Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007

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Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
Prof. Dr. F. Jeßberger
Mapping Universal Jurisdiction
Universität Hamburg
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo
Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
In der Strafsache ./. D.R. u.a. – AZ der Generalbundesanwältin 3 ARP 156/06-2
beantrage ich namens und in Vollmacht folgender Anzeigenerstatter:
1. A.H.D.
2. A.H.H.
3. A.H.M.
4. U.A.H.
5. A.A.H.
6. I.J.M.
7. F.A.A.
8. A.S.N.
9. A.S.A.
10. M.G.A.
11. B.K.M.,
12. Y.M.A. (durch Schriftsatz vom 8.12.2006), alle irakische Staatsbürger, Personalien wie
Strafanzeige
sowie den in dem Gefangenenlager Guantánamo-Bay auf Kuba inhaftierten saudi-arabischen Anzeigeerstatter
13. M.Q., vertreten durch seine Verteidigerin G.G., Center for Constitutional Rights, New York,
USA
gegen folgende US-amerikanische Staatsbürger
1. den ehemaligen Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika, D.R., St. Michels, USA
2. den ehemaligen Direktor der Central Intelligence Agency (CIA), G.T., Potomac, USA
3. den ehemaligen Unterstaatssekretär für Nachrichtendienste im US- Verteidigungsministerium, S.C., letzte bekannte Adresse: Washington D.C., USA
4. den Generalleutnant R.S., zuletzt bekannte Funktion und Adresse: Kommandierender General, 5. Corps, Heidelberg, Deutschland
5. den inzwischen pensionierten Generalmajor G.M., Privatadresse unbekannt
6. den Generalmajor W.W., zuletzt bekannte Funktion und Adresse: 5. Corps, Heidelberg,
Deutschland
7. den Oberst T.P., zuletzt bekannte Funktion und Adresse: Brigadekommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, Wiesbaden, Deutschland
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8. Major General B.F., zuletzt bekannte Funktion und Adresse: Commanding General U.S.
Army Intelligence Center and Ft. Huachuca, USA
9. M.W., zuletzt bekannte Funktion und Adresse: Center for Military Law and Operations,
United States Army, Office of the Judge Advocate General, USA oder 5. Corps, Heidelberg,
Deutschland
10. ehemaligen Justizminister der Vereinigten Staaten von Amerika A.G., zuletzt bekannte Adresse, Washington D.C., USA
11. W.H., General Council, Department of Defense, Washington D.C., USA
12. D.A., The White House, Washington D.C., USA
13. J.Y., Professor of Law, U.C. Berkeley School of Law, USA
14. J.B. , 9. Circuit U.S. Court of Appeal, San Francisco, USA
wegen sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Kriegsverbrechen
gegen Personen sowie Vorgesetztenverantwortlichkeit §§ 8, 4, 13 und 14 Völkerstrafgesetzbuch
(VStGB) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 Strafgesetzbuch (StGB) i.V.m. §§
1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und der UN-Anti-Folterkonvention,
durch gerichtliche Entscheidung die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigten,
hilfsweise die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesanwaltschaft,
anzuordnen.
Der Antrag richtet sich gegen den Bescheid der Generalbundesanwältin beim Bundesgerichtshof
vom 26. April 2007, in dem mitgeteilt wird, dass der Strafanzeige vom 14. November 2006 keine
Folge geleistet wird, sowie gegen den die Gegenvorstellung der Antragsteller abweisenden Beschluss der Generalbundesanwältin vom 11.08.2007, in dem die Entscheidung vom 26. April 2007
bestätigt wird.
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Gliederung
1. Sachverhalt
1.1 Strafanzeige von Rechtsanwalt W.K. vom 14.11.2006
1.2 Schriftsatz der Bundesanwaltschaft vom 14.11.2006
1.3 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 24.11.2006
- Beitritt weiterer Organisationen
1.4 Schriftsatz der Bundesanwaltschaft, vom 04.12.2006
1.5 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 08.12.2006
- Beitritt weiterer Organisationen sowie weiterer Anzeigeerstatter
1.6 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 25.01.2006 und 30.01.2006
1.7 Sachverständige Stellungnahme M.S. vom 14.02.2007
1.8 Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 12.03.2007
1.9 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 23.03.2007
1.10 Ergänzender Schriftsatz des Rechtsanwalt W.K. vom 28.03.2007 - Entscheidung des
United States District Court for the District of Columbia m 23.03.2007
2. Gang des Ermittlungsverfahren
2.1 Einstellungsvermerk der Generalbundesanwältin vom 05.0 4. 2007
2.2 Gegenvorstellung des Rechtsanwalt W.K. vom 22.06.2007
2.3 Gegenvorstellungsbeschluss der Generalbundesanwältin vom 11.08.2007
3. Formelle Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens
3.1 Antragsbefugnis
3.2 Einhaltung der Fristen
3.3 Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz Einstellung nach § 153f StPO
3.4 Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahren trotz nicht erfolgter Aufnahmen von Ermittlungen
3.5 Örtliche Zuständigkeit
4. Materielle Voraussetzungen
4.1 Fehlerhafte Einstellung nach § 153f Abs. 1 i.V.m. § 153f Abs. 2 StPO
4.1.1 Zu unrecht angenommener Ermessensspielraum
4.1.1.1 Keine Ermittlungen zum Inlandsaufenthalt der Beschuldigten
4.1.1.2 Vorheriger Inlandsaufenthalt eines jeden der Beschuldigten
4.1.1.3 Zukünftiger Inlandsaufenthalt zu erwarten
4.1.2 Willkürliche Ermessensausübung
4.1.2.1 Gerichtlich überprüfbar
4.1.2.2 § 153f StPO und Zielsetzung des VStGB
4.1.2.3 Falsche Prognose hinsichtlich des zu erwartenden Ermittlungserfolges
4.1.3 Kritik durch den UN-Sonderberichterstatter Despouy
4.1.4 Ergebnis
4.2 Hinreichender Tatverdacht
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4.3 Zusammenfassende rechtliche Würdigung der Tathandlungen der Beschuldigten
4.3.1 D.R.
4.3.2 G.T.
4.3.3 S.C.
4.3.4 R.S.
4.3.5 G.M.
4.3.6 W.W.
4.3.7 T.P.
4.3.8 B.F.
4.3.9 M.W.
4.3.10 D.A.
4.3.11 A.G.
4.3.12 W.H.
4.3.13 J.Y. und J.B.
Begründung:
Im Nachfolgenden werden im Rahmen des Sachverhaltes (1.1. - 1.10) die wesentlichen Inhalte der
Strafanzeige vom 14. November 2006 sowie der ergänzenden Schriftsätze dargestellt. In der Strafanzeige (StrA) wird nach einer Schilderung der fehlenden Ausübung primärer zuständiger Gerichtsbarkeit (StrA Kapitel 2.) die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts begründet (StrA Kapitel 3.).
Anschließend wird die Politik der Folter der Vereinigten Staaten von Amerika, vor allem in Guantánamo und im Irak 2002-2004 geschildert (StrA Kapitel 4.). Im Anschluss daran (StrA Kapitel 5.)
wird das Verhalten der Beschuldigten, insbesondere auch das Verhalten der Verfasser des Foltermemorandums vom August 2002 (StrA Kapitel 5.2.3), rechtlich gewürdigt. Nach Darstellung des
Gangs des Ermittlungsverfahrens (2.), werden die formellen Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens (3.) erläutert. Abschließend wird begründet, warum entgegen der Auffassung der
Generalbundesanwältin im vorliegenden Fall der § 153 f Abs. 1 S. 1 StPO die Einleitung von Ermittlungen geboten ist (4.1.1- 4.1.2).
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1. Sachverhalt
Verfahrensgeschichte
Am 30. November 2004 erstattete Rechtsanwalt W.K. namens und in Vollmacht des Center for
Constitutional Rights (CCR) sowie vier irakischen Staatsangehöriger eine erste Strafanzeige gegen
D.R., den damaligen US-Verteidigungsminister, und zehn namentlich benannte sowie weitere nicht
benannte Personen, denen die Beteiligung an Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)
vorgeworfen wird. Diese Anzeige betraf Vorfälle, die sich im Zeitraum zwischen dem 15. September
2003 und dem 08. Januar 2004 Im Gefängniskomplex Abu Ghraib (Irak) ereignet haben. In der
Strafanzeige von 2004 werden beispielhaft die Berichte über 44 Fälle von Misshandlungen aus einem US-Regierungsbericht wiedergegeben. Damit wird jedoch nur ein Teil der tatsächlich und nicht
nur in Abu Ghraib geschehenen Misshandlungen dargestellt. Zu den in der Strafanzeige geschilderten Praktiken gehören u.a. Treten und Schlagen von Gefangenen, das u.a. den Tod eines Häftlings
zur Folge hatte. Zudem sind Inhaftierte massiv sexuell belästigt und in einem Fall vergewaltigt
worden. Gefangene sind vollständig entkleidet und bewusst erniedrigend behandelt sowie durch
den Einsatz von Hunden eingeschüchtert worden. Häftlinge sind für längere Zeit in so genannte
Stresspositionen gefesselt worden. "Isolationshaft" ist angedroht und zum Teil auch vollzogen worden. Die Taten wurden von Angehörigen der US-Streitkräfte, von zivilen Mitarbeitern sowie von
Angehörigen von Nachrichtendiensten, insbesondere der CIA, begangen. Einige Tatopfer wurden
bereits während ihrer Festnahme und Inhaftierung an anderen Orten im Irak misshandelt. Mehrere
Personen wurden von Soldaten erschossen.
Die Anzeigenerstatter warfen den damaligen Angezeigten vor, sich als unmittelbare und mittelbare
Täter sowie als zivile und militärische Vorgesetzte der unmittelbar Handelnden nach den §§ 4, 8,
13, 14 VStGB hinreichend verdächtig gemacht zu haben, u.a. weil sie Untergebenen Weisungen zur
Behandlung von Gefangenen erteilten, die gegen international geltende Schutzvorschriften, z.B.
gegen die UN-Folterkonvention, verstoßen. Trotz Kenntnis der Misshandlungen leiteten sie keine
Schritte zur Verhinderung weiterer Übergriffe und zur Ahndung bereits begangener Misshandlungen
ein.
Dieser Strafanzeige wurde keine Folge geleistet. Mit Entscheidung vom 10. Februar 2005 hat der
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof von der Verfolgung gem. § 153f StPO abgesehen.
Zur Begründung wurde wörtlich ausgeführt:
„Hier bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Behörden und Gerichte der Vereinigten Staaten von
Amerika wegen der in der Strafanzeige geschilderten Übergriffe von strafrechtlichen Maßnahmen
Abstand genommen hätten oder Abstand nehmen würden. So wurden wegen der Vorgänge von
Abu Ghraib bereits mehrere Verfahren gegen Tatbeteiligte, auch gegen Angehörige der 800sten
Militärpolizeibrigade, durchgeführt. Mit welchen Mitteln und zu welchem Zeitpunkt gegen weitere
mögliche Tatverdächtige im Zusammenhang mit den in der Strafanzeige geschilderten Übergriffen
ermittelt wird, muss dabei den Justizbehörden der Vereinigten Staaten von Amerika überlassen
bleiben."
Am 27. Februar 2006 reichten das CCR, die Féderation Internationale des ligues des Droits de
l’Homme (FIDH) und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) eine Beschwerde
bei Leandro Despouy, dem UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern und
Anwälten, ein. Die Beschwerdeführer kritisierten, dass der damalige Generalbundesanwalt Nehm
die von irakischen Folteropfern im November 2004 gegen US-Verteidigungsminister D.R. u.a. erstattete Strafanzeige wegen Folter und Kriegsverbrechen aus politischen Gründen am 10. Februar
2005 eingestellt hatte. Die Beschwerde wurde Despouy im Namen von irakischen Bürgern überreicht. Bereits in einem Schreiben vom Juli 2006 an die Bundesregierung äußerte Despouy seine
Bedenken hinsichtlich der Entscheidung der Bundesanwaltschaft, in dieser Sache kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Er kritisierte die fehlende Unabhängigkeit des Generalbundesanwaltes, die in
der politischen Entscheidung, keine Ermittlungen aufzunehmen, zum Ausdruck kam sowie das Verhalten des Generalbundesanwalts, durch welches er seiner Pflicht, die angezeigten Kriegsverbrechen unabhängig, neutral und objektiv zu ermitteln und zu verfolgen, nicht nachkomme.
Despouy berichtete in seinem am 11. Juni 2007 dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen
vorgelegten Jahresbericht, dass die in seinem damaligen Schreiben an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland bezeichneten Tatverdächtigen in den Vereinigten Staaten von Amerika bislang nicht verurteilt wurden und darüber hinaus ein Gesetz verabschiedet wurde (gemeint ist der
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Military Commissions Act, WK), welches die Verfolgung und Verurteilung hochrangiger Offizieller
praktisch vereitele, die solcher Taten verdächtig werden. Despouy nahm zur Kenntnis, dass zu
diesem Zeitpunkt bereits eine weitere Anzeige gegen den Beschuldigten D.R. u.a. eingereicht worden war, und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass diese Anzeige mit der notwendigen Unabhängigkeit und in Einklang mit internationalen Regeln und Standards geprüft werde.
1.1 Strafanzeige vom 14.11.2006
Mit Schreiben vom 14.11.2006 erstattete Rechtsanwalt W.K. namens und im Auftrag von 12 israelischen und einem saudi-arabischen Geschädigten sowie von insgesamt 44 Organisationen und
Einzelpersonen erneut Strafanzeige gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister D.R. und gegen 13 weitere, namentlich benannte, sowie gegen weitere unbenannte Bürger der USA wegen des
Verdachts von Verstößen gegen §§ 4, 8 13 und 14 VStGB und gegen §§ 211 ff., 223 ff., 239 ff.
StGB i.V.m. § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. der UN-Folterkonvention sowie Art. 129 des III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen.
In der Strafanzeige werden die weitestgehende Straflosigkeit der Folterstraftaten in Abu Ghraib
und die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts abgehandelt. Anschließend folgen die der Anzeige zu Grunde liegenden Tatsachen, die dann rechtlich gewürdigt werden, bevor auf die Tatbeiträge
der einzelnen angezeigten Personen eingegangen wird.
Im Einzelnen hatte die Anzeige vom 14.11.2006 folgenden Wortlaut: (vgl. als Kopie in Anlage 1)
1.2 Schriftsatz der Bundesanwaltschaft vom 14.11.2006
Mit Schriftsatz vom 14.11.2006 bestätigte die Generalbundesanwältin den Eingang der Strafanzeige vom 14.11.2006 unter dem Aktenzeichen 3 ARP 156/06-2.
1.3 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 24.11.2006 - Beitritt weiterer
Organisationen
Mit Schriftsatz vom 24.11.2006 an die Generalbundesanwaltschaft teilte der Unterzeichner mit,
dass die Zeugin J.K. voraussichtlich in der 51. Kalenderwoche nach Deutschland reise und zu einer
Zeugenaussage zur Verfügung stehe. Der Unterzeichner zeigte des Weiteren an, dass sich seit der
Anzeigeerstattung vom 14.11.2006 folgende weitere Organisationen entschlossen haben, der Anzeige beizutreten:
33. die katalanische Anwaltsorganisation Associació Catalana per al defensa dels drets humans
34. die spanische Anwaltsorganisation Asociación Libre de Abogados (ALA)
35. die italienische Menschenrechtsorganisation Unione Forense per la Tutela Del Diritti
Del´Uomo
36. die Asociación Pro Derechos Humanos (APRODEH), Lima, Peru
37. die Association pour la Défense du droit international humanitaire (ADIF), Paris, Frankreich
38. die Fundación Regional de Asesoría en Derechos Humanos (INREDH), Quito, Ecuador
39. die Asesoría Laboral del Perú, Lima, Peru
40. die Medizinische Flüchtlingshilfe, Bochum
41. das Centro de Capacitación Social (CCS), Panama,
42. die Comisión de Derechos Humanos de El Salvador (CDHES), San Salvador, El Salvador
43. die Comisión de Derechos Humanos de Guatemala (CDHG), Ciudad de Guatemala, Guatemala
44. die Ligue Tunisienne des droits de l'Homme (LTDH), Tunis, Tunesien.
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1.4 Schriftsatz der Bundesanwaltschaft vom 04.12.2006
Mit Schriftsatz vom 04.12.2006 teilte Bundesanwalt D. mit, dass eine Anhörung der Zeugin J.K. im
Dezember 2006 nicht durchgeführt werden könne. Des Weiteren erfolgte der Hinweis, dass die
Zeugin J.K. voraussichtlich nach § 55 StPO zu belehren sein wird.
1.5 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 08.12.2006 - Beitritt weiterer
Organisationen sowie Anschluss eines weiteren Anzeigeerstatters
Mit Schriftsatz vom 08.12.2006 bestätigte der Unterzeichner eine Übermittlung des oben genannten Hinweises an J.K. Des Weiteren wurde der Beitritt folgender Organisationen mitgeteilt:
45. französische Rechtsanwaltsorganisation Droit-Solidarité, Paris, Frankreich
46. italienische Rechtsanwaltsorganisation Giuristi Democratici, Italien,
47. chilenische Rechtsanwaltsorganisation Asociación Americana de Juristas.
Weiterhin wurde Namens und in Vollmacht des irakischen Staatsbürgers Y.M.A. der Anschluss an
die Strafanzeige vom 14.11.2006 erklärt.
Der Anzeigenerstattung in diesem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Anzeigenerstatter arbeitete als Reinigungsarbeiter in einer Moschee, in deren Nähe offensichtlich Anschläge auf Angehörige der US-Armee verübt wurden. Bei einer Razzia in seinem Wohnviertel wurden alle Wohnungen durchsucht und Dutzende Menschen gefangen genommen. Seine Wohnung wurde durchsucht und ebenfalls sein Arbeitsplatz in der Moschee. Nachdem ihm ursprünglich
erklärt worden war, dass er nur fünf Minuten vernommen werden sollte, wurden ihm jedoch plötzlich die Augen verbunden und Fesseln angelegt. Die Durchsuchung verlief gewaltsam, Türen und
Inventar der Wohnung wurden zertrümmert. Auf seinen Kopf wurde ein Nylonsack gestülpt und
ihm wurden die Hände nach hinten gefesselt.
Er wurde dann zu einem in der Nähe befindlichen Armeefahrzeug verbracht. Dort musste er sich
vor dem Wagen auf den Boden legen und wurde erstmals von US-Soldaten misshandelt, indem er
getreten wurde. Danach wurde er auf den Boden des Transportfahrzeuges gelegt. Die US-Soldaten
setzten sich auf ihn und verbrachten ihn zu dem nahe gelegenen Stützpunkt in Elsiniyee. Dieser ist
etwa ein Kilometer von seinem Wohnsitz entfernt gelegen. Dort wurde er wie die anderen mit ihm
festgenommenen Gefangenen erkennungsdienstlich behandelt und in das innere des Stützpunktes
verbracht. Die Handfesseln sowie der über den Kopf gestülpte Sack musste er bis zum nächsten
Morgen anbehalten. Dann wurden die Gefangenen in Gruppen eingeteilt und jeweils drei Personen
in eine Zelle eingesperrt. Die Zellen befanden sich in einem äußerst unhygienischen und schmutzigen Zustand. Auf dem Weg zum Stützpunkt wurde er von US-Soldaten an den Haaren gezogen,
beleidigt und getreten. In den Zellen befanden sich keine Schlafgelegenheiten, die Notdurft musste
in der Zelle verrichtet werden.
Am nächsten Tag wurde er um 18.00 Uhr vernommen. Das Sprechen vor der Vernehmung war ihm
verboten worden. Die Gefangenen wurden jeweils einzeln zur Vernehmung gebracht. Im Vernehmungsraum behielt er den Sack auf dem Kopf. Die Hände blieben nach hinten gefesselt, er konnte
also die Vernehmer selbst nicht sehen. Bei der Vernehmung wurde er zunächst gefragt, ob er wisse, warum er festgenommen worden sei. Als er dies verneinte, wurde ihm der Vorwurf gemacht, in
der Moschee zu arbeiten, von der aus Anschläge auf Amerikaner verübt worden seien. Er gehöre
auch zu denjenigen, die diese Anschläge ausgeführt hätten. Der Anzeigenerstatter verneinte dies.
Er sei eine einfache Reinigungskraft in der Moschee. Daraufhin erwiderten die Vernehmer, dass sie
wüssten, dass er unschuldig sei, aber er müsse doch wissen, wer Zugang zu der Moschee gehabt
habe und die Anschläge verübt habe. Auf seine Frage wurde ihm mitgeteilt, dass die Anschläge um
Mitternacht und 1.00 Uhr nachts verübt wurden, worauf er antwortete, dass er nicht wisse, wer
sich um diese Zeit überhaupt frei bewegen könne und auch nicht wisse, wer Zugang zur Moschee
gehabt habe. Er wurde anschließend zu seinen Mitverhafteten befragt und teilte mit, dass es sich
um ihm bekannte Nachbarn und Leute aus seiner Wohngegend handele.
Auf die Frage nach Moscheebesuchern und Baathisten konnte er ebenfalls keine näheren Auskünfte
geben. Die Vernehmer wurden daraufhin ärgerlich und drohten ihm an, seinen Vater ebenfalls zu
verhaften, wenn er nichts aussagen würde.
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Während des Verhörs wurde er geschlagen, beleidigt und beschimpft. Ihm wurde später von den
Vernehmern angeboten, dass er entlassen würde und innerhalb eines Tages Informationen liefern
müsse. Ansonsten würden er und seine Frau und weitere Familienangehörige verhaftet werden. Er
wurde aber nicht entlassen, sondern verblieb zunächst in US-Gewahrsam in Elsiniyee. Dort musste
er wie andere Gefangene auch, Strafarbeiten leisten.
Am 20.09.2003 wurde er dann gemeinsam mit einigen der Mitverhafteten über Al-Mladasa nach
Tikrit verbracht. Dort wurden die Gefangenen zusammengelegt und - wie er es ausdrückte - wie
Esel behandelt. Dabei wurden Fotos von ihm und den Mitgefangenen gemacht. Er wurde in Tikrit
nur einmal vernommen. Dort waren Kollektivstrafen an der Tagesordnung. So wurden ihm z.B. elf
Tage keine Wäsche erlaubt, er durfte lediglich einmal 30 Sekunden duschen. Das Essen war insgesamt sehr schlecht, ihnen wurden Tüten mit kalten Speisen gegeben, die undefinierbares Fleisch
enthielten. Auch auf Nachfragen wurde ihnen nicht mitgeteilt, ob die Speisen Schweinefleisch enthielten. Sie wurden dazu gezwungen, die Speisen zu sich zu nehmen. Er selbst wurde einmal in der
Weise bestraft, dass ihm ein Soldat im Freien befahl, sich auf ein Bein zu stellen und dabei einen
Stein zu halten. Besonders schwerwiegend war für ihn ein Vorfall, als eine 55-jährige irakische Frau
vor den Augen von männlichen Mitgefangenen geschlagen wurde.
Besonders getroffen hat ihn auch, dass die US-Soldaten die Gefangenen bei ihren Gebeten verhöhnt und nachgeäfft hätten und dabei Tierlaute von sich gegeben hätten. Er wurde auch damit
bestraft, dass er für längere Zeit in einer Isolierzelle verweilen musste. Es war üblich, dass die Gefangenen sich in der Kälte im offenen Zelt, oft ohne Decke, aufhalten mussten.
Am 10.10.2003 wurde er schließlich von Tikrit nach Abu Ghraib verbracht. Dort verblieb er bis zum
26.12.2003. Auch in Abu Ghraib wurde er nur einmal vernommen. Er konnte nicht angeben, welche Vernehmer anwesend waren und wer ihn vernommen hat. Er wurde bei der Vernehmung geschlagen, insbesondere auf den Kopf sowie auf den Boden gestreckt.
Er wollte bei der Schilderung einzelner Ereignisse nicht in Einzelheiten gehen. Er teilte jedoch mit,
dass auch von ihm und seinen Mitgefangenen Fotos gemacht worden seien. Da sei noch viel mehr
passiert, was er „bei Gott" nicht erzählen könne. Möglicherweise sei er zu einem späteren Zeitpunkt bereit, diese Ereignisse ebenfalls zu schildern, falls er beispielsweise als Zeuge formell vernommen werde.
Vom 27.12.2003 bis zu seiner Freilassung am 26.05.2005 wurde er im Bouka-Gefängnis in Basra
festgehalten. Dort war es insbesondere im Februar und im März äußerst kalt. Er und seine Mitgefangenen hätten mehrfach nackt im Freien schlafen müssen und hätten ganze Tage nichts zu essen
bekommen.
Vor seiner Entlassung wurde er noch ein letztes Mal vernommen. Ihm wurde mitgeteilt, dass nichts
gegen ihn vorläge und man entschuldigte sich bei ihm. Allerdings wurde er in der Zwischenzeit zwei
weitere Male für jeweils drei Tage festgenommen. Dies war zuletzt im Februar 2006. Er hat in der
Zwischenzeit einen CD-Laden eröffnet. Der CD-Laden wurde zerstört. Er wurde erneut in das Elsiniyee Camp verbracht und dort mit Wasser bespritzt und mit einem Elektrogerät gefoltert. Außerdem wurde er sehr hart geschlagen. Er hatte anschließend blaue Flecken am ganzen Körper. Außerdem wurde ihm gedroht, dass sein Vater, seine Frau und seine Tochter inhaftiert würden, wenn
er nicht aussagen würde.
In dem weiteren Schriftsatz wurde dann dargelegt, warum der zwischenzeitlich zurückgetretene
D.R. ab dem 18.12.2006 formell keine Immunität mehr aufgrund seiner ehemaligen Funktion als
US-Verteidigungsminister genießen wird.
Der Unterzeichner teilte mit, dass der ebenfalls angezeigte S.C. ebenfalls zum 31.12.2006 zurückgetreten ist. Dem Schriftsatz wurde ein Artikel aus der Zeitschrift Counterpunch von Jeffrey St.
Clair vom 07.02.2006 in Kopie überreicht, der ein Exzerpt aus dem neuen Buch des Autors Jeffrey
S. Clair „Grand Theft Pentagon" ist. In dem Artikel wird S.C. als eine der Schlüsselfiguren im Pentagon, insbesondere in Fragen der Besatzung und des Vernehmungsskandals, beschrieben. Er habe
sich selbst als den mächtigsten Nachrichtendienstmann in der G.W.B.-Administration beschrieben.
Dabei habe sich S.C. immer sehr unauffällig verhalten. Es wird dann ausführlich S.C.s professionelle Karriere beschrieben. Es wird dann dargelegt, wie im April 2003 S.C. von D.R. als Verantwortlicher eines Terrorismusbekämpfungsprogramms namens „Grey Fox" eingesetzt wurde. Es handelte
sich dabei um eine verdeckte Operationseinheit, die Sabotage und gezielte Tötungsakte als Teil des
zivilen Teiles des Pentagons verüben sollte. Laut dem Bericht soll S.C. auch eine Rolle bei der Entscheidung über die Behandlung von Kriegsgefangenen gespielt haben. Wörtlich heißt es in dem
Bericht, dass die Befehle, irakische Gefangene für nachrichtendienstliche Vernehmer weich zu ko-
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chen („to soften up") direkt aus S.C.s Büro gekommen seien. Als im August 2003 die Besatzung im
Irak blutiger zu werden begann, habe S.C. den damaligen Brigadegeneral G.M., den ebenfalls mitangezeigten ehemaligen Kommandeur von Guantánamo, nach Irak beordert, gemeinsam mit einem Team von erfahrenen Militärvernehmern. Seine Instruktionen hätten gelautet, Abu Ghraib und
andere Gefängnisse einschließlich des berüchtigten Camp Cropper in der Nähe des Flughafens von
Bagdad zu gitmoisieren (die in den USA gebräuchliche Bezeichnung meint, ein Gefängnis oder
Kriegsgefangenenlager nach dem Vorbild des Lagers Guantánamo-Bay auf Kuba auszugestalten).
Wichtigster Ansprechpartner von S.C. beim Militär sei Leutnantgeneral W.B. gewesen. Dieser habe
eine zentrale Rolle in dem Folterskandal gespielt.
Nach einem wichtigen Treffen im Juni 2003 habe S.C. General M. mit der Anweisung nach Irak
gesandt, die Implementierung von W.B.s Vernehmungsplan zu überwachen. Dieser Plan sah vor,
die Gefangenen schnell zu verwertbaren nachrichtendienstlichen Informationen auszupressen („rapidly exploit internees for actionable intelligence"). Laut Generalmajor A.T., der einen offiziellen
Bericht zu den Vorgängen erstellte, soll G.M. dann der Militärpolizei, die wiederum der Zeugin J.K.
unterstand, befohlen haben, sich aktiv zu engagieren, um die Bedingungen für erfolgreiche Befragungen („exploitation of internees") zu setzen. S.C., W.B. und G.M. hätten gemeinsam dafür gesorgt, dass die Haftanstalten im Irak der taktischen Kontrolle von militärnachrichtendienstlichen
Einheiten unterfielen. Diese Aufgabe sei in Abu Ghraib von dem angezeigten Oberst T.P., dem
Kommandeur der 205. Militärnachrichtenbrigade übernommen worden.
1.6 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 25.01.2006 und 30.01.2006
Mit Schriftsätzen vom 25.01.2006 und 30.01.2006 erläuterte der Unterzeichner erneut und unter
Bezugnahme auf Kapitel 2 der Strafanzeige, warum die Anzeigenerstatter keine Strafanzeige in den
Vereinigten Staaten von Amerika erstattet haben. Hierfür wurden weitere juristisch-technische,
praktische und politische Gründe aufgeführt. Zum einen sehe das amerikanische System kein verbindliches Verfahren vor, Ermittlungsmaßnahmen zu erzwingen. Privatpersonen können nicht die
Ausübung pflichtgemäßen Ermessens beanspruchen. Das Entscheidungsermessen über die Aufnahme von Strafermittlungen läge auf Länderebene ausschließlich in der Hand der Staatsanwaltschaft, auf der Bundesebene bei den Bundesanwälten. Die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen
seien, aufgrund eines strengen Verständnisses vom Prinzip der Gewaltenteilung, einer gerichtlichen
Überprüfung nicht zugänglich. Hierzu führt der Unterzeichner zwei Entscheidungen an, die die
ständige Rechtsprechung repräsentieren. Zum einen die Entscheidung Linda R.S. v. Richard D., in
der der Supreme Court folgendes feststellte:
„In den bisherigen Entscheidungen des Gerichts ist durchgängig festgestellt worden, dass es einem
Bürger nicht zusteht, die Verfahrensgrundsätze der Strafverfolgungsbehörden anzugreifen, wenn er
weder selbst von solchen Ermittlungen betroffen ist, noch die Gefahr einer Strafverfolgung gegen
ihn persönlich besteht (vgl. Younger v. Harris, 401 U.S. 37, 42 [1971]; Bailey v. Patterson, 369
U.S. 31,33 [1962]; Poe v. Ullman, 367 U.S. 497, 501 [1961]). Obwohl diese Fälle in einem anderen Sachzusammenhang standen, zeigen sie, dass im amerikanischen Rechtssystem zumindest ein
Privater kein rechtlich relevantes Interesse an der Strafverfolgung bzw. dem Unterlassen einer
Strafverfolgung eines anderen hat."
Zum anderen die Entscheidung United States vs. Cox, in der der zuständige Staatsanwalt, die
Strafverfolgung trotz der Feststellung, dass ein hinreichender Tatverdacht bestehe, mit der Begründung ablehnte, dass er von der Generalbundesanwältin hierzu angewiesen wurde.
„Obwohl der Generalbundesanwalt als Teil der Rechtspflege ein Aufgabenträger des Gerichtes ist,
ist er dennoch Beamter der Regierung, und er trifft die Ermessensentscheidung über die Aufnahme
bzw. Einstellung von Ermittlungen gerade in seiner Stellung als Beamter der Exekutive. Hieraus
ergibt sich als Ausdruck der Gewaltenteilung, dass die Gerichte nicht in die Entscheidungsspielräume der Staatsanwälte der Vereinigten Staaten und damit in ihre Kontrolle der Strafverfolgung eingreifen dürfen."
„(...) Die Rolle der Grand Jury ist darauf beschränkt festzustellen, ob hinreichender Verdacht gegeben ist, dass eine Tat begangen wurde. Die Ermessensentscheidung des Staatsanwaltes, ob eine
Strafverfolgung eingeleitet oder beibehalten werden soll, kann sehr wohl unabhängig vom konkreten Fall aufgrund völlig anderer Erwägungen getroffen werden."
Als Beleg fügte der Unterzeichner dem Schriftsatz einen Artikel von David Johnston aus der New
York Times vom 19.12.2006 bei, in dem der Autor darlegt, wie eine Ermittlungseinheit des Justiz-
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ministeriums in etwa 20 gut dokumentierten Fällen von Gefangenenmisshandlungen von Angehörigen von privaten Sicherheitsfirmen im Irak und in Afghanistan die Verfahren trotz öffentlicher Kritik
ohne hinreichende Begründung eingestellt hat. Des Weiteren wurde die Ergänzung der Aussage des
Zeugen D.D. angekündigt.
Im Übrigen wurde mitgeteilt, dass Kontakt mit weiteren Zeugen aufgenommen worden sei, die sich
separat äußern würden. Bei einem der Zeugen handelt es sich um einen ehemaligen hochrangigen
Angehörigen der G.W.B.-Administration.
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1.7 Sachverständige Stellungnahme Morton Sklar vom 14.02.2007
Mit Schriftsatz vom 14.02.2007 übersandte der Unterzeichner zur Ergänzung des bisherigen Sachvortrags eine sachverständige Stellungnahme von Morton Sklar vom 2. Februar 2007, gegenwärtig
Executive Director der „World Organisation for Human Rights USA". Der Volljurist und ehemalige
Richter Sklar äußerte sich zu den in den USA erfolglos unternommenen Versuchen, Strafermittlungen gegen hochrangige US-Regierungsbeamte einleiten zu lassen. Aus seiner Erklärung geht hervor, dass die zuständigen Behörden in den USA keinerlei Interesse daran gezeigt haben, diejenigen
Ermittlungen gegen hochrangige Tatverdächtige von erheblichen Menschenrechtsverletzungen anzustrengen, zu denen sie nach dem geltenden US-Recht verpflichtet sind. Dem Schriftsatz wurde
eine Übersetzung der Erklärung Morton Sklars beigefügt sowie die drei Anlagen, auf die sich Sklar
beruft.
Im Einzelnen macht der Sachverständige folgende Ausführungen (auszugsweise aus der deutschen
Übersetzung):
„Am 13. Juli 2006 hat die „World Organisation for Human Rights USA" einen förmlichen Antrag an
das US-Justizministerium gerichtet, ein unabhängiges Gremium einzurichten, das Ermittlungen
bezüglich aller möglichen Verstöße gegen US-Strafgesetze, die von Personen begangen worden
sind, die an der Verbringung des Terrorismus verdächtigter Häftlinge ins Ausland beteiligt oder
diese vorbereitet haben, wo die Häftlinge Verhörungen unter Anwendung von Folter und anderen
grausamen, unmenschlichen und herabsetzenden Maßnahmen unterzogen wurden. Dieser Antrag
ist in Kopie als Anlage 1 beigefügt Der dem Antrag beigefügte Vermerk, in dem die nach den damals öffentlich zugänglichen Informationen über „extraordinary renditions" (außerordentliche Überstellungen) möglicherweise verletzten Straftatbestände aufgeführt sind, ist als Anlage 2 beigefügt.
Wir verfügen über eine Empfangsbestätigung, die den Zugang des Antrages beim Ministerium am
18. Juli 2006 nachweist.
Wir haben diesen Antrag als Reaktion auf zahlreiche, verlässliche Berichte und gestützt auf umfangreiches Urkundenmaterial, welches die Beteiligung von Beamten, Angestellten und Vertragspartnern der US-Regierung an „extraordinary renditions" oder Urteilssprüchen zur Folterung nahe
legt. Diese öffentlich zugänglichen Berichte weisen auf konkrete Ereignisse hin, die ernsthafte Verbrechen im Sinne der Strafbestimmungen der USA darstellen, wie z.B. Folter (18 U.S.C. §§ 23402340A), Verschwörung (conspiracy), Folterungen zu begehen (18 U.S.C. § 2340A(c)), Entführungen (18 U.S.C. § 1201), schwere sexuelle Nötigungen (18 U.S.C. § 2241), und schwere Körperverletzungen (18 U.S.C. § 113). Dennoch hatte das Justizministerium zum Zeitpunkt der Einreichung
unserer Strafanzeige keine Strafverfolgungsmaßnahmen im Bezug auf die Straftaten im Zusammenhang mit den „extraordinary renditions" eingeleitet und hat dies auch bis dato nicht getan.
Trotz der im „Ethics in Government statute" eindeutig geregelten Verpflichtungen und Fristbestimmungen, hat uns das Justizministerium weder über irgendwelche Maßnahmen zur Einleitung der
von uns beantragten Ermittlungen informiert, noch hat es die Angelegenheit an die „Special Division of the Federal Court of Appeals for the District of Columbia Circuit" weitergeleitet, wie es das
Gesetz verlangt, wenn weitere Untersuchungen notwendig oder anderenfalls aussichtslos erscheinen.
Unser Antrag von 2006 bezüglich der „renditions" ist nicht unsere erste Bemühung beim Justizministerium um die Einleitung notwendiger Ermittlungen im Zusammenhang mit „rendition to torture"
(Überstellung zur Folter) und anderen im „Krieg gegen den Terror" begangenen Menschenrechtsverletzungen gewesen. Zwei Jahre zuvor, am 24. Juni 2004, haben wir eine Beschwerde eingereicht, in der wir die Einleitung von Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Verantwortlichen für Folterungen terrorverdächtigter Häftlinge im Irak und in Afghanistan und anderenorts forderten. Diese Beschwerde ist als Anlage 3 beigefügt. Obwohl es einige Strafverfahren
gegen niederrangige Personen gab, die beschuldigt wurden, an Folterungen von Häftlingen teilgenommen zu haben, ist keiner der höherrangigen US-Regierungsbeamten oder der Offiziere, die
auch mit den Straftaten im Zusammenhang standen, angezeigt worden."
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1.8 Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 12.03.2007
Mit Schriftsatz vom 12.03.2007 erbat sich der Unterzeichner aus organisatorischen Gründen die
Möglichkeit, die Informationen über die in Aussicht gestellten Zeugen und den wesentlichen Inhalt
der Aussagen bis zum 26.03.2007 beizufügen.
1.9 Ergänzender Schriftsatz von Rechtsanwalt W.K. vom 23.03.2007
Mit Schriftsatz vom 23.03.2007 teilte der Unterzeichner der Bundesanwaltschaft mit, dass aus von
ihm nicht zu verantwortenden Gründen nicht möglich war, die weiteren in Aussicht gestellten Zeugen und den wesentlichen Inhalt der Aussagen mitzuteilen. Er habe darüber hinaus den erwähnten
hochrangigen Zeugen darum gebeten, ihm innerhalb der nächsten zwei Wochen endgültig mitzuteilen, ob er bereit sei, eine Aussage zu machen.
Im Übrigen zeigte der Unterzeichner an, dass der Sachverständige und Zeuge Rechtsanwalt Professor Scott Horton, Columbia University, New York, USA, bereit wäre, an einem näher abzusprechenden Termin bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vorzusprechen, um dort seine exklusiven Erkenntnisse zum Thema der Straflosigkeit der angezeigten Verbrechen in den USA, wie er u.a. im
Rahmen dieses Verfahrens mit Gutachten vom Januar 2005 berichtet hat, vorzutragen.
Im Übrigen wurden dem Schriftsatz weitere Artikel übersandt. In dem beigefügten Artikel von Carol
D. Leonnig und Eric Rich, Washington Post, 04.11.2006 „US seeks silence on CIA prisons" wurde
über den Fall M.K. des Center for Constitutional Rights berichtet. Den Anwälten war zu den im September 2006 aus einem Geheimgefängnis nach Guantánamo transferierten Gefangenen kein Zugang gewährt worden. Der Zugang sei mit der Begründung verweigert worden, dass M.K. durch die
CIA im Rahmen eines geheimen Gefängnisprogramms interniert gewesen sei und er im Rahmen
dieses Programms deswegen in Besitz von Informationen, insbesondere über die Örtlichkeiten der
Gefängnisse, die Haftbedingungen und die „alternative Befragungstechniken" („alternative interrogation tactics") gekommen sei, die als klassifiziert in der Kategorie „Top Secret // SCI- Level" einzuordnen seien. Verschiedene Experten kommentierten den Beschluss in der Weise, dass insbesondere die an dem Gefangenen praktizierten Foltermethoden nicht bekannt werden sollten und deswegen den Anwälten der Zugang zu ihrem Mandanten verweigert werden sollte. In dem beigefügten Artikel aus der Washington Post vom 9.02.2007 von Eric Fair „An Iraq Interrogator's Nightmare", berichtet der Verfasser über seine ganz persönlichen Erfahrungen als Vernehmer im Irak, vor
allem sein eigenes Untätigbleiben angesichts von Folterfällen. In dem beigefügten Papier „The Perils of Universal Jurisdiction" vom 18.12.2006 kommentiert das Republican Policy Committee im
US-Senat, welches sich ebenfalls mit der hiesigen Anzeige beschäftigt hat, die Strafanzeige und
zieht daraus rechtspolitische Schlüsse.
Dem Schriftsatz war weiterhin eine Stellungnahme des Center for Constitutional Rights zum Military
Commissions Act von 2006 beigefügt. Mit der Military Order von Präsident G.W.B. vom 13.11.2001
seien die so genannten „Military Commissions" für die Verfahren gegen terrorverdächtige Personen
für zuständig erklärt worden. Bereits mit der „Authorization for Use of Military Force" vom
18.09.2001 sei Militärgewalt gegen die Verursacher der Anschläge des 11.09.2001 als zulässig
erklärt worden. In dem Fall Hamdan gegen Rumsfeld habe der Supreme Court am 29.06.2006 die
„Military Commissions" aus formellen und materiellen Gründen für unzulässig erklärt. Insbesondere
habe der Supreme Court die Einhaltung der US-Verfassung, des Militärgesetzes und der Genfer
Konventionen angemahnt. Mit dem „Military Commission Act" (MCA) vom 17.10.2006, der den
Umgang mit verdächtigen Terroristen und die Einsetzung von Militärgerichten regelt, sei daraufhin
eine formale Rechtsgrundlage unter Einbeziehung des Repräsentantenhauses und des Senats geschaffen worden. Die Experten des Center for Constitutionai Rights kritisierten im Wesentlichen
folgende Punkte:
„§ 948 (a) (1) des MCA sehe eine sehr weite Definition des „unlawful enemy combatant" (rechtlose
feindliche Kämpfer) vor und erlaube dem Präsidenten und dem Verteidigungsministerium geradezu,
jeden festzunehmen. Der Präsident und das Ministerium könnten darüber hinaus nicht weiter definierte Gerichtshöfe einsetzen, die darüber bestimmen können, wer als „unlawful enemy combatant" definiert werde und wer nicht. Einzige Vorraussetzung für diese Kompetenz sei, dass die Gerichte „kompetent" seien. Des Weiteren sehe die Definition des „unlawful enemy combatant" zwar
zunächst keine Differenzierung zwischen US-Bürgern und Nicht-US-Bürgern vor, der MCA lasse
aber alle relevanten Vorschriften, die die Rechte „unlawful enemy combatant" einschränke, ausdrücklich nur für Nicht-US-Bürger gelten.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Der MCA schränke den Zugang zu Rechtsbehelfen für Nicht-US-Bürger erheblich ein, die sich in USGewahrsam befänden und schränke die effektive Sanktionierung unbestimmter Inhaftierungen und
missbrauchsbehafteter Befragungstechniken ein.
Der MCA legitimiere Folter sowie grausame und unmenschliche Misshandlungen durch eine neue
engere Definition von Folter bzw. grausamer und unmenschlicher Behandlung und durch eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfung. Auch lasse der MCA vor den Military Commissions Aussagen
zu, die unter Zwang zustande gekommen sein. Damit würden Misshandlungen legalisiert und eine
effektive Verteidigung unmöglich gemacht werden. Die durch den MCA autorisierte „Military Commissions" würden weder den in der US-Verfassung verbrieften noch den internationalen Standards
eines fairen Verfahrens entsprechen.
Der MCA beeinträchtige darüber hinaus den Anwendungsbereich des US- amerikanischen Gesetzes
zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, dem „War Crimes Act" (WCA).
Der MCA definiere Vergewaltigung und sexuelle Nötigung und Missbrauch erheblich enger als andere nationale und internationale Rechtssysteme und verlange als Tatbestandsvoraussetzung einen
physischen Kontakt.
Der MCA immunisiere einige US-amerikanische Funktionäre, die in von der Exekutive autorisierte
illegale Maßnahmen involviert waren. Zum einen novelliere der MCA die mögliche Strafverfolgung
von Verstößen durch den WCA. Der WCA, der ausdrücklich einen Verstoß gegen den gemeinsamen
Artikel 3 der Genfer Konventionen als Kriegsverbrechen bezeichnet, würde im Abschnitt („section")
6 des MCA insofern modifiziert werden, als der Präsident letztendlich die Befugnis hat, die Bedeutung und Anwendung der Genfer Konventionen zu bestimmen. Im Abschnitt 6 (b) (2) wird der MCA
ausdrücklich rückwirkend zum 26.11.1997 für anwendbar erklärt; diese rückwirkende Anwendbarkeit habe zur Folge, dass Straftäter die damals gegen geltendes Kriegsstrafrecht verstoßen haben,
jetzt nicht mehr nach dem WCA bestraft werden könnten. Zum anderen könnten Verantwortliche
von Militär und Geheimdienst einer Strafverfolgung von Inhaftierungen und Verhörungsmethoden,
die zwischen dem 11.11.2001 und dem Erlass des Detainee Treatment Act of 2005 (DTA), dem USamerikanischen Gesetz zur Behandlung von Gefangenen von 2005, stattgefunden haben, entkommen. Der MCA läge weiterhin fest, dass für „unlawful enemy combatant", die keine US-Bürger sind,
der Rechtsweg zur Überprüfung ihrer Behandlung vor den ordentlichen Gerichten ausgeschlossen
sei.
Der MCA schränke unter anderem durch Abschnitt 6 (a) (2) die Anwendung des Völkerrechts vor
US-Gerichten ein und definiere die Verpflichtungen der USA durch internationale Rechtssysteme
neu."
Das Center for Constitutional Rights kündigte in der Stellungnahme an, durch anhängige und neue
Haftprüfungsanträge auf eine Reform des MCA einzuwirken.
Dem Schriftsatz vom 23.03.2007 wurde darüber hinaus ein Beschluss des Berkeley City Council
vom 13.03.2007 beigefügt. In dem Beschluss wird die Unterstützung des Stadtrates von Berkeley
für die hiesige Strafanzeige erklärt und weiterhin die Unterstützung für alle dementsprechenden
Bemühen weltweit, D.R. und andere US-Offizieren, die Menschenrechtsverletzungen im „Krieg gegen den Terror" begangen haben, strafrechtlich für ihre Handlungen verantwortlich zu machen und
zwar vor jedem möglichen Gericht, dass in dieser Sache zuständig sei.
1.10 Ergänzender Schriftsatz des Rechtsanwalts W.K. vom 28.03.2007 - Entscheidung
des United States District Court for the District of Columbia vom 23.03.2007
Mit dem Schreiben vom 28.03.2007 setzte der Unterzeichner die Generalbundesanwältin über die
Entscheidung des United States District Court for the District of Columbia vom 27.03.2007 in
Kenntnis. Der United States District Court hatte die Schadensersatzklagen von neun ehemaligen
Häftlingen in US-Militärlagern im Irak und Afghanistan gegen die im hiesigen Verfahren Beschuldigten D.R., T.P. und R.S. für unzulässig erklärt. Der Unterzeichner wies darauf hin, dass diese Entscheidung erneut belege, dass eine effektive juristische Aufarbeitung der hier angezeigten Straftaten in den USA nicht stattfände. Er führt dazu im Einzelnen aus:
"This is a lamentable case in which the Court has been called upon to determine whether the plaintiffs may pursue monetary damages and declaratory relief against the former Secretary of Defense
and other high-ranking military officers who the plaintiffs allege are liable for torture and abuse
inflicted on them while detained by the United States military during ongoing hostilities in Iraq and
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Afghanistan", so das Gericht. Trotz dieser schwerwiegenden Vorwürfe, sei die Klage aus mehreren
Gründen unzulässig:
1. Schadensersatzansprüche dürften nicht staatliche und militärische Interessen konterkarieren.
Das Gericht führt hierzu folgendes aus:
"There is no getting around the fact that authorizing monetary damages remedies against
military officials engaged in an active war would invite enemies to use our own federal
courts to obstruct the Armed Forces' ability to act decisively and without hesitation in defense of our liberty and national interests, a prospect the Supreme Court found intolerable
in Eisentrager:
Such trials would hamper the war effort and bring aid and comfort to the enemy. They
would diminish the prestige of our commanders, not only with enemies but with wavering
neutrals. It would be difficult to device more effective fettering of a field commander than
to allow the very enemies he is ordered to reduce to submission to call him to account in
his own civil courts and divert his efforts and attention from the military offensive abroad to
the legal defensive at home. Nor is it unlikely that the result of such enemy litigiousness
would be a conflict between judicial and military opinion highly comforting to enemies of
the United States."
[...] The discovery process alone risks aiding our enemies by affording them a mechanism
to obtain what information they could about military affairs and disrupt command missions
by wresting officials from the battlefield to answer compelled deposition and other discovery inquiries about the military's interrogation and detention policies, practices, and procedures. Military discipline and morale surely would be eroded by the spectacle of highranking military officials being haled into our courts to defend against our enemies' legal
challenges, which might leave subordinate personnel questioning the authority by which
they are being commanded and further encumber the military's ability to act decisively.
Commanders likely would hesitate to act for the fear of being held personally liable for any
injuries resulting from their conduct." (S. 31 f. der Entscheidung)
2. Militärische Amtsträger sind gegen Schadensersatzansprüche immun.
"The special nature of military life - the need for unhesitating and decisive action by military officers and equally disciplined responses by enlisted personnel - would be undermined
by a judicially created remedy exposing officers to personal liability at the hands of those
they are charged to command." (S. 33 der Entscheidung)
3. Außerhalb der USA lebende Ausländer können sich nicht auf Rechte aus der US-Verfassung
berufen, selbst wenn die Schädigungen in von den USA besetzten, bzw. militärisch kontrollierten Gebieten verursacht wurden.
Diese Gerichtsentscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass die im hiesigen Verfahren angezeigten
Straftaten in keiner Weise in den USA verfolgt werden können, da auch zivilrechtliche Schadenersatzansprüche keinerlei Aussicht auf Erfolg haben. Hervorzuheben ist dabei, dass auch in dieser
Entscheidung Argumente herangezogen werden, mit denen bereits zivilrechtliche Verfahren als
unzulässig erklärt wurden.
Zum einen geht das Gericht von einer jeder gerichtlichen Überprüfung entzogenen, politischmilitärischen Sphäre aus, wenn das Gericht Rechtsmittel bereits deshalb nicht zulässt, weil anderenfalls die Effektivität militärischer Befehlsgewalt eingeschränkt und vermeintliche „Feinde" eingeladen würden, die US-Zivilgerichte zur Blockade der US-Armee zu benutzen und um sensible Informationen über Organisation und Strategie des US-Militärs auszuforschen. Durch diese Einschränkung der gerichtlichen Prüfungskompetenz wird ein rechtsfreier Raum geschaffen, in dem
allein politische und militärische Erwägungen ohne jegliches rechtliches Korrelat von Bedeutung
sind. Es ist mit einem demokratischen Verständnis von staatlichen Institutionen kaum zu vereinbaren, wenn befürchtet wird, dass die Disziplin und Moral der Truppen geschwächt würden, wenn sich
hochrangige Vorgesetzte Schadensersatzklagen ausgesetzt sähen. Man sollte eher meinen, dass
die Verfolgung von schwerwiegenden Rechtsverletzungen durch ranghohe Vorgesetzte das Vertrauen in die Legitimität staatlicher und militärischer Autoritäten eher festigt, als schwächt.
Zum anderen entzieht das Gericht außerhalb des Territoriums der USA lebenden Ausländern die
Möglichkeit, sich auf eine Verletzung der Zusatzartikel 5 und 8 der US-amerikanischen Verfassung
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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berufen zu können, indem das Gericht die Auffassung vertritt, die USA würden weder im Irak noch
in Afghanistan eine derartige Herrschaftsgewalt ausüben, dass eine Geltung der US-Verfassung für
diese Gebiete anzuzeigen sei. Auch gegen Ansprüche aus Völkerrechtsverletzungen nimmt das
Gericht die Immunität der Beklagten an.
Die hier dargestellte Gerichtsentscheidung verleiht militärischen und zivilen Befehlshabern der USStreitkräfte Immunität und verdeutlicht einmal mehr, dass die im hiesigen Verfahren angezeigten
Straftaten in keinerlei Weise in den USA verfolgt werden können. Es kann daher von einer juristischen Aufarbeitung der angezeigten Straftaten, die eine Strafverfolgung in Deutschland ausschließen könnte, nicht die Rede sein. Vielmehr bestätigt das dargestellte Urteil die weiterhin vorherrschende Situation der Straflosigkeit in den USA, wie auch der Klägeranwalt Lucas Guttentag in
einer Presseerklärung verlautbaren ließ:
"Despite recognizing that torture is categorically prohibited and that the treatment of our plaintiffs
constitutes an indictment of the humanity with which the United States treats its detainees, the
court ruled that innocent civilians tortured by the United States cannot seek recourse in the federal
courts to hold responsible officials legally liable”
2. Gang des Ermittlungsverfahrens
2.1 Einstellungsvermerk der Generalbundesanwältin vom 05. April 2007
Mit Schriftsatz vom 26. April 2007, zugestellt per Fax am 27.04.2007 und per Post am 30.
04.2007, teilte die Generalbundesanwältin dem Unterzeichner mit, dass sie die mit Schriftsatz vom
14.11.2006 erhobene und mit Schreiben vom 24.11.2006, vom 08.12.2006, vom 25. und
30.01.2007, vom 14.02.2007 sowie vom 23. und 28.03.2007 ergänzte Anzeige geprüft habe und
aus den in einem beigefügten Vermerk ausgeführten Gründen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahren abgesehen habe.
Die Begründung lautet wie folgt:
(vgl. den Vermerk in Kopie als Anlage 2)
1. § 153f Abs. 1 S. 1 StPO eröffnet eine Nichtverfolgungsermächtigung (Beulke in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Nachtr. § 153f Rn. 14). Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kann bei Auslandstaten i.S.d. § 153c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO abgesehen
werden, wenn sich ein Tatverdächtiger weder im Inland aufhält noch ein solcher Aufenthalt
zu erwarten ist Dies ist hier der Fall.
a) Bei den angezeigten Vorwürfen handelt es sich mangels eines inländischen Erfolgs- oder
Handlungsortes i.S.d. § 2 VStGB i.V.m. § 9 StGB um Auslandstaten.
aa) Die den Angezeigten zur Last gelegenen Handlungen haben in keinem der angezeigten Fälle
einen tatbestandlichen Erfolg im Sinne der §§ 8ff. VStGB in Deutschland hervorgerufen.
Dafür, dass Personen, die von den in der Strafanzeige geschilderten Handlungen betroffen
waren, vom Irak oder von Afghanistan aus über die Bundesrepublik Deutschland nach Kuba/Guantánamo verbracht wurden - mit der Folge eines etwaigen „Transitortes" in
Deutschland (vgl. hierzu Ambos/Ruegenberg in: Münchener Kommentar, StGB, § 9 Rn. 23,
24)-, ist nichts ersichtlich.
bb) Des weiteren fehlt es an tatsachenfundierten Anhaltspunkten für einen im Inland liegenden
Handlungsort.
Es ist nicht ersichtlich, dass die konkret in Rede stehenden Delikte in Deutschland vorbereitet wurden. Die bloße Stationierung von US-Truppen ist entgegen der Auffassung der Anzeigeerstatter ebenso wenig eine Vorbereitung der angezeigten Kriegsverbrechen wie die
Bewachung der in Deutschland gelegenen Militäreinrichtungen der USA durch deutsche Soldaten mit der Folge der Verfügbarkeit von US-Soldaten für einen Einsatz im Irak. Gleiches
gilt für die Ausbildung von Soldaten für den Einsatz im Irak. Ob diese tatsächlich in
Deutschland stattgefunden hat und dabei in Hinblick auf das humanitäre Völkerrecht „mangelhaft" war, wie die Anzeigeerstatter behaupten, kann dahinstehen. Auch eine unzureichende Vorbereitung auf die Betreuung von Kriegsgefangenen ist nicht Teil einer Vorbereitung auf Tathandlungen im Sinne von § 8 VStGB. Einen Erfahrungssatz des Inhalts, Soldaten, die nicht hinreichend auf Kriegshandlungen vorbereitet und über den Inhalt der Gen-
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fer Konventionen ins Bild gesetzt sind, begingen immer oder auch nur regelmäßig die behaupteten Kriegsverbrechen, gibt es nicht. Die Behauptung der Anzeigeerstatter, den später im Irak eingesetzten Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika sei in Deutschland
vermittelt worden, die Genfer Konventionen könnten außer Acht gelassen werden, ist rein
spekulativ. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür fehlen. Die von den Anzeigeerstattern schriftlich mitgeteilten Angaben von D.D., denen zufolge die Regeln der Genfer Konvention für
Befragung allen neuen Soldaten und Offizieren vom ersten Tage ihrer Ausbildung an beigebracht wurden, sprechen eher gegen diese Behauptung (vgl. Testimony of Former U.S.
Army Counterintelligence Special Agent D.D., previously assigned to the 205th Military Intelligence Brigade in Iraq under Col. T.P. in 2003, for the German criminal procedure
against DOD D.R. and others, S. 3). Die Gewährung von Überflugrechten oder die Gestattung von Zwischenaufenthalten auf deutschem Boden, auf die die Anzeigeerstatter gleichfalls Bezug nehmen, ist keine strafgesetzlich erfasste Vorbereitung der angezeigten Geschehnisse - weder derjenigen in Guantánamo noch derjenigen im Irak. Gleiches gilt für
den Einsatz deutscher Staatsangehöriger von Irakern im Ausland.
Schließlich fehlt es auch an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass von Deutschland aus Befehle zur selbständigen Begehung von Verstößen gegen das VStGB erteilt oder Konzepte
zur Anwendung von im Widerspruch zur III. Genfer Konvention stehenden Behandlungsmethoden von Gefangenen ausgearbeitet wurden. Der Umstand allein, dass einzelne Angezeigte zeitweise in US-amerikanischen Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland
stationiert waren, gibt keinen tatsachenfundierten Hinweise darauf, dass die Taten selbst in
Deutschland ihren Ausgangspunkt genommen haben könnten.
b) Weder die angezeigten noch sonstigen nach der Anzeige als Tatverdächtige in Betracht
kommenden Personen halten sich gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ein
solcher Aufenthalt ist auch nicht zu erwarten.
aa) Nach Mitteilung des Leitenden Rechtsberaters der Abteilung für ausländisches Recht beim
Hauptquartier der US-Landstreitkräfte in Europa ist keine der in der Anzeige mit Wohnsitz
in Deutschland genannten Personen mehr im Inland stationiert oder sonst aufhältig. Aus
seiner Sicht sei mit ihrer Anwesenheit auch künftig nicht zu rechnen.
bb) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Aufenthalt einer angezeigten oder nach der Anzeige
als tatverdächtig in Betracht kommenden Person zur erwarten ist, liegen auch sonst nicht
vor. Solche Anhaltspunkte können bereits dann ausgeschlossen werden, wenn - wie hier nach den im Inland verfügbaren Daten keinerlei Bindungen oder Beziehungen beruflicher,
persönlicher oder familiärer Art in Deutschland bekannt sind (vgl. Beulke in: Löwe/Rosenberg, StPO. 25. Aufl., Nachtr. § 153f Rn. 16; Weßlau in: Systematischer Kommentar, StPO, 3 153f Rn. 9). Nicht ausreichend ist entgegen der Auffassung der Anzeigeerstatter die lediglich theoretische Möglichkeit der Einreise nach Deutschland oder in ein
Land, in dem nach den angezeigten Personen auf der Grundlage eines Europäischen oder
internationalen Haftbefehls geahndet werden könnte. Die Wendung „zu erwarten" bringt auch in der in § 153f Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO verwendeten Negation - einen
sich aus konkreten Anhaltspunkten ergebenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zum Ausdruck.
Würde man eine Verfolgungspflicht bereits dann annehmen, wenn ein künftiger Aufenthalt
eines ausländischen Tatverdächtigen lediglich nicht auszuschließen ist, liefe § 153f Abs. 1
S. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO im Ergebnis in der Mehrzahl der Fälle weitgehend leer, weil
„Vorermittlungen" über gegenwärtige und künftige Reisebewegungen von im Ausland lebenden Personen wenig Erfolg versprechen. Der mit § 153f Abs. 1 S. 1 StPO intendierte
Zweck, fruchtlose Ermittlungsarbeit in Fällen zu vermeiden, die keinen Inlandsbezug aufweisen und deshalb keinen nennenswerten Aufklärungserfolg versprechen (vgl. Beulke, in:
Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Nachtr. § 153f Rn. 5) wäre dann nicht zu erreichen.
cc) Die ehemalige Brigadegeneralin J.K., die nach Mitteilung des anwaltlichen Vertreters der
Anzeigeerstatter von Mai 2003 bis Frühjahr 2004 oberste Befehlshaberin für das Gefängnis
von Abu Ghraib und sechzehn weitere irakische Haftzentren gewesen sei und sich als Zeugin zu einer Aussage in Deutschland vor deutschen Ermittlungsbehörden bereit erklärt habe, wurde nicht angezeigt und kommt - jedenfalls nach dem Anzeigevorbringen - auch
nicht als Tatverdächtige in Betracht.
Nach Mitteilung der Anzeigeerstatter und in einer der Anzeige als Anlage beigefügten
schriftlichen „Zeugenaussage" hat sich J.K. nicht dauerhaft, sondern nur zeitweise in Abu
Ghraib aufgehalten. Sie habe erst 2004 von Misshandlungen erfahren, als bereits Untersu-
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chungen wegen dieser Vorfälle eingeleitet worden und die Befehlsgewalt über die Gefängniseinrichtung Abu Ghraib de facto an den Offizier des Militärischen Nachrichtendienstes
„übergeben" gewesen seien. Ihr sei - nachdem sie von Misshandlungsvorwürfen erfahren
habe - eine Kontaktaufnahme zu den in Abu Ghraib eingesetzten Soldaten mit dem Hinweis
verwehrt worden, dass diese nicht mehr ihrem Kommando unterstünden. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die diesem Vortrag der Anzeigeerstatter widerlegen und dem entgegen einen Anfangsverdacht für eine Strafbarkeit J.K. wegen eines Verbrechens nach §§ 6
ff. (ggf. i.V.m. § 4) VStGB begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Ob die militärische
Funktion J.K.s angesichts des Vorbringens einen Verdacht für eine Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 13 VStGB) stützen könnte, bedarf keiner Entscheidung, da für dieses Vergehen das Weltrechtsprinzip des § 1 VStGB nicht gilt und deutsches Strafrecht deshalb darauf
nicht anwendbar wäre.
2. Die nach § 153f. Abs. 1 S. 1 StPO vorzunehmende Abwägung ergibt, dass für ein Tätigwerden deutscher Ermittler kein Raum ist.
a) Zweck des § 153f StPO ist es, den Folgen Rechnung zu tragen, die sich aus der Geltung des
Weltrechtsprinzips für die deutsche Justiz ergeben. Für die Durchführung von Ermittlungen
spricht dabei grundsätzlich der Gesichtspunkt, dass eine möglichst lückenlose weltweite
Strafverfolgung der Völkerrechtsverbrechen gewährleistet werden soll. Andererseits soll der
Gefahr entgegengewirkt werden, dass sich Anzeigenerstatter bestimmte Staaten, die - wie
vorliegend Deutschland - in keinerlei direktem Zusammenhang mit den zur Anzeige gebrachten Taten stehen, allein wegen ihres völkerrechtsfreundlichen Strafrechts als Ort der
Verfolgung aussuchen (so genanntes "Forum-Shopping"; Kurth, ZIS 2006, 81, 83; Ambos,
NStZ 2006, 434, 435.) und dadurch die Ermittlungsbehörden zu aufwendigen, aber letztlich
nicht zielführenden Ermittlungen zwingen. Da nach § 1 VStGB jedes Verbrechen nach dem
Völkerstrafgesetzbuch (auch) deutscher materieller Strafgewalt unterfällt, eröffnet § 153f
StPO auf prozessualer Ebene für die Staatsanwaltschaft ein Korrektiv, einer Überlastung
durch unzweckmäßige Ermittlungsarbeit entgegenzuwirken (BT-Drs. 14/8524 S. 27; Beulke
in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 153f Rn. 5; Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung
völkerrechtlicher Verbrechen, 2003, S. 261). Dem entsprechend erlaubt § 153f Abs. 1 S. 1
StPO bei reinen Auslandstaten im Einzelfall, von der Verfolgung unabhängig davon abzusehen, ob eine andere Gerichtsbarkeit zur Verfolgung bereit ist (Weigend in: Gedächtnisschrift für Theo Vogler, S. 197, 209; Ambos, NStZ 2006, 434, 435; Schoreit in: Karlsruher
Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 153f Rn. 3). Das gilt vor allem dann, wenn keine Aussichten
darauf bestehen, dass Beschuldigte in Deutschland auch tatsächlich vor Gericht gestellt
werden können (Singelnstein / Stolle, ZIS 2006, 118, 119). An diesem Zweck ist die Ermessensausübung auszurichten. Die Ansicht der Anzeigeerstatter, die Bundesrepublik
Deutschland müsse stellvertretend für die „Weltgemeinschaft“ tätig werden und daher jedenfalls Ermittlungen aufnehmen, geht demgegenüber fehl.
b) Umstände, die für eine Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegens der Voraussetzungen
des § 153f Abs. 1 S. 1 StPO sprechen könnten, liegen nicht vor. Sie wären nur gegeben,
wenn durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbehörden ein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland
oder im Ausland) vorzubereiten. Daran fehlt es jedoch.
Zur Aufklärung möglicher Tatvorwürfe wären Ermittlungen vor Ort und in den Vereinigten
Staaten von Amerika unumgänglich. Diese könnten, da deutsche Ermittlungsbehörden im
Ausland über keine Exekutivbefugnisse verfügen, nur im Rechtshilfewege erfolgen. Entsprechende Gesuche erscheinen aber - insbesondere, wenn man die Rechts- und Sicherheitslage im Irak bedenkt - offensichtlich aussichtslos.
Ein Beweisverlust durch ein Nichttätigwerden deutscher Strafverfolgungsbehörden ist nicht
zu besorgen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es nach Mitteilung der Anzeigeerstatter die ehemalige Befehlshaberin für das Gefängnis von Abu Ghraib, J.K., zu Angaben
gegenüber deutschen Ermittlungsbehörden bereit ist. Es ist nicht ersichtlich, dass sie weitergehende Angaben machen könnte, als sie dazu über den anwaltlichen Vertreter der Anzeigeerstatter, mit dem sie in Kontakt steht, im Stande wäre. Gleiches gilt für weitere Zeugen, zu denen der anwaltliche Vertreter der Anzeigeerstatter Verbindungen unterhält und
deren Benennung er ebenso angekündigt hat wie die Übermittlung des wesentlichen Inhalts
entsprechender Aussagen. Der Umstand, dass den Angaben von J.K. und eventuell weiterer
von den Anzeigeerstattern angekündigte Zeugen bei US-amerikanischen Untersuchungen
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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nicht dasjenige Gewicht beigemessen wurde, das die Anzeigerstatter sich wünschen, zwingt
nicht zur Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens in Deutschland. Die Auffassung, gleichwohl
müssten in einem deutschem Ermittlungsverfahren solchen Angaben dokumentiert und systematisch aufbereitet werden, auch wenn ein erfolgreiches Ermittlungsverfahren in
Deutschland aus den vorgenannten Gründen ebenso wenig zu erwarten ist wie das Eingehen von Rechtshilfeersuchen auf Vernehmung dieser Personen, geht fehl. Dies würde im
Ergebnis auf eine rein symbolische Strafverfolgung hinauslaufen, die - mangels umfassender Aufklärungsmöglichkeiten - notgedrungen einseitig bleiben müssten. Eine solche war
vom deutschen Gesetzgeber aber - auch bei Völkerstraftaten - ausdrücklich nicht gewollt,
zumal hierdurch die ohnehin personell und finanziell begrenzten Strafverfolgungsressourcen
zu Lasten sonstiger, Erfolg versprechender Strafverfolgung unnötig gebunden würden. Die
(straf-) rechtliche Aufarbeitung etwaiger Verstöße gegen das Folterverbot in Guantánamo
Bay/Kuba oder im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg bleibt daher Aufgabe der hierzu berufenen und hierfür zuständigen Justiz der Vereinigten Staaten von Amerika.
Die den Angezeigten zur Last gelegten Straftaten nach §§ 211 ff., 223 ff., 239 ff. StGB
i.V.m. § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. der UN-Folterkonvention sowie Art. 129 III. Genfer Abkommen
über die Behandlung der Kriegsgefangenen sind von der Entscheidung, von einer Verfolgung nach § 153f Abs. 1 S. 1 StPO abzusehen, mit umfasst, soweit die Vorwürfe die selben
prozessualen Taten wegen derer die Anzeigeerstatter eine Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch behaupten. Soweit gegen die Angezeigten der Vorwurf darüber hinausgehender und vor dem Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs liegender Straftaten nach
211 ff., 223 ff., 239 ff. StGB erhoben wird, mangelt es an einer Verfolgungszuständigkeit
des Generalbundesanwalts (§ 142a Abs. 1, 120 GVG).
Es bedarf insoweit keiner Vorlage an den Bundesgerichtshof zur Bestimmung einer zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. eines zuständigen Gerichts nach § 13a StPO. Für eine solche
Entscheidung ist kein Raum.
Die Anzeigeerstatter haben keine Zuständigkeitsbestimmung lediglich „vorbehaltlich der
Einleitung des Klageerzwingungsverfahrens" beantragt, ein solches aber naturgemäß noch
nicht eingeleitet. Deshalb kann es dahinstehen, ob es sich bei dem Antrag um eine bedingungsfeindliche und damit unwirksame Prozesshandlung handelt (vgl. hierzu MeyerGoßner, StPO, 43. Aufl., Einl. Rn. 118).
Von Amts wegen bedurfte es eines Antrags nach § 13a StPO nicht Es mag offen bleiben, ob
die den angezeigten Personen zugeschriebene Vorwürfe auf der Grundlage der pauschalierenden Darstellung in der Anzeige überhaupt einen hinreichenden Grad an Konkretisierung
und Individualisierung aufweisen, um eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 13a StPO
vorzunehmen, denn der Gerichtsstand kann nicht für pauschal geschilderte Gesamtkomplexe bestimmt werden (vgl. hierzu BGHR StPO § 13a Anwendungsbereich 1 und 2). Jedenfalls
ist erkennbar, dass die für die angezeigten Straftaten weder ein Erfolgs- noch ein Handlungsort in Deutschland liegt [s. o. B. II. a)]. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts kann
entgegen der Auffassung der Anzeigeerstatter auch nicht auf § 6 Nr. 9 StGB gestützt werden - weder in Verbindung mit der UN-Folterkonvention noch i.V.m. Art. 129 III. Genfer
Abkommen. Nach § 6 Nr. 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht zwar grundsätzlich unabhängig vom Recht des Tatorts für im Ausland begangene Taten, die aufgrund eines für die
Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn
sie im Ausland begangen wurden. Diese internationalen Verträge haben die Wirkung, dass
bestehende Strafvorschriften auf Taten im Ausland auch dann anzuwenden sind, wenn spezielle, das Abkommen ausfüllende Strafvorschriften noch fehlen oder nicht voll erfassen,
was danach unter Strafe zu steilen ist (Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 6 Rn. 9). Zur Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Straftaten, die von Ausländern im Ausland an Ausländer verübt worden sind, bedarf es jedoch eines legitimierenden
inländischen Anknüpfungspunkts (BGH NStZ 1999, 236; BGHR StGB §6 Nr. 1 Völkermord
2, offen gelassen BVerfG, NStZ 1999, 240, 243; BGHSt 46, 292, 306f.). Daran fehlt es [s.
o. B. II. 1. b)].
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2.2 Gegenvorstellung des Rechtsanwalts W.K. vom 22.06.2007
Mit Schreiben vom 22.06.2007 legte der Unterzeichner Gegenvorstellung (vgl. Anlage 3) ein.
Der Unterzeichner begründete die Einlegung der Gegenvorstellung gegen die Entscheidung der
Bundesanwaltschaft vom 26.04.2007 wie folgt:
„Hiermit lege ich gegen die Entscheidung der Bundesanwaltschaft vom 26.04.2007, in obiger Sache
kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, eine Gegenvorstellung ein.
Begründung:
Die Rede des UN-Sonderberichterstatters Leandro Despouy zur Eröffnung der 5. Sitzung des Menschenrechtsrates am 11. Juni 2007 wird zum Anlass genommen folgende Gegenvorstellung einzulegen.
In einem Antwortschreiben der deutschen Regierung vom 22. August 2006 wird versucht, die von
UN-Sonderberichterstatter Despouy aufgeführten Kritikpunkte zu widerlegen. In einem Schreiben
vom Juli 2006 hatte der UN-Sonderberichterstatter Leandro Despouy, seine Bedenken im Zusammenhang mit der Anzeige vom 29. November 2004 gegen den ehemaligen Verteidigungsminister
der Vereinigten Staaten von Amerika, D.R., und anderen wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Folterverbot geäußert. In diesem Schreiben analysiert der UN-Sonderberichterstatter die
besorgniserregende Art und Weise der Entscheidung der Bundesanwaltschaft in dieser Sache kein
Ermittlungsverfahren einzuleiten. Er kritisierte die fehlende Unabhängigkeit des Generalbundesanwaltes, die in der politischen Entscheidung keine Ermittlungen aufzunehmen, zum Ausdruck kam
sowie das Verhalten des Generalbundesanwalts, durch welches er seiner Pflicht, die angezeigten
Kriegsverbrechen unabhängig, neutral und objektiv zu ermitteln und zu verfolgen, nicht nachkomme.
Herr Despouy berichtete in seiner gestrigen Rede, dass die in seinem damaligen Schreiben an die
Regierung der Bundesrepublik Deutschland bezeichneten vermeintlichen Straftäter in den Vereinigten Staaten von Amerika bislang nicht verurteilt wurden und darüber hinaus ein Gesetz verabschiedet wurde, welches die Verfolgung und Verurteilung hochrangiger Offizieller praktisch vereitele, die solcher Taten verdächtig werden.
Herr Despouy nahm zur Kenntnis, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine weitere Anzeige gegen
D.R. u.a. eingereicht worden war, und hofft, dass diese Anzeige mit der notwendigen Unabhängigkeit und in Einklang mit internationalen Regeln und Standards geprüft wird.
Die Argumentation der Bundesanwaltschaft:
In dem der Nichteinleitungsentscheidung zugrunde liegenden Vermerk vom 05.04.2007 beruft sich
die Bundesanwaltschaft darauf, dass § 153f Abs. 1 S. 1 StPO eine Nichtverfolgungsermächtigung
eröffne. Diese ermögliche die Nichteinleitung von Ermittlungsverfahren bei Auslandstaten, wenn
sich ein Tatverdächtiger weder im Inland aufhalte, noch ein solcher Aufenthalt zu erwarten sei. Bei
den angezeigten Vorwürfen handele es sich mangels inländischen Erfolgs- oder Handlungsortes im
Sinne von § 2 VStGB i.V.m. mit § 9 StGB um Auslandstaten. Nach Mitteilung des leitenden Rechtsberaters der Abteilung für ausländisches Recht beim Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa
sei keine der in der Strafanzeige mit Wohnsitz in Deutschland genannten Personen mehr im Inland
stationiert oder sonst aufhältig und aus Sicht des Rechtsberaters sei mit deren Anwesenheit auch
künftig nicht zu rechnen.
Daher ergäbe die nach § 153f Abs. 1 S. 1 StPO vorzunehmende Abwägung, „dass für ein Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden kein Raum" sei. § 153f StPO solle u.a. der Gefahr entgegen
wirken, dass Deutschland aufgrund seines völkerrechtsfreundlichen Strafrechts als Ort der Verfolgung ausgesucht und dadurch die Ermittlungsbehörden zu aufwendigen, aber letztlich nicht zielführenden Ermittlungen gezwungen werden. Von Ermittlungen könne daher bei reinen Auslandstaten
abgesehen werden, wenn „keine Aussichten darauf bestehen, dass Beschuldigte in Deutschland
auch tatsächlich vor Gericht gestellt werden könnten". Die Ansicht der Anzeigenerstatter, wonach
„die Bundesrepublik Deutschland ... stellvertretend für die Weltgemeinschaft tätig werden" müsse,
gehe fehl. Ein „nennenswerter Aufklärungserfolg, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in
Deutschland oder im Ausland) vorzubereiten" könne nicht prognostiziert werden. Zur Aufklärung
möglicher Tatvorwürfe seien nämlich Ermittlungen vor Ort und in den Vereinigten Staaten von
Amerika unumgänglich.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Die Entscheidung des GBA führt zu andauernder Straflosigkeit:
Dieses, aus Sicht der Anzeigenerstatter, Zwischenergebnis ist aus rechtlichen Gründen nicht haltbar und führt in letzter Konsequenz dazu, dass schwerste Völkerstraftaten, die von einem engen
Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 2001 bis 2006 begangen wurden, bis
auf weiteres straflos bleiben werden. Denn wie in dem Eingangskapitel der Strafanzeige vom
13.11.2006 umfangreich dargelegt wird, haben die zahlreichen Menschenrechts- und Juristenorganisationen, die die Strafanzeige in Deutschland erstattet haben, alle zivilrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Schritte in den USA, im Irak und weltweit erwogen und teilweise
beschritten, um die Strafverfolgung der Folterstraftaten und Kriegsverbrechen in Afghanistan, Guantánamo und Irak zu erreichen, um letztlich, zumindest vorerst, erfolglos zu bleiben. Die Einleitung
eines Strafverfahrens nach Völkerstrafgesetzbuch erschien ihnen als zurzeit aussichtsreichster und
zugleich alternativloser Weg. Die Erwartungen dieser weltweit agierenden Organisationen auf eine
politisch sicherlich mutige, rechtlich aber gebotene Entscheidung deutscher Strafverfolger, Ermittlungen im Falle D.R. einzuleiten, wurden auf das Schwerste enttäuscht. Im Einzelnen ist die Entscheidung der Bundesanwaltschaft von April 2007 aus folgenden Gründen kritikwürdig:
1. Einstellung trotz Anfangsverdacht von schwersten Verbrechen
Die für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach bundesdeutschem Strafprozessrecht, §§
152 Abs. 2, 160 StPO erforderliche Verdachtsstufe des Anfangsverdachts ist im Falle von D.R. sowie den anderen angezeigten US-amerikanischen Offiziellen unzweifelhaft gegeben. Die Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens durch bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden wäre gerade angesichts der schwerwiegenden Tatvorwürfe von Völkerstraftaten zwingend geboten. Dies gilt umso
mehr, als dass sich die Strafanzeige nicht auf die bloße Behauptung der erheblichen Strafvorwürfe
beschränkt hat. Vielmehr wurde auf umfangreiche Vorarbeiten von amerikanischen Rechtswissenschaftlern, Menschenrechtsorganisationen und selbst Regierungsberichte offizieller amerikanischer
Stellen, sowie von UN-Stellen zurückgegriffen, um den Tatverdacht gegen D.R. u.a. schlüssig zu
belegen. Die Tatsache, dass in Afghanistan, Guantánamo und Irak systematisch von USamerikanischen Soldaten gefoltert wurde und dass diese Folter von amerikanischen Regierungsstellen und obersten Militärs angeordnet worden war, wird mittlerweile allgemein anerkannt, lediglich
die rechtliche Bewertung ist umstritten. Anders als bei anderen Anzeigen nach dem Völkerstrafgesetzbuch wird daher in dem Vermerk der Bundesanwaltschaft vom April 2007 das inhaltliche Substrat der Strafanzeige vom November 2006 gar nicht erst in Zweifel gezogen.
Es geht daher in dem Vermerk von April 2007, wie auch schon bei der vorhergehenden und in Bezug genommenen Entscheidung der Bundesanwaltschaft vom Februar 2005 einzig und allein darum, ob bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden ein Ermittlungsverfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch gegen hohe US-amerikanische (ehemalige) und amtierende Regierungsoffizielle und
Militärs einleiten sollen und müssen. Dazu wird allerdings - und dies ist ein wichtiges Argument
gegen die Entscheidung - fast vollkommen außer Acht gelassen, dass sich nämlich in der Weltgemeinschaft hinsichtlich der zu Anzeige gebrachten Folterstraftaten und Kriegsverbrechen ein Konsens gebildet hat, dass diese Straftaten weltweit verboten und darüber hinaus weltweit strafverfolgt und bestraft werden sollen.
Dies ist auch der Grundgedanke des internationalen Strafgerichtshofes und kommt in der Präambel
des IStGH-Statuts so zum Ausdruck, dass die Kernverbrechen des Völkerstrafrechts als „schwerste
Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren", angesehen werden (vgl.
auch Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 2003, S. 30 ff.). Zu diesen Völkerrechtsverbrechen zählen
unstreitig u.a. die hier angezeigten Kriegsverbrechen. „Aus dieser universellen Natur der Völkerrechtsverbrechen folgt, dass die Völkergemeinschaft grundsätzlich befugt ist, diese Verbrechen zu
verfolgen und zu bestrafen, unabhängig davon, wo, durch wen oder gegen wen die Tat begangen
worden ist." (Werle, a.a.O., S. 68). Daraus ergibt sich nicht nur die Grundlegitimation der internationalen Gemeinschaft und damit des Internationalen Strafgerichtshofs, solche Straftaten zu verfolgen. Auch den einzelnen Staaten steht diese Strafbefugnis zu. „Völkerrechtsverbrechen sind keine
inneren Angelegenheiten" (vgl. Werle, a.a.O., S. 69). Für Völkerrechtsverbrechen gilt daher das
Weltrechtspflegeprinzip. Genau aus diesem Grunde wurde mit breiter Zustimmung des Bundesrates
und des Bundestages das Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland beschlossen, das am 30. Juni 2002
in Kraft getreten ist. Das Völkerstrafgesetzbuch hat sich zum Ziel gesetzt, „das spezifische Unrecht
der Verbrechen gegen das Völkerrecht besser zu erfassen, als dies nach allgemeinem Strafrecht
derzeit möglich ist" und „im Hinblick auf die Komplementarität der Verfolgungszuständigkeit des
internationalen Strafgerichtshof zweifelsfrei sicherzustellen, dass Deutschland stets in der Lage ist,
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen" (vgl. BundestagsDrucksache 14/8524, S. 11 ff.). Deswegen wird in § 1 des Völkerstrafgesetzbuches das Weltrechtsprinzip ausdrücklich für alle in ihm bezeichneten Verbrechen gegen das Völkerrecht festgeschrieben
„auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist" (§ 1
l/StGB). Das Völkerstrafgesetzbuch ist nicht zuletzt deswegen als eines der weltweit ersten nationalen Gesetzgebungsprojekte anzusehen, das das Völkerstrafrecht nach dem Inkrafttreten des
IStGH-Statuts regelt. Das IStGH hat unter anderem das Ziel, „durch die Schaffung eines einschlägigen Regelwerkes das humanitäre Völkerrecht zu fördern und zu seiner Verbreitung beizutragen"
(vgl. Bundestags-Drucksache 14/8524, S. 12).
2. Keine Ressourcen für Verfolgung von Völkerstraftaten
Diesen eindeutigen Wertentscheidungen der internationalen Rechtsgemeinschaft und des Bundesgesetzgebers folgt leider keine diesen Vorgaben entsprechende Praxis bundesdeutscher Strafverfolgungsbehörden.
Es mag so sein, dass die Bundesanwaltschaft bei der Ermittlung von Völkerstraftaten von der Politik
allein gelassen wird. Dies legt die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Wieland und andere vom 05.02.2007 - Bundestags-Drucksache 16/4267 - nahe. Denn dort wird ausgeführt, dass die Ermittlungen von Völkerstraftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch Aufgabe eines Ermittlungsreferates des Generalbundesanwaltes sei, dieses Referat mit
einem Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, einem Oberstaatsanwalt beim BGH und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter besetzt sei und keiner der genannten Beschäftigten ausschließlich Verfahren wegen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch betreue. Die Tragweite dieser grundlegenden Organisationsentscheidung wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die bevölkerungsärmeren Nachbarstaaten Dänemark und Niederlande demgegenüber schlagkräftige, so genannte
„war-crimes-units" (Abteilungen für Kriegsverbrechen), aufgebaut haben. In den Niederlanden sind
beispielsweise 32 Juristen, Wissenschaftler und Kriminalisten in der Einheit tätig (vgl. die entsprechenden Kapitel in der bekannten Studie von Human Rights Watch „Universal Jurisdiction in Europe" von 2006). Damit wird deutlich, dass dem Nichttätigwerden bundesdeutscher Strafverfolgungsbehörden nach dem Völkerstrafgesetzbuch auch eine politische Grundentscheidung zugrunde liegt.
Nur so sind die fast irrealen Ängste der Bundesanwaltschaft, wie sie beispielsweise in dem Vermerk
auf Seite 9 zum Ausdruck kommen, dass Deutschland aufgrund seines völkerrechtsfreundlichen
Strafrechts als Ort der Verfolgung ausgesucht und dadurch deutsche Ermittlungsbehörden zu aufwendigen Ermittlungen gezwungen werden, zu erklären. Denn in Wirklichkeit laufen nämlich überhaupt keine Ermittlungen nach dem Völkerstrafgesetzbuch und nach der derzeitigen Politik sind
solche auch nicht zu erwarten. Die mangelhafte Ausstattung der Bundesanwaltschaft kommt auch
an einer weiteren Stelle des Vermerks deutlich zum Ausdruck, wenn es sich bei der Abwägung, ob
Aufklärungserfolge im hiesigen Verfahren erreicht werden können, ausgeführt wird, dass die hier
aufgezeigten Aufklärungsmöglichkeiten lediglich symbolische seien und solche vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewollt seien, „zumal hier durch die ohnehin personell und finanziell
begrenzten Strafverfolgungsressourcen zu Lasten sonstiger, Erfolg versprechender, Strafverfolgung
unnötig gebunden würden".
Die Kritik an der Entscheidung der Bundesanwaltschaft, im Falle D.R. u.a. kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, muss sich daher auch gegen die Bundesregierung, zumindest das Bundesjustizministerium, richten.
3. Förmliche Ermittlungen zum Inlandsaufenthalt notwendig
Es kann von hier aus nicht nachvollzogen werden, ob die vier in der Strafanzeige genannten Beschuldigten R.S., W.W., T.P. und M.W., tatsächlich nicht mehr in Deutschland aufhältig bzw. stationiert sind. Angesichts eines Verdachts schwerster Straftaten kann es aber nicht ausreichen, wenn
die Bundesanwaltschaft eine bloße Mitteilung des leitenden Rechtsberaters der Abteilung für ausländisches Recht beim Hauptquartier der US-Landstreitkräfte in Europa zitiert, in der ohne Angabe
von Namen und ohne schlüssige weitere Tatsachenmitteilungen davon ausgegangen wird, dass
keiner der in der Anzeige genannten Personen mehr im Inland stationiert oder sonst aufhältig sei
und - vor allem - aus Sicht des Rechtsberaters mit einer solchen Anwesenheit auch künftig nicht
mehr zu rechnen sei. Zwar kann von hier aus nicht nachvollzogen werden, in welchem Umfang die
Bundesanwaltschaft hier ermittlerisch tätig wurde, dies muss der Nachprüfung nach erfolgter Akteneinsicht vorbehalten bleiben. Jedenfalls in der in dem Vermerk dargelegten Form sind die Er-
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mittlungen unzureichend. Das bloße Vertrauen in eine in einem offenkundig informellen Verfahren
ergangene Mitteilung des Rechtsberaters der Regierung, der immerhin erhebliche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, kann den Maßstäben des Völkerstrafgesetzbuches nicht genügen. Hierzu war in der Strafanzeige schon an anderer Steile (S. 90) angeregt worden, dass im
förmlichen Rechtshilfewege Auskünfte bei den Bundesjustizbehörden der Vereinigten Staaten von
Amerika eingeholt werden, weil nur derart erteilte Auskünfte Verbindlichkeit entfalten können.
4. Inlandsaufenthalt der angezeigten Personen zu erwarten
Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft dazu, dass ein Aufenthalt der in der Strafanzeige genannten Personen auch künftig nicht zu erwarten sei und auch aus diesem Grunde eine Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens nicht Betracht käme, sind sowohl rechtlich als auch tatsächlich nicht
haltbar.
Der Generalbundesanwalt hat insbesondere verkannt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen,
der das Opportunitätsprinzip und damit das staatsanwaltschaftliche Ermessen eröffnenden Norm (§
153f Abs. 1 i.V.m. § 153f Abs. 2 StPO), nicht gegeben waren. Denn er geht fälschlicherweise davon
aus, dass ein Aufenthalt der Tatverdächtigen in Deutschland nicht mehr zu erwarten sei. Dabei
missachtete er aber das vom Gesetzgeber intendierte weite Verständnis des Inlandsaufenthalts,
wonach jeder (freiwillige oder unfreiwillige) Kontakt mit dem deutschen Hoheitsgebiet (sei es ein
vorübergehender Aufenthalt oder eine Durchreise), der eine Ergreifung ermöglicht, ausreicht (vgl.
Gesetzesbegr. in Lüder/Vormbaum (Hrsg.), Materialien zum VStGB, 2003, S. 61); auch: LR-Beulke
§ 153 f Rn 15; SK-Weßlau § 153 f Rn 9). Eine Einstellungsmöglichkeit ergibt sich daher nur für den
Fall, dass der Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt in Deutschland aufhältig war (vgl. Zappalà, Journal
of International Criminal Justice 4/2006, S. 606, der u.a. mit diesem Argument die Entscheidung
des GBA in dem Verfahren 3 ARP 116/05-2 gegen den ehemaligen usbekischen Innenminister Z.A.
kritisiert). Dort hatte sich der Beschuldigte nachweislich im November 2005 für einen gewissen
Zeitraum in Deutschland zur Krankenbehandlung aufgehalten, womit das Erfordernis der Präsenz
im Geltungsbereich des VStGB erfüllt ist. Im hiesigen Verfahren ist davon auszugehen, dass mindestens vier der Beschuldigten sich dauerhaft in Deutschland aufgehalten hatten, weil sie hier mit
ihren Einheiten stationiert waren. Damit ergibt sich nach Zappalà bereits die Verpflichtung zur Einleitung von Ermittlungen. Zappalàs Auffassung hat im Übrigen für sich, dass sie verhindern würde,
dass der Wechsel der Begründungen der Bundesanwaltschaft zur Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens im Februar 2005 sowie neuerdings im April 2007 die andauernde Straflosigkeit der Beschuldigten in Deutschland führt. Während nämlich im Februar 2005 offensichtlich auch von der
Bundesanwaltschaft nicht angezweifelt wurde, dass Tatbeschuldigte ihren Aufenthalt in Deutschland hatten und insofern die Einleitung von Ermittlungsverfahren nach § 153f StPO zwingend gewesen wäre. Damals wurden rechtlich schwache und von der Rechtswissenschaft zu Recht stark
kritisierte Gründe einer angeblichen Strafverfolgung in den USA für die Nichteinleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen ins Feld geführt. Diesmal wurde nach einer unzureichenden Recherche
festgestellt, dass keiner der Beschuldigten mehr in Deutschland stationiert ist und deswegen auf
eine andere Begründung zurückgegriffen.
Im Übrigen waren bereits in der Strafanzeige (dort S. 82 ff.) umfangreiche Ausführungen zu dem
zumindest bei einigen Beschuldigten zu erwartenden Inlandsaufenthalt gemacht worden. Zum einen genügt, nach einer im Schrifttum mehrfach geäußerten Auffassung (vgl. u.a. Werle/Jessberger,
JZ 1999), dass eine Durchreise von Beschuldigten stattfindet. Eine solche ist aber im Falle der hier
Beschuldigten nicht nur nicht auszuschließen, wie es die Bundesanwaltschaft in ihrem Vermerk von
April 2007 tut, vielmehr ist eine Durchreise oder ein zwischenzeitiger Aufenthalt der in der Strafanzeige genannten Personen sogar überaus wahrscheinlich. Hierzu waren Ausführungen in der Strafanzeige gemacht worden, dass nämlich der Beschuldigte A.G. sich nicht nur im Oktober 2006 in
Deutschland aufgehalten hat. Er hält sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Gegenvorstellung,
vom 23.-25.05.2007, erneut in Deutschland und zwar in München beim Treffen der Justiz- und
Innenminister der G8-Staaten auf. Der Beschuldigte J.Y. war in den Jahren 2005 und 2006 als
Gastprofessor in Italien tätig. Darüber hinaus war zu D.R. ausgeführt worden, dass er, wie zahlreiche andere hochrangige ehemalige Außen- und Sicherheitspolitiker der USA sich regelmäßig in
Deutschland zum Besuch von Konferenzen und Tagungen aufhalten. Allein das Studium der Teilnehmerlisten der Münchener Sicherheitskonferenz, die im Februar jeden Jahres stattfindet, belegt
diese Tatsache. Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft, dass konkrete Anhaltspunkte dafür,
dass ehemalige Verteidigungs- und zukünftige ehemalige Justizminister der USA sich nicht in
Deutschland aufhalten würden, geht daher an den Realitäten vollkommen vorbei.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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In der Strafanzeige vom 14.11.2006 war hierzu insoweit ausgeführt worden:
Im Übrigen ist auch beim ehemaligen Verteidigungsminister D.R. ein Deutschlandaufenthalt in Zukunft zu erwarten. Denn alle hochrangigen ehemaligen Außen- und Sicherheitspolitiker der USA
halten sich regelmäßig in Deutschland zum Besuch von Konferenzen und Tagungen auf. Darüber
hinaus ist D.R. auch als Geschäftsmann tätig und es ist zu erwarten, dass er in dieser Eigenschaft
Reisen nach Deutschland bzw. in andere europäische Länder unternimmt, die dem Regime des
europäischen Haftbefehlsverfahrens unterliegen. Als Beleg dafür; wer in den letzten Jahren in
Deutschland war, mag ein Bück auf die Teilnehmerlisten der Münchener Sicherheitskonferenz 2006
dienen. Dort waren neben dem damals amtierenden Verteidigungsminister und Beschuldigten D.R.,
der ehemalige Verteidigungsminister W.B., der ehemalige General J.R., der ehemalige Botschafter
J.B., der ehemalige Regierungsfunktionär R.P., der ehemalige Botschafter R.H.H., der ehemalige
Botschafter R.H., der ehemalige Botschafter D.C. und der ehemalige Verteidigungsminister W.C.
anwesend.
Darüber hinaus muss angemerkt werden, dass der ehemalige Verteidigungsminister F.C. Direktor
der Carlyle Group, einer Investmentfirma mit Sitz in Frankfurt, ist. Der Beschuldigte D.R. ist mit
der Carlyle Group ebenfalls geschäftlich verbunden. Es ist daher zu erwarten, dass er Treffen dieser
Gruppe in Frankfurt besucht. Weiterhin ist D.R. Aufsichtsrat der Ingenieursfirma ABB, die wiederum
in der Schweiz ansässig ist.
Zudem verwendet die Bundesanwaltschaft einen Maßstab, der weder der Gesetzesbegründung zum
Völkerstrafgesetzbuch noch zu dem bisher ergangenen Schrifttum zu entnehmen ist. Es wird ohne
weitere Recherchen, ja ohne Begründung, ausgeführt, dass - ausgerechnet im Falle von hochrangigen US-amerikanischen Politikern und Militärs - eine Einreise in Deutschland oder den europäischen
Rechtsraum nicht zu erwarten sei. Weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, sei von einer Einreise
nicht auszugehen. Das Gegenteil ist der Fall. Anschließend wird ausgeführt, dass Vorermittlungen
über gegenwärtige und künftige Reisebewegungen von im Ausland lebenden Personen wenig Erfolg
versprächen. Damit ist der Gedanke des Völkerstrafrechts insgesamt ad absurdum geführt. Denn in
der Strafanzeige war neben dem zumindest zeitweiligen Inlandsaufenthalt der Beschuldigten auch
auf zukünftige Reisebewegungen nach Deutschland und in den europäischen Raum hingewiesen
worden. Diese sind ebenfalls belegt und nicht, wie die Bundesanwaltschaft ausführt, nicht zu erwarten.
Selbst wenn man mit dem Generalbundesanwalt vom Vorliegen der tatbesthandlichen Voraussetzungen des § 153f Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StPO ausgeht, war dieser nicht verpflichtet,
die Aufnahme von Ermittlungen abzulehnen. Vielmehr entspricht es dem gesetzgeberischen Willen
nur in einem eng begrenzten Rahmen, Ausnahmen vom Legitimitätsprinzip zu machen (vgl. auch
Zappalà, aaO, S. 607). Es hätte also keiner besonderen Rechtfertigung bedurft, trotz des Vorliegen
der Voraussetzungen des § 153f StPO ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (vgl. Ambos, NStZ
2006, S. 435). Wenn der Generalbundesanwalt davon ausgeht, dass Umstände, die eine Aufnahme
von Ermittlungen trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO rechtfertigen könnten, nicht
vorlägen und daher für ein Tätigwerden der deutschen Strafverfolgungsbehörden kein Raum sei,
wird das Legalitätsprinzip auf den Kopf gestellt Nicht die Aufnahme von Ermittlungen ist begründungsbedürftig, sondern die Nichteinleitung bzw. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens.
Mit seiner Argumentation erweckt der Generalbundesanwalt den Eindruck, als sei es gängige
staatsanwaltschaftliche Praxis, bei nicht inländischem Aufenthalt von Beschuldigten kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Hierzu ist auszuführen, dass sich deutsche Strafverfolger in der Regel
nicht davon abschrecken lassen, Ermittlungsverfahren auch gegen solche Beschuldigte zu ergreifen, die sich nicht im Inland aufhalten, zumal wenn es sich beispielsweise um Vorwürfe des Terrorismus oder des Drogenhandels handelt. Denn in jenen Verfahren erwägen deutsche Strafverfolger
regelmäßig die Möglichkeit, internationale Haftbefehle bzw. europäische Haftbefehle gegen die dortigen Beschuldigten zu erwirken. Selbst wenn man dem GBA folgen will und zum Zeitpunkt der
Anzeigenerstattung den dringenden Tatverdacht für nicht gegeben ansieht, hätte die Möglichkeit
eines späteren, andernorts zu vollstreckenden Haftbefehls im hiesigen Verfahren erwogen werden
müssen.
Die vom Generalbundesanwalt zu treffende Ermessensentscheidung über eine Verfahrenseinstellung nach § 153f Abs. 1, 2 StPO darf nicht aufgrund falsch gedeuteter tatsächlicher Umstände oder
auf andere Weise fehlerhaft getroffen worden sein.
Soweit das OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 13.9.2005 - 5 Ws 109/05 feststellt, dass die
eigentliche Ermessensentscheidung i.R.d. § 153f StPO nicht justiziabel sei und gerichtlich nur über-
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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prüfbar sei, ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde und ob die Grenze zur Willkür überschritten
sei, kann dies nicht überzeugen. Durch diese Selbstbeschneidung gerichtlicher Prüfungskompetenz
wird ermöglicht, dass der im VStGB niedergelegte gesetzgeberische Wille der Einführung des Weltrechtsprinzips faktisch durch politische Erwägungen der Staatsanwaltschaft umgangen werden
kann.
Der renommierte Völkerstrafrechtler Kai Ambos, der in der Expertenarbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz an der Ausarbeitung des Entwurfes zum Völkerstrafgesetzbuch beteiligt war,
kritisiert daher den Beschluss des OLG Stuttgart, weil „die zentrale Frage einer Verfolgung durch
den zuständigen Staat als eigentliche Ermessensentscheidung nicht gerichtlich überprüfbar sein
soll" und dies zu der Besorgnis Anlass gebe, „dass das Weltrechtsprinzip faktisch (im prozessualen
Wege) durch eine exekutivische Steuerung der völkerrechtlichen Strafverfolgungstätigkeit desavouiert wird" (Ambos, NStZ 2006, S. 437). Der bloße Verweis auf das Opportunitätsprinzip und den
Ausschluss des Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 Abs. 2 Satz 3 könne nicht überzeugen, da
der Gesetzgeber sich „aus Zeitgründen" diesbezüglich „keine weiteren Gedanken über Rechtsbehelfsmöglichkeiten und insbesondere" darüber hat machen können, „dass § 153f rein numerisch in
die in § 172 Abs. 2 Satz 3 letzter Halbsatz StPO genannte Aufzählung fällt. Immerhin seien schon
nach geltender Rechtslage ein Klageerzwingungsverfahren gegen eine Einstellung aufgrund des §§
153 ff. StPO mit der Behauptung zulässig, „dass die gesetzlichen Ermessensvoraussetzungen nicht
vorgelegen haben, der Ermessenspielraum also überhaupt nicht eröffnet gewesen sei und deshalb
die Anklagepflicht fortbestanden habe". Diese Erwägungen müssten „erst recht für § 153f" gelten,
„denn diese Vorschrift sieht eine doppelte Ausnahme vom Weltrechtsprinzip und Legalitätsprinzip
für Verbrechen vor, die über die Anklagepflicht des nationalen Strafprozessrechts hinaus einer völkerrechtlichen Verfolgungs- und Bestrafungspflicht unterliegen". Dies spreche für eine „strikte
Rechtskontrolle". Im Ergebnis bedeute „all dies das bei § 153f völkerrechtlich verstärkte Legalitätsprinzip durch eine gerichtliche Mitwirkungspflicht gesichert werden" müsse. Dies könne entweder
durch eine analoge Anwendung der Vorschriften des Klageerzwingungsverfahren gem. § 172 oder
durch die Einfügung eines obergerichtlichen Zustimmungserfordernisses in § 153f geschehen. Zuletzt weist Ambos darauf hin, dass einer Einstellung nach § 153f StPO keine strafklageverbrauchende Wirkung zukomme, so „dass eine einmal zurückgewiesene Anzeige - bei vorliegender Tatsache - durchaus erneut eingereicht" werden könne.
5. Erfolgsversprechende Ermittlungen möglich
Zu Recht nimmt die Bundesanwaltschaft trotz der angenommenen Voraussetzung eines nicht vorliegenden Inlandsaufhalts bzw. nicht zu erwartenden Inlandsaufenthalts der Beschuldigten eine
Abwägung nach § 153f Abs. 1 S. 1 StPO vor, kommt allerdings dann zu dem nicht haltbaren
Schluss, dass für ein Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden deswegen kein Raum sei, weil
Erfolg versprechende Ermittlungen nicht zu prognostizieren seien.
Auf diesen Gesichtspunkt war bereits umfangreich in der Strafanzeige selbst eingegangen worden.
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass der Gesichtspunkt der nicht nennenswerten Aufklärungserfolge nicht dem Gesetz, also nicht dem § 153f StPO entnommen wurde. Vielmehr wurde dieses
Kriterium in einer Weise in das Völkerstrafgesetzbuch von der Bundesanwaltschaft hineingelesen,
die angesichts der schwerwiegenden, zur Anzeige gebrachten Straftaten, äußerst kritikwürdig erscheint. Denn derartige Einstellungsbescheide haben erfahrene Strafjuristen wohl kaum in Verfahren wegen Vorwürfen des Terrorismus oder nach Betäubungsmittelgesetz zu lesen bekommen.
Außerdem, und dies ignoriert die Bundesanwaltschaft beharrlich, ist in der Gesetzesbegründung
zum Völkerstrafgesetzbuch, und dies muss an dieser Stelle erneut wiederholt werden, ausdrücklich
festgestellt worden, dass bei Nichtvorliegen eines Inlandsbezuges dennoch mit Ermittlungen begonnen werden soll, wenn auch keine vorrangige Jurisdiktion derartige Ermittlungen aufgenommen
hat. Im Einzelnen heißt es in der Gesetzesbegründung, dass es „das Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Weltrechtsprinzip [verlange], dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungen unternehmen, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im Ausland) vorzubereiten".
Nach dem Vortrag in der Strafanzeige kann aber nicht angezweifelt werden, dass eine Ermittlung in
dem Komplex Guantánamo und Abu Ghraib durch deutsche Strafverfolgungsbehörden zumindest
erhebliche Anfangserfolge zu verzeichnen hat. Dies gilt, wie schon im Falle der Strafanzeige von
November 2004, zunächst einmal für die Vernehmung der Geschädigten der zur Anzeige gebrachten Straftaten. Es ist ein absoluter Skandal, dass weltweit noch keine Anstrengungen unternommen wurden, die Aussagen der teilweise schwer durch Folter geschädigten irakischen und sonsti-
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gen arabischen Geschädigten aufzunehmen. Denn die Aufnahme der Aussagen wäre nicht nur die
Grundlage von späteren Strafverfolgungen, sei es im Irak, sei es in den USA oder anderswo, sondern auch die Grundlage für eine mögliche Entschädigung der schwerstgeschädigten Folteropfer.
Schon jetzt, vier Jahre nach dem Geschehen, ist zweifelhaft, ob eine Erinnerung der Opfer an die
Einzelheiten des Geschehens und insbesondere auch eine Identifikation der Täter und Tatverdächtigen möglich ist.
Nichtsdestotrotz wäre zum jetzigen Zeitpunkt gerade auch deutschen Strafverfolgungsbehörden ein
Tätigwerden ohne weiteres möglich. Hierzu war bereits an mehreren Stellen in beiden Strafanzeigen ausgeführt worden, dass bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden sehr wohl die Möglichkeiten hätten, durch konsularische Vernehmungen in Botschaften von Bagdad - und wenn dies aus
Sicherheitsgründen, wofür einiges spricht, nicht favorisiert werden sollte - oder in den deutschen
Botschaften in Istanbul, Ankara, Damaskus und Beirut sowie Amman, Opfer aus den verschiedenen
Landesteilen des Irak zu vernehmen. Dies würde einen entscheidenden Schritt für spätere Strafverfolgung, wo auch immer und wie auch immer, ermöglichen. Diese würde es auch internationalen
Stellen ermöglichen, eine Entschädigung der Opfer, sowie eine Wiedergutmachung in welcher Form
auch immer einzuleiten. Dass die internationale Rechtsgemeinschaft solche Mittel noch immer nicht
ergriffen hat, steht ihr angesichts der insoweit eindeutigen Rechtslage (absolutes Verbot sowie
Schutz von Kriegsgefangenen und sonstigen geschützten Personen nach den Genfer Konventionen)
wahrlich nicht gut zu Gesicht. Es steht auch den bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden nicht
gut zu Gesicht, dass die Bundesanwaltschaft der Ansicht ist, dass Deutschland nicht stellvertretend
für die - und dies wird von der noch in Anführungsstrichen gesetzt - Weltgemeinschaft tätig werden
müsse. Denn genau das Gegenteil ist der Grundgedanke des Völkerstrafrechts und kommt auch in
der Gesetzesbegründung und in dem Gesetzeswerk des Völkerstrafgesetzbuches ausdrücklich zum
Ausdruck.
Aber es waren auch noch weitere Ermittlungsansätze und insofern Aufklärungserfolge in Strafanzeigen dargelegt worden:
Abgesehen davon also, dass die Bundesanwaltschaft in der Vergangenheit angezeigte Straftaten
nach dem VStGB in kritikwürdiger Weise nicht verfolgt und damit dem gesetzgeberischen Willen
nicht entsprochen hat, sei vorsorglich nachfolgend darauf eingegangen, dass im Falle der vorliegenden Anzeige exklusive Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolgungsbehörden bestehen. Hier ist natürlich an erster Steile die ehemalige Brigadegeneralin J.K., die oberste Befehlshaberin für das Gefängnis von Abu Ghraib und die anderen irakischen Gefängnisse von Mai 2003 bis
Frühjahr 2004 zu nennen. Die Zeugin J.K. hat als eine der wenigen beteiligten Befehlshaber eine
geringfügige Sanktion wegen der Ereignisse von Abu Ghraib hinnehmen müssen. Sie musste sich
zwar keinem Kriegsgerichtsverfahren stellen, sie wurde auch nicht in einem formellen Disziplinarverfahren gemaßregelt. Vielmehr wurde ihr in einem nicht formellen, administrativen Verfahren der
Rang aberkannt. Gegen diese Entscheidung standen ihr keine Rechtsmittel zur Verfügung. Die Zeugin hat sich danach in mehreren Kriegsgerichtsverfahren gegen ihre ehemaligen Untergebenen der
Militärpolizei als Zeugin zur Verfügung gestellt Sie wurde jedoch in keinem der Verfahren gehört.
Die Zeugin hat sich nunmehr bereit erklärt, in Deutschland den dortigen Strafverfolgungsbehörden
ihr Insider-Wissen zur Verfügung zu stellen und in diesen Verfahren auch eine Zeugenaussage zu
tätigen. In der Anlage wird eine am 26.10.2005 von der Zeugin in der englischen Original-Version
gefertigte Zeugenaussage überreicht. Weiterhin wird als Anlage eine nicht amtliche Übersetzung
dieser Aussage mit übersandt.
Aus der Aussage geht hervor, dass die ehemalige Brigadegenerälin für die 17 Haftzentren im Irak
verantwortlich war, nachdem die von den USA geführte Koalition den Irak besetzt hatte. Das Gefängnis in Abu Ghraib war eines dieser Haftzentren, dass der 800. Militärpolizei-Brigade zugeteilt
war. Die Zeugin beschreibt die schwierigen Zustände in dem Gefängnis, dass von mehr als 40.000
Gefangenen während des fraglichen Zeitraums durchlaufen wurde. Insbesondere beschreibt sie
dann in ausführlicher Weise, wie sich die Verhältnisse in einem Teil des Gefängnisses änderten, als
sich der damalige Oberkommandierende der Lager in Guantánamo Bay, Kuba, der hier Beschuldigte General G.M. auf Befehl des Beschuldigten D.R. und des Beschuldigten S.C. vom 31.08. bis
09.09.2003 in den Irak begab.
Die schriftliche Zeugenaussage der Zeugin J.K. kann zwar nur vorläufig bewertet werden. Doch
selbst bei vorläufiger Bewertung wird dem neutralen Betrachter der explosive Gehalt ihrer Äußerungen deutlich, insbesondere hinsichtlich der Schilderung der Person des Beschuldigten G.M., aber
auch der Beschreibung der Rollen der Beschuldigten R.S. und D.R. sowie S.C.. Die Zeugin ist ausdrücklich dazu bereit, sich insoweit weiteren Nachfragen zu stellen.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Mittlerweile hat sich ein weiterer Zeuge zur Zeugenaussage in einem eventuellen Ermittlungsverfahren durch die Bundesanwaltschaft gegen die hier angezeigten Personen bereit erklärt. Es handelt sich um den Irak-Kriegs-Veteran D.D.. Dieser hat die Strategie der Vertuschung und Verdeckung der Foltervorfälle im Irak durch den Bericht „Whitewashing Torture" mit einem Artikel vom
08.12.2000 anhand des Falles von Unteroffizier F.F., Agent der Spionageabwehr der 223. Kalifornischen Nationalgarde der Militärnachrichtendienstabteilung, beispielhaft dargestellt.
Der Zeuge D.D. hat durch die Medienvorberichterstattung über das hiesige Verfahren Kenntnis
erlangt und hat sich gegenüber dem Center for Constitutional Rights ausdrücklich bereit erklärt,
sich weit über die in dem Artikel dargelegten Ereignisse hinausreichenden Kenntnisse über Foltervorfälle im Irak zu offenbaren. Der Zeuge D.D. wird in einer eventuellen Aussage ausführen können, wie systematisch Folter und weitere illegale Vernehmungsmethoden in den Haftstätten der
US-Amerikaner im Irak verbreitet waren. Er wird gegebenenfalls, weitere Zeugen benennen können. Im Übrigen sei ausdrücklich darauf verwiesen, dass D.D. selbst wie der in seinem Artikel angesprochene F.F. im 223. Militärnachrichtendienstbataillon im Irak gedient hat. Das 223. Bataillon
stand ebenso wie die 205. Militärnachrichtendienstbrigade unter dem Kommando des hier Beschuldigten Oberst T.P.. Dies bedeutet, dass die Aussagen des Zeugen D.D. dazu beitragen können, die
Rolle von Oberst T.P. bei den Ereignissen von Abu Ghraib und weit darüber hinaus aufzuklären.
Im Übrigen gibt es eine Vielzahl von erfolgversprechenden Ermittlungsansätzen für deutsche Strafverfolgungsbehörden.
Es kann zunächst eine Auswertung aller über das Internet und andere Veröffentlichungen frei verfügbaren Untersuchungsberichte, Memoranden und Medien vorgenommen werden bzw. die oben
vorgenommene Zusammenstellung und Bewertung der strafrechtlichen Verantwortung der Beschuldigten nachvollzogen werden.
Die Vernehmung der geschädigten Zeugen, der ehemals in Abu Ghraib inhaftierten Anzeigenerstattern und aller weiteren in den Schriftsätzen zum ersten Verfahren benannten Zeugen ist naheliegend und möglich. Diese können ihrerseits zahlreiche weitere geschädigte Zeugen namentlich benennen. Die Zeugen sind bereit, im Rahmen des Strafverfahrens vor deutschen Strafverfolgungsbehörden auszusagen, entweder im Rahmen von konsularischen Vernehmungen in den Deutschen
Botschaften in Bagdad/Irak oder Amman/Jordanien oder im Rahmen staatsanwaltschaftlicher oder
kriminalpolizeilicher Vernehmungen. Die Zeugen sind über das Büro des Unterzeichnenden bzw.
der Anzeigenerstatter zu 1) zu erreichen. Im Übrigen sind die unten namentlich genannten 31 Personen und Geschädigten bereit, gegenüber deutschen Strafverfolgungsbehörden über erlittene
Misshandlungen als Zeugen auszusagen.
Die Vernehmungder in Deutschland stationierten Beschuldigten R.S., W.W. und T.P. und aller anderen Beschuldigten, sobald sie nach Deutschland reisen, kann veranlasst werden.
Darüber hinaus könnten Vernehmungen der in Deutschland stationierten Angehörigen des V. Corps
in Heidelberg sowie der 205. Militärnachrichtendienst-Brigade stattfinden, die zu den Vorfällen
sachdienliche Aussagen machen können.
Das V. Corps der US-Armee nahm an der Operation Iraqi Freedom teil. Viele seiner Angehörigen
waren Zeugen der Gefangenenmisshandlungen, die in verschiedenen Haftanstalten in Irak stattfanden. Das Hauptquartier des V. Armeecorps befindet sich in Heidelberg. Deutsche Strafverfolgungsbehörden könnten daher ohne weiteres beantragen, mit Soldaten und Offizieren sprechen zu
können, um weitere Informationen und Zeugnisse über die zur Anzeige gebrachten Vorgänge zu
erlangen.
Die dem V. Armeecorps angehörende 205. Militärnachrichtendienstbrigade nahm ebenfalls an der
Operation Iraqi Freedom teil. Viele ihrer Angehörigen sind in der Strafanzeige namentlich benannt.
Die Einheit ist auf dem Wiesbadener Army Airfield stationiert. Der Führung der Einheit gehören der
Beschuldigte Oberst T.P., Oberstleutnant A.M. und B.B. an.
Untergeordnete Einheiten der 205. Militärnachrichtendienstbrigade waren ebenfalls in die Vorgänge
in Irak verwickelt Namentlich sind dies das 165. und 302. Militärnachrichtendienstbataillon. Beide
Bataillone sind ebenfalls in Wiesbaden auf dem Army Airfield stationiert.
Es existieren einige schriftliche Zeugenaussagen von Angehörigen der in Deutschland stationierten
Brigaden, die ausgewertet werden können bzw. deren Verfasser dazu vernommen werden könnten.
Aus dem Taguba-Bericht sind dies namentlich der zivile Übersetzer A.N., Angehöriger der 205.
Militärnachrichtendienstbrigade, der als Verdächtiger bezeichnet wird. Der Vertragsangestellte T.N.,
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der ebenso wie der zuvor genannte bei der Titan Firma beschäftigt ist und zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehört. Er ist als Verdächtiger im Taguba-Bericht aufgeführt. Ausführliche Aussagen hat sowohl nach dem Taguba-Bericht als auch nach einschlägigen Presseberichten der Unteroffizier S.P. gemacht, der dem 302. Militärnachrichtendienstbataillon angehört. Der Zeuge S.P. hat
gegenüber deutschen und britischen und amerikanischen Medien ausführlich zu den Vorfällen Stellung genommen.
Das Ermittlungsteam für den Taguba-Bericht hat persönlich folgende Zeugenaussagen von Personen aufgenommen, die zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehören: den Beschuldigten
Oberst T.P., dem Befehlshaber der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, Oberstleutnant R.W., Befehlshaber des 165. Militärnachrichtendienstbataillons, SW2 E.R., 205. Militärnachrichtendienstbrigade, den zivilen Befrager S.S., beschäftigt bei der Firma CACI, bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigade beschäftigt sowie J.I., ziviler Übersetzer, beschäftigt bei der Firma Titan, zugehörig
der 205. Militärnachrichtendienstbrigade.
Im Taguba-Bericht werden ausdrücklich sowohl der Beschuldigte T.P. als auch die soeben benannten S.S. und J.I. als entweder direkt oder indirekt Verantwortliche für die Misshandlungen in Abu
Ghraib bezeichnet. Auch der bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigade beschäftigte F. war in das
Geschehen involviert. Er war im September 2003 Rechtsberater des Kommando und arbeitete gemeinsam mit anderen Juristen bei den Vereinigten Streitkräften eine Serie von Vernehmungsregeln
aus, die später bei Vernehmungen von Inhaftierten im Irak angewandt wurden.
Der Fay/Jones-Bericht benennt insgesamt vier Angehörige des 302. Militärnachrichtendienstbataillons als Zeugen der Vorfälle. Allerdings werden die Namen nicht benannt, sie werden als Soldaten
6, 9, 12 und 22 bezeichnet. Über ihre Klarnamen wäre der Befehlshaber des 302. Militärnachrichtendienstbataillons, Oberstleutnant J.N., und der Offizier R.F. zu befragen.
Die Behörden des primär zuständigen Staates, die USA, aus dem die überwiegende Zahl der Verdächtigen stammt, sind mithin nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder
des eigenen Staats- und Sicherheitsapparates aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht
zuständig, da die USA das Rom-Statut nicht unterzeichnet und ratifiziert hat. Gerade in solchen, für
diese Deliktskonstellation typischen Situationen ist es notwendig, dass Staaten wie Deutschland,
deren Strafrecht eine weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten vorsieht, stellvertretend für die
internationale Staatengemeinschaft die Strafverfolgung übernehmen. Auf diesem Gedanken der
Komplementarität baut das gesamte Völkerstrafrecht auf.
Nach diesen Ausführungen kann keine Rede davon sein, dass keine erfolgsversprechenden Ermittlungen durch den GBA möglich sind. Vielmehr wurde schon durch die Anzeigenerstatter für den
Anfang eine Vielzahl von Ermittlungsansätzen aufgezeigt. Die Dynamik solcher Ermittlungen ist im
Übrigen nicht zu unterschätzen. Denn in den USA befinden sich eine Vielzahl weiterer Auskunftspersonen, die sich zwar nicht gegenüber den Anzeigenerstattern, also Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen äußern wollten, gegenüber staatlichen Justizbehörden solche Vorbehalte aber
nicht gehabt hätten.
Für eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 f Strafprozessordnung ist nach alledem kein Raum.
6. Erinnerung an die Rolle der Bundesrepublik bei der UN-Folterkonvention:
Aus den travaux préparatoires zur UN-Folterkonvention von 1984 sei das nachfolgende Statement
des damaligen Regierungsvertreters Jäger 1984 zitiert:
83. *Mr. JAEGER* (Federal Republic of Germany) said that torture, which had been part of
man's history for far too long, was a serious misuse of State power and a degradation of the individual concerned, and ultimately all citizens of States which reported to the practice. He himself had lived in his youth in a State whose authorities had resorted to horrible forms of torture.
His Government, and he personally, therefore welcomed the draft convention designed to eliminate torture from the lives of people and States.
84. The Federal Republic of Germany, which attributed paramount importance to the promotion
and protection of human rights throughout the world, had acceded to all the major human
rights instruments and his delegation, which had participated from the outset in the Commission's discussions on the subject, welcomed the draft convention submitted by the Working
Group as a significant milestone on the way to the universal implementation of human rights.
His Government expected the convention to curtail the practice of torture, which still went on in
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many parts of the world and was a particularly reprehensible and inhuman form of disregard for
human rights. The world-wide struggle against the practice was therefore of special importance.
*85. One of the chief features of the draft convention was the provision establishing an obligation on the part of all States parties either to put the offender on trial before their national
courts of justice or to extradite him to another State party for prosecution. No one guilty of torture should feel safe from prosecution. It was gratifying to note that all delegations in the Working Group had agreed to those views.*
*Quelle: E/CN.4/1984/SR.32, 6 Mar 1984 (meeting: 28 Feb 1984), CHR 40thSession: Summary
Record of 32 nd Meeting"
Diese verheißungsvollen Worte werden kontrastiert durch ein trauriges Zwischenfazit des UNSonderberichterstatters für Folter, Manfred Nowak, zur Praxis der Universellen Jurisdiktion auf der
diesjährigen Sitzung des UN-Menschenrechtsrates:
„42. However, despite this impressive machinery, the Special Rapporteur notes that, with few
exceptions, States remain extremely reluctant to make use of their rights and obligations under
the Convention to exercise universal jurisdiction. Almost 20 years after the entry into force of
the Convention, very few States have actually exercised universal jurisdiction over torture offences in practice. One explanation for this phenomenon is that States have tended to interpret
their obligations under article 5 (2) in a very restrictive manner. Some States have argued, for
instance, that the exercise of universal jurisdiction is dependent upon the prior existence of a
request for extradition (e.g. the Al-Duri case in Austria). In fact, both the wording of article 5
(2) and the travaux préparatoires clearly indicate that States parties have a legal obligation to
take the necessary legislative, executive and judicial measures to establish universal jurisdiction
over the offence of torture, as defined in article 1 of the Convention. This means, in particular,
that States are not permitted to make the exercise of universal jurisdiction dependent on any
legal act of another State. All attempts by States during the drafting of the Convention to establish an order of priority among the different grounds of jurisdiction mentioned in article 5 or to
make universal jurisdiction dependent upon a request for extradition by another State were rejected by well-informed decisions arrived at after extensive discussions.4 That "the obligation to
prosecute the alleged perpetrator of acts of torture does not depend on the prior existence of a
request for his extradition" was also explicitly confirmed by the landmark decision of the Committee against Torture in the Habré case in 2006.
http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G07/102/15/PDF/G0710215
2.3 Gegenvorstellungsbeschluss der Generalbundesanwältin vom 11.08.2007
Mit Schriftsatz vom 11.08.2007, zugestellt am 15.08.2007, teilte die Generalbundesanwältin dem
Unterzeichner mit, dass sie auf die Gegenvorstellung vom 22.06.2007 den Vorgang erneut geprüft
und keinen Anlass gefunden habe, von ihrer Entscheidung abzurücken, kein Ermittlungsverfahren
gegen die angezeigten Personen einzuleiten. Vornehmlich verweist die Generalbundesanwältin auf
ihren Vermerk vom 05.04.2007.
Die weitere Begründung lautet wie folgt: (vgl. den Vermerk in Kopie als Anlage 4)
1. Die Frage, ob sich die angezeigte Person in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, konnte durch die Einhaltung einer Auskunft der zuständigen US-amerikanischen Militärdienststelle
geklärt werden. Anlass dazu, der Auskunft keinen Glauben zu schenken bestand nicht. Unabhängig davon war es nicht angezeigt, ein förmliches Hilfeersuchen an die Vereinigten Staaten
von Amerika zu stellen, da ein solches mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht
beantwortet worden wäre.
2. Der Justizminister und Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten von Amerika, A.G., hielt
sich auf amtliche Einladung der Bundesrepublik Deutschland anlässlich des Justiz- und Innenministertreffens der G 8-Staaten, das vom 23. bis zum 25. Mai 2007 in München stattfand, in der Bundesrepublik Deutschland auf und unterlag daher gem. § 20 GVG nicht der
deutschen Gerichtsbarkeit. Ein Aufenthalt im Inland im Sinne von § 153f Abs. 1 StPO, der die
Möglichkeit geboten hätte, strafrechtliche Ermittlungen aufzunehmen, lag demzufolge nicht
vor. Die meiner Entscheidung vom 26. April 2007 zu Grunde liegende Prognose, ein Inlandsaufenthalt der angezeigten Personen sei in überschaubarer Zeit nicht zu erwarten, hat also
weiterhin Bestand.
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3. Formelle Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
3.1 Antragsbefugnis
Bei den Einzelpersonen von 1.-12. handelt es sich um irakische Staatsbürger, die 2003 und 2004
Opfer von Folter und Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib und in anderen irakischen Gefangenenlagern geworden sind, und bei dem Anzeigenerstatter zu 13. um den in Guantánamo inhaftierten und dort misshandelten saudi-arabischen Staatsbürger M.Q..
Die unter 1.-13. aufgeführten Geschädigten sind somit befugt, das Klageerzwingungsverfahren zu
betreiben, weil sie sich der Strafanzeige vom 14.11.2006 angeschlossen haben und weil sie Verletzte im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO sind. Sie wären als mögliche Verletzte u.a. von Körperverletzungsdelikten gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 c) StPO nebenklageberechtigt. Alle dreizehn Anzeigenerstatter sind in Abu Ghraib und anderen irakischen Haftanstalten sowie in Guantánamo Opfer einer Vielzahl von Straftaten geworden, die ihre Verletzteneigenschaft begründen. Gegen sie wurden
u.a. Körperverletzungsdelikte, insbesondere gemäß §§ 223 ff., 239 ff. StGB i.V.m. § 6 Nr. 9 StGB
i.V.m. der UN- Folterkonvention sowie Art. 129 III. Genfer Abkommen über die Behandlung der
Kriegsgefangenen begangen.
Mit dem Anschluss an die Strafanzeige und der Erhebung der Gegenvorstellung haben die Geschädigten jedenfalls ihr unbedingtes Strafverfolgungsinteresse zum Ausdruck gebracht.
3.2 Einhaltung der Fristen
Das Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 172 Abs. 1 StPO ist im vorliegenden Fall nicht gegeben,
da der Einstellungsvermerk von der Bundesanwaltschaft stammt. Da weder der Schriftsatz vom
26.04.2007 noch der beigefügte Vermerk vom 05.04.2007 eine Rechtmittelbelehrung enthielt, läuft
die Ein-Monats-Frist des § 172 Abs. 2 S. 1 StPO gem. § 172 Abs. 2 S. 3 StPO nicht.
3.3 Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz Einstellung nach § 153f StPO
Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft unter Berufung auf § 153f StPO kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, ist der gerichtlichen Überprüfung durch ein Klageerzwingungsverfahren nach § 172
Abs. 2 Satz 4 StPO zugänglich. Grundsätzlich ist nach einer Ansicht zwar nach § 172 Abs. 2 Satz 3
StPO ein Klageerzwingungsverfahren ausgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft gemäß § 153f
StPO von der Verfolgung abgesehen hat und diese Vorschrift den Einstellungen aus Opportunitätsgründen gem. §§ 153 ff. StPO zuzuordnen ist. Jedoch ist nach einer anderen Ansicht ein Klageerzwingungsverfahren gegen Opportunitätsentscheidungen in den Fällen zulässig, in denen bereits
die tatbestandlichen Voraussetzungen der das Opportunitätsprinzip und damit das staatsanwaltliche Ermessen eröffnenden Norm nicht gegeben sind oder jedenfalls deren Nichtvorliegen gerügt
wird.
Daher unterliegt es gerichtlicher Kontrolle, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 153f Abs. 1
und 2 StPO erfüllt sind (im Einzelnen streitig bei OLG Stuttgart, NStZ 2006, S. 117). Sowohl das
Merkmal des zu erwartenden Inlandsaufenthaltes als auch das der anderweitigen Strafverfolgung
nach § 153f Abs. 2 S. 2 können gerichtlich voll überprüft werden (Ambos, NStZ 8/2006, S. 438;
Singelnstein/Stolle, ZIS 3/2006, S. 120). Selbst wenn man das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 153f StPO unterstellt, ist zumindest gerichtlich überprüfbar, ob das Ermessen
überhaupt ausgeübt und ob die Grenze zur Willkür überschritten worden ist (OLG Stuttgart, NStZ
2006, S. 117).
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3.4 Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz nicht erfolgter Aufnahmen von
Ermittlungen
Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass das Gesetz in § 172 StPO die Statthaftigkeit des Klageerzwingungsverfahrens an sich nur für den Fall vorsieht, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt Ermittlungen aufgenommen und das Verfahren sodann mangels genügendem
Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Der nicht ausdrücklich geregelte Fall, dass die Ermittlungsbehörde überhaupt von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens absieht, weil nach ihrer Ansicht hierfür keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen, kann nicht anders behandelt werden. Denn für die rechtliche Bewertung macht
es keinen Unterschied, ob die Staatsanwaltschaft formell Ermittlungen durchführt oder diese ablehnt, weil in beiden Fällen die Beachtung des Legalitätsprinzips in Frage steht (so ausdrücklich
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Januar 2005 - 1 Ws 152/03 - unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2002 - 1 Ws 85/02).
Dementsprechend hat sich das Oberlandesgericht Karlsruhe in dem Beschluss vom 16. Dezember
2002 (a.a.O.) ausdrücklich der Rechtsprechung mehrerer weiterer Oberlandesgerichte angeschlossen, welche eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft durch das Oberlandesgericht zur Aufnahme
der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dann für zulässig erklärt haben, wenn die Ermittlungsbehörde zu Unrecht aus Rechtsgründen einen Anfangsverdacht verneint und deshalb jede tatsächliche Aufklärung des Sachverhaltes unterlassen hat. Diesen Fall habe der Gesetzgeber mit Beseitigung der gerichtlichen Voruntersuchung durch das erste Strafverfahrensänderungsgesetz zum 01.
Januar 1975 (vgl. BGBl. Teil 1, S. 3393 ff, 3399) nicht bedacht. Deshalb komme eine lückenfüllende Rechtsfortbildung in Betracht (vgl. hierzu Rieß, NStZ 1986, S. 433; KG NStZ 1990, S. 355 ff).
Diese Auffassung entspräche der in der Strafprozessordnung vorgesehenen Rollenverteilung, „nach
welcher die Ermittlungskompetenz der Staatsanwaltschaft zugewiesen ist und es nicht Aufgabe der
Oberlandesgerichte im Klageerzwingungsverfahren sein kann, gegebenenfalls unter Bestimmung
von Tatverdächtigen umfangreiche Sachverhalte selbst aufzuklären".
Zwar sähe die Vorschrift des § 173 Abs. 3 StPO die Möglichkeit der Anordnung von Ermittlungen
durch den Senat des Oberlandesgerichts zur Vorbereitung seiner Entscheidung vor. Damit seien
aber nur solche Fälle erfasst, „in welchen bereits ein weitgehend aufgeklärter Sachverhalt" vorläge,
„der lediglich in einzelnen Punkten näherer Vertiefung" bedürfe. Die Ermittlungsbehörde habe in
rechtlicher Hinsicht die Reichweite des Legalitätsprinzips gem. § 152 Abs. 2 StPO verkürzt, wenn
sie ohne nähere Sachaufklärung einen hinreichenden Tatverdacht zu Unrecht aus rechtlichen Gründen verneine. § 152 Abs. 2 StPO sei „Ausfluss des Legalitätsprinzips". Danach sei die Staatsanwaltschaft „dann zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet, wenn nach kriminalistischer Erfahrung
die Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat besteht. Wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte
für eine Straftat bestehen, so obläge es der Staatsanwaltschaft und der Polizei, diese nach Ihren
Möglichkeiten aufzuklären" (§ 160 StPO).
Das Legalitätsprinzip geböte es, „den Ermittlungsansätzen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen zunächst einmal nachzugehen" (so ausdrücklich OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 10. Januar 2005; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2002 unter Bezugnahme auf
OLG Zweibrücken, NStZ 1981, 193; OLG Bremen, OLGSt StPO § 175 Nr. 1, OLG Koblenz, NStZ
1995, 50 ff; OLG Braunschweig, Wistra 1993, 31 ff; KG NStZ 1990, 355 ff, mit Anm. Wohlers, 300
f = JZ 1991, 46, mit Anm. Eisenberg, 47ff, OLG Celle, Beschluss vom 26.04.2002, 2 Ws 94/02;
jüngst auch OLG Köln, NStZ-RR 2003, 212; OLG Hamm StV 2002, 128, 129 ff; zustimmend Lilie
Anmerkung zu OLG Hamm StV 2002, 130; Meyer-Goßner, 47. Auflage, § 175 Rn 2).
3.5 Örtliche Zuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit des OLG Frankfurt ist gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG i.V.m. § 8 Abs. 2
StPO gegeben, weil der Beschuldigte T.P. zumindest zeitweilig seinen Wohnsitz in Wiesbaden im
OLG-Bezirk Frankfurt hatte. Daneben sind möglicherweise andere Oberlandesgerichte zuständig,
was nicht gegen die Anrufung des hiesigen Gerichts spricht, wie auch das OLG Stuttgart in seiner
Entscheidung zu der ersten Strafanzeige gegen D.R. u.a. vom November 2004, angenommen hatte
(vgl. NStZ 2006, S. 117). Sollten von Seiten des angerufenen Gerichtes Zweifel bestehen, wird die
Bestimmung des OLG Frankfurt als zuständiges Gericht gemäß § 13a StPO durch den Bundesgerichtshof angeregt.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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4. Materielle Voraussetzungen
Der Antrag ist auch begründet, weil die Bundesanwaltschaft verkannt hat, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Absehen von der Strafverfolgung nach § 153f Abs. 1 i.V.m. § 153f
Abs. 2 StPO nicht vorlagen. Daher bestand erstens kein Ermessensspielraum. Zweitens wurde das
in Anspruch genommene Ermessen willkürlich ausgeübt. Damit ist die Entscheidung der Bundesanwaltschaft gerichtlich überprüfbar und es ist antragsgemäß zu entscheiden.
Es liegt, wie von der Generalbundesanwältin auch nicht infrage gestellt wurde, hinreichender Tatverdacht hinsichtlich der angezeigten Straftaten und der angezeigten Personen vor. Im Übrigen ist
zumindest der Hilfsantrag auf Einleitung von Ermittlungen begründet, weil jedenfalls die für die
Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gem. §§ 152 Abs. 2, 160 StPO erforderliche Verdachtsstufe
des Anfangsverdachts im Fall von D.R. sowie den anderen angezeigten US-amerikanischen Regierungsmitgliedern und Militärs unzweifelhaft gegeben ist.
4.1 Fehlerhafte Einstellung nach § 153f Abs. 1 i.V.m. § 153f Abs. 2 StPO
4.1.1. Zu unrecht angenommener Ermessensspielraum
Die Generalbundesanwältin hat insbesondere verkannt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen
der das Opportunitätsprinzip und damit das staatsanwaltliche Ermessen eröffnenden Norm (§ 153f
Abs. 1 i.V.m. § 153f Abs. 2 StPO) nicht gegeben waren. Zum einen wurden bereits keine ausreichenden Ermittlungen zur Frage des tatsächlichen Inlandsaufenthaltes der Beschuldigten durchgeführt. Zum anderen sind die Ausführungen der Bundesanwaltschaft, wonach ein Aufenthalt der in
der Strafanzeige genannten Personen auch künftig nicht zu erwarten sei und aus diesem Grunde
eine Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht in Betracht käme, sowohl rechtlich als auch tatsächlich nicht haltbar.
Nach der Auffassung des Frankfurter Rechtswissenschaftler Denis Basak (vgl. Basak, Denis, Der
Fall D.R. - ein Begräbnis Dritter Klasse für das Völkerstrafgesetzbuch?, in KritV 2007 (Kritische
Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft), S. 333 (354 ff.)) soll im Übrigen die
Feststellung des fehlenden tatsächlichen oder zu erwartenden Aufenthaltes eines Verdächtigen in
Deutschland zumindest dann, wenn es Berührungspunkte der Person nach Deutschland gibt, gar
nicht ohne vorherige echte Ermittlungen getroffen werden können. Die Nichteröffnung eines Ermittlungsverfahrens soll mit dieser Begründung im Rahmen des § 153f StPO, nur in sehr engen Grenzen dann zulässig sein, nämlich wenn in einer Anzeige keinerlei Anhaltspunkte enthalten sind, dass
sich auch nur einer der Verdächtigen je in die Reichweite der deutschen Justiz begeben hat oder
wird. Daher wäre die Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit Verdächtige hinreichenden
räumlichen Kontakt zur Bundesrepublik haben oder haben werden, eben erst im Rahmen eines
förmlichen Ermittlungsverfahrens zu klären. Schon aus diesem Grunde ist die Entscheidung der
GBA für nicht vertretbar.
Darüberhinaus ist die Konstruktion des § 153f StPO darauf gerichtet, die Einstellung bereits laufender Ermittlungen zu ermöglichen. So sind auch die Voraussetzungen der Norm konstruiert. Nur
wenn die Voraussetzungen des § 153f Abs.1 StPO vorliegen, ist aber eine Einstellung überhaupt
möglich. Damit müssen diese Voraussetzungen umfassend geprüft und begründet werden, und
zwar auf der Basis der bisherigen Ermittlungsergebnisse. Die GBA verwendet demgegenüber § 153f
StPO als Ermächtigung, erst gar keine Ermittlungen aufzunehmen. Dies mag zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein, eine solche „Umwidmung" der Norm kann aber nicht ihren Inhalt bestimmen. Daraus folgt für die hier wesentliche Frage, dass die Voraussetzungen für einen fehlenden
und auch in Zukunft nicht zu erwartenden Aufenthalt der Verdächtigen in Deutschland eben nur
nach gründlicher Prüfung und mit faktenbasierter und schlüssiger Begründung bejaht werden können. Sieht sich die GBA zu einer solchen Prognose außer Stande, so kann sie eben gerade nicht
einstellen, sondern muss das Verfahren so lange weiter betreiben, bis sie eine solche Prognose
hinreichend begründen kann. Ohne eine so begründete sichere Prognose ist eine Einstellung
schlicht unzulässig. Demgegenüber will die GBA hier die Begründungslast umdrehen, um gar nicht
erst ermitteln zu können. Dies widerspricht aber dem Inhalt und der Intention von § 153f StPO, der
ja auf eine Stärkung des Legalitätsprinzips gegenüber § 153c StPO abzielte (vgl. zum Ganzen Basak, a.a.O.).
Weiterhin ist die von der Bundesanwaltschaft nach § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO vorgenommene Abwägung, wonach für ein Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden deswegen kein Raum sei, weil
Erfolg versprechende Ermittlungen nicht zu prognostizieren seien, rechtsfehlerhaft.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Hier sei erneut ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es unzulässig wäre, außenpolitische oder
anderweitig begründete Bedenken bei der Entscheidung, eine Strafverfolgung einzuleiten, zu berücksichtigen (KK-Schoreit § 153f Rn. 3) Denn die Einstellungsvoraussetzungen - und damit die
Geltung des Legalitätsprinzips - sind gesetzlich geregelt und in diesem Rahmen gibt es für eine
derartige Interpretation keinen Raum. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass §
153f StPO als speziellere Norm § 153c StPO und insbesondere dessen Abs. 2 verdrängt, um politische Erwägungen im Bereich von Straftaten nach dem VStGB auszuschließen. § 153f StPO als speziellere Norm § 153c StPO und insbesondere dessen Abs. 2 verdrängt. Politische Erwägungen sollten eben im Bereich von Straftaten nach dem VStGB ausdrücklich keine Rolle spielen.
Bei Auslandstaten i.S.d. § 153c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO besteht kein Ermessensspielraum, wenn
sich ein Tatverdächtiger im Inland aufhält oder ein solcher Aufenthalt zu erwarten ist. Vorliegend
ist dies der Fall. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens war somit geboten.
Subjektiv-öffentliches Recht auf Durchführung sorgfältiger Prüfung bei Strafanzeigen
Wie die Vermerke der Bundesanwaltschaft vom 05.04.2007 und vom 10.02.2005 sowie die Akteneinsicht zudem erkennen lassen, scheinen sich die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft auf die
Kenntnisnahme der vom Unterzeichner zugesandten Unterlagen beschränkt zu haben. Den Anzeigeerstattern steht jedoch ein subjektiv-öffentliches Recht darauf zu, bei Verdacht auf eine strafbare
Handlung bei den Strafverfolgungsbehörden Strafanzeige zu erstatten. Dies hat für die Behörde
eine Pflicht zur Folge, diese nicht nur entgegen zu nehmen, sondern diskriminierungsfrei und sorgfältig zu prüfen, ob die Anzeige stichhaltig ist und gegebenenfalls förmliche Ermittlungen aufzunehmen.
Ein solches Recht kann zwar nicht aus dem „einfachen" Recht der Strafprozessordnung abgeleitet
werden, da die Ermittlungspflicht des § 160 StPO nur durch den Verdacht einer Straftat ausgelöst
wird und nicht durch die Anzeige selbst. Auch kommt der Privatperson in den Normen der Strafprozessordnung nur die Befugnis zu, ihre „Meinung" über einen der Strafverfolgung würdigen Sachverhalt zu unterbreiten. Art und Umfang der tatsächlichen und materiellrechtlichen Vorprüfungen
wie auch der förmlichen Ermittlungen richtet sich ausschließlich nach dem „objektiven Recht".
Das Recht auf Prüfung ist jedoch Ausfluss der Normen der Verfassung selbst, namentlich des Art. 2
GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus dem Petitionsrecht des Art. 17 GG.
So ist das Grundrecht des mutmaßlich Verletzten auf Erstattung einer Strafanzeige durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt und findet in Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip
seine Grundlage (BVerfGE 74, S. 257). Darüber hinaus ist inzwischen anerkannt, dass aus den
Grundrechten bei gewichtigen, strafbewehrten Übergriffen eine Pflicht des Staates folgt, in einem
rechtsstaatlichen, geordneten Verfahren die per Strafanzeigen mitgeteilten Informationen daraufhin zu überprüfen, ob sie sich zu einem Anfangsverdacht verdichten lassen und gegebenenfalls
förmlich und umfassend strafverfahrensrechtlich zu ermitteln (BVerfG 4. Kammer des 2. Senats,
Beschluss vom 28.03.2002, NStZ 2002, S. 607). Dies umfasst gerade schwere Völkerrechtsverbrechen als Ausfluss von Art. 25 GG, soweit eine Verpflichtung Deutschlands, Völkerrechtsverbrechen
auch vor eigenen Gerichten strafrechtlich zu verfolgen, völkervertraglich oder sogar völkergewohnheitsrechtlich begründet und durch § 6 StGB , § 1 VStGB umsetzbar ist (vgl. zum Ganzen Walther,
Festschrift für Heike Jung, 2007 S. 1052 f. ; siehe auch Ambos - Münchner Kommentar zum StGB
(2003), vor §§ 3-7 Rn. 50).
Das Recht auf Erstattung einer Strafanzeige wird auch als Ausfluss des Petitionsrechts aus Art. 17
GG gesehen. Es umfasst zum einen den Anspruch darauf, dass die angegangene öffentliche Stelle,
auch die in § 158 Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Behörden, also Staatsanwaltschaft, Behörden und
Beamte des Polizeidienstes und der Amtsgerichte - die Anzeige entgegenzunehmen. Des Weiteren
besteht ein Anspruch auf inhaltliche Befassung. Dieser so genannte Petitionsbehandlungsanspruch
begründet für die angegangene Stelle, somit auch für die Staatsanwaltschaft, die Pflicht zu einer
sorgfältigen Prüfung des mitgeteilten und beurkundeten Vorbringens des Anzeigeerstatters. Dies
umfasst das Recht, dass sich der Petitionsadressat in sachlich unvoreingenommener und diskriminierungsfreier Weise des Anliegens des Petenten annimmt, wobei im Bedarfsfall auch eine entsprechende Sachaufklärung stattfinden muss (Walther, FS Heike Jung, S. 1054 f.; Graf Vitzthum/März,
JZ 1985, S. 810 f.; Mangold/Klein/Starck - Brenner,GG,5. Auflage 2005, Art. 17 Rn. 41; Stettner,
Bonner Kommentar zum GG, 94. Lfg. 2000, Art. 17 Rn. 79).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Rechtsprechung bestätigt, dass
sich aus Art. 2 i.V.m. Art. 1 EMRK für die Fälle in denen Gewaltanwendung, insbesondere durch
Bedienstete des Staates, den Tod eines Menschen zur Folge hatten, eine Pflicht ergibt, "wirksame
und amtliche Ermittlungen durchzuführen" (EGMR, NJW 2001, S. 1990).
Wie in der Anzeige umfassend dargestellt, handelt es sich bei den Tatvorwürfen um Völkerrechtsverbrechen. Es wurde umfassend durch den Unterzeichner dargelegt, warum ein Anfangsverdacht
vorliegt. Es ist für den Unterzeichner auch nach Einsicht der Akten nicht ersichtlich, dass sich die
Bundesanwaltschaft inhaltlich näher mit der Strafanzeige befasst hat. Die in dem Vermerk vom
05.04.2007 vorgetragenen Einstellungsgründe sind gerade angesichts des umfangreichen und
durch viele Quellen belegten Anzeigevorbringens eher dürftig und für einen unvoreingenommen
Betrachter kaum nachvollziehbar. Auch die Akten erlauben keinen Schluss auf eine sorgfältige Prüfung des Vorbringens der Anzeigeerstatter. Die Bundesanwaltschaft hat der Einstellung Umstände
zu Grunde gelegt, die weder das Ergebnis einer fundierten Vorermittlung darstellen noch eine
Schlussfolgerung aus äußeren oder inneren Vorgängen der Vergangenheit oder Gegenwart sind, die
dem Beweise zugänglich sind. Die Bundesanwaltschaft ist ihrer Pflicht der sorgfältigen Prüfung der
Anzeige nicht nachgekommen.
Weil es ein subjektiv-öffentliches Recht darauf gibt, ein Vorprüfungs- und gegebenenfalls ein Ermittlungsverfahren zu verlangen, muss es auch einen angemessenen Rechtsweg geben, auf dem
diesem Recht in der Praxis Geltung verschafft werden kann.
Die Verschaffung solider Kenntnisse durch konkrete Vorprüfung und Ermittlungen sowie die Vornahme einer Bewertung erscheinen somit unerlässlich. Reichen Vorermittlungen letztlich nicht aus,
um eine Einstellung des Verfahrens hinreichend zu begründen, besteht auch ein Anspruch der Anzeigeerstatter auf Eintritt der Staatsanwaltschaft in ein förmliches Ermittlungsverfahren.
Ermittlungspflicht umfasst Pflicht zur Bereitstellung von Ressourcen zur Verfolgung von
Völkerstraftaten
Wie die Antwort der Bundesregierung (http://dip.bundestag.de/btd/16/042/1604267.pdf) auf die
Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wieland und andere vom 05.02.2007
(http://dip.bundestag.de/btd/16/040/1604099.pdf) deutlich machte, ist die Bundesanwaltschaft für
die Ermittlungen von Völkerstraftaten mangelhaft ausgestattet. Die Ermittlungen von Völkerstraftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch sei Aufgabe eines Ermittlungsreferates des Generalbundesanwaltes, wobei dieses Referat mit einem Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, einem Oberstaatsanwalt beim BGH und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter besetzt sei und keiner der genannten
Beschäftigten ausschließlich Verfahren wegen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch betreue.
In den Niederlanden sind beispielsweise 32 Juristen, Wissenschaftler und Kriminalisten in einer
Spezialeinheit namens „War Crimes Unit" tätig (vgl. die entsprechenden Kapitel in der bekannten
Studie von Human Rights Watch „Universal Jurisdiction in Europe - The State of Art" von 2006,
http://hrw.org/reports/2006/ij0606/). Damit wird deutlich, dass dem Nichttätigwerden bundesdeutscher Strafverfolgungsbehörden nach dem Völkerstrafgesetzbuch auch eine rechtspolitische
Grundentscheidung zugrunde liegt. Nur so sind die Ängste der Bundesanwaltschaft, wie sie beispielsweise in dem Einstellungsvermerk auf Seite 9 zum Ausdruck kommen, dass Deutschland aufgrund seines völkerrechtsfreundlichen Strafrechts als Ort der Verfolgung ausgesucht und dadurch
deutsche Ermittlungsbehörden zu aufwändigen Ermittlungen gezwungen würden, zu erklären. Denn
in Wirklichkeit laufen momentan, mit Ausnahme des Ermittlungsverfahrens gegen I.M., das im April
2006 von Amts wegen eingeleitet wurde, überhaupt keine Ermittlungen nach dem Völkerstrafgesetzbuch und nach der derzeitigen Politik sind solche auch nicht zu erwarten. Die mangelhafte Ausstattung der Bundesanwaltschaft kommt auch an einer weiteren Stelle des Vermerks deutlich zum
Ausdruck, wenn bei der Abwägung, ob Aufklärungserfolge im hiesigen Verfahren erreicht werden
können, ausgeführt wird, dass hier durch die ohnehin personell und finanziell begrenzten Strafverfolgungsressourcen zu Lasten sonstiger, Erfolg versprechender Strafverfolgung unnötig gebunden
würden".
Dies widerspricht jedoch dem subjektiv-öffentlichen Recht auf die sorgfältige Prüfung der Strafanzeige. Folgt man der Überlegung, dass dem Recht Strafanzeige zu erstatten, eine grundrechtliche
Dimension zuzuschreiben ist, so sind auch Anforderungen an die organisations- und verfahrensrechtliche Flankierung zu stellen. Die für Strafanzeigen zuständigen Behörden müssen ausreichende personelle und sachliche Ressourcen zur Verfügung stellen (Maunz-Dürig-Klein, Art. 17 GG Rn.
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96), um eingehende Strafanzeigen sachgerecht und diskriminierungsfrei entgegennehmen zu können.
Prof. Dr. Susanne Walther von der Universität Köln kommt aufgrund des vorher erläuterten zu folgendem Schluss:
„Im Hinblick auf die Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (§ 1 VStGB) bedeutet dies, dass die Generalbundesanwaltschaft organisatorisch und personell in der Lage sein
muss auch bei Auslandstaten entsprechende Vorprüfungen, und zwar auch im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen von § 153f Absatz 1 und 2 StPO durchzuführen, wozu auch die Heranziehung von Auslandsinformationen, gegebenenfalls im Wege der Rechtshilfe, gehören kann. Nicht
nur dem Legalitätsprinzip, sondern auch dem Grundrecht des mutmaßlichen Verletzten sind sodann
Ressourcen geschuldet, die bei festgestelltem Anfangsverdacht eine wirksame Ermittlung gem. §§
160, 163 StPO ermöglichen, unter dem Aspekt, ob sogar Anklagereife vorliegt.
(...) Die Mitteilung von Informationen, die einen Anfangsverdacht in tatsächlicher wie rechtlicher
Hinsicht möglich erscheinen lassen, löst zunächst eine Vorprüfungspflicht der Strafverfolgungsbehörde dahingehend aus, ob ein strafrechtlicher Anfangsverdacht festgestellt werden kann. Das
Recht auf eine derartige Befassung gewinnt dann, wenn es um eine nach dem Weltrechtsprinzip in
Deutschland verfolgbare Tat geht, internationale ja globale Bedeutung. Es steht dann auch Personen zu, die weder durch ihre Staatsangehörigkeit noch durch ihren Wohnsitz oder Aufenthaltsort
einen besonderen Bezug zu Deutschland haben.
Besonders nachhaltig geschützt ist das Recht des mutmaßlichen Verletzten darauf, dass die zuständige Strafverfolgungsbehörden in seiner Sache forschend tätig werden. Über die Vorprüfung
seiner Anzeige hinaus hat er, wenn sich die vorgebrachten Anhaltspunkte zu einem Anfangsverdacht hin verdichtet haben, einen subjektiv-öffentlichen Anspruch auf förmliche, wirksame Ermittlungen zur Klärung der Frage, ob sogar Anklagereife vorliegt" (vgl. Walter, Festschrift für Heike
Jung, S. 1056 ff.).
Das Interesse der Anzeigeerstatter, wegen des vorliegenden Anfangsverdachts eines schweren
Verbrechens Ermittlungen in Gang setzen zu können, genießt in einem Rechtsstaat grundrechtlichen Schutz, Es ist somit auch aus grundrechtlicher Sicht unhaltbar, die Aufnahme von förmlichen
Ermittlungen unter anderem aufgrund fehlender Ressourcen zu verweigern. Eine mangelhafte personelle und sachliche Ausstattung der zuständigen Strafverfolgungsbehörden darf nicht zu Lasten
der Rechtspositionen der Verletzten gehen. Für die Anwendung und Auslegung der Normen der
StPO sind solche Erwägungen irrelevant.
Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft dazu, dass ein Aufenthalt der in der Strafanzeige genannten Personen zu dem Zeitpunkt der Einreichung der Strafanzeige nicht vorläge und nicht zu
erwarten sei, sind daher rechtlich und tatsächlich nicht haltbar. Die Bundesanwaltschaft hat zum
einen keine ausreichenden Ermittlungen unternommen, ob die Beschuldigten sich in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (s. hierzu 4.1.1.1). Zum anderen geht sie von der falschen
Annahme aus, dass ein Inlandsaufenthalt nicht zu erwarten sei und hat hierzu auch keine weiteren
Ermittlungen durchgeführt (s. hierzu 4.1.1.3). Die Bundesanwaltschaft hat hierdurch insbesondere
ihre Pflicht einer sorgfältigen Prüfung der Strafanzeige verletzt.
4.1.1.1 Keine Ermittlungen zum Inlandsaufenthalt der Beschuldigten
Die Bundesanwaltschaft führt in ihrem Vermerk vom 05.04.2007 aus, dass die in der Strafanzeige
genannten Beschuldigten sich gegenwärtig nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Die
Bundesanwaltschaft stützt sich zum Beleg für diese weitreichende Feststellung einzig und allein auf
die Mitteilung des leitenden Rechtsberaters der Abteilung für ausländisches Recht beim Hauptquartier der US-Landstreitkräfte in Europa, nach der keine der in der Anzeige mit Wohnsitz in Deutschland genannten Personen mehr im Inland stationiert oder sonst aufhältig seien und mit einer Anwesenheit in Zukunft auch nicht zu rechnen sei.
Es kann von hier aus nicht nachvollzogen werden, ob die vier in der Strafanzeige als zuletzt in
Deutschland aufhältig genannten Beschuldigten R.S., W.W., T.P. und M.W. tatsächlich noch in
Deutschland aufhältig bzw. stationiert sind. Angesichts eines Verdachts schwerster Straftaten kann
es aber nicht ausreichen, wenn die Bundesanwaltschaft eine bloße Mitteilung des leitenden Rechtsberaters der Abteilung für ausländisches Recht beim Hauptquartier der US-Landstreitkräfte in Europa zitiert, in der ohne Angabe von Namen und ohne schlüssige weitere Tatsachenmitteilungen
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behauptet wird, dass keiner der in der Anzeige genannten Personen mehr im Inland stationiert
oder sonst aufhältig sei und - vor allem - aus Sicht des Rechtsberaters mit einer solchen Anwesenheit auch künftig nicht mehr zu rechnen sei. Schon gar nicht ist ersichtlich, woher der leitende
Rechtsberater der Abteilung für ausländisches Recht beim Hauptquartier der US-Landstreitkräfte
wissen will, wo sich Zivilpersonen wie die angezeigten D.R., G.T., S.C., J.Y., J.B., D.A. u.a. sowie
mittlerweile pensionierte Militärs aufhalten und ob sich diese Personen in Zukunft in Deutschland
aufhalten werden.
Insoweit ist die von der Bundesanwaltschaft eingeholte Auskunft zum Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des § 153f StPO vollkommen untauglich. Auch die vom Unterzeichner durchgeführte
Akteneinsicht hat keine weiteren Erkenntnisse über die von der Bundesanwaltschaft durchgeführten
Ermittlungen erbracht. Vielmehr bestand die Akte der Bundesanwaltschaft ausschließlich aus der
vom Unterzeichner eingereichten Strafanzeige. Das bloße Vertrauen in eine in einem offenkundig
informellen Verfahren ergangene Mitteilung des Rechtsberaters der Regierung, der immerhin erhebliche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, kann den Maßstäben des Völkerstrafgesetzbuches nicht genügen.
Auch die Ausführungen im Gegenvorstellungsbeschluss der Generalbundesanwältin vom
11.08.2007, dass kein Anlass bestanden habe, der Auskunft der US-amerikanischen Militärdienststelle keinen Glauben zu schenken, reichen als Beleg nicht aus. Bereits in der Strafanzeige (S. 90)
war angeregt worden, dass im förmlichen Rechtshilfeweg Auskünfte bei den Bundesjustizbehörden
der Vereinigten Staaten von Amerika eingeholt werden, weil nur derart erteilte Auskünfte Verbindlichkeit entfalten können. Das von der Generalbundesanwältin in ihrem Gegenvorstellungsbeschluss
vom 11.08.2007 aufgeführten Argument, dass ein förmliches Rechtshilfeersuchen an die Vereinten
Staaten von Amerika mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht beantwortet worden
wäre, entbindet nicht von der Einleitung der notwendigen Ermittlungshandlungen, einschließlich der
Stellung eines solchen Ersuchens.
4.1.1.2 Vorheriger Inlandsaufenthalt
Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft dazu, dass sich die in der Strafanzeige genannten Personen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht in Deutschland aufgehalten haben sollen und aus diesem Grunde eine Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht in Betracht käme, sind sowohl rechtlich als auch tatsächlich nicht haltbar. Denn die Generalbundesanwältin würdigt in keiner Weise die
Tatsache, dass sich die Tatverdächtigen zu keinem Zeitpunkt in Deutschland aufgehalten haben.
Dabei missachtet sie das vom Gesetzgeber intendierte weite Verständnis des Inlandsaufenthalts,
wonach jeder (freiwillige oder unfreiwillige) Kontakt mit dem deutschen Hoheitsgebiet (sei es ein
vorübergehender Aufenthalt oder eine Durchreise), der eine Ergreifung ermöglicht, ausreicht (vgl.
Gesetzesbegr. in Lüder/Vormbaum (Hrsg.), Materialien zum VStGB, 2003, S. 61; auch: LR-Beulke
§ 153f Rn 15; SK-Weßlau § 153f Rn 9). Eine Einstellungsmöglichkeit ergibt sich daher nur für den
Fall, dass der Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt in Deutschland aufhältig war. Zappalà (in: Journal
of International Criminal Justice 4/2006, S. 606) kritisiert u.a. mit diesem Argument die Entscheidung des GBA in dem Verfahren 3 ARP 116/05-2 gegen den ehemaligen usbekischen Innenminister
Z.A.. Dort hatte sich der Beschuldigte nachweislich im November 2005 für einen gewissen Zeitraum
in Deutschland zur Krankenbehandlung aufgehalten, womit das Erfordernis der Präsenz im Geltungsbereich des VStGB erfüllt ist. Im hiesigen Verfahren ist davon auszugehen, dass mindestens
vier der Beschuldigten sich dauerhaft in Deutschland aufgehalten hatten, weil sie hier mit ihren
Einheiten stationiert waren. Damit ergibt sich nach Zappalà bereits die Verpflichtung zur Einleitung
von Ermittlungen.
Zappalàs Auffassung hat im Übrigen für sich, dass sie verhindern würde, dass der Wechsel der
Begründungen der Bundesanwaltschaft zur Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens im Februar
2005 sowie neuerdings im April 2007 zur andauernden Straflosigkeit der Beschuldigten in Deutschland führt. Während im Februar 2005, offensichtlich auch von der Bundesanwaltschaft nicht angezweifelt, Tatbeschuldigte ihren Aufenthalt in Deutschland hatten und insofern die Einleitung von
Ermittlungsverfahren nach § 153f StPO zwingend gewesen wäre, wurden damals rechtlich schwache und von der Rechtswissenschaft zu Recht stark kritisierte Gründe einer angeblichen Strafverfolgung in den USA für die Nichteinleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen ins Feld geführt. Diesmal wurde nach einer unzureichenden Recherche festgestellt, dass keiner der Beschuldigten mehr
in Deutschland stationiert ist und deswegen nunmehr auf eine andere Begründung zurückgegriffen.
Diese scheint zwar prima facie einleuchtender zu sein als die vorherige, leidet aber unter dem ge-
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nannten Mangel, dass es an einer hinreichend untermauerten Begründung für die Annahme der
Einstellungsvoraussetzungen nach § 153f Abs. 1 StPO fehlt.
4.1.1.3 Zukünftiger Inlandsaufenthalt zu erwarten
Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft dazu, dass ein Aufenthalt der in der Strafanzeige genannten Personen auch künftig nicht zu erwarten sei und auch aus diesem Grunde eine Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens nicht in Betracht käme, sind ebenso rechtlich als auch tatsächlich nicht
haltbar.
Bereits in der Strafanzeige (S. 82 ff.) waren umfangreiche Ausführungen zu dem bei einigen Beschuldigten zu erwartenden Inlandsaufenthalt gemacht worden. Entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft reicht eine Möglichkeit der Einreise aus und ist vom Gesetzgeber auch so gewollt.
Das der Ermessensausübung auf Grund des Opportunitätsprinzips übergeordnete Ziel der Vermeidung von Straflosigkeit führt zu einem weiten Verständnis des Inlandsaufenthaltes. Dabei soll jeder
(freiwillige oder unfreiwillige) Kontakt mit deutschem Hoheitsgebiet (vorübergehender Aufenthalt,
Durchreise), der eine Ergreifung ermöglicht, ausreichen (vgl. Gesetzesbegr. in: Lüder/Vormbaum
(Hrsg.), Materialien zum VStGB, 2003, S. 61; vgl. auch LR-Beulke, § 153 f, Rn. 15; SK-Weßlau §
153 f., Rn. 9; Werle/Jessberger, JZ 2002). Ein vorübergehender Aufenthalt wie z.B. eine Durchreise ist aber im Falle der hier Beschuldigten nicht nur nicht auszuschließen, wie es die Bundesanwaltschaft in ihrem Vermerk von April 2007 tut, vielmehr ist eine Durchreise oder ein zwischenzeitiger
Aufenthalt der in der Strafanzeige genannten Personen sogar überaus wahrscheinlich. Es kann daher nicht der Ansicht der Bundesanwaltschaft gefolgt werden, dass ,,(...)„Vorermittlungen" über
gegenwärtige und künftige Reisebewegungen von im Ausland lebenden Personen wenig Erfolg versprechen". Hierzu war in der Strafanzeige dargelegt worden, dass der Beschuldigte A.G. sich nicht
nur im Oktober 2006 in Deutschland aufgehalten hat. Er hielt sich zum Zeitpunkt der Abfassung
der Gegenvorstellung, vom 23.-25.05.2007 ebenfalls in Deutschland und zwar in München beim
Treffen der Justiz- und Innenminister der G8-Staaten auf. Der Beschuldigte J.Y. war in den Jahren
2005 und 2006 als Gastprofessor in Italien tätig. Darüber hinaus war zu D.R. ausgeführt worden,
dass er sich, wie zahlreiche andere hochrangige ehemalige Außen- und Sicherheitspolitiker der
USA, regelmäßig in Deutschland zum Besuch von Konferenzen und Tagungen aufhält. Allein das
Studium der Teilnehmerlisten der Münchener Sicherheitskonferenz, die im Februar jeden Jahres
stattfindet, belegt diese Tatsache. Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft, dass konkrete Anhaltspunkte dafür fehlen, dass ehemalige Verteidigungs- und zukünftige ehemalige Justizminister
der USA sich nicht in Deutschland aufhalten würden, geht daher an den Realitäten vollkommen
vorbei.
In der Strafanzeige vom 14.11.2006 war hierzu insoweit ausgeführt worden:
„Im Übrigen ist auch beim ehemaligen Verteidigungsminister D.R. ein Deutschlandaufenthalt in
Zukunft zu erwarten. Denn alle hochrangigen ehemaligen Außen- und Sicherheitspolitiker der USA
halten sich regelmäßig in Deutschland zum Besuch von Konferenzen und Tagungen auf. Darüber
hinaus ist D.R. auch als Geschäftsmann tätig und es ist zu erwarten, dass er in dieser Eigenschaft
Reisen nach Deutschland bzw. in andere europäische Länder unternimmt, die dem Regime des
europäischen Haftbefehlsverfahrens unterliegen. Als Beleg dafür, wer in den letzten Jahren in
Deutschland war, mag ein Blick auf die Teilnehmerlisten der Münchener Sicherheitskonferenz 2006
dienen. Dort waren neben dem damals amtierenden Verteidigungsminister und Beschuldigten D.R.,
der ehemalige Verteidigungsminister W.B. , der ehemalige General J.R. , der ehemalige Botschafter
J.B., der ehemalige Regierungsfunktionär R.P., der ehemalige Botschafter R.H., der ehemalige Botschafter R.H., der ehemalige Botschafter D.C. und der ehemalige Verteidigungsminister W.C. anwesend.
Darüber hinaus muss angemerkt werden, dass der ehemalige Verteidigungsminister F.C. Direktor
der Carlyle Group, einer Investmentfirma mit Sitz in Frankfurt, ist Der Beschuldigte R. ist mit der
Carlyle Group ebenfalls geschäftlich verbunden. Es ist daher zu erwarten, dass er Treffen dieser
Gruppe in Frankfurt besucht. Weiterhin ist D.R. Aufsichtsrat der Ingenieursfirma ABB, die wiederum
in der Schweiz ansässig ist.
Zudem verwendet die Bundesanwaltschaft einen Maßstab, der weder der Gesetzesbegründung zum
Völkerstrafgesetzbuch noch dem bisher ergangenen Schrifttum zu entnehmen ist Es wird ohne
weitere Recherchen, ja ohne Begründung, ausgeführt, dass - ausgerechnet im Falle von hochrangigen US-amerikanischen Politikern und Militärs - eine Einreise nach Deutschland oder den europäischen Rechtsraum nicht zu erwarten sei; vielmehr von einer solchen nicht auszugehen sei, weil
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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keine Anhaltspunkte dafür vorlägen. Wie dargelegt, ist das Gegenteil der Fall. Anschließend wird
ausgeführt, dass Vorermittlungen über gegenwärtige und künftige Reisebewegungen von im Ausland lebenden Personen wenig Erfolg versprächen. Damit ist der Gedanke des Völkerstrafrechts
insgesamt ad absurdum geführt. Denn in der Strafanzeige war neben dem zumindest zeitweiligen
Inlandsaufenthalt der Beschuldigten auch auf zukünftige Reisebewegungen nach Deutschland und
in den europäischen Raum hingewiesen worden. Diese sind ebenfalls belegt und nicht, wie die Bundesanwaltschaft ausführt, nicht zu erwarten.
Mit seiner Argumentation erweckt der Generalbundesanwalt den Eindruck, als sei es gängige
staatsanwaltschaftliche Praxis, bei nicht inländischem Aufenthalt von Beschuldigten kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Hierzu ist auszuführen, dass sich deutsche Strafverfolger in der Regel
nicht davon abschrecken lassen, Ermittlungsverfahren auch gegen solche Beschuldigte zu ergreifen, die sich nicht im Inland aufhalten, zumal wenn es sich beispielsweise um Vorwürfe des Terrorismus oder des Drogenhandels handelt. Denn in jenen Verfahren erwägen deutsche Strafverfolger
regelmäßig die Möglichkeit, internationale Haftbefehle bzw. europäische Haftbefehle gegen die dortigen Beschuldigten zu erwirken. Selbst wenn man der Bundesanwaltschaft folgen will und zum
Zeitpunkt der Anzeigenerstattung den dringenden Tatverdacht für nicht gegeben ansieht, hätte die
Möglichkeit eines späteren, andernorts zu vollstreckenden Haftbefehls mit anschließender Einlieferung im hiesigen Verfahren erwogen werden müssen."
Im Übrigen besteht bei den militärischen Funktionsträgern gerade angesichts des Drehkreuzcharakters der deutschen US-Basen für alle Militärbewegungen in den Nahen und Mittleren Osten sowie Zentralasien, vor allem im Irak und in Afghanistan, eine sehr starke Vermutung, dass sich Offiziere der US-Armee zumindest auf der Durchreise auch nach Deutschland begeben werden. Diese
kann nicht ohne weiteres dadurch abgetan werden, dass ein Rechtsberater ohne nähere Angaben
behauptet, die Offiziere seien nicht oder nicht mehr in Deutschland stationiert. Selbst wenn sie
aktuell nicht in Deutschland „aufhältig" sein sollten, spricht dies zumindest nicht dagegen, dass sie
sich zumindest auf einer Durchreise auch wieder nach Deutschland begeben werden. Auch die kategorische Behauptung, Rechtshilfeersuchen würden sowieso nicht beantwortet werden, ist eine
sehr mutige. Einem Rechtsstaat wie den USA sollte normativ doch wohl zunächst einmal unterstellt
werden, dass sie rechtsstaatliche Verfahren auch in anderen Staaten nicht per se missachten, zumal das Bundesjustizministerium noch am 13.12.2006 in einer auf der Webseite des Bundesjustizministeriums verlautbaren ließ (http://www.bundesjustizministerium.net/enid/430a752e570b9d0d
57af5ffe0e7e9f97,3f61f1706d635f6964092d0933373634093a095f7472636964092d0933303334/Pr
essestelle/Pressemitteilungen_58.html): „Bundesregierung verbessert deutsch-amerikanische Zusammenarbeit in Strafsachen" und dies wie folgt ausführte:
„Die Bundesregierung hat heute einem Gesetz zur Verbesserung der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit in Strafsachen zugestimmt. Das Gesetz setzt mehrere Abkommen der USA mit
Deutschland und der Europäischen Union in deutsches Recht um. „Deutsche und amerikanische
Behörden arbeiten seit vielen Jahren bei der Strafverfolgung eng und vertrauensvoll zusammen.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben den Bedarf nach einer engen Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden deutlich unterstrichen. Mit dem heute im Kabinett beschlossenen Gesetz verbessern wir die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA
entscheidend und passen sie an die Vorgaben der zwischen der Europäischen Union und den USA
geschlossenen Abkommen an", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. „Notwendig ist eine
verlässliche Rechtsgrundlage, die es beiden Seiten gestattet, die Zusammenarbeit unter Beachtung
ihrer verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gestalten."
Im Einzelnen geht es um die innerstaatliche Anwendung des deutsch-amerikanischen Rechtshilfevertrags vom 14. Oktober 2003, der deutsch-amerikanischen Zusatzverträge über Auslieferung und
Rechtshilfe vom 18. April 2006 sowie zweier EU-US-Abkommen vom 25. Juni 2003 über Auslieferung und Rechtshilfe. Ziel dieser Verträge und Abkommen ist es, für die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den USA und den EU-Mitgliedstaaten harmonisierte vertragliche Grundlagen zu
schaffen und bestehende bilaterale Verträge mit Blick auf die Herausforderungen der Bekämpfung
des Terrorismus und der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität zu modernisieren.
im Bereich der Auslieferung wird der deutsch-amerikanische Auslieferungsvertrag von 1978 etwa
um datenschutzrechtliche Regelungen ergänzt. Wichtig ist, dass auch nach dem geänderten Auslieferungsvertrag keine Auslieferung eines Verfolgten an die USA erfolgen wird, wenn diesem dort die
Todesstrafe droht. Voraussetzung jeder Auslieferung ist, dass die in Rede stehende Straftat sowohl
nach dem Recht des ersuchten Staates wie auch nach dem des ersuchenden Staates strafbar ist.
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Im Rahmen der so genannten „sonstigen Rechtshilfe" arbeiten Deutschland und die USA seit langem eng zusammen. Dabei geht es um die Vernehmung von Zeugen, die Beschlagnahme von Beweismitteln oder die Zustellung von Ladungen und anderen Urkunden auf Ersuchen des anderen
Staates. Die deutschen Justizbehörden konnten diese Form der Rechtshilfe bislang ohne vertragliche Grundlage erbringen, und zwar auf der Basis des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe
in Strafsachen. Der im Oktober 2003 unterzeichnete deutsch-amerikanische Rechtshilfevertrag
stellt diese Zusammenarbeit nun auf eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage."
(http://www.bundesjustizministerium.net/enid/430a752e570b9d0d57af5ffe0e7e9f97,3f61f1706d63
5f6964092d0933373634093a095f7472636964092d0933303334/Pressestele/Pressemitteilungen_5
8.html)
Nach alledem war ein Ermessen der Bundesanwaltschaft hinsichtlich der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens schon gar nicht eröffnet.
4.1.2 Willkürliche Ermessensausübung
Die Generalbundesanwältin kommt zudem bei der nach § 153f Abs. 1 S. 1 StPO vorzunehmenden
Abwägung zu dem falschen Ergebnis, dass für ein Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden kein
Raum sei, insbesondere weil Erfolg versprechende Ermittlungen nicht möglich seien.
Diese Abwägung darf zum einen nicht auf Grund falsch gedeuteter, tatsächlicher Umstände vorgenommen werden (siehe oben 4.1.1). Zum anderen verkennt die Bundesanwaltschaft, dass es sich
bei den vorliegenden Straftaten um schwerwiegende sowie gut belegte Tatvorwürfe von Völkerstraftaten handelt. Dies wurde durch umfangreiche Vorarbeiten von US-amerikanischen Rechtswissenschaftlern, Menschenrechtsorganisationen, Regierungsberichten offizieller US-amerikanischer
Stellen sowie UN-Stellen der Tatverdacht gegen D.R. und die anderen angezeigten Personen
schlüssig belegt werden.
4.1.2.1 Gerichtlich überprüfbar
Wie bereits erläutert, ist die eigentliche Ermessensentscheidung auch justiziabel und gerichtlich
überprüfbar.
Soweit das OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 13.9.2005 - 5 Ws 109/05 - feststellt, dass die
eigentliche Ermessensentscheidung i.R.d. § 153f StPO nicht justiziabel und gerichtlich nur überprüfbar sei, ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde und ob die Grenze zur Willkür überschritten
sei, kann dies nicht überzeugen. Durch diese Selbstbeschneidung gerichtlicher Prüfungskompetenz
wird ermöglicht, dass der im VStGB niedergelegte gesetzgeberische Wille der Einführung des Weltrechtsprinzips faktisch durch politische Erwägungen der Staatsanwaltschaft umgangen werden
kann.
Der renommierte Völkerstrafrechtler Kai Ambos, der als Mitglied der Expertenarbeitsgruppe des
Bundesministeriums der Justiz an der Ausarbeitung des Entwurfes zum Völkerstrafgesetzbuch beteiligt war, kritisiert daher den Beschluss des OLG Stuttgart, weil „die zentrale Frage einer Verfolgung durch den zuständigen Staat als eigentliche Ermessensentscheidung nicht gerichtlich überprüfbar sein soll" und dies zu der Besorgnis Anlass gebe, „dass das Weltrechtsprinzip faktisch (im
prozessualen Wege) durch eine exekutivische Steuerung der völkerrechtlichen Strafverfolgungstätigkeit desavouiert wird" (Ambos, NStZ 2006, S. 437). Der bloße Verweis auf das Opportunitätsprinzip und den Ausschluss des Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 Abs. 2 Satz 3 könne nicht
überzeugen, da der Gesetzgeber sich „aus Zeitgründen" diesbezüglich „keine weiteren Gedanken
über Rechtsbehelfsmöglichkeiten und insbesondere" darüber hat machen können, „dass § 153f rein
numerisch in die in § 172 Abs. 2 Satz 3 letzter Halbsatz StPO genannte Aufzählung fällt." Immerhin
seien schon nach geltender Rechtslage ein Klageerzwingungsverfahren gegen eine Einstellung aufgrund der §§ 153 ff. StPO mit der Behauptung zulässig, „dass die gesetzlichen Ermessensvoraussetzungen nicht vorgelegen haben, der Ermessenspielraum also überhaupt nicht eröffnet gewesen
sei und deshalb die Anklagepflicht fortbestanden habe". Diese Erwägungen müssten „erst recht für
§ 153f" gelten, „denn diese Vorschrift sieht eine doppelte Ausnahme vom Weltrechtsprinzip und
Legalitätsprinzip für Verbrechen vor, die über die Anklagepflicht des nationalen Strafprozessrechts
hinaus einer völkerrechtlichen Verfolgungs- und Bestrafungspflicht unterliegen". Dies spreche für
eine „strikte Rechtskontrolle". Im Ergebnis bedeute „all dies, dass das bei § 153f völkerrechtlich
verstärkte Legalitätsprinzip durch eine gerichtliche Mitwirkungspflicht gesichert werden" müsse.
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Dies könne nur durch eine analoge Anwendung der Vorschriften des Klageerzwingungsverfahren
gem. § 172 StPO geschehen.
4.1.2.2 § 153f StPO und Zielsetzung des VStGB
Die Bundesanwaltschaft stellt zutreffend dar, dass § 153f StPO den Zweck hat, den Folgen Rechnung zu tragen, die sich aus der Geltung des Weltrechtsprinzips für die deutsche Justiz ergeben. §
153f StPO soll der Gefahr entgegenwirken, dass sich Anzeigeerstatter bestimmter Staaten, die in
keinerlei direktem Zusammenhang mit den zur Anzeige gebrachten Taten stehen, allein wegen
ihres völkerrechtsfreundlichen Strafrechts als Ort der Verfolgung aussuchen (Vermerk der Bundesanwaltschaft vom 05. April 2007, m.w.N. Ambos, NStZ 2006, S. 435).
Bei einer Ermessensausübung auf Grund des Opportunitätsprinzips, das hier aus oben genannten
Gründen mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f Abs.1 StPO gar nicht greift, muss
jedoch das übergeordnete Ziel der Vermeidung von Straflosigkeit von Völkerstraftaten beachtet
werden. Mit der Formulierung „kann" in Absatz 2 des § 153f StPO ist weder eine partielle Rücknahme des materiell echten Weltrechtsprinzips beabsichtigt, noch ist ausgeschlossen, dass die
Staatsanwaltschaft - trotz Vorliegens der Nr. 1-4 - von ihrer Verfolgungszuständigkeit Gebrauch
macht (Ambos, NStZ 2006, S. 435; Bericht des BT-Rechtsausschusses, in Lüder/Vormbaum, Materialien zum VStGB 2003, S. 88; LR-Beulke, 153 f, Rn. 32).
Vielmehr entspricht es dem gesetzgeberischen Willen nur in einem eng begrenzten Rahmen, Ausnahmen vom Legalitätsprinzip zu machen (vgl. auch Zappalà, a.a.O., S. 607). Es hätte also keiner
besonderen Rechtfertigung bedurft, trotz des Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO, ein
Ermittlungsverfahren einzuleiten (vgl. Ambos, NStZ 2006, S. 435). Wenn die Generalbundesanwältin davon ausgeht, dass Umstände, die eine Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO rechtfertigen könnten, nicht vorlägen und daher für ein Tätigwerden der deutschen Strafverfolgungsbehörden kein Raum sei, wird das Legalitätsprinzip auf den
Kopf gestellt. Nicht die Aufnahme von Ermittlungen ist begründungsbedürftig, sondern die Nichteinleitung bzw. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens.
Die Bundesanwaltschaft lässt in ihrem Vermerk vom 05.04.2007 außer Acht, dass sich in der Weitgemeinschaft hinsichtlich der zur Anzeige gebrachten Folterstraftaten und Kriegsverbrechen ein
Konsens gebildet hat, dass diese Straftaten weltweit verboten und darüber hinaus weltweit strafverfolgt und bestraft werden sollen.
Dies ist auch der Grundgedanke des Internationalen Strafgerichtshofes und kommt in der Präambel
des IStGH-Statuts zum Ausdruck, in der die Kernverbrechen des Völkerstrafrechts als „schwerste
Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren", bezeichnet werden (vgl.
auch Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 2003, S. 30 ff.). Zu diesen Völkerrechtsverbrechen zählen
unstreitig u.a. die hier angezeigten Kriegsverbrechen. „Aus dieser universellen Natur der Völkerrechtsverbrechen folgt, dass die Völkergemeinschaft grundsätzlich befugt ist, diese Verbrechen zu
verfolgen und zu bestrafen, unabhängig davon, wo, durch wen oder gegen wen die Tat begangen
worden ist." (Werle, a.a.O., S. 68).
Daraus ergibt sich nicht nur die Grundlegitimation der internationalen Gemeinschaft und auch des
Internationalen Strafgerichtshofs, solche Straftaten zu verfolgen. Auch den einzelnen Staaten steht
diese Strafbefugnis zu. „Völkerrechtsverbrechen sind keine inneren Angelegenheiten" (vgl. Werle,
a.a.O., S. 69). Für Völkerrechtsverbrechen gilt daher in vielen Staaten in unterschiedlicher Weise
das Weltrechtspflegeprinzip. Genau aus diesem Grunde wurde mit breiter Zustimmung des Bundesrates und des Bundestages das Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland beschlossen, das am 30. Juni
2002 in Kraft getreten ist. Das Völkerstrafgesetzbuch hat sich zum Ziel gesetzt, „das spezifische
Unrecht der Verbrechen gegen das Völkerrecht besser zu erfassen, als dies nach allgemeinem
Strafrecht derzeit möglich ist" und „im Hinblick auf die Komplementarität der Verfolgungszuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof zweifelsfrei sicherzustellen, dass Deutschland stets in
der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen" (vgl. Bundestags-Drucksache 14/8524, S, 11 ff.).
Deswegen wird in § 1 des Völkerstrafgesetzbuches das Weltrechtsprinzip ausdrücklich für alle in
ihm bezeichneten Verbrechen gegen das Völkerrecht festgeschrieben „auch dann, wenn die Tat im
Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist" (§ 1 VStGB). Das Völkerstrafgesetzbuch ist nicht zuletzt deswegen als eines der weltweit ersten nationalen Gesetzgebungsprojekte
anzusehen, welches das Völkerstrafrecht nach dem Inkrafttreten des IStGH-Statuts regelt. Das
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VStGB hat unter anderem das Ziel, „durch die Schaffung eines einschlägigen Regelwerkes das humanitäre Völkerrecht zu fördern und zu seiner Verbreitung beizutragen" (vgl. BundestagsDrucksache 14/8524, S. 12).
Auch durch die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall
Jorgic vs. Bundesrepublik Deutschland betont der Gerichtshof die notwendige Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen auf nationaler Ebene:
"Para. 53 (...) the prosecution of genocide is subject to the principle of universal jurisdiction, that
is, jurisdiction for crimes committed outside the State's territory by non-nationals against nonnationals of the State and which are not directed against the State's own national interests, at least
if the defendant was found to be present in its territory.
(…)
Para. 69 The Court observes in its connection that the German court's interpretation of Article VI of
the Genocide Convention in the light of Article I of that Convention and their establishment of jurisdiction to try the applicant on charges of genocide is widely confirmed by the statutory provisions and case-law in numerous other Contracting State to the Convention (for the Protection of
Human Rights) and by the Statute and case-law of the ICTY. It notes, in particular, that the Spanish Audencia Nacional has interpreted Article VI of the Genocide Convention in exactly the same
way as the German courts (see paragraph 54 above). Furthermore, Article 9 § 1 of the ICTY Statute confirms the German Courts' view, providing for concurrent jurisdiction of the ICTY and national courts, without any restriction to domestic courts of particular countries. Indeed, the principle of
universal jurisdiction for genocide has been expressly acknowledged by the ICTY (see paragraphs
50-51 above) and numerous Convention States authorize the prosecution of genocide in accordance with threat principle, or at least where, as in the applicant's case, additional conditions - such
as those required under the representation principle - are met (see paragraphs 52-53 above).
Para. 70 The Court concludes that the German court's interpretation of the applicable provisions
and rules of public international law, in the light of which the provisions of the Criminal Code ad to
be construed, was not arbitrary. That therefore had reasonable grounds for establishing their jurisdiction to try the application on charges of genocide."
(Jorgic v. Germany ECHR, Applic. No. 74613/01)
Diese Haltung findet auch in der Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte ihren Niederschlag, die
in mehreren Verfahren wegen der Menschenrechtsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien Ausländer wegen Auslandstaten gegen Ausländer wegen Völkermordes verurteilt haben. Aus all dem
ergibt sich, dass die Verfolgung schwerster Verbrechen gegen das Völkerrecht nach dem Weltrechtsprinzip auch in der Bundesrepublik möglich ist und vom Gesetzgeber des VStGB auch ausdrücklich angestrebt war. Zu einer solchen Strafverfolgung ist die Bundesrepublik Deutschland
auch völkerrechtlich verpflichtet. Diese völkerstrafrechtsfreundliche Haltung der deutschen Politik
und Rechtsprechung hat gerade durch das VStGB ihren gesetzlichen Ausdruck gefunden. Schon
wegen dieser gesetzlich fixierten Grundhaltung muss bei einer Ermessensausübung nach § 153f
StPO die Sicherstellung einer Verfolgung solcher schwerster Verbrechen eine Rolle spielen und in
die Überlegungen einbezogen werden. Die Generalbundesanwaltschaft hat dies vorliegend unterlassen. Stattdessen wird ein Interesse an einer Strafverfolgung der angezeigten Taten völlig geleugnet. Damit verkennt die Generalbundesanwaltschaft die auch gesetzlich niedergelegten Bewertungsmaßstäbe.
4.1.2.3 Falsche Prognose hinsichtlich des zu erwartenden Ermittlungserfolges
Auch wenn die Bundesanwaltschaft unzutreffend davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des §
153f Abs. 1 Satz 1 StPO vorliegen, erkennt sie immerhin an, dass in diesem Fall eine Prognose
dahingehend, dass Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbehörden einen nennenswerter Aufklärungserfolg erzielen können und geeignet wären, eine spätere Strafverfolgung vorzubereiten, die
Aufnahme von Ermittlungen erforderlich machen.
Die Bundesanwaltschaft kommt jedoch zu dem nicht haltbaren Schluss, dass für ein Tätigwerden
deutscher Ermittlungsbehörden deswegen kein Raum sei, weil hier Erfolg versprechende Ermittlungen nicht zu prognostizieren seien. Diese Überlegung ist schon als voreilig zurückzuweisen, weil
eine solche Prognose ohne ernsthafte Vorermittlungen, die zumindest nach Lage der vom Unterzeichner eingesehenen Akten nicht stattgefunden haben, schon rein faktisch gar nicht möglich ist.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Auf diesen Punkt war bereits umfangreich in der Strafanzeige selbst eingegangen worden. Zunächst sei darauf hingewiesen, dass das Kriterium des nicht nennenswerten Aufklärungserfolges
nicht dem Gesetz, auch nicht dem § 153f StPO, entnommen werden kann. Vielmehr wurde dieses
Tatbestandsmerkmal in einer Weise in diese Norm von der Bundesanwaltschaft hineingelesen, welche angesichts der schwerwiegenden, zur Anzeige gebrachten Straftaten, äußerst kritikwürdig erscheint. Denn derartige Einstellungsbescheide werden Strafjuristen wohl kaum in Verfahren wegen
Vorwürfen des Terrorismus oder nach dem Betäubungsmittelgesetz zu lesen bekommen, wenn sich
dortige Beschuldigte im Ausland aufhalten. Außerdem, und dies ignoriert die Bundesanwaltschaft
beharrlich, ist in der Gesetzesbegründung zum Völkerstrafgesetzbuch -und dies sei an dieser Stelle
wiederholt- ausdrücklich festgestellt worden, dass bei Nichtvorliegen eines Inlandsbezuges dennoch
mit Ermittlungen begonnen werden soll, wenn auch keine vorrangige Jurisdiktion derartige Ermittlungen aufgenommen hat. Im Einzelnen heißt es in der Gesetzesbegründung, dass es „das Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Weltrechtsprinzip [verlange], dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungen unternehmen, um eine
spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im Ausland) vorzubereiten". Die so genannte
antizipierte Rechtshilfe ist somit bereits vom Gesetzgeber vorgesehen worden.
Nach dem Vortrag in der hiesigen Strafanzeige kann nicht ernsthaft angezweifelt werden, dass
Ermittlungen in den Komplexen Guantánamo und Abu Ghraib durch deutsche Strafverfolgungsbehörden zumindest erhebliche Anfangserfolge zu verzeichnen hätten. Dies gilt, wie schon in der
Strafanzeige von November 2004 dargelegt wurde, zunächst einmal für die Vernehmung der Geschädigten der zur Anzeige gebrachten Straftaten. Es ist ein Skandal, dass weltweit noch keine
Anstrengungen unternommen wurden, die Aussagen der teilweise schwer gefolterten irakischen
und sonstigen arabischen Geschädigten aufzunehmen. Denn die Aufnahme der Aussagen wäre
nicht nur die Grundlage späterer Strafverfolgungen, sei es im Irak, in den USA oder anderswo,
sondern auch die Grundlage für eine mögliche Entschädigung der Schwerstgeschädigten Folteropfer. Der wachsende Zeitablauf führt letztlich zu einer Beweisvereitelung. Denn wenn möglicherweise in 3-5 Jahren die politischen Verhältnisse in den USA eine Strafverfolgung zulassen und diese
tatsächlich auch begonnen wird, ist höchstfraglich, ob dann eine Erinnerung der Opfer an die Einzelheiten des Geschehens und insbesondere auch eine Identifikation der Täter und Tatverdächtigen
möglich ist.
Demgegenüber wäre zum jetzigen Zeitpunkt gerade auch deutschen Strafverfolgungsbehörden ein
Tätigwerden ohne weiteres möglich. Hierzu war bereits an mehreren Stellen in beiden Strafanzeigen ausgeführt worden, dass bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeiten hätten,
durch konsularische Vernehmungen in der Botschaft in Bagdad oder - wenn dies aus Sicherheitsgründen, wofür einiges spricht, nicht favorisiert werden sollte - in den deutschen Botschaften in
Istanbul, Ankara, Damaskus und Beirut sowie Amman, Opfer aus den verschiedenen Landesteilen
des Irak zu vernehmen.
Auch zur Vernehmung bereite amtierende oder ehemalige US-Beamte bzw. Militärs könnten auf
diesem Wege in der Deutschen Botschaft in Washington vernommen werden. Dies würde einen
entscheidenden Schritt für spätere Strafverfolgung, wo auch immer und wie auch immer, darstellen. Diese würde es auch internationalen Stellen ermöglichen, eine Entschädigung der Opfer sowie
eine Wiedergutmachung, in welcher Form auch immer, einzuleiten. Dass die internationale Rechtsgemeinschaft solche Mittel noch immer nicht ergriffen hat, steht ihr angesichts der insoweit eindeutigen Rechtslage (absolutes Verbot der Folter sowie Schutz von Kriegsgefangenen und sonstigen
geschützten Personen nach den Genfer Konventionen) wahrlich nicht gut zu Gesicht. Es steht auch
den bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden nicht gut zu Gesicht, dass die Bundesanwaltschaft
der Ansicht ist, dass Deutschland nicht stellvertretend für die - von der Bundesanwaltschaft noch in
Anführungsstrichen gesetzten - Weltgemeinschaft tätig werden müsse. Denn genau das Gegenteil
ist der Grundgedanke des Völkerstrafrechts und kommt auch in der Gesetzesbegründung und in
dem Gesetzeswerk des Völkerstrafgesetzbuches zum Ausdruck, (so auch der Kölner Professor Dr.
Claus Kreß in seiner Kurzstellungnahme zur „Nationalen Umsetzung des Völkerstrafgesetzbuches",
24.10.2007, S.11f., http://www.bundestag.de/ausschuesse/a17/anhoerungen/voelkerstrafgerichtshof/index.html).
Es waren darüber hinaus noch weitere Ermittlungsansätze und insofern nahe liegende Aufklärungserfolge in der Strafanzeige vom 14.11.2006 dargelegt worden:
„Abgesehen davon also, dass die Bundesanwaltschaft in der Vergangenheit angezeigte Straftaten
nach dem VStGB in kritikwürdiger Weise nicht verfolgt und damit dem gesetzgeberischen Willen
nicht entsprochen hat, sei vorsorglich nachfolgend darauf eingegangen, dass im Falle der vorlie-
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genden Anzeige exklusive Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolgungsbehörden bestehen. Hier ist natürlich an erster Stelle die ehemalige Brigadegeneralin J.K., die oberste Befehlshaberin für das Gefängnis von Abu Ghraib und die anderen irakischen Gefängnisse von Mai 2003 bis
Frühjahr 2004, zu nennen. Die Zeugin J.K. hat als eine der wenigen beteiligten Befehlshaber eine
geringfügige Sanktion wegen der Ereignisse von Abu Ghraib hinnehmen müssen. Sie musste sich
zwar keinem Kriegsgerichtsverfahren stellen, sie wurde auch nicht in einem formellen Disziplinarverfahren gemaßregelt. Vielmehr wurde ihr in einem nicht formellen, administrativen Verfahren der
Rang aberkannt. Gegen diese Entscheidung standen ihr keine Rechtsmittel zur Verfügung. Die Zeugin hat sich danach in mehreren Kriegsgerichtsverfahren gegen ihre ehemaligen Untergebenen der
Militärpolizei als Zeugin zur Verfügung gestellt. Sie wurde jedoch in keinem der Verfahren gehört.
Die Zeugin hat sich nunmehr bereit erklärt, in Deutschland den dortigen Strafverfolgungsbehörden
ihr Insider-Wissen zur Verfügung zu stellen und in diesen Verfahren auch eine Zeugenaussage zu
tätigen. In der Anlage wird eine am 26.10.2005 von der Zeugin in der englischen Original-Version
gefertigte Zeugenaussage überreicht Weiterhin wird als Anlage eine nicht amtliche Übersetzung
dieser Aussage mit übersandt.
Aus der Aussage geht hervor, dass die ehemalige Brigadegenerälin für die 17 Haftzentren im Irak
verantwortlich war, nachdem die von den USA geführte Koalition den Irak besetzt hatte. Das Gefängnis in Abu Ghraib war eines dieser Haftzentren, das der 800. Militärpolizei-Brigade zugeteilt
war. Die Zeugin beschreibt die schwierigen Zustände in dem Gefängnis, dass von mehr als 40.000
Gefangenen während des fraglichen Zeitraums durchlaufen wurde. Insbesondere beschreibt sie
dann in ausführlicher Weise, wie sich die Verhältnisse in einem Teil des Gefängnisses änderten, als
sich der damalige Oberkommandierende der Lager in Guantánamo Bay, Kuba, der hier Beschuldigte General G.M., auf Befehl des Beschuldigten D.R. und des Beschuldigten S.C. vom 31.08. bis
09.09.2003 in den Irak begab.
Die schriftliche Zeugenaussage der Zeugin J.K. kann zwar nur vorläufig bewertet werden. Doch
selbst bei vorläufiger Bewertung wird dem neutralen Betrachter der explosive Gehalt ihrer Äußerungen deutlich, insbesondere hinsichtlich der Schilderung der Person des Beschuldigten G.M., aber
auch der Beschreibung der Rollen der Beschuldigten R.S. und D.R. sowie S.C.. Die Zeugin ist ausdrücklich dazu bereit, sich insoweit weiteren Nachfragen zu stellen.
Mittlerweile hat sich ein weiterer Zeuge zur Zeugenaussage in einem eventuellen Ermittlungsverfahren durch die Bundesanwaltschaft gegen die hier angezeigten Personen bereit erklärt. Es handelt sich um den Irak-Kriegs-Veteran D.D.. Dieser hat die Strategie der Vertuschung und Verdeckung der Foltervorfälle im Irak durch den Bericht „Whitewashing Torture" mit einem Artikel vom
08.12.2000 anhand des Falles von Unteroffizier F.F., Agent der Spionageabwehr der 223. Kalifornischen Nationalgarde der Militärnachrichtendienstabteilung, beispielhaft dargestellt.
Der Zeuge D.D. hat durch die Medienvorberichterstattung über das hiesige Verfahren Kenntnis
erlangt und hat sich gegenüber dem Center for Constitutional Rights ausdrücklich bereit erklärt,
seine weit über die in dem Artikel dargelegten Ereignisse hinausreichenden Kenntnisse über Foltervorfälle im Irak zu offenbaren. Der Zeuge D.D. wird in einer eventuellen Aussage ausführen können, wie systematisch Folter und weitere illegale Vernehmungsmethoden in den Haftstätten der
US-Amerikaner im Irak verbreitet waren. Er wird gegebenenfalls weitere Zeugen benennen können.
Im Übrigen sei ausdrücklich darauf verwiesen, dass D.D. selbst wie der in seinem Artikel angesprochene F.F. im 223. Militärnachrichtendienstbataillon im Irak gedient hat. Das 223. Bataillon stand
ebenso wie die 205. Militärnachrichtendienstbrigade unter dem Kommando des hier Beschuldigten
Oberst T.P.. Dies bedeutet, dass die Aussagen des Zeugen D.D. dazu beitragen können, die Rolle
von Oberst T.P. bei den Ereignissen von Abu Ghraib und weit darüber hinaus aufzuklären.
Im Übrigen gibt es eine Vielzahl von erfolgversprechenden Ermittlungsansätzen für deutsche Strafverfolgungsbehörden.
Es kann zunächst eine Auswertung aller über das Internet und andere Veröffentlichungen frei verfügbaren Untersuchungsberichte, Memoranden und Medien vorgenommen werden bzw. die oben
vorgenommene Zusammenstellung und Bewertung der strafrechtlichen Verantwortung der Beschuldigten nachvollzogen werden.
Die Vernehmung der geschädigten Zeugen, der ehemals in Abu Ghraib inhaftierten Anzeigenerstatter und aller weiteren in den Schriftsätzen zum ersten Verfahren benannten Zeugen ist naheliegend
und möglich. Diese können ihrerseits zahlreiche weitere geschädigte Zeugen namentlich benennen.
Die Zeugen sind bereit, im Rahmen des Strafverfahrens vor deutschen Strafverfolgungsbehörden
auszusagen, entweder im Rahmen von konsularischen Vernehmungen in den Deutschen Botschaf-
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ten in Bagdad/Irak oder Amman/Jordanien oder im Rahmen staatsanwaltschaftlicher oder kriminalpolizeilicher Vernehmungen. Die Zeugen sind über das Büro des Unterzeichnenden bzw. der Anzeigenerstatter zu 1) zu erreichen. Im Übrigen sind die unten namentlich genannten 31 Personen und
Geschädigten bereit, gegenüber deutschen Strafverfolgungsbehörden über erlittene Misshandlungen als Zeugen auszusagen.
Die Vernehmung der in Deutschland stationierten Beschuldigten R.S., W.W. und T.P. und aller anderen Beschuldigten, sobald sie nach Deutschland reisen, kann veranlasst werden.
Darüber hinaus könnten Vernehmungen der in Deutschland stationierten Angehörigen des V. Corps
in Heidelberg sowie der 205. Militärnachrichtendienst-Brigade stattfinden, die zu den Vorfällen
sachdienliche Aussagen machen können.
Das V. Corps der US-Armee nahm an der Operation Iraqi Freedom teil. Viele seiner Angehörigen
waren Zeugen der Gefangenenmisshandlungen, die in verschiedenen Haftanstalten in Irak stattfanden. Das Hauptquartier des V. Armeecorps befindet sich in Heidelberg. Deutsche Strafverfolgungsbehörden könnten daher ohne weiteres beantragen, mit Soldaten und Offizieren sprechen zu
können, um weitere Informationen und Zeugnisse über die zur Anzeige gebrachten Vorgänge zu
erlangen.
Die den V. Armeecorps angehörende 205. Militärnachrichtendienstbrigade nahm ebenfalls an der
Operation Iraqi Freedom teil. Viele ihrer Angehörigen sind in der Strafanzeige namentlich benannt.
Die Einheit ist auf dem Wiesbadener Army Airfield stationiert. Der Führung der Einheit gehören der
Beschuldigte Oberst T.P., Oberstleutnant A.M. und B.B. an.
Untergeordnete Einheiten der 205. Militärnachrichtendienstbrigade waren ebenfalls in die Vorgänge
in Irak verwickelt. Namentlich sind dies das 165. und 302. Militärnachrichtendienstbataillon. Beide
Bataillone sind ebenfalls in Wiesbaden auf dem Army Airfield stationiert.
Es existieren einige geschriebene Zeugenaussagen von Angehörigen der in Deutschland stationierten Brigaden, die ausgewertet werden können bzw. deren Verfasser dazu vernommen werden
könnten.
Aus dem Taguba-Bericht sind dies namentlich der zivile Übersetzer A.N., Angehöriger der 205.
Militärnachrichtendienstbrigade, der als Verdächtiger bezeichnet wird. Der Vertragsangestellte T.N.,
der ebenso wie der zuvor genannte bei der Titan Firma beschäftigt ist und zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehört. Er ist als Verdächtiger im Taguba-Bericht aufgeführt. Ausführliche Aussagen hat sowohl nach dem Taguba-Bericht als auch nach einschlägigen Presseberichten der Unteroffizier S.P. gemacht, der dem 302. Militärnachrichtendienstbataillon angehört. Der Zeuge S.P. hat
gegenüber deutschen und britischen und amerikanischen Medien ausführlich zu den Vorfällen Stellung genommen.
Das Ermittlungsteam für den Taguba-Bericht hat persönlich folgende Zeugenaussagen von Personen aufgenommen, die zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehören: den Beschuldigten
Oberst T.P., dem Befehlshaber der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, Oberstleutnant R.W., Befehlshaber des 165. Militärnachrichtendienstbataillons, SW2 E.R., 205. Militärnachrichtendienstbrigade, den zivilen Befrager S.S., beschäftigt bei der Firma CACI, bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigade beschäftigt sowie J.I., ziviler Übersetzer, beschäftigt bei der Firma Titan, zugehörig
der 205. Militärnachrichtendienstbrigade.
im Taguba-Bericht werden ausdrücklich sowohl der Beschuldigte T.P. als auch die soeben benannten S.S. und J.I. als entweder direkt oder indirekt Verantwortliche für die Misshandlungen in Abu
Ghraib bezeichnet. Auch der bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigade beschäftigte F. war in das
Geschehen involviert. Er war im September 2003 Rechtsberater des Kommandos und arbeitete
gemeinsam mit anderen Juristen bei den Vereinigten Streitkräften eine Serie von Vernehmungsregeln aus, die später bei Vernehmungen von inhaftierten im Irak angewandt wurden.
Der Fay/Jones-Bericht benennt insgesamt vier Angehörige des 302. Militärnachrichtendienstbataillons als Zeugen der Vorfälle. Allerdings werden die Namen nicht benannt, sie werden als Soldaten
6, 9, 12 und 22 bezeichnet. Über ihre Klarnamen wäre der Befehlshaber des 302. Militärnachrichtendienstbataillons, Oberstleutnant J.N. , und der Offizier R.F. zu befragen.
Die Behörden des primär zuständigen Staates, aus dem die überwiegende Zahl der Verdächtigen
stammt, die USA, sind mithin nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder
des eigenen Staats- und Sicherheitsapparates aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht
zuständig, da die USA das Rom-Statut nicht unterzeichnet und ratifiziert hat. Gerade in solchen, für
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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diese Deliktskonstellation typischen, Situationen ist es notwendig, dass Staaten wie Deutschland,
deren Strafrecht eine weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten vorsieht, stellvertretend für die
internationale Staatengemeinschaft die Strafverfolgung übernehmen. Auf diesem Gedanken der
Komplementarität baut das gesamte Völkerstrafrecht auf."
Professor Dr. Claus Kreß führt in seiner Kurzstellungnahme zur „Nationalen Umsetzung des Völkerstrafgesetzbuches" für die Öffentliche Anhörung am 24.10.2007 im Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages aus, dass auch „der Hinweis der Generalbundesanwältin, auf die „notgedrungene Einseitigkeit der Ermittlungen" nicht recht einleuchten will. Wenn
bei Völkerstrafrechtsverdacht Ermittlungen in dem vorrangig hierzu berufenen Staat nicht durchgeführt werden und dem Generalbundesanwalt dann mangels Kooperationsbereitschaft des Staates
desen Staatsorgane in die mutmaßliche(n) Tate(n) verwickelt sind, (zunächst) nur die Einvernahme
von Opferzeugen möglich ist, kann die vom Generalbundesanwalt nicht zu vertretende „notgedrungene Einseitigkeit" der Ermittlungen nicht dazu führen, auf solche ganz zu verzichten".
Nach Ansicht von renommierten Strafrechtswissenschaftlern, darunter Kai Ambos, passt § 1 VStGB
die deutsche Strafverfolgung von Völkerstraftaten in ein Völkerstrafjustizsystem ein, „welches sich
- zur Vermeidung von Straflosigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen - auf die primär zuständigen Tatort-/Täter-/Opferstaaten, sekundär auf den IStGH und gegebenenfalls sonstige internationale Strafgerichte und tertiär auf die nach dem Weltrechtsprinzip vorgehenden Drittstaaten
stützt." (Ambos in NStZ 2006, 434-438 (435) mwN)
Die Behörden des primär zuständigen Staates, aus dem die überwiegende Zahl der Verdächtigen
stammt, den USA, sind mithin nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder
des eigenen Staats- und Sicherheitsapparates aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht
zuständig, da die USA das Rom-Statut nicht unterzeichnet und ratifiziert hat. Gerade in solchen, für
diese Deliktskonstellation typischen, Situationen ist es notwendig, dass Staaten wie Deutschland
die Strafverfolgung gewährleisten. Nur so können Strafbarkeitslücken geschlossen, den Tätern
sichere Häfen verwehrt werden. Auf diesem Gedanken der Komplementarität baut das gesamte
Völkerstrafrecht auf.
Nach diesen Ausführungen kann keine Rede davon sein, dass keine Erfolg versprechenden Ermittlungen durch die Generalbundesanwältin möglich sind. Vielmehr wurden schon durch die Anzeigenerstatter eine Vielzahl von Ermittlungsansätzen aufgezeigt. Die Dynamik solcher Ermittlungen ist
im Übrigen nicht zu unterschätzen. Denn in den USA befinden sich eine Vielzahl weiterer Auskunftspersonen, die sich zwar nicht gegenüber den Anzeigenerstattern, also Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen äußern wollten, gegenüber staatlichen Justizbehörden solche Vorbehalten
aber nicht gehabt hätten.
Es handelt sich somit nicht um eine rein symbolische Strafverfolgung. Die durch die Ermittlungsansätze zu gewinnenden Erkenntnisse können zur Verfolgung von schwersten Verbrechen beitragen.
Das Ziel der Vermeidung von Straflosigkeit kann bei reinen Auslandstaten zu einer Ermessensreduktion zu Gunsten der Aufnahme der Verfolgung führen, um damit etwa ein späteres Rechtshilfeersuchen oder Ermittlungen in einem anderen Staat vorzubereiten bzw. zu unterstützen (Ambos,
NStZ 2006, S. 435 f.; Lüder/Vormbaum, S. 61; LR-Beulke, 153 f, Rn. 42; KK-Schoreit, § 153 f, Rn.
9; SK-Weßlau, § 153 f, Rn. 11). Bei so genannten provisorischen oder Hilfsermittlungen, kann man
somit nicht von unnötigem Ermittlungsaufwand sprechen.
Für die Meinung, dass die (straf-)rechtliche Aufarbeitung etwaiger Verstöße gegen das Folterverbot
in Guantánamo Bay oder im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg daher allein Aufgabe der Justiz
der Vereinigten Staaten von Amerika bleibe, bleibt somit kein Raum.
Diverse Zivilverfahren vor amerikanischen Gerichten gegen oben genannte Personen wurden verworfen, so auch kürzlich das Zivilverfahren gegen D.R., R.S., J.K. und T.P. durch den District Court
for the District of Columbia (vgl. dazu oben 5.2,2.ff).
Vielmehr hat sich erneut gezeigt, dass die US-Armee selbst nicht an einer vollständigen Aufarbeitung interessiert ist. In dem wohl letzten Prozess wegen der Misshandlungen irakischer Häftlinge in
Abu Ghraib entschied kürzlich die Jury, dass Oberstleutnant S.J. keinerlei Verantwortung für den
Folterskandal trage.
Die Süddeutsche Zeitung kommentiert diesen Vorgang wie folgt:
„Laut den Geschworenen - allesamt Offiziere - ist der 51 Jahre alte Angeklagte lediglich des Ungehorsams schuldig, da er im Jahre 2004 den Befehl missachtet habe, mit keinen Soldaten über die
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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damals laufenden Ermittlungen zu reden. S.J. wird nun degradiert, eine Haftstrafe bleibt ihm erspart. (...) Der Prozess gegen S.J. war unter Rechtsexperten umstritten. Zwar hatte er zur Zeit der
Misshandlungen im Herbst 2003 und Frühjahr 2004 das Verhörzentrum in Abu Ghraib geleitet, er
besaß jedoch keine Aufsichts- oder Befehlsgewalt über das militärische Gefängnispersonal. S.J.
hatte deshalb der Militärführung vorgeworfen, ihn „zum Sündenbock abzustempeln. "Zu Beginn des
Prozesses hatte die Staatsanwaltschaft zudem zwei schwerwiegende Anklagepunkte fallen lassen
müssen, da sich herausstellte, dass S.J. während der Verhöre nicht korrekt über seine Rechte als
Angeklagter aufgeklärt worden war. (...)
In zum Teil spektakulären Militärverfahren waren 2005-2006 elf einfache Soldaten zu mehrjährigen
Haftstrafen verurteilt worden. Der härteste Schuldspruch traf den Gefreiten C.G., der zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde. (...) C.G.s damalige Freundin L.E. (...) wurde wegen Mittäterschaft und vierfacher Misshandlungen von Gefangenen zu drei Jahren Haft verurteilt. Mehrere Ermittlungen gegen verantwortliche US-Offiziere endeten hingegen mit Freisprüchen, Geldstrafen und
Degradierungen. (...) Generalin J.K. wurde degradiert und G.M. wurde als „außerordentlich verdienstvoll" ausgezeichnet und aus dem Militärdienst ehrenvoll entlassen."
(Christian Wernicke, US-Oberstleutnant kommt mit einer Rüge davon, Süddeutsche Zeitung vom
30.08.2007}
Durch Verfahren gegen ausschließlich niedrigrangige Militärs wurden Exempel statuiert, die aber
von der Mitverantwortung in Washington ablenken sollten (vgl. Mark Pietzke, Verdrängt, freigesprochen, abgehakt, Spiegel Online vom 31.08.2007; vgl. ebenso: Josh White „The Army is
,sacrificing him on the altar of public opinion while slowly letting everyone else fade out of view,'
said Marc Day' in Conflicting Portraits of Officer Charged over Abu Ghraib, Washington Post vom
31.07.2007. Der frühere Sgt. M.D., der selbst um die 100 Gefangene in Abu Ghraib verhört hat,
wurde zu keinem Zeitpunkt von den Ermittlern der Armee gehört).
Das alles zeigt nur eins: Die US-Armee ist an einer vollständigen Aufarbeitung nicht interessiert.
Sie ist unter der jetzigen Regierung politisch nicht opportun. Nie wurde gefragt, wer eigentlich die
Atmosphäre geschaffen hat, die solche Übergriffe erst ermöglicht hat. Denn dann säßen in der Tat
ein paar willfährige Offiziere und Generäle auf der Anklagebank. Vor allem aber müsste der ehemalige Verteidigungsminister D.R. vor Gericht erscheinen. Er hat die Aufweichung aller rechtlichen
Standards im Umgang mit Gefangenen gezielt betrieben, hat Folter verharmlost. Er hat es zugelassen, dass dem US-Militär zumindest vorübergehend die Maßstäbe verloren gingen...." (Folter ohne
Folgen, Süddeutsche Zeitung vom 30.08.2007).
4.1.3 Kritik durch den UN-Sonderberichterstatter Despouy
Wie bereits in der Gegenvorstellung vorgetragen, zeigt die grundlegende Organisationsentscheidung bezüglich der Ermittlungen von Völkerstraftaten und die Tatsache, dass derzeit praktisch keine Ermittlungen nach dem Völkerstrafgesetzbuch geführt werden, dass dem Nichttätigwerden bundesdeutscher Strafverfolgungsbehörden nach dem Völkerstrafgesetzbuch auch eine politische
Grundentscheidung zugrunde liegt.
Dieses Verhalten wird auch auf internationaler Ebene kritisiert.
So äußerte auch der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten, Leandro Despouy, in seinem Jahresbericht 2007 seine Bedenken bezüglich des Umgangs mit der Strafanzeige vom 29.11.2004 gegen D.R. u.a. wegen des Verdachts von
Verstößen gegen das Folterverbot.
Der UN-Sonderberichterstatter analysiert die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, in dieser Sache kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Er weist auf die Berichte hin, wonach im Anschluss an
die Strafanzeige starker Druck von den Vereinigten Staaten von Amerika auf Deutschland ausgeübt
wurde, um das Verfahren einzustellen. Das Pentagon habe offen angedroht, dass D.R. die Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2005 nicht besuche, wenn das Verfahren nicht eingestellt
werde. Der UN-Sonderberichterstatter bemerkt, dass es schwer falle zu glauben, dass die Einstellungsentscheidung des Generalbundesanwalts genau zwei Tage vor Konferenzbeginn, am
10.02.2005, gefallen sei. Er kritisiert die Entscheidung des GBA, angesichts der Schwere der in
Rede stehenden Verbrechen, im Kontext eines derart starken politischen Druckes aus dem Herkunftsland der angezeigten Personen zu entscheiden. Er kritisierte die fehlende Unabhängigkeit des
Generalbundesanwaltes, die in der politischen Entscheidung, keine Ermittlungen aufzunehmen,
zum Ausdruck kam sowie das Verhalten des Generalbundesanwalts, durch welches er seiner Pflicht,
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die angezeigten Kriegsverbrechen unabhängig, neutral und objektiv zu ermitteln und zu verfolgen,
nicht nachkomme.
Despouy geht auch darauf ein, dass die bezeichneten vermeintlichen Straftäter in den Vereinigten
Staaten von Amerika bis dahin nicht verurteilt wurden und ein neues Gesetz verabschiedet wurde,
welches die Verfolgung und Verurteilung hochrangiger Offizieller praktisch vereitele, die solcher
Taten verdächtig werden (gemeint ist wohl der Military Commissions Act, MCA; der Unterzeichner).
Despouy verlieh auch seiner Hoffnung Ausdruck, dass die weitere Anzeige gegen D.R. mit der notwendigen Unabhängigkeit und in Einklang mit internationalen Regeln und Standards geprüft werde.
Despouy übte somit keine generelle Kritik an den Verhältnissen in der Bundesrepublik, sondern an
einem besonders gelagerten Einzelfall an der Verfahrensweise der Bundesanwaltschaft.
Deutschland schließt sich somit der generellen Praxis der Universellen Jurisdiktion an, die unter
anderem auch vom UN-Sonderberichterstatter, Manfred Nowak, in einer Rede auf der Sitzung des
UN-Menschenrechtsrates 2006 kritisiert wird:
„42. However; despite this impressive machinery, the Special Rapporteur notes that, with few exceptions, States remain extremely reluctant to make use of their rights and obligations under the
Convention to exercise universal jurisdiction. Almost 20 years after the entry into force of the Convention, very few States have actually exercised universal jurisdiction over torture offences in practice. One explanation for this phenomenon is that States have tended to interpret their obligations
under article 5 (2) in a very restrictive manner. Some States have argued, for instance, that the
exercise of universal jurisdiction is dependent upon the prior existence of a request for extradition
(e.g. the Al-Duri case in Austria). In fact, both the wording of article 5 (2) and the travaux préparatoires clearly indicate that States parties have a legal obligation to take the necessary legislative,
executive and judicial measures to establish universal jurisdiction over the offence of torture, as
defined in article 1 of the Convention. This means, in particular, that States are not permitted to
make the exercise of universal jurisdiction dependent on any legal act of another State. All attempts by States during the drafting of the Convention to establish an order of priority among the
different grounds of jurisdiction mentioned in article 5 or to make universal jurisdiction dependent
upon a request for extradition by another State were rejected by well-informed decisions arrived at
after extensive discussions. That "the obligation to prosecute the alleged perpetrator of acts of
torture does not depend on the prior existence of a request for his extradition" was also explicitly
confirmed by the landmark decision of the Committee against Torture in the Habré case in 2006. "
(http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G07/102/15/PDF/G0710215)
Auch in einem aktuellen Beitrag stellt der UN-Sonderberichterstatter Nowak erneut fest, dass die
Ergebnisse der Untersuchungen, dass das absolute und notstandsfeste Folterverbot im Kampf gegen den Terrorismus seit dem 11.09.2001 verletzt und ausgehöhlt wurde, vor allem in den USA
folgenlos bleibe (Nowak, ZfMR, 1/2007, S. 66 f.). Es sei jedoch weithin zu hoffen, dass „[...] auch
die Verantwortlichen für die Anwendung von Folter und die Aushöhlung des universellen Folterverbots gegen den Terror nicht straffrei bleiben".
4.2 Hinreichender Tatverdacht
Das Oberlandesgericht Karlsruhe legt in der oben zitierten Entscheidung vom 10. Januar 2005 Wert
darauf, dass auch in der oben erörterten Konstellation, der Nichtdurchführung von Ermittlungen
durch die Staatsanwaltschaft, die formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf gerichtliche Entscheidungen vorliegen. Diese eröffneten erst den Rechtsweg zum Oberlandesgericht
(vgl. a.a.O., S. 13). Erforderlich ist demnach, dass in dem Antrag die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen und die Beweismittel angegeben sind. Das Gericht
solle in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft
und Anlagen, eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten in formeller und materieller Hinsicht vorzunehmen.
Dies mag bei den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie Antragsbefugnis, Einhaltung der
Fristen sowie Schilderung des Gangs der Ermittlungen ohne weiteres einzuhalten sein. Problematischer erweisen sich diese Anforderungen in dem vorliegenden Fall bezüglich der materiellen Voraussetzungen der Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigten. Denn die Strafanzeige
vom 14.11.2006 intendierte die Begründung eines Anfangsverdachts gegen die Beschuldigten sowie die Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich dieser Anfangsverdacht herleitet. Ein wesentlicher
Teil des Sachverhaltes ist bisher noch nicht aufgeklärt. Nichtsdestotrotz soll anhand des bisherigen
Vortrages nachfolgend eine vorläufige zusammenfassende Würdigung sowie die Begründung des
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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hinreichenden Tatverdachtes erfolgen. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich dabei im Wesentlichen auf die Darlegungen in der (oben zitierten) Strafanzeige vom 14.11.2006 sowie einzelne
Erkenntnisse aus den ergänzend beigebrachten Schriftsätzen und Materialien. Dabei sollen Wiederholungen tunlichst vermieden werden, so dass bezüglich der Begründung sowie des Umfanges der
deutschen Strafgewalt voll umfänglich auf die Darlegungen in der Strafanzeige zu § 1 VStGB, § 6
Nr. 9 StGB und bezüglich der Körperverletzungsdelikte auf die vom Bundesgerichtshof in den Fällen
des Völkermordes in Bosnien entwickelten Rechtsprechung zur Annexstraftaten (vgl. BGH NStZ
1999, 396 ff) verwiesen werden soll. Gleiches gilt für eventuelle Strafverfolgungshindernisse (Immunität). Ergänzend ist jedoch hinzuzufügen, dass die in der Anzeige erwähnte „soziale Tatherrschaftslehre" bereits Eingang in die (europäische) „Gesetzgebung" gefunden hat. „(Dies) zeigt sich
an Art. 13 des Corpus Juris zum Schutz der Finanzinteressen der EG, der die strafrechtliche Verantwortlichkeit ,des Unternehmensleiters oder einer anderen mit Entscheidungs- oder Kontrollmacht im Unternehmen ausgestatten Personen' für Straftaten Untergebener auf den Gesichtspunkt
der Autorität stützt (vgl. Schlösser, Organisationsherrschaft durch Tun und Unterlassen, in: GA,
S.172). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Beschuldigten D.A., W.H. und A.G. wird somit
auch von europäischer Seite untermauert.
Im folgenden Abschnitt sollen nunmehr die zur Begründung des hinreichenden Tatverdachts der
einzelnen Beschuldigten erforderlichen Tatsachen vorgetragen werden.
Die Beschuldigten sind insoweit verdächtig, als Täter bzw. Alleintäter und mittelbare Täter kraft
Organisationsherrschaft oder Teilnehmer die im weiteren dargestellten Kriegsverbrechen gemäß §
8 VStGB durch aktives Tun oder durch Unterlassen nach den insoweit ohne weiteres anwendbaren
Vorschriften des Allgemeinen Teiles des StGB, also gemäß §§ 13, 25 Abs. 1 und 2, 26 und 27 StGB
begangen zu haben. Ein Teil der Beschuldigten ist weiterhin nach den Straftatbeständen der Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafgesetzbuch, §§ 4, 13 und 14 VStGB verdächtig, in Bezug
auf die einzelnen Beschuldigten soll deren Rolle bei der Begehung von Kriegsverbrechen anhand
der bereits vorgestellten Materialien in der gebotenen Kürze dargestellt werden. Dies sind im wesentlichen die offiziellen Untersuchungsberichte von Generalmajor Taguba vom März 2004, der
Mikolashek-Bericht vom Juli 2004, der Bericht der Untersuchungskommission unter Vorsitz des
ehemaligen US-Verteidigungsministers James R. Schlesinger vom August 2004, der Fay/JonesBericht vom 9. August 2004, der Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes vom
Februar 2004, die Berichte der Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Human
Rights First sowie die wesentlichen Presseveröffentlichungen zu dem Thema, allen voran die Publikationen von Seymour M. Hersh und Dana Priest. Die Unterlagen wurden der Strafanzeige vom
30.11.2004 als Anlage beigefügt, es kann daher insoweit auf sie verwiesen werden.
Die Würdigung der Rolle der Beschuldigten ist insoweit eine vorläufige, als dass sie nur auf die
bisher veröffentlichten Materialien zurückgreifen kann und wesentliche Informationen bisher der
Öffentlichkeit vorenthalten wurden. Völkerrechtsverbrechen (siehe dazu auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 505) werden typischerweise nicht durch eine Einzelhandlung einer einzelnen Person,
sondern durch eine Vielzahl von Einzelakten einer Vielzahl von Personen begangen. Die Verbrechenstatbestände des VStGB beschreiben ganze Tatkomplexe, die sich aus vielen einzelnen Tathandlungen zusammensetzen und meist über einen längeren Zeitraum hinweg begangen werden.
Diese Komplexität kann sich nicht nur in der Verwirklichung einer Vielzahl von Tatbeständen des
Besonderen Teils, sondern auch in der Verwirklichung unterschiedlicher Formen der Beteiligung
niederschlagen. Die folgende Darstellung des hinreichenden Tatverdachts der Beschuldigten kann
daher zum jetzigen Zeitpunkt keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Es soll daher zunächst
auch zu der Frage der Konkurrenzen keine Stellung genommen werden, sondern ausschließlich der
Begründung des hinreichenden Tatverdachts Raum gegeben werden.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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4.3 Zusammenfassende rechtliche Würdigung der Tathandlungen der Beschuldigten
4.3.1. Der Beschuldigte D.R. ist wegen Kriegsverbrechen gegen Personen gemäß §§ 8 Abs. 1 Nr. 3
VStGB, 25 Absatz 2 StGB hinreichend tatverdächtig.
Der Beschuldigte D.R. hat die Tat im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen,
weil es sich sowohl bei dem „Irak-Krieg" als auch bei dem Afghanistan-Krieg" um internationale
bewaffnete Konflikte handelt. Im „Irak-Krieg" setzte die „Allianz der Willigen", d.h. mehrere Staaten gemeinsam, unmittelbar Waffengewalt gegen das irakische Territorium, also den völkerrechtlich geschützten Bereich des Iraks, ein. Beim „Afghanistan-Krieg" setzen, basierend auf der Resolution 1368 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, mehrere Staaten gemeinsam unter Führung
der USA unmittelbar Waffengewalt („Operation Enduring Freedom") gegen das afghanische Territorium, also den völkerrechtlichgeschützten Bereich Afghanistans ein.
Über die Kriegsgefangeneneigenschaft der Misshandelten hinaus unterfallen die Misshandlungen
auch deshalb dem zeitlichen und örtlichen Anwendungsbereich des Kriegsvölkerstrafrechts, weil sie
sich im funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt ereigneten. Dieser Zusammenhang ist gegeben, da die Täter den bewaffneten Kräften der USA als einer der Konfliktparteien angehören.
Unerheblich ist, dass die Invasion in den Irak bereits beendet war. Denn sowohl die Invasion als
auch die Besatzung schufen erst die Möglichkeiten für die Täter, die Gefangenen zu misshandeln.
Zudem wurden die Misshandlungen größtenteils begangen, um die Gefangenen aussagebereit zu
machen, also aus „professionellen" Motiven. In der Gesetzesbegründung des VStGB wird als Beispiel für einen Fall, in dem Kriegsverbrechen selbst nach dem Ende der Kriegshandlungen begangen werden können, die Behandlung von Kriegsgefangenen in Obhut der Gewahrsamsmacht angeführt. Denn gerade in diesem Fall gelten die substantiellen Verhaltensvorschriften des humanitären
Völkerrechts fort.
Der Beschuldigte D.R. bewilligte im Hinblick auf den Anzeigenerstatter M.Q., am 2. Dezember 2002
unbefristet 16 „strengere" Verhörmethoden („First Special Interrogation Plan"). Diese umfassten
erzwungene Nacktheit, Stresspositionen und die Abnahme religiöser Gegenstände.
Da die US-Behörden detaillierte Aufzeichnungen des „Verhöralltags" bzw. des Tagesablaufs des
Gefangenen verfassten konnten bei M.Q. unterschiedliche Arten der Misshandlung festgestellt werden: Körperliche und psychische Misshandlung, demütigende und entwürdigende Behandlung sowie
der vorschriftswidrige Einsatz von Isolationsmaßnahmen und Schlafentzug (vgl. insoweit detaillierte
Ausführungen und Beweisantritte im Kapitel 4.3.1 der Strafanzeige, S. 193-200). Die vom Beschuldigten D.R. angeordnete erzwungene Nacktheit M.Q.s wurde beispielsweise umgesetzt, als er
am 20. Dezember 2002 für die Dauer von etwa 5 Minuten, auch in Anwesenheit weiblicher Beamter, komplett entkleidet einer Leibesvisitation unterzogen wurde. Auch wurde M.Q.s religiöse Weltanschauung absichtlich - wie vom Beschuldigten D.R. angeordnet - missachtet und damit sein
Recht auf Regionsausübung verletzt, als er beginnend mit dem 17. Dezember 2002, trotz seines
Protestes, dies verstoße gegen seine Religion, Magazine spärlich bekleideter Damen (Fitness- und
Bikini-Modells) präsentiert bekam. Seine Bitte, beten zu dürfen, wurde grundlos verweigert oder
davon abhängig gemacht, inwieweit er zur Kooperation bereit war. Es wurden ihm zeitweise sogar
die Hände gefesselt, so dass es ihm nicht möglich war, religiöse Rituale durchzuführen. Am 20.
Dezember 2002 sollte der Gefangene, nachdem er Auskunft über den Erhalt eines Visums erteilt
hatte, gegen 5.00 Uhr die Möglichkeit zu beten bekommen. Dazu wurde er in eine andere Verhörzelle geführt, in der ein Osama Bin Laden-Schrein errichtet worden war und dazu angehalten nun
zu „seinem" Gott - Osama Bin Laden - zu beten.
Diese Praktiken waren darauf gerichtet, „den Gefangenen zu erniedrigen und zu demütigen, und so
letztlich seinen Willen zu brechen und ihn zur Kooperation zu bewegen. Solche Handlungen sind
durch die Genfer Konventionen, die Armeevorschriften und das Einheitliche Militärgesetzbuch (Uniform Code of Military Justice) verboten. Sie stellen eine Form der verbotenen psychischen Folter
(vgl. dazu im Einzelnen Ausführungen in der Strafanzeige, S. 219 ff) dar und unterfallen damit § 8
Absatz 1 Nr. 3 VStGB.
In einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber dem Generalinspektorat der Armee führte R.S., Generalleutnant der US-Luftstreitkräfte aus, dass der Beschuldigten D.R. in die Vernehmungen „persönlich involviert" war und sagte aus, dass der Verteidigungsminister über Inhalt und Art und Weise der Vernehmungen „wöchentlich Gespräche" mit dem Beschuldigten G.M. geführt habe. Der
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Beschuldigte D.R. wusste damit von der Folterung M.Q.s und hat sich bereits durch die ausdrückliche Anordnung der genannten Methoden an diesen beteiligt.
Ferner hat sich der Beschuldigte D.R. der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 9 VStGB, 25 Absatz 1 2. Alternative StGB hinreichend tatverdächtig gemacht, indem er verbotene Vernehmungsmethoden für
das Gefangenenlager Guantánamo-Bay auf Kuba anordnete, die dort umgesetzt wurden.
Der Beschuldigte D.R. hat das Tatbestandsmerkmal der grausamen oder unmenschlichen Behandlung gemäß § 8 Absatz 1 Nr. 3 VStGB verwirklicht, indem er bei mehreren Gelegenheiten verbotene Verhörmethoden für das Gefangenenlager Guantánamo anordnete, weiche durch seine Untergebenen umgesetzt wurden.
Am 2. Dezember 2002 autorisierte der Beschuldigte D.R. auf Anfrage von US-Beamten in Guantánamo in einem Memorandum neben anderen Techniken die Anwendung von so genannten
Stresspositionen wie dem „Longtime Standing" für vier Stunden. Seiner Billigung dieser Methode
auch für einen Zeitraum von über 4 Stunden hinaus verlieh er mit dem handschriftlichen Nachsatz
Ausdruck: „Ich stehe zwischen acht und zehn Stunden pro Tag. Warum ist das Stehen mit vier
Stunden begrenzt?"
Die Anwendung des „Longtime Standing" steht, wie in der Strafanzeige vom 14.11.2006 dargelegt,
in klarem Widerspruch zu den Ausführungen des Feldhandbuchs (FM) 34-52 der US-Armee, die
Folter und Nötigung von Gefangenen verbieten. Im Jahre 2004 hat der UN-Sonderberichterstatter
zu Folter in seinem Bericht an die Generalversammlung der Vereinten Nationen festgestellt, dass
Vernehmungsmethoden wie Stress- und Schmerzpositionen Anwendung finden, um wichtige Informationen von Terrorverdächtigen zu gewinnen. Gemäß der Rechtsprechung internationaler und
nationaler Menschenrechtseinrichtungen verstoße dies gegen das Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung. Die USA haben langanhaltendes Stehen im Falle der Türkei selbst als Folter
qualifiziert und verurteilt.
Da der Begriff der Folter nach § 8 VStGB nicht definiert ist, ist auf die Definitionen im internationalen Recht zurückzugreifen, wobei Ausgangspunkt Art. 1 der UN-Folterkonvention sein muss.
Sowohl der UN Commitee Against Torture (CAT) (UN-Anti-Folterausschuss) als auch der UNSonderberichterstatter für Folterfragen haben festgestellt, dass der Einsatz von Stresspositionen
nach der UN-Folterkonvention als Folter und unmenschliche Behandlung zu qualifizieren ist. Letzterer führte des Weiteren aus, dass „die Rechtsprechung von internationalen und regionalen Einrichtungen eindeutig feststellt, dass Methoden wie das „Erzwingen schmerzhafter Stresspositionen"
„gegen das Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung verstoßen"(vgl. die Fn. 297-300
der Strafanzeige).
Selbst als der Beschuldigte D.R. am 16.04.2003 eine überarbeitete Liste von widerstandsbrechenden Techniken für die Vernehmungsbeamte fertigte, gestatteten diese Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums (nach Zustimmung durch höhere Pentagonmitarbeiter) die normalen Schlafgewohnheiten der Inhaftierten umzukehren, z.B. Verschiebung der Schlafzyklen von der Nacht auf
den Tag, und sie Hitze, Kälte und „sensorischen Angriffen" (einschließlich lauter Musik und grellem
Licht) auszusetzen. Weiterhin wurde die „Beeinflussung durch Ernährung", sprich: der Entzug der
regelmäßigen Mahlzeiten gestattet. Der Gebrauch dieser Techniken musste als „militärisch notwendig" gerechtfertigt und mit „angemessener medizinischer Überwachung" begleitet werden.
Auch bei diesen später angeordneten Maßnahmen handelt es sich um Folter.
Neben diesen Verstößen gegen das Folterverbot, hat der Beschuldigte D.R. auch die Tatbestandsalternative der entwürdigenden bzw. erniedrigenden Behandlung gemäß § 8 Absatz 1 Nr. 9 VStGB
verwirklicht.
Mit seinem Memorandum vom 02.12.2002 hatte der Beschuldigte D.R. Techniken wie das Auskleiden der Häftlinge autorisiert. Diese Praktiken waren darauf ausgerichtet, Gefangene zu erniedrigen
und zu demütigen, und so letztlich ihren Willen zu brechen und sie zur Kooperation zu bewegen.
Solche Handlungen sind durch die Genfer Konventionen, die Armeevorschriften und das Einheitliche
Militärgesetzbuch (Uniform Code of Military Justice) verboten. Sie stellen eine schwerwiegende
Verletzung der Menschenwürde aus Art. 1 GG und Art. 1 der Amerikanischen Erklärung der Menschenrechte und damit auch eine schwerwiegenden Entwürdigung und erniedrigenden Behandlung
im Sinne des § 8 Absatz 1 Nr. 9 VStGB dar.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Selbst, wenn man den erforderlichen Schweregrad für das Vorliegen von psychischer Folter gemäß
§ 8 Absatz 1 Nr. 3 VStGB (vgl. dazu Ausführungen in der Strafanzeige, S. 219 ff), vorliegend verneinte, handelt es sich also um eine entwürdigende und erniedrigende Behandlung im Sinne des §
8 Absatz 1 Nr. 9 VStGB.
Der Beschuldigte D.R. handelte als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft gemäß § 25
Absatz 1,2. Alternative StGB.
Das Institut der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft wurde bereits 1963 von Roxin entwickelt und ist in Rechtsprechung und Literatur heute als ganz h.M. zu bezeichnen (vgl. nur
die neuere Literatur: Schlösser in: GA 2007, 161; Nack in: GA 2006, 411; Rotsch in: NStZ
2005,13).
Er ordnete die besagten Verhörmethoden an, beabsichtigte also deren Ausführung, von der er auch
Kenntnis hatte. Mithin handelte der Beschuldigte D.R. vorsätzlich.
Der Beschuldigte D.R. hat sich ferner der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB, 25 Absatz 1 2. Alternative StGB
hinreichend tatverdächtig gemacht, indem er verbotene Vernehmungsmethoden für das Gefängnis
Abu Ghraib anordnete, die dort umgesetzt wurden.
Der Beschuldigte D.R. unterzeichnete das Memorandum vom Dezember 2002, welches autorisierte
Vernehmungsmethoden enthielt, darunter die Verwendung von lauter Musik und länger anhaltenden Stehpositionen, Lärm, die Veränderung von Schlafgewohnheiten, den Einsatz von Hunden etc.
und aus einer Seite bestand. Dieses Memorandum wurde im Jahre 2003 in Abu Ghraib aufgehängt,
um die dortigen Verhörtechniken den in Guantánamo praktizierten anzugleichen. Nach Aussagen
von Zeugen, wie der Brigadegenerälin J.K., enthielt das einseitige Memorandum außerdem noch
eine handschriftliche Notiz in der gleichen Tinte und der gleichen Schrift wie die Unterschrift des
Verteidigungsministers. Die Bemerkung, die am Rand stand, lautete: „Stellen Sie sicher, dass dies
umgesetzt wird."
Dass diese Praktiken in großem Maßstab zur Anwendung gebracht wurden, ist heute durch zahlreiche Lichtbilder und Zeugenaussagen bewiesen. Insoweit wird auf die entsprechenden Passagen der
Strafanzeige (S. 146 ff.) verwiesen.
Der Beschuldigte D.R. hat sich ferner aufgrund seiner Verantwortlichkeit als ziviler Befehlshaber
gem. § 4 Abs. 1 2. Alternative VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht, da er spätestens seit
Mitte Januar 2002 von der Begehung von Kriegsverbrechen Kenntnis erlangte, aber nichts dagegen
unternahm, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.
Als US-Verteidigungsminister war der Beschuldigte D.R. nach US-Präsident G.W.B. der zweithöchste zivile Befehlshaber über das US-Militär.
Der Beschuldigte D.R. hat es unterlassen, seine Untergebenen daran zu hindern, Kriegsverbrechen
zu begehen, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte.
Als zweithöchster ziviler Befehlshaber der USA konnte der Beschuldigte D.R. sowohl allgemein als
auch im konkreten Einzelfall spezifische und verbindliche Anweisungen zu Inhaftierungen, Vernehmungen und letztlich Folterungen erteilen.
Der Beschuldigte D.R. hat in kontinuierlicher Weise als Kriegsverbrechen einzustufende Verhaltensweisen in die militärische und geheimdienstliche Arbeitsweise eingeführt und diese letztlich
nicht nur als ziviler Befehlshaber nicht unterbunden, sondern durch die ausdrückliche Anordnung
von verbotenen Verhörmethoden in Guantánamo und Abu Ghraib diese angeordnet und im Einzelfall persönlich kontrolliert.
Der Beschuldigte D.R. hat sich ferner einer Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 13 Absatz 2
VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht, welche jedoch als subsidiär zurücktritt und daher nur
der Vollständigkeit halber Erwähnung findet.
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4.3.2. Der Beschuldigte G.T., von 1997 bis zu seinem Rücktritt im Juni 2004 Direktor der Central
Intelligence Agency (CIA), hat sich in seiner Funktion als Direktor der CIA gem. § 8 VStGB i.V.m. §
25 Abs. 1 Alt. 2 StGB und § 4 Abs. 1 VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht. Denn als Direktor
der CIA übte G.T. Befehlsgewalt und Kontrolle über alle Angestellten und Agenten aus, die mit seiner Kenntnis und Billigung Kriegsverbrechen begangenen haben
Da der Beschuldigte G.T. die Begehung von Kriegsverbrechen durch seine Untergebenen innerhalb
der CIA angeordnet, betrieben, veranlasst, unterstützt, angestiftet und entschuldigt hat, hat er sich
gem. §§ 8, 4 VStGB sowie subsidiär gem. §§ 13, 14 VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht.
Dadurch dass der Beschuldigte G.T. das so genannte Extra-Ordinary Rendition-Programm (vgl.
hierzu u.a. ......) umsetzte, innerhalb dessen CIA-Agenten Menschen rechtswidrig einsperrten, gewaltsam transferierten, folterten und in Einzelfällen sogar töteten, hat er sich kraft Organisationsherrschaft in mittelbarer Täterschaft gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 6 VStGB hinreichend tatverdächtig
gemacht. Die Länder, in welche die CIA Gefangene überführte, sind bekannt dafür, dass dort gefoltert wird und oft bewusstseinsverändernde Drogen angewendet werden. U.a. werden mindestens
elf Menschen in Jordanien ohne Verbindung zur Außenwelt festgehalten, dazu gehören K.S.M.,
A.Z., H. und A.Z. Andere, die ausgeliefert wurden, sind M.A., A.A., M.Z. und M.H.Z.
Unter der Leitung des Beschuldigten G.T. gebrauchte die CIA bei Häftlingen Verhörtechniken, die
Zwang beinhalteten. Der Beschuldigte G.T. bat D.R. um Zustimmung des Weißen Hauses für Folter-Verhörstechniken, u.a. des Waterboarding.
Gefangengenommene vermeintliche Al-Qaida-Kämpfer und Taliban-Kommandeure wurden auf dem
Bagram-Luftwaffenstützpunkt in der Nähe des Gefangenenlagers in gestapelten metallenen Transportcontainern eingesperrt, umgeben von Stacheldraht-Verhauen. „Nötigende Verhörtechniken"
wurden gegen diese Gefangenen angewandt. Dazu gehörte, dass die Gefangenen während des
Verhörs ausgezogen wurden, dass sie extremer Hitze, Kälte, Lärm und Licht ausgesetzt wurden,
dass ihnen ein Sack über den Kopf gestülpt, ihnen der Schlaf entzogen wurde und sie in schmerzhaften Positionen gehalten wurden. Gefangene, welche die Kooperation verweigerten, werden, so
ein Geheimdienstspezialist, der mit den Verhörmethoden der CIA vertraut ist, „manchmal dazu
gezwungen, stundenlang kniend oder stehend, mit schwarzen Kapuzen über dem Kopf oder mit
angesprühten Taucherbrillen zu verharren ..." CIA-Agenten drohten auch den Familienangehörigen
der Gefangen bei den Vernehmungen. So hielten US-Behörden zum Beispiel die sieben- und neunjährigen Söhne von K.S.M. in Haft, um K.S.M. zum Sprechen zu bringen.
Der Beschuldigte G.T. ist ferner gem. § 4 Abs. 1 VStGB hinreichend tatverdächtig. Als Direktor der
CIA hatte der Beschuldigte G.T. die letzte Autorität über alle Vorgänge in der CIA und über alle ihre
Angestellten. Der Beschuldigte G.T. hat es unterlassen, diejenigen zu überwachen, die ihm unterstanden, und ferner, die zuständigen Stellen über Verbrechen zu informieren, von denen er Kenntnis hatte. Über die persönliche Anordnung bestimmter Kriegsverbrechen hinaus wusste der Beschuldigte G.T. seit dem Sommer 2002 von den allgemein unmenschlichen Bedingungen für Häftlinge in Guantánamo. Ein CIA-Agent, der dort einen Besuch abhielt und direkt an den Beschuldigten G.T. berichtete, fand Gefangene am Boden in ihren eigenen Fäkalien liegend, ältere Gefangene
in dementem Zustand und selbst inhaftierte Kinder vor. Auch hatte der Beschuldigte G.T. von den
zahlreichen Todesfällen der Gefangenen in CIA-Gewahrsam Kenntnis.
Die ebenfalls verwirklichten §§ 13 Abs.1, 14 Abs.1 VStGB treten gegenüber § 4 Abs.1 VStGB subsidiär zurück.
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4.3.3. Der Beschuldigte S.C., vom 7. März 2003 bis Ende 2003 Unterstaatssekretär für den Nachrichtendienst im US-Verteidigungsministerium, hat sich gem. § 8 VStGB i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2
StGB und § 4 VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht. Denn der Beschuldigte S.C. war als Koordinator der geheimdienstlichen Aktivitäten im Verteidigungsministerium für die Organisation und
Überwachung von Nachrichtenbeschaffungen im Irak verantwortlich.
Da der Beschuldigte S.C. für die nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Verteidigungsministeriums
zuständig ist, ist er direkt verantwortlich für die Anstiftung zu sowie die Unterstützung von Verstößen gegen § 8 VStGB und unter dem Aspekt der Vorgesetztenverantwortlichkeit gemäß § 4 VStGB.
Außerdem hat es der Beschuldigte S.C. versäumt, Misshandlungen durch Untergebene bei Vernehmungen gem. §§ 13, 14 VStGB zu verhindern bzw. anzuzeigen.
Autorisiert von dem Beschuldigten D.R. beauftragte der Beschuldigte S.C. den Beschuldigten G.M.,
die von diesem in Guantánamo erprobten illegalen Verhörmethoden auch im Irak einzuführen.
Als die Misshandlungen von irakischen Gefangene in Abu Ghraib aufgedeckt wurden, stand der
Beschuldigte S.C. im Zentrum der bürokratischen Kommandokette, die die Verhöre überwachte.
Die Verhöre „waren Teil eines streng vertraulichen Special Access Program (SAP) mit dem Kodenamen Copper Green, autorisiert von ehemaligen Verteidigungsminister und Beschuldigten D.R.
und letztlich von dem Verteidigungsuntersekretär für Nachrichtendienste, dem Beschuldigten S.C.,
überwacht." In einer Position konnte der Beschuldigte S.C. direkt über diejenigen militärischen
Befehlshaber Kontrolle ausüben, die für Einheiten zuständig waren, welche Kriegsverbrechen
begingen. Er hatte zudem aufgrund seiner Position den Zugang und die Kontrolle über sämtliche
Informationen bezüglich aller Inhaftierungen, des Verbleibes und der Behandlung der Gefangenen
in Militärgewahrsam weltweit.
Die von dem Beschuldigten D.R. gebilligte und von dem Beschuldigten S.C. ausgeführte Reaktion
auf die sich ausbreitenden Aufstände im Irak war, „hart gegen die Irakis im Militärgefängnissystem
vorzugehen, die verdächtigt wurden, zu den Aufständischen zu gehören."
Aufgrund seiner Position hatte der Beschuldigte S.C. spezifische Kenntnis davon, dass die Straftaten begangen wurden. Er hat zudem bestimmte strafbare Verhaltensweisen selbst autorisiert. Außerdem wusste er, dass wahrscheinlich mehr Verbrechen stattfinden würden, als er autorisiert hatte. Denn dies war vorhersehbar.
Der Beschuldigte S.C. hat sich auch gem. § 4 VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht. Er hat es
versäumt, verhindernde Maßnahmen zu ergreifen. Wie alle anderen im Verteidigungsministerium
hatte er Zugang zu den Berichten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und den zahlreichen Beschwerden der Medien über Haftbedingungen. Trotzdem vernachlässigte er seine Pflicht,
weitere Untersuchungen anzustellen und versäumte es, Maßnahmen zu ergreifen, bevorstehende
Kriegsverbrechen aufzuhalten.
4.3.4, Der Beschuldigte R.S. hat sich als Kommandeur der Combined Joint Task Force Seven
(CJTF-7) der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 4, 8 VStGB i.V.m. 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB sowie subsidiär gem. den §§ 13, 14 VStGB
hinreichend tatverdächtig gemacht, u.a. da er im Herbst 2003 die Anwendung grausamer und unmenschlicher Verhörtechniken gegenüber Kriegsgefangenen im Irak autorisierte.
Unter dem Kommando des Beschuldigten R.S. beging das US-Militärpersonal zahlreiche Kriegsverbrechen. Der Beschuldigte R.S. hat die illegalen Verhörmethoden direkt autorisiert, in dem er am
14. September 2003 ein Memorandum mit dem Titel „CJTF-7 Interrogation and Counter-Resistance
Policy" unterschrieb, das ein Dutzend Vernehmungstechniken zuließ, die über diejenigen im (Army)
Field Manual (FM) 34-52 hinausgingen - und zudem fünf mehr als in Guantánamo bewilligte." R.S.'
Erlaubnis bestimmter Vorgehensweisen bei Vernehmungen überschritt die Standarddoktrin der
Armee und verstieß gegen die Genfer Konventionen, die unmenschliche Behandlung verbieten.
Diese Methoden schlossen den Gebrauch von Militärhunden, extremer Temperaturen, Schreien,
laute Musik, Lichtkontrolle, Schlafanpassung, Sinnesberaubung, Stresspositionen, ausgedehnte
Isolation und Manipulation der Nahrung ein. Der Beschuldigte R.S. erklärte, dass er der Meinung
war, die Anwendung von Geschrei, lauter Musik und Lichtkontrolltechniken würden „Furcht auslösen, die Gefangenen verwirren und einen lang anhaltenden Schockzustand hervorrufen".
Als Generalleutnant leitete der Beschuldigte R.S. vom 14. Juni 2003 bis mindestens zum 28. Juni
2004 das Kommando der so genannten Combined Joint Task Force Seven (CJTF- 7), die alle US-
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Streitkräfte im Irak umfasst, einschließlich jener in Haftanstalten. Die Streitkräfte, die er befehligte, waren in diesem Zeitraum verantwortlich für die Begehung von zahlreichen Kriegsverbrechen,
die auch eine Verantwortlichkeit nach dem VStGB nach sich zieht.
Der Beschuldigte R.S. wusste von den Misshandlungen, die in Haftanstalten unter seinem Kommando auftraten und zwar spätestens im Spätsommer 2003 durch den Ryder-Bericht und die Berichte des IKRK. Jedoch beendete er die Misshandlungen nicht und trug auch nicht dazu bei, die in
den Berichten enthaltenen Empfehlungen umzusetzen, was durch regierungsamtliche Untersuchungen dokumentiert ist. Lange bevor der Beschuldigte R.S. eingriff, waren ihm als Kommandeur der
CJTF-7 mehrere Misshandlungsfälle zur Kenntnis gekommen oder hätten jedenfalls kommen müssen. Im Jahre 2003 stattete der Beschuldigte R.S. in Abu Ghraib mehrere Besuche ab und hatte
dabei Gelegenheit, dort etwas über die Bedingungen aus erster Hand zu erfahren.
Der Beschuldigte R.S. ist außerdem der Kriegsverbrechen gegen Personen in Mittäterschaft gem.
§§ 8 VStGB, 25 Abs. 2 StGB verdächtig, da er als Oberkommandierender bei einer nicht genau
bezifferbaren Anzahl von Verhören in Abu Ghraib, in deren Rahmen es auch zu Misshandlungen der
Gefangenen kam, anwesend war.
Darüber hinaus ist der Beschuldigte R.S. gem. § 4 Abs. 1 VStGB zumindest aufgrund seiner Verantwortlichkeit als militärischer Befehlshaber hinreichend tatverdächtig, da er durch seine ständigen Besuche in Abu Ghraib Kenntnis von den dort begangenen Kriegsverbrechen erlangte, aber
nicht seine ihm als Kommandeur zustehenden Befugnisse einsetzte, um deren Begehung für die
Zukunft zu unterbinden.
4.3.5. Der Beschuldigte G.M., von November 2002 bis April 2004 Kommandeur der Joint Task
Force-Guantánamo (JTF-Guantánamo) und anschließend bis zum 31.07.2006 stellvertretender
kommandierender General, hat sich der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. § 8 VStGB i.V.m. 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB hinreichend tatverdächtig gemacht Er war zuständig für sämtliche inhaftierten Personen im Irak.
Sowohl in Guantánamo als auch im Irak hat der Beschuldigte G.M. Kriegsverbrechen an Gefangenen durch seine Untergebenen begangen.
Spätestens seit dem Oktober 2003 war der Beschuldigte G.M. über die Kriegsverbrechen gegen
Personen im Irak gem. § 8 VStGB, die von seinen Untergebenen begangen wurden, zumindest
unterrichtet. Da er nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriff, die ihm aufgrund seiner Stellung
zustanden, um die weitere Begehung von derartigen Straftaten zu unterbinden, hat er sich auch
gem. § 4 Abs. 1 VStGB als Vorgesetzter verantwortlich gemacht.
Generalmajor G.M.s Mission in Guantánamo war es, „die nachrichtendienstlichen Funktionen in die
Haft zu integrieren, um verwertbare Informationen für die Nation zu produzieren [...] operationale
und strategische Informationen, die den USA helfen würden, den globalen Krieg gegen den Terror
zu gewinnen." Der Beschuldigte G.M. vereinigte das Kommando über die Einheiten des militärischen Nachrichtendienstes und die Militärpolizei-Einheiten und hielt sie zur Zusammenarbeit an,
um die Gefangenen für Vernehmungen „weich zu machen", damit diese spezifische Informationen
lieferten. Als Kommandeur von Guantánamo hatte der Beschuldigte G.M. tatsächliche Autorität
über das gesamte untergebene Militärpersonal in Guantánamo von November 2002 bis April 2004.
Seine Kommandoführung in Guantánamo zeigt, dass der Beschuldigte G.M. zumindest Kenntnis
davon hatte, dass Kriegsverbrechen fortdauernd begangen wurden. Er ließ spezifische völkerrechtswidrige Techniken für den Einsatz in Verhören und für die Behandlung von Gefangenen zu.
Im Oktober 2003 machte das Internationale Komitee des Roten Kreuz den Beschuldigten G.M. sowohl auf den Mangel an einem Rechtssystem für Häftlinge, den fortwährenden Gebrauch von
Stahlkäfigen, den „exzessiven Gebrauch" von Isolation aufmerksam als auch auf die nicht vorgenommen Repatriierung von Häftlingen sowie den Einsatz vieler Techniken in Kombination miteinander oder direkt hintereinander einen „nachteiligen Effekt" auf die Gesundheit der Gefangenen habe.
Soldaten berichteten, dass sie unter Generalmajor G.M.s Kommando in Guantánamo „harte Taktiken" anwandten, um Inhaftierte in Angst zu versetzen und deren Verstand zu kontrollieren (mindcontrol). Unter dem Kommando des Beschuldigten G.M. wurden in Guantánamo Folterpraktiken
angeordnet und exzessiv angewandt. Hierzu wird auf die detailreiche Aussage der Zeugin J.K. vom
26.10.2005 (vgl. S. 252 ff. der Anzeige) verwiesen.
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Der Beschuldigte G.M. organisierte die Einführung der von ihm erstellten und unter seiner Leitung
in Guantánamo erprobten taktischen Richtlinien und schuf die organisatorischen und räumlichen
Voraussetzungen für Verhöre in Abu Ghraib.
Der Beschuldigte G.M. wurde weder für seine Fehler im Irak zur Verantwortung gezogen, noch
wurde er zu irgendeinem Zeitpunkt strafrechtlich belangt.
4.3.6. Der Beschuldigte W.W. war als stellvertretender kommandierender General (DCG) des
Army Corps V (United States Army Europe) und der alle US-Streitkräfte im Irak umfassenden
Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7) verantwortlich für den Haftbetrieb im Irak. Er hat unmittelbar die Anwendung von grausamen und unmenschlichen Verhörpraktiken autorisiert und sich
damit der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. § 8 VStGB i.V.m. 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB hinreichend tatverdächtig gemacht.
Der Beschuldigte W.W. wusste von den Misshandlungen, die in verschiedenen Einrichtungen unter
seinem Kommando stattfanden. Er hatte davon mindestens seit November 2003 Kenntnis, da er
ebenfalls auf den Bericht des IKRK aufmerksam wurde.
Die CJTF-7-Verantwortiichkeit von Generalmajor W.W. konzentriert sich hauptsächlich auf die Unterstützung der Einrichtungen; zudem hatte er direkt Verantwortung und Aufsicht über die einzelnen Brigaden oder die „taktische Kontrolle" [Tactical Control, abgekürzt TACON], die der CJTF-7
zugeordnet sind. Insbesondere hat der Beschuldigte R.S., der das Kommando über CJTF-7 übernahm, „die Verantwortung für den Haftbetrieb an seinen Stellvertreter Generalmajor W.W. delegiert."
Der Beschuldigte W.W. und die Streitkräfte, über die er das Kommando hatte, waren verantwortlich für die Begehung von zahlreichen Kriegsverbrechen, die nach dem VStGB zu ahnden sind.
W.W. ließ insbesondere rechtswidrige Verhörtechniken zu und trug dafür als militärischer Befehlshaber die Verantwortung. Hierzu wird auf die Aussagen der Zeugin J.K. verwiesen (vgl. S. 291 der
Anzeige).
Der Beschuldigte W.W. hat direkt gesetzeswidrige Verhörtechniken autorisiert. Generalmajor
W.W.s Genehmigung von bestimmten Verhörmethoden überschritt nicht nur die Standarddoktrin
der US-Armee, sondern verstieß auch gegen die Genfer Konventionen.
Der Beschuldigte W.W. ist außerdem gem. § 4 Abs. 1 VStGB hinreichend tatverdächtig, da er spätestens seit November 2003 Kenntnis von den in Abu Ghraib begangenen Kriegsverbrechen gegen
Personen gem. § 8 VStGB erlangte ("I don't care if we are holding 15,000 innocent civilians; we
are winning the war"; aus dem Film: The Prisoner, Cameron Scott, The Prisoner: Iraq as Tragicomedy, zitiert nach: Motherjones vom 22.03.2007), aber nicht seine ihm als stellvertretenden kommandierenden General zustehenden Befugnisse einsetzte, um deren Begehung für die Zukunft zu
unterbinden. Auch in den Berichten von Schlesinger, Fay/Jones und Taguba und der Zeugenaussage von General Kern vor dem Ausschuss für Armed Services des Repräsentantenhauses wurde
herausgearbeitet, dass der Beschuldigte W.W. es versäumt hat, für ordnungsgemäße Führung,
Überwachung und Aufsicht über den Haftbetrieb und den Stab zu sorgen. Generalmajor W.W. war
für die Täter in Abu Ghraib verantwortlich und er hatte in der militärischen Befehlskette zweifellos
eine Position inne, aus der heraus er diese Misshandlungen mindestens hätte verhindern können
und es dennoch nicht getan hat.
4.3.7. Der Beschuldigte T.P. hat sich wegen Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB als Kommandeur
der Schutz- und Sicherheitskräfte von Abu Ghraib hinreichend tatverdächtig gemacht. Seit dem 1.
Juli 2003 ist T.P. Kommandeur der im Irak stationierten 205. Military Intelligence Brigade (MI Brigade); vom 19. November 2003 bis 6. Februar 2004 war er vom Combined Joint Task Force Seven
(CJFT-7) als Kommandeur der Force Protection and Security ot Detainees of Forward Operating
Base (FOB) Abu Ghraib designiert und übernahm damit die Taktische Kontrolle (TACON) über das
Gefängnis von Abu Ghraib während dieser Zeit.
Der Beschuldigte T.P. ordnete persönlich die Anwendung bestimmter grausamer und unmenschlicher Verhörpraktiken wie den Einsatz von Hunden, um Gefangene einzuschüchtern, an.
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Ais Kommandeur der 205. MI Brigade und als Kommandeur von Abu Ghraib von November 2003
bis Februar 2004 kann die allgemeine Verantwortung von dem Beschuldigten T.P. über die Streitkräfte, die die Misshandlungen begingen, nicht in Frage gestellt werden. Der Beschuldigte T.P. hatte effektive Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungen begingen.
Der Beschuldigte T.P. kannte das Muster der Misshandlungen, die seine Untergebenen begingen.
Denn kontinuierlich erhöhte er die Zahl seiner wöchentlichen Besuche in Abu Ghraib; gelegentlich
blieb er sogar über Nacht, was dem erhöhten Nachdruck, der auf den Verhören lag, entsprach. Er
wurde Zeuge des durch Misshandlungen verursachten Todes des irakischen Häftling J. Ab dem 16.
November 2003 wohnte er zeitweise in Abu Ghraib. Der Beschuldigte T.P. kannte auch den Bericht
des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, worin die Misshandlungen in Abu Ghraib dokumentiert wurden.
Der Beschuldigte T.P. hat es unterlassen, seine Untergebenen an der Begehung von Kriegsverbrechen zu hindern, und hat sich damit auch gem. § 4 VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht.
Der Beschuldigte T.P. wurde für die Anordnung, in Verhören Hunde einzusetzen, lediglich gerügt
und musste 8000 US-Dollar zahlen (D., Officer seeks dismissal of Abu Ghraib charges, Richmond
Times Dispatch vom 31.01.2007).
4.3.8. Die Beschuldigte B.F. war Senior Intelligence Officer Mitglied des Combined Joint Task Force
Seven (CJTF-7), Als dessen Kommandeurin war sie dem Beschuldigten R.S. untergeordnet und
dem Beschuldigten T.P. zeitweilig übergeordnet. Aufgrund dieser Funktionen hat sie sich als Vorgesetzte gem. § 4 Abs. 1 VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht, da sie es unterlassen hat,
Kriegsverbrechen gegen Personen gem. § 8 VStGB, die von ihren Untergebenen begangen wurde,
zu verhindern, obwohl sie aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung die Möglichkeit dazu hatte.
Die Beschuldigte B.F. ist mitverantwortlich für die ungerechtfertigte Verzögerung der Freilassung
von Gefangenen, die ursprünglich wegen des Vorwurfs von Handlungen gegen die Koalitionstruppen festgehalten wurden. B.F. hatte den Auftrag, die Geheimdienstorganisation für die Wahrnehmung der Aufgaben von CJTF-7 im Irak aufzubauen. Sie hat Empfehlungen der „Detainee Release
Authority" hinsichtlich der Entlassung von nunmehr als unbedenklich eingestuften Gefangenen,
routinemäßig verworfen. B.F. besuchte mehrfach Abu Ghraib, was zu dem ohnehin erheblichen
Druck auf die dort eingesetzten Kräfte beitrug, „verwertbare" Geheimdienstinformationen zu erlangen.
Da die Beschuldigte B.F. für die Einrichtung der Geheimdienstorganisation in Abu Ghraib verantwortlich war, hatte sie zugleich effektive Kontrolle über das dortige Geschehen, obwohl sie nicht die
direkte Vorgesetzte im Rechtssinne von jenen Militärangehörigen war, die die schweren Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begingen. Sie unterließ es, die Militärangehörigen in
ihrem Einflussbereich von der Begehung von (weiteren) Kriegsverbrechen abzuhalten. Im Range
eines „Senior Intelligence Officer" hatte sie mit der Zuständigkeit für die Geheimdienstorganisation
jedenfalls Kenntnis von den in Abu Ghraib systematisch begangenen Straftaten.
Darüber hinaus ist die Beschuldigte B.F. subsidiär gem. § 14 VStGB hinreichend tatverdächtig, da
sie es unterlassen hat, ihre Vorgesetzten über die andauernde Begehung von Kriegsverbrechen
gegen Personen gem. § 8 VStGB, die in Abu Ghraib begangen wurden, zu unterrichten, obwohl sie
durch ihre häufigen Besuche davon Kenntnis erlangte.
4.3.9. Gegen den Beschuldigten M.W. besteht hinreichender Tatverdacht während seiner Mitgliedschaft im Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7), in deren Rahmen er die Funktion des Staff
Judge Advocate ausübte, Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB begangen zu haben. Der Beschuldigte
war persönlich dafür verantwortlich, die Anwendung von grausamen und unmenschlichen Verhörtechniken im Einzelfall zu autorisieren.
M.W.s Hauptaufgabe lag darin, den Beschuldigten R.S., dem er als Rechtsberater zugeteilt war,
hinsichtlich der Befugnisse bei Verhören sowie der Übereinstimmung der bekannten Memoranden
mit den Genfer Konventionen zu beraten. R.S. vertraute auf Anraten des Beschuldigten M.W. darauf, dass er die Befugnis habe, als Kommandierender an einem Kriegsschauplatz die so genannte
Septemberdirektive zu erlassen und zu entscheiden, ob und wie die Gefangenen unter den Schutz
der Genfer Konventionen zu stellen seien. Hierdurch wurden eine Vielzahl von Verhörmethoden
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autorisiert, die weit über die Armeevorschriften hinausgingen und zudem eindeutig gegen die Genfer Konventionen verstießen.
M.W. ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VStGB verantwortlich für ungesetzliches Festhalten von Gefangenen
bzw. ungerechtfertigtes Verzögern der Rückführung von nach § 8 Abs. 6 VStGB geschützten Personen. Der Beschuldigte M.W. hat gemeinsam mit der Brigadegeneralin J.K. und Generalmajorin B.F.
(C2, CJTF-7) das „Detainee Release Board" gebildet. Dieser Ausschuss war für die Prüfung der Fälle
von Gefangenen zuständig, die beschuldigt wurden, Delikte gegen die Koalitionstruppen begangen
zu haben. Nach der Feststellung, dass die Gefangenen von keinem nachrichtendienstlichen Wert
waren und keine ernste Gefahr für die Koalitionstruppen darstellten, sollten sie entlassen werden.
Als General Officer in der Vorprüfungsinstanz zur Beurteilung der Gefangenen hatte der Beschuldigte M.W. die Befugnis, aus Sicherheitsgründen verwahrte Personen freizulassen, gegen die keine
Sicherheitsbedenken mehr bestanden und die nicht (mehr) von irgendeinem nachrichtendienstlichen Wert waren.
Der Beschuldigte M.W. hat sich außerdem zumindest gemäß § 4 Abs. 1 VStGB als Vorgesetzter
hinreichend tatverdächtig gemacht, da er spätestens im November 2003 von der Begehung von
Kriegsverbrechen gegen Personen gem. § 8 VStGB in Abu Ghraib Kenntnis erlangte, aber es unterließ, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Begehung weiterer Straftaten seiner Untergebenen zu verhindern.
Der Beschuldigte M.W. hat sich darüber hinaus zumindest der Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen
Personen gem. §§ 8 VStGB, 27 StGB hinreichend tatverdächtig gemacht, in dem er an der Erstellung einer Liste von grausamen und unmenschlichen Verhörtechniken, die zur Anwendung in Abu
Ghraib bestimmt waren, beteiligt war.
Gleichzeitig haben sich die Beschuldigten D.R., G.T., G.M., R.S., W.W., T.P., B.F. und M.W. gem.
§ 13 Abs. 1 VStGB und der Beschuldigte S.C. gem. § 13 Abs. 2 VStGB der Aufsichtspflichtverletzung hinreichend tatverdächtig gemacht, da sie es versäumt haben, eine effektive Kontrolle ihrer
Untergebenen sicherzustellen.
Die Beschuldigten G.M., S.C., R.S., W.W., T.P., B.F. und M.W. haben sich außerdem gem. § 14
VStGB hinreichend tatverdächtig gemacht, da sie es unterlassen haben, ihre Vorgesetzten über die
andauernde Begehung von Kriegsverbrechen gegen Personen gem. § 8 VStGB in Abu Ghraib zu
unterrichten, obwohl sie davon Kenntnis hatten.
4.3.10 Der Beschuldigte D.A., seit dem 31. Oktober 2005 Stabschef („Chief of Staff“) von Vizepräsident R.C., hat sich als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft der Kriegsverbrechen gegen Personen gemäß § 8 VStGB, 25 Abs. 1, 2. Alt StGB hinreichend tatverdächtig gemacht.
Als Stabchef von R.C. ist der Beschuldigte D.A. verantwortlich für das politische Tagesgeschäft des
Vize-Präsidenten und die Überwachung seiner Mitarbeiter. Bereits am 28. Dezember 2000 wurde
der Beschuldigte D.A., ausgebildeter Experte auf dem Gebiet des Völkerrechts und des USamerikanischen nationalen Sicherheitsrechts, rechtlicher Chefberater (chief counsel) des VizePräsidenten R.C.. In dieser Funktion sicherte er die Politik des Vize-Präsidenten rechtlich ab und
beriet ihn umfassend in Rechts- und ethischen Fragen.
Die Rechtsberater und Beschuldigten D.A., W.H. und A.G. gelten als die führenden Architekten der
Position des Weißen Hauses zur Folterpolitik im „Krieg gegen den Terror" und verwirklichen damit
eine neue Art von Regierungskriminalität. Als Rechtsberater stehen sie gerade nicht in der formalen
Befehlskette, sondern versorgen kraft ihres Amtes die Verantwortlichen in der Befehlskette mit
dem notwenigen fachlich-juristischen Wissen und sind sich dabei bewusst, welchen Effekt ihr Handeln und die rechtliche Unhaltbarkeit der von ihnen verbreiteten Texte hat. Die beschuldigten
Rechtsberater haben durch ihre Arbeit der politischen und militärischen Führung bewusst den Blankoscheck ausgestellt, diese Methoden systematisch einzusetzen.
Der Vorwurf gegen die Beschuldigten kollidiert nicht mit dem so genannten Rechtsberatungsprivileg. Danach sind qualifizierte Rechtsberater auch dann nicht für die Umsetzung seines Rates strafrechtlich verantwortlich, wenn dieser sich inhaltlich als fehlerhaft erweist. Denn die inkriminierten
Foltermemos legen vorsätzlich eine völlig falsche Rechtslage zugrunde und kommen so zu Ergebnissen, die zwar von den Auftraggebern gewünscht, aber der Rechtsordnung sowohl der USA als
auch des Völkerrechts fundamental widersprechen.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2007
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Die hier zur Debatte gestellten Memoranden sind eine geradezu zynische Verkehrung der völkerrechtlichen und innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Rechtslage in ihr Gegenteil, nach der Menschen, die nur auf (häufig falschen) Verdacht hin eingesperrt werden, jeglichem Anspruch auf Achtung ihrer Rechte, ihrer Würde und ihrer Gesundheit verlustig gehen sollen. Dies haben, soweit
ersichtlich, diese „furchtbaren Juristen" auch in der direkten Absicht postuliert, entgegen der ihnen
bekannten tatsächlichen Rechtslage solche Methoden einzuführen und gleichzeitig den Ausführenden „Absolution" in dem Sinne zu erteilen, dass diese sich auf die Zustimmung der obersten
Rechtsberater der Regierung berufen könnten. Wenn es so etwas wie eine missbräuchliche Berufung auf ein professionelles Beratungsprivileg gibt, ist dieser Missbrauch hier gegeben.
Ohne dieses Klima von Gewalt, Einschüchterung und Erniedrigung beinhaltenden Anweisungen aus
der politischen Führung des Pentagon wäre es zu den beschriebenen Gewaltexzessen gegenüber
den Gefangenen in Abu Ghraib und Guantánamo nicht gekommen (Alvarez CWRJIL 37 (2006),
S.175 (177 f.); vgl. zum Ganzen sehr instruktiv Basak, Denis, a.a.O., S.333 (347f.)).
Der Beschuldigte D.A. beeinflusste maßgeblich die Memoranden, die nach dem 11. September
2001 von J.Y. aus dem Rechtsbüro des Justizministeriums verfasst wurden. Schon im ersten Memorandum vom 25. September 2001 wurde festgelegt, dass der Präsident in seiner Eigenschaft als
oberster Befehlshaber nicht an den Kongress oder die Judikative gebunden sei und nicht die Regeln
des Kongresses oder dessen Interpretationen der völkerrechtlichen Vereinbarungen, die die USA
ratifiziert hatten, beachten müsse. Damit war der Grundstein für weitere Memoranden gelegt, in
denen der Präsident von dem Folterverbot des nationalen Rechts sowie des Völkerrechts freigestellt
wurde.
Auch nach der Veröffentlichung von Fotografien im Frühjahr 2004, die Misshandlungen von Häftlingen zeigten, befürwortete der Beschuldigte D.A. weiterhin die Rechtsmacht des Präsidenten, Folter
zu autorisieren und bekämpfte Anstrengungen, die Verhörmethoden mit den Genfer Konventionen
in Einklang zu bringen oder Standardanweisungen für Verhörsituationen zu schaffen.
Auch Anfang 2006, als der so genannte McCain-Gesetzesentwurf, der Grausamkeiten, unmenschliche und erniedrigende Behandlung verbieten wollte, im Kongress debattiert wurde, war es R.C.,
der darauf hinwirkte, Veränderungen zu verhindern bzw. Ausnahme zu schaffen, die garantieren
sollten, dass der Präsident nach seinem Ermessen Verhörende vor Verfolgung schützen und denjenigen Immunität verleihen konnte, die Missbräuche befohlen haben.
4.3.11. Der Beschuldigte A.G. hat als damaliger Rechtsberater des Weißen Hauses die Erstellung
des Folter-Gutachtens in Auftrag gegeben, dieses nach Fertigstellung an die entscheidenden Stellen
in der CIA weitergegeben und sich dadurch gemäß § 8 VStGB i.V.m. § 25 Abs.2 StGB als Mittäter
an Kriegsverbrechen gegen Personen hinreichend tatverdächtig gemacht. Wegen der von dem
30.06.2002, dem Datum des Inkrafttretens des VStGB, begangenen Straftaten besteht ein hinreichender Tatverdacht nach den Vorschriften des allgemeinen Teils des StGB sowie nach den Vorschriften der Körperverletzung §§ 223 ff. StGB, der Freiheitsberaubung §§ 239 ff StGB und den
Tötungsdelikten §§ 211 ff. StGB.
In seiner Eigenschaft als Chief White House Counsel war der Beschuldigte A.G. verantwortlich für
die Kommunikation zwischen dem Weißen Haus und dem Office of Legal Counsel (OLC) bei dem
Justizministerium. Er war an der Beauftragung aller größeren Memoranda, die das OLC an den Präsidenten richtete, ebenso beteiligt wie an ihrer Erstellung und Weiterverbreitung in der Administration. Er fungierte auch als Bindeglied zwischen dem Präsidenten und dem Secretary of State C.P.
und dessen rechtlichen Berater W.T. in den inneradministrativen Diskursen zu Fragen der (Nicht-)
Anwendbarkeit der Genfer Konventionen und der Reichweite der UN-Anti-Folterkonvention ebenso
wie zur (Nicht-) Anwendbarkeit des War Crimes Act. In seinem eigenen Memorandum an den Präsidenten vom 25.01.2002 und auch im direkten Gespräch unterstützte der Beschuldigte A.G. diejenigen Rechtsmeinungen, welche die uneingeschränkte Rechtsmacht des Präsidenten, die rechtlichen Vorkehrungen zum Schutz vor Folter zu beseitigen, zu begründen suchten und welche die
Rechtsauffassung vertraten, dass völkerrechtliche Verpflichtungen nicht bindend wären. Während
er einerseits die Folter-Memos zwei Jahre später öffentlich ablehnte und verlauten ließ, er beabsichtige, alle Verletzungen völkerrechtlicher und nationaler Standards im Umgang mit Gefangenen
strafrechtlich zu verfolgen, hat er andererseits bis heute keinerlei Initiativen in diese Richtung unternommen. Demgegenüber war seine Politik der Negation der Anwendbarkeit der Genfer Konventionen eine notwendige Voraussetzung für das Entstehen jenes rechtlichen Vakuums, dass die Anwendung von Folter erst möglich machte.
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4.3.12. Der Beschuldigte W.H. hat sich seit März 2001 als führender Rechtsberater des Verteidigungsministeriums und zugleich Rechtsberater des Verteidigungsministers als mittelbarer Täter
kraft Organisationsherrschaft gem. § 8 VStGB, 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB von Kriegsverbrechen gegen
Personen strafbar gemacht.
Der Beschuldigte W.H. ist einer der Chefarchitekten der von der G.W.B.-Administration eingeführten illegalen Behandlung von Gefangenen. Bereits Ende 2002 verfasste er ein Memorandum
(27.11.2002) mit Ausführungen über Strategien und Techniken zur Brechung des Willens der Gefangenen. In diesem Memorandum legte der Beschuldigte W.H. dem damaligen Verteidigungsminister D.R. auch dar, dass erzwungene Nacktheit oder die Erzeugung von Stress durch den gezielten Einsatz der Angst vor Hunden rechtmäßige Methoden seien und empfahl, dass sie für den Gebrauch in Guantánamo zugelassen würden.
Am 02.12.2002 ließ der damalige Verteidigungsminister D.R. die von W.H. empfohlenen Methoden
sämtlich für den Gebrauch in Guantánamo zu. Sie wurden Schritt für Schritt insbesondere auf den
Gefangenen M.Q. angewandt: Der Gefangene M.Q. wurde in Guantánamo nackt ausgezogen, seine
Körperbehaarung wurde zwangsweise entfernt und er wurde wie ein Hund an die Kette gelegt; er
wurde mit Popmusik in ohrenbetäubender Lautstärke beschallt, ihm wurde der Schlaf entzogen und
er wurde in einem Raum bei schmerzhafter Kälte gefangen gehalten. Nach diesem von W.H. mitzuverantwortenden „System" wurden hunderte von Gefangenen in von US-Kräften betriebenen Gefangenenlagern misshandelt und gefoltert. Denn der Bericht der Arbeitsgruppe wurde unter anderem von Genera! G.M. von Guantánamo in den Irak mitgebracht, um ab dem Jahr 2003 die Befragungsmethoden auch dort zu bestimmen.
Der Beschuldigte W.H. wusste, dass die von ihm mit vorgegebenen Misshandlungen völkerrechtswidrig waren. Denn bereits am 20.12.2002 konfrontierte der ehemalige General Counsel der US
Navy, der Soldat und Jurist A.M., W.H. erstmalig - und erfolglos - mit seiner Einschätzung, dass
das von D.R. gebilligte W.H.-Memo Folter erlaube.
Außerdem setzte sich der Beschuldigte W.H. dafür ein, dass das von dem Beschuldigten J.Y. erstellte und vom Beschuldigten J.B. autorisierte Folter-Gutachten Grundlage für die Verhöre von
Gefangenen wurde.
Der Beschuldigte W.H. wurden bisher keinen Straf- oder Disziplinarmaßnahmen unterworfen. Er ist
bis heute der General Counsel im Verteidigungsministerium.
4.3.13 Der Beschuldigte J.Y., von 2001 bis 2003 Deputy Assistant Attorney General und heute
Rechtsprofessor an der Berkeley Hall School of Law, University of California, hat sich gemäß §§ 8
VStGB, 27 StGB der Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen Personen hinreichend tatverdächtig gemacht, da er als Deputy Assistant Attorney General des Office of Legal Counsel (OLC) maßgeblich
an der Erstellung und Durchsetzung eines Gutachtens beteiligt war, in dem die Rechtmäßigkeit der
Anwendung von grausamen und unmenschlichen Behandlungen und von Folterpraktiken behauptet
wurde.
Der Beschuldigte J.B., Assistant Attorney General der Rechtsabteilung und heute Richter am 9.
Circuit U.S. Court of Appeal, hat sich ebenfalls gemäß §§ 8 VStGB, 27 StGB der Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen Personen hinreichend tatverdächtig gemacht, in dem er als Vorsitzender dieser
Behörde das von dem Beschuldigten J.Y. erstellte Gutachten durch seine Unterschrift autorisierte.
Im März 2004 veröffentlichte die US-Regierung eine Reihe von Rechtsgutachten („Memos"), auf die
sich die in Guantánamo und Abu Ghraib praktizierten Folterpraktiken stützen. Grundlage für diese
Gutachten bildete das vom Beschuldigten J.Y. verfasste so genannte „Folter-Memorandum" vom 1.
August 2002. Denn hiermit wurde die Grundlage für eine politisch und administrativ gewünschte
Schein-Legalisierung der Verhörsfolter gelegt. Kernaussage des Folter-Memorandums ist die Neudefinition des Folterbegriffs. Danach sollten die von der Exekutive gewünschten härteren Verhörsmethoden den Folterbegriff der einschlägigen Vorschrift des US-Völkerstrafrechts nicht erfüllen und
daher auch für die Angehörigen der US-Streitkräfte und US-Behörden keine strafrechtlichen Folgen
haben. Als Begründung wurde angeführt, der Folterbegriff nach US-Recht erfasse nur gezielt angewandte extreme Maßnahmen („extreme acts") mit massivster Schmerzzufügung, danach sollten
auch grausame, unmenschliche und degradierende Behandlung keine verbotene Folter sein. Ferner
könne sich jede US-amerikanische Verhörsperson auf das Recht der USA berufen, sich gegen einen
Angriffskrieg zu verteidigen. Als damaliger Assistant Attorney General und verantwortlicher Leiter
des bei der US-Regierung angesiedelten Rechtsabteilung (Office of Legal Counsel -OLC) unter-
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zeichnete der Beschuldigte J.B. das „Folter-Memorandum" und leitete es an den Auftraggeber, den
damaligen Berater des US-Präsidenten, ehemaligen US-Justizminister und ebenfalls Beschuldigten
A.G. weiter.
Bereits mit der im von dem Beschuldigten J.Y. verfassten und von dem Beschuldigten J.B. gezeichneten Memorandum vom 22. Januar 2002 erfundenen Formel der „Allen Unlawful Combaiantst1
(„ausländische ungesetzliche Kämpfer") wurde die Behauptung aufgestellt und in der Exekutive
durchgesetzt, die Genfer Konventionen, insbesondere die 3. Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen, seien auf die Behandlung der Taliban-Kämpfer und Al- Quaida-Mitglieder nicht anwendbar. Mit dieser rechtlich unhaltbaren, weltweit kritisierten und methodisch geradezu bizarr begründeten Formel von den „Alien Unlawful Combatants" war der Weg zur Verhörsfolter im Zuge des
ausgerufenen „Globalen Kriegs gegen den Terrorismus" geebnet.
Seit seinem Erscheinen im August 2002 bestimmte die Argumentation des „Folter- Memorandums"
die politische und verwaltungstechnische Umsetzung der Verhörsfolter im Weißen Haus, im Verteidigungsministerium und bei der CIA. Im Bericht vom 4. April 2003 der vom USVerteidigungsministerium eingerichteten Arbeitsgruppe zu den Verhörstechniken wurden die juristischen Vorgaben des „Folter-Memorandums" in praktische Handlungsanweisungen für Verhörsfolter
umgesetzt. Beispielhaft für die Umsetzung dieser unmenschlichen Foltermethoden sei hier nur noch
einmal der beschriebene Fall M.Q. genannt.
W.K.,
Rechtsanwalt
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