homepage der Polizei Niedersachsen erreichbar. Die Startseite enthält Erklärungen und Hilfestellungen allgemeiner Art zum Umgang mit den angebotenen Funktionen sowie einen zentralen und sehr deutlichen Hinweis auf die Ungeeignetheit der Online-Wache für Notfälle und dringende Angelegenheiten. Für Notsituationen wird auf den polizeilichen Notruf beziehungsweise eine Polizeidienststelle verwiesen. Der Nutzer kann anschließend zur Anzeigenerstattung zwischen „Allgemeiner Anzeige“ und den spezifischen Rubriken „Fahrraddiebstahl“, „Fahrzeugdiebstahl“, „Online-Auktionsbetrug“ und „Strafrechtlich relevante Inhalte im Internet“ wählen. Nach dem Aufruf des entsprechenden Bereiches werden zunächst eine Rechtsbelehrung über mögliche strafrechtliche Konsequenzen unrichtiger Angaben sowie Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte, Hinweise auf die Speicherung der IP-Adresse und die geltenden Datenschutzbestimmungen angezeigt. Das Lesen dieser Informationen und die Einwilligung in die Datenverarbeitung müssen bestätigt werden, um mit der Folgeseite zu einem umfangreichen und detailliert gegliederten Formular zu gelangen. Auf mehreren Seiten können sachverhaltsbezogene Angaben eingegeben werden. Unterstützt wird das Ausfüllen der Formularfelder durch optisch abgesetzte Hilfestellungen und Erklärungen. Da außer einem freitextlichen Sachverhalt bei jeder Form der O-Anzeige sowie der Internetadresse bei der Anzeige von strafrechtlich relevanten Internetinhalten keine Eingaben erfolgen müssen, können auf diesem Wege auch anonyme Anzeigen erstattet werden, wobei eine vollständige Anonymität aufgrund der Übermittlung der IP-Adresse nicht gewährleistet ist. Diese wird nur bei der Abgabe von Hinweisen zur Korruption und Wirtschaftskriminalität über das Business Keeper Monitoring System (BKMS) des niedersächsischen Landeskriminalamtes zugesichert. Im Anschluss an die Bearbeitung können die Daten zusammenfassend dargestellt und abschließend elektronisch versandt werden. 53 4. Online-Strafanzeige Die Online-Strafanzeigen werden automatisch entsprechend der Zuständigkeit an die Leitstelle der jeweiligen Polizeiinspektion, an die Lage- und Führungszentrale der Polizeidirektionen Hannover oder Osnabrück oder mangels Zuordnungsmöglichkeit an das Lage- und Informationszentrum des Landeskriminalamtes Niedersachsen geleitet und dort rund um die Uhr gesichtet, bewertet und weitergesteuert. Inwieweit auf diese Weise die Einleitung von Sofortmaßnahmen gewährleistet ist, ist unklar. Der Anzeigenerstatter erhält eine Eingangsbestätigung mit OnlineVorgangsnummer und – sofern eine E-Mail-Adresse eingegeben wurde – eine Bestätigungs-E-Mail.187 Auf eine automatisierte Übernahme der O-Anzeigen in das polizeiliche Niedersächsische Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentationsund Informations-System (NIVADIS) wurde in der ersten Entwicklungsversion der Online-Wache zur Sicherung der Datenqualität bewusst verzichtet.188 Innerhalb der ersten sieben Monate nach Einrichtung der Online-Wache wurden 4.018 Anzeigen und Hinweise, darunter vor allem bezüglich Internetbetrug, Fahrraddiebstahl, Sachbeschädigung und vereinzelt Beleidigung und Computerkriminalität, auf elektronischem Wege übermittelt.189 Im Jahr 2007 kam es zur Online-Strafanzeige von insgesamt 4.699 Delikten, darunter 1.089 Fahrraddiebstähle und 946 Betrugsdelikte bei Onlineauktionen. Für das Jahr 2008 wurden insgesamt 6.981 OnlineStrafanzeigen gezählt, von denen 1.643 Fahrraddiebstahl und 1.297 Onlineauktionsbetrug betrafen.190 Der Anteil der Online-Strafanzeigen an der Gesamtkriminalität Niedersachsens stieg von 0,77 % im Jahr 2007 auf 1,18 % im Jahr 2008. 187 188 189 190 S. Fn. 183. S. Fn. 183. Vgl. Presseinformation des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 25.09.2007, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:38 Uhr. S. Fn. 183. 54 4. Online-Strafanzeige 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 2007 2008 Abb. 4: Gesamtzahl der Online-Strafanzeigen in Niedersachsen in den Jahren 2007 und 191 2008 Eine missbräuchliche Nutzung der Online-Wache konnte bis September 2007 nicht festgestellt werden192. Für den Zeitraum danach wurden keine Angaben mitgeteilt. Inwieweit sich das Instrument der Online-Strafanzeige in Niedersachsen bewährt hat und gegebenenfalls weiterentwickelt werden soll, ist nicht bekannt. 4.2.10 Nordrhein-Westfalen Die Informationen zur Online-Strafanzeige in Nordrhein-Westfalen beruhen überwiegend auf der Auswertung von Pressemitteilungen und anderen Veröffentlichungen des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen sowie eines Fachartikels und den Angaben auf den Internetseiten der nordrheinwestfälischen Polizei193. Die Beantwortung der Informationsanfrage wurde durch das Innenministerium Nordrhein-Westfalen abgelehnt194, da die notwendige Datenrecherche aufgrund der Personalbindung zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Wahrnehmung polizeilicher Kernaufgaben führe. In Nordrhein-Westfalen ist seit März 2004 flächendeckend die OnlineErstattung von Strafanzeigen möglich. 191 192 193 194 Für das Jahr 2007 betrifft die Gesamtzahl der Online-Anzeigen den Zeitraum ab der Inbetriebnahme der Online-Wache am 24.02.2007. Er wurde anhand des durchschnittlichen täglichen Anzeigenaufkommens bis zum 31.12.2007 auf das gesamte Jahr 2007 hochgerechnet. S. Fn. 189. Zuletzt aufgerufen am 06.12.2009, 18:28 Uhr. Innenministerium Nordrhein-Westfalen vom 20.07.2009, Az. 42.2 – 62.02.02. 55 4. Online-Strafanzeige Nach der vermehrten Anzeigenerstattung durch formlose E-Mail über die Internetpräsenz des Polizeipräsidiums Köln anlässlich zweier Großveranstaltungen im Juni 1999 entstand die Idee einer Anzeigenaufnahme über das Internet (siehe Kapitel 4.1). Ab April 2000 wurde durch die Kölner Polizei ein Internetformular zur Entgegennahme von Strafanzeigen bereitgestellt, das über einen Zeitraum von vier Jahren bis März 2004 getestet wurde.195 Das Formular enthielt Felder für Name und Anschrift des Anzeigenerstatters sowie ein Freitextfeld zur Sachverhaltsschilderung. Die auf diese Weise erstellten Strafanzeigen konnten per Mausklick abgeschickt werden und wurden beim Empfänger einmal täglich abgerufen. Zwei Monate nach der Bereitstellung des Formulars erreichten auf diesem Wege täglich etwa zehn Mitteilungen die Polizei Köln.196 In knapp zwei Jahren summierte sich die Gesamtzahl auf „mehrere tausend [sic] Anzeigen aus dem gesamten Spektrum des Strafgesetzbuches“.197 Aufgrund der regen Nutzung des Angebotes zur Online-Strafanzeige wurden im Jahr 2003 in den Kreispolizeibehörden Aachen, Bochum, Duisburg, Höxter, Oberbergischer Kreis, Paderborn, Wesel und Wuppertal vergleichbare Portale zur Online-Erstattung von Strafanzeigen eingerichtet. In Köln wurden im Jahr 2003 mit rund 4.500 über 3,5 % aller Strafanzeigen online erstattet. Der Anteil der anonym erstatteten Strafanzeigen lag bis dahin bei weniger als einem Prozent.198 Aufgrund der großen Akzeptanz und Nutzung wurde im Rahmen des Ausbaus von E-Government-Angeboten ein zentrales, landesweit einheitliches Portal zur Online-Erstattung von Strafanzeigen, das die dezentralen Behördenangebote weitgehend ersetzte, erstellt und am 22.03.2004 in Betrieb genommen.199 Parallel dazu betrieb die Kreispolizeibehörde Bonn bis zum Dezember 2004 ein eigenes Internetangebot zur Anzeigenerstattung. Über die Homepage der Polizei Nordrhein-Westfalen und entsprechende Verlinkungen auf den meisten nordrhein-westfälischen Polizeibehörden 195 196 197 198 199 Vgl. Rüther (w2009), S. 4. Vgl. SPIEGEL ONLINE (w2000). Innenministerium Nordrhein-Westfalen (2003a). Vgl. Innenministerium Nordrhein-Westfalen (2003b). Vgl. Rüther (w2009), S. 5. 56 4. Online-Strafanzeige kann ein ‚Bürgerservice’ aufgerufen werden, über den unter anderem in Form einer Strafanzeige Kontakt mit der Polizei aufgenommen werden kann. Nach Auswahl der Funktion „Onlineanzeige“ werden zahlreiche kurze Hinweise allgemeiner Art sowie zu möglichen rechtlichen Folgen unrichtiger Angaben gegeben. Enthalten ist auch ein Verweis auf den polizeilichen Notruf oder eine Polizeiwache in Notfällen. Darüber hinaus sind weitere Erläuterungen, die detailliertere Erklärungen und Hinweise einbeziehen, aufrufbar. Zur Erstattung einer Strafanzeige stehen fünf unterschiedlich gegliederte Formulare für die am meisten angezeigten Deliktsgruppen zur Wahl: „Körperverletzung, Beleidigung und Ähnliches“, „Diebstahl, Betrug und andere Eigentumsdelikte“, „Sonstige Straftaten und Vorfälle“ sowie „Straftaten im Straßenverkehr“ und „Straftaten im Zusammenhang mit dem Internet“. Inhaltlich unterscheiden sich die ersten drei genannten Ausfüllmasken nicht; die beiden anderen enthalten zusätzliche beziehungsweise deliktsspezifisch angepasste Felder. Alle Formulare bieten zu jedem Themenkomplex kurze erklärende Hilfestellungen sowie ein Video in der Deutschen Gebärdensprache. Inwieweit Pflichtangaben erforderlich sind oder vollständig anonyme Strafanzeigen übersandt werden können, ist nicht zu erkennen. Nach dem Absenden der ausgefüllten Anzeige werden die getätigten Angaben sowie ein Hinweis auf die zuständige Polizeidienststelle auf einer Bestätigungsseite angezeigt. Mehrfach arbeitstäglich werden beim Landeskriminalamt NordrheinWestfalen die eingegangenen Strafanzeigen abgerufen und an die zuständige Dienststelle, gegebenenfalls auch außerhalb von NordrheinWestfalen, weitergeleitet. An die durch den Anzeigenerstatter optional angegebene E-Mail-Adresse wird durch den Sachbearbeiter der Strafanzeige eine Eingangsbestätigung versandt. Eine erste Auswertung des Aufkommens an Online-Strafanzeigen machte deutlich, dass das Angebot stark genutzt wird und die Polizei von zunehmend mehr Straftaten erfährt. Bis zum 11.06.2004 wurden über das Inter57 4. Online-Strafanzeige netportal 3.346 Delikte angezeigt. „Die Zahlen in der Kriminalstatistik erhöhen sich durch die angezeigten Straftaten, weil das kriminelle Dunkelfeld aufgehellt wird.“200 Bis zum 21.08.2004 stieg die Zahl der Online-Strafanzeigen auf rund 6.000, darunter vor allem Delikte der Alltagskriminalität wie Diebstahl, Körperverletzung und Verkehrsdelikte.201 In dem Zeitraum 01.04.2004 bis 31.03.2005 wurden über den Bürgerservice der Polizei Nordrhein-Westfalen insgesamt 16.803 Strafanzeigen (= rund 1,1 % der im Jahr 2004 registrierten Gesamtkriminalität in NordrheinWestfalen) erstattet. Die Gesamtzahl aller Online-Strafanzeigen in Nordrhein-Westfalen stieg bis zum 17.07.2006 auf „rund 46.000“202 und bis zum 04.01.2007 auf „mehr als 61.000“203. Von Februar 2008 bis Dezember 2008 wurden weitere 32.431 OnlineStrafanzeigen in Nordrhein-Westfalen verzeichnet.204 Die Summe von hochgerechnet 35.379 O-Anzeigen im Jahr 2008 entspricht einem Anteil von 2,43 % an der registrierten Gesamtkriminalität in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008. Bis April 2009 erhöhte sich die Gesamtzahl der über das Zentralportal der nordrhein-westfälischen Polizei erstatteten Anzeigen auf 132.895.205 Angaben über anonyme oder missbräuchliche Nutzungen liegen nicht vor. Der Bürgerservice zur Anzeigenerstattung im Internet wurde ein halbes Jahr nach der Bereitstellung aufgrund der regen Nutzung als „Erfolg“ und „bundesweit beispielgebend“ angesehen.206 Der Umfang der OnlineKontaktaufnahme mit der Polizei sei – so wurde zwei Jahre später bekannt – aus polizeilicher Sicht „erfreulich“.207 Jüngere Aussagen zur Be200 201 202 203 204 205 206 207 Pressemitteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 11.06.2004, zuletzt online aufgerufen am 07.10.2009, 11:18 Uhr. Vgl. Pressemitteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 21.08.2004, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:45 Uhr. Pressemitteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 17.07.2006, zuletzt online aufgerufen am 31.10.2009, 18:13 Uhr. Pressemitteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 04.01.2007, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:47 Uhr. Vgl. RP Online (w2009). Vgl. Presseinformation des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. vom 29.03.2009, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:53 Uhr. S. Fn. 201. S. Fn. 202. 58 4. Online-Strafanzeige währung oder Nichtbewährung des Instruments der Online-Strafanzeige liegen nicht vor. Im Rahmen des Aktionsplans 2009 zur Umsetzung von E-GovernmentEntwicklungen besteht beim Innenministerium Nordrhein-Westfalen die Idee, eine Datenschnittstelle, über die Strafanzeigen von regelmäßigen Anzeigenerstattern wie Warenhäusern und Verkehrsbetrieben direkt in das polizeiliche Vorgangsbearbeitungsprogramm übernommen werden können, einzurichten. Das Ziel ist, Doppelerfassungen, die bislang durch die manuelle Eingabe in die Vorgangssysteme der regelmäßigen Anzeigenerstatter und zusätzlich der Polizei entstehen, deutlich zu reduzieren und Massendelikte zügiger abarbeiten zu können. Auf diese Weise sollen Tatzusammenhänge unmittelbarer erkannt und Serientäter schneller ergriffen werden können.208 Über eventuelle weitere Planungen liegen keine Informationen vor. 4.2.11 Rheinland-Pfalz Die Darstellungen zur Online-Wache in Rheinland-Pfalz beruhen auf Informationen der Internetseiten der rheinland-pfälzischen Polizei209 sowie dem Antwortschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz210. Zur Anzeigenerstattung im Internet ist durch die rheinland-pfälzische Polizei bislang keine Möglichkeit geschaffen worden. Auf ihrer Homepage wird stattdessen ein Kontaktformular mit Freitextfeld angeboten, über das Nachrichten und Hinweise per E-Mail übermittelt werden können. In Notfällen soll allerdings der polizeiliche Notruf gewählt werden. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass die übermittelten Nachrichten gegebenenfalls zu polizeilichen Ermittlungen und Maßnahmen führen. Dies lässt den Schluss zu, dass auf diesem Wege zumindest stillschweigend auch Straftaten angezeigt werden können. 208 209 210 Vgl. Innenministerium Nordrhein-Westfalen (w2009), S. A19. Zuletzt aufgerufen am 07.12.2009, 22:52 Uhr. Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz vom 24.08.2009, ohne Az. 59 4. Online-Strafanzeige Da zur Absendung des Formulars lediglich die Angabe einer E-MailAdresse erforderlich ist, können offenbar auch anonyme Nachrichten übermittelt werden. Nach Auffassung des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport gehe durch die Online-Strafanzeige der unmittelbare Kontakt zwischen Bürger und Polizei, der beispielsweise zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Anzeigenerstatters sehr bedeutsam sei, zunächst verloren. In Einzelfällen könne es mangels persönlichen Kontaktes zu Defiziten bei der Feststellung von Sachbeweisen kommen, weil wichtige Hinweise nicht oder nur verspätet bekannt werden könnten. Demgegenüber habe die direkte Kommunikation über das Internet auch Vorteile und biete Möglichkeiten des Ausbaus wie zum Beispiel einer besseren Einbindung in Geschäftsprozesse. Näher konkretisiert und begründet wurde dieser Standpunkt nicht. Er ist jedoch ausschlaggebend für eine beabsichtigte Einrichtung einer Online-Wache. Durch die Landespolizeischule wurde ein Konzept zur Umsetzung einer ‚ONLINE-Wache Rheinland-Pfalz’ erstellt, über die Hinweise, Sachverhalte, Lob und Beschwerden übermittelt werden können und deren zeitnahe Weiterleitung an die zuständige Dienststelle rund um die Uhr sichergestellt wird. Zurzeit werden die Möglichkeiten zur Realisierung dieses Konzeptes geprüft. 4.2.12 Saarland Grundlage der nachfolgenden Ausführungen zur Online-Strafanzeige bei der Polizei des Saarlandes ist eine E-Mail-Antwort des Saarländischen Ministeriums für Inneres und Sport.211 Ergänzend wurden ein Presseartikel sowie Informationen der Internetseiten der saarländischen Polizei212 herangezogen. Bei der saarländischen Polizei ist die Erstattung von Online-Strafanzeigen bislang nicht möglich. Wenngleich für diese Zwecke das allgemeine Kontaktformular, das über die Homepage der Polizei des Saarlandes erreich211 212 Saarländisches Ministerium für Inneres und Sport vom 29.07.2009, ohne Az. Zuletzt aufgerufen am 07.12.2009, 22:55 Uhr. 60 4. Online-Strafanzeige bar ist, genutzt werden könnte, wird ausdrücklich darum gebeten, auf diesem Wege unter anderem keine Notrufe oder Strafanzeigen zu übermitteln, sondern in solchen Fällen eine Polizeidienststelle aufzusuchen. Ob und in welchem Ausmaß trotzdem das Kontaktformular zur Anzeigenerstattung genutzt wird, ist nicht mitgeteilt worden. Die E-Government-Strategie der saarländischen Landesverwaltung sieht allerdings bereits seit 2006 die Einrichtung einer Online- oder Internetwache vor. Auf diese Weise sollen die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Bürgern und Polizei ausgebaut und mögliche Berührungsängste und Hemmschwellen gesenkt werden213. Bislang hatten jedoch zunächst andere personalintensive Vorhaben wie die Einrichtung einer Führungs- und Lagezentrale, die als rund um die Uhr erreichbare zentrale Poststelle der Online-Wache dienen soll, eine größere Priorität.214 Nach zwischenzeitlichem Abschluss dieser Projekte ist die Umsetzung einer Online-Wache unter anderem mit der Möglichkeit der Strafanzeigenerstattung für das erste Quartal 2010 vorgesehen. Über ein Kontaktformular sollen dann auf elektronischem Wege Strafanzeigen an die landesweit zuständige und rund um die Uhr besetzte Führungs- und Lagezentrale übermittelt werden. Das Formular soll mit rechtlichen Hinweisen, wie zum Beispiel der Erforderlichkeit von Kontaktdaten für Rückfragen oder Einholung eines schriftlichen Strafantrags versehen sein. Es ist beabsichtigt, die Anzeigenerstatter auf der Eingangsseite ausdrücklich darauf hinzuweisen, Anzeigen, die Sofortmaßnahmen erfordern, nicht über das Kontaktformular, sondern über Notruf der nächsten Polizeidienststelle mitzuteilen. Trotzdem sollen online eingehende Mitteilungen zeitnah gesichtet und geprüft werden, sodass gegebenenfalls unmittelbar erforderliche Maßnahmen eingeleitet werden können. Darüber hinaus wird durch die Führungs- und Lagezentrale die Steuerung der eingehenden Strafanzeigen an die zuständige saarländische Polizeidienststelle beziehungsweise das zuständige Bundesland erfolgen.215 213 214 215 Vgl. Becher (2009). S. Fn. 211. S. Fn. 211. 61 4. Online-Strafanzeige 4.2.13 Sachsen Grundlage der nachfolgenden Darstellungen sind ein Antwortschreiben des sächsischen Staatsministeriums des Innern216 sowie zwei ausgewertete Medienberichte und Informationen von den Internetseiten der Polizei Sachsen217. Die sächsische Polizei nimmt O-Anzeigen über ihre ‚Onlinewache’ entgegen. Der Freistaat Sachsen hat im Januar 2009 eine Onlinewache mit der Funktion der Strafanzeigenerstattung im Internet in Betrieb genommen. Obwohl zu Beginn des Jahres 2007 eine Internet- oder Onlinewache nicht geplant war, weil „[D]ie Effektivität eines solchen Portals … noch nicht nachgewiesen“218 sei, begannen noch im gleichen Jahr die Planungen zur Einführung einer Onlinewache.219 Die Idee zur Einrichtung eines solchen Portals basiert auf dem stark veränderten Kommunikationsverhalten der Bevölkerung und dem Einzug des Internets in alle Lebensbereiche. Es sollte eine zusätzliche Möglichkeit zur Anzeigenerstattung geschaffen werden, ohne die praktische Polizeiarbeit vor Ort220 oder den persönlichen Kontakt zwischen Bürger und Polizei 221 zu ersetzen. Damit werden die Hoffnungen verbunden, auf diese Weise Ansehen und Akzeptanz der Polizeibehörden sowie die Anzeigenbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen. Worauf sich diese Erwartungshaltung stützt, ist nicht mitgeteilt worden. Seit Jahresanfang 2009 ist über einen Link auf der Homepage der Polizei Sachsen die Onlinewache erreichbar. Mithilfe eines bestätigungspflichtigen Hinweises wird zunächst auf den polizeilichen Notruf in Notfällen verwiesen und die eventuelle Notwendigkeit einer zusätzlichen Vorladung zur zuständigen Polizeidienststelle dargestellt. 216 217 218 219 220 221 Sächsisches Staatsministerium des Innern vom 14.08.2009, Az. 32-0221.40/3508, zusammen mit einem Bericht des Landeskriminalamts Sachsen vom 26.05.2009, Az. 31-1153.59/2/2007. Zuletzt aufgerufen am 07.12.2009, 22:59 Uhr. S. Fn. 100. S. Fn. 216. S. Fn. 216. Vgl. Burger (2009). 62 4. Online-Strafanzeige In einem weiteren Schritt muss das Lesen einer umfangreichen Rechtsbelehrung und der Datenschutzerklärung bestätigt werden. Die Erstattung der Anzeige erfolgt anschließend anhand eines gegliederten Formulars, mit dem Informationen zu neun wichtigen und erläuterten Fragestellungen erbeten werden. Die Angabe der Personalien und der Anschrift des Anzeigenerstatters ist in diesem Zusammenhang verpflichtend, um keine anonyme Anzeigenerstattung zuzulassen oder zu begünstigen. Integrierte Plausibilitätsprüfungen sollen dabei Manipulationen und unrichtige Personalieneingaben erkennen und abweisen.222 Darüber hinaus wird die IP-Adresse des verwendeten Rechners für die Dauer von sechs Wochen gespeichert. Für anonyme Mitteilungen und Anzeigen werden seitens des Sächsischen Staatsministeriums des Innern andere vorhandene Möglichkeiten als ausreichend angesehen, wobei offen gelassen wird, welche konkreten Möglichkeiten gemeint sind. Die Online-Strafanzeigen werden rund um die Uhr durch den Lagedienst des Landeskriminalamtes Sachsen gesichtet223 und auf Sofortmaßnahmen geprüft. Bis zum 15.05.2009 waren bei keiner auf diesem Wege erstatten Strafanzeige Sofortmaßnahmen vonnöten. Anschließend erfolgt eine Weiterleitung an die zuständige Dienststelle zur Bearbeitung.224 Am Tag der Inbetriebnahme der Onlinewache wurden siebzehn Meldungen registriert225; bis zum 15.05.2009 waren es 2.130, davon 1.954 Strafanzeigen. Dies entspricht ca. 1,55 % aller im Vergleichszeitraum in Sachsen erstatteten Strafanzeigen.226 Mit jeweils 450 – 500 entfallen die Mitteilungen insbesondere auf die Zuständigkeitsbereiche der Polizeibehörden in Chemnitz, Dresden und Leipzig. 70 Meldungen (= 3,29 %) betrafen andere Bundesländer. Während im Januar 2009 noch 645 Mitteilungen erfolgten, ging diese Zahl in den Folgemonaten auf rund 400 – 444 zurück. Dies entspricht einer 222 223 224 225 226 S. Fn. 219; während die Plausibilitätsprüfungen eine unvollständige PLZ als Fehler erkennen, lassen sie nicht existente und zukünftige Geburtsdaten (zum Beispiel 29.02.2010) sowie Phantasieeinträge als Staatsangehörigkeit zu. S. Fn. 221. S. Fn. 216. S. Fn. 221. Grundlage der Berechnung sind 137.381 in Sachsen polizeilich registrierte Straftaten bis zum 30.06.2009. Dies entspricht einem Tagesdurchschnitt von 763 Delikten. Bis zum 15.05.2009 werden daher ca. 125.933 registrierte Delikte angenommen. 63 4. Online-Strafanzeige Verringerung von durchschnittlich 21 Online-Strafanzeigen pro Tag im Januar auf 14 im Mai. Die angezeigten Straftaten betreffen zu jeweils ca. 33 % Diebstahls- und Betrugsdelikte, zu ca. 15 % Sachbeschädigungen, zu knapp 4 % Verkehrsdelikte sowie zu ca. 15 % sonstige Straftaten wie Kinderpornografie, Hausfriedensbruch, Unterschlagung, Bedrohung, Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung. Die Anzeigenerstattung erfolgte ganz überwiegend an Wochentagen und seltener an Wochenenden.227 Wenngleich über die zentrale E-Mail-Adresse beziehungsweise die Kontaktseite auf der Homepage der Polizei Sachsen keine Strafanzeigen erstattet werden sollen und daher auf die Onlinewache verwiesen wird, werden weiterhin auf diesem Wege übermittelte Meldungen registriert. Deren Zahl ist jedoch seit Einführung der Onlinewache zurückgegangen und nicht Bestandteil der Summe der O-Anzeigen. Nach Einschätzung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern hat „sich die Online-Wache als zusätzliche und bürgerfreundliche Möglichkeit zur Erstattung von Strafanzeigen bewährt“, wenngleich mit ihr keine Reduzierung des polizeilichen Arbeitsaufwands verbunden sei.228 Offen bleibt, worauf diese Auffassung gestützt wird und worin diese Bewährung besteht. Zurzeit wird über inhaltliche Erweiterungen und organisatorische Anbindung der Onlinewache an dezentraler oder weiterhin zentraler Stelle nachgedacht. Unmittelbare Auswirkungen auf die Online- Anzeigenerstattung sind daraus nicht zu erkennen. 4.2.14 Sachsen-Anhalt Die Angaben zur Online-Strafanzeige in Sachsen-Anhalt beruhen ausschließlich auf Auswertungen von Pressemitteilungen des sachsenanhaltinischen Innenministeriums sowie auf Informationen des Internetportals der Landespolizei Sachsen-Anhalts229 und eines Medienberichts. 227 228 229 Landeskriminalamt Sachsen vom 26.05.2009, Az. 31-1153.59/2/2007. S. Fn. 216. Zuletzt aufgerufen am 07.12.2009, 23:06 Uhr. 64 4. Online-Strafanzeige Vonseiten des Ministeriums des Innern Sachsen-Anhalt wurden keine Informationen zur Verfügung gestellt. In Sachsen-Anhalt können Online-Strafanzeigen über das elektronische Polizeirevier Sachsen-Anhalt (eRevier) aufgegeben werden. Nach einer „kurzfristig(en) und nahezu kostenneutral(en)“230 Entwicklung und Umsetzung wurde am 14.02.2005 das eRevier eröffnet, um die jederzeitige Präsenz für die Bürger zu erhöhen und eine weitere Kontaktmöglichkeit zur Polizei zu schaffen.231 Das eRevier ist als Teil der Rubrik „Polizei interaktiv“ über einen Link auf der Homepage der Polizei Sachsen-Anhalts erreichbar. Für Notfälle wird auf den polizeilichen Notruf oder auf eine Polizeidienststelle verwiesen. Die Kommunikation kann ausdrücklich offen oder anonym erfolgen; eine Speicherung von Verbindungs- und Zugriffsdaten einschließlich der IPAdresse findet nicht statt. Das zur Anzeigenerstattung angebotene Online-Formular enthält Freitextfelder für Personalien, Angaben zu Art, Ort, Zeit und Zeugen der Straftat sowie ein Feld zur Auswahl der zuständigen Dienststelle. Seitlich davon sind rechtliche und allgemeine Hinweise platziert. Nach dem elektronischen Versenden der Anzeige wird eine Sendungsbestätigung mit einer individuellen Registriernummer und einer Zusammenfassung der eingetragenen Angaben angezeigt. Die O-Anzeigen werden als E-Mail an das Lage- und Führungszentrum der zuvor ausgewählten Dienststelle beziehungsweise des Landeskriminalamts versandt. Dort erfolgt rund um die Uhr eine Sichtung und Prüfung der Eingänge.232 Unklar ist, ob damit auch die Einleitung von gegebenenfalls notwendigen Sofortmaßnahmen sichergestellt wird. 230 231 232 Pressemitteilung Nr. 017/05 des Ministeriums des Innern Sachsen-Anhalts vom 14.02.2005, zuletzt online aufgerufen am 20.09.2009, 16:20 Uhr. Vgl. Pressemitteilung Nr. 098/05 des Ministeriums des Innern Sachsen-Anhalts vom 15.07.2005, zuletzt online aufgerufen am 20.09.2009, 15:57 Uhr. S. Fn. 230. 65 4. Online-Strafanzeige Innerhalb der ersten fünf Monate nach Inbetriebnahme des eReviers wurden auf diesem Wege 673 Strafanzeigen erstattet. Diese Zahl erhöhte sich bis zum 27.01.2006 auf 1.748233. Das Online-Angebot wird als „angenommen“ und „rege genutzt“ 234 bezeichnet. Insgesamt erfolgt „rund ein Prozent“ der Erstattung aller Strafanzeigen Sachsen-Anhalts über das eRevier.235 Auf der Grundlage der PKS 2008 entspräche dies für das Berichtsjahr 2008 rund 2.067 Strafanzeigen. Über geplante Weiterentwicklungen liegen keine Informationen vor. 4.2.15 Schleswig-Holstein Die nachfolgenden Angaben wurden dem Antwortschreiben236, einer Pressemitteilung und einer anderen Veröffentlichung des Innenministeriums Schleswig-Holstein sowie der Internetseite der Landespolizei237 entnommen. Die Polizei Schleswig-Holstein nimmt O-Anzeigen über ihre ‚Onlinewache’ entgegen. Die Einrichtung der Onlinewache erfolgte aufgrund der politischen Grundsätze der schleswig-holsteinischen Landesregierung zum E-Government. Sie wurde als zusätzliche Serviceeinrichtung und Kommunikationsmöglichkeit zwischen Bürgern und der Landespolizei eingerichtet.238 Durch das Innenministerium Schleswig-Holstein wurde am 25.01.2006 das Landespolizeiamt mit einer Konzeption zur Einrichtung einer Onlinewache beauftragt. Nach Fertigstellung dieser Konzeption erfolgte zusammen mit einer Privatfirma innerhalb weniger Tage die technische Realisierung, Mitte August 2006 ein Test und am 01.09.2006 die Inbetriebnahme.239 Über einen Link in der Service-Rubrik auf der Homepage der Polizei Schleswig-Holstein ist die Onlinewache abrufbar, über die unter anderem 233 234 235 236 237 238 239 Vgl. http://www.polizei.sachsen-anhalt.de/index.php?id=800#3065 (zuletzt aufgerufen am 29.10.2009, 10:49 Uhr). S. Fn. 231. Vgl. Mäurer (w2009). Innenministerium Schleswig-Holstein vom 02.09.2009, Az. IV-LPA-1213-12.902009/1449. Zuletzt aufgerufen am 08.12.2009, 22:33 Uhr. S. Fn. 236. Vgl. Pressemitteilung des Innenministeriums Schleswig-Holstein vom 01.09.2006, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:58 Uhr. 66 4. Online-Strafanzeige Strafanzeigen online erstattet werden können. Dies ist jedoch technisch nur möglich, wenn das Lesen der Rechtsbelehrung und der Datenschutzbestimmungen bestätigt wird. Anhand überwiegend selbsterklärender Formularfelder werden auf vier Seiten Daten zur eigenen Person, zum Tatort und zur Tatzeit abgefragt. Alle weiteren Angaben können in einem freitextlichen Sachverhaltsfeld eingegeben werden. In technischen Hinweisen zur Onlinewache, Ausfüll- und Bedienungserklärungen sowie Datenschutzbestimmungen, die allesamt über die Eingangsseite der Onlinewache abrufbar sind, werden die Eingabefelder für Namen und Anschrift des Anzeigenerstatters als Pflichtfelder deklariert. Tatsächlich muss offenbar allein das Sachverhaltsfeld ausgefüllt werden, um die O-Anzeige abzuschicken, sodass auch anonyme Anzeigen auf diesem Wege erstattet werden können. Wegen der Speicherung der IPAdresse des verwendeten Rechners ist diese Anonymität allerdings nicht absolut. Für eventuelle Korrekturen werden die Daten abschließend zusammengefasst dargestellt. Das Versenden der Daten erfolgt zum Internetserver der Polizei Schleswig-Holstein und von dort über interne Leitungen an die E-Mail-Adresse des Lage- und Führungszentrums des Landespolizeiamtes (LPA) in Kiel. Dort werden die eingegangenen Nachrichten gesichtet, bewertet und an die zuständige Dienststelle weitergesteuert.240 Wenngleich auf dem Eingangsportal der Onlinewache darauf hingewiesen wird, dass in Notfällen der polizeiliche Notruf gewählt werden soll, ist die Onlinewache „ständig besetzt“241, sodass gegebenenfalls erforderliche Sofortmaßnahmen eingeleitet werden können. Hierzu werden die eingegangenen OnlineStrafanzeigen beim Lage- und Führungszentrum des Landespolizeiamtes anhand eines dreistufigen Systems nach Dringlichkeit bewertet. Anzeigen, die unmittelbar polizeiliche Maßnahmen erfordern, werden mit der Bearbeitungsstufe 1 versehen. In solchen Fällen wird durch das Lage- und Führungszentrum sofort die zuständige Einsatzleitstelle kontaktiert und beauftragt. Die Übersendung des Vorgangs erfolgt anschließend über das 240 241 S. Fn. 236. S. Fn. 239. 67 4. Online-Strafanzeige polizeiinterne Fernschreibprogramm EPOST 810. Auf gleichem Wege werden weniger dringliche Anzeigen, die deswegen die Bearbeitungsstufe 2 erhalten, an die zuständige Polizeidienststelle weitergeleitet. Mitteilungen, die kein polizeiliches Handeln erfordern (Stufe 3) werden mit einem Vermerk abgelegt und für die Dauer eines halben Jahres archiviert.242 Der allgemeine E-Mail-Kontakt über die Homepage der Polizei SchleswigHolstein ist ausdrücklich nicht für die Erstattung von Strafanzeigen oder anderen eilbedürftigen Mitteilungen geeignet. Das Ausmaß, die Struktur und Entwicklung von online angezeigten Delikten werden nach Auskunft des Landespolizeiamtes Schleswig-Holstein nicht erhoben und ausgewertet. Einzig für den Zeitraum 01.09. – 28.10.2006 liegt die Zahl von 332 Online-Strafanzeigen vor.243 Gleichwohl wird mitgeteilt, dass die Online-Strafanzeigen „derzeit“ vermehrt Internetkriminalität betreffen. Auch Aussagen zur Bewährung oder Nicht-Bewährung des Instruments Online-Strafanzeige werden mit Hinweis auf die fehlende statistische Erfassung nicht getroffen. Eine Weiterentwicklung der Onlinewache Schleswig-Holstein und der Funktion der Strafanzeigenerstattung ist gegenwärtig nicht geplant. 4.2.16 Thüringen Die Grundlage der nachfolgenden Ausführungen stellen ausschließlich Angaben von den Internetseiten der Landespolizei Thüringen244 sowie ein Medienbericht dar. Eine Beantwortung der Informationsanfrage wurde durch das Innenministerium Thüringen zunächst in Aussicht gestellt, erfolgte letztlich jedoch nicht. Die Erstattung von Online-Strafanzeigen ist bei der Thüringer Polizei bislang nicht möglich. 242 243 244 S. Fn. 236. Vgl. N.N. (2006), S. 18. Zuletzt aufgerufen am 08.12.2009, 22:42 Uhr. 68 4. Online-Strafanzeige Anfang 2007 wurde berichtet, dass auch in Thüringen über die Einrichtung einer Onlinewache nachgedacht werde.245 Allerdings liegen keine Informationen über Entscheidungen für oder gegen eine Umsetzung vor. Über die Homepage der Polizei Thüringen wird lediglich ein allgemeines Formular zur Kontaktaufnahme mit der Internetredaktion der Thüringer Polizei angeboten, über das einem Hinweis zufolge keine Anzeigen erstattet werden können. Besucher dieser Seite werden für diese Zwecke an ihre zuständige Polizeidienststelle verwiesen. Die verlinkten Internetseiten der Polizeidirektionen Erfurt, Gera, Gotha, Nordhausen und Suhl sowie der Bereitschaftspolizei und des Fachbereichs Polizei der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung verfügen über identische Kontaktformulare. Mitunter wird darauf hingewiesen, dass das Formular nicht für Notrufe geeignet ist. Ein Hinweis auf eine nicht mögliche Anzeigenerstattung mithilfe des Formulars sowie ein Verweis auf eine Polizeidienststelle zur Anzeigenerstattung sind hier jedoch nicht zu finden, auch nicht auf den verlinkten Kontaktseiten der übrigen Polizeidirektionen Jena und Saalfeld sowie des Bildungszentrums, auf denen lediglich die jeweilige E-Mail-Adresse angegeben ist. Die Kontaktformulare verlangen einheitlich mindestens die Eingabe einer E-Mail-Adresse und eines Anliegens, bevor es versandt werden kann. Einzig auf der Kontaktseite der Polizeidirektion Gotha ist vermerkt, dass den zugesandten Nachrichten und Hinweisen polizeiliche Maßnahmen und Ermittlungen folgen können, und dass der Absender sich bei bewusst falschen Angaben strafbar machen kann. Dies legt die Vermutung nahe, dass Online-Strafanzeigen über die vorhandenen Kontakt-Formulare der Polizeibehörden und -einrichtungen des Landes Thüringen zwar nicht gewünscht, gleichwohl aber akzeptiert werden. Informationen über die Anzahl und Struktur von Strafanzeigen, die auf diesem Wege übermittelt werden, liegen nicht vor. Ebenfalls sind keine Planungen oder Entscheidungen über eine zukünftige Einrichtung einer Onlinewache oder einer andern Form zur Erstattung von O-Anzeigen bekannt. 245 Vgl. Dreuw (w2007). 69 4. Online-Strafanzeige 4.2.17 Bundeskriminalamt Durch das Bundeskriminalamt wurde am 21.07.2009 als Antwort auf die Informationsanfrage mitgeteilt, dass aufgrund eines Beschlusses des AK II246 vom 05./06.11.2002 nur in Ausnahmefällen Auskünfte zu Studienzwecken erteilt werden. Diese könnten gegebenenfalls als Verschlusssache eingestuft sein, sodass die Verwendung der Informationen in der vorliegenden Arbeit dazu führen könnte, diese ebenfalls als Verschlusssache einstufen zu müssen. Aus Rücksicht auf diese Schutzmaßnahmen und zur Aufrechterhaltung von Absagen gegenüber anderen Anfragenden wurde in diesem Fall auf die Herbeiführung einer Ausnahme verzichtet. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen daher ausschließlich auf Informationen auf den Internetseiten des BKA247. Die Möglichkeit einer Online-Strafanzeige bietet das BKA auf seinen Internetseiten nicht an. In der dortigen Rubrik „Kontakt“ kann lediglich ein Link angeklickt werden, über den im E-Mail-Programm des Computers eine freitextliche Nachricht an das Bundeskriminalamt generiert wird. Diese Adresse ist dazu bestimmt, Hinweise zu Fahndungsanzeigen des BKA sowie Anfragen, Kritik, Anmerkungen und Erfahrungen zu übermitteln. Zur Anzeigenerstattung, Abgabe von Fahndungshinweisen und Mitteilung von konkreter Gefahr ist sie ausdrücklich nicht gedacht und darüber hinaus für die Mitteilungen in Notsituationen ungeeignet. In diesen Fällen wird darum gebeten, sich an die örtlich zuständige Polizeidienststelle zu wenden. Inwieweit trotzdem dieser Weg zur Anzeige von Straftaten genutzt wird, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. 4.2.18 Bundespolizei Die Ausführungen zur Online-Strafanzeige bei der Bundespolizei beruhen ausschließlich auf Informationen von den Internetseiten der Bundespoli- 246 247 Facharbeitskreis der Innenministerkonferenz zur Inneren Sicherheit, dem die Abteilungsleiter der Innenressorts des Bundes und der Länder sowie die Präsidenten des BKA und der DHPol angehören. Zuletzt aufgerufen am 08.12.2009, 22:50 Uhr. 70 4. Online-Strafanzeige zei248 sowie auf dem Antwortschreiben des Bundespolizeipräsidiums Potsdam.249 Die Bundespolizei hat auf ihrer Homepage keine Online- oder Internetwache eingerichtet; eine gegliederte Möglichkeit zur Erstattung von Strafanzeigen ist dort nicht vorhanden. Gleichwohl werden Hinweise und Beobachtungen aus der Bevölkerung insbesondere zu den bundespolizeilichen Kernaufgaben250 als wichtig für den Erfolg der polizeilichen Arbeit angesehen251 und können aus diesem Grund in Form von Bürgerhinweisen über die Internetseiten der Bundespolizei formulargestützt übermittelt werden. Die Einrichtung dieser Möglichkeit erfolgte aufgrund eines Beschlusses des Bundeskabinetts aus dem Jahr 2001. Umgesetzt wurde sie im Rahmen der E-Government-Initiative der Bundesregierung Bund Online 2005 und am 30.12.2003 realisiert.252 Auf die Funktion der Anzeigenerstattung online wurde dabei bewusst verzichtet. Eine Begründung dieser Entscheidung ist nicht mitgeteilt worden. Dennoch wird im Zusammenhang mit dem Hinweisformular die Erstattung von Strafanzeigen nicht explizit abgelehnt. Dass es auf diesem Wege in Einzelfällen zur Anzeige von Straftaten kommt, wird offenbar zumindest stillschweigend akzeptiert. Bei dem Hinweisformular wird die Angabe von Namen und Adresse zwar als freiwillig bezeichnet, jedoch ist sie ebenso wie die Kenntnisnahme und Akzeptanz von konkreten Nutzungsbedingungen verpflichtend, weil die Übermittlung von Hinweisen sonst technisch nicht möglich ist. Zudem wird darauf hingewiesen, dass anonyme Hinweise in der Regel nicht bearbeitet werden können und in dringenden Fällen der Notruf gewählt werden sollte. 248 249 250 251 252 Zuletzt aufgerufen am 08.12.2009, 22:55 Uhr. Bundespolizeipräsidium vom 26.08.2009, Az. 21 01 00. Vgl. §§ 2-4 BPolG: Grenzpolizeilicher Schutz des Bundesgebietes Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs Vgl. http://www.bund.de/cln_093/DE/Leistungen/E/Entgegennahme-von-Buergerhin weisen-Online-BMI-BPOL.html?nn=42 (zuletzt aufgerufen am 15.09.2009, 19:23 Uhr). S. Fn. 249. 71 4. Online-Strafanzeige Die Online-Hinweise werden an das Bundespolizeipräsidium in Potsdam übertragen und von dort an die zuständige Dienststelle weitergeleitet. Im Monatsdurchschnitt gehen 21 Hinweise ein, sodass seit der Einrichtung dieses Instruments bis einschließlich November 2009 hochgerechnet insgesamt knapp 1.500 Hinweisen eingegangen sein dürften. Dabei ist eine vermehrte Nutzung des Formulars für Bürgerhinweise erkennbar. Aus Sicht der Bundespolizei hat sich das Instrument der OnlineEntgegennahme von Bürgerhinweisen bewährt, wobei unklar ist, worauf diese Auffassung gestützt wird. Insbesondere über die Qualität der Hinweise und ihr Nutzen für die bundespolizeiliche Aufgabenerfüllung wurden keine Erkenntnisse mitgeteilt. Ebenso fehlt eine Relation zu der Summe von Hinweisen und Mitteilungen, die die Bundespolizei auf anderem Wege, darunter auch über eine inzwischen kostenfreie Servicenummer, erreichen. Die Bewährung des Formulars für Bürgerhinweise dürfte jedenfalls nicht auf die online übermittelten Strafanzeigen bezogen sein, denn deren Anzahl ist bei durchschnittlich weniger als einem Bürgerhinweis pro Tag als sehr gering anzusehen. Dafür spricht ebenfalls, dass vonseiten der Bundespolizei weiterhin nicht geplant ist, über das Internet Strafanzeigen entgegenzunehmen. 4.3 Zusammenfassung und Auswertung 4.3.1 Unterschiedlicher Informationsumfang Die vom Inhalt her unterschiedlich umfangreichen Rückmeldungen und sonstigen Informationsquellen führen zu einer uneinheitlichen und in Teilen lückenhaften Datenbasis über die Möglichkeiten zur Erstattung von O-Anzeigen in Deutschland. Ein bundesweiter Vergleich ist unter diesen Voraussetzungen nur eingeschränkt möglich. Die Ergebnisse sind daher nur bedingt vergleichbar. Die nachfolgende Tabelle stellt eine zusammenfassende Übersicht über die Möglichkeiten und Funktionen zur Erstattung von O-Anzeigen dar. 72 4. Online-Strafanzeige Abb. 5: 73 4. Online-Strafanzeige 4.3.2 Online-Strafanzeige in den Bundesländern und bei den Bundesbehörden Bis zum Jahr 2009 nehmen in elf der sechzehn Bundesländer die Polizeibehörden Online-Strafanzeigen entgegen. Diese Möglichkeit wird seitens des Bundeskriminalamtes nicht angeboten. Auch das Hinweisformular der Bundespolizei ist dafür nicht vorgesehen. Nachdem zunächst die Polizei Nordrhein-Westfalen ab 2000 in einzelnen Behörden die Online-Strafanzeige testete, prüften ab 2001 auch zahlreiche andere Landespolizeien die Einrichtung eines solchen Instruments. Als erstes Bundesland führte Brandenburg im Jahr 2003 flächendeckend die O-Anzeige ein. Diesem Vorbild schlossen sich in den Folgejahren mit Ausnahme von Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen alle anderen Bundesländer an. Abb. 6: Überblick über die Online-Anzeigenerstattung bei den Landespolizeien in 253 Deutschland. Die Bundespolizei sowie die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Thüringen haben alternative Möglichkeiten in Form von Kontaktformularen für Mitteilungen verschiedenster Art eingerichtet. Wenngleich diese nicht ausdrück- 253 Quelle: Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., Presseinfo vom 29.03.2009, http://www.bitkom.org/de/presse/30739_ 58601.aspx, zuletzt online aufgerufen am 01.11.2009, 19:53 Uhr. 74 4. Online-Strafanzeige lich für die Erstattung von Strafanzeigen vorgesehen sind, wird dies jedoch geduldet. Das BKA bietet nichts Vergleichbares an. Aufgrund entsprechender Absichtsbekundungen ist damit zu rechnen, dass weitere Landespolizeien ähnliche Internetportale zur Entgegennahme von Strafanzeigen in Betrieb nehmen werden. Trotz der ausführlich begründeten Vorbehalte vonseiten der Innenministerien in Bayern und Rheinland-Pfalz wird auch dort die Möglichkeit geprüft wird, zukünftig O-Anzeigen über eine Online- oder Internetwache entgegen zu nehmen. 4.3.3 Fehlende Einheitlichkeit Neben der Tatsache, dass nicht in allen Bundesländern die Polizei die Online-Erstattung von Strafanzeigen anbietet, verdeutlichen einige Unterschiede in den Angeboten die fehlende bundesweite Einheitlichkeit zu diesem Thema. 4.3.3.1 Bezeichnung Die Rahmenportale, in denen die Funktion der Online-Strafanzeige eingebunden ist, werden in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich bezeichnet. Teilweise wurde dafür der Begriff ‚Internetwache’, in anderen das Wort ‚Onlinewache’ gewählt. Die vergleichbare Einrichtung heißt in Nordrhein-Westfalen ‚Bürgerservice’ und in Sachsen-Anhalt ‚eRevier’. Im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern ist die Brandenburger ‚Internetwache’ nicht als Begriff für eine Rubrik mit Onlinedienstleistungen zu verstehen, sondern als Bezeichnung für die gesamte Homepage der Landespolizei. In Nordrhein-Westfalen steht der gleiche Ausdruck dagegen für ein besonderes Portal zur Übermittlung von Hinweisen auf Gewalttaten. 4.3.3.2 Umfang der Eingabemasken Die Unterschiede zeigen sich auch in Funktionsumfang, Handhabung und Gestaltung der Eingabemasken von O-Anzeigen. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg orientieren sich in allen Bundesländern, in denen Online-Strafanzeigen angeboten werden, die Formularfelder an den notwendigen Grunddaten einer Strafanzeige. Brandenburg, 75 4. Online-Strafanzeige Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bieten darüber hinaus mindestens ein deliktsspezifisches Formular an. 4.3.3.3 Akzeptanz von anonymen O-Anzeigen Die Möglichkeiten, anonyme Online-Strafanzeigen zu erstatten, wird in der Regel nur sehr eingeschränkt eingeräumt. Zwar ist die Eingabe von Personaldaten oftmals technisch nicht zwingend notwendig, doch sehen die meisten Bundesländer zur gegebenenfalls notwendigen Ermittlung des Anzeigenerstatters eine Speicherung der IPAdresse des verwendeten Rechners vor und weisen in unterschiedlicher Deutlichkeit darauf hin. Teilweise ist ohne eine Einwilligung in die Datenspeicherung keine Erstattung von O-Anzeigen möglich. Die Polizei Hamburg setzt zusätzlich eine vorherige Registrierung mit Benutzername und Kennwort voraus. Eine absolute Anonymität wird daher auf diese Weise nicht gewährleistet und soll zumindest erschwert werden. Gleichwohl können anonyme Anzeigenerstatter die Ermittlung der eigenen Person erschweren, indem sie bei der Anzeigenerstattung Anonymisierungsdienste254 in Anspruch nehmen oder auf fremde Rechner beziehungsweise Internetanschlüsse ausweichen. Bei vier der vorhandenen Portale lassen sich keine Hinweise auf eine Speicherung der IP-Adresse finden.255 Während beispielsweise in Niedersachsen und in Brandenburg separate Möglichkeiten ausschließlich zur anonymen Anzeige von Wirtschaftskriminalität und Korruption angeboten werden, lässt Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland uneingeschränkt anonyme Online-Strafanzeigen zu. Zur Rechtslage im Umgang mit anonymen / pseudonymen Strafanzeigen wird auf Kapitel 2.4.1verwiesen. 4.3.3.4 Rechtliche Belehrungen Rechtsbelehrungen insbesondere über das Vortäuschen von Straftaten und über die bewusst falsche Verdächtigung sind auf allen Anzeigeporta- 254 255 Systeme, die die Identifizierung des Internetnutzers erschweren oder verhindern, zum Beispiel durch Aufruf einer entsprechenden Internetseite, über die die eigentliche Internetadresse aufgerufen wird. Vgl. Wölk (2009), S. 31. 76 4. Online-Strafanzeige len der Landespolizeien zu finden. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich in Erkennbarkeit, Umfang und Wortwahl. 4.3.3.5 Hinweise für Notfälle Auch die Hinweise auf die Ungeeignetheit einer Online-Strafanzeige in Notfällen und die Verweise auf den polizeilichen Notruf oder eine Polizeidienststelle fallen recht unterschiedlich aus. Zwar wird nahezu durch alle Bundesländer eine sofortige Sichtung der eingegangenen OnlineStrafanzeigen vorgenommen. Ob dies jedoch eine Gewährleistung zur Einleitung unmittelbar notwendiger polizeilicher Maßnahmen ist, bleibt oftmals jedoch unklar. Eine solche Zusicherung ist nur bei den OnlineStrafanzeigen in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein erkennbar. 4.3.3.6 Zusatzfunktionen Zusätzliche Funktionen und Möglichkeiten wie vorausgefüllte Anzeigenvorlagen, ein persönliches Benutzerkonto und die automatisierte Datenübernahme in das polizeiliche Vorgangsverwaltungssystem werden durch die Landespolizeien Brandenburg, Hamburg und Hessen angeboten oder sind dort und in einzelnen anderen Bundesländern in Planung. 4.3.4 Anzeigenaufkommen 4.3.4.1 Deliktsstruktur Die Deliktsstruktur der Online-Strafanzeigen wird nicht durchgängig ausgewertet. Sofern Angaben hierzu vorliegen, betreffen die OnlineStrafanzeigen ganz überwiegend Delikte der Massenkriminalität. Als Schwerpunkte haben sich Diebstahl (insbesondere aus/an/von Fahrzeugen) und Betrug (auch Internetauktionsbetrug), Sachbeschädigung, Körperverletzung und Straßenverkehrsdelikte herausgestellt. Darüber hinaus werden teilweise auch andere leichte bis mittelschwere Straftaten wie Hausfriedensbuch, Unterschlagung, Bedrohung, Nötigung, Beleidi- gung/Verleumdung/Üble Nachrede, Urkundenfälschung und in Einzelfällen andere strafrechtliche Verstöße zur Anzeige gebracht. 77 4. Online-Strafanzeige 4.3.4.2 Bedingte Vergleichbarkeit Die Menge der O-Anzeigen in den einzelnen Bundesländern lässt sich nur bedingt miteinander vergleichen. Teilweise umfassen sie unterschiedliche Zeiträume, sind gerundet, oder es wurde nicht zwischen Anzeigen und strafrechtlich nicht relevanten Hinweisen unterschieden. Sonstige Mitteilungen, die dagegen zu einem Ermittlungsverfahren führten, wurden zumeist nicht als Anzeige gezählt und fehlen daher in den Summenwerten. Diese Einschränkungen müssen bei einem bundesweiten Vergleich berücksichtigt werden. 4.3.4.3 Anteile der Online-Strafanzeigen an Gesamtkriminalität Der Anteil der Online-Strafanzeigen an dem gesamten Anzeigenaufkommen des jeweiligen Bundeslandes beträgt durchschnittlich rund 2 %, variiert zwischen den Bundesländern jedoch sehr stark. Er liegt in BadenWürttemberg mit weniger als 0,5 % am niedrigsten und mit gut 5 % in Brandenburg am höchsten. Für diese großen Unterschiede gibt es, wie nachfolgend dargestellt, mehrere Einflussfaktoren und Erklärungsansätze. 4.3.4.4 Mögliche Ursachen für hohes Online-Strafanzeigenaufkommen Seit der Einrichtung von Online-Strafanzeigen steigt deren Zahl in allen Bundesländern mit Ausnahme von Sachsen. Die Gründe für diese Entwicklung können vielseitig sein. So dürften sich eine zunehmende Verbreitung von Internetzugängen, ein wachsender Bekanntheitsgrad von Internet- und Onlinewachen sowie fortlaufende Optimierungen der Internetportale und Anzeigenformulare begünstigend auf das Anzeigenaufkommen auswirken. Auch gezielte themenbezogene Öffentlichkeitsarbeit sowie eine zentrale Platzierung des Angebotes auf den Internetportalen der Landespolizeien können zu einer Steigerung beitragen.256 Etwas überdurchschnittliche Anteile von Online-Strafanzeigen liegen in Hessen und Nordrhein-Westfalen vor. Dort kommen zu einem allgemeinen Formular auch deliktsspezifische Eingabemasken zur Anwendung. 256 Vgl. Rüther (w2009), S. 7 und 10. 78 4. Online-Strafanzeige Zudem bietet Hessen als bislang einziges Bundesland eine Datenschnittstelle für regelmäßig Anzeigende wie Verkehrsbetriebe und Warenhäuser. Dies ist in Nordrhein-Westfalen noch nicht umgesetzt; dort besteht jedoch die längste Erfahrung mit O-Anzeigen, sodass diese dort bekannter sein könnten als in anderen Bundesländern. Außergewöhnlich hoch sind die Anteile der O-Anzeigen an der Gesamtkriminalität in Brandenburg (5,13 % im Jahr 2008) und Berlin (im Jahr 2009 bis zu 6,43 % möglich, siehe Fn. 116). Hierfür dürfte entscheidend sein, dass die Brandenburger Polizei als Erste flächendeckend die OnlineStrafanzeige einführte, zahlreiche Funktionen anbietet und die Internetwache durch mehrere Pressemitteilungen beworben wurde. Diese Umstände könnten auch auf den Anteil der O-Anzeigen in Berlin und im angrenzenden Mecklenburg-Vorpommern (3,2 % im Jahr 2008) verstärkenden Einfluss haben. 4.3.4.5 Mögliche Ursachen für niedriges Online-Strafanzeigenaufkommen Besonders niedrige Zahlen können ein Indiz sein für eine eher unauffällige oder versteckte Verlinkung des Online-Portals mit der Homepage der jeweiligen Landespolizei.257 Dies erschwert es Internetnutzern und potenziellen Anzeigeerstattern, auf die Möglichkeit einer O-Anzeige aufmerksam zu werden. Auch eine überwiegend schlichte Gestaltung des OnlinePortals ohne deliktsspezifische Formulare, besondere Funktionen und konkrete Erläuterungen und Hilfestellungen mag ein Grund für die geringe Nutzung darstellen. All diese Punkte treffen auf die Internetwache BadenWürttemberg zu. Auch der Anteil der O-Anzeigen in Hamburg ist mit weniger als 1 % im Jahr 2006 als sehr gering zu bezeichnen. Ausschlaggebend hierfür könnte die Pflicht zur vorherigen Registrierung sein, die in dieser Form in keinem anderen Bundesland besteht. 257 Vgl. Rüther (w2009), S. 9ff. 79 4. Online-Strafanzeige 4.3.5 Fehlende Untersuchungen Die pauschalen positiven Einschätzungen der Anbieter von OnlineStrafanzeigen haben in aller Regel keine wissenschaftlichen Grundlagen. Entsprechende Untersuchungen, die zur Feststellung der wirklichen Effektivität und Effizienz vonnöten sind, liegen nicht vor. Evaluationen sind weder über die demografische Struktur der Anzeigenerstatter und deren Motive, noch über die Aufklärbarkeit der online angezeigten Straftaten, über den Grad des Nachermittlungsaufwands oder der Arbeitserleichterung für die Polizei bekannt. Lediglich eine erste empirische Untersuchung des Instruments der Online-Strafanzeige in Nordrhein-Westfalen wurde im Jahr 2001 im Rahmen einer Projektarbeit durch einen Studierenden der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln vorgenommen. Zudem führte das Kriminologische Institut der Universität Bonn eine ähnlich gelagerte Untersuchung durch, allerdings ist das Forschungsprojekt Praxis der Online-Strafanzeigen derzeit noch nicht abgeschlossen. 4.3.6 Missbräuchliche Online-Strafanzeigen Zu missbräuchlicher Erstattung von Online-Strafanzeigen ist es nach Auswertung der verfügbaren Informationen vermeintlich nicht oder nur in Einzelfällen gekommen. Diese pauschale Darstellung ist jedoch nicht näher belegt. Es ist anzunehmen, dass dieser Auffassung ein sehr enges Begriffsverständnis im Sinne von ‚offensichtlich missbräuchlich’ zugrunde liegt und nur die O-Anzeigen so eingestuft werden, deren Inhalt offenkundiger Unfug ist. Online-Strafanzeigen, deren zugrunde liegender Sachverhalt jedoch erfunden oder übertrieben ist, um zum Beispiel Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen, müssten ebenfalls als missbräuchlich angesehen werden. Jedoch erscheint es nicht möglich, den Umfang derartiger O-Anzeigen zu beziffern, insbesondere, wenn die Anzeige keinen Ermittlungsansatz bietet. 4.3.7 Es ist Weiterentwicklungen absehbar, dass weitere Bundesländer zukünftig Online- Strafanzeigen entgegennehmen werden (siehe Kapitel 4.3.2). 80 4. Online-Strafanzeige Darüber hinaus planen die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen eine Weiterentwicklung im Bereich der Online-Strafanzeige. Diese betreffen insbesondere die Einrichtung einer Schnittstelle für Geschädigte von Massenkriminalität. Offenbar ist das diesbezügliche Potenzial zur Verwaltungsvereinfachung (siehe Kapitel 5) erkannt worden und soll genutzt werden. Diesem Ziel dienen auch Vorhaben wie die Einführung eines digitalen Strafantrags in Hessen oder und die Zulässigkeit von Dateianhängen. 5 Fazit und Ausblick Die Möglichkeit, formulargestützt über das Internet eine Straftat bei der Polizei anzuzeigen, bietet vor allem für die Anzeigenerstatter einige Vorteile: Ohne an Ort oder Zeit oder gebunden zu sein, kann die O-Anzeige jederzeit und von nahezu überall ausgefüllt und abgeschickt werden. Der dafür notwendige Zeitaufwand ist im Regelfall gering, da grundsätzlich der Weg zu einer Polizeiwache und dortige eventuelle Wartezeiten entfallen. Dies ergab eine erste Evaluation beim Polizeipräsidium Köln im Jahr 2002, wonach etwa zwei Drittel der Befragten die neue Form der Anzeigenerstattung bevorzugten, weil diese für sie einfacher und weniger aufwendig war.258 Die O-Anzeige wird seitens der Anbieter als bequem und schnell259, bürgerfreundlich260 und modern261 bezeichnet. Der Anzeigenerstatter kann auf diesem Wege nicht von der Polizei abgewiesen und die Aufnahme seiner Anzeige nicht abgelehnt werden.262 Dies wäre ansonsten wegen des Strafverfolgungszwangs für Polizeibeamte strafbar (siehe Kapitel 2.2). Aus technischer Sicht ist zur Nutzung dieses Anzeigeweges lediglich ein Internetzugang erforderlich, der in mittlerweile 69 % aller deutschen 258 259 260 261 262 Rüther (w2009), S. 15. Vgl. Pressemitteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 22.03.2004, online aufgerufen am 07.10.2009, 11:08 Uhr. S. Fn. 239. S. Fn. 123. Vgl. Schwind (2009), § 20 Rdn. 7a. 81 5. Fazit und Ausblick Haushalte vorhanden ist263. Darüber hinaus bedarf es der individuellen Fähigkeit, die Formulare einer O-Anzeige auszufüllen. Menschen, die allerdings über eine dieser Voraussetzungen aufgrund ihres Alters, ihres Einkommens, ihres Bildungsstandes, aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen oder aus anderen Gründen nicht verfügen, bleibt das Instrument der Online-Strafanzeige vorenthalten.264 In einigen Fällen ist es zudem weiterhin nötig, postalisch oder persönlich bei einer Polizeidienststelle265 Unterlagen, wie Kaufbelege oder Fotografien entwendeter Gegenstände sowie bei Antragsdelikten (siehe Kapitel 2.6) einen eigenhändig unterschriebenen Strafantrag nachzureichen. Dieses Erfordernis entfällt zukünftig zum Teil in Brandenburg und Hessen, wenn Dateianhänge an einer O-Anzeige beziehungsweise ein elektronischer Strafantrag möglich sind. Seitens der Polizei muss zumindest auf Anforderung des Anzeigenerstatters weiterhin postalisch oder auf anderem Wege ein Nachweis über die Anzeigenerstattung in Form einer Bescheinigung oder eines Aktenzeichens übermittelt werden. Dies ist in der Regel die Voraussetzung zur Schadensregulierung durch Versicherungen und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wie Schadensersatz und Schmerzensgeld. Aufseiten der Polizei bringt die Möglichkeit der Online-Erstattung von Strafanzeigen jedoch auch eine Reihe von Nachteilen mit sich. Soweit bekannt, werden – außer in Brandenburg, Hamburg und Hessen – in den meisten Bundesländern die O-Anzeigen nicht automatisch in die polizeilichen Vorgangsverwaltungssysteme übernommen, sondern müssen manuell nachgetragen werden. Dieser Medienbruch führt zu Mehrarbeit für die kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter und kann möglicherweise den Anteil von Übertragungsfehlern erhöhen. Nachteilig ist außerdem die fehlende unmittelbare Kommunikation zwischen der Polizei und dem Anzeigenerstatter. Eine korrekte und vollständige Tatbestandsfeststellung ist ebenso schwer möglich, wie individuelle Hinweise auf Opferrechte und Präventionsmöglichkeiten und müssen da- 263 264 265 Vgl. Czajka/Mohr (2009), S. 554. Vgl. Puschke (2005), S. 383-384. S. Fn. 219; vgl. auch die Erläuterungen zur Online-Anzeige auf den Internetseiten der Polizei Nordrhein-Westfalens. 82 5. Fazit und Ausblick her gegebenenfalls nachträglich erfolgen. Bei inhaltlichen oder qualitativen Mängeln der O-Anzeigen können Detail- und Rückfragen nur zeitverzögert gestellt werden. Diesen Defiziten begegnen einige Landespolizeien wie die in Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen mit detaillierten deliktsspezifischen Formularen, die mit Erläuterungen und konkreten Fragestellungen verbunden sind. Brandenburg hat darüber hinaus im Rahmen seiner Internetwache als einziges Bundesland die Möglichkeit zur Einrichtung eines persönlichen Benutzerkontos geschaffen, über das (auch anonym) mit dem polizeilichen Sachbearbeiter Nachrichten ausgetauscht werden können. Trotz aller systemtechnischen Einrichtungen und Vorkehrungen wie zum Beispiel bestätigungspflichtiger Rechtsbelehrungen kann bei OnlineStrafanzeigen nur bedingt die Glaubwürdigkeit des Anzeigenerstatters und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben eingeschätzt werden, da der persönliche Eindruck des Polizeibeamten fehlt. Vor dem Hintergrund, dass durch die Einrichtung der O-Anzeige Berührungsängste und Hemmschwellen zur Kontaktaufnahme mit der Polizei gesenkt werden sollen 266, und „Menschen … über das Internet spontaner bereit [sind], Anzeige zu erstatten“267, muss damit gerechnet werden, dass vor allem bei Strafanzeigen mit unbekanntem Tatverdächtigen die Wahrscheinlichkeit einer falschen beziehungsweise übertriebenen Darstellung steigt.268 Derartige Strafanzeigen stellen dann ein Beweismittel gegen den Anzeigenerstatter dar, zum Beispiel wegen Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), Falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) oder Betrugs (§ 263 StGB). Ihre Verwertbarkeit im Strafverfahren als Beweis erscheint jedenfalls dann fraglich, wenn zweifelhaft ist, ob der Anzeigenerstatter die rechtlichen Hinweise intellektuell verstanden hat.269 Durch die O-Anzeige als zusätzliche Möglichkeit zur Anzeigenerstattung erhöht sich die grundsätzliche Anzeigebereitschaft. Dies führt zu einem vermehrten Anzeigeaufkommen. Bei einer Untersuchung im Rahmen ei- 266 267 268 269 S. Fn. 185. S. Fn. 202. Vgl. Puschke (2005), S. 388. BGHSt 39, 349 und NStZ 1994, 95. 83 5. Fazit und Ausblick ner Projektarbeit der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln im Jahr 2002 wurde bekannt, dass ca. 30 % der O-Anzeigen ohne die Möglichkeiten des Internets nicht gestellt worden wären.270 Wenngleich die Gründe für eine Nichtanzeige von Straftaten vielfältig sein können271, betrifft dieses Mehr an Strafanzeigen mutmaßlich solche Delikte, bei denen bislang offenbar ein Tätigwerden der Strafverfolgungsbehörden nicht notwendig war, zum Beispiel weil die geringe Schwere der Tat oder des Schadens dies nicht erforderlich machten, kein Tatverdächtiger bekannt war oder es zu einer Regelung auf der Ebene der Instanzen der informellen Sozialkontrolle272 gekommen ist. Das erhöhte Anzeigenaufkommen durch die zusätzlichen O-Anzeigen bedeutet grundsätzlich für Polizei und in der Folge auch für Staatsanwaltschaft und Justiz Mehrarbeit, die aber bislang vermutlich durch die seit einigen Jahren sinkenden Fallzahlen der registrierten Gesamtkriminalität273 kompensiert werden kann. Eine Vereinfachung und Erleichterung stellen dagegen die Datenschnittstellen zur Übernahme der Online-Strafanzeigen in die polizeilichen Vorgangsbearbeitungssysteme dar, wie sie bereits in Brandenburg, Hamburg und Hessen realisiert sind. Die Daten werden automatisch in die polizeilichen Softwareprogramme übernommen und müssen nicht manuell nachgetragen, sondern allenfalls in Teilen angepasst werden. Der Verwaltungsaufwand für die Polizei erscheint hier vorteilhaft reduziert zu werden. In Hamburg und Hessen sowie zukünftig auch in weiteren Bundesländern können obendrein über eine zusätzliche Schnittstelle Massen- und Bagatellanzeigen aus den Vorgangsverwaltungssystemen von registrierten Unternehmen wie Kaufhäusern und Verkehrsbetrieben online übernommen werden. Hier wird auf die Daten, die durch die regelmäßig Anzeigenden ohnehin in eigene Systeme eingetragen werden, zurückgegriffen. Doppelarbeit aufseiten der Anzeigenerstatter, die durch die Eingabe in die eigenen Systeme und darüber hinaus in die Formulare der OnlineStrafanzeige entstehen, entfällt damit. In Hessen wurden auf diese Weise 270 271 272 273 S. Fn. 258. Vgl. Schwind (2009), § 20 Rdn. 5ff. Zum Beispiel Jugendamt, Sozialamt, Vereine, Verbände und Nachbarschaft. Vgl. Bundeskriminalamt (2009), S. 29, G1. 84 5. Fazit und Ausblick bislang rund 5.200 Online-Strafanzeigen274 zu Ladendiebstählen, Leistungserschleichungen und ähnlichen Massen- und Bagatelldelikten registriert. Dies entspricht rund 13,5 % aller Online-Strafanzeigen in Hessen. Wenn zukünftig durch die Einführung eines digitalen Strafantrags keine Dokumente mehr auf dem Postweg übersandt werden müssen, ist eine größere Akzeptanz und Nutzung dieser Möglichkeit bei regelmäßigen Anzeigenerstattern zu erwarten, die zu einer weiteren Erhöhung des Anteils derartiger O-Anzeigen führen dürfte. Das Potenzial solcher OnlineStrafanzeigen ist bei insgesamt jährlich knapp 600.000 registrierter Ladendiebstähle und Leistungserschleichungen275 noch sehr groß. Gingen alle Anzeigen zu diesen Delikten online über entsprechende Datenschnittstellen ein, entspräche dies einem Anteil von fast 10 % an der registrierten Gesamtkriminalität. Dies dürfte eine erhebliche Entlastung in der Verwaltungsarbeit bedeuten und die Bearbeitungsdauer der Vorgänge beschleunigen. Die kriminalistischen Prinzipien der Beweisführung werden dabei nicht durchbrochen, weil bei den für diese Form der Anzeigenerstattung geeigneten Delikten in der Regel ein Tatverdächtiger namentlich bekannt ist und die Feststellungen des Zeugen (Ladendetektiv, Fahrkartenkontrolleur etc.) für die Beweisführung ausreichend sind. Darüber hinausgehende polizeiliche Sofortmaßnahmen sind grundsätzlich nicht erforderlich. Die im Einzelfall notwendigen polizeilichen Maßnahmen (Identitätsfeststellung, Fahndungsüberprüfung, Durchsuchung etc.) bleiben gewährleistet, wenn weiterhin im Bedarfsfall die Polizei hinzugezogen wird. Die entsprechend geschulten Detektive und Kontrolleure sind üblicherweise in der Lage, eine sachgerechte Entscheidung hierüber zu treffen. Vorteilhaft dürfte das Instrument der O-Anzeige darüber hinaus auch für das Image und das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit sein. Entsprechend der zunehmenden Bedeutung des Internets auch im Bereich 274 275 Telefonat mit Hr. Wienand, Hessisches Landeskriminalamt, vom 01.12.2009, 12:55 Uhr. Die Gesamtzahl von 595.933 Straftaten in diesem Bereich im Jahr 2008 setzt sich zusammen aus den Einzelsummen der PKS-Schlüsselzahlen 326 *00 (Ladendiebstahl ohne erschwerende Umstände), 426 *00 (Ladendiebstahl unter erschwerenden Umständen) und 515 000 (Erschleichen von Leistungen). Dies entspricht einem Anteil von 9,75 % an allen im Jahr 2008 registrierten Straftaten. Vgl. dazu Bundeskriminalamt (2009), Tabelle 01 - Grundtabelle -, S. 1, 4 und 6. 85 5. Fazit und Ausblick der online verfügbaren Verwaltungsdienstleistungen darf erwartet werden, dass auch die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihre Internetauftritte zeitgemäß halten und ebenfalls entsprechende Möglichkeiten anbieten. Im Ergebnis ist festzustellen, dass eine Online-Strafanzeige eine Reihe von bedeutsamen Nachteilen mit sich bringt, die zwar durch technische Vorkehrungen und inhaltliche Gestaltung der Internetportale sicherlich reduziert, vermutlich jedoch nie ganz ausgeräumt werden können. Vor diesem Hintergrund kann sie regelmäßig – jedenfalls in qualitativer Hinsicht – die persönliche und unmittelbare Anzeigenerstattung bei Polizeibeamten vor Ort oder auf einer Polizeidienststelle nicht ersetzen, sofern gewährleistet ist, dass die polizeiliche Anzeigenaufnahme umfassend und lückenlos erfolgt. Nur bei einfach gelagerten Sachverhalten sowie bei Bagatell- und Massendelikten, bei denen die Anforderungen an die Anzeigenaufnahme und die kriminalistische Beweisführung geringer sind, dürften OnlineStrafanzeigen den Qualitätsansprüchen genügen. So gesehen sind sie nichts anderes als eine moderne Form von (fern)schriftlichen Strafanzeigen. Im Unterschied zu diesen wird für OnlineStrafanzeigen jedoch durch Pressemitteilungen und Gestaltung der Internetauftritte der Landespolizeien geworben. Letztlich ist die Entscheidung zur Entgegennahme von O-Anzeigen und deren Weiterentwicklung eine Abwägung von Kosten und Nutzen. Der bundesweite Vergleich hat gezeigt, dass bei den Landespolizeien offenbar keine einheitliche Auffassung zur Online-Strafanzeige besteht. Dies wurde einerseits in Art und Umfang der Rückmeldungen auf die Informationsanfrage aber auch bei der Gegenüberstellung der einzelnen Internetportale deutlich. Trotzdem werden zukünftig weitere Bundesländer die Möglichkeit zur Online-Erstattung von Strafanzeigen anbieten, obwohl dieses Instrument sogar auch innerhalb der einzelnen Landespolizeien nicht unumstritten ist. Es ist davon auszugehen, dass langfristig in allen sechzehn Bundesländern Online-Strafanzeigen entgegengenommen werden. 86 5. Fazit und Ausblick Auch wenn bei einigen Landespolizeien die Abwägung der Vor- und Nachteile von Online-Strafanzeigen bereits jetzt oder in Zukunft anders ausfallen sollte als noch zum Zeitpunkt ihrer Einrichtung, so erscheint es auch vor dem Hintergrund der weiterhin wachsenden Bedeutung des Internets unwahrscheinlich, dass dieses Instrument eingestellt wird. Denkbar ist jedoch, dass es in einzelnen Bundesländern weniger offensiv beworben wird und in den entsprechenden Internetportalen buchstäblich in den Hintergrund rückt. Zugunsten der Anzeigenerstatter wäre es wünschenswert, die Angebote zur Online-Erstattung von Strafanzeigen in Handhabung und Funktionsumfang zu vereinheitlichen und über ein bundesweit zentrales Internetportal erreichbar zu machen. Dies könnte die Akzeptanz der Bürger gegenüber dieser Möglichkeit erhöhen. 87 6. Verzeichnisse und Anhang 6 Verzeichnisse und Anhang 6.1 Abbildungen Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: 6.2 Gesamtzahl der Online-Strafanzeigen in Brandenburg in den Jahren 2003 bis 2009 40 Gesamtzahl der Online-Vorgänge in Hessen in den Jahren 2005 bis 2009 48 Gesamtzahl der Online-Strafanzeigen in MecklenburgVorpommern in den Jahren 2005 bis 2009 51 Gesamtzahl der Online-Strafanzeigen in Niedersachsen in den Jahren 2007 und 2008 55 Vergleichende Übersicht über die Möglichkeiten einer Online-Anzeige in Deutschland 72 Überblick über die Online-Strafanzeigenerstattung bei den Landespolizeien in Deutschland 74 Literatur Backes, Otto / Lindemann, Michael: Staatlich organisierte Anonymität als Ermittlungsmethode bei Korruptions- und Wirtschaftsdelikten, Heidelberg 2006. Baurmann, Michael / Schädler, Wolfram: Das Opfer nach der Straftat - seine Erwartungen und Perspektiven. 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Über die gängigen Internetsuchdienste wie Google, Bing oder Yahoo! sind die Startseiten der Landespolizeien, des BKA, des Bundespolizeipräsidiums und in der Folge die dazugehörigen Unterseiten problemlos zu finden. 91 6. Verzeichnisse und Anhang Das Gleiche gilt für die verwendeten Pressemitteilungen der Innenministerien, die allesamt über die jeweiligen Internetseiten der Innenministerien online recherchierbar sind. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (Hg.) (w2009): EGovernment-Handbuch (Online-Version). (BSI-Schriftenreihe zur ITSicherheit, Bd. 11). https://www.bsi.bund.de/cln_136/DE/Themen/ EGovernment/EGovernmentHandbuch/OnlineVersion/onlineversion_node .html, zuletzt online aufgerufen am 08.11.2009, 12:51 Uhr. Dreuw, Jörn (w2007): Online-Anzeigen nehmen zu. http://www.focus.de/ digital/internet/internetwachen_aid_122708.html, vom 15.01.2007, zuletzt online aufgerufen am 08.11.2009, 12:52 Uhr. FOCUS Online (Hg.) 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Verzeichnisse und Anhang 96 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.1.2 Innenministerien der Länder Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen; Innensenator Bremen sowie Bundeskriminalamt 97 6. Verzeichnisse und Anhang 98 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.1.3 Bundespolizeipräsidium 99 6. Verzeichnisse und Anhang 100 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2 Bildschirmausdrucke 6.5.2.1 Internetwache der Polizei Baden-Württemberg 101 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2 Internetwache der Polizei Brandenburg 6.5.2.2.1 Hinweise zur Anzeigenerstattung 6.5.2.2.2 Formular zur Auswahl der Anzeigenart 102 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2.3 Formular zur Tatbeschreibung 103 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2.4 Formular zur Beschreibung von beschädigten / gestohlenen Sachen 6.5.2.2.5 Formular zur Angabe des Geschädigten 104 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2.6 Formular zur Benennung von Zeugen 6.5.2.2.7 Formular zur Benennung von Beschuldigten 105 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2.8 Formular zur Eingabe von weiteren Informationen 6.5.2.2.9 Formular zur Auswahl des zuständigen Polizeipräsidiums 106 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2.10 Formular zur Auswahl der Log-in-Art 6.5.2.2.11 Formular zur Eingabe der persönlichen Daten 107 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2.12 Zusammenfassende Seite 108 6. Verzeichnisse und Anhang 6.5.2.2.13 Sendebestätigung 109 Ehrenwörtliche Erklärung Ehrenwörtliche Erklärung „Ich versichere durch meine Unterschrift, dass ich die vorstehende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe angefertigt und alle Stellen, die ich wörtlich oder annähernd wörtlich aus Veröffentlichungen entnommen habe, als solche kenntlich gemacht habe, mich auch keiner anderen als der angegebenen Literatur oder sonstiger Hilfsmittel bedient habe. Die Arbeit hat in dieser oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen.“ Erkrath, 15. Dezember 2009 ____________________________ (Stephan Ottens) 110