Geschichte der Ortsteile - Heimatverein Hoogstede
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Geschichte der Ortsteile - Heimatverein Hoogstede
2 Geschichte der Ortsteile 2 Gemeindewappen Hoogstede Johann Kemkers Seit dem Jahre 1991 verfügt die Gemeinde Hoogstede über ein Gemeindewappen. Es wurde von dem Heraldiker Theo Lorenz aus Norden entworfen und durch das Niedersächsische Staatsarchiv in Osnabrück befürwortet. Das nur in Gold und Rot gestaltete Wappen ist schräglinks geteilt. Im oberen Feld befindet sich ein rotes Wiederkreuz auf goldfarbenem Grund. In das untere rote Feld sind sieben goldene Kugeln entlang der Teilungslinie in Reihe gesetzt. Die Zeichen des Wappens sind so zu verstehen: Die aufwärts gerichtete Teilungslinie mit dem Wiederkreuz versinnbildlicht einerseits das für die Mittelpunktsbildung bedeutsame historische Ereignis der Versetzung der Kirche von Arkel zur „hoogen stee“ im Jahre 1821. Andererseits steht die Grundrichtung für eine zukunftsorientierte aufstrebende Gemeinde. Hoogsteder Gemeindewappen von 1991 52 Das Wiederkreuz wurde wegen der vier Kirchen im zentralen Kirchspielort HOOGSTEDE gewählt. Es drückt sowohl die Eigenständigkeit der vier Kirchen (evangelisch-reformiert, evangelisch-altreformiert, evangelischlutherisch, römisch-katholisch) als auch ihre Verbundenheit aus. Gold-Rot und die goldenen Kugeln stellen die Verbindung zur Grafschaft Bentheim her und weisen insbesondere auf die sieben Orte der Gemeinde hin: Arkel, Bathorn, Berge, Hoogstede, Kalle, Scheerhorn, Tinholt. Arkel – ein historischer Ort Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker und Johann Kemkers Edel 1953 über die Herrlichkeit Emlichheim Ludwig Edel schreibt im Jahrbuch 1953 des Heimatvereins (S. 34 ff.) über die Herrlichkeit Emlichheim. Die Gildschaft Scheerhorn und mit ihr alle Ortsteile der heutigen Gemeinde Hoogstede gehörten immer zu Emlichheim. Für Edel ist es sogar erwiesen, dass der Haupthof der Herrlichkeit nicht bei der Kirche in Emlichheim lag, sondern in Arkel. Edel schreibt: „Bekanntlich hatte Emlichheim von 1324 bis 1440 eigene Herren in den Herren von Borkelo-Gramsbergen. 1440 mußten sie es nicht ohne ziemlichen Druck wieder für 2.000 goldene alt-fränkische Schilde an den Bentheimer Grafen abtreten. Seit der Zeit gehört es also wieder unbestritten zur Grafschaft Bentheim, wenn auch als selbständiges Reichslehen. Haupthof der Herrlichkeit Zunächst mal ergibt sich aus den Urkunden, dass der Haupthof der Herrlichkeit nicht bei der Kirche lag, sondern in dem stromaufwärts gelegenen Arkel. 1324 heißt der Hof to Arkelo, 1440 der Hoff to Arkelo und 200 Jahre später der Schultenhof zu Arkel. Visch schreibt dazu: „In de boerschap Arkel is eene Kapel, warin de predikanten van Emmelenkamp, op bepaalde tijden den Godsdienst moeten verigten. In deze boerschap was in vroegere eeuwen eene riderburg, waarvan man in latere tijden nog overblijfsels gevonden heeft“. (In der Bauerschaft Arkel steht eine Kapelle, in der die Pastoren von Emlichheim zu bestimmten Zeiten den Gottesdienst leiten müssen. In dieser Bauerschaft stand in früheren Jahrhunderten eine Ritterburg, von der man in späteren Zeiten noch Überreste gefunden hat.) Möller meint: Hier befand sich schon früh eine dem heiligen Antonius geweihte Kapelle. Schließlich verarbeitet das Stokmann zu folgendem Sinn: Der Hof zu Arkel sei in der Folgezeit zu einer schlossartig befestigten Burg ausgebaut worden, von welcher nach Vischs Mitteilung zu seiner Zeit (um 1820) noch Trümmerreste vorhanden waren. Neuere Schriftsteller wollen sogar dort ein römisches Bürgel (arcellum) vermuten. Dass es der Haupthof der Herrlichkeit war, dürfte allerdings nicht zu bezweifeln sein. Was gehörte aber noch mehr dazu? Nach der Urkunde von1324 drei Bauernerben, zwei Kotten, der sog. Scheerhorner Zehnte und die hohe und niedere Gerichtsbarkeit in einem genau beschriebenen Bezirk. Hofnamen aus 1324, 1440 und 1635 Stokmann meint, es sei unmöglich, die einzelnen Bauernhäuser zu bestimmen. Mit Hilfe des bentheimischen Lagerbuches und ortskundiger Mitglieder unseres Heimatvereins wollen wir es aber doch versuchen. Da ist zunächst dat hues to Wermerink to Honsteden, heißt 1440 dat Erve to Werminck, 1635 Wermer und jetzt wohl Warmer. Dat Hues to Anebrocke von 1324 ist 1440 dat Erve to Anebroke und 1635 Hannebrok. Dat Hues to Herverdink aus der ungenauen Abschrift von 1324 ist 1440 dat Erve to Herwerdinck und 1635 Hemmeke. Dat Kreppes Kote von 1324 ist ein Koten geheyten Krepeschote geworden und später Kroppschott in Kalle. Dat Rutkote ist 1440 ein Koten to Arkelo und wohl später Volcker zu Arckel oder Lütke Arckel. 53 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE 1440 werden aber noch als weitere Zubehöre genannt: „dat Erve to Brünynk, dat Erve to Ruetgerinck, twe Erve to Overinck, dar Roleff enn Hinrich syn Soene nu ton tyd oppe wonet, dat Erve Oesmanninck und Dyderkinck in den Dorpe to Empnichem, den Hoff to Echtler und den Hoff to Eyckinchorst." Im Pachtregister von 1635 erscheint Brüningh mit 6 Müdde Roggenpacht, Röttgeringh mit 3 Müdde und 3 Scheffel, Oeveringh mit sogar 24 Müdde Roggen. Oesmanink ist vielleicht Namink mit 13 ½ Müdde Roggenpacht, Eikinkhorst, jetzt Ekenhorst in Heesterkante mit 4 Müdde Roggenpacht. Nach 1440 sind folgende neue Namen hinzugekommen: Kampert, Struwe, Zechelhorn, Lutterman, Meierman und Blomendael, ferner Suwerman mit 7 ½ Müdde Roggen Pacht und der Schulte zu Scherhorn mit 18 Müdde Pacht. Der Scherhorner Zehnt ist noch genau bekannt: Suwermans Zehend 11 Müdde Roggen, Schulten Zehend 11 M., Hannebrocks Zehend 4 ½ M., Calmans Zehend 4 ½ M., Wulffings Zehend 3 ½ M. Hierzu schreibt der Rentmeister: ‘Diese Zehenden werden ausgenommen, sonsten scheint, daß sie in Vorzeiten für so viel Roggen den Leuten gelassen und verpachtet gewesen.’ Grenzen der Herrlichkeit Emlichheim Die Grenzen der Gerichtsbarkeit oder des Godinkspiels Emmeninghem erstrecken sich von den drei Paren oder Palen gegenüber der niederländischen Grenze bei Coevorden vechteaufwärts bis zum Scherhorner Kamp. Auf der linken Seite des Stroms von der sog. Holthemer Schlinge gegenüber der niederländischen Bauerschaft Holtheme bis zur Hildener Brügge, wo der Bezirk des Gogerichts Uelsen beginnt.“ Arkel, ein römischer Stützpunkt (14. Januar 1950) Ein Fleckchen Erde, das Geschichte erlebte 5. Jahrgang, Sonnabend, den 14. Januar 1950 Artikel von 1950 In einem Zeitungsartikel vom 14. Januar 1950 schreibt ein H.-R. S. unter der Überschrift „Arkel, ein römischer Stützpunkt? Ein Fleckchen Erde, das Geschichte erlebte“ die nach- 54 folgende Abhandlung. Um welche Zeitung oder Zeitungsbeilage es dabei geht, ist leider unbekannt. Wohl ist ersichtlich, dass es um den 5. Jahrgang dieser Zeitung(sbeilage?) geht. Es heißt dort: „Wenn man am Vechteufer in Kalle steht und auf Arkel blickt, dann sieht man mehrere Höfe stehen, eingefasst und geschmückt von wuchtigen Eichen und schlanken Pappeln. Ein Weg schlängelt sich an den Häusern vorbei und in einer Furt nach Kalle hinüber. Er ist wenig befahren, der Verkehr fließt heute bei Hoogstede über die Brücke. Vor mehreren Jahren kam ich als Fremder an dieser Siedlung vorüber und fand gar nichts besonderes an ihr. Nur an einer Scheune lagen mitten im Bauschutt vergangener Jahre gesprungene Sandsteinstücke. Ich fragte mich: Wie kommen die hier hin? Später las und hörte ich manches von Arkel und konnte vieles verstehen, denn dieses Fleckchen Grafschafter Erde hat Geschichte erlebt. Es begann in der Römerzeit. Die Söldner des „Ewigen Roms" kamen auf einigen kleinen Kriegszügen mit Schiffen flussaufwärts gefahren und gingen an dieser Furt mit dem hohen Ufer im Osten an Land. Hier stapelten die Krieger ihre Vorräte, befestigten den Platz und drangen im Fußmarsch landeinwärts in Richtung Lingen vor. Aus dem ursprünglichen Lagerplatz aber wurde allmählich ein römischer Stützpunkt. Seitdem vergingen tausend Jahre. Um 1000 n. Chr., so erzählen uns alte Urkunden, wohnen auf dem Edelhofe Arkelo die Herren eines alten Rittergeschlechts, die sich bis ins späte Mittelalter „Herren von Arkel" nennen. Sie sitzen wahrscheinlich schon lange hier, vererben auf den jeweils ältesten Sohn den Vornamen Johann und sorgen durch wackere Taten und kluge Verträge dafür, dass Chroniken und Urkunden recht viel von ihnen berichten. (De Vita et Rebus gestis Dominorum de Arkel). Ein Johann VII. von Arkel wird eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Er ist mütterlicherseits ein Enkel des Grafen Balduin von Flandern und heiratet eine Enkelin des Grafen Otto IV. von Bentheim. Nach einem bewegten Leben und häufigen Fehden stirbt er 1241. A R K E L – E I N H I S TO R I S C H E R O R T Noch höher steigt sein Nachkomme, der im Jahre 1343 den soeben zum Kardinal ernannten Italiener Nicolaus Capusi auf dem Stuhl des Fürstbischofs von Utrecht ablöst. Er nennt sich als Kirchenfürst „Johann IV. von Arkel“, kauft 1346 aus dem Besitz des Ritters Hermann von Lage die Herrlichkeit Lage und wird 1364 Bischof von Lüttich. Die Furt durch die Vechte, die gute Lage am schiffbaren Fluss und der Herrenhof brachten es wohl mit sich, dass schon frühzeitig in Arkel eine kleine Kapelle erbaut wurde. Sie war dem Heiligen Antonius geweiht und blieb bis lange nach der Reformation als Tochterkirche von Emlichheim abhängig. Ein Geistlicher aus dem sieben Kilometer entfernten Kirchflecken versah hier den Gottesdienst. Endlich konnte im September 1819 der erste eigene Prediger für die Kapelle angestellt werden, und der Gemeindebezirk durfte sich „Kirchspiel Arkel" nennen. Die Wohnung des Pastors soll damals bei Jeurinks Haus gestanden haben, einem ungefügen, schmucklosen Bau mit dicken Wänden. Die Kapelle selbst hatte auf dem Hügel vor der Scholtenschen Hofanlage ihren Platz. Beim zufälligen Graben fand dort ein Bauer Gebeinreste, die darauf schließen lassen, dass in der Nähe der Kapelle Gräber waren. Das Gotteshaus wurde 1821 nach Hoogstede verlegt. Heute sind in Arkel kaum noch Dinge vorhanden, die an diese Geschehnisse erinnern. Am Hügel, auf dem die Kapelle stand, liegt noch alter Bauschutt, und dazwischen finden sich einige zersprungene Sandsteinstücke und Granitbrocken. Vielleicht rühren sie vom Abbruch der Kapelle her, da sie zum Wiederaufbau nicht mehr gebraucht werden konnten. In einem Namen aber lebt noch das Andenken an eine größere Zeit der kleinen Siedlung fort, im Hoogsteder „Kirchspiel Arkel". H.-R. S. (Wir konnten leider nicht herausfinden, wer H.-R. S ist, noch in welcher Zeitung dieser Beitrag 1950 erschienen ist.) Arkel – Archäologische Notgrabung Irmgard Maschmeyer (Jahrbuch des Heimatvereins 1996, 285–290). Die Frühgeschichte von Arkel ist weitgehend unbekannt. Berücksichtigt man die Lage unmittelbar an der Vechte sowie noch spärlich vorhandene Hinweise auf einen Hügel an dieser Stelle, so darf man vermuten, dass hier früher eine Turmhügelanlage, eine sogenannte Motte, gelegen hat, wie wir sie auch von anderen Adelssitzen an der Vechte, z. B. Ohne, Brandlecht, Poaskeberg bei Neuenhaus kennen. Derartige Befestigungen dienten in erster Linie dem Schutz der herrschaftlichen Rechte auf der Vechte, an ihren Uferwegen und Furten. Die Vermutung, in Arkel habe es sich um eine Ritterburg gehandelt, ist somit wahrscheinlich; besser ist die Bezeichnung Herrensitz. Erstmals namentlich erwähnt wird Arkel 1326, als der Graf von Bentheim neben anderen Höfen auch den Hof te Arkelo an Gottfried von Borculo als Lehen verkauft und ihn 1346 auch mit dem Gogericht in Emlichheim Steinmetzzeichen an der Kirche in Hoogstede (Irmgard Maschmeyer) 55 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE belehnt. Die Bezeichnung „Hof to ...“ besagt fast immer, dass es sich um einen Herrenhof handelte. Die Herrlichkeit Emlichheim gehörte seit 1326 den von Borculo, die sich später auch von Gramsbergen nannten. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Herrenhof nicht etwa bei der Pfarrkirche in Emlichheim lag, sondern in Arkel. Bei Rückkauf der Herrlichkeit Emlichheim und Arkels durch den Grafen von Bentheim 1440 ist wiederum vom Hof te Arkelo die Rede; erst etwa 200 Jahre später wird der Schultenhof to Arckelo erwähnt; dabei handelt es sich wohl zweifellos um den gleichen Hof. Die Vermutung, dass das in den Niederlanden namhafte Geschlecht der van Arkel von dem Herrensitz Arkel abstammt, ist erlaubt, aber nicht bewiesen. Jan van Arkel war ab 1342 Bischof von Utrecht; er erbaute die Burg Arkelstein bei Bathmen 1361. Diese Burg kann also kaum der namengebende Stammsitz der van Arkel sein. Seit Menschengedenken stand in Arkel eine Kapelle, ein stattlicher Bau aus Sandsteinquadern, deren Alter urkundlich nicht sicher belegt ist. Nach Bauart und Stil dürfte sie aus dem 14./15. Jahrhundert stammen und somit wohl durch die Herren von Gramsbergen erbaut worden sein. Da Arkel aber keine Pfarre war, hatten Emlichheimer Geistliche dort zu bestimmten Zeiten Gottesdienst abzuhalten. Als Arkel 1819 eine selbstständige Kirchengemeinde wurde, verlegte man die Kirche durch Abbau und Wiederverwendung der alten Steine nach Hoogstede, wo sie allerdings in größerem Format wieder aufgebaut wurde. Noch heute kann man an der Kirche die wiederverwendeten Formstücke (Wasserschlag, Fenstergewände mit alten Falzen) sehen, von denen viele noch die mittelalterlichen Steinmetzzeichen, die sogenannte »Merks« zeigen. Der Hügel, auf dem die Kapelle in Arkel stand und von dem die Überlieferung berichtet, wurde nach Abbruch der Kapelle, insbesondere aber Anfang des 20. Jahrhunderts vom neuen Eigentümer abgetragen und nach Schätzung um ½ bis ¾ Meter niedriger gemacht. Dabei wurden Skelettteile gefunden, die von dem ebenfalls bekannten früheren 56 Friedhof, der um die Kapelle herum lag, stammten; der Friedhof soll noch bis in das 19. Jahrhundert hinein belegt worden sein. Der letzte dort Bestattete war laut mündlicher Überlieferung ein ertrunkener Schiffer. Notgrabung 1983 Im Sommer 1983 informierte man mich, dass auf dem Hof Scholten in Arkel eine Scheune gebaut werde, die genau den Bereich der etwa 1820 abgebrochenen Kapelle überdecke. Bei Aushebung der Fundamentgräben habe man zahlreiche Skelettteile gefunden; auch fand Herr Scholten das Randfragment eines Kugeltopfes, einer Gebrauchskeramik aus dem 11. bis 13. Jahrhundert. Unsere Grabungsmöglichkeit war dadurch eingeengt, dass unter der neuen Scheune noch große Teile des Vorgängerbaues aus den 30er Jahren standen. Bohrproben ergaben, dass im südlichen und westlichen Teil der neuen Scheune offenbar ältere Bodenschichten vorlagen; oberflächennahe fand sich dort außerdem viel Kalkmörtel- und Sandsteinschutt als wahrscheinlicher Hinweis auf die ehemalige Kapelle. Das Katasteramt Nordhorn, auch sonst immer hilfsbereit, konnte uns glücklicherweise eine, im Urkataster noch als Kircheneigentum ausgewiesene Parzelle, die jetzt im Bereich der Scheune lag, nachweisen und einmessen. Dort müsste die Kapelle gelegen haben. Lage der Kapelle und Kirchhofparzelle in Arkel (Irmgard Maschmeyer) A R K E L – E I N H I S TO R I S C H E R O R T Zur weiteren Abklärung zogen wir zunächst in der Mitte der Längstenne der neuen Scheune einen Suchschnitt, der die mündliche Überlieferung vom Abtrag eines früheren Hügels bestätigte. Erste Bestattungen zeigten sich schon 30 Zentimeter unter der Erdoberfläche, allerdings in einem Bereich, der den des angeblichen Kirchhofes nach mehreren Richtungen teilweise um mehrere Meter überschritt. Auf beiden Seiten des Schnittgrabens machte sich das Kirchenfundament durch eine Schuttpackung bemerkbar, undeutlich bei 18 Meter West, recht deutlich bei 31 Meter West. Zwischen diesen beiden Fundamentspuren, also den Außengrenzen der Kapelle, fanden sich keine Bestattungen und auch fast keine Knochenreste, sodass davon auszugehen ist, dass – wie wir das auch von der vorreformatorischen Kapelle in Hesepe/Kreis Bentheim wissen – Bestattungen nur außerhalb des Kirchenraumes vorgenommen worden sind; dies in deutlichem Gegensatz zu den Pfarrkirchen, in denen vor allem Angehörige der Honoratiorenschicht und Pfarrer beigesetzt wurden. Die Bestattungen fanden sich zumeist in einer völlig durchmischten graubraunen Sandschicht mit Anteilen von Schutt. Die im Suchschnitt von uns gefundenen Skelette (das Holz der Särge war verrottet, die Eisennägel noch in ursprünglicher Lage) (Foto 4) lagen nicht Skelettfunde in Arkel, Sommer 1983 (Irmgard Maschmeyer) nur mehrfach übereinander, sondern auch „kreuz und quer“, also nicht in der rituell vorgegebenen Ost-West-Richtung. Eine unter dieser graubraunen Sandschicht gelegene, mit hohen Anteilen humöser Substanz schichtweise verfüllte Grube (bei 32 bis 33 Meter West), die in beiden Wänden des Suchschnittes deutlich sichtbar wurde, dürfte somit wohl älter als die Friedhofs-(Begräbnis-)Anlage sein, ebenso wie die sehr tief gelegenen Reste alter Erdoberfläche zwischen 9 bis 14 Meter West. Dafür spricht der Fund ungestört gelagerter Scherben, u. a. eines blaugrauen Gefäßes mit Wellenfuß, das noch in der Tradition der Kugeltöpfe steht, sowie eines Kannenhalses aus Frühsteinzeug in der Südwand des Grabens bei 11 bis 12 Meter West. Die gefundene Keramik stammt aus dem 13./14. Jahrhundert. Bei den aufgefundenen Schuttpackungen, die in etwa der Lage des Kirchenfundaments entsprachen, scheint es sich weniger um die Reste der Fundamente, sondern eher um Verfüllungsschutt in den Ausbruchgräben zu handeln; vielleicht aber auch um Reste einer „Basisstickung“. Aufgrund der erhobenen Befunde ließen sich denn nach Abbruch des Vorgängerschuppens weitere derartige Schutt- 57 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE pakete nachweisen. Der Chorabschluss war wegen einer tiefen Störung durch Güllekanäle etc. nicht mehr ganz zweifelsfrei zu verfolgen. Beim Aushub der Baugrube für den Güllekeller an der Nordseite der Scheune zeigte sich eine ältere, trichterförmig verfüllte, zunächst nur angeschnittene Grube. Sie erwies sich bei weiterer Grabung als mittelalterlicher Brunnen mit einer noch vollständig erhaltenen hölzernen Brunnenstube von etwa 1,5 Meter im Quadrat. In der Verfüllung des Brunnentrichters, die also jünger sein muss als die Brunnenstube, wie auch der bei Anlegung des Brunnens ausgehobenen trichterförmigen Grube fanden sich zahlreiche Kugeltopfscherben. Hingegen blieb die Brunnensohle fundleer. Nach dem Befund der Brunnenkammer (Schwemmsand mit aufgelagerter Torfschicht) dürfte der Brunnen vor dem Verfüllen längere Zeit verschlammt gewesen sein. Die Hölzer der Brunnenstube wurden geborgen und später von uns nach der Zuckermethode konserviert. Die teils gute Erhaltung, teils fortgeschrittene Zersetzung des Holzes ist wohl darauf zurückzuführen, dass seit der Vechteregulierung der Grundwasserstand etliche Dezimeter abgesunken und seither das Holz trocken gefallen ist. Unter den Seitenbohlen fanden sich einige, die wohl aus einem mittelalterlichen Bau, vielleicht einem Stabbau stammten und hier sekundär verwendet worden waren. Hindrik Jan Bloemendal mit seiner Mutter auf dem Pferdewagen um 1950 (Scholten) 58 Etwa 30 Meter nördlich der Fundstelle des Brunnens soll sich nach der Überlieferung früher ein runder Hügel befunden haben. Als daran angrenzend 1960 der neue Stallflügel des Hofes Jeurink erbaut wurde, fand man bei der Fundamentierung in der SW-Ecke eine tiefe, vermodderte Senke, die besondere Fundamente erzwang. Auch das könnte für einen umgräfteten Turmhügel sprechen. Der von uns gefundene Brunnen müsste im Vorburgbereich gelegen haben, wo in seiner Nähe auch das Bauhaus zu vermuten wäre. Bleibt noch zu erwähnen, dass einige wesentliche Skelette von Herrn Dr. Caselitz, Hamburg, zur anthropologischen Untersuchung übernommen wurden. Beurteilungen liegen dazu bisher nicht vor. (Im Jahrbuch 1996 finden sich wesentlich mehr Zeichnungen und Fotos.) Wasse Wiggerink und seine Violine (JB 1950) Alte Erzählungen und Sagen halten Erinnerungen wach, die hier oder dort vielleicht ein Krümelchen Wahrheit im modernen Sinne enthalten. Wasse Wiggering und Wottelharm sind zwei um 1900 bekannte und berühmte, frei erfundene Personen. Der Heimatkalender von 1950 berichtet über Wasse Wiggerink: Heimatkalender 1950 Seite 75 Zwischen Arkel und Hoogstede stand in alter Zeit eine Burg. Darin wohnte ein reicher Graf, der oft mit seinen Freunden dort frohe Feste feierte. Zu diesen Festen musste auch der Bauer Wasse Wiggerink aus Großringe erscheinen, der lustige Geschichten erzählte, wundervoll die Geige spielte und sich mit seiner Kunst manchen Groschen verdiente. Eines Abends schickte der Graf wieder seinen Boten zu Wasse Wiggerink und ließ ihm sagen, er solle sogleich kommen, denn es seien viele und hohe Gäste eingetroffen. Wasse nahm die Violine und trat sogleich den Marsch zur Burg an. Er spielte seine Lieder und Weisen und die Herren und Frauen waren des Lobes voll über ihn und seine Violine. Erst spät in der Nacht machte er sich auf den Heimweg. Um ihn ein Stück abzukürzen, A R K E L – E I N H I S TO R I S C H E R O R T ging er quer über den Esch. Mitten auf der kahlen, freien Roggenfläche stand plötzlich ein großer, schwarzer Mann, ein Ungetüm, vor ihm und sagte: „Wassin, spöll up!“ Dem Bauern kam die Forderung völlig unsinnig vor. Er war auch müde und versuchte, durch einen Seitensprung an dem Koloss vorbeizukommen. Aber der Schwarze trat ihm in den Weg und knurrte drohend: „Wassin, ick segge di, spöll up!“ Was sollte er machen? Der Mann ihm gegenüber war groß und stark, und es ging etwas Unheimliches von ihm aus. Er zitterte wie der Hase in der Wolfsgrube. Endlich holte er die Geige aus dem Kasten und begann zu fideln – mitten im Esch und das spät in der Nacht. Er hoffte, nach einigen Stücken den lästigen Geist loszuwerden, aber sobald er die Geige absetzte, donnerte ihn der Schwarze an: „Wassin, ick segge di, spöll up!“ Und so geigte Wasse Stunde um Stunde. Der Wind heulte in den Wallbäumen und die Füchse im Moor bellten. Als der Schwarze sich einmal bückte, um den Schuhriemen festzu- binden, sprang Wasse entschlossen an ihm vorbei und lief, was er laufen konnte. Schweißtriefend und totenbleich erreichte er seinen Hof. Er sprach mit niemandem über das nächtliche Erlebnis, auch nicht mit seiner Frau. Aber er ging am nächsten Abend mit der Violine hinter das Schafschott und zerschlug sie am Schuppfahl, obwohl er die Geige sehr liebte und sie ihm viel Geld und Freuden eingebracht hatte. Er wollte mit dem Instrument, mit dem er dem Teufel aufgespielt hatte – denn das war der Schwarze im Esch gewesen – niemandem mehr ein Vergnügen bereiten, sich selbst auch nicht. Als der Graf von Arkel ihn abermals zur Burg bat, ging er nicht hin. Als er ihm eine neue Geige schickte, nahm er sie nicht an. Nein, die Geige führe den Bauern in höhere Stockwerke hinauf, wo er nicht hingehörte, meine Wasse! Und schließlich lande er auf diesem Wege mit der Violine beim Bösen, und davor müsse er den Hof behüten. 59 2 Arkel, Kalle und Tinholt Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker Dr. Ernst Kühle (1890–1975) hat die Geschichte der einzelnen Gemeinden jeweils im „Doppelpack“ ausführlich beschrieben. Kühle war von 1929 bis 1952 als Studienrat an der Oberrealschule im Aufbau und am späteren Gymnasium tätig. Seine Darstellung soll eine erste Übersicht über die Zeit bis 1974 ermöglichen. Sie folgt hier für Kalle und Tinholt. Danach finden sich aktuellere Beiträge von Willy Friedrich und Unbekanntes Ehepaar mit vier Kindern in Trachten, um 1920 aus Familie Hans (Mini Büdden) 60 aus heutiger Zeit. Später kommt Kühle auch bei Scheerhorn-Berge und bei Hoogstede-Bathorn zur Sprache. Die beiden letzten Beiträge habe ich kürzen müssen, weil sie zu umfangreich waren für diese Chronik und sich in manchem auch mit dem nachfolgenden Beitrag decken. Zwischenüberschriften und Fotos sind hier und auch in anderen übernommenen Texte neu eingefügt worden, um die Lesbarkeit zu erhöhen A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT Kalle und Tinholt, Geschichte zweier Landgemeinden E. Kühle, ( Der Grafschafter 1974,Nr. 12) Die Talsandlandschaft des linken Vechteufers nördlich von Haftenkamp ist gegenüber der rechten Uferzone in der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben. Am rechten Vechteufer reihen sich an Veldhausen die Bauerschaften Esche, Berge, Scheerhorn, Hoogstede, Großringe, Kleinringe, denen am linken Ufer nur Tinholt und Kalle gegenüberstehen. Die Bodengütekarte zeigt auf beiden Flussufern die gleichen, wenig günstigen Gütewerte an. Die im allgemeinen tiefere Lage der westlichen Uferzone und der höhere Grundwasserstand haben lange Zeit von einer Besiedlung abgeschreckt. Der Verkehr von Neuenhaus nach Emlichheim nahm seinen Weg am rechten Ufer der Vechte entlang, der höher lag und trockener war, und an Orten mit den Namen „Berge" und „Hoogstede" vorbeiführte. Mittelalterliche Wege waren zumeist Höhenwege, die feuchte Senken mieden. 1890 gab es die erste feste Straße, 1906 die Eisenbahn auf dem rechten Vechteufer; erst fünfzig Jahre später verband die Vechtetalstraße Neuenhaus über Tinholt und Kalle mit Emlichheim, obwohl diese Wegstrecke kürzer ist als die des rechten Ufers … Deutung der Namen Kalle und Tinholt bildeten einen Markenverband mit den Rechtsufergemeinden Berge, Scheerhorn, Hoogstede. Die Grenzen der Mark auf dem linken Ufer waren im Norden, Westen und Süden gerade Linien, die man ohne Rücksicht auf Naturgegebenheiten auf der Karte mit dem Lineal gezogen hat. Der Name Kalle ist eine alte Flurbezeichnung, die Bezug nimmt auf das Wasser. Abel erklärt in „Ortsnamen des Emslandes" Kalle als am Wasserarm gelegen. Tinholt gehört zu den häufigen Orten, die den Namen dem Holz entnehmen. Das Bestimmungswort ist nach Abel unerklärbar. Reurik erklärt es mit ten Holt = zum Holz. Specht legt das Zahlwort „Zehn“ zugrunde, nach zehn Gemeinden, die am Tinholt einst Anteil gehabt haben sollen. Die vorgeschichtliche Vechteschifffahrt hinterließ Überbleibsel von Fahrzeugen, Handelsgütern und Münzen, aus denen jedoch wenig über die Vorgeschichte von Kalle und Tinholt geschlossen werden kann. Auf höher gelegenen Dünenrücken und Bodenwellen, auf denen frühe Siedler Fuß fassten, fand man Urnen in Nähe des Hofes Gröne in Kalle. Der Name Arkel, zu Kalle gehörig, wird von Heimatforschern als arcellum gedeutet; sie vermuten, dass hier eine vorgeschichtliche Burg bestanden hat. Kalle wird zuerst zusammen mit dem Gogericht Emlichheim genannt, das sich 1313 im Besitz des Grafen Johann II. befand, 1324 aber an den Herrn von Borculo gegeben wurde und erst 1440 endgültig an die Grafschaft zurückfiel. Als 1312 Graf Johann das Gogericht Uelsen von Eylard van den Toerne erwarb, vereinbarten beide Vertragspartner, dass das Holzgericht im Tinholte dem Geschlecht Toerne verblieb. Die Holzgerichte kamen aber 1380 in die Hand des Grafen, wodurch sich der Einfluss des Landesherrn in den Bauerschaften verstärkte. In der Tinholter Mark hatte der Bischof von Utrecht drei hörige Bauernerben, denen erlaubt war, die Eichelmast zu nutzen, wenn ein gutes Eicheljahr war. Der Graf bestritt dieses Recht. 1324 Hof to Arkelo 1324 wird der Hof to Arkelo genannt. Pastor Visch in Wilsum schreibt in seiner Geschichte von einer frühen Kapelle in Arkel, in der ein Geistlicher aus Emlichheim Gottesdienst hielt, sowie von einer Ritterburg, von der man noch im 19. Jahrhundert Reste vorfand. Auch Stokmann berichtet von einer befestigten Burg Arkel, deren Trümmerreste 1820 noch vorhanden waren. Nach Möller gab es ein adliges Geschlecht, die Herren von Arkel, aus dem Johan van Arkel hervorging, der als Bischof von Utrecht 1346 die Burg Lage erwarb. Von den Höfen in Kalle wird ein Kotten genannt, Kreppes Kote, 1324, der später Kroppschott hieß. 1440, als das Gogericht Emlichheim zur Grafschaft Bentheim zurückkehrte, wird der Hof Rutkote to Arkel verzeichnet, von dem Dr. Edel annimmt, dass er später „Lütke Arkel" hieß (Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953). Die Emlichheimer Gerichtsbarkeit reichte am linken Vechteufer bis zur Hildener Brügge, wo das Gogericht Uelsen begann. 61 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Im Lehnregister des Grafen Otto, 1346–64, wird Kalle nicht genannt, wohl aber Tinholt. Dem Knappen Eylard van den Toerne überließ der Graf zu Dienstmannsrecht die Holzgerichte zu Hilten, Gölenkamp, Uelsen und im Tinholte. Eylard war 1319 Burgmann auf Bentheim. Gegen Überlassung des Gogerichts Uelsen 1312 erhielt er vom Grafen Johan eine Anzahl von Zehnten aus Bauernerben zu Lehen. Der Stammsitz des Geschlechts war das Dorf Uelsen, wo südlich der Kirche vermutlich ihre Burg stand. Eylard war auch Lehnsmann des Bischofs von Utrecht. Das Tinholt gehörte zu den privaten Gehegen des Grafen; hier übte er die Jagd allein aus und ließ durch seine Jäger die Grenzen überwachen. Das Revier war durch seine guten Entenjagden bekannt. Die Beachtung der landesherrlichen Reservate ließ zu wünschen übrig. Mit den holländischen Jagdherren einigte sich der Graf auf dem Bentheimer Landtag über Jagdgerechtsame zwischen Grenze und Vechte. 1656 überraschten gräfliche Jäger eine Gramsberger Jagdgesellschaft in einer Tinholter Wirtschaft und nahm sie gefangen. Die Gramsberger kamen mit stärkerem Aufgebot wieder und verlangten erweiterte Rechte. Der Graf verwarnte die Gramsberger, „daß man Bäuerin Lübbers in Alltagskleidung vor ihrem Haus in Kalle, 1934. Heutige Eigentümerin Gunda Meyerink (Jan Jeurink) 62 die Jagd nicht wider alle Usance und Gewohnheit extendieren solle". Der Jägermeister Borchard Lohoff betreute die privaten Gehege, leitete die großen Umjagden, traf Maßnahmen für sachgemäße Hege des Wildes, bestimmte die Schonzeiten und die Menge des von den Bauerschaften anzuliefernden Hundebrots. Das Haus Echteler hatte die Koppeljagd in Kalle. Die Fischerei in der Vechte bis zur Mündung der Lee übten die Grafen gemeinsam mit der Stadt Neuenhaus aus, weiter nördlich nur die Grafen allein. Das Bleichen von Flachs in der Vechte war den Bauern in Kalle und Tinholt verboten. 1451 Personentausch 1451 empfing das Kloster im Austausch mit dem Herrn v. Dedem zu Esche den Johan Herekinck, der ins Tympenhaus tor Calle kam. 1562 überließ das Bistum Utrecht dem Kloster einen Sohn des Passcher in Lage, der auf dem Tympenhof zu Kalle einheiratete. Man nannte die Einheirat „Auffahrt“ und forderte dafür eine Gebühr (ungewisses Gefälle). Im Austausch mit dem Grafen kam Wibbe, eine Tochter Campers aus Laarwald nach Kalle, wo sie auf dem Hof einheiratete. Von den Kindern auf dem Tympenhof wird berichtet, dass Johann A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT tor Calle die Gese van Arkel zur Frau nahm, die die Tochter eines dem Grafen hörigen Bauern war. Von ihren Kindern ließ das Kloster den Sohn Johan frei; ein anderer Sohn zog mit den Wiedertäufern fort, und der Schreiber trug in das Wesselbuch ein ... „entlopen na Monster". Eine Tochter, Mette, ging mit einem Landsknecht in die Ferne. Im Lagerbuch zu Bentheim befindet sich eine Verpflichtung des Hofes Tympe von einem Taler. Die Vogtei über den Hof Tympe hatte Engelbert von Zalre; er hatte an Callmans Erben ein Gut verkauft, Bussches Garde genannt, und an das Kloster Frenswegen Heemans Haus in der Calle veräußert. Der Archivar Dr. Döhmann in Burgsteinfurt nimmt an, dass der Hof Kaalmann in Hoogstede gemeint ist … 1533 Wiedertäufer nach Münster Das folgende 16. Jahrhundert war von religiösen Unruhen erfüllt. Die Wiedertäufer hatten 1533 den Bischof von Münster vertrieben und ein Wiedertäuferreich errichtet, das zwei Jahre später Graf Arnold mit zerschlagen half. Anschließend ließ der Graf nach geflohenen und versteckten Wiedertäufern in der Grafschaft fahnden. Das wenig zugängliche Tinholter Moor bot guten Unterschlupf. Wen die Häscher fingen, den richtete man als Viehdieb hin. 1544 aber trat der Graf mit dem größten Teil der Grafschaft zum lutherischen Bekenntnis über. Die Pastoren Kampferbeck in Veldhausen, Krull und Jungius in Neuenhaus, Hasenhart in Uelsen predigten im Sinne der Augsburgischen (lutherischen) Konfession. Das Bistum Utrecht ging durch die Reformation ein; seine Güter erbte Kaiser Karl V., der nicht deutsch sprach, aber in den Twenter Hofrechten die Pflichten und Rechte seiner Hörigen aufschreiben ließ. Sein Nachfolger Philipp löste durch Härte und Grausamkeit seiner gegenreformatorischen Maßnahmen den niederländischen Befreiungskrieg von der spanischen Herrschaft aus. Die von ihren Ländern mangelhaft versorgten spanischen und holländischen Truppen suchten ihren Bedarf zu decken durch räuberische Überfälle in die neutrale Grafschaft; bei etwaigem Widerstand kam es wie in Halle und Getelo zu Blutbädern. Auf der Heerstraße zwischen Coevorden und Neuenhaus plünderten die Spanier die Bauerschaften an der Vechte aus; sie beraubten Kalle und Tinholt, zerstörten das feste Haus Esche, töteten die zahlreichen Flüchtlinge, verbrannten in einer Scheune in der Borg 60 wehrlose Menschen und verursachten ein Massensterben in der Stadt Neuenhaus. „De nood en ellende waren zoo groot, dat men ze met geene worden uitdrukken kan (Visch, Geschiedenis). Im schweren Kriegsjahr 1588 traten Graf und Grafschaft zum reformierten Bekenntnis über, um sich den Schutz der siegreichen Niederländer zu sichern. 1618–1648 Dreißigjähriger Krieg Auf deutscher Seite ging der Oorlog in den Dreißigjährigen Krieg, 1618–1648, über. Der vom Grafen Arnold Jobst angestrebte Selbstschutz in Verbindung mit Schützenverbänden war nicht ausreichend, den feindlichen Heeren den Eintritt in die Grafschaft zu verwehren. Die Kriegsopfer des „Oorlogs“ wiederholten sich; hinzu kamen die Kriegssteuern in Gestalt von Korn-, Vieh- und Personenschatzungen, auf den Landtagen beschlossen, um die Kontributionen zahlen zu können. Die Selbsthilfe in Kalle und Tinholt beschränkte sich darauf, Alarmbereitschaften einzurichten, kleinere Räuberbanden abzuwehren, durch Feuersignale Nachbargemeinden zu warnen, ihre Hilfe zu erbitten und selbst Hilfe zu bringen. Der Geschichtsschreiber des Krieges, Pastor Holstein aus Schüttorf, der auch in Arkel predigte, beklagte den Verfall der Sitten. Schon 1620 erlagen die Kaller dem Einfluss von Zauberern, die man um Hilfe bat, wenn Menschen und Vieh erkrankten. In Tinholt war es nicht anders; viele gingen nicht mehr in die Kirche, besuchten während der Kirchzeit die Wirtshäuser, sangen Hurenlieder und mieden die Arbeit. Vergeblich wetterte Pastor Holstein 1623 von der Kanzel in Arkel und drohte mit Kirchstrafen. Anstatt der gelobten Exercitien gab es in den Schützereien Saufgelage. Erst mit Kriegsende, als ein Bauernaufgebot schwedische Resttruppen aus der Bimolter Mark vertreiben musste, kehrte die Ordnung zurück. 63 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE 1637 Dienstgeldliste Aus dem Kriegsjahr 1637 ist eine Dienstgeldliste des Rentmeisters Kerckerinck erhalten, die Dr. Edel im Jahrbuch 1953 wiedergab. Es zahlten an Dienstgeld je 4 Taler Röttgeringh, Eikinckhorst, Oeveringh, Meyerman, der Schulte zu Arkel, je 3 Taler Campen, lütke Arkel, Blomendael, Calthoff, Struwe, je 3 ½ Taler Brüningh, Suwerman, Hembke, Wermer, je 1 Taler Kroppschotte, Klinckhamer, Böker, Hessels Lucas, Lüchens Rolff, Schny kert; 3 Ort zahlte Kistemaker. Der in Tinholt gelegene Platz von Weel Johans Witwe, der wüste war, gab ½ Taler. Im Eifer um den Wiederaufbau von Hof und Flur nach Friedensschluss blieben Kalle und Tinholt hinter den Bauerschaften rechts der Vechte nicht zurück. Kirchenrat Emlichheim 1562–1620 Die reformierte Kirchenordnung hatte die Pflege des kirchlichen Lebens in die Hände der örtlichen Kirchenräte gelegt. Aus den Bauerschaften des Kirchspiels Emlichheim wählte man angesehene Männer in den Kirchenrat, die dafür sorgten, dass das Verhalten der Gemeindemitglieder und der Unterricht der Jugend im Sinne des Heidelberger Katechismus geschah. Dem Kirchenrat gehörten an Gerdt Volker zu Arkel in den Jahren 1562, 68, 80, 83, Gert Schulte zu Arkel 1612. 1620 befasste sich der Oberkirchenrat mit einer Anklage eines Bauern aus Tinholt wegen Hexerei. Der Bauer beschuldigte seinen Nachbarn, dass er ihm die Kuh verhext hätte, die gestorben war (Edel, Ratleute der Kirche zu Emlichheim, Grafsch. 1958). Es war bald nach Beginn des großen Krieges (1618–1648), als Pastor Holstein gegen das Zauberunwesen ankämpfte … 1752 Torfstichrechte im Tinholter Moor Die Schuldenlast zwang den Grafen Friedrich Carl, seine Grafschaft 1752 an das Land Hannover zu verpfänden. Die Pfandschaftsregierung unter Leitung des Drosten Ompteda versuchte, durch Sparverordnungen Ordnung in das Finanzwesen zu bringen. Eine Akte auf dem Rathaus zu Uelsen von 1752 enthält einen Vertrag um Torfstichrechte im Tinhol- 64 ter Moor. Aus Uelsen und dem Kirchspiel hatten sich 348 Haushalte bereit erklärt, den Torf aus Tinholt zu holen. Wiederholtes Zusammentreffen der Dorfschulten auf dem Rathaus zu Uelsen und Beratung mit Amtleuten und Vögten, wie 1845 mit Amtsvogt Brill, verbesserten die Anfuhr des Torfs, indem man Entwässerung und Wegebau vervollkommnete. Schulte Vos aus Tinholt und der Schulte zu Arkel unterzeichneten ein Protokoll. Als nach dem Ersten Weltkrieg das Siedlungsgesetz 1919 Land für vertriebene Ostbauern und nachgeborene Bauernsöhne aus der Heimat bereitstellte, enteignete man die Torfgruben und hob die Torfstichgerechtsame auf. 1756–1763 Siebenjähriger Krieg Vier Jahre nach dem Pfandvertrag brach der Siebenjährige Krieg, 1756 bis 1763, aus, den der Graf nutzen wollte, um die Selbständigkeit seiner Grafschaft zurückzugewinnen. An der Spitze eines französischen Regiments zog er in den Kampf gegen Hannover, womit er den Krieg in sein Land trug. Für die Kaller und Tinholter Bauern nahmen die Lieferungen, die Kriegsfuhren, die Zahlungen kein Ende. Die Kriegsherren wechselten, eine Partei jagte der andern die Beute ab. An wen die Abgaben zu zahlen waren, erfuhren die Kaller durch Kirchenabkündigung in Emlichheim. Kommandos setzten die Dorfschulten gefangen, wenn die abzuliefernden Pferde nicht zur Stelle waren, aber es gelang manchem listigen Bauern, sein Pferd auf Schleichwegen zurückzuholen. Entzog sich der Jungbauer dem Traindienst durch die Flucht, musste der Hausvater den Dienst tun. Hannover gewann den Krieg und trat nach Friedensschluss die Pfandschaftsregierung wieder an. Regierungsrat Funck forderte durch Verordnungen zum Sparen, zur Schädlingsbekämpfung, zur Waldpflege, zur Anlage von Telgenkämpen, zur Schonung des Wildes, zur Einschränkung im Haushalt, zum Maßhalten im Verbrauch auf. Die Bauern in Kalle und Tinholt bedurften solcher Ermahnungen nicht; die Armut war ihr täglicher Gast. Die Tinholter trugen ihre dürftigen Kornmengen auf dem Rücken zur Mühle Bosmann nach Hardinghausen und A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT nahmen gleich ihr Mehl nach Abzug der Mahlgebühr wieder mit nach Hause. Eine Verordnung 1784 enthielt für Kalle und Tinholt die Concession des Plaggenstechens, bei Schonung der Forsten und öffentlichen Wege, für Tinholt auch die Schonung des Haftenkamper Bruchs. Eine Neuvermessung der Markengrenze zwischen Tinholt und Haftenkamp schlichtete alte Streitpunkte. Der Streit um die Jagdberechtigung im Tinholter Feld entfachte aufs Neue, als 1773 der Herr v. Wassenaer aus Lage den Richter Lüdick in Emlichheim beauftragte und bevollmächtigte, für ihn die Jagd im Bezirk Emlichheim auszuüben. Im Tinholter Feld kam es zu Tätlichkeiten der Lager Jäger mit den Bentheimern, die eine Koppeljagd im Tinholter Feld nicht zulassen wollten … 1795–1815 Franzosenzeit Als dann 1795 die Franzosen als Revolutionstruppen in Neuenhaus einrückten und den Freiheitsbaum aufstellten, Gewerbefreiheit und Ablösung der bäuerlichen Lasten versprachen, sah man sie nicht ungern kommen. Bald aber konnten die Schulten von Kalle und Tinholt ihren neuen Pflichten kaum noch nachkommen, für die Steuer- und Rekrutenlisten die Unterlagen bereitzustellen. Das französische Kataster fand immer neue Steuerquellen, wie Fußböden, Fenster, Türflächen, Obstbäume; die Rekrutenlisten füllten sich mit Namen von Jungbauern, die man einzog, in fernen Garnisonen ausbildete und in der großen Armee zum Ruhme Frankreichs kämpfen ließ. Andere traten in das Bentheimer Bataillon ein und kämpften gegen Napoleon auf belgischen Schlachtfeldern. Eine Verlustliste 1815 nennt Evert Bangeler aus Kalle, gestorben am 1. Juni in Antwerpen. Der Ausbau des Straßennetzes für schnelle Truppenbewegungen gehörte zu den vordringlichen Aufgaben; die Kaller und Tinholter sahen, wie die Franzosen Anstalten trafen, einen kürzeren Weg zwischen Neuenhaus und Emlichheim über Kalle und Tinholt als Heerstraße auszubauen. Der Name Franzosendiek blieb in Erinnerung; erst 150 Jahre später als Vechtetalstraße mit Asphaltdecke vollendet. Nach 1815 Nach Abzug der Franzosen übernahm der Droste v. Pestel die Pfandschaftsregierung aufs Neue; er stellte die alte Ordnung wieder her, in der von den versprochenen Freiheiten nicht mehr die Rede war. Die Zollschranken senkten sich, drosselten den Handel und minderten die Zahl der Arbeitsplätze. Das Kirchspiel Arkel löste sich vom Kirchspiel Emlichheim. Die Kleinsiedlung Arkel, aus nur vier Bauernhöfen bestehend, erhielt als Sitz eines Kirchspiels überörtliche Bedeutung. Th. Nyhuis führte als erster Pfarrer in Arkel 1819–58 Tauf-, Trau- und Sterberegister des Kirchspiels. Die von den Franzosen eingerichteten Standesämter hatte v. Pestel abgeschafft und die Beurkundung durch Kirchenbücher wieder eingeführt. Pastor Lucassen versah den Kirchendienst 1858–66; dann folgte J. M. Nyhuis, Sohn des ersten Pfarrers; er wirkte als Konsistorialrat und Kreisschulinspektor vorbildlich in seinem Bezirk, trat für den Bau der Längsbahn ein und hat als Schriftsteller und Herausgeber einer Zeitungsbeilage und der Reformierten Monatsschrift zur Erwachsenenbildung beigetragen. Eine Zählung, 1821, ergab für Kalle 21 Feuerstellen und 152 Einwohner, für Tinholt 25 Feuerstellen, 26 Höfe, 135 Einwohner. Armut und Arbeitslage, hoher Grundwasserstand und offene Brunnen, dürftige Haushaltsführung und einseitige Kost waren Ursache unbefriedigender Gesundheitsverhältnisse. Zahlreiche Menschen starben im jugendlichen Alter an „Utteeringe“, der Schwindsucht. Studierte Ärzte gab es nur wenig. Bei weiten und schlechten Wegen kamen sie selten in abgelegene Dörfer. Die Apotheke in Neuenhaus war zu weit entfernt. Erst 1830 erhielt auch Emlichheim eine Apotheke. Schankwirtschaften 1828 Im gleichen Jahr erhielt Vogt Brüna die Anweisung, die Schenkwirtschaften im Gericht Emlichheim zu registrieren. Sie hatten durch die ständig zunehmende Zahl der Hollandgänger genügenden Zuspruch. Die Wirtschaft Bingeler in Kalle bestand erst seit 1828 und schenkte ½ Anker aus, Schröer in Kalle, seit 65 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE 1822 bestehend, verschenkte 1 ½ Anker. In Tinholt bestanden ebenfalls zwei Schenkwirtschaften, Hilbrink, seit 1828, und Sentkers, beide mit je 3 Ankern Umsatz. Die Heuerleute Sentker betrieben den Ausschank schon seit längerer Zeit. Bingeler (jetzt Berends) – verschenkt ½ Anker, gegründet 1828 … Aus Bentheimer Heimatkalender 1936 Seite 82 f. Das Eindringen der Franzosen in die Grafschaft brachte im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts das Ende der Zünfte. Nunmehr durfte jeder Bürger oder Bauer das ihm angenehme Handwerk ausüben, ja deren zwei, drei und mehr gleichzeitig betreiben. Kein Beruf erfreute sich damals eines lebhafteren Zuspruchs als der des Schenkwirts. Meist brachte er gute und teils mühelose Gewinne, der Wirt sah vergnügliche Leute um sich, hörte viel, und das Gewerbe verhalf nicht selten zu Einfluss in der Gemeinde und im öffentlichen Leben. Um eine Übersicht darüber zu haben, wie viel Leute im Bentheimischen das viel begehrte Nass ausschenkten, erging im Jahre 1830 eine Anweisung zur Inventarisierung der Schenken. Unter Kalle findet man folgende Angaben: Bd. Schröör (später Heckmann, jetzt Prinsen) – verschenkt 1½ Anker, gegründet 1822 Da die Schenken unmittelbar an dem Wege von Veldhausen über Tinholt nach Emlichheim belegen sind und dieser Weg von Frachtwagen bei trockener Zeit viel gebraucht wird, so ist die Fortdauer der Schenken nicht unerforderlich. Markenteilung 1864–1881 1864–81 nahm man die Teilung der Mark vor, bei der man 1357 ha unter 89 Teiler aufteilte. Die Mark bestand aus 318 ha Angerland, 621 ha Heide, 251 ha Suddenboden und 165 ha Moorboden. Da um diese Zeit auch der Mineraldünger aufkam, ließen sich die neu gewonnenen Flächen in ertragreiches Kulturland umwandeln. 1859 gab es in Kalle 15 Vollerben, 2 Halberben, 2 Kötter, 8 Neubauern, in Tinholt 15 Vollerben, 4 Halberben, 12 Neu- 66 Haus Heckmann etwa 1942, Frau Steiniger mit Nichte Gesiene Heckmann. (Dini Wortelen) bauern. 1866 preußisch geworden, gehörte die Grafschaft zum Großkreis Lingen, der bis 1885 bestand. Dann löste man den Kreis Grafschaft Bentheim mit den Ämtern Bentheim und Neuenhaus vom Großkreis ab; als Kreisstadt wählte man Bentheim. Es gab seit 1871 ein Deutsches Reich mit neuen dekadischen Münzen, Maßen und Gewichten; der Landbriefträger kam in die Dörfer und brachte Briefe und Postkarten mit einer 10- oder 5Pfennig-Freimarke versehen. Der Telegraph vermittelte Telegramme; um die Jahrhundertwende erlaubte der Fernsprecher Orts- und Ferngespräche. Landrat Kriege, 1886 –1920, setzte sich für Melioration (Entwässerung), Schul- und Wegebau ein. Die Schulchronik berichtet vom Schulbau 1858; 80 Jahre später, 1938, entstand ein neues zweckmäßigeres Schulhaus. Lehrer J. H. Bleumer schrieb einen humorvollen Bericht ,.Up mien Besseva sien Hoff": Die tief in der Heimat wurzelnde Charaktererhaltung der Bewohner, die Mit- und Umwelt spiegeln sich darin (siehe Seite 97). Verkehrsverhältnisse 1870–1930 Die Not auf dem Lande trieb manchen zur Auswanderung: aus Kalle H. J. Scholten, aus Tinholt Jan Mischkotte, Hermina Kaalmink, Gese Becken, Susanne Klostermann. Die Bin- A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT Haus von Loeks–Hessels (jetzt Baumann), 1956/57 abgebrochen (Dini Wortelen) dungen an die Heimat blieben erhalten und wurden gepflegt; mancher Auswanderer kehrte nach Jahren gern zum Besuch in das Heimatdorf zurück. 1870 ersetzte eine Holzbrücke den bisherigen Fährverkehr; aber diese Brücke entsprach nicht den Erwartungen. Nicht alle Bauern wollten sich an den Kosten beteiligen; der Holzbelag war bald abgenutzt und die Stützen boten bald nicht mehr die nötige Sicherheit. Der Übergang zum rechten Vechteufer, dem Verkehrsufer, gewann an Bedeutung, als 1890 die Heerstraße über Hoogstede besteint wurde und 1906 Haltestellen der Bentheimer Eisenbahn in Berge und Hoogstede entstanden. Kalle und Tinholt blieben weiter in Abseitslage. Seit 1903 diente die landwirtschaftliche Winterschule in Neuenhaus dem bäuerlichen Nachwuchs als Schulungsstätte. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte das Reichssiedlungsgesetz 1919 Raum für vertriebene Bauern schaffen. In der Folge enteignete der Staat Ödlandflächen, um sie als Siedlungsstellen vorzubereiten. Landrat Böninger, 1920–31, setzte die Kulturarbeit seines Vorgängers Kriege fort, förderte die Meliorierung der Böden, den Bau von Verkehrswegen und verschaffte den Gemeinden durch Verträge mit der RWE den elektrischen Strom als Energiequelle. Emslandplan 1951 Das Staatsgebiet Kalle–Tinholt mit mehr als 500 Hektar hat nach dem Zweiten Weltkrieg das Wasserwirtschaftsamt Meppen zur Vechte und zur Radewijkerbecke entwässert. Als 1951 der Emslandplan anlief, hielt die Technik ihren Einzug in die Vechteufergemeinden. Die Mooradministration setzte Großmaschinen ein, Tiefkuhlpflüge, Erdhobel, Scheibeneggen, Erdschaufeln und Walzen, von 128 Arbeitskräften bedient. Die Moorflächen mit Torfschichten bis zu 50 cm Dicke forderten, die Pflüge so einzustellen, dass die unterlagernden Sande mit ergriffen werden, um so eine günstige Mischkulturschicht zu erhalten. Drei Hauptvorfluter mit anschließendem Grabennetz dienen der Entwässerung. Die Gräben, parallel und gradlinig mit 200 bis 300 Meter Abstand verlaufend, sind mit Stauen versehen, die einen günstigen Grundwasserstand auch in trockenen Perioden sichern. Nachdem die Flächen eingeebnet und mit Mineraldünger und Kalk versehen waren, nahm man die Einsaat vor, bei geringeren Böden mit Lupinen, bei besseren Böden mit Roggen, Hafer oder Kartoffeln. Auch bei Grünlandflächen erwies sich eine vorherige Einsaat als günstig, um die Bodengare zu fördern. Ein Netz von Wirtschaftswegen in Abständen von 800 Meter gewährleistet den Zugang 67 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE zu den Kulturflächen; an rechtwinklig abzweigenden Betonwegen liegen die Gehöfte der Siedler. So wuchs aus einstigem trostlosen Ödland eine geplante Streusiedlung hervor, bei der die Hofstätte vom zugehörenden Kulturland umgeben ist und so ohne lange Zufahrt erreicht werden kann. 1954 konnten die ersten acht Vollerben mit je 15 ha Kulturland besetzt werden. Forstflächen und Windschutzstreifen schufen eine neue Landschaft, die mit den Schutzgehölzen um das Haus der Flur das Aussehen einer Kulturparklandschaft geben. Straßenbau 1950er Jahre Den Anschluss an das Kreisstraßennetz brachte im Jahre 1956 die Querverbindung WilsumHoogstede, deren Bau eine Sandauffuhr bis zu zwei Metern erforderte. Die nach Norden verlängerte Vechtetalstraße schuf eine schnelle Verbindung nach den zentralen Orten Neuenhaus und Emlichheim. Damit nahm der Plan der Franzosen 1813 (Franzosendiek) Gestalt an. Die Nachteile der bisherigen Abseitslage schwanden. Mit den Straßen kam die Landkraftpost und verbesserte den Nachrichtenverkehr. Betonbrücken ersetzten gefahrvolle Behelfsbrücken. Der Wasserbeschaffungsverband Niedergrafschaft sorgte für den Anschluss an die Trinkwasserleitung. Das Wirtschaftsleben erhielt in dem bisher an Bodenschätzen armen Gebiet durch Erdöl und Erdgas neuen Auftrieb. Die erste Bohrung geschah an der Gemeindegrenze Kalle-Tinholt. 1957 wurde das Gasfeld Kalle erschlossen. Das gewonnene Gas leitete man in die Gasleitung von Adorf nach Frenswegen; das Erdöl nahm die Sammelstelle Bathorn auf. Die Besiedlung verdichtete sich; 1962 gab es 16 Vollbauernstellen. Jan Jeurink gab eine bevölkerungspolitische Studie über die Bauerschaft Kalle heraus. Unter den 49 landwirtschaftlichen Betrieben gibt es zehn Stammfamilien und elf Pachthöfe; die meisten Bauern sind zugzogen. Der Altersaufbau, das Heiratsalter, Kinderreichtum, Sterbealter werden in Zahlen angegeben. In der Gemeinde gab es keine Landflucht; die Bevölkerung ist vielmehr stark bodenständig geblieben. Dem wirtschaftlichen Aufstieg folgte das Anheben der Grundausrüstung der Gemeinden. 68 In beiden Gemeinden besteht ein gutnachbarliches Zusammengehörigkeitsgefühl. In Tinholt werden auf Gesellschaftsabenden geselliges Leben und Tradition gepflegt. Übersicht 1950 Im Sammelband Landkreis Grafschaft Bentheim werden für 1950 folgende Daten gegeben: von den 1119 ha Gemeindefläche Kalle waren 584 LN (landwirtschaftliche Nutzflächen) mit einem Einheitswert von 696 Mark je Hektar, in Tinholt von 823 ha Fläche 587 ha LN mit einem Einheitswert von 756 Mark. Die Bewohner waren in Kalle mit 81 Prozent, in Tinholt mit 83 Prozent in der Landwirtschaft beschäftigt, in Industrie und Handwerk waren in beiden Orten je sieben Prozent, in Handel und Verkehr je vier Prozent beschäftigt. Die LN bestand in Kalle zu 30 Prozent aus Ackerland, zu 69 Prozent aus Grünland, in Tinholt zu 24 Prozent aus Ackerland und zu 75 Prozent aus Grünland. Das Ackerland nutzte man zu 65 Prozent mit Getreideanbau, zumeist Roggen, zu 30 Prozent mit Hackfrüchten. Die ausgedehnten Grünlandflächen erlauben einen beachtlichen Tierbestand. Die GVE (Großvieheinheit je 100 ha LN) ist für Kalle überdurchschnittlich mit 119 angegeben, für Tinholt mit 110. Beide Gemeinden sind nach ihrer wirtschaftlichen Struktur reine bäuerliche Gemeinden ohne größere gewerbliche Betriebe; in ihrem sozialen Gefüge überwiegen die Selbstständigen mit ihren mithelfenden Familienmitgliedern … Quellen Bleumer, Up mien Besseva sien Hoff, Grafschafter 1956 Bode, Naturschutzgebiet Swartes Venn in Tinholt, Grafschafter 1959 Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrbuch 1953 Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft, Heimatkalender 1951 Friedrich, Torfstichgerechtsame im Kirchspiel Uelsen, Grafschafter. 1959, Folge 75 Friedrich, Porträt einer Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960 Frommeyer u. Lögters, Erpl u. Erdgas im Emsland, Jahrbuch 1960 Jeurink, Kalle, Bevölkerungspolitische Studie, Grafschafter Nachrichten 1941 Klasink, Moorkultivierung, Grafschafter 1955, Folge 26 Sager, Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises Voort, Heberegister von Bentheim, Jahrbuch 1972 Der Landkreis Grafschaft Bentheim Zeitungsberichte der Grafschafter Nachrichten Weitere Angaben im Text Kalle Dini Wortelen Betreiber: 1954 bis 1956 1956 bis 1964 1964 bis 1974 seit 1974 Jan-Hindrik Soer Arthur Reinhardt Hermann Smitderk Heinz Hesselink und Altine geb. Nöst Bis 1976 wohnte Hermine Soer noch in diesem Gebäude, danach lebte sie bis zu ihrem Tode bei ihrer Tochter Herta in Emlichheim. Um 1978 verkaufte Hermine Soer das gesamte Gebäude an Familie Hesselink. Hesselink haben 1984 zwei Kegelbahnen gebaut und 2002 den Laden geschlossen. Farbige Postkarte Kalle, etwa um 1970 (Dini Wortelen) Gaststätte Hesselink in Kalle Eigentümer: 1939–1978 Jan Hindrik Soer (gest. 3. 2. 1975) und Frau Hermine (gest.18.11.1982). 1939 wurde ein Laden errichtet und ab 1954 gab es hier auch eine Gaststätte. Gasthaus Hesselink seit 1939 Herta Schreier geb. Soer aus Emlichheim (2007): Im Jahre 1939 hat Jan Hindrik Soer mit seiner Frau Hermine ein kleines Lebensmittelgeschäft in Kalle aufgemacht. Vorher hatte Soer Gastwirtschaft Hesselink mit Kegelbahnen, Kalle 2008 (Dini Wortelen) 69 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE in Veldhausen und Haftenkamp seine Kundschaft mit Pferd und Wagen aufgesucht. 1939 zog er mit Frau und drei Kindern nach Kalle, wo er im bescheidenen Haus sein Geschäft hatte. Es gab nicht viel zu kaufen: Imi, Soda im Stück (zum Wäsche einweichen), Kandis, Zucker, Hefe (im Stück), Erbsen, vielleicht etwas Kaffee und Buismann zum Bräunen des Kaffees(!), Petroleum – das Fass durfte noch im Laden stehen (aber nur für die ersten Jahre). Das Geschäft lief schlecht, die Bauern waren Selbstversorger. Eingekauft wurde meistens mit Eiern, die in einem Korb mit Häcksel gebracht wurden. Öfters blieb etwas Eiergeld über, dieses wurde dann ausgehändigt. Dann kamen 1940/41 die Lebensmittelmarken. Jeder bekam eine bestimmte Zuteilung an Lebensmitteln. Ich erinnere mich noch, dass einem Raucher 50 g. Tabak im Monat zugeteilt wurde! So kam es, dass viele Raucher Tabak angepflanzt haben. Es war zwar verboten Tabak zu züchten, doch er wurde versteckt im Kornfeld aufgezogen, bis er geerntet wurde. Dann wurden die unteren Blätter, die schon gelb waren, auf ein Band aufgereiht und getrocknet und dann ganz fein geschnitten. Ob der geschmeckt hat? Samstagabends mussten die Lebensmittelmarken sortiert und auf Papier geklebt werden. Da wir kein Papier, aber wohl alte Zeitungen hatten, wurden die Marken mit angerührtem Mehl auf Zeitungen aufgepappt. (Woher den Kleber nehmen?). Dann wurde dieses nach Emlichheim zur Kontrolle gebracht. Oft waren die Marken abgefallen. Es war eine Tortour!! Inzwischen war das vierte Kind geboren. Damit wir alle satt wurden, hat Papa öfters ein paar Fische gefangen, die wurden gebraten und waren lecker! Papas Hobby waren die Bienen. Diese Bienenkörbe wurden im Sommer (bei Nacht) zur Heideblüte nach Wilsum gebracht. Im Herbst war dann die Ernte, Scheibenhonig erster Klasse und Vaters ganzer Stolz. Vor allen Dingen brachte der Honig etwas „Bares“ (Geld)! 1954 wurde eine kleine Kneipe aufgemacht. Bier wurde nur in Flaschen verkauft und wenig getrunken. Dafür schmeckte der Pannenborg sche Fusel um so besser. „Dat kaule Söpie“ war 70 für die Kunden ein Hochgenuss! Auch diese Zeit hatte etwas Schönes! Unsere Flucht 1944/45 quer durch Deutschland Von Hedwig Schepers geb. Liedtke Der 22. März 1945 war ein wohltuender, angenehm friedlicher Vorfrühlingstag in Kalle. Für uns, meinem Großvater (79 Jahre), meiner Mutter (52 Jahre), meiner Schwester (22 Jahre) und meinem kleinen Bruder (8 Jahre) und mir (18 Jahre) bedeutete er das Ende der Flucht vom östlichsten Zipfel des untergehenden Dritten Reiches in den äußersten westlichen Zipfel, die Grafschaft Bentheim. Für uns alle bedeutete die Ankunft in Kalle die Ankunft in unserer zukünftigen Heimat und ein neues Leben fern der Heimat Ostpreußen, die wir am 20. Oktober 1944 verlassen mussten. Wir waren keine Gutsbesitzer, sondern wohnten als Familie eines Postschaffners in der Kreisstadt Gumbinnen in der Meelbeckstraße 20 zur Miete. Gumbinnen (heute Gusew), eine Garnisonsstadt, war bis dahin weitestgehend von den Kriegsereignissen verschont geblieben. Mit dem Heranrücken der feindlichen Armee wurde auch Gumbinnen Ziel von Angriffen. Familienfoto Liedtke vor 1934. Hedwig Schepers geb. Liedtke, Mutter Auguste, Bruder Bruno (gef. 30. Juni 42 in Russland), Vater Karl und Schwester Lieselotte (Hedwig Schepers) KALLE August 1944 umquartiert Diese Bedrohung führte dazu, dass bereits im August 1944 Frauen mit Kindern und alte Leute umquartiert wurden. Meine Mutter, mein Opa und mein jüngerer Bruder kamen von Gumbinnen ins 120 Kilometer westlicher gelegene Heinrichsdorf am Frischen Haff auf einem Bauernhof unter. Ich befand mich in der Ausbildung zur Bürokauffrau bei einem Autoreparaturwerk und Vulkanisierbetrieb mit Tankstelle und arbeitete somit in einem „kriegswichtigen Betrieb“. So blieb ich zunächst allein zurück, jedoch konnten wir uns noch gegenseitig besuchen. Am Montag, den 16. Oktober 1944, meine Mutter und mein kleiner Bruder waren zu Hause, um einige Sachen abzuholen, gab es einen schweren Bombenangriff auf Gumbinnen. Unser Haus wurde an einer Seite getroffen. Es gab keinen Strom und kein Gas mehr. Dies und die weitere Bedrohung waren der Anlass dazu, dass am 20. Oktober 1944 der Räumungsbefehl für die gesamte Bevölkerung Gumbinnens erfolgte. Damit begann unsere Flucht. 20. Oktober 1944 Erster Räumungsbefehl Meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich liefen zu Fuß in Richtung Bahnhof und wurden von einem Militärlaster eingesammelt und zum Bahnhof nach Insterburg mitgenommen. Aus dem abfahrbereiten Zug riefen Insassen uns zu, dass noch Platz sei. In Braunsberg (Ostpreußen) stiegen wir um in die „Haffuferbahn“ und erreichten noch am selben Tag Frauenburg. Hier verließen wir den Zug, um nach neun Kilometern Fußmarsch nach Heinrichsdorf zu meinem Opa zu kommen. Bis Dezember 1944 konnten wir hier bleiben. Der nächste Räumungsbefehl beorderte uns nach Mühlhausen, von wo aus wir mit dem Zug zur Bahnstation Virchow in Hinterpommern gelangten. Mit Pferdewagen wurden die Flüchtlinge dort auf Bauernhöfen verteilt. Wir kamen bei einem Bauern in Schönfeld unter. Weihnachten 1944 und den Jahreswechsel 1944/1945 konnten wir hier verbringen, meine ältere Schwester kam im Januar aus Königsberg zu uns. Im Zug – ohne Ziel Am 29. Januar 1945 kam der Bürgermeister von Schönfeld mit dem nächsten Räumungsbefehl. Wieder waren wir auf dem Bahnhof und wurden in einen D-Zug verladen, ohne unser Ziel zu kennen. Der Zug fuhr – stand und fuhr für mehr als eine Woche, die Verpflegung bestand nur aus unserem Reiseproviant. Wir landeten schließlich in Lüdershagen in Vorpommern. In der Schule des Ortes wurden wir mit warmen Essen versorgt und schliefen auf Stroh. Nur einige konnten in einem richtigen Bett schlafen. Zu Fuß mussten wir dann weiter nach Beiershagen. In einem Behelfsheim erhielten wir ein Zimmer mit doppelstöckigen Betten und einer Kochstelle auf dem Flur. Bis zum 18. März 1945 durften wir hier bleiben, dann erreichte uns der vierte Räumungsbefehl. Wieder waren wir im Zug, in Güterwaggons, ohne unser Ziel zu kennen. Mit Unterbrechungen wegen Fliegeralarm und Beschuss durch Bordwaffen, kamen wir am 22. März 1945 ziemlich erschöpft und hungrig an die Endstation Hoogstede. Sieben Wochen vor Kriegsende waren wir den Wirren des Zweiten Weltkrieges den Umständen entsprechend mit Glück und relativer körperlicher Unversehrtheit entronnen. Endstation Hoogstede 22. März 1945 In Hoogstede wurden wir mit Essen, Brot mit Butter und heißer Milch versorgt. Dann sollten wir aufgeteilt werden. Wir wollten gerne zusammenbleiben; Mama, Opa, mein Bruder, meine Schwester und ich. So kamen wir am späten Nachmittag dieses Tages nach fünf Monaten Flucht aus dem ostpreußischen Gumbinnen an der Pissa auf den Hof der Familie Schepers in Kalle an der Vechte, mit den wenigen Habseligkeiten, die man während der letzten fünf Monate über verschiedene Stationen (immer blieb etwas zurück) mit den Händen tragen und retten konnte. Auf dem Hof Schepers Auf dem Hof Schepers wurde für uns auf dem Dachboden eine Schlafgelegenheit geschaffen. Wir schliefen auf Stroh, das von notdürftig zusammengenagelten Brettern gehalten wurde, 71 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE unter den nackten Dachziegeln. Lediglich mein Großvater erhielt ein eisernes Bettgestell. Als Wohn- und Kochgelegenheit diente das Wohnzimmer der Eheleute Gerhard und Johanna Schepers (geb. Breukelman). Auf dem Hof Schepers lebten zu der Zeit sechs Personen. Ein russischer Kriegsgefangener arbeitete in der Landwirtschaft mit. Die Kriegsgefangenen, die auf verschiedenen Höfen tagsüber arbeiteten, waren in der alten Kaller Schule untergebracht. Durch Mithilfe bei den Arbeiten auf dem Hof verdienten wir unsere Unterkunft und Essen. Opa hackte Holz, Mama wusch Milchkannen und Wäsche. Meine Schwester half auch auf dem Hof und in der Küche im Gefangenenlager Bathorn. Hedwig, Mutter Auguste und Bruder Gerhard Liedtke vor dem Haus Schepers, um 1948. (Schepers) Einkaufen, Schule und Kirche Es war schon ein großer Unterschied, zwischen der Kreisstadt Gumbinnen und der Landgemeinde Kalle. In Kalle gab es einen einzigen kleinen Laden, das Geschäft „Soer“ (heute Gaststätte Hesselink) an der Wegekreuzung Hoogstede-Wilsum. Um nach Hoogstede zu kommen, mussten wir entweder über den kleinen Vechtesteg nach Arkel oder über die Holzbrücke in Tinholt gehen. Es gab keine befestigten Wege und nur teilweise elektrisches Licht. Auch die Umgangssprache „plattdeutsch“ war für uns fremd und führte zu einigen „Verständigungsschwierigkeiten“. Mein Bruder musste in Kalle zur Schule gehen. Lehrer war zu der Zeit ein Herr Koring und seine Tochter Marga war Schulhelferin. Erst nach Kriegsende fiel für ein halbes Jahr die Schule aus und begann am 28. August 1945 erneut unter der Lehrerin Ilse Hartmann. Frl. Hartmann war wie wir lutherisch. Sonntags gingen wir oft gemeinsam zu Fuß zu den Gottesdiensten, die in der reformierten Kirche in Hoogstede für „Lutheraner“ von Pastor Nitsche gehalten wurden. Haushalt, Landwirtschaft und Moor Ich selbst arbeitete nach kurzer Zeit als Haushaltshilfe bei der Familie van Faaßen (Cousin der Familie Schepers) im Kaller Feld (heute Hof Hindrik Speet). Im Kaller Feld gab es kein elektrisches Licht und wie in ganz Kalle gab es nur Sandwege, Heide und Feuchtwiesen. Jeden Tag bin ich zu Fuß dorthin gegangen, morgens hin und abends zurück. Neben allgemeiner Hausarbeit und Feldarbeit wurde im Frühsommer im Bathorner Moor Torf gestochen. Mit dem Fahrrad (ab und zu mit Pferd und Wagen) fuhren wir ins Moor. Als Verpflegung gab es Pfannkuchen, Eier, Brot und Speck. Der Weg führte über die Holzbrücke von Tinholt nach Hoogstede und dann über Sandwege bis ins Moor bei Bathorn. Langsam normalisierte sich das Leben und wir gewöhnten uns an unsere neue Heimat. Dazu gehörte, dass die provisorische Bleibe ausgebaut wurde und nach und nach Dinge des täglichen Bedarfs angeschafft wurden. Ein großer Verlust war der Tod meines Opas im 72 KALLE Februar 1947. Ebenfalls 1947 heiratete meine Schwester ihren ostpreußischen Verlobten, der 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, in der reformierten Kirche in Hoogstede und zog dann nach Osnabrück. Meine Mutter und mein Bruder wohnten bis 1961 bei der Familie Schepers. Mein Bruder heiratete 1961 und zog nach Hoogstede. Er nahm meine Mutter mit, die bis zu ihrem Tod 1962 bei ihm lebte. 1950er Jahre Bis 1950 war ich bei der Familie van Faaßen im Haushalt, den ich nach dem Tod der Ehefrau und Mutter 1947 bis zu seiner erneuten Heirat führte. Danach arbeitete ich im Kaufhaus Fühner in Emlichheim als Verkäuferin. Im Mai 1954 wurde ich die Ehefrau von Gerrit Jan Schepers, dem jüngsten Sohn der Familie Schepers, die uns nach der Flucht aufgenommen hatte. Unseren eigenen Hausstand gründeten wir in unserem neuen Haus ebenfalls in Kalle. Seitdem gehöre ich zur altreformierten Kirche in Hoogstede und habe einen festen Platz in meiner neuen Heimat gefunden. Heimatvertriebene in Kalle nach 1945 Von Hedwig Schepers, Herbert Ensink und Dini Wortelen 1. Ehepaar Neumann aus Ostpreußen wohnten in der alten Schule mit Tochter (verheiratet Gnass) mit Mann, Edith und Erwin, 2. Ehepaar Lendzian wohnten bei Lobbel 2 Söhne Walter und Otto wohnten in der neuen Schule, 3. Frau Anna Grotzky und Mann mit Sohn Günter wohnten zuerst bei Wortelen in Bahne, dann bei Hermann Wortelen, Kalle, 4. Frau Hagel mit 3 Söhnen und 1 Tochter wohnten bei Albers, heute Hof Baumann, 5. Frau Anna Marksteiner und Rudolf Pf(F)eiler wohnten bei Kleine-Lambers, heute Hilberink, 6. Frau Bleihöfer und Tochter Magda (Tochter – als Aushilfe bei Hermann Wortelen) wohnten bei Lübbers (heute Meyerink), 17. Herr Herbert Fleischmann und Herr Werner Lorenz wohnten erst bei Bauer G. J. Groene, danach in der alten Schule (Nachfolger von Ehepaar Neumann), 18. Frau Lydia Hegenbarth wohnte bei H.-J. Groene, heute Arends Koppeldiek, 19. Frau Samuleit und Sohn Rudi wohnten bei Heckhuis, 10. Frau Schwarz mit 2 Söhnen, danach Ehepaar Derjung mit Sohn, Tochter war bei Heckmann, anschließend Frau Vera Pilz aus Polen (gehörte zu den Jehovas Zeugen), wohnten bei Speet, Bahne, 11. Frau Selma Nickel und Mann mit Sohn Erwin und Tochter Erika Vor Nickel war eine Mutter mit Tochter Grete da, (Name ist unbekannt), wohnten bei Geers, Bahne (Erwin war lange Zeit B-Soldat bei Geers), 12. Frau Helene Maurieschat und Tochter Maria (kamen 1945), wohnten bei Dietrich Plasger. Die Tochter war schon bei ihrer Ankunft schwer an Krebs erkrankt und starb nach sechs Wochen. Sie wurde in Emlichheim beigesetzt. Später zog Helene zu ihren Töchtern ins Ruhrgebiet. 13. Herr Willi Kesselhut wohnte bei Lübbers (heute Meyerink) und war als B-Soldat eingesetzt. Später folgten seine Eltern Karl und Minna Kesselhut mit Sohn Erich. Nach einigen Monaten zogen sie in die Emlichheimer Weusten, wo Minna als Haushälterin bei Familie Koers arbeitete. 13. Familie Hoffmann wohnte bei G.J. Groene, und 2 Söhne (Herbert und Friedel) wohnten bei Jan-Harm Teunis. 14. Frau Rudat und Sohn (der Mann war bei der Regierung in Osnabrück beschäftigt) wohnten bei G.J. Groene. Sie zogen 1947 nach Osnabrück. 15. Frau Auguste Liedtke mit Sohn Gerhard und 2 Töchter Lieselotte und Hedwig (heute Schepers) und Opa Liedtke, wohnten bei Gerhard Schepers. 73 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Die Gründung der Kaller Siedlung um 1950 Dini Wortelen Über fast die ganze spätere Kaller Siedlung erstreckte sich bis 1950 eine öde Landschaft mit viel Heide und wildem Gras. Das Moor war einen halben bis einen Meter tief und von einzelnen gefährlichen Moorkuhlen durchzogen. Bis in die 1930er und 1940er Jahre kamen Menschen aus den umliegenden Ortschaften Kalle, Tinholt, Wilsum und Haftenkamp hierher, um Grassoden (Plaggen) zu stechen. Kinder mussten die Soden umlegen, damit sie trockneten. Diese Soden wurden anstelle von Stroh in die Viehställe eingebracht. Von dort aus wanderten sie als Dünger auf den Acker, die Esche oder Kämpe. Sie sind durch diese Art der Düngung im Laufe der Jahrhunderte immer höher geworden. In der späteren Kaller Siedlung weideten früher die Schafe der umliegenden Höfe in der Heide unter Aufsicht der Schäfer. Einige Heideflächen waren das Koffiegat, das Teegat, das Plaggengat, Egbers Venne oder der Fettpott. Kleine Flächen dieses Gebietes gehörten einzelnen Landwirten, der größte Teil war Markengrund (also allgemeiner Besitz der Gemeinde) oder später Staatseigentum. 74 Um 1950 wurde das Ödland kultiviert. Ein Ottomeyer-Pflug pflügte den Boden bis zu zwei Meter tief um. Der Pflug wurde zwischen zwei Dampfmaschinen (Lokomotiven) mit einem Drahtseil von einem Ende des Feldes zum anderen gezogen. 1950/51 legte man Wege und Entwässerungsgräben an. Ein- bis eineinhalb Meter Moor musste zuerst mit der Schaufel abgegraben und auf Loren abtransportiert werden. Die Gräben wurden teils im Akkord ausgehoben. Ein Teilstück wurde morgens abgesteckt; wenn es fertig war, hatte man seinen Lohn verdient. Eine Arbeitswoche zählte 48 Stunden. Diese Arbeiten führten die Firmen Schneider, Schoemaker und Holzmann aus. Es wurde bekannt, dass in Kalle neue Siedlerstellen errichtet werden sollten. Interessenten konnten sich beim Kulturamt in Meppen bei einem Dr. Schulte melden und bewerben. Der sah sich die „Bewerberhöfe“ an, was sie an Vieh und Maschinen hatten, und ob sie für die bereits errichteten Siedlerstellen geeignet wären. Familie Voß erhielt am 22. Mai 1954, genau am 50. Hochzeitstag der Eltern, eine Zusage. Sie zog am 17. Juni 1954 in ihr neues Haus ein. Ottomeyerpflug (Aus „Alt-Hoogstede“) KALLE Der Hof Vos in der Kaller Siedlung um 1955/56 (Dini Wortelen) 1953 war schon eine ganze Reihe von Siedlerstellen fertig. Breman, Koschnik, Robbert, Roseman, Teunis und Wegert zogen 1953 ein. 1954 folgten sieben weitere Familien: Baggert (heute Magritz), Büter, Esschendal, Herms, Rex (heute Wehner), ter Horst und Voß. 1955 kamen schließlich die Höfe Bergmann, Dünow und van Faassen (heute Arends) und die Kleinsiedlerstelle Wever (heute Germs) dazu. Wever arbeitete beim Kulturamt Meppen, das zu diesem Zeitpunkt eine Nebenstelle auf dem Hof von Hilse errichtet hatte, damals noch Jansen. Dr. Schulte hatte hier auch sein Büro. Die Landwirte, die eine Zusage hatten, konnten in fertige Häuser einziehen. Die kul- tivierten Flächen waren schon mit Gras, Kartoffeln und Getreide bestellt. Jeder Siedler bekam die gleiche Flächengröße von jeder Frucht zugeteilt. Die Siedler mussten vom Einzug an jedes Jahr einen kleinen Betrag an das Kulturamt Meppen entrichten, sodass die Stelle im Laufe der Zeit Eigentum werden konnte. Um 1961 wurden die Sandwege in der Kaller Siedlung zu Straßen ausgebaut. In der Kaller Siedlung entspringt der Radewijker Bach, der die Siedlung entwässert. Er fließt durch Wilsum, Wielen und danach weiter durch Radewijk in den Niederlanden. Er mündet in die Vechte. Hof Büter in Kalle um 1960 mit sieben Getreidemieten (Günter Büter) 75 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Der Vechtesteg Kalle-Arkel (etwa 1946 bis 1961) Von Dini Wortelen Früher – kaum jemand war damals motorisiert – ein Steg von Kalle nach Arkel führt; nicht aus Beton, sondern aus dicken Eichenbrettern. Hinüberzugehen glich mehr einem Klettern. Der Steg bedeutete den Menschen viel, suchten sie am anderen Ufer der Vechte ihr Ziel. Hatte man Glück, gab es ein Fahrrad im Haus, sonst ging man zu Fuß in Klumpen hinaus. Der Steg war nicht wirklich sehr breit. Man ging hintereinander, nicht zu zweit. Einseitig ’ne Latte – mehr gab es nicht, das reichte den meisten fürs Gleichgewicht. Oben und unten: Vechtesteg Kalle-Arkel, 1956 (Gerrit Ranft) Durch die Vechte verlief die Furt neben dem Steg für Pferdegespanne – ein beschwerlicher Weg. Fröhliche Kinder spielten sommers im Fluss. Heute fährt man kilometerweit mit dem Autobus. Flussabwärts bei Bahne – von Arkel nicht weit, gab’s noch einen Steg; so sparte man Zeit, den Weg nach Arkel und Ringe zu geh’n. Nur leider war es sehr unbequem. Vor fünfzig Jahren dann eine richtige Brücke für Kalle – bei Bahne schloss sich viel später die Lücke. Von vielen Radfahrern wird die dort benutzt; aber Autofahrer halten verdutzt. Hier heißt es für sie: Rückwärtsgang rein! Drüberfahren darf nicht sein! 76 Neue Fahrradbrücke bei Bahne, seit 1999 (Jan Hindrik Teunis) KALLE Straßenbau Von Dini Wortelen Wasserfreie Straße beantragt in 1931 Eingabe der Einwohner von Arkel „Wir Unterzeichneten haben im Winter überaus schlechte Wegeverhältnisse. Bei einer geringen Überschwemmung steht unser Hauptweg unter Wasser, und Arkel ist einer Insel gleich. Hier haben wir zur Zeit sieben schulpflichtige Kinder, die dann oft wochenlang mit dem Fuhrwerk durchgefahren werden müssen. In Krankheitsfällen kann dann kaum ein Arzt nach hier kommen. Bei mäßigem Frost, wenn das Eis nicht hält, und der Weg auch mit Führwerk nicht passiert werden kann, ist es schon vorgekommen, daß Kinder auf dem Bahndam zur Taufe getragen wurden. Die Eltern mussten sich also nicht nur der Strafe, sondern auch der Gefahr aussetzen. Sollte in solcher Zeit eine Beerdigung stattfinden müssen, so wären wir in größter Ver-legenheit. An eine Milchlieferung an die Molkerei im Winter ist nicht zu denken. Auch hat der Handel viel darunter zu leiden, da oft ein Viehtransport unmöglich ist und die Händler dann zurück bleiben müssen. Selbst der Schornsteinfeger hat das vorige Mal nicht fegen können, weil der Weg nicht passierbar war. Ähnliche Fälle könnten wir wohl viele anführen. Früher konnten wir per Kahn Hoogstede erreichen, das ist jetzt unmöglich, da die Wiesen mit Stacheldraht durchzogen sind. Von seiten der Gemeinde ist schon viel zur Linderung der Not geschehen, aber es bleibt dieselbe Lage. Da wohl kaum ein Ort der ganzen Grafschaft so schlechte Wegeverhältnisse hat, erlauben wir uns, eine wasserfreie Straße zu beantragen. Arkel, den 21. März 1931 gez. J. Jeurink, J. Scholten, G.J. Scholten, J.W. Warmer“ Aus einer „Denkschrift über die Verkehrsverhältnisse im Kreise Grafschaft Bentheim, herausgegeben vom Ausschuß für Verbesserung und Neuanlegung von Straßen und Wegen in der Grafschaft Bentheim“. Als Manuskript gedruckt, Nordhorn, August 1931. Die Straße nach Arkel steht auch heute ab und zu einmal unter Wasser (Johann Kemkers) Alte Vechtetalstraße 1951/53 1951 plante der Kreis eine Straßenverbindung von Emlichheim über Kalle und Tinholt nach Haftenkamp und Neuenhaus. Abschnittweise wurden diese Arbeiten ausgeführt. Etwa zwei Kilometer wurden von Emlichheim aus über Oeveringen ausgebaut. Ein Herr Pikkemaat aus Nordhorn, der die Jagdpacht hatte, lieferte das Material, große Sandsteinbrocken, für den Unterboden für die erste Befestigung. Die Landwirte aus Kalle haben dieses Material verarbeitet. Man hoffte, dass man mit weiterer Unterstützung des Kreises die Straße wenigstens bis zur Ortsmitte von Kalle weiterbauen könne, um dadurch einen Anschluss an die geplante Straße von Wilsum nach Hoogstede zu bekommen. Der Straßenbau Emlichheim–Kalle wurde erst 1953 wieder in Angriff genommen. Für etwa zwei Kilometer wurden die erforderlichen Mittel durch Darlehen bereitgestellt, so dass die Straße Ende 1953 bis in die Nähe der Schule ausgebaut war. 1954 wurde die Verbindung Emlichheim–Kalle–Tinholt–Haftenkamp–Neuenhaus ganz fertig. Wilsumer Straße 1952–1957 Die Straße Wilsum–Hoogstede ist 1952 bis nach Kalle gebaut worden, und zwar bis zur Gaststätte Hesselink, damals Soer. Der weitere Verlauf musste nun erst beschlossen werden. Die Gemeinde Tinholt wünschte die Weiterführung durch Tinholt, um in den Genuss einer Straße zu kommen und 77 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE September 1955, vor der Vechtebrücke in Kalle (Willy Friedrich) von dem kostspieligen Unterhalt der Vechtebrücke befreit zu werden. Bei diesem Plan ergaben sich aber Schwierigkeiten. Das Kulturamt Meppen wünschte eine Weiterführung gradlinig über den „Kaller Mäss“ in Richtung Hoogstede, um dort die Verbindung mit der bereits ausgebauten Betonstraße durch das Bourtanger Moor zu erhalten. Schwierigkeiten im Straßenbau ergaben sich in Hoogstede mit der Bentheimer Eisenbahn. Sie ließ keinen neuen Bahnübergang zu, solange die Sicherheit nicht gewährleistet sei. Besichtigungen, Verhandlungen im Kreistag und mit der Bentheimer Eisenbahn lösten einander im Frühjahr 1955 ab. Die Weiterführung von Kalle in Richtung Hoogstede wurde beschlossen. Die Firma Holzmann bekam den Zuschlag. In wenigen Monaten waren der Fahrdamm teilweise bis zu drei oder vier Meter aufgefahren, die Vechte im Bereich der Brücke reguliert sowie Brücke und die Betonstraße fertiggestellt. Nur ein Sanddamm von etwa 800 Meter Länge war noch nicht gepflastert, da sich der Boden erst setzen musste. Am 16. Dezember 55 wurde die neue Brücke dem Verkehr übergeben. Regierungspräsident N. Friemann zerschnitt das Band. Vertreter des 78 Wasserwirtschaftsamtes Meppen, des Kreises und der Firma Holzmann, die Arbeiter und Einwohner von Kalle und Tinholt hatten sich an der neuen Brücke eingefunden. Die Kinder der Schulen Hoogstede und Kalle gaben mit Liedern und Gedichten der Stunde einen feierlichen Rahmen. Noch hinderte der Sanddamm den Durchgangsverkehr, noch war die Blinklichtanlage nicht fertiggestellt und der Bahnübergang nicht freigegeben; aber für die Gemeinde Kalle bildeten Brücke, Damm und Straße schon eine wesentliche Verbesserung. Die Querverbindung nach Hoogstede war geschaffen. Hochwasser und Schlamm würden den Bewohnern keine Sorgen mehr bereiten wie vorher. Im Frühjahr 1956 wurden die Arbeiten an der Betonstraße Wilsum–Hoogstede wieder aufgenommen. Der Sanddamm erhielt eine Betondecke. Am 05. September 1956 war die Straße fertig. Man rechnete mit einer schnellen Freigabe der Querverbindung. Landkreis und Kreisbahn wurden sich nicht einig über die Über- nahme der Kosten bei möglichen Verkehrsunfällen und einer eventuellen Beschrankung, falls die Straße einmal eine Bundesstraße würde. KALLE Einweihung Vechtebrücke Kalle 1955. Links dirigiert Lehrer Schlötel, rechts mit Hut Lehrer Friedrich Wüppen. (Willy Friedrich) Die Bevölkerung wurde ungeduldig und überlegte schon, Maßnahmen zu ergreifen. Das „heikle“ Problem der Bahnkreuzung löste sich überraschend: Am 12. Februar 1957 setzte die Kreisbahn die Blinklichtanlage in Betrieb. Niemand erfuhr, warum das plötzlich möglich war. Ohne „feierliche“ Übergabe wurde die Straße freigegeben. In den Monaten zuvor hatten die Kaller schon die Straße und den Bahnübergang beim Hof Stroot benutzt. Abbildung 50 September 1955 beim Bau der neuen Brücke in Kalle (Willy Friedrich) Regierungspräsident N. Friemann zerschnitt das Band. (Willy Friedrich) 79 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Franzosendiek 1965–1966 Im Sommer 1965 wurde ein Teilstück des Franzosendieks von Emlichheim bis Kalle (Hein Wortelen) bereits fertiggestellt. Im Jahr 1966 sind die Mittel für den zweiten Bauabschnitt bewilligt und der Firma Kwade, Groß-Ringe, die Arbeiten übertragen worden. Schwierigkeiten bot die Kreuzung mit der Betonstraße Hoogstede–Wilsum. Man dachte zuerst an eine Über- oder Unterführung, nahm davon jedoch wieder Abstand. Es entstand nun eine „übersichtliche, geräumige Kreuzung“. Bis zum Jahresende 1966 war die Straße als Pflastersteinstraße fertiggestellt. An der Kreuzung hat es in den späteren Jahren viele Todesopfer gegeben. Sie war bekannt als „Todeskreuzung“. Erst der vor wenigen Jahren gebaute Kreisverkehr hat hier Abhilfe geschaffen. Hochwasser 1960/61 Im Dezember 1960 gab es eine allgemeine Hochwasserkatastrophe. Nach der großen Dürre im Sommer 1959 und dem Wassermangel im Frühjahr 1960 glaubten viele nicht mehr an ein Hochwasser. Die letzte Hochwasserkatastrophe von 1946 war nur noch wenigen in Erinnerung. Durch heftige Regenfälle stieg das Grundwasser schnell, die Vechte erhielt rasch große Wassermengen zugeführt und trat über ihre 80 Ufer. Gewaltige Wassermassen drangen von Neuenhaus und Esche nordwärts. Am 6. Dezember 1960 brachen die Dämme in Tinholt. Unaufhaltsam drängten die Fluten vorwärts. Am 8. Dezember 60 brach auch in Kalle der Damm. Die Straße unterhalb der Schule in Richtung Emlichheim stand unter Wasser. Nur wenige Kinder kamen morgens zur Schule. Einige mussten sofort wieder zurückgeschickt werden, damit sie nicht durch die Wassermassen von zu Hause abgeschnitten würden. Lehrer und Kinder beteiligten sich am Aufwerfen von Dämmen. Vormittags konnte die Flut gehemmt werden, nachmittags brachen die neuen Dämme und das Wasser drang weiter vor. Die Häuser lagen wie Inseln im Wasser und mussten einzeln durch Dämme geschützt werden. Zum Glück setzte gutes Wetter ein, sodass die Fluten anschließend rasch wieder abzogen. Mit solch einer Hochwasserkatastrophe hatte niemand gerechnet. Kartoffelmieten und Roggendiemen waren in der Nähe der Häuser an niedrigen Stellen errichtet. Der Schaden war umso größer. „Doar häw moal weer good Leergäld gewen“, seggt de Buren, „up`t anner Joar weet wij wall wär, woor wij unse Mieten maaken mött!!“ Hochwasser in Tinholt 1962, Milchkannentransport (Dini Wortelen) KALLE Vechteregulierung 1961–1963 Vechteregulierung 1961 (Hilde Neuwinger) Die Kreisverwaltung nahm danach die Vechteregulierung in Angriff. Die Hochwasserkatastrophe im Frühjahr 1961 hatte gezeigt, dass eine vollständige Regulierung unbedingt erforderlich war. Da im Raume Emlichheim einige Landwirte Probleme hatten mit der Landabgabe, wurde der Abschnitt Kalle zuerst reguliert. Mit dem Brückenbau im Zuge der Betonstraße nach Wilsum war bereits 1956 ein kleiner Abschnitt der Vechte an beiden Seiten der neuen Brücke fertiggestellt. Im Juli 1961 liefen die Arbeiten an. Für Kalle und Arkel bestand nun die Möglichkeit, die Wege in Ordnung zu bringen. Pausenlos fuhren die Lastwagen den ausgebaggerten Vechtesand auf die umliegenden Wege und erhöhten sie teilweise bis zu einem Meter. Vor den Höfen Groene, Baumann, Ellen (Neerken) und EversLichtenborg wurde in Richtung Bahne ein Deich errichtet, so dass das Hochwasser diesen Bauern und ganz Kalle nicht mehr gefährlich werden konnte. Die Arbeiten nahmen den ganzen Herbst in Anspruch. Die Vechtewiesen boten keinen schönen Anblick, Lastwagen und große Sandhaufen bedeckten das Gelände, viele Naturschönheiten verschwanden. Gerade der Raum Arkel war vorher landschaftlich ein besonders ruhiges, anmutiges und vom Wild geliebtes Fleckchen. Die kleine „Notbrücke“ – eine Verbindung von Arkel nach Kalle (siehe unter „Arkel“ „Vechtesteg“, Seite 74) – musste verschwinden. Als Entschädigung erhielt Arkel eine Straße an der Ostseite der Vechte und damit eine sichere Verbindung zur Betonstraße und den Ländereien in Kalle. Allerdings wurde die Straße nicht zu einem Damm erhöht, um ein Überfluten bei Hochwasser zu ermöglichen. Man befürchtete, das Flussbett könnte bei Hochwasser die Wassermengen nicht fassen. Auch der Winter 1961/1962 war sehr nass. Mehrmals war die Grafschaft von Überschwemmungen bedroht. Kalle hatte nichts mehr zu befürchten. Die neuen Dämme hielten dem Wasser stand, die Höfe waren sicher. Für die betreffenden Bauern gab es erstmals ein Gefühl von Geborgenheit. Nur Tinholt hatte noch einmal unter Hochwasser zu leiden. 1962 sollte der Abschnitt von der Gemeindegrenze Tinholt flussabwärts bis zur Betonbrücke in Kalle reguliert werden. Der Straßenbau entlang der Vechte (nach Arkel) verzögerte sich durch das Hochwasser und eine anschließende Frostperiode. Mit dem Beginn des Frühjahrs wurden die Arbeiten rasch in Angriff genommen und die Straße im Laufe des Monats März fertiggestellt. Die Straße wurde den Arkelern bis ans Haus gelegt. Nun waren sie glücklich und zufrieden, nun lohnte sich sogar ein PKW. Die Vechteregulierung ging 1962 weiter. Der Bauabschnitt reichte von der neuen Vechtebrücke in Hoogstede-Kalle bis zur Grenze von Tinholt und Scheerhorn. Das wichtigste Problem war der Raum an der alten Brücke nach Tinholt. Man plante den neuen Verlauf der Vechte in Richtung „Fährmann“ (Meßdag). Das Wohnhaus sollte verschwinden, man wollte Meßdag im Tinholterfeld ansiedeln. Die Verhandlungen führten zu keinem Erfolg. 81 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Man verbreiterte nun das Flussbett nach der Hoogsteder Seite, sodass Landwirt Weuste noch näher an die Vechte kam. Es wurde ihm zugesichert, das Ufer so zu erhöhen und zu festigen, dass keine Überschwemmung mehr möglich sei. Die alte Vechtebrücke in Tinholt war baufällig. Im Zuge der Vechteregulierung entstand eine neue Brücke, deren Bau man noch im Jahre 1962 in Angriff nahm. Sie sollte vom Landkreis unterhalten werden. Darüber freute sich die Gemeinde Tinholt. Die Vechtelandschaft bekam durch die Regulierung ein neues Gesicht, da auch gleichzeitig die Zubringer und Gräben reguliert wurden (Lee und Brennergraben). Die Naturschönheiten in Arkel und dem „Mäss“ in Kalle-Tinholt verschwanden. Das Gelände wurde abgeholzt. Gerade diese Flecken waren vorher kleine „Oasen“ im Wildgebiet. Der Winter brachte allgemein große Überraschungen und Schwierigkeiten. Mitte Dezember setzte strenger Frost ein und dauerte bis Anfang März. Während dieser Zeit lag ununterbrochen Schnee. Es gab ungekannte Schneeverwehungen. Sylvester 1963 waren sämtliche Straßen der Niedergrafschaft geVor der Regulierung auf dem Kaller Mäss: Hilda Kelder geb. Teunis, Jan-Harm Teunis und Gerda Lambers geb. Teunis (Jan Hindrik Teunis) 82 Die Tinholter Brücke in 1963 (Willy Friedrich) sperrt, viele Autos steckten im Schnee fest. Bauunternehmer wurden aufgefordert, mit Raupen die Straßen zu räumen. Das gelang aber nicht überall, da immer neue Schneeverwehungen einsetzten. „Dit is nen düüren Winter, nen richtigen aulerwetschen Winter,“ hörte man die Leute klagen. Mit dem frühen Beginn des Winters musste die Firma Diekel aus Bentheim die Arbeiten einstellen. Sie ruhten bis Mitte März 1963. KALLE Erdgas in Kalle 1957 Bau der Erdgasleitung Kalle–Ochtrup, 1978 (Willy Friedrich) Aus der Chronik der Schule „Erdölbohrung in Kalle!“ – das war die „Neujahrsüberraschung“ zu Beginn des Jahres 1957. In der Nähe von Landwirt Bonge errichtete man den ersten Bohrturm. Anfang 1958 wurde zwar kein Erdöl, dafür aber Erdgas gefunden. Für Kalle war das ein großes Erlebnis. Das Gas wurde zunächst angezündet. Eine mächtige Flamme erleuchtete Tag und Nacht die nähere Umgebung. Im Laufe des Sommers baute man eine Gasleitung von Kalle zum Bohrturm am Bathorner Diek. Erdgasspeicher in Kalle Etwa 2100 Meter unter der Oberfläche von Hoogstede-Kalle liegt eine etwa sechzehn Meter mächtige, poröse Sandsteinschicht. Die Poren in dieser Schicht sind mit Salzwasser gefüllt und eignen sich hervorragend, um Erdgas zu speichern. Über Stahlleitungen mit einem Durchmesser von sechzig Zentimetern wird Erdgas aus Norwegen bis nach Kalle geleitet. Durch große Kompressoren, mit einer Antriebsleistung von 17.800 PS, wird das Erdgas mit hohem Druck in die Sandsteinschicht gepresst. Dadurch wird das Salzwasser aus den Poren verdrängt. 620 Millionen Kubikmeter Erdgas werden so sicher unterirdisch gespeichert. In einer Stunde kann die Anlage 250.000 Kubikmeter Erdgas ein- und 450.000 Kubikmeter ausspeichern. Mehr als eine Million Haushalte und große Industriebetriebe, überwiegend in Nordrhein Westfalen, werden aus Kalle mit Erdgas versorgt. Der Speicher Kalle ist seit 1978 in Betrieb. Elf Mitarbeiter aus der unmittelbaren Umgebung haben hier einen sicheren Arbeitsplatz. Luftbild Erdgasspeicher Kalle, Frühjahr 2007, Blickrichtung Emlichheim (RWE) 83 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Bürgermeister der Gemeinde Kalle 1917–1974 Von Dini Wortelen Bürgermeister war in 1917 Jan Brünink *28.09.1856 Emlichheim – †20.01.1929 Bahne und Ehefrau Hillegien geb. Poll. 1948/49–1952 Jan Evers *18.01.1901 Kleinringe – †17.02.1998 Kalle, verheiratet mit Jakoba geb. Trüün Bürgermeister Jan Evers (Dini Wortelen) 1952–1974 Johann Schroven *04.08.1912 Kalle – 07.06.1983 Kalle, verheiratet mit Altien geb. Kemken Bürgermeister Jan Brünink und Hillegien geb. Poll, um 1920 (Dini Wortelen) 1945 Gerd Ensink (genannt Weermann) (Laut Grafschafter Heimatkalender von 1926 war er bereits zu der Zeit als Bürgermeister im Amt tätig) *15.08.1887 Kalle – †02.06.1947 Kalle und Ehefrau Jennegien geb. Hans 1974 erfolgte die Gemeindereform. Die bis dahin selbstständigen Orte Kalle, Tinholt, Berge und Scheerhorn wurden jetzt mit Hoogstede in der neuen politischen Gemeinde Hoogstede zusammengefasst. Bürgermeister Johann Schroven (Dini Wortelen) Zeichnung Haus Evers (Toomsen) von Rudolf Oppel, Eigentum Familie Toomsen, Kalle (Dini Wortelen) Bürgermeister Geert Ensink (1887–1947) und seine Ehefrau Jennegien, geb. Hans (1989–1976) (Geert Ensink, Kalle) 1945–1948/49 Hermann Wortelen *16.01.1901 Bahne – †18.03.1985 Bahne verheiratet mit Gesina geb. Züter Bürgermeister Hermann Wortelen (Dini Wortelen) 84 In diesem Haus wohnte zuletzt Familie Lichtenborg, die ca. 1963 ausgezogen ist. Seitdem steht das Haus leer und wird von Familie Toomsen als Wirtschaftsgebäude genutzt. Der ehemalige Bürgermeister Jan Evers wohnte seit seiner Hochzeit nebenan in dem unten abgebildeten Haus. Er hat es von seinem Onkel (ebenfalls ein Jan Evers) geerbt. Es wurde später mehrfach vermietet. Haus Jan Evers, jetzt Toomsen Kalle, um 1925 (Hilde Neuwinger) KALLE Kaller Gemeinderat 1950/51 beim Bürgermeister Jan Evers Von links: Wilhelm Speet, Heinrich Pikkemaat (Jagdpächter in Kalle), Gerhard Brüning (genannt Büscher), Johann Scholten, Arkel; Heinrich Rakers, Hein Wortelen, Hindrik-Jan Groene, Bernd Schlee (stehend) Jagdaufseher, Kollege von Pikkemaat (Dini Wortelen) Haus Jan ter Veen Von Dini Wortelen Fast über Nacht oder jedenfalls ganz kurzfristig hat Jan ter Veen sich um 1950 ein kleines Haus von zwei mal fünf Metern auf sogenanntes „Niemandsland“ (es gehörte dem Staat) im Kaller Feld gebaut. Es stand nahe am Haftenkamper Diek, etwa gegenüber von Familie Groene. Damals galt: Alles was bis zu zehn Quadratmeter Fläche gebaut wurde, brauchte nicht genehmigt zu werden. Später hat ter Veen den größeren Wirtschaftsteil angebaut. Hierfür hat er die Dachziegel der alten Kaller Schule benutzt. Seine Frau Klasina war eine geborene Heckhuis aus Kalle. Sie lebt seit einigen Jahren im Altenzentrum in Emlichheim. Der Niederländer Jan ter Veen ist am 25. Oktober 1994 in Neuenhaus verstorben. Er hat längere Zeit die Milchkannen der Landwirte mit Trecker und Wagen zur Hoogsteder Molkerei gefahren. Am 13. November 1972 wurde das Dach durch einen gewaltigen Sturm sehr beschädigt, doch Jan ter Veen war bereits vorher nach Denekamp, direkt hinter der Grenze, gezogen. Im März 1973 wurde dieser „Schandfleck“ in den Grafschafter Nachrichten aufgenommen, doch versehentlich unter Tinholt. Zwei Tage später folgte eine Berichtigung. Haus von Jan ter Veen, Haftenkamper Diek, (Dini Wortelen) 85 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Gemeindefahrt und -fest In Kalle werden bereits zig Jahre Gemeindefahrten angeboten. Im Anfang waren sie für Jung und Alt bestimmt. Seit 1986/87 gibt es dann für die Jüngeren ein Kaller Gemeindefest in verschiedenen Maschinenhallen der Landwirte. Meistens hilft die umliegende Nachbarschaft beim Säubern, Schmücken und Bedienen beim Fest. Seit 2007 gibt es zusätzlich einen „Altennachmittag“ in der ehemaligen Kaller Schule für diejenigen, die nicht mehr an der Fahrt teilnehmen können. Kaller Gemeindefahrt etwa 1968-70,hinten links: Jan und Klasina ter Veen, mitte links: Altien Schroven, vorne links: Mina Herms, rechts: Johann Schroven, daneben: Janna und Hindrik-Jan Groene (Dini Wortelen) Altes Haus von Teunis. Hindrik-Jan Teunis, geboren am 21.07.1824 in Emlichheim, hat etwa 1850 die kleine Hofstelle von Weermann (heute Ensink) erworben. In einer Viehzählung aus dem Jahre 1707 heißt das Haus „Weermanns Schüre“. Von Süden gesehen stand sie direkt vor Weermann. Sie wurde im Jahre 1945 abgebrochen. (Jan Hindrik Teunis) Wottel Harm vertelld Johann Kemkers Unter der Überschrift „Wottelharm ut Tinholt vertelt“ kursier(t)en in Haftenkamp und Gölenkamp viele Erzählungen von dem Neubauern Geerd Völkers. Völkers wurde am 29. August8.1850 in Arkel geboren. Nach der Trauung mit Gese Assing aus Binnenborg am 24. Mai 1883 zog er wohl zunächst dorthin (Die Tochter Swenne, geb. 2. August 1883, wurde 86 in Veldhausen getauft als Kind der „Ackerleute Völkers zu Binnenborg“.) Spätestens ab 1885 (Geburt des Kindes Hindrik Jan) wohnte Völkers in Haftenkamp. Völkers zeichnet seinen Erzähler Wottelharm als einfältigen Wichtigtuer, der mit seinen hilflosen Bemühungen um hochdeutsche Sprechweise zur komischen Figur gerät. Diesen Erzähler nennt Völkers ausdrücklich und immer wieder „Wottelharm ut Tinholt“. Das ist KALLE interessant, weil Völkers als Kaller (Arkeler) Kind sicher genau wusste, dass zu seiner Zeit keine Wottel (Wortel) in Tinholt wohnten, wohl aber in Kalle. Einen Harm Wortel hat es hier allerdings nie gegeben. Durchaus möglich, dass die Zuordnung nach Tinholt anzusehen ist als Ausdruck für Nickligkeiten, die früher gerne zwischen benachbarten Bauernschaften „gepflegt“ wurden. Heinrich Hensen schreibt im „Bentheimer Jahrbuch 1987“, Seite 243: „De meesten Groafschuppers kennt, denk ik, de Geschichten van „Wottelharm ut Tinholt“ wall, de Ludwig Sager soa moi vertäilt hef. He hef ja, as men hem glöwt, in 1870 met de aule Käiser tehoape de Slacht bij Sedan wunnen, en soa Infloot up de Geschichte van de Weäreld nömmen.“ Wottelharm un den Kriegsplan Dat was in’t joor söventig bij Sedan, s’morgens froo was’t. Et denkt mij noch soa guud, as wan’t vandage of gistern geböörd was. Ik was – joa, wu kwamp’t ok noch? - den dag ordonanz bij de oule Kaiser. Se höllen net ‘nen groten road, de Kaiser en wat sienen jungen was, de Kronprinz, en Moltke en de andern hogen keerls. Ik hadde net ‘nen breef kregen van miene Geese uut Tinholt, door höörde ik se proaten. Moltke, wat recht de baas was, dee sä hoast niks. En ik kun d’r ok gin woord tüschen kriegen. De oule Kaiser höl net sien köppien koffie in de hand en wörmde sik de klammen finger, - joa hee beewde wal lük, hee was dreeunsöventig west -. Ik sä: „Herr Kaiser“, sä ik, - de hogen sään altied van Majestät – „laß ich Euch noch ein köppien einschenken, das wörmt von binnen!“ „Was meinst du von dem Kriegsplan heute?“ fröög mij de Kaiser, „Wottelharm, du bist ja auch nicht unter `ne ule(Eule) ausgebrod`t!“ Ik sä: „ Herr Kaiser“, sä ik, „ich sage: Liek uut en recht an! Das sagen se in Tinholt, en da müßt Ihr euch an halten!“ - „Du hast geliek“, sä de Kaiser tegen mij. „Wottelharm, ich muß dir geliek geven: Liek uut en recht an.“ In’n rikketik hadden se nuw eren kriegsplan kloor. Bismarck gaf Roon de hand: „Auf ihn!“ sä hee. Alle stünnen se nuw van de toafel up. Moltke, de hoast gin woord segt hadde, keek sik noch eenmal siene generals un feldwebels an, door wöörd’t still. See venömmen wal, dat de baas noch wat seggen wol en dachden, wat sal d’r nuw kummen? En wat sä Moltke? „Wottelharm“, sä hee tegen mij, „Wottelharm, nuw möt’t gebören!“ Wotelharm mak’t te slimm Et was ‘nen heten dag. Undern in de Läägde lag Sedan en wij rund ümto. Wat de Kronprinz was, dee kwamp van de andre kante, en nuw hadde wij de franzmann in de kniepe. De Kronprinz kwamp de anrieden en rööp over de bekke – de Maas was iets breder as de Vechte bij Tinholt – he rööp: „Is da volk?“ „Zu befehl, Herr Kronprinz“, sä ik (de Hogen mussen altied seggen: „Königliche Hoheit“, „hier ist Wottelharm!“ - „Gut, gut, mein Sohn“, sä hee, „ihr müdt den vijand (ndl. Feind) an de andere kante festhalten“, sä hee, „seid drauf verdacht!“ - „Jawohl“, sä ik, „ik sweer’s euch, Herr Kronprinz, der vijand kommt – mak starven, wenn er’s nicht tut – er kommmt vandage tüschen zwei Stühle in die Asche!“ En wij kregen em tüschen twee stöle. Ik lag den dag orig wied noa vöörn. Van alle kanten wolln’n se noch weer uutnäjen ut de umzingelung. Ik schööt, joa, et was gin scheten meer, et was möörden. Mien geweer was glönig, en rund üm mij to laggen de franzosen in ere roaden buksen. Joa se laggen bij höepe. Et wöörd mij freeslik vöör de oagen, men wat sul’k – ik schööt alle men verdan, en anlestde kun over den barg van doaden nich meer overto scheten. Sweet stünd mij up de plätte. Duw pakt mij ’ne frömde hand up de schulder. Ik kik mij üm, en wel is’t ? De Kaiser. Vöör schrik kun ik niks seggen. De Kaiser nömp sien’n sabel, wees up den barg van doaden en sä tegen mij: „Wottelharm“, sä he, „man kann’s auch te slim maken!“ Duw bin’k uutschäidt, ik hadde ok ginne patronen meer. Bi’n Kaiser up Vesite Et was lange noa’n krieg. Ik hadde in Berlin te doon. Door schööt mi’t in’t sin, dat de oule Kaiser mij fake up vesite nöegt (eingeladen) hadde. Nuw, vesite is völ gesegt, ik wil nich legen, ik sul bij gelägenhäit es moal achter de 87 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE döre hen kieken. Soa hadde hee segt. - Soa schöot’t mij dan in de gedachten: Du wis de oule Kaiser moal upsöken. Gedacht – gedoan! Ik kwamp an’t slot. Door stönd `nen posten, dee sä: „Halt, wer da?“ - „Nuw“, sä ik, „sachte an, kens du Wottelharm nich? Nä? Dan loat’t dij vanoavend van de Kaiser vertellen!“ Door stünd d’r ok al ‘ne ordonanz, ’nen leutnant, de fröög: „Sie wünschen?“ - „Ik sin Wottelharm aus Tinholt in de Groafschup en wul de Herr Kaiser sprechen“, sä ik, „er hat mich schon fake genötigt.“ „Eure Papiere!“ Wisse, miene papiere, dee had ik in ödder, en door mus hee vöör stoan. Soadöenig wöörd ik meldt bij’n adjutanten, et güng van ene kamer in de andere. Antlesde smeet hee ’ne grote flögeldöre lös, soa groot as ’ne neendöre bij uns. Den adjutant möök meldung: „Majestät“, sä hee, „Wottelharm aus Tinholt zur Stelle“. En tegen mij: „Majestät läßt bitten!“ Wat heb ik de oule man pleseer andoan met mien kummen! Hee kwamp up mij anlopen: „Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, daß du noch an mich denkst!“ En nuw güng’t an’t froagen: „Weißt du noch von Sedan? Denkt dich das noch? As ik dich nicht gehabt hätte – Moltke allein hätt’s auch nicht gekonnt! Wottelharm“, sä hee, „wie ist`s in de Groafschup? Blööjt de Kartoffels al? Wie ist’s ins Venne? Habt ihr den Torf aus die Kuhlen?“ All’s woll hee wetten; joa, joa, hee proatde met mij net as’n gewoon mensche. - En up’t lesde – wij bäide was’n up’n gang an’t wa’deln, hee klopde mij een up`t andere moal up de schulder - antlesde fröög hee mij: „Wottelharm, hast du schon gegessen?“ Ik sä: „Nein, Herr Kaiser, mit all die drokte ist das dabei verbleven!“ - „Was“, sä de oule, gude man, „Wottelharm, du hast noch nicht gegessen? Dann schick bei uns an!“ - „Herr Kaiser“, sä ik, „ich bin man `nen gewonen buur!“ „Niks, niks“, sä hee, „bei Sedan warst du auch man ’nen gewonen Soldat, un du hast sicher nicht das minste getan! Du bleibst über Mittag bei uns!“ Soa proatde hee met mij, as wij net bij de kökken langs kwammen. De Kaiser smeet de döre lös – et röök door lekker van al de pannen en schöttels, dat seg ’k uw! Ik keek 88 de Kaiser over de schulder, door stünd de Kaiserin, ’n wit schuut vöör. „Auguste“, rööp de Kaiser, „Wottelharm aus Tinholt schickt heute bei uns an die Tafel! Schmeiß d’r noch ein Kotlet mehr in die Panne!“ Wottelharm pesserde wat Dat Kotlet bij Kaisers hadde best smaakt, en wij güngen in’n goren. De Kaiser wol mij noch’n paar blöömpies föör miene Geese noa Tinholt metgeven. De wichter van de oule Kaiser, de prinzessen, kwammen achter uns an. See keken mij alltied van de siede an en glimlachden. Et wassen knappe wichter. Bij’n mooj beet met roade blöömpies bleef de Kaiser stoan en sä: „Wottelharm“, sä hee, „hier hast du was für deine Geese in Tinholt!“ Ik bükde mij en plükde ’n paar. Men door melde sik dat kotlet en den pudding en al dat fine wark in mien’n buuk, en et pesserde wat. Joa, joa, et pesserde wat, wat menslik is. De Kaiser keek heel stief uut en meende: „Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, das grummelde as die Kanonen bei Sedan!“ Men de prinzessen, dee schreewden en juuchden’t uut. „Herr Kaiser“, sä ik, „Herr Kaiser, et is pesseert!“ - Men doorbij keek ik jümmer noch de gammelnden wichter an: „Herr Kaiser, wat kan’m de kinder met `ne kläinigkäit doch ’ne masse pleseer maken!“ Aus „Die Gläserne Kutsche“, Seite 109–111 (L.Sager) Tinholt Bearbeitet von Harm Grüppe, Reinhard Middendorf, Berend-Jan Harms-Ensink, Heike Meier Tinholt und Kalle bildeten einst eine geographische Einheit. Bereits 1312 überließ der Bentheimer Graf Johann das Holzgericht „im Tinholte" dem Burgmann Eylard van den Toerne aus Uelsen. Tinholt gehört von alters her zum Kirchspiel Arkel (Hoogstede). Tinholt – uralte Vechtegemeinde mit Tradition Nachteile einstiger Abseitslage sind dahingeschwunden Auszug aus: Vechte Kurier, Anzeigen- und Informationsblatt der Emlichheimer Werbegemeinschaft e.V., Ausgabe Mai 1978, S.1ff.: Lehnsregister 1346–1364 Im Lehnregister des Grafen Otto 1346–64 wird der Ort Tinholt bereits mit aufgeführt. Es heißt darin u: a.: „Dem Knappen Eylard van den Toerne (welcher 1319 Burgmann auf Bentheim war) überließ der Graf zu Dienstmannsrecht die Holzgerichte zu Hilten, Gölenkamp, Uelsen und im Tinholte." Die 14 ältesten Gehöfte der Gemeinde sind auf die uralten Ortsteile „Hundehoek“, „Grüppenhoek", „Schotthoek" und „Haidebölt" verteilt. Schüttenhof 1765 An der sich in vielen Windungen und Krümmungen durch die Landschaft schlängelnden Vechte wurde der Ort Tinholt vor mehreren Jahrhunderten gegründet. Viele von hohen, alten und knorrigen Eichen umgebene Höfe können auf eine Jahrhunderte alte Existenz zurückblicken. Das älteste Haus der Gemeinde stand auf dem Gelände des ehemaligen Schüt- tenhoffs, wo nach alter Überlieferung in früheren Jahren Recht gesprochen wurde. Der Bauernhof ist 1765 erbaut worden und war zuletzt von der Familie Jüngerink bewohnt. Im Jahre 1956 wurde das 180 Morgen große Anwesen von der Stadt Nordhorn für 65.000 DM erworben. Im Jahre 1960 wurde einem Umsiedler aus Nordhorn (Familie Pley, Veldhauser Straße) hier ein neues Gehöft mit 57 Morgen Land zur Verfügung gestellt. Der Umzug erfolgte im Mai 1960. Im Holz an der Vechte Tinholt zählte zu den zehn Gemeinden im Holze, d. h., die zehnte Gemeinde die Anteil hatte, an den umfangreichen Waldungen, welche einst den Niederungsmooren in diesem Raum einen parkähnlichen Charakter gaben. Tinholt wird hier als zehnte „Tien holt" Gemeinde angenommen und gehört damit zu den häufigen Orten, die den Namen dem Holz entnehmen. Die Talsandlandschaft des linken Vechteufers nördlich von Haftenkamp (im Raume Tinholt) ist gegenüber der rechten Uferzone in der wirtschaftlichen Entwicklung zunächst zurückgeblieben, weil die allgemeine tiefere Lage der westlichen Uferzone und der höhere Grundwasserstand lange Zeit vor einer Besiedlung in diesem Gebiet abgeschreckt haben. Der Verkehr von Neuenhaus nach Emlichheim nahm seinen Weg am rechten Ufer der Vechta entlang, welches höher lag und damit trockener und besser zu passieren war. Auf der Vechte, einstmals eine bedeutsame Verkehrsader zwischen Nordhorn und den holländischen Hansestädten Kampen und Zwolle, fuhren flache Pünten und Schuten, die 89 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Postkarte der Tinholter Brücke um 1920 (Mini Büdden) in der vorchristlichen Römerzeit einen regen Handel und Wandel auf dem windungsreichen Fluss vollzogen. Damals entstanden hier die ersten Hofstellen. So hatte der Bischof von Utrecht einst drei hörige Bauernerben in der Tinholter Mark. Ihnen war es erlaubt, die Eichelmast zu nutzen, sofern ein gutes Eicheljahr war … Enteignung 1937 Das rund 570 Hektar große Tinholter Venn wurde im Jahre 1937 enteignet. Den alteingesessenen Bauern wurde bei dieser Aktion durch den ehemaligen preußischen Staat eine Abfindung gezahlt, die man wohl landläufig als „Appel un Eij" bezeichnen möchte. Bis vor etwa vier Jahrzehnten durften Ackerbürger von Uelsen und Umgebung, Höcklenkamp, Bauerhausen, Gölenkamp, Haftenkamp, Hardingen, Binnenborg, Hilten und Hardinghausen im Tinholter Venn ihren Torf stechen. Allerdings nur in Form von so genannten „Hüllen", da das Moor hier nur eine Mächtigkeit von 20 bis 50 cm vorzuweisen hatte. Ganze Scharen von „Hüllenstecher" zogen deshalb früher ins Tinholter Venn, welches als Markengebiet ausgewiesen war. Anfang der fünfziger Jahre rückten schwere OttomeyerPflüge an und brachen weite Flächen dieses 90 als Naturreservat nicht wieder zu ersetzende Geländes um. Ein Gebiet mit einer wertvollen Flora und Fauna ging damit den Naturfreunden und somit unserer Heimat für immer verloren. Dem Naturschutz wurden seinerzeit noch zwei kleinere Flächen belassen, deren Größe etwa 9 Hektar (1,6 %) ausmachten. Doch bei den in jüngster Zeit durchgeführten Flurbereinigungsmaßnahmen im Tinholter Raum wurden auch diese Flächen erneut wesentlich eingeengt … Straßenbau Im Jahre 1890 gab es die erste feste Straße in diesem Gebiet und zwar auf dem rechten Vechteufer (Esche–Hoogstede), 1906 kam die Bahnstrecke der Bentheimer Eisenbahn ebenfalls auf dem rechten Vechteufer dazu. Erst ein halbes Jahrhundert später rückte die verkehrsmäßige Erschließung des Gebietes Kalle-Tinholt mit dem Bau der Vechtetalstraße von Hilten über Tinholt-Kalle bis nach Laar ein gutes Stück näher. Den Anschluss an das Kreisstraßennetz brachte im Jahre 1956 die Querstraße von Wilsum nach Hoogstede, deren Bau in diesem Gebiet eine Sandauffuhr bis zu zwei Meter erforderte und im Raum Hoogstede-Bathorn gewaltige Moorauskofferungen vorangehen ließen. Der Ausbau des T I N H O LT Haftenkamper Diek als eine superschnelle Verkehrsverbindung zwischen den Orten Neuenhaus und Emlichheim nach den einstmals von den Franzosen gefassten Plan (Franzosendiek) ließ die Nachteile einer bisherigen Abseitslage der Gemeinde weiter dahinschwinden. Vechteregulierung 1962 bis 1964 Im Sommer 1962 bewegte sich die Vechteregulierung im Raum Hoogstede-Tinholt (Leeeinmündung). Es handelte sich um den fünften Bauabschnitt dieses Millionenprojektes von der Betonbrücke im Zuge der Straße Wilsum–Hoogstede bis zur Einmündung der Lee bei Scheerhorn. Insgesamt drei Durchstiche waren in diesem Gebiet erforderlich. Die mustergültig ausgebaute Vechte erhielt hier eine Sohlenbreite von 17 Metern. Die alte, sehr stark baufällige Holzbrücke, die 1870 den bisherigen Fährverkehr als Übergang von und zum Kirchdorf Hoogstede ersetzt hatte, nunmehr aber keineswegs mehr den Anforderungen des zunehmenden Verkehrsumfanges gewachsen war, wurde im Zuge der Regulierungsarbeiten durch einen modernen Betonübergang ersetzt. Mit dem Bau des großen Tinholter Vechtestauwerkes oberhalb der Leeeinmündung ist Ende August 1964 begonnen worden. Es handelt sich um eines von mehreren Stauwerken, die künftig dazu dienen sollen, das Wasser der Vechte zu regulieren, um es besser als bisher der Landwirtschaft und der Industrie dienstbar zu machen. Trotz Vechteregulierung und Flurbereinigung bieten sich dem Naturfreund in Tinholt noch eine Fülle landschaftlicher Schönheiten. An tot geglaubten Vechtearmen und Kolken findet man noch ein mannigfaches Dorado seltenen Tier- und Pflanzenlebens … Gute Nachbarschaften Das Miteinander und Füreinander einer gut florierenden Nachbarschaft in ländlicher Atmosphäre wird in Tinholt seit Jahren traditionsgemäß mit einem zünftigen Gemeindeabend auf dem Hofe Slikkers gefeiert. Bürgermeister Jan Harms-Ensink, der dieses Amt 1955 von Jan Jonker übernommen hatte und bis zur Gemeindereform im Frühjahr 1974 im Amt war, zeichnete als Initiator für diese fröhlichen, die Gemeinschaft fördernden Abende verantwortlich. Als seinerzeit die Verwaltungs und Gebietsreform sich anbahnte, feierte man unter dem Motto: „Will man gemeinsam uns verwalten, der Geist von Tinholt bleibt erhalten!" … Vechte, Fähren und Brücke Tinholter Arbeitskreis Rettung der Vechte-Brücke Winter 1945 Die alte Holzbrücke über die Vechte in Tinholt war 1945 durch auftreibende Eisschollen gefährdet. Das Treibeis bildete einen Rückstau in einer Länge von etwa hundert Meter. Das Wasser staute sich über einen Meter hoch. Durch den Druck vom Eis drohte die Holzbrücke zu zerbrechen. Die Tinholter sahen keine Möglichkeit, das Eis zu zerstören. Auf Bitten der Gemeinde kamen einige Besatzungssoldaten aus Nordhorn und sprengten das Eis. Innerhalb einer Stunde war die Gefahr gebannt. 1946 wurde Tinholt von einem Hochwasser bedroht. Einige Betriebe an der Vechte wie z. B. Ensink oder Van Ringe sind evakuiert worden. Willy Friedrich über Brücke und Vechte (GN 12.03.1960) Die Vechte war bereits in der Römerzeit ein wichtiger Transportweg für allerlei Waren. Die Vechte wurde lange Zeit bei Kuite in Tinholt mit Fähren überquert. Bei Middendorf in Tinholt gab es eine fürstliche Fähre. Sie diente dem Fürsten zum Überqueren der Vechte, da ihm der Umweg über Hoogstede zu weit war. Erste Vechtebrücke 1870 Die erste Vechtebrücke wurde 1870 gebaut. Slikkers, Ensink und Van Ringe lieferten das Holz. Nicht alle Bauern wollten sich beteiligen. Die Brücke entsprach nicht den Erwartungen. Der Holzbelag nutzte schnell ab und die Stützen boten bald nicht mehr die nötige Sicherheit. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde das Brückengeld von Harms Fritz (heute Kuite) kassiert. Das Brückengeld wurde zweimal jährlich einkassiert. Ein einfacher Weg kostete vierzig Pfennig und Hin- und Rückweg sechzig. 91 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Tinholter Moor Zeitung und Anzeigenblatt 1915 Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim (Bearbeitet von Johann Jeurink) Tinholt, 22. Januar 1915 Das Tinholter Moor Im letzten Frühjahr kam ich auf meiner Dienstreise von Emlichheim nach Uelsen durch eine fast unabsehbare moorige Heidegegend. Beinahe beängstigend wirkte diese weite öde Landschaft, über welche sich der blaue Himmel wie eine erhabene Kuppel ausspannte. Weit und breit suchte das Auge vergeblich nach einem grünen Baum oder Strauch. Nur einige Kiebitze und Heidelerchen schienen hier die einzigen Bewohner zu sein. Lange mochte ich sinnend gestanden haben, um mich den stillen Reizen der seltenen Umgebung hinzugeben, als ich durch ein leises Geräusch hinter mir gestört wurde. Ein schlichter Landmann entbot mir einen freundlichen Gruß. Ich fing ein Gespräch mit meinem Reisegefährten an und äußerte meine Verwunderung darüber, dass sich bis auf die heutige Zeit noch so weite, vollständig unbebaute Flächen hätten erhalten können, da nach meiner Ansicht der Boden für Kulturzwecke sehr geeignet erscheine. Diese Worte lösten dem biederen Alten die Zunge. „Diese Fläche“, begann er, „heißt das Tinholter Moor. Mit geringer Arbeit und wenig Kosten wäre aus der Gegend ein Paradies zu schaffen, da die Bodenverhältnisse nach Gestalt und Beschaffenheit die denkbar günstigsten sind. Tausende würde das Land ernähren und ein großes Gemeinwesen erblühen können. Aber ein Fluch ruht auf dieser weiten Ebene.“ Gerade diese letzten Worte machten mich neugierig, und als ich meinen interessanten Begleiter bat, mich hierüber näher aufzuklären, fuhr er fort: „Zwar gehört dieser Boden den Gemeinden Tinholt und Wilsum, aber seit unerdenklichen Zeiten gewinnen die hier umliegenden Ortschaften, namentlich des Kirchspiels Uelsen, ihren Torf zum Brennen. Brennsoden dürfen, um die Torfbildung nicht zu hindern, hier nicht gestochen werden, wir Bauern haben das Recht, diese ohne weiteres fortzuholen. Während aber in meiner Jugend zur Zeit des Frühjahrs durch die Torfgewinnung vieler Bauernschaften sich hier ein reges Leben entwickelte, 92 ja nach Feierabend die Torfstecher in großen Trupps singend in die Ortschaften zurückkehrten, sehen sie die Gegend hier jetzt völlig menschenleer und verlassen. Die Fläche ist nämlich abgetorft, und infolge der besseren Entwässerung ist das Torfmoos vertrocknet, so daß die Torfbildung aufgehört hat. Nun hat kein Mensch mehr Nutzen von diesem Flecken Erde. Kulturzwecken kann sie nicht dienstbar gemacht werden, weil die alten nutzlosen Torfstichrechte wie ein Fluch darauf lasten, die selbst einer Markenteilung hemmend im Wege stehen. Wie schwer – wenn überhaupt möglich – würde es sein, diese Rechte abzufinden!“ Dann blieb mein Begleiter stehen und spähte in die Ferne. Er bat mich, einen Augenblick zu warten und ging etwa 100 Schritte vom Wege ab. Als er zurückkam, wurde er von schreienden Kiebitzen verfolgt. Schmunzelnd zeigte er in seiner Mütze vier bunte Kiebitzeier, die er mir mitgab mit den Worten: „Das ist jetzt der ganze Jahresertrag dieses Landes, das ein Garten Gottes sein könnte!“ Oft habe ich an das Paradies im Dornröschenschlaf denken müssen. Besonders lebhaft beschäftigt es in letzter Zeit meine Gedanken, nachdem die Regierung aus dem von dem Landtag geforderten Kredit von 1½ Milliarden einen erheblichen Betrag für die Organisation der Kriegsgefangenenarbeit in Aussicht genommen hat. Sie war dabei von dem besten Wunsche beseelt, große Kulturarbeiten, Flußregulierungen (Vechte?) Urbarmachungen und neuen Anbau von Brotgetreide und Kartoffeln besorgen zu lassen. Sollte nicht das Tinholter Moor ein geeignetes Arbeitsfeld für die nutzbringende Tätigkeit unserer Kriegsgefangenen sein, wo sie Wege anlegen, den Boden bearbeiten und mit Früchten bestellen könnten? Gewiß recht sehr! Nur muß sich erst ein Prinz zeigen, der sich für das schlafende Dornröschen interessiert, die Stachelhecke veralteter Rechte beseitigt und es aus seinem tiefen Schlummer aufweckt. Wenn dann im Mittelpunkte der Niedergrafschaft diese weite Einöde sich zu einem blühenden Gefilde entwickelt hat, in dem sich Bauernhof an Bauernhof reiht, dann trägt dieser Kulturfortschritt zum Zusammenschluß der zerfetzt liegenden Teile der Untergrafschaft bei und beseitigt die Möglichkeit, in der Entwicklung hinter der Obergrafschaft zurückzubleiben. T I N H O LT „Tinholter Brücke“ Gemälde von Polizist A. Leipner, 1965. Original bei Fam. Harms-Ensink, Tinholt (Gerrit Jan Beuker) Da Slikkers, Ensink und van Ringe das Holz geliefert hatten, entfiel für sie die Brückengebühr. Die Brücke wurde auch von Kallern und Haftenkampern genutzt. Um die Brückengebühr zu umgehen, wurde im Sommer zum Viehtrieb und mit leichten Wagen eine Furt in der Vechte bei Koelmann vorgezogen. Es gab da- mals einige Landwirte, die sich grundsätzlich weigerten, die Brücke zu passieren. Sie wollten weiterhin mit „ihrer" Fähre ans andere Ufer gelangen. Im Zuge der Vechteregulierung wurde die Holzbrücke 1964 durch einen Betonübergang ersetzt. Moorkultivierung, Elektrifizierung, Gemeindefest Die ersten Bemühungen um die Kultivierung des Tinholter Venns gehen auf die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Sie konnte aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Emslanderschließung realisiert werden. Auf den ehemaligen Flachmoorflächen, für die sogar die Bürger aus Uelsen verbriefte Torfstichrechte besaßen, wogt heute Getreide, stehen prächtige Kartoffeln und weiden große Viehherden. Kinder auf der Tinholter Brücke 1960. Die Kinder der Familien Sentker und Günnemann überqueren die Tinholter Brücke, unterwegs von der katholischen Volksschule Hoogstede. (Willy Friedrich) 93 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Grafschafter Nachrichten 07.05.1964, Neue Vechtebrücke in Tinholt Elektrifiziert wurde die Gemeinde Ende der 20er bis Anfang der 30er Jahre. Seit Mitte der Fünfziger Jahre wird das Tinholter Gemeindefest gefeiert. Alljährlich treffen sich 130 bis 150 Tinholter, um in gemütlicher Runde zu essen, zu trinken und zu feiern. Anfangs traf 94 man sich auf den Dielen verschiedener Höfe. In den letzten Jahren findet das Gemeindefest in der Werkstatt der Firma Meyerink statt. Auf dem Tinholter Gemeindefest etwa 1965. Hindrik-Jan Slikkers 1911-1995, Gerhard Staelberg 1883-1983, Jan Harms-Ensink 1907-1998 und Maria Middendorf geb. Staelberg 1921-2000. (Berend-Jan Harms-Ensink) T I N H O LT Bürgermeister von Tinholt bis 1925 Johannes Arnold Meyerink 1925 bis 1955 Albert Ensink geb. am 18.11.1885 gest. am 25.03.1955 verh. mit Gesien geb. Hannebrook 1955 bis 1956 Jan Jonker geb. am 17.09.1895 gest. 25.04.1971 verh. mit Gesina geb. Laarmann 1956 bis zur Gemeindegebietsreform 1974 Jan Harms-Ensink geb. am 08.10.1907 gest. 12.10.1998 verh. mit Johanna geb. Jürriens Bürgermeister Jan Harms-Ensink 1956–1974 Bürgermeister Albert Ensink 1925–1955 Bürgermeister Jan Jonker 1955–1956 „Jürries Jan“, Jan Harms-Ensink, Bürgermeister von Tinholt Johann Kemkers Gleich wie viele andere Männer seiner Zeit hat Jan Harms-Ensink als Bürgermeister einer kleinen Landgemeinde sich in jahrzehntelanger Amtsausübung um seine Gemeinde verdient gemacht. Dass er über die Grenzen der Gemeinde Tinholt hinaus in vielen wichtigen Ehrenämtern Verantwortung übernommen hat, zeichnet ihn besonders aus. Jan Harms-Ensink wurde 1907 auf dem Scholtenhof in Scheerhorn geboren. Seine Eltern waren Jennegien Scholte und Berend-Jan Harms-Ensink, der von dem Hof Harms-Ensink in Bathorn stammte. Jan H.-E. wuchs auf dem elterlichen Hof auf und besuchte die in unmittelbarer Nähe gelegene Volksschule Scheerhorn. Nach der Schulentlassung arbeitete er auf dem elterlichen Hof. Als er 1935 die einzige Tochter des Hofbesitzers Jürriens in Tinholt heiratete, begann seine Geschichte als „Jürries Jan van Tinholt“. Nach vorübergehender kommunalpolitischer Tätigkeit in den 40er Jahren wurde er 1955 wieder Ratsmitglied und schon ein Jahr später auch Bürgermeister. Erst als die Gemeinde Tinholt 1974 ihre kommunale Eigenständigkeit verlor, endete seine Tätigkeit als Vorsteher der Gemeinde. In dem Rat der neu gebildeten Gemeinde Hoogstede setzte er 95 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE seine politische Arbeit auf Ortsebene bis 1986 fort, um dann im Alter von 79 Jahren als „Ehrenratsherr“ in den politischen „Ruhestand“ zu gehen. Neben seiner Bürgermeistertätigkeit und teils in Verbindung damit übte er verschiedene andere Ämter in der Gemeinde aus, unter anderem als Vorsitzender des Schulzweckverbandes Kalle-Tinholt; als Vorsitzender der Jagdgenossenschaft Tinholt; als Vorsitzender der Teilnehmergemeinschaft Flurbereinigung Tinholt. Jan Harms-Ensink wirkte weit über die Gemeindegrenzen hinaus: Mit der Gründung der Samtgemeinde Emlichheim 1974 übernahm er auch dort ein Ratsmandat bis 1986. Zwölf Jahre (1964–1976) gehörte er dem Grafschafter Kreistag an und arbeitete in verschiedenen Ausschüssen (Finanzen; Planung, ...). Über den politischen Bereich hinaus engagierte sich Harms-Ensink immer auch im sozialen Bereich und wirkte hier vornehmlich in der Organisation des VdK. Vom Vorsitz in der Ortsgruppe Hoogstede (1954) führte sein Weg über das Amt des stellvertretenden Kreisvorsitzenden (1960) schließlich zum Vorsitz im Kreisverband Grafschaft Bentheim des VdK (1966 –1986). In dieser Zeit (1972) wurde ihm auch das Amt eines ehrenamtlichen Richters am Sozialgericht in Osnabrück angetragen, das er jahrelang ausgeübt hat. Jan Harms-Ensink 1907-1998, „Jürries Jan” (Mini Büdden) Im Oktober 1985 wurde Jan Harms-Ensink „in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste“ mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Damit wurde er für sein Lebenswerk geehrt, das weit über seine Heimatgemeinde Tinholt hinausreichte. Aber in Tinholt hatte nicht nur alles seinen Anfang genommen, hier fühlte er sich auch lebenslang fest verwurzelt. Er war einer von ihnen – so empfanden die Tinholter und so verstand er sich auch selber. Jan HarmsEnsink starb am 12. Oktober 1998 in seinem Haus in Tinholt. In Erinnerung bleibt ein Mann, der mit festen Zielsetzungen und Sachverstand seine vielfältigen Aufgaben anging, mit Gelassenheit auf schwierige Situationen reagierte, der den Menschen mit Wohlwollen begegnete und vielen ganz persönlich geholfen hat. Mit seinem sprichwörtlichen Humor trug er in manch schwieriger Situation zur Entspannung bei und sorgte in geselligen Runden immer für Unterhaltung und Heiterkeit. „Jürries Jan“ vertellt: Met ses joar mus ok ik noa de Schoole hen. De Schoole was bij uns net för de döre; doarüm wüs ik ok so’n bettien wat mij verwochde. Et was fort an ersten dag. De Meijster sä, wij sullen uns setten. Alle Kinner setden sik häin – man ik bleef stoan. De Meijster keek bettien verwunnert ower siene Brille un froagde mij, warüm ik nich sitten güng. „Och Meijster“, meende ik, „äinkliks wok mij hier nich so lange uphollen!“ Aus dem Protokoll des Tinholter Gemeinderates 1929 Beschluss über öffentliche Fernsprechanlage bei dem Landwirt Harm Grüppe und beim Händler Schroven in Tinholt 1933 Der Rat beschließt den Ausbau eines Weges von Gölenkamp, Haftenkamp, Tinholt, Hoogstede, Bathorner Diek, bzw. Wielen, Ratzel, Wilsum, Hoogstede, Bathorner Diek und überlässt dem Herrn Landrat, welcher Weg ausgebaut werden soll. 96 T I N H O LT 1934 Erstmalig NSDAP im Gemeindeprotokoll erwähnt 1939 Erstmalig Hundesteuer festgesetzt 1942 Beschluss wegen Renovierung der Holzbrücke in Tinholt, Kosten 20.000 RM, Tinholt musste davon 2.500 RM übernehmen 14.12.1945 Im Gemeinderat wird ein Unterkunftsausschuss gewählt. Er war für die Verteilung der Flüchtlinge zuständig 1953 Pläne für Ausbau der Vechtetalstraße (1 km). 24.05.1957 Erster Antrag für den Bau eines Wohnhauses in der Tinholter Siedlung 1959 Anschluss an die Zentralwasserleitung 1962 Beschluss zum Neubau der Vechte-Brücke und der Flutmuldenbrücke 1971 Einleitung der Flurbereinigung Hand- und Spanndienste „Buurwarken“ „Freie Anschlagstelle“ mit Tinholter „Burwarker“ Zwier Bischop, Manfred Steiner, Geert Heetjans, Jan Harms-Ensink, Steven Snyders, Egbert Jonker, Jan-Hindrik Brinkmann, Johannes Meyerink, Lefert Klomparens, Georg Jonker, Hindrikus Hölties, Gerhard Günnemann. Diese Tinholter haben sich zum „Buurwarken“ zusammengefunden. Die „Freie Anschlagstelle“ befand sich beim Hof van Ringe in Tinholt. Hier konnte jeder eine Nachricht anheften, z.B. wenn man etwas gefunden oder verloren hatte. (Geert Ensink) Alle Gemeindemitglieder waren verpflichtet, mit Hand- und Spanndiensten bei der Unterhaltung der Gemeindewege und -straßen anzupacken. Das nannte man „Buurwarken“. Meistens wurde mit einem Laufzettel über die anstehenden Arbeiten informiert. Die Höfe Slikkers, Ensink und van Ringe waren vom „Buurwarken“ ausgenommen, weil sie für die Instandhaltung der alten VechteBrücke von 1870 zuständig waren. Überall in Tinholt waren Sandentnahmestellen. Hier wurde Sand für die Instandhaltung der Wege entnommen. Dafür waren die Bauern zuständig, die Gespanne mit zwei Pferden hatten. Sie mussten den Sand fahren. Bauern ohne Gespanne mussten ihren Dienst mit der Hand, also mit der Schaufel, ausführen. Steven Snieders aus Tinholt war für die Einteilung der Hand- und Spanndienste verantwortlich. Auch bei Hochzeiten wurde „Buurwarken“ angesetzt. Das Brautpaar wurde dann von den Buurwarkern aufgehalten, und es wurde Hochprozentiges ausgeschenkt. Dr. jur. Wilhelm H. Huffenreuter (1777–1855) Auf dem reformierten Friedhof in Hoogstede steht ein besonderer Grabstein. Wer von der Hauptstraße her den Friedhof betritt und sich gleich nach links wendet, der findet ihn nach wenigen Metern an der Hecke. Auf dem Sandstein steht: Hier ruht W. H. Hüffenreuter geb. 13. Decb. 1777 in Batavia gest. 8. Febr. 1855 in Tinholt. Die Lingener Akademie, von einem oranischen Fürsten 1696 gegründet, war durch ihre Nähe eine von jungen Grafschaftern gern besuchte Bildungsstätte. Im Album der Studierenden stehen die Namen der Studenten, auch 97 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE solche, die aus Holland und den holländischen Kolonien kamen, darunter Johan Niehoff, der in Uelsen geboren war und in Batavia lebte. Er beeinflusste 1776 einige Freunde, mit ihm an der Lingener Akademie zu studieren. Zu ihnen gehörte auch Wilhelm Henricus Hüffenreuter. Ein Hüffenreuter kehrte mit seiner Frau, einer Malaiin, auf den Hof in Tinholt zurück (Sager, Grafsch. 1965 und Kühle, Zwischen Burg und Bohrturm Jg. 1974, S. 14, 3. Spalte) Wilhelm Heinrich Huffenreuter wurde am 13. Dezember 1777 in Batavia geboren. Batavia war der alte Name für die indonesische Hauptstadt Djakarta. (1610 bis 1943/45 war das heutige Indonesien eine niederländische Kolonie.) Dort hatte sein Vater Andreas Christopher Huffenreuter als Rittmeister der Landmiliz Dienst getan. Huffenreuter war ein bekannter Familienclan im damaligen Indonesien. Um 1810 muss W. H. Huffenreuter in Bramsche gewohnt haben. Er habe eine Ausbildung als „Advocat" absolviert und seine akademische Ausbildung mit der Promotion abgeschlossen. In Bramsche wurden ihm von seiner Frau Catharina Dorothea Huffenreuter geb. Lampmann vier Söhne geboren. Ihre Eltern, der Lingener Seminarlehrer Georg Ferdinand Lampmann und seine Frau Anna Aleida Warming, hatten zeitweise in Tinholt gewohnt. Deren jüngster Sohn Ferdinand Heinrich Philipp Cornelius Lampmann (1804–1893) war jahrzehntelang Pastor in Uelsen. Eine jüngere Schwester, Johanne Rheinhardina Everhardina Lampmann (1887–1863) war mit dem Amtsassessor Johann Georg Hoogklimmer (1784–1853) in Neuenhaus verheiratet. Eine weitere Schwester, Anna Aleida Lampman (1793–1860), ist in Tinholt geboren und in Veldhausen verstorben. 1823 kam Huffenreuter nach Tinholt. Er übernahm dort den heutigen Hof von L. Jürriens am Lägen Diek. Am 22. Mai 1824 wurde hier die einzige Tochter Anna Catharina geboren und drei Jahre später, am 11. Mai 1827 der fünfte Sohn Johann Georg. 1829 bekam W.H. Huffenreuter für die reformierte Gemeinde große Bedeutung. Wie- 98 derholt war vom Oberkirchenrat (dem Hoogklimmer auch angehörte? gjb) die Anstellung eines Rechnungsführers (Rendanten) angemahnt worden. Eine qualifizierte Person sollte die Finanzen der Gemeinde regeln und in der Zukunft führen. Jedoch konnte der Kirchenrat zunächst keine geeignete Person finden und regelte intern das Rechnungswesen. Im Jahre 1828 wurde der Älteste Harm Grüppe aus Tinholt beauftragt, mit dem neuen Gemeindeglied Huffenreuter Kontakt aufzunehmen und ihn für die Arbeit als Rendant zu gewinnen. Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Im reformierten Kirchenratsprotokoll vom 26. Februar 1829 lesen wir: „Den 26 Februarij wederom buiten gewoon Kerkenr. vergaderd met den Heer Huffenreuter en toen met hem er over gesproeken, heeft het 8 dagen in zijn bedenk genomen, en verzogt dat wij en den Heer Amtman (er)(gemeint ist sein Schwager Hoogklimmer in Neuenhaus) over zouden spreken of die het ook goed vond …“ Am 27. März 1829 schließt man einen Vertrag mit Huffenreuter, mit dem er als Rechnungsführer eingesetzt wird: „Den 27 Maart buiten gewoon de Kerkenr. vergaderd absent J.Albers en G.Koops, en toen is door den Heer Huffenreuter hat contract getekend door hem overgeven ... ". Damit konnten die Finanzen in geordnete Bahnen gelenkt werden. Waren in den Jahren vor 1830 die Kirchenrechnungen vom Oberkirchenrat immer wieder beanstandet worden, so tritt ab 1830 eine grundsätzliche Wende ein. Der Oberkirchenrat lobte die gute Rechnungsführung und hob die geordneten finanziellen Verhältnisse in der Gemeinde hervor, auch wenn es häufig nur ein Verwalten von Mangel war. Die Arbeit als Rendant geschah zwar im Hintergrund und doch war sie von großer Bedeutung für die Konsolidierung der reformierten Gemeinde Hoogstede. Am 8. Februar 1855 starb W. H. Huffenreuter im Alter von 78 Jahren. Er war zu einem angesehenen Mitglied der Gemeinde geworden und hatte über Jahre das Bürgermeisteramt in Tinholt innegehabt. Seine Frau überlebte ihn um 22 Jahre. Sie verstarb am 6. Juni 1877 im Alter von 92 Jahren. T I N H O LT Jan Harm Bleumer, Tinholt, Up mien Besseva sienen Hof Der aus Tinholt stammende Jan Harm(en) Bleumer erzählt in seinem Buch „Up mien Besseva sienen Hof“ anschauliche Geschichten, in denen die ländliche Welt unserer Gegend am Ende des 19. Jahrhunderts lebendig wird. Bleumer wurde am 20. August 1873 auf einem Bauernhof in Tinholt geboren. Nach dem Besuch des Lehrerseminars unterrichtete er an der Volksschule in Wielen, dann in Grasdorf. 1907 verließ er die Grafschaft, als er nach Papenburg versetzt wurde. Seit 1923 war er bis zu seiner Pensionierung Lehrer in Osnabrück. Dort starb er am 9. Januar 1943. Das genannte Buch erschien in Papenburg vermutlich Anfang der zwanziger Jahre. Es folgt ein Auszug aus aus dem Kapitel über „Großvater und seine Nachbarn“: Wappen der heutigen niederländischen Familie Huffenreuter (Gerrit Jan Beuker, Internet) Der älteste Sohn Heinrich Wilhelm (09.1814 bis 16.12.1879) lebte und arbeitete als Zimmermann in Kalle. Er starb an der Schwindsucht. Der zweitälteste Sohn Nicolaus Friedrich Huffenreuter (04.04.1816–14.07.1873) heiratete Anna Marie Louise Wilhelmine Baumann (30.01.1811–und führte den Hof des Vaters fort. Vier Kinder starben nach der Geburt und von der Tochter Catharina Dorothea (geb. am 31. Mai 1844) erfahren wir in den Folgejahren nichts mehr. (Sie heiratet wohl unter dem Mädchennamen ihrer Mutter als Dorothea Bauman den Friederich Stricker (1842–1874) in Wilsum. Aus der Ehe wird 1873 Oscar Stricker geboren.) So wie die Familie Huffenreuter 1823 plötzlich in Tinholt erschien, so verlieren sich auch 1877 ihre Spuren wieder. Der vierte Sohn Carl Theodor (02.1822 bis 05.12.1902) starb 1902 als Rentier in Lage. Bei der Eintragung seines Todes im Sterbebuch vermeldet der Ortspastor als Eltern: „Gutsbesitzer Wilhelm Friedrich Huffenreuter und seine Frau Catharina Dorothea Lampman“. (Nach G. ter Stal, 175 Ev.-ref. Kirche, kursive Abschnitte ergänzt durch Gerrit Jan Beuker) Besseva un siene Noaberlö „In de annere Wecke kunn wij wall slachten. De Domini möt ditmoal ok wat hebben. Krajenfanger hef dor vörige Wecke all nen Schinken henbracht, de schleppt dor wall soa vull hen. Vöriges Joahr heb wij dor ok nicks henbracht“, meende de Moa. De annere Wecke wöt bij uns dat Beest slacht. Un do det oawends kot schneen wöt, sä de Moa: „Nuw schnie dor is`n got Broatstück of, wenn et ok tien Pund sind.“ „Dat sall ik is ditmoal don.“ Besseva söchde sik det möiste Stück ut, un den annern Dag süll de Va dor met hen. „Nee“, sä Besseva, „dor goah ik sülwen met hen. Ik sall et in Düstern dor wall henbrengen.“ Oavends göng Besseva lös, Karo met em. Do he buten unsen Hof was, slög he nen heelen annern Weg in, noa de Feldkante an. He göng met sien Fleesk nich noa de Domini. „De hef genog“, dachde he, „et is better, ik breng et noa Remmers, de hebt det Hus vull Kinner, de kriegt wall nich vull Fleesk te sehn.“ „Gun`n Oavend, Lö!“ „Gunn`n Oavend – Besseva, ij noch in Düstern!“ „Joa, up hellen Dach wull ik hier nich hen. Ik heb uw wat metbracht in den Korw, kiekt is to Frau un dot det dor is ewen ut.“ 99 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE De Frau was ok nijschierig genog, keek to un slög de Hande tosammen: „Nee, dat hadde ij doch nich don mußt, det könne wij joa gar nich annemmen.“ „Worüm denn nich? Wij hebt dor genog van un de et eigentlich hebben süll, hef ok genog.“ Besseva wull denn weer goahn. „Nee“, sä de Frau, „det geht nich an. Erst kriege ij een Köppien Koffie. Soa söll ij nich weer weg.“ Besseva wull ok nich all te fro weer in Hus kummen, dann föllt det fort up, he blew sitten. He kreeg doar een lecker Köppien Koffie; soa got hadde he et nich völl had. Do he dor een bis twee Ühre kürt hadde, brachde Remmers em weer upt Hus an. Do Besseva bijt Für satt, sä he: „Junge, wat wassen de Löe bliede, van Oavend heb ik noch is bliede Gesichter sehn!“ Det kunn de Moa sik nich begriepen, det Dominis sik so bliede anstellt hadden. Se keek dorüm Besseva is an. „Joa, joa“, sä Besseva weer, „du kiekst mij wall an, men so bliede Menschen hebbe ik lange nich mehr sehn.“ Un et schiende, dat wat van disse Bliedschup up sien Gesicht lag. 100 Pater Marcellus Töller Pater Töller ist in Tinholt geboren. Seine Eltern sind früh verstorben. Er wurde 1921 zum Priester geweiht. Er war lange in Mainz tätig. Pater Töller verbrachte seinen Lebensabend in St. Vincent in Neuenhaus und wurde in Hoogstede beerdigt. Foto zum 50-jährigen Priesterjubiläum, 1971 (Willy Friedrich) Berge und Scheerhorn Bearbeitet von Harm Kuiper Dr. Ernst Kühle über Scheerhorn und Berge Aus: Der Grafschafter 1968–1972, S. 887, 892, 900, 910 (Folge 227–230) Die nachfolgende Beschreibung von Kühle zeigt, wie sich die Umstände und Verhältnisse in den letzten vierzig Jahren verschoben haben. Sie verdeutlicht etwas von den Hoffnungen und Erwartungen jener Zeit. (gjb): Gemeinsame Mark Hoogstede-Bathorn Die gemeinsame Mark mit Hoogstede und Bathorn reichte von der Vechte bis weit in das Hochmoor hinein nach Osten, doch nicht, wie bei Ringe, bis an die Grenzaa. Die wertvollsten Flurstücke mit einem Bodengütewert von über 40 waren die Auewiesen an der Vechte. Auf leichten Bodenwellen in Überschwemmungsrandlage entstanden in germanischer Siedlungszeit Brotfruchtfluren und die Hofstätten der Altbauern. Weiter nach Osten ging die Gemarkung in das lange Zeit unzugängliche Hochmoor über. Die Teilung der gemein- samen Mark auf die einzelnen Gemeinden geschah, wie man in alter Zeit die Feldflur unter die Berechtigten aufteilte. Jeder erhielt einen schmalen Streifen auf jedem Flurstück, wie es das Rechtsgefühl gebot. So bekamen Scheerhorn und Berge schmale Streifen mit geraden, parallelen Grenzen von nur wenig über einem Kilometer Breite und der vierfachen Länge. Auf dem alten Messtischblatt von 1896 reichten Kulturfläche und Besiedlung nur etwa 1,5 km ostwärts; der übrige Teil der Mark war noch als Ödland, östlich des Coevorden-Piccardie-Kanals mit Torfstichgruben, verzeichnet. Das neue Blatt, 1958, zeigt das Moor nahezu vollständig in Grünland umgewandelt, das durch gerade Gräben und feste Straßen in Rechtecksflurblöcke aufgeteilt ist. Nur kleine Reste von Heide und Moor blieben zurück. Südlich der Lee häufen sich Einzeldünen und Dünenketten, die mit Nadelwald aufgeforstet sind. Ehe das geschah, war die „Berger Sahara" ein Quellherd für Sandverwehungen benachbarter Kulturflächen. Die höchste Erhe- Die Lee in Scheerhorn, 2008 (Harm Kuiper) 101 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE bung erreicht in Nähe der Lee 21,5 Meter; tiefste Senke ist die Leemündung mit 14 Meter. Die Berger Tannen haben Bedeutung gewonnen als Erholungslandschaft und als Sportstätte, auf der Waldläufe um die Kreismeisterschaft ausgetragen werden. Das benachbart Schwimmbad an der Lee wird selbst von Veldhauser Bürgern gern besucht. Das Scheerhorner Bruch beherbergt eine seltene Pflanzen- und Tierwelt. Professor Brinkmann und heimische Naturfreunde beobachteten und beschrieben das Tierleben dieser Naturoase. Ein Moorweiher, Fettpott genannt, ist mit meterhohen Binsen umgrenzt und enthält Inseln mit anspruchslosen Kräutern, die Brutstätten von Sumpfund Wasservögeln sind. Möwenkolonien und Trauerseeschwalben beleben den Restsumpf, von dem das Jahrbuch 1962 ein Lichtbild bringt. Lehrer Naber, Veldhausen, beobachtete Austernfischer und Kampfläufer. Wegraine und Gräben weisen noch immer einen Artenreichtum auf, der kaum bei kurzen Besuchen ausgeschöpft werden kann. Der Name Scheerhorn bedeutet nach H. Specht eine vorspringende Grenzfläche. Als Der Fettpott in Berge, 1959 (Willy Friedrich) Hörn gilt eine Ecke, ein Winkel oder Platz am Fluss, wie bei Nordhorn. Abels erklärt „scheer“ mit schier, dürr, wonach Scheerhorn ein dürrer Platz gewesen wäre. Wer heute durch die Landschaft wandert, erhält einen weit günstigeren Eindruck. Flachlandbewohner haben die Neigung, flache Bodenerhebungen als Berge zu bezeichnen, woraus sich der Name Berge erklärt … Bischöfe, Grafen und Herren Der Graf von Bentheim war Hauptgrundherr; neben ihm gab es geistliche und weltliche Grundherren mit geringeren Anrechten. Der Bischof v. Utrecht hatte seine hörigen Höfe im Schattingsregister der Twente 1475 verzeichnet, Familienfoto um 1900 aus Berge, Familie Bloemendal. Hochzeitspaar ganz rechts: Jan Harm Bloemendal und Ennegien Bloemendal geb. Stroot, Eltern sitzend am Tisch: H. J. Bloemendal geb.15.9.1852 gest. 25.1.1925 und Aaltien Bloemendal geb. Kaalmann geb. 17.2.1856 gest. 9.3.1941, dann von links nach rechts: Hinrikien Bingler geb. Bloemendal mit Sohn und Ehemann Jan Bingler, Hindrika Bloemendal geb. 4.4.1888 gest. 6.3.1952 später verheiratet mit H.J. Zweers in Berge, Jan Bloemendal und Hermannes Bloemendal (Zweers) 102 BERGE UND SCHERHORN Hof von Kuite in Berge (Willy Friedrich) das uns Archivar Döhmann, Burgsteinfurt, zugänglich machte. Die Herren auf benachbarten adligen Rittergütern hatten Jagdrechte in der Scheerhorn-Berger Mark; die Herren von Laar bejagten die Flur zweimal jährlich, einmal bei Gras, einmal bei Stroh. Die Herren von Echteler forderten die Koppeljagd in Scheerhorn, die Herren auf Ödinghof, Esche, die Koppeljagd in Berge. Die hohe Jagd übte der Graf allein aus. Zu seinen Reservationen gehörten u. a. das Scheerhorner- und/Klusenfeld (Clausterfeld). Der Scheerhorner Ballast und Berger Brill waren Eigenjagdreviere. Beim Schulten logierten die Jäger, zu den Mahlzeiten trugen die Bauern bei: Bruninck, Surman, Hemke, Kolthoff, Hannebroeck, Jorinck, Volker lieferten je ein Brot. Die Herren auf der Schulenburg zu Veldhausen besaßen Land und Leute in Scheerhorn; dieser Besitz ging später auf den Grafen über. Kloster Wietmarschen hörig Das Kloster Wietmarschen entwickelte sich zum reichen Grundbesitzer in der Grafschaft; ihm gehörten 139 Höfe. Zu seinen hörigen Bauernerben gehörte Hartgerinck (Hatger) to Scheerhorn, der als jährliche Pacht 4 Müdde Roggen, 4 Müdde Gerste, 1 Huhn und am Thomastag 1½ Mark gab. Wenn das Geld an diesem Tag nicht bezahlt war, verdoppelte sich der Betrag. Später, 1683, bekennt Hartgerinck, dass er jährlich im Mai oder zu Martini 1 Rtl, 7 Stüber als Kleindienstgeld geben muss. Hartgerinck erfüllte aber nicht nur Sachleistungen, sondern auch persönliche Dienste, ebenso seine Frau und seine Kinder. Söhne und Töchter konnten mit anderen Grundherren ausgetauscht werden. Wenn das geschah, wurde es im Wechselbuch vermerkt. Das Kloster versuchte, die Vogteirechte in seinen Besitz zu bringen; es gelang 1355 bei Hartgerinck. Im Austausch mit dem Grafen empfing das Kloster die Magd Fenne Bruninck, die up Hartgerinck to Scheerhorn kam. 1441 überließ das Kloster dem Herrn Johan v. Laar Hinrieh, Almerincks Sohn, der zu Silverkinck, Scheerhorn, kam. Lubbe Hartgerinck to Scheerhorn heiratete Robbe ten Suthove; sie bauten ein Häuschen vor Mellenkamps Boom; ihre Tochter Talle wurde frei. Im Austausch mit dem Bischof von Utrecht empfing das Kloster die Magd Swenne, Volkers Tochter, die zu Süverdinck to Scheerhorn kam, ebenso vom Herrn J. Bade eine Magd, Swenne, Tinholts Tochter, die einheiratete auf dem Klostererbe ter Kalle to Scheerhorn. Die jährlichen Kornpachten nach dem Manual- und Söllerbuch 1829 betrugen für Hat- 103 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Hartgerinck 1 Rind, je 1 Schwein: Wermelinck, Brüninck, Hemmike. — Die Tende zu Scheernhorn ist Jahr für Jahr verdinget für 33 Müdde Roggen … „Zuckerpott“ zwischen 1871 und 1895 von Janna Alferink Janna Alferink geb. Groene (27.01.1848–16.03.1910), heiratet am 29.07.1875 Jan Alferink (Hindrik-Jan Alferink) ger 16 Scheffel Roggen, 16 Scheffel Gerste, 3 Gulden und ungewisse Gefälle, die der Hof 1854 ablöste. Van der Loo nennt das Jahr 1246 als Beginn des Hörigkeitsverhältnisses Hatgers. Im Heberegister der Grafen von Bentheim 1486 sind 14 gräfliche Höfe aus dem Kirchspiel Emlichheim eingetragen, 1553 bereits 192 (Voort, Jahrbuch 1972). In Scheerhorn gaben an Roggenpacht (Ro), Gerstenrente (Ge) in Müdde (6 Scheffel): Schulte v. Scheerhorn 3 Ro, Hemmike 4 Ro, Gozen Brüninck 6 Ro, 5 Ge, Anebroick 4 Ro, 2 Ge, Wermelinck 8 Ro, 3 Ge, Kemike (wohl obiger Hemmike) 4 Ge. An Rinder- und Zwynepacht gaben Almerinck 1 Rind, Kuelman 1 Rind, Haager Vergleich 1701 In der Zeit zwischen den beiden Galenschen Kriegen trat Graf Ernst Wilhelm zum katholischen Bekenntnis über. Die reformierte Grafschaft hielt an ihrem Bekenntnis fest und suchte Anlehnung beim reformierten Nachbarstaat. Der Haager Vergleich, 1701, stellte den kirchlichen Zustand vom Jahre 1624 sicher und gab dem Oberkirchenrat ein ausreichendes Maß von Einfluss auf das kirchliche und Schulleben. Der Vergleich regelte Lehre und Verfassung der reformierten Kirche in der Grafschaft. Holländische Lehrer und Geistliche kamen in die Niedergrafschaft, in der die holländische Sprache die Kirchensprache wurde. 1707 traf die Regierung erste Maßnahmen gegen die Sandverwehungen. In einer Zeit, als es noch keine Windschutzgürtel, aber große Schafherden gab, die die Grasnarbe in der Mark zertraten, hatte der Wind im Dünenbereich bei zerstörter Grasnarbe beste Angriffsflächen, um Mulden auszublasen und Flugsand über die Kulturflächen zu wehen. Durch Einschränken der Schafbestände und Bepflanzen der nackten Sandflächen sollte den Sandstuwen Einhalt geboten werden, und die Anlage von Telgenkämper, 1717, sollte dem Mangel an Pflanzgut abhelfen. Noch 150 Jahre lang dauerte der Kampf gegen die Sandstuwen fort. Inschrift „Invidia fortunae comes anno 1689, den 30 Juny“ Übersetzt: „Missgunst ist des Glückes Begleiter“. Alte Inschrift auf dem Hof Hermann Alferink, Scheerhorn. Der alte Stein war eingemauert in einer Scheune über einer Tür. Stammt er möglicherweise von der Burg Arkel? (Harm Kuiper) 104 BERGE UND SCHERHORN Hof Hermann Alferink, Hauptstraße, Scheerhorn, etwa 1950 (Alferink, Harm Kuiper) 1752 verpfändet an Hannover Die Bentheimer Subdelegation, eine vom Kaiser geregelte Vormundschaftsregierung, versuchte, durch Sparverordnungen die finanzielle Notlage des Landes zu bessern. Da es nicht gelang, gesunde Verhältnisse zu schaffen, sah sich Graf Friedrich Carl genötigt, 1752 seine Grafschaft an das Land Hannover zu verpfänden. Vier Jahre später, im Siebenjährigen Krieg, versuchte der Graf, an der Spitze französischer Truppen, die Freiheit seines Landes zurückzugewinnen. Die Franzosen besetzten das Land und nutzten es als Angriffsbasis gegen Hannover, das mit England in Personalunion vereinigt war. Berger und Scheerhorner Bauern lieferten Getreide und Heu und leisteten mit ihren Gespannen Frachtdienste. Jungbauern dienten als Train- knechte; entzogen sie sich diesem Dienst durch Flucht, diente der Vater für den Sohn. Der Forstmeister Aschenbroick meldete Viehschäden durch Wölfe, worauf der Graf eine Wolfsjagd, die insbesondere den Scheerhorner Ballast erfasste, anordnete. Jeder Vollbauer hatte 2 Treiber, der Halberbe 1 Treiber zu stellen bei 5 Gulden Strafe bei Nichterscheinen. Nach Friedensschluss folgten die üblichen Verordnungen zum Wiederaufbau von Flur und Wegen, hinzu kamen zahlreiche Vorschriften zur persönlichen Sparsamkeit im Haushalt, im Verbrauch von Holz, zur Schädlingsbekämpfung. Kampf dem Moor Das Land Hannover unternahm Großangriffe auf das Moor; eine Reihe neuer Moorsiedlun- „Gemeindearbeiten“ = Boerwerken 1920er Jahre in Berge. Berger Landwirte vor dem Hof Mensen auf der Feldstraße (Harm Kuiper) 105 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE gen entstand, darunter die Neue Piccardie und Adorf. Trotz geringer Bevölkerungsdichte im Lande war bei zu geringem Kulturland ein Bevölkerungsüberschuss vorhanden. So nutzten nachgeborene Söhne aus Berge und Scheerhorn die Möglichkeit, ein Moorkolonat zu erwerben. Die bäuerlichen Lasten waren in der Bentheimer Eigentumsordnung, die sich der Osnabrücker anpasste, geregelt. Vorausschauende Männer, wie O. v. Münchhausen, hielten das Weiterbestehen der privatrechtlichen Bindungen für zu stark belastend und die freie Entwicklung behindernd. Justus Moser beklagte die Härte der ungewissen Gefälle. Franzosenzeit Als nun die Franzosen wieder ins Land kamen, diesmal als Revolutionstruppen, und Gewerbefreiheit und Ablösung der bäuerlichen Lasten versprachen, hörte man das gern, blieb jedoch zweifelnd. Die Selbstständigkeit der Gemeinden hörte auf; Berge und Scheerhorn wurden mit Nachbargemeinden zu einer Munizipalität unter einem Maire zusammengefasst. Man erkannte bald, dass sich an den alten Bindungen nichts änderte und dass es der Fremdregierung auf Steuergelder und Rekruten ankam. Das französische Kataster fand immer neue Steuerquellen, und die Rekrutenlisten füllten sich mit Namen von Jungbauern, die ausgehoben, auf fremden Garnisonen ausgebildet und auf fernen Kriegsschauplätzen für Frankreichs Ruhm kämpften. Aber auch gegen Napoleon stritten Berger und Scheerhorner Söhne im Bentheimer Bataillon, wie die Verlustlisten 1814/15 ausweisen. Dirk Sloot starb 1815 in Corbevoye in Frankreich. Nach 1815 Nachdem die Franzosen vertrieben waren, übernahm Regierungsrat v. Pestel die Pfandschaftsregierung, hob die französischen Gesetze auf und ließ die alte Ordnung wieder gelten, doch vielfach ohne die früher geübte Milde. Eine Zählung 1821 ergab für Berge eine Zwerggemeinde mit 83 Einwohnern, 16 Feuerstellen, 10 Höfen; für Scheerhorn 30 Feuerstellen, 12 Höfe und 184 Einwohner. Die erwartete Ablösung blieb aus; das vom Bürger- 106 meister und Landrat Stüve in Osnabrück angeregte hannoversche Ablösungsgesetz, 1831, sowie die Osnabrücker Markenteilungsordnung galten für die Grafschaft Bentheim erst nach dem Revolutionsjahr 1848 … Hollandgänger, Erdhütten, Markenteilung Der Mangel an Arbeitsplätzen und die Landnot ließen die Abwanderung in die Nachbarstaaten ansteigen; 1847 zählte man 2500 Hollandgänger. Vogt Baake meldete 1869, dass sich in der Scheerhorner Mark acht bewohnte Erdhütten befänden. Im bäuerlichen Betrieb nicht ausgelastete Kötter suchten Nebenerwerb an Webstühlen, von denen es 1863 16 gab. Die Markenteilung, 1864 bis 1871, bot der Landnot Einhalt; der Bau des SüdnordKanals nach 1871 senkte den Wasserspiegel im Moor, und der Mineraldünger ließ die Erträge auf dem Moorboden ansteigen. Der Kreistag förderte mit den bescheidenden Mitteln des neuen Kreises die Kulturtätigkeit im Moor. Zu den Mitgliedern des Kreisausschusses gehörte Kolon Nyenhus. Die Schule erhielt in Lehrer Wieferink eine beruflich vorgebildete Lehrkraft, die die Lehrerbildungsanstalt des Schulrates Fokke in Neuenhaus besucht hatte. Hindrikien Jeurink geb. Snieders (1875-1961) mit Wollmütze. Geboren 12.06.1875 in Berge, heiratet am 28.03.1898 Jan Hindrik Jeurink, verst. 19.02.1961 in Berge. (Harm Kuiper) BERGE UND SCHERHORN Straße und Eisenbahn 1890/1909 Die Verkehrslage besserte sich, als der alte Heerweg durch Berge und Scheerhorn 1890 eine feste Straßendecke bekam. Ein halbes Jahrhundert später stufte man diese wichtige Straße zur L 44 auf. 1909 verlängerte die Bentheimer Eisenbahn ihr Gleis nach Norden, von Neuenhaus nach Emlichheim. Im Kampf um die Linienführung entschied die größere Siedlungsdichte am östlichen Ufer der Vechte. An der Stelle, wo die Eisenbahn die Straße kreuzt, bot sich der geeignete Platz für die Haltestelle. Im neuen Jahrhundert führte Berge einen Prozess gegen Scheerhorn um seinen Anteil an 32 Mark Brückengeld. Nach dem Ersten Weltkrieg Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Landrat Böninger die Kulturtätigkeit seines Vorgängers fort. Aufmerksam beobachtete man die Tätigkeit der ersten großen Motorpflüge im Moor, die leider den Umbruch infolge unerschwingli- Abbildung 90 Schlechter Weg in Scheerhorn, 1961 oder früher (Willy Friedrich) Gemeinden streiten um Sparbuch Zeitung und Anzeigenblatt 1911 Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim Bearbeitet von Johann Jeurink Scheerhorn-Berge, 18. April 1911 Für die Instandhaltung zweier aus Bohlen bestehender Brücken für den Viehübergang und den Wagenverkehr über den neuen Kanal um somit zu dem Berger Bruche und dem Scheerhorner Ballast zu gelangen, hatte der Fürst von Bentheim eine einmalige Zahlung von 32 Mark geleistet. Dieser Betrag wurde 1887 bei der Sparkasse belegt, womit es solange sein Bewenden hatte, bis die Gemeinde Berge, welche inzwischen durch eine politische Grenze von der Gemeinde Scheerhorn getrennt worden war, ihren Anteil an dem Sparkassenguthaben forderte. Merkwürdigerweise stellte es sich heraus, daß der Betrag nur auf den Namen der Ge- meinde Scheerhorn und nicht auf beide Namen Scheerhorn-Berge lautend, eingetragen war, weshalb die Gemeinde Scheerhorn ihr Eigentumsrecht an dem Sparkassenbuche geltend machte. Hierüber war die Gemeinde Berge höchst entrüstet und leitete das Klageverfahren ein. Wichtige Zeugen sind inzwischen verstorben. Einige Aussagen der vernommenen Zeugen widersprechen sich gänzlich, weil der Zeitpunkt, um welchen die Brückengeschichte sich abspielt, in dunkler Erinnerung liegt. Die Angelegenheit beschäftigt nun schon seit einem Jahre das Gericht und will noch immer kein Ende nehmen, so daß ganz bedeutende Kosten erwachsen. Die Verhandlungen gestalten sich äußerst schwierig, wenn auch teils recht interessant. In beiden Gemeinden wird mit Spannung das Urteil erwartet, das wahrscheinlich Ende dieses Monats in Osnabrück gefällt wird. 107 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE cher Treibstoffpreise während der Inflationszeit bald einstellen mussten. Mit dem elektrischen Strom erhielt der Bauernhof eine neue wichtige Energiequelle, mit dem Schlepper einen Ersatz für den tierischen Helfer. Herdbuchgesellschaften und Kontrollvereine halfen, die Erträge der Viehwirtschaft zu steigern. Gab die Kuh bisher jährlich durchschnittlich 900 Liter Milch, so konnte durch Zucht- und Pflegemaßnahmen der Milchertrag erheblich verbessert werden. In genossenschaftlicher Selbsthilfe mehrte sich der Bodenertrag, der Gewinn beim Verkauf der erzielten Produkte bei günstigem Bezug von Saatgut und Düngemitteln. Die Hektarerträge an Getreide, vor 50 Jahren 4–5 Doppelzentner, wuchsen auf das Mehrfache an. Der Ausbau der Lee, 1927–33 zwischen Wiet- Wegebau im Zuge der Vechteregulierung hinter Mensen, Berge, ca 1960 (Harm Kuiper) marschen und Scheerhorn, verbesserte die Vorflut. 1933 besaß Berge 44 ha Ackerland, 14 ha Wiesen, 28 ha Weiden, 22 landwirtschaftliche Betriebe, darunter zwei größere Höfe, 15 kleinere, ein Neubauer, vier Heuer. Die Einwohnerzahl der Zwerggemeinde wuchs in 100 Jahren von 83 auf 126 an. Scheerhorn besaß 102 ha Ackerland, 31 ha Wiesen, 38 ha Weiden, 39 landwirtschaftliche Betriebe, darunter sieben größere, 18 kleinere Höfe, zwei Neubauern, zwölf Heuer und 217 Einwohner. Nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Landeskultur durch das Vorkommen neuer Bodenschätze eine unvorhergesehene günstige Entwicklung, an der alle Hofstätten teilnah- Ölstraße 1961. Landstraße mit einsam dahinziehenden Pferdefuhrwerk bei Scheerhorn. (Willy Friedrich) Letzte Holzbrücke über die Lee bei Schraten, 2008 (Harm Kuiper) 108 BERGE UND SCHERHORN Harm Kuiper (1903-1972) auf der Leebrücke bei Schiphouwer in 1948 (Harm Kuiper) Gefrieranlage Scheerhorn Dezember 1958 Unbekannt, Johannes Lorenz Jönssen, Gerd Evers, Harm Kuite, Hindrik-Jan Keute, Gerd Kemper, Bgm. Johannes Nyenhuis, Unbekannt, Frau Kunze, Steven Nöst (Willy Friedrich) 21.11.1985, Bürgermeister Jan Hindrik Koops wird sechzig, v.l. Frieda Koops, Jan Hindrik Koops und Henrika Köster (Willy Friedrich) Leestau bei Bernd-Harm Alferink. (Harm Kuiper) men. Es begann 1946 mit dem Einsatz von elf Dieselloks im Siedlungsgebiet Berge-Scheerhorn. Als man 1949 das Ölfeld Scheerhorn entdeckte, beeinflusste der bergmännische Ausbau auch den kommunalen Aufbau beider Gemeinden. Schneller als anderswo erhielten die Marken feste Straßen, die Gemeinden Wasserleitungen, Gefrieranlage, Wäscherei, Jugendheim, Sportplätze. Erhöhte Steuereinnahmen erlaubten, die Infrastruktur, die Grundausrüstung der Dörfer zu verbessern. Technische Werkstätten mit 120 Arbeitskräften, Verwaltungsgebäude, Pumpaggregate u.a. setzten gewerbliche Elemente in die bäuerliche Landschaft. Neusiedlungen entstanden, Vollerwerbsbetriebe mit zwölf bis 15 ha Kulturland und handwerkliche Nebenerwerbssiedlungen. Neue Vorfluter und Nebengräben verbesserten den Abfluss; feste Brücken, wie Eißen- und Schratenbrücke, boten sicheren Zugang für Schlepper und Landmaschinen. Die Ölfirma Deilmann verlegte ihren Sitz nach Scheerhorn; sie half mit an den umfangreichen Kulturmaßnahmen in den Marken. 109 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Eine neue, zweiklassige Schule im Grünen, ausgestattet mit Vorgarten, Staudenbeeten, Lehrgarten, Pausenhof und Gymnastikraum ersetzte den alten, 100-jährigen Schulraum; eine Ehrentafel hält die Erinnerung an die im Kriege Gefallenen wach. 1956 brach die Sonde 22 aus; die 30 m hohe Ölfontäne konnte nach einigen Tagen gebändigt werden. 1962 erreichte die Vechteregulierung die Leemündung; ein Vechtewehr mit Stau entstand. Damit hörten die verheerenden Überschwemmungen auf, unter denen besonders Berge noch 1951 zu leiden hatte. An der alten Straße, L 44, die mehrfach begradigt und erweitert wurde, richtete das Deutsche Rote Kreuz 1970 einen Rettungswachdienst in den Berger Tannen, in der Nähe des Leebades, ein. Ziele landwirtschaftlicher Lehrfahrten sind manche der stattlichen und mit neuzeitlichen Einrichtungen versehenen Höfe, darunter auch der Aussiedlerhof Maathuis, der 21 ha, zur Hälfte Acker- und Grünland, bewirtschaftet und mit zweckmäßigen Betriebsanlagen, wie Absaugvorrichtung, ausgestattet ist. Als Beispiel eines Kulturpioniers sei J. Oldekamp genannt, der im Scheerhorner Moor vor 50 Jahren einen eigenen bäuerlichen Betrieb aufbaute und durch mühsame Kultivierungsarbeiten erweiterte. Die Leitung der aufstrebenden Gemeinde hatte 1961 J. Nyenhuis, der 1961 bereits 30 Jahre Bürgermeister war, was die Kreisverwaltung ihm durch eine Ehrenurkunde dankte … Quellen Edel, Die Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953 Der Fettpott, Grafsch. Tageblatt 1950, Nr. 163 Friedrich, Berge, Porträt einer Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960 Friedrich, Scheerhorn, Porträt einer Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960 Frommeyer u. Lögters, Erdöl und Erdgas im Emsland, Jahrb. 1960 Klopmeyer, Die Besiedlung des Niedergrafschafter Hochmoors, Der Grafschafter 1954, Folge 14 Ossenbühl, Die Entwicklung der adligen Güter, Jahrb. 1966 Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises Der Landkreis Grafschaft Bentheim 110 Bürgermeister der Gemeinde Scheerhorn Etwa 1830 B. Scholten, etwa 1877 Jan Alferink (1835–1915) etwa 1881 bis 1908 Wilm Scholte (Scholten). Hermann Alferink (1880–1932), von Mai 1919 bis etwa 1925. Bürgermeister Hermann Alferink (*1880) mit Frau Janna geb. Slikkers, vier kleinen Kindern und Vater um 1920 (Hindrik-Jan Alferink) Danach folgte Gerrit Hindrik Hatger (1881–1944) von etwa 1925 bis 1931. Johannes Nyenhuis (1881-1975), war von 1931 bis Oktober 1968 fast vierzig Jahre Bürgermeister der Gemeinde Scheerhorn. Ein Nachruf in den Grafschafter Nachrichten beschreibt ihn als einen „Grafschafter von echtem Schrot und Korn“. Er machte nicht viele Worte, sondern stellte immer wieder das Allgemeinwohl in den Vordergrund. GN 09.1975 Letzter Bürgermeister in Scheerhorn war Jan Hindrik Koops (1925–2003). Vom Oktober 1968 bis zum Inkrafttreten der Gemeindereform am 01.03.1974 hatte er dieses Amt inne. Anschließend war er bis 1996 Bürgermeister der Gemeinde Hoogstede und Samtgemeindebürgermeister von 1991 bis 1996. BERGE UND SCHERHORN „Onkel Hans“ = Johannes Nyenhuis Erzählt von Johann Jeurink Gerne erzählte Jan-Hindrik Koops von seinem Vorgänger Nyenhuis, den er „Onkel Hans“ nannte. Dass Nyenhuis einen Sinn für Gerechtigkeit hatte und nicht vor den Behörden kuschte, erzählte Koops öfter mit einer kleinen Anekdote. Regelmäßig prüfte der Landkreis die Bücher der Landgemeinden. In den 1950er und 60er Jahren führte Herr Woltmann diese Prüfungen durch. Bei einer solchen Prüfung fand Woltmann eine Rechnung über einen Hut. Er konnte sie nicht einordnen und stornierte den Betrag. Bürgermeister Nyenhuis musste diese Rechnung privat bezahlen. Nyenhuis war ein ehrlicher und korrekter Mann. Er begründete die Buchung so: Nach einer Landtagswahl trafen sich die Wahlhelfer im Wahllokal Warmer zur Auszählung der Stimmen. Danach blieb man noch bis spät abends in geselliger Runde zusammen, bevor man den Heimweg antrat. Nyenhuis musste feststellen, dass jemand wohl versehentlich seinen Hut mitgenommen hatte. Trotz vieler Bemühungen tauchte der Hut nicht wieder auf. Der Bürgermeister ließ sich diesen Hut zu Lasten der Gemeinde bezahlen. Er meinte: Der Verlust des Hutes erfolgte bei der Ausübung kommunaler Tätigkeiten. Nyenhuis war von kurzen Entscheidungen geprägt. Er diskutierte nicht lange mit dem Rechnungsprüfer und akzeptierte dessen Entscheidung vorläufig. Bei der nächsten Prüfung aber wies er den Prüfer darauf hin, dass er sich seinen Hut nach der letzten Prüfung doch von der Gemeinde habe bezahlen lassen. Der Prüfer werde bei der aktuellen Prüfung den Betrag bestimmt nicht finden. „Dajn Betrag hebb ik deer met unner knooit, um dät he mi tosteht.“ Bürgermeister Gerrit Hindrik Hatger (1883-1944), im Amt 1925 bis 1931 (Harm Kuiper) Bürgermeister Johannes Nyenhuis (1881-1975), im Amt 1931 bis 1968 (Harm Kuiper) Vorsteherwahl Zeitung und Anzeigenblatt 1919 Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim Ausgesucht von Johann Jeurink Scheerhorn, 3. Mai 1919 „Gemeindevorsteherwahl mit Hindernissen“ Unsere Gemeinde hat ein neues Oberhaupt zu wählen, doch stößt die Wahl auf unerwartete Schwierigkeiten. Zwei Wahltermine sind bereits abgehalten, und beide waren vergeblich, so daß ein dritter Termin angesetzt werden muß. Beim ersten Termin am 29. März hatten sich von 33 Wahlberechtigten 19 eingefunden. Die meisten Stimmen vereinigte der Kolon Jan Schiphouwer auf sich, nämlich von 19 sieben. Damit war eine absolute Mehrheit nicht erzielt, vom Landratsamt wurde die Bestätigung versagt und Neuwahl anberaumt. 111 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE In derselben Versammlung wurde der Kötter Hindrik Schraten einstimmig zum Beigeordneten gewählt. Es wurde ein neuer Termin für die Gemeindevorsteherwahl auf den 16. April angesetzt. Da die Gemeindevorsteherwahlen noch nach dem früheren Wahlrecht vorgenommen werden sollen, teilte der Vorsteher den erschienenen Wahlberechtigten mit, wie viel Stimmen nach der Steuerkraft jeder habe. Da aber erhob sich bei denen , die nur eine Stimme hatten, stürmischer Widerspruch. Sie bestanden auf Vornahme der Wahl nach dem gleichen, geheimen und allgemeinen Wahlrecht. Sie verließen unter Protest das Wahllokal. Der Landrat hat jetzt den Verweser des Hülfsamts in Neuenhaus, Herrn Middendorf, zum Wahlkommissar für die Gemeindevorsteherwahl in Scheerhorn ernannt, und unter seiner Leitung dürfte nun in Kürze die endgültige Wahl erfolgen. Scheerhorn, 12. Mai 1919 Die viel umstrittene Gemeindevorsteherwahl ist nun am vorigen Donnerstag erfolgt. Die Wahl leitete der vom Landrat ernannte Kommissar Middendorf. Vor dem Wahlgang erhoben zwar einige Kötter noch Widerspruch Ein kleines Freibad an der Lee, GN 31.05.1965 Bis etwa 1971 genutzt, heute ein „Freibad“ für Schwäne. Im Hintergrund die Lee (Onstee) 112 BERGE UND SCHERHORN gegen das alte Wahlrecht. Nach den nun einmal aber bestehenden Bestimmungen mußte die Gemeindevorsteherwahl danach erfolgen. Abgegeben wurden insgesamt 62 Stimmen, wovon 43 auf den Kolonen Hermann Alferink entfielen, der damit gewählt war. Die anderen 19 Stimmen waren zersplittert. Höfe in Berge und Scheerhorn Von Harm Kuiper In der Gildschaft Scheerhorn wurden im Jahr 1656 siebzig Hofstellen gezählt, davon elf Erb- und zwei Schultenhöfe, 43 Höfe mit Acker und Grünland und 14 Hofstellen nur mit Ackerland. Die Größe der Hofstellen betrug in der Regel unter 20 Hektar. Nur die beiden Schultenhöfe in Arkel und Scheerhorn hatten etwa 25 Hektar. Sieben Höfe in der Gildschaft waren dem Grafen von Bentheim hörig, einer dem Kloster Wietmarschen. Vier Höfe wurden als „Arve“ bezeichnet. An der Lage und Namen der Höfe hat sich bis heute wenig geändert. In Scheerhorn werden genannt: De Scholt (Scholten / Smit) Ratering (Bosman), Hartger, Hemken (Nyenhuis), Zuerink (Züwerink) Schiphouwer, De Vett und Coops. In Berge werden 1656 genannt: Albers, De Coyt (Kuite), De Cuiper, Bols Lambert (Grote Lambers), De Pranger (Silder, als einziger in der Zeit Fürstlicher Hof), Mense in de Berge, Engbert Swiers (Arnold Mensen) und elf weitere Hof- oder Landbesitzer, wobei es sich wahrscheinlich um Kotten und Brinksitzer gehandelt hat. Die Hof- und Freiflächen vor den Höfen Mensen, Kuite und Kuiper werden heute noch als „Brink“ bezeichnet, was wohl auf die „Brinksitzer“ zurückzuführen ist. Vergleicht man diese Familiennamen mit den heutigen, kann man erkennen, dass sehr viel Wert auf die Tradition der Hof- und Familiennamen gelegt wurde. Das Leben der Familien in Berge spielte sich auf einem sehr kleinen Raum ab. Dieser beschränkte sich auf die heutige Ringstraße, an der (bis etwa 1872) auch noch die Höfe von Engbers (Mensen), jetzt Feldstraße, und Albers (bis 1888), jetzt Wallstraße, lagen. Dazu kam der Hof von Klein-Lambers (Kohlenberg) an der jetzigen Hauptstraße. Östlich oder rechts der heutigen Hauptstraße lagen nur die beiden Höfe von Kuite und Kuiper. In diesem ganzen Kreis kann man die alte Wegestruktur heute noch gut erken- Übersichtskarte der Höfe in Berge (Harm Kuiper) 113 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Heuerhaus von Kuite im Berger Bruch. Familie Berents bis 1896, Familie Klokkers 1896–1926, Familie Jeurink 1926–1954. Dieses Heuerhaus wurde wegen familiärer Umstände im 19. Jh. von Neuringe (Kuite) nach Berge versetzt. Kuite hat es Ende der 1990er Jahre abgerissen. (Willy Friedrich) „Scheerhorn: Ein überaus altes Heuerhaus bei Scheerhorn. Heuerhäuser waren einst die Unterkunft der Heuerleute, der ländlichen Arbeitskräfte, die als Pächter ohne eigenen Grundbesitz waren. Ihre Zahl betrug um 1880 allein im ehemaligen Amt Neuenhaus 2.760 Personen. Die Abwanderung von den Höfen und die damit verbundene Aufgabe der Heuerhäuser begann in der Grafschaft mit dem Aufbau der Textilindustrie in Schüttorf und Nordhorn und fand ihren Abschluss mit dem Strukturwandel der Landwirtschaft nach 1945. Seither wird das ehemalige Pachtland zumeist von den Stammhöfen bewirtschaftet. Heute sind viele Heuerhäuser der Niedergrafschaft restauriert und zu schmucken ,Landhäusern’ umgestaltet worden.“ (Aufnahme von W. Friedrich vom Januar 1961). nen. Alte Sandwege, heute fast mit Gestrüpp zugewachsen, sind umrahmt von alten knorrigen Eichen an den Kämpen. Die jetzige Hauptstraße gab es früher so nicht. Dieser Verlauf stammt aus der Franzosenzeit Anfang des 19. Jahrhunderts. Die „Berger Sahara“ Hinter den Höfen Kuite und Kuiper, genauer hinter Albers Kamp, gab es Heidelandschaften bis an die Lee. Das ganze Berger- und Escherfeld war Heide, soweit das Auge reichte. Der Berger Brill wurde nur sehr spärlich bewirtschaftet. Die Berger Tannen gab es zu der Zeit noch nicht. Längs der Lee wüteten 114 große Sanddünen, die in der Landwirtschaft sehr große Schäden anrichteten. Man sprach auch von der „Berger Sahara“. Personen, die diese Sanddünen beschrieben haben, berichteten über die Sandverwehungen als ein unvorstellbares Naturschauspiel. Wer einmal längs der Lee spazieren war, sich in der Zeit zurückversetzt und sich die großen Sandhügel ohne jeglichen Bewuchs vorstellt, kann vielleicht die Ausmaße in der damaligen Zeit erahnen. Bereits 1707 traf man erste Maßnahmen, um die Sanddünen einzudämmen. Doch große Schafherden der heimischen Bauern vernichteten immer wieder durch Zertretung und Verbiss jegliche Aufforstaktionen. Auch der Plaggenstich wirkte sich negativ aus. BERGE UND SCHERHORN Immer wieder wurden Versuche gestartet, angetrieben von der Landesregierung in Hannover. Aber die heimischen Verantwortlichen Bauern trugen keineswegs zum Gelingen bei. Erst 1881 kam in der Gastwirtschaft Kleine Lambers ein Zusammenschluss der Scheerhorner und Berger Grundbesitzer zu einer Waldgenossenschaft zustande. 1884 wurden 100.000 Kiefern gepflanzt. Zehn Jahre später meldete das Amt Neuenhaus, dass keine Sandverwehungen mehr vorkommen. Einige Flächen sind von den Grundbesitzern in den 1960er und 70er Jahren gerodet worden und werden jetzt landwirtschaftlich genutzt. Doch der größte Teil des Kiefernwaldes ist bis heute erhalten geblieben und ein herrliches Erholungs- und Rückzugsgebiet für Mensch und Tier geworden. Gerrit Jan Zager hat im Bentheimer Jahrbuch 2001, S. 170–174 einen Artikel veröffentlicht „Der Kiefernwald in Scheerhorn-Berge“. Er bezieht sich auf die Akte Rep 350, Nr. 749 aus dem Staatsarchiv Osnabrück und auf einen Beitrag von H. Specht im Heimatkalender von 1927 „Der Kampf des Grafschafter Landwirts mit dem Sande“. Zagers Artikel musste aus Platzgründen hier entfallen. In der Franzosenzeit Wie viel Elend und Leid die damalige Bevölkerung erleiden musste, beschreibt der Bauer Bernd Bierling aus Klein Ringe in den Jahren 1759 bis 1836 in seiner Chronik, die er geführt hat. (J.B. = Jahrbuch 1979) So gern von der „guten alten Zeit“ gesprochen wurde, an das Elend der kriegerischen Ereignisse dieser Zeit erinnert man sich nicht mehr. 1794–1803 1795, 25. Januar: Es herrscht unerträgliches Frostwetter. Waal, Maas und Rhein sind zugefroren. Das ermöglicht den Franzosen den Durchbruch nach Holland. Engländer und Wittgensteiner ziehen durch und nehmen viele Bauernwagen mit. Am 11.2. ziehen die Franzosen in die Festung Coevorden ein. In dieser Zeit war es schlimm mit all dem „Kriegsvolk“. In Emlichheim brachen die Soldaten die Bänke aus der Kirche, um Platz für Pferde und „pakken“ (Troßgepäck) zu haben. Die nach Veldhausen „en elders“ zurückweichenden Engländer brachen die Brücke bei Coevorden ab. In Scheerhorn verbrannten sie die Holzbrücke über den „hollandschen Graven“, so hieß früher die Lee. Die Bauern mussten Torf heranschaffen, um sie in Brand setzen zu können … Unter französischerHerrschaft (1806–1815) Am 4. August 1806 wurde trotz aller Zahlungen und Vereinbarungen die Grafschaft Bentheim von Murat, dem Schwager Napoleons – er nannte sich Großherzog von Berg – in Besitz genommen. Damit begann die bis 1815 dauernde eigentliche „Franzosenzeit“. Unsere Heimat wurde dem Großherzogtum Berg einverleibt, aber schon bald zum französischen Kaiserreich geschlagen. Die Verwaltung wurde jetzt ganz nach französischem Muster aufgebaut und organisiert. Mairien (Bürgermeister ämter) und Munizipalitäten (Bezirksbürgermeistereien) wurden eingerichtet. Auch Klein-Ringe wurde eine „Mairie“ und Hindrik Beerlink „Bygeordneter der Munizipalität Klein-Ringe und Delegierter Civil Standesbeamter“. Das von ihm auf Veranlassung der Besatzung geführte Sterberegister für das Jahr 1813 wird ebenfalls im Hause Bierlink aufbewahrt. Das System der „Marien“, das die Franzosen bei uns eingeführt haben, ist bis heute mehr oder weniger ähnlich erhalten geblieben. Sinn und Zweck war es, jede Geburt zu erfassen, und die Söhne, auch frühere Jahrgänge, zum Militärdienst einzuziehen. Von diesen Auflistungen der Standesämter haben alle späteren Landesherren und Regierungen Gebrauch gemacht. Nr. 5 Geburt von Fenne Brunink Abschrift der Urkunde (Seite 116): Im Jahre Eintausend achthundert zwölf am ein und dreißigsten Jannuar, des Nachmittags drey Uhr, erschienen vor mir, Heinrich Beerlink, Maire der Municipalität Kleine Ringe, der Tagelöhner Jan Brunink, wohnhaft zu Berge, mit der Anzeige, daß am Donnerstage, den dreyzehnten Jannuar des Morgens vier Uhr, ihm von seiner Ehegattin ein Kind weiblichen Ge- 115 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE schlechts geboren sey, welchem er den Vornamen Fenne gegeben habe. Zeugen beij dieser Handlung waren: Der Ackersmann Jan Lambers, fünfundsechzig jährigen Alters und der Municipal-Rath Geerd Kuiper, zwey und vierzig Jahre alt, beyde zu Berge wohnhaft. Jan Lambers, Geert Kuijpers Nach Verlesung erklärte der Comparent Brunink schreibensunfähig zu seyn, die Zeugen unterschrieben vorstehend. gez. Heinrich Beerlink Maire (Bürgermeister) zu Kleine Ringe. Bürgermeister von Berge 1806-1974 Die damaligen „Maire“ waren praktisch die ersten Bürgermeister. Der erste Bürgermeister oder Gemeinderat von Berge war meines Erachtens Geerd Kuiper. Er war bis etwa 1833 Bürgermeister Ihm folgte etwa 1833 Jan Harm Grote Lambers, geb. 1806 in Berge. Um 1853 war Geert Albers geb. Holthuis (aus Itterbeck) Bürgermeister in Berge, 1880 bis 1902 war es Jan Harm Grote Lambers. Am 31.01.1812 wurde die Geburt von Fenne Brünink vor dem Maire der Municapalität Klein Ringe, Heinrich Bierlink beurkundet, die am 30.01.1812 geboren sei. Zeugen Geburtsurkunde Fenne Brunink 30.01.1812 (Harn Kuiper) Bürgermeister Harm Kuite 1855–1945 116 Bürgermeister Hindrik-Jan Keute 1909–2001 BERGE UND SCHERHORN Bürgermeister Gerhard Mensen 1896–1958 Bürgermeister Harm Kuite 1909–1983 (Harm Kuiper) dieser Handlung waren der Ackermann Jan Lambers und der Municipalrath Geerd Kuiper, beide wohnhaft zu Berge. Geert Kuiper ist 1767 geboren und 20.02.1846 gestorben. Harm Kuite geb. 06.04.1855, war von 1902 bis zum 15.09.1937 Bürgermeister in Berge. Harm Kuite ist am 16.12.1945 verstorben. Das Gemeindebüro befand sich schon zu der Zeit auf dem Hof Kuite und blieb dort bis zur Gemeindereform in 1974. Ab 16.09.1937 war Hindrik-Jan Keute Bürgermeister der Gemeinde Berge bis zu seiner Einberufung 1943. Er ist geboren 27.03,1909 und verstorben am 30.09.2001. Er war über viele Jahrzehnte in verschiedenen Gremien tätig (Gemeinde, Schule und Kirche). Gerhard Mensen geb. Hannebrook geb. 10.03.1896 in Bathorn war Bürgermeister von 1946 bis zu seinem Tod am 05.02.1958. Nachfolger und letzter Bürgermeister war Harm Kuite, der dieses Amt bis zur Gemeindereform 1974 inne hatte. Geboren wurde er am 10.10.1909 und ist am 23.04.1983 gestorben. Hiermit schloss sich die Akte Bürgermeisteramt in Berge. Lambet und Velt. Überwiegend hielten sie Schafe, nämlich 170 Stück. Außerdem wurden 28 Pferde, 45 Kühe, 30 Rinder und zehn Schweine auf den Höfen gehalten. Auf den elf Höfen lebten 1705 32 Erwachsene, 14 Kinder und fünf Knechte/Mägde. 1717 waren es 29 Erwachsene, acht Kinder und zwei Knechte/ Mägde. Die Anzahl der Hofstätten hat sich auch im Jahr 1800 noch nicht geändert. 1821 waren es nur noch zehn| Höfe aber mit 83 hatte sich die Zahl der Einwohner fast verdoppelt. Nach dem Bau des Nord-Süd-Kanals ab 1871 und dem Ausbau und Regulierung der Lee 1927 bis 1933 siedelten sich mehrere landwirtschaftliche Betriebe an. 1933 gab es 22 Höfe und 126 Einwohner. Einen wahren Bauboom für das kleine Berge gab es am Anfang der 1950er Jahre. Bauernsöhne, aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, bauten sich in der Gemeinde ein Haus. So wuchs Berge bis Ende 1959 auf 160 Einwohner in 30 Wohnhäusern an. Flüchtlinge des letzten Krieges sind in Berge nicht sesshaft geworden. Dafür war die Gemeinde zu klein und hatte auch wirtschaftlich zu wenig zu bieten. Die letzten Flüchtlinge verließen Berge 1960 und so pendelte sich die Personenzahl zwischen 140 und 150 Volkszählungen 1707 bis 1959 1707 zählt man in Berge elf Höfe. Kuiper, Kuite, Grote, Lambers, Huit Derck, Prenger, Huit Albert, Mensen, Engbert, Zweers, Klein 117 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE ein. Heute hat Berge ca.123 Einwohner. Auch an den 30 Wohnhäusern änderte sich in den letzten 50 Jahren nichts mehr. Berge war, ist und bleibt eine kleine beschauliche und vor allem überschaubare Landgemeinde. Hungersnot 1822 in der Gildschaft Scheerhorn STAOS, Rep 340, Amt Benth. Nr. 645, Getreidelieferung auf Kredit an die Gildschaft Scheerhorn zur Abwendung einer infolge Hagelschlags drohenden Hungersnot Akten via Harm Kuiper, Berge Pr. 21 Decbr. 1822 Die Eingesessenen der Gildschaft Scheerhorn im Gericht Emlichheim sind im Monate Mai d.J. dergestalt mit Hagelschlag heimgesucht worden, daß die Mehrsten kaum das benöthigte Saatkorn von ihren Feldern eingeerndtet haben, und an Brotkorn würcklich Mangel leiden. Da sie sich um selbiges bey dem gegenwärtigen Geldmangel und den außerordentlich niedrigen Preisen aller Landes-Producte selbst auf Credit nicht anzuschaffen vermögen; so haben sie sich in dieser drückenden Lage an Uns gewandt und um Hülfe nachgesucht. Wir haben Uns daher veranlasst gesehen, durch den Friedensrichter Wedekind den würcklichen Bedarf der besagten Eingesessenen an Brodkorn untersuchen zu lassen, welche in dem hiebey anliegenden Bericht desselben vom 18 d. Mts. auf 8 Last 71 Scheffel Roggen dortigem Maaße angegeben wurden. Da nun jenen des Brotkorns bedürftigen Eingesessenen auf keine andere Weise zu helfen ist, als daß denselben, wie von dem Friedensrichter Wedekind vorgeschlagenen worden ist, der ihnen fehlende Roggen von den herrschaftlichen Kornböden, in so fern es der Vorrat gestattet, auf Credit, etwa bis 1 September künftigen Jahres, jedoch unter genugsamer Sicherheits-Leistung für die Bezahlung des jetzt ... gängigen Preises, verabfolgt werde; so geben Wir der Königlichen Cammer – Administrationen anheim, bey Königlicher Cammer die dazu erforderliche Autorisation nachzusuchen. Bentheim, den 20. December 1822 Königliche p. Regierung Pestel 118 An die Königliche Cammer Administration hier. Actum Neuenhaus Dienstag den 28ten Januar 1823 praesentes Herr Richter Wedekind und der Actuar Wineke Demnach Königliche Cammer zu genehmigen geruht hat, daß den im ?vergangenen? Sommer durch Hagelschlag beschädigten Eingesessenen der Gildschaft Scheerhorn, acht Last 71 Scheffel Roggen zum Brotkorn, von dem herrschaftlichen Vorrathe für den jetzigen Marktpreis überlassen werden, zu dessen bis zum ersten September dieses Jahres gefristeten Bezahlung aber die theilnehmenden Communen sich in solidum verpflichten sollen – und dann Königliche Regierung zu Bentheim, mittelst Rescripts vom 20ten dieses Monats dem Friedensgerichte Emblichheim aufgetragen hat, über die von den Eingesessenen der betreffenden Communen der Gildschaft Scheerhorn zu übernehmende Verpflichtung ein gehöriges Protocoll auf zu nehmen und einzusenden, damit wegen Ablieferung des Roggens das Weitere verfügt werden kann, so erschienen heute: 1. aus der Bauerschaft Scheerhorn die Coloni Schulte, Hemmeke, Ratering, Vette, Egbers, Kamps, Brüning und Haatger, welche erklärten, daß sie in Hinsicht der Bezahlung der drei Last fünfzig Scheffel, welche sie von dem obigen Roggen erhalten würden, alle für einen und einer für alle, oder in solidum haften und folglich jeder für die ganze Summe ansprechlich seyn wollte. 2. aus der Bauerschaft Hochstädte erschienen die Coloni Warmer, Hannebook, Wöste, Saalming, Jöring, Kuhlmann, Kalmann, Albers, Kolthoff, Schulte zu Arkel und Völker, welche in Hinsicht der zwei Last sechs und sechzig Scheffel, welche sie von obigem Roggen erhalten würden, das Nämliche erklärten 3. aus der Bauerschaft Bathorn erschienen die Coloni Quade, Bolle, Brookschnieder, Boerkamp, Blömer, Wiegman, Wigger und Herm Neerken, welche das Nämliche erklärten in Ansehung der einen Last und 53 Scheffel, welche sie von dem bewilligten Roggen erhalten würden. 4. Erschienen die drei Eingesessenen der Bauerschaft Berge, nämlich Zweers, Engbers und Schnieder, welche in Hinsicht der 52 BERGE UND SCHERHORN Eigenhändige Unterschriften von 36 Einwohnern aus 1823, Abschrift Seite 118 (Gerrit Jan Beuker) 119 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Scheffel, die sie von obigem Roggen erhalten würden, das Nämliche declarirten. 5. Endlich erschienen auch die beiden Eingesessenen Schlickert und van Ringe aus Tinholt, und erklärten eben dasselbe in Hinsicht der fünfzig Scheffel, die sie von obigem Roggen erhalten würden. Sämtliche Comparenten entsagten allen ihnen etwa zustehende könnende Einreden, insbe- sondere der Rechtswohlthat der Theilung und haben dies Protokoll, welches nach zurück behaltener Abschrift, im Original an Königliche Regierung zu Bentheim eingesandt werden soll, darauf nach geschehener Verlesung und Genehmigung eigenhändig unterschrieben.“ So geschehen Neuenhaus am Tage wie oben G. Wedekind Harm hemke Jan Raterink Jan Egbers Jan Hartger Geert han nebrook Jan Jeurink H. Koelmann Jan Hindrik Albers Harm Kolt hof hindrik Kwad Egbert brook snijder janherm bleumer Jan wiggers Janhindrik Zweers Berend Engbers zijn Merkzeichen, welche bescheinige Wineke Geert Sniders Berent Scholten Gerrit Jan Vette Geert kamps Jan harm brunink Jan wermer jan weusten Gerrit zaalmink Rötger Kalman sein Merkzeichen welches bescheinige Wineke Geert Scholte jan hindrik volkers Albert Bol Jan Harmberkamp wasse wiege man ham neeken Hindrik Slikkers Jan van Ringe sein Merkzeichen, welches bescheinige Wineke Wineke Heuerhaus vom Hof Scholte, Scheerhorn, etwa 1955-1960 Hier wohnten Familie Heckhuis, Familie Gerhard Büter, Familie Veldjans, Fam. Hans Rießland, Familie Michalsky. Wohn-Wirtschaftsgebäude in Scheerhorn. Das wohl älteste Haus in der Niedergrafschaft. Mit Stroh, Schilf, Heideplaggen und „Woagebüschen“ (Wacholder) gedeckt, ebenfalls die Giebelfront. Die Bewohner fühlen sich darin wohl. Zufriedenheit ist „relativ“. (Willy Friedrich) 120 BERGE UND SCHERHORN Dokumente Berge 1829 bis 1919 Harm Kuiper Kaufbrief Ratering an Mensen 1829 „12. Mai 1829 (Stempeltaxe 8 Gute Groschen conv. Münze) Vor dem Amte erschienen die Eheleute Colon Jan Ratering und Janna Alfering aus Scheerhorn: Dieselbe sagten aus und bekannten vermöge eines von ihrer Gutsherrschaft der Fürstlichen Domänen Cammer unterm 31ten März dieses Jahres erhaltenen Consens verkauft zu haben, und hiermit verkauften, ihre ihnen eigenthümlich zubehörende ungefähr ein Tagwerk haltende Wiese, belegen an Brinks Mathe und am Escherbrook, an den Colon Herm Mensen in den Bergen mit Lüsten und Lasten, Recht und Gerechtigkeiten für die Summe von f 400,- geschrieben vier hundert Gulden – wobei sie bemerken mussten, daß aus diesem Grundstücke der Zehnte gehe, wovon sie ihren Antheil dem Käufer mitverkauftt hatten. Da der Käufer nun ihnen die ge- nannte Kauf-Summe bereits völlig ausbezahlt habe, so setzen sie denselben in den ruhigen Besitz der ihm verkauften Wiese, und versprachen ihm die Gewähr Rechtens, jederzeit dafür zu halten. Nach geschehener Vorlesung und Genehmigung haben die Verkäufer Eheleute Ratering vorstehenden Kaufbrief eigenhändig unterschrieben und respective mit einem Handmerk bezeichnet. Jan Raterink ++ Diese Zeichen zog die Ehefrau Ratering geborne Janna Alfring eigenhändig in meiner Gegenwart, quod attestor… Urkundlich vorgedruckten Amts-Siegels – abschriftlicher Eintragung in das Documenten Protocoll und der gewöhnlichen Unterschrift. So geschehen, Neuenhaus, den 12ten May 1829 Standesherrliches Fürstlich Bentheimsches Amt Wessels.“ Anfang und Ende Kaufbrief Ratering an Mensen, 12.05.1829 (Harm Kuiper) 121 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Scheerhorner Ballast / Kündigung eines Versatz-Verhältnisses 1849 Geschehen Amt Neuenhaus, den 17. Juli 1849 Fürstlich-Bentheimsche Domänen-Kammer ./. 28 Eingesessene der Gildschaft Scheerhorn betreffend Es erscheint Namens der Fürstlich-Benheimschen Domainen-Kammer der Rentmeister Crameer von hier und trägt vor: Der Graf Friedrich Karl Bentheim habe laut einer unter dem 20. Sept. 1747 darüber aufgenommenen Urkunde die Summe 8.400 Gl. niederl. von folgenden Personen zum Darlehen erhalten: Schulze zu Scherhorn, Lambert Ensing, Hinrich Bloemer, Albert Alfering, Berend Suivering, Gerd Schiphouer, Hemke, Gerd Weuste, Jan Ratering, Gerd Hartger, Coop Mensen, Hindrich Herms, Geerd Saalming, Lambert Schulze odere Meijers, Lambert Jöring und Grote Lambers (Hindrich), Gerrit Quade, Baukamp, Wermer, Gosen, Koelmann, Weuste, Neerken, Jan Wiegering, Derk Kolthoff, Jan Saalming, Jan Bruining, Hannebroek und Kaalmann; Für jenes Darlehn seij den Darlehngebern, welche in der Urkunde sämmtlich als Scherhorner Eingesessenen aufgeführt seijen, zum Theil indessen auch in anderen Bauerschaften der Gildschaft Scherhorn wohnen, der zu Scherhorn belegene s.g. Scherhorner Ballast, dem Fürstlichen Haus Bentheim eigenthümlich gehörig, in antikretischem Versatze gegeben, und seij stipulirt worden, daß beide Theilen nach Ablauf von 25 Jahren seit dem 20 Sept. 1747. eine halbjährige Kündigung des Darlehns, resp. des Versatzverhältnisses frei stehen solle. Die Fürstlich-Bentheimsche DomainenKammer wolle nunmehr den Scherhorner Ballast wieder einziehen, kündige daher hiermit die darauf ruhende Last der antikretischer Versatzung und erkläre sich bereit, binnen einem halben Jahre, von Zeit der Kündigung angerechnet die Schuld 8.400 Gl. den Berechtigten zurück zu zahlen. Er bitte, diese Kündigung den jetzigen Inhabern der genannten Colonate zu insinieren und ihn(en) Insinuationsbescheinigung zugehen zu lassen. 122 Sodann wünsche er, daß ??Editalladungen erlassen und durch diese alle etwaigen Gläubiger, auf welche etwa ein Antheil an dem fragl. Kapitale durch Erbschaft r. übergegangen sein möchte, von der jetzt geschehenden Kündigung in Kenntnis gesetzt und zur Anmeldung ihrer Ansprüche in einem auf ein halbes Jahr hinaus gesetzten Termin, bei Strafe der Präilusion, vorgeladen würden; diese Vorladung unter denselben Präjudize möge auch an die Inhaber der erwähnten Colonate geschehen; Sodann bitte er noch das Präjudiz anzudrehen, daß diejenigen die eine des Geldes auf welche im Anwandlungstermine keine Anspruch erhoben würde, daher unausgezahlt bleibe, auf Gebühr und Kosten der später sich meldenden Gläubiger gerichtlich deponiert werden solle Er halte für genügend, wenn die ???Einladung den Osnabrückschen Anzeigen inserirt und in den Kirchen Veldhausen, Arkel und Emblichheim publicirt werde. Endlich überreich er zur Kenntnisnahme des Amts eine Abschrift des eben erwähnten Contracts, von welchem er indessen keine Mittheilung an die Besitzer der genannten Colonate wünsche. procl. ratif. a.u.s. (actum ut supra) Kock H. hacke Durch ‘Blama? am 3. August 1849 insinirt?? W. Brill??“ Ablösungs-Receß von 1876 Zwischen dem Rentmeister Crameer zu Neuenhaus, Namens und im Auftrage der Fürstlich Bentheimschen Domänen Kammer zu Burgsteinfurt und dem Colon Mensen zu Berge ist der nachstehende Ablösungsvertrag abgeschlossen worden. 1. Aus dem Colonate Mensen zu Berge werden nachfolgende, dem Fürstlichen Hause Bentheim zu leistenden Abgaben abgelöst, als: ein s.g. Rauchhuhn 2. Diese Abgaben werden mittelst KapitalZahlung abgelöset und beträgt das AblöseKapital dafür auf Grund der nebenstehenden Bezeichnung 4 G. 24 gr. BERGE UND SCHERHORN 3. Der getroffenen Vereinbarung zufolge soll das vorgenannte Ablöse–Kapital nebst den bis dahin seit dem letzten Fälligkeitstermine verlaufenen Zinsen zu 4% am 1. Nvbr. d.J. bezahlt werden. 4. Nach Zahlung des Ablöse-Kapitals und der Rente ist das eingangs gedachte Kolonat von den im Art. 1 genannten Abgaben für immer liberirt, so daß Ansprüche darauf nie mehr gemacht werden können. So geschehen Neuenhaus den 1. Mai 1876 gez. Crameer, H. Mensen bitte um Bestätigung und Ausfertigung dieses ... gez. Crameer Vorstehender Ablösereceß wird damit genehmigt. Burg Steinfurt 19. April 1876 Fürstlich Bentheimische Domänen Kammer unterschrift unterschrift Vorstehende Ablöse Capital ad 4 rt 24 gr nebst Abgabe zu heute einbezahlt Neuenhaus d.en 12. Mai 1876 Kglicher Rendant Crameer Anfang Ablösungsvertrag vom 01.05.1876 (Harm Kuiper) Familie Vette in Berge um 1920, Johanne und Jennegien Vette mit ihren Eltern Aaltine geb. Brooksnieder und Jan Lukas Vette (Mini Büdden) 123 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Friedenseichen in Hoogstede–Berge Die Friedenseichen in Berge sind 1913 gepflanzt worden von Schulkindern des Gustav Lammers, einem gebürtigen Bentheimer und Lehrer in Scheerhorn, Ersatzreservist, gefallen am 11. April 1917 bei Bolaute. Friedenseichen wurden seinerzeit an verschiedenen Orten der Grafschaft zur Erinnerung an die napoleonischen Befreiungskriege gepflanzt. (Quelle: Ein ehemaliger Schüler Foto: Rolf Laing, in: Der Grafschafter 11/2002, S. 42) Der Heimatverein hat im Berger Feld und bei den drei Friedenseichen Ecke Schwarzer Diek/Zur Friedenseiche im Dezember 2007 Hinweistafeln aufgestellt. Darauf heißt es: „Bei diesen drei Eichen, die früher von einem Zaun umgeben waren, handelt es sich um ein Denkmal. Die Bäume wurden im Jahre 1913 gepflanzt aus Anlass des 25-jährigen Thronjubiläums des Deutschen Kaisers Wilhelm II. und zur Erinnerung an die Befreiung von der französischen Fremdherrschaft durch die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813. Mögen die Eichen uns mahnen, den Frieden zu bewahren!“ Die Friedenseiche in Berge vor dem Hof von Grote Lambers Friedenseichen (Gedicht von Heinrich Kuiper, Grasdorf, deutsch von Manfred Kip) In Blüte stand das deutsche Kaiserreich, das Vaterland. Da wurde ich in froher Friedenszeit gepflanzt von junger Männerhand doch war der Erste Weltkrieg nicht mehr weit. Und drohend schaute aus dem schwarzen Wolkenmeer die Sonne auf die große Völkerschlacht, die jetzt begann. Ich selbst war Kind und freute mich an bunten Sommerfarben, als unser Land versank in Nacht und Not. Noch klingt das Wort „mobil" mir in den Ohren, und Vater, Mann und Bruder, Sohn – sie standen an der Front, und in vier fürchterlichen Jahren mussten Zigtausend noch ihr junges Leben opfern. Für Kaiser, Volk und Vaterland war es vergebens, dass alle diesen schweren Acker pflügten. Die Erde brannte, und begraben wurde die Illusion der großen Freiheit aller Völker. Doch wenig später, ich war immer noch recht jung, stieg wieder ein Aggressor auf den Thron und sang die alte, wohlbekannte Melodie: Wir werden kämpfen, werden siegen, ich bin der starke Mann, und wenn wir wollen, sind wir schon bald die Herr'n der ganzen Welt. Den Deutschen und den Siegern hat es nur geschadet, dass aus dem Ganzen niemand etwas lernte. Ich denke an Verdun und Stalingrad, zwei Orte, die Symbol für sinnlos' Sterben sind. So musste ich zwei lange Kriege bitterlich erleben, und noch vernehme ich den Klang der Waffen. Auf schwachen Füßen nur steht unser Lebensglück, und dieser dunkle Weg der Menschheit ist noch nicht zu Ende. Ich zittere vor Schreck und ziehe bittere Grimassen, wenn ich von Kriegslärm hier auf Gottes Erde höre. Oh Völker, gebt dem Frieden endlich mal ein sicheres Zuhause, dort, wo Liebe nur und Menschlichkeit regieren! Der Grafschafter, Oktober 2002 124 BERGE UND SCHERHORN Friedenseichen in Berge mit Info-Tafel 2008 (Johann Jeurink) Scheerhorner Hüttenböilt Von Harm Kuiper De Fredenseeke Van Heinrich Kuiper Dat düütsche käiserriek en vaderland in blööjssel stün. In fredenstied bin ik hier pot´t van junge manlööhand. Den eersten Oorlog was nich wied, as reerend keek ut´t swatte wolkenmeer de sun en wickd´´ne völkerslacht. Ik was noch ´n kind en glimd´in sommerkleer, as´t land versackd´in noad en nacht. Noch klingt dat woord „mobil“ mi in de oor´n en vader, man en bröör en sön stün´n fechtend an de front en in´n loop van joor´n gaff´n völl eer blööj´nde lewen hen. Föör käiser, volk en vaterland hebt see ümtsüns den sworen akker plöögt. Uns eerde brande, en´n lewen völkerfree lag deep begraven. Later in mien jöögd steeg weer´n aggressor up den troon en süng de auld bekäinde melodie: Will krieg en sieg, ´nen starken man, dat bin ´k, et heele weltriek, dat höörd mi! Uns land en ok de siegermächt´heft´t schaad, dat ut geschichte men niks leerd. Ik däinke an Verdun en Stalingrad, woor sinlos starwen sichtbar wöörd. Twee lange Oorlogs mus belewen ik, en noch vernem ik wäpenklang. Up slappe föte steet uns lewensglück. De mäinschhäid geet döör´n düüstern gang. Ik beew van schrick en trekt gesichte kruus, höör ik van kriegslarm up Gods eerd. O völker, schäinkt den free een worm tohuus, woor leewd´en mäinschlikhäid regeert! Baugebiete werden ausgewiesen, erschlossen, verkauft und innerhalb kürzester Zeit stehen schmucke, meist Einfamilienhäuser auf den Bauplätzen. Das ist in der heutigen Zeit der ganz normale Ablauf. Bei der Entstehung des Scheerhorner Hüttenböiltes fanden diese Abläufe so nicht statt. Woher kommt die Straßenbezeichnung „Hüttenböilt“? Der Hüttenböilt war früher ein Tierfriedhof. Noch bis etwa 1948/49 wurden dort tote Kühe, Schweine, Schafe und auch Pferde, die dort von den hiesigen Bauern mit Ackerwagen hingebracht wurden, vergraben. Es war Gemeindegrund und wurde von den Berger und Scheerhorner Bauern gleichermaßen genutzt. Das Gelände war hügelig, wie die ganze Lee-Südseite mit ihren Sanddünen. Ab1948 bauten die ersten Flüchtlingsfamilien Behelfsheime. Den Anfang machte Familie Schrader mit einer Nissenhütte. Schrader war die erste Flüchtlingsfamilie in Hoogstede und kam schon vor Kriegsende im Herbst 1944 mit fünf Personen abends am Bahnhof an. Alfred Schrader beschrieb, sie seien in Hoogstede regelrecht „ausgeladen“ worden. Die erste Nacht verbrachten sie in der Schule. Eine andere Familie fuhr weiter nach Emlichheim. Olga Welt, die Tante, Auguste Schrader und der jüngste Sohn Helmut (4 Jahre) kamen am folgenden Tag auf den Hof Peters in Berge; Walter (12 Jahre) erst zu Scheepers und später zu Kuiper in Berge. Alfred Schrader wurde zu Familie Hans Bets gebracht, der Heuermann auf dem Hof Korf in Osterwald war. Später wohnte Schrader bei Familie Jan Albers in Berge. Schraders kamen aus Litauen und waren Volksdeutsche. 1938 wurden sie nach Insterburg in Ostpreußen übergesiedelt und kamen im Herbst 1944 in die Grafschaft. Erst 1948 fand die Familienzusammenführung statt. Sie bauten sich in Scheerhorn eine Nissenhütte 125 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Olga Welt und Auguste Schrader vor der Nissenhütte 1948 in Scheerhorn (Harm Kuiper) (Wellblechhütte), mit Baumaterial von der englischen Besatzungsmacht und der Gemeinde Scheerhorn und Berge. Die Wellbleche kamen von den Engländern und wurden später auch von der Firma Deilmann zur Verfügung gestellt, die zu der Zeit schon in Scheerhorn tätig war. Die Schraders verdienten sich ihren Lebensunterhalt mit „Spinnen“. 1952 bauten die Kinder ihrer Mutter ein Haus auf dem „Böilt“, erst mit einem Flachdach und 1953 wurde es mit einem Spitzdach versehen. Dieses „weiße Haus“ war das erste auf dem Hüttenböilt. In dem Haus wohnten später die Familien Georg Züwerink, Günter Wolf und heute Heinrich Mensen. Fast alle Familien in Scheerhorn und Berge nahmen nach dem Krieg Flüchtlinge auf ihren Höfen auf. Weil viele Familienväter und auch Söhne noch in Kriegsgefangenschaft, vermisst, verwundet oder krank waren und auch sehr viele nicht zurückkehrten, fehlte es überall an Arbeitskräften. Die Mithilfe der Flüchtlingsfamilien wurde sehr gern angenommen. Man gab ihnen dafür ein Dach über den Kopf, oft wurde es aber auch schamlos ausgenutzt. Es waren nicht alle begeistert, einen Teil ihrer 126 Wohnung für fremde Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen und zu räumen. Keiner wusste wie lange diese Situation anhalten würde. So hatte keiner etwas dagegen, dass sie sich auf dem heutigen Hüttenböilt Behelfsheime aus Holz und Wellbleche aufstellten. Jeder war gewillt, diese Missstände schnellstens abzuschaffen beziehungsweise sie zu verbessern. Ein Behelfsheim aus Holz, was mehr Erdloch als Haus war, baute sich die Familie Rudweleit 1949 in den Sandhügeln an der Lee. Eiserne Bettgestelle für fünf Personen standen ihnen dort zur Verfügung. Die Rudweleits erhielten nach dem Krieg kurz ein Quartier bei Bürgermeister Jan Harms-Ensink in Hoogstede-Bathorn und wurden danach auf dem Hof Kleine Lambers (jetzt Kohlenberg) in Berge einquartiert. Hier wohnten sie in dem Eckraum zur Hauptstraße mit fünf Personen auf dreizehn Quadratmetern. Wenn man bedenkt, was diese Flüchtlingsfamilien seit der Vertreibung aus ihrer Heimat alles erlebt haben, waren sie erst einmal froh, untergekommen zu sein, doch ein Dauerzustand konnte dies nicht sein. Hertha Weber geb. Rudweleit, jetzt wohnhaft in Hagen am Teutoburger Wald, berichtet, dass sie zu der Zeit bereits nach Neuenhaus zur Schule ging und sich vor anderen Schülern richtig schämte, in einer solchen Behausung zu leben. Anfang der 50er Jahre baute man sich ein neues Haus aus Klinker. Ein Stück Land, das sie vom Schulverband pachteten, hatten sie urbar gemacht. Darauf hielten sie sich ein paar Schweine. Erst 1970/71 erwarben sie ihr bescheidenes Anwe- Auguste Schrader vor ihrem Haus in Scheerhorn, heute Heinrich Mensen (Harm Kuiper) BERGE UND SCHERHORN sen als Erbpacht von der Gemeinde Scheerhorn. 2000 kaufte Familie Guido Meyerink das Haus mit Grundstück. So wie die Flüchtlingsfamilien Rudweleit und Schrader fingen noch mehrere Familien mit Holz und Nissenhütten auf dem Scheerhorner Hüttenböild an. Familie Bläsner, die vorher bei Zweers in Berge wohnte und auch Familie Weinberg. Bis heute sind dort acht Häuser entstanden und es weist fast nichts mehr auf die vorherige Nutzung und sehr schweren Anfänge der Besiedlung in der Nachkriegszeit hin. Die Scheerhorner Siedlung entstand erst gut 15 Jahre später. Eigentümer der Bebauungsflächen war die Schulgemeinde Scheerhorn/Berge, neun Bauplätze wurden in der Siedlung vergeben. Auszüge aus dem Protokollbuch der Gemeinde Scheerhorn: Dem Bebauungsplan wird am 24.02.1964 zugestimmt. Die Gemeinde übernimmt keine etwa anstehenden Kosten. Diese müssen ebenso wie die Wege- und Straßeninstandsetzung die Anlieger tragen (oder Bewerber). Auf das Schreiben der Kreisverwaltung vom 03.11. 1964 beschließt der Gemeinderat am 18.12. 1964, das Baugebiet soll nicht durch weitere Wohnbauflächen, etwa bis Bolks, vergrößert Eingang Abenteuerspielplatz Scheerhorn-Berge in 2008 (Harm Kuiper) werden soll. Der Rat beschließt am 15.11.1967, die Trägerschaft sowie die künftige Unterhaltung der Kläranlage zu übernehmen. Am 27.10.1969 heißt es: In der neuen Siedlung soll eine Pflasterstraße gebaut werden, wenn die Anlieger ein Viertel der Unkosten übernehmen. Die Gemeinde liefert die Steine und zahlt 20,– DM pro Quadratmeter für die Pflasterung. Für die Herstellung des Weges bis zur Pflasterung (ausräumen, Sand fahren u...) werden 1000,– DM berechnet. Für Handlangerdienste pro Kubikmeter wird eine DM berechnet. Den Rest müssen die Anlieger bar entrichten. Bei einer 25%igen Beteiligung der Anlieger am Hüttenböld wird auch dort ausgebaut. Abstimmungsergebnisse 4 ja 2 nein. Neubau der Gaststätte Warmer in Scheerhorn, 1964. Heute sieht man beim Vorbeifahren ein schmuckes Haus der Familien Smit/Batterink, früher war es Treff und Mittelpunkt vieler Generationen in Scheerhorn und Berge, die Gaststätte Warmer in Scheerhorn. Vor dem Neubau 1964 war dort sogar noch eine Viehwaage untergebracht. Sehr lange, über mehrere Generationen führte die Familie Heinrich Warmer die Gastwirtschaft. Von 1978–1983 wurde sie von Eberhard Rasper geführt, und 1983–1988 von Brigitte Smit. (Harm Kuiper) 127 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Berger Jugend um 1960 aus Anlass einer Zugfahrt in alten Trachten, Evert Lübbers, Albertus Kuite, Aaltina Kohlenberg geb. Kl. Lambers, Jenni Zwiers geb. Kl. Lambers, Jenni Harms-Ensink geb. Kuite, Henni Nacken geb. Kuiper, Albert Jan Kuite (Willy Friedrich) Erdölfeld Scheerhorn Gerold ten Brink, Osterwald Am 19. September 1949 begann mit einer Deilmann-Bohranlage etwa 3 km nordwestlich von Georgsdorf am Coevorden-Piccardie-Kanal mit der von Deilmann gebohrten Sonde Scheerhorn 1 (Sche 1) der Aufschluss der Erdöllagerstätte Scheerhorn… Sche 1 stieß ab 1108 m auf einen gut verölten Bentheimer Sandstein. Am 26. Oktober 1949 stellte man die Bohrung, ohne den Bentheimer Sandstein ganz zu durchbohren, bei einer Teufe von 1123,5 m ein. Förderteste brachten den Nachweis, dass die Aufschlussbohrung Scheerhorn 1 fündig war. Der 5. Dezember 1949 war der erste Fördertag und die Bohrung förderte eruptiv durch eine 6-mmDüse 70m3 Öl je Tag mit einem Stockpunkt von 28 °C. Ein Öl mit so hohem Stockpunkt zu fördern, ergab sogleich technische Probleme, insbesondere im Winter. 128 Im folgenden Jahr wurden zehn Bohrungen in mehr oder weniger großem Abstand von der Sche 1 im Auftrag des Viererkonsortiums – Deilmann, Elwerath, Preussag und Wintershall – abgeteuft. Doch die meisten trafen den Bentheimer Sandstein ganz oder zum Teil verwässert an. Lediglich die Sche 8 und die beiden mehr als einen Kilometer westlich der Sche 1 Verwalzen eines Bohrturmes BERGE UND SCHERHORN Denkmal „Kleiner Tiefpumpenantrieb“ Bernd Jeurink beim Abtransport von Ölresten von den Fördersonden angesetzten Bohrungen Sche 10 und Sche 16 waren wirtschaftlich fündig. Sie gaben den Hinweis, dass sich die Scheerhorner Lagerstätte in Richtung Westen erstreckt und mit der Sche 1 nur die kleine Ostscholle der Lagerstätte gefunden worden war. Bis zur Mitte der fünfziger Jahre war dann die Lagerstätte im Bentheimer Sandstein voll erschlossen. Zeitweise setzte man bis zu vier Bohranlagen von Deilmann und der Gewerkschaft Elwerath ein. In den Jahren 1951 bis 1955 wurden 69 Bohrungen abgeteuft… Insgesamt wurden in Scheerhorn 169 Bohrungen mit fast 200.000 Bohrmetern abgeteuft. Nur zwölf Bohrungen waren nicht fündig. Verkehrsverhältnisse In Scheerhorn gab es 1949 nur unbefestigte Landwege, die meistens wegen moorigen Untergrundes und schlechter Entwässerung mit schweren Fahrzeugen zum Transport der Bohrgeräte nicht befahrbar waren. Im Zuge der Bohrtätigkeit und des Ausbaus des Feldes zu einem Erdölförderbetrieb mussten deshalb nicht nur Bohrplätze angelegt, sondern auch Wege zu Straßen ausgebaut und viele neue Straßen gebaut werden. Heute beträgt das von den Konsortialpartnern angelegte Straßennetz im Erdölfeld Scheerhorn rd. 41 km. Der Abtransport des geförderten Erdöls erfolgte im ersten Förderjahr auf dem Wasserweg. Mit dem 100 t fassenden Tankschiff „Glückauf“ wurde das Erdöl auf dem Coevorden-Piccardie-Kanal nach Emlichheim gebracht und dort in Eisenbahnkesselwagen gepumpt. Mit der Bentheimer Eisenbahn und der Bundesbahn gelangte es dann auf dem Schienenwege 129 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE zu Raffinerien im Ruhrgebiet. Damit das Öl be- und entladen werden konnte, mussten Lagertanks, Tanker und Kesselwagen wegen des hohen Stockpunktes beheizbar sein. Man sprach in Scheerhorn oft davon, dass es besser wäre, das Öl in Säcken zu verladen. Bei der Sonde Sche 1 entstand die Sammelstelle 1 mit Tanks und einem Dampfkessel. Auf Feldbahngleisen fuhr man das Öl in Kleinkesselwagen von den anderen Fördersonden heran, denn im Anfangsstadium hatte man noch keine Erfahrungen mit dem Leitungstransport eines Öles mit einem Stockpunkt von 28 °C. Nachdem im Laufe des Jahres 1950 der drei Kilometer entfernte Erdölförderbetrieb in Osterwald einen Grubenbahnanschluss bekommen hatte und dort von den Konsortialpartnern die Emsland Erdölleitung GmbH (EEG), eine Gesellschaft für die Ölverladung und Verpumpung zu den Raffinerien, gegründet worden war, transportierte man das Scheerhorner Öl vorübergehend mit Straßentankwagen nach Osterwald. Doch bald konnte das Öl durch die an der Sammelstelle 1 vorbeiführende Pipeline des Erdölfeldes Rühlertwist zur EEG verpumpt werden. Sammelstelle zwei seit 1951 1951 erfolgt der Aufbau der Sammelstelle 2. Über beheizbare Sammelleitungen geht seitdem der Erdölfluss zu dieser Sammelstelle, wo das Erdöl entgast und das Lagerstättenwasser abgeschieden wird, denn inzwischen hatte bei einigen Sonden in Randwasserbereich eine Sammelstelle 1 am Kanal 130 Sammelstelle 1 Tankschiff Glückauf Sammelstelle 2 langsame Verwässerung eingesetzt. Mit der Inbetriebnahme der Sammelstelle 2, die durch eine Leitung mit der EEG in Osterwald verbunden war, konnte die Sammelstelle 1 nun aufgegeben werden. Betriebsplatz und Verwaltung 1951/52 Anfang der fünfziger Jahre förderten die Sonden aufgrund des hohen Lagerstättendruckes noch eruptiv. Doch wegen des hohen Stockpunktes des Öles reichte dieser Druck bald nicht mehr aus, um das Öl durch die Leitungen zur Sammelstelle zu leiten. Die Sonden mussten deshalb auf Tiefpumpenförderung umgestellt werden. Mit der schnellen Feldentwicklung wurden 1951/52 500 m südwestlich der Sammelstelle 2 ein Betriebsplatz mit Feldwerkstatt, Magazin und Fuhrpark eingerichtet und außerdem ein Verwaltungsgebäude und eine Kaue gebaut. Die Anzahl der Mitarbeiter schnellte von 36 im Jahr 1950 auf 171 im Jahr 1953 hoch und ging dann langsam wieder zurück. BERGE UND SCHERHORN Gas – Salzwasser – Öl Die von Jahr zu Jahr steigende Erdölförderung verursachte einen stetigen Druckabfall in der Lagerstätte. Dies erforderte es, die Förderung zu reduzieren, einzelne Sonden mussten wegen zu hohen Gas-Öl-Verhältnisses geschlossen werden. Druckerhaltungsmaßnahmen waren erforderlich. 1953 und 1955 wurden je eine Hilfsbohrung in der Südflanke abgeteuft. In diese presste man von der zentralen Einpressstation des Erdölbetriebes Elwerath in Osterwald aus das mitgeförderte Salzwasser ein. Hierdurch konnten die mittleren und nördlichen Lagerstättenbereiche nicht beeinflusst werden. In diesem Bereich versuchte man, durch Einpressen von Erdgas den weiteren Druckabfall zu verhindern. Mit dem Einpressen von Erdgas wurde 1953 in die Sche 22 begonnen. Da das Gas schnell zu den umlie- genden Fördersonden durchschlug, musste die Gaseinpressung wieder eingestellt werden. Ausbruch 1956 Der 6. November 1956 war ein schwarzer Tag für Scheerhorn. Als die Sche 22 wieder zur Fördersonde umgerüstet werden sollte, kam es zu einem spektakulären Ölausbruch. Nach drei Tagen, als der Eruptionsdruck nachgelassen hatte, gelang es, durch Montage eines Bohrlochkopfes die Sonde zu schließen. Mehrere 100.000 m3 Erdgas und etwa 2000 m3 Erdöl waren eruptiert. Das Erdöl erstarrte zu einer Schichtdicke von ca. 1 m um die Sonde und konnte wiedergewonnen werden. Der hohe Stockpunkt und die hohe Viskosität hatten das Versickern des Erdöls verhindert. Ölausbruch Scheerhorn 22 am 06.11.1956 Herausgeworfene Steigrohre Nach der Montagearbeit 131 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Schwerer Salzgitter-Tiefpumpenantrieb Tiefpumpen 1958 und 1960 wurden im Mittelfeld und an der Nordflanke je eine Hilfsbohrung abgeteuft, um auch hier Salzwasser einzupressen. Die hohe Viskosität des Öles begünstigte bei den Druckerhaltungsmaßnahmen eine schnelle Zunahme der Verwässerung. 1960 betrug die Verwässerung bereits 40–50%, und stieg 1965 auf über 80 % an. 1965 erreichte die Förderung ihr Maximum von fast 290.000 t Reinöl pro Jahr. In den nächsten zwei Jahren fiel die Förderung auf 230.000 t Reinöl ab. Um diesen Förderabfall zu bremsen, rüstete man die randwassernahen Sonden mit größeren Tiefpumpen und stärkeren Tiefpumpenantrieben aus. Da 1970 die Verwässerung 87 % erreichte, entschloss man sich nun Tauchkreiselpumpen einzusetzen, um so die Fördermenge zu erhöhen. Bis 1983 bleib die Fördermenge konstant, nur die Verwässerung stieg auf 97 % an und die Reinölmenge fiel auf 148.000 t ab. Neben der Umrüstung der Fördersonden musste auch die Wasserabscheidung auf der Sammelstelle vergrößert werden. Die Feinabscheidung erfolgte weiterhin im Förderbetrieb Elwerath in Osterwald. Für das anfallende Salzwasser wurden Leitungen zu den einzelnen Einpresssonden verlegt. Stetig steigende Betriebskosten bei fallender Förderung machten Rationalisierungsmaßnahmen erforderlich, die 132 durch Anwendung von moderner Mess-, Regelund Fernwirktechnik erreicht wurden. Im Zusammenhang mit dieser Modernisierung wurde in der Messwarte das Fließbild durch rechnerunterstützte Bildschirme ersetzt, um so die erhöhten Sicherheitsanforderungen zu erreichen. An sechster Stelle Das Erdölfeld Scheerhorn lag 2008 bei der Reinölförderung mit 43.179 t unter den zehn größten deutschen Erdölfeldern an sechster Stelle. Insgesamt sind bis einschließlich 2008 in Scheerhorn 8,7 Mio. t Reinöl gefördert worden. Quellen- und Literaturverzeichnis Dipl.-Berging. Christian von Maltzan, Scheerhorn 40 Jahre Erdölförderung Heinz Boigk, Erdöl und Erdölgas in der Bundesrepublik Deutschland NLfB Hannover, Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland (Jahresförderung 2006) Fotos H. Paulsen und G. ten Brink Tauchkreiselpumpe Scheerhorn 1 Hoogstede und Bathorn Die Entwicklung der politischen Gemeinde Hoogstede Johann Kemkers Gildschaft Scheerhorn – Kirchspiel Arkel Unter der Bezeichnung „Gildschaft Scheerhorn“ waren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein sechs Bauernschaften vereint: Scheerhorn, Berge, Bathorn, Hoogstede, Tinholt und Kalle. Eine herausgehobene Rolle spielte Hoogstede in dieser Gruppe über einen langen Zeitraum nicht. Das änderte sich mit der Errichtung der reformierten Kirche „auf“ Hoogstede (1821). Als Farbige Postkarte um 1900, „Gruß aus Hoogstede“ (Johann Jeurink) neues Zentrum des Kirchspiels Arkel, das bis auf einen kleinen Randbereich identisch war mit der Gildschaft Scheerhorn, entwickelte sich Hoogstede nun auch zum wirtschaftlichen Kern der Region, begünstigt durch die Mittelpunktslage und die gute überörtliche Verkehrsanbindung nach Neuenhaus und Emlichheim. Das Gefühl gemeindlicher Zusammengehörigkeit stiftete wesentlich die kirchliche Verbundenheit. Gemeinsinn bewirkte auch die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung des lange Zeit ungeteilten Markengrunds, der den weitaus größten Teil der Gildschaftsfläche ausmachte (s. Karte von 1855/56). Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen waren aufs Engste mit den kirchlichen verwoben und oft von diesen bestimmt. Diese Abhängigkeit zeigen beispielhaft die Vorgänge um den Grunderwerb von Hindrik Sloot in der „Scheerhorner Mark“1 (ab 1818; s. Abschnitt zur „Familie Sloot“). Als Verkäufer des Markengrundes wird mal die „Gildschaft Scheerhorn“ genannt, mal heißt es die „Bauernschaften“ von Bathorn, Hoogstede und Scheerhorn – Nutznießer war aber jedenfalls die „Kirchengemeinde Arkel“, der die Einkünfte zur „Dotierung“ der neuen Pfarrstelle zustanden.2 1 Mit „Scheerhorner Mark“ wurde vor der Markenteilung (und gelegentlich auch noch danach) der gesamte Markengrund östlich der Privatflächen der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede, Scheerhorn und Berge bezeichnet (s. Karte). 2 Nach dem Verkaufsprotokoll blieben die verkauften Markengründe „auf immer ein Eigenthum der Pfarre zu Arkel“. Es war jährlich ein Zinssatz von 4 Prozent der Kaufsumme zu leisten. Erst 1874 zahlte Jan Sloot (Enkel des Kolonisten) die Kaufsumme von 1.000 Gulden an die Kirchengemeinde Arkel. Damit ging das Grundstück endgültig in den Besitz der Familie Sloot über. 133 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Scheerhorner Mark 1855/56. Die Karte von 1855/56 zeigt die ungeteilte „Scheerhorner Mark“, die sich vom Rand der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede, Scheerhorn und Berge über das Bruch bis ins Moor erstreckte. Am oberen Bildrand rechts ist das Kolonat Sloot erkennbar. 134 H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Obwohl Sloot mit seinem Haus und seinen Ländereien einschließlich der Heuerleute eindeutig in der „Scheerhorner Mark“ lag, und als Eingesessener der Gildschaft anzusehen war, setzten insbesondere die Bathorner und Hoogsteder alles daran, „Sloot und seine Heuerleute“ auszugrenzen. Als schließlich nach vielen Querelen verfügt wurde, dass Sloot mit seinen sieben Heuerleuten der Gemeinde Neuringe angehöre, bedeutete das die Abtrennung eines größeren Gebietes von der Gildschaft Scheerhorn. Die kirchlichen Bindungen blieben allerdings erhalten: Bis auf den heutigen Tag gehört der östliche Teil von Neuringe zum Kirchspiel der ref. Kirchengemeinde Hoogstede (früher Kirchspiel Arkel). Die Teilung der Mark Wie in anderen Teilen unserer Region wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in der „Scheerhorner Mark“ eine sogenannte Generalteilung durchgeführt. Die Zuordnung zu den einzelnen Bauernschaften wurde aber nicht vollständig vollzogen; denn festgelegt wurde nur die Grenzlinie zwischen den Bauernschaften Scheerhorn/Berge einerseits und Hoogstede/Bathorn andererseits. Die Markengenossen von Hoogstede und Bathorn beantragten alsbald eine weitere Generalteilung und die Hoogsteder zudem eine Spezialteilung ihres Anteils. Die Königliche Landdrostei genehmigte 1864 beide Teilungen. Danach beschlossen auch die Bathorner die Spezialteilung. Beide Spezialteilungen konnten nun in einem Verfahren abgewickelt werden. Die Berechtigten hatten schon bei der Generalteilung ihre Ansprüche angemeldet. Sie wurden mit Angabe ihrer Erbesqualitäten registriert. Die Berechtigten in Hoogstede waren: ein Fünfviertelerbe (Jeuring); sechs Vollerben (Hannebrook, Stroot-Salmink, Wermer, Weelmann, Kuhlmann, Weuste); ein Dreiviertelerbe (Twentker); zwei Halberben (Köster, J. Weuste); acht Viertelerben (Börger, van der Kamp, Brouwer, Schievink/Sloot, Laarmann, Snöink, H. Sloot, Scholten); ein Achtelerbe (Ref. Pfarre Arkel); ein Zehntelerbe (Ref. Schule Hoogstede); acht Neubauern (H. Veld, H. Gosen, Ww. Müller, J.H. Bleumer, J.H. Rosemann, H. Wiegmink, G. Van Wieren, Ref. Küsterstelle Arkel). Die Berechtigten in Bathorn waren: fünf Fünfviertelerben (Bleumer, Wiegmink, Koops, Ensink, Gr. Neerken); drei Vollerben (Harms, Kolthoff, Schoemaker); ein Dreiviertelerbe (G.H. Kwade); drei Halberben (Boll, Künnen, Evers); zehn Viertelerben (Wigger, Broekschnieder, Bloemendal, Hofmeyer, Kl. Neerken, Schnieders, Boerkamp, Beerlink, Albers, Ringerbrüggen-Schnieder); ein Achtelerbe (ter Haar-Pölkink); zwölf Neubauern (Peters, ter Haar, Lage, B.J. Snieders, J.B. Weuste, van Laar; E Zager, J. Kwade, L. Stroot, H. Jeurink, D. Lübbers, G. Jeurink). Weitere Berechtigte: Das Fürstliche Haus zu Bentheim; Vollerbe Tinholt in Tinholt; Alferink in Scheerhorn; Stroot-Salmink-Albers in Hoogstede; Wessels/Laarmann in Tinholt; J.H. Sloot in Neuringe; Kath. Schule Hoogstede; Kath. Pfarre Emlichheim; Kath. Küsterstelle Emlichheim; Ringerbrüggen-Emlichheim. Die Berechtigten wählten zu Markenbevollmächtigten die Bauern Stroot in Hoogstede und Neerken in Bathorn. Der Rentmeister Cramer in Neuenhaus vertrat den Fürsten zu Bentheim. Die Interessen der Kirchen und Schulen wurden von den zuständigen Pastoren wahrgenommen. Fast alle Berechtigten bekamen Markenboden in mehreren Güteklassen: Anger, Heide in den Binnengründen, gewöhnliche Heide und Sand. So wurden dem Vollerben Hannebrook z.B. 30 Morgen (Mg) 98 Quadrat-Ruten (QR) Anger, 16 Mg 100 QR Heide in den Binnengründen und 22 Mg 100 QR gewöhnliche Heide zugewiesen, dazu Abfindungen im Moor in der errechneten Größe. Die Neubauern erhielten in der eigentlichen Mark nur Heideboden. 135 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Der Dorfbrunnen aus dem Jahre 2000 steht für den Ort und alle Ortsteile (R. Golde) Die nicht verteilten Flächen, Sandgruben und Depotgründe, blieben Eigentum der Markengenossenschaft. Aus den Gruben sollte hauptsächlich Sand für die Verbesserung der Wege entnommen werden. Die Bauern wurden verpflichtet, ihre Grundstücke abzugrenzen, im Moor durch Gräben und in den anderen Teilen der Mark durch Wälle mit Seitengräben, im Ackerland genügten Grenzsteine. Die Kommission gab Anweisungen für die Anlage neuer und die Verbreiterung bestehender Wege, ebenso für die Entwässerung durch Gräben. Auch für die Pflege und Unterhaltung der Wege und Wasserzüge erließ sie verbindliche Vorschriften. Die Kosten der Teilung wurden auf die Interessenten umgelegt, der Fürst zu Bentheim und die Neubauern waren davon befreit. Das Rechnungswesen führte wie bei der Generalteilung der Scheerhorner Mark der Lehrer Schievink in Hoogstede. Der Vertrag über die Hoogsteder-Bathorner Mark wurde von den Beteiligten anerkannt und von ihnen bzw. ihren Bevollmächtigten am 21. Januar 1871 in Hoogstede unterschrieben. Die Königliche Generalkommission in 136 Hannover beglaubigte den Vertrag am 26. September 1871. Vereinigung von Hoogstede und Bathorn in 1890 Der Verzicht auf eine Generalteilung der Hoogsteder-Bathorner Mark bescherte zwar den Berechtigten eine verhältnismäßig schnelle Inbesitznahme ihrer Anteile, bedeutete aber, dass, wie der Landrat Kriege im April 1889 feststellte, infolge der Markenteilung die „Grundstücke der Eingesessenen von Bathorn und Hoogstede in beiden Gemeinden im Gemenge lägen“, sodass eine feste Grenze zwischen beiden Gemeinden nicht bestehe. Eine Feststellung der Grenze sei grundsätzlich erforderlich, insbesondere aber nach der Anlage des Kanals Piccardie-Coevorden. Das Königliche Katasteramt Bentheim schlug vor, „daß die Grenze dahin festgestellt werde, daß die Kanalstrecke von der Grenze der BathornHoogsteder Mark gegen Scheerhorn ... bis zum Twister Deich(Bathorner Diek) der Gemeinde Hoogstede und die Kanalstrecke von da bis zur Gr. Ringer Grenze ... der Gemeinde Bathorn angeschlossen werde“. Die Hoogsteder H O O G S T E D E U N D B AT H O R N und Bathorner wurden aufgefordert, in einer Gemeindeversammlung über den Vorschlag des Katasteramtes zu beraten und „über denselben Beschluß zu fassen“. Schon am 3. Mai 1889 fand die Gemeindeversammlung statt. In seinem Bericht darüber an den Landrat schreibt der landrätliche Hilfsbeamte, „daß, da eine Einigkeit über einen Grenzlinie zwischen Hoogstede und Bathorn nicht zu erzielen, von den Gemeindeversammlungen beider Gemeinden schließlich einstimmig beschlossen worden ist, beide Gemeinden zu einer politischen Gemeinde zu vereinigen. Zu diesem günstigen Resultat hat nicht unwesentlich der Einfluß des Herrn Pastor Nyhuis mitgewirkt, welcher nur durch Vereinigung beider Gemeinden eine Lösung des Grenzwirrwarrs für möglich erachte“. Nach einigem Hin und Her hinsichtlich des Gültigkeit des Beschlusses bestätigte der Oberpräsident R. v. Bennigsen (Hannover) am 21. Juni 1890 die Vereinigung der beiden Gemeinde Bathorn und Hoogstede zu einer politischen Gemeinde. Hausnummern und Ortsname Der Grundsatzbeschluss zur Vereinigung der beiden Gemeinden war schnell und einvernehmlich getroffen worden. Aber schon bei der Festlegung der neuen Hausnummern gab es Streit; der Gemeindevorsteher Kalman von Hoogstede verlangte, dass man in Hoogstede mit der Nr.1 beginnen müsse, damit eine fortlaufende Nummerierung der neuen Gemeinde gewährleistet sei. Vorsteher Harms allerdings hielt dagegen und verlangte, dass das Los entscheiden müsse, weil die Bathorner meinten „in dieser Sache so viel Recht zu haben wie Hoogstede“. „Hierauf“, so schreibt Vorsteher Harms an den Landrat, „äußerte sich der Vorsteher von Hoogstede mit zornigen Worten und auch Gebaarden: Losen thue ich heute mit Bathorn nicht, und auch nie; ich behalte die Nr.1 auf Hoogstede“. Am Ende wurde von Amts wegen über die Zuordnung der Hausnummern entschieden und die Gemeinde im April 1891 durch den Landrat angewiesen, „die Neunummerierung der Gebäude innerhalb vier Wo- chen ausführen zu lassen“. Die Hausnummer 1 erhielt der Hof Weuste an der Vechte. Besonders schwierig und langwierig gestaltete sich die Aufgabe, einen Namen für die neu gebildete Gemeinde zu finden. Als Vorsteher Kalman im September 1890 dem Landrat als neuen Gemeindenamen Hoogstede-Bathorn vorschlug, konnte er für die Voranstellung von Hoogstede gute Gründe anführen: Hoogstede sei Kirchort für eine reformierte und eine katholische Kirchengemeinde; es gebe eine reformierte Schule, eine katholische Schule, eine Posthaltungsstelle, Telegrafen, Standesamt, Mühle, Straße, mehrere Wirts- und Gasthäuser und mehrere Krämer und Bäcker; von alldem sei in der Gemeinde Bathorn „nichts zu finden“. Der Landrat mochte dem Vorschlag von Kalman nicht folgen und ließ im Dezember 1890 empfehlen, die neue Gemeinde BathornHoogstede zu nennen. Bathorn werde vorhergestelt, weil Bathorn im Alphabet zuerst sei. Die Angelegenheit war offensichtlich so heikel, dass sie über die Instanzen in Osnabrück und Hannover schließlich beim Inneminister Herrfurth in Berlin landete. Der wies im Februar 1891 die Bezirksregierung in Osnabrück darauf hin, dass es im Hinblick auf frühere allerhöchste Entschließungen angezeigt sei, statt des vorgeschlagenen Doppelnamens einen einfachen Namen zu wählen, und zwar den Namen derjenigen der vorbezeichneten Gemeinden, welche bisher die bedeutendere war. Dementsprechend wurde die Bezirksregierung gebeten, sich darüber zu äußern, ob es Bedenken gebe, der neuen Gemeinde den Namen Bathorn beizulegen. Der nun wieder befragte Landrat konnte sich mit dem Vorschlag aus Berlin ganz und gar nicht anfreunden. In seinem Schreiben an den Regierungspräsidenten vom 26. März 1891 schrieb er: „..dass die Bewohner der Gemeinden Bathorn und Hoogstede auf Beibehaltung der Bezeichnung der bisherigen Namen erheblichen Wert legen und daß es sich nicht empfiehlt, der neu gebildeten Gemeinde den Namen derjenigen der bisherigen Gemeinden beizulegen, welche von ihnen die 137 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE bedeutendere war. Es würde bei den Bewohnern der anderen Gemeinde große Niedergeschlagenheit und vielleicht auch Entrüstung hervorrufen und ich glaube nicht, daß die Vereinigung zu einem politischen Verbande im gütlichen Wege zu Stande gekommen wäre, wenn die Bewohner derselben damals gewusst hätten, daß für eine der beiden Gemeinden die Aufgabe ihres bisherigen Namens damit verbunden wäre.“ Der Landrat verwies nochmals auf seinen alten Vorschlag Bathorn-Hoogstede, weil auch sonst Doppelnamen bei Gemeinden im Regierungsbezirk öfter vorkämen. Unsicher, ob eine Umgehung des Doppelnamenverbots erreichbar sei, empfahl er für den Ablehnungsfall „eine Wortschmelzung beider Namen in einem vorzunehmen, z. B. Hoogthorn oder Bathoog“. Nachdem im Juni 1891 der Innenminister in Berlin bekräftigte, dass die Zusammensetzung der Ortsnamen aus zwei Wörtern möglichst zu vermeiden sei, wurden die stimmberechtigten Gemeindemitglieder aufgerufen, ein Votum abzugeben. Bei der Gemeindeversammlung im Laarmannschen Wirtshause am 13. Juli 1891 wurde darüber abgestimmt, ob der künftige Ortsname Arkel oder Hoogstede sein solle. Bei namentlicher Abstimmung stimmten 29 Stimmberechtigte (mit 91 Stimmen) für Arkel und 19 Stimmberechtigte (mit 53 Stimmen) für Hoogstede. Die unterlegenen Gemeindeglieder erklärten sich anschließend damit einverstanden, dass der vereinigten neu gebildeten Gemeinde der Ortsname Arkel beigelegt würde. 138 Die Freude über das Einvernehmen währte nicht lange; denn bereits im September 1891 ließ der Oberpräsident in Hannover wissen, dass der Gemeindename Arkel nicht infrage kommen könne, „weil die den Namen Arkel tragende Kolonie in kommunaler Beziehung nicht zu jenen Ortschaften, sondern zur Gemeinde Kalle gehöre“. Die Gemeinde möge binnen sechs Wochen einen anderen Vorschlag machen. Wieder wurde eine Gemeindeversammlung (13. Oktober 1891) einberufen; diesmal standen die Ortsnamen Hoogstede und Bathorn zur Abstimmung. Ergebnis: 27 Stimmberechtigte (mit 81 Stimmen) für Hoogstede. 25 Stimmberechtigte (mit 73 Stimmen) für Bathorn. 22 Stimmberechtigte waren nicht erschienen. Ein Einspruch von „Kolthoff und Genossen“ gegen die Gültigkeit der Gemeindeversammlung wegen nicht geladener Stimmberechtigter wurde vom Landrat abgewiesen, weil selbst bei Hinzurechnung dieser Stimmen die Bathorner in der Minderheit blieben; außerdem handle es sich bei dem Gemeindebeschluss „lediglich um das Aussprechen eines Wunsches“. Wohl um den Frieden in der neuen Gemeinde zu wahren, appellierte der Landrat noch einmal an den Regierungspräsidenten, darauf hinzuwirken, „daß ausnahmsweise der neuen Gemeinde der Name Bathorn-Hoogstede verliehen wird“. Hauptstraße mit reformierter Kirche als Motiv einer Postkarte, ca. 1927 mit Lukas Köster, 1922-1973. (Köster) H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Verzeichnis der Stimmberechtigten der Gemeinde Bathorn-Hoogstede 1891 (Versammlung am 13. Oktober 1891) Haus- Name Stand StimmenBew. aktuell(2008) Nr. zahl 11 Weuste Altien Colona 5 Weuste a.d. Vechte, Bahnhofstr. 12 Hemke Harm Kötter 2 Udo Vette, Hauptstr. 13 Gosen J.H. Kötter 1 Bielefeld, Bahnhofstr. 14 Kalmann J.H. Kötter 1 Mensen, Bergstraße 15 Koelman Hindr. Colon 4 Koelmann, Bergstraße 16 Weelmans Colonat 7 Haamberg, Bergstraße 17 Bloemendal G.J Kötter 2 Pächter von Stroot, Wilsumer Straße 18 Koster Hindr. Colon 4 k. Wohnplatz mehr; v.d. Kall. Brücke re. 19 Warmer Jan Colon 6 Warmer, Schlättstiege 10 Jeurink A.J. Colon 6 Jeurink, Wilsumer Straße 11 Stroot H. Colon 4 Stroot, Am Pferdekamp 12 Hannebrook Colon 5 Hanebrook, Lindenweg 13 Snöjink Geert Kötter 2 Keute, Kampweg 14 Keen Klaas Zimmermann 1 Keen, Kampweg 15 Rosemann G. J. Kötter 1 Rotmann, Am Neuland 17 Scholten E. Kötter 2 Altes Haus Büdden, Hauptstraße 18 Laarman B.J. Schenkwirt 3 Gastw. Wolters, Hauptstr.; Abriss 1975 19 Brouwer Kötter 2 Lügtenaar, Bahnhofsr. 21 Sommer Fritz Bäcker 1 altes Haus Horstkamp, Hauptstr. 24 Müller Bernh. Mühlenbesitzer 5 später Gastw. Müller, Hauptstr.; j. COMA 27 Sloot Hindr. Bäcker 5 Schoemaker/Neuwinger, Hauptstr. 28 van Wieren Anbauer 1 Barth, Hauptstr. 29 van Laar B. Bierhändler 1 Wolf, früher Engler, Hauptstr. 29 Pfabe(?) Karl Grenzaufseher 3 dto. 30 Hilfers F Krämer 2 Hilfers, Hauptstr. Maasch Ernst Grenzaufseher 3 dto. 31 van der Kamp D Schiffer 1 Jansen, Holunderweg 33 Schoemaker G. Colon 5 Schoemaker, Zur Friedenseiche 34 Vogelsang Stationsarbeiter 1 Naber, Zur Friedenseiche 36 Snieders J. H. Kötter 1 Bloemendal/Reefmann, Zur Friedenseiche 37 Jeurink J. Kötter 3 v. Münster/Hesselink, Schwarzer Diek 40 Sommer Hindr. Anbauer 1 Westhuis, Am Schulfeld 41 Weuste Jan Kötter 3 Warmer, Am Schulfeld 42 Wösten J. B. Schmidt 2 Wösten, Sunnerkampstege 44 Egbers Friedr. Kötter 2 Bolk, Schwarzer Diek 45 Stroot H.J. Landbriefträger 1 Stroot, Schwarzer Diek 46 Wiegmink H. Kötter 1 Hans, Schwarzer Diek 47 Kwade G.J. Zimmermann 2 Boers, Molkereistr. 48 Bielefeld Kötter 1 dto. 49 Lage Jan Kötter 2 Lage/Helweg, Am Neuen Kamp 50 Kwade Janna Colona 4 spät. Wilmink; jetzt Rothe 51 Kolthoff H. Colon 5 Kolthoff Jan, Holunderweg 52 Bloemendal Hermans Kötter 3 hinter Neerken; kein Wohnpl. mehr 53 Neerken K. Colon 7 Neerken, Bathorner Diek 139 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Haus- Name Nr. 55 kl. Neerken W. 56 Jeurink Hindr. 57 ter Haar J.G. 59 Boll A.J. 61 Wigger J. 62 Blömer J.H. 63 Wiegmink H. 64 Koops J. Witwe 65 Ensink A. 66 Harms Jan 67 Harms J.H. Pöhler F. 68 Brooksnieder 69 Blömer J.H. 70 Koelmann Jan 71 Bonge G.J. 72 Rasfeld Heinr. 73 Rott J. 74 Warmer H.J. 75 Beerlink J.H. 76 Snieders H.J. 77 Warmink A: 78 Snöink J. 79 Schroven G.J. 80 Nyhuis J. 81 Roelofs H. 82 Westhuis K. 90 Kottmann J. 91 Horsink A. 92 Bonge G. Stand StimmenBew. aktuell(2008) zahl Kötter 3 Neerken, Zur Braake Kötter 1 Höllmann, Drosselweg Kötter 2 ter Haar, Drosselweg Colon 4 Boll, Bathorner Weg Kötter 3 Hans, Zur Braake Colon 6 Bleumer, Bathorner Weg 5 Colon 7 Wiegmink, Bathorner Weg Colona 6 Koops, Bathorner Weg Colon 6 Ensink, Am Voresch Colon 5 Harms-Ensink, Am Voresch Kötter 1 Tübbergen, Holunderweg Pächter 1 Kötter 3 Brooksnieder, Holunderweg Kötter 2 Bleumer, Bathorner Weg 11 Anbauer 1 Koelmann, Ölstraße Anbauer 1 Köcklar, Ölstraße Grenzaufseher a.D. 3 Egbers, Ölstraße Anbauer 1 Doldersum, jetzt Slikkers, Böbbeldiek Kötter 2 Keen, Ringer Diek Kötter 1 Kotten, Ringer Diek Kötter 2 Snieders, Ringer Diek Anbauer 1 Kortmann, Ringer Diek Anbauer 1 Alter Hof Schnöink, Ölstraße Anbauer 1 Nykamp, Böbbeldiek Pastor 1 Glüpker, Ölstraße Kötter 1 Kieft, Bathorner Diek Anbauer 1 Westhuis, Aulen Diek Anbauer 1 Nakken, Bathorner Diek Pächter 1 Derks, Bathorner Diek Anbauer 1 Günnemann, Hauptstraße (?) Postkarte von etwa 1910/1920 mit u.a. dem alten reformiertem Pastorat 140 H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Der Regierungspräsident sah immer noch keine Gründe für eine Ausnahme (11. November 1891) und stellte dem Landrat „ergebenst anheim, einen anderen Vorschlag zu machen, vielleicht durch Bildung eines Namens vermittelst Versetzung oder Anhängung einer Silbe an den Namen Arkel“. Wenige Monate später war die Angelegenheit dann doch endlich entschieden. Am 14. März 1892 gab das Landratsamt an die „Bentheimer“ und „Neuenhauser Zeitung“ folgende Bekanntmachung: „Der aus beiden Gemeinden Bathorn und Hoogstede neu gebildeten Gemeinde ist von dem Herrn Oberpräsidenten mit Genehmigung des Herrn Ministers des Inneren der Name Hoogstede-Bathorn beigelegt.“ Gemeindevorsteher 1891 Die Wahl des ersten Gemeindevorstehers (Bürgermeister) verlief teils parallel zu den oben dargestellten Vorgängen und auch nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Ein erster Anlauf endete am 29. Dezember 1890 damit, dass in der einberufenen Gemeindeversammlung die Mitglieder aus Hoogstede „mit großer Majorität“ gegen diese Wahl protestierten, weil die jeweils gültigen Stimmordnungen der beiden beteiligten Gemeinden auf verschiedenen Stimmrechtsklassen beruhten. Am 14. Februar 1891 fand dann in einer weiteren Gemeindeversammlung unter „Zugrundelegung eines einheitlichen Stimmrechts“ die Wahl des neuen Gemeindevorstandes statt. Zum Gemeindevorsteher wurde der „Colon“ Gert Schoemaker (31 Jahre) gewählt, zum Beigeordneten Gert Hannebrook (32 Jahre). Schoemaker leistete am 4. März 1891 in Neuenhaus seinen Diensteid. Zur Einheitsgemeinde Hoogstede 1968–1974 Als der Rat der Gemeinde Hoogstede am 23. Juni 1966 beschloss, bei dem früheren Gemeindenamen Hoogstede-Bathorn zu bleiben, waren nahezu 75 Jahre vergangen, seitdem dieser Name der damals neu gebildeten Gemeinde verliehen wurde. Nachdem in den 60er Jahren die Zentralisierung im Schulwesen kontinuierlich voranschritt, wurde zunehmend auch über kommunale Gebietsreformen nachgedacht, mit dem Ziel, größere Gemeinden zu schaffen. So formulierte der Hoogsteder Rat bereits im Februar 1968 die Ansicht, „daß sich die Gemeinden Scheerhorn, Berge, Tinholt, Kalle und Hoogstede zu einer (Samt) Gemeinde zusammenschließen sollten“. Wohl in Erwartung einer entsprechenden Entwicklung beschloss der Rat am 9. Dezember 1968, den Gemeindenamen zu ändern; der amtliche Gemeindename war ab diesem Zeitpunkt „Hoogstede“. Im Laufe der Diskussion über eine umfassende Gemeindereform wurden viele Ideen eingebracht und zahlreiche Pläne entwickelt. Links: Bürgermeister Geert Schoemaker und Frau. Erster Gemeindevorsteher der neuen Gemeinde HoogstedeBathorn, 1891-1921 Rechts: Hermann Hannebrook, Gemeindevorsteher Hoogstede-Bathorn, 1923-1945 141 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Bürgermeister Jan Harms-Ensink im Bürgermeisterzimmer (Willy Friedrich) Als klar wurde, dass um die größeren Orte Emlichheim, Neuenhaus und Uelsen herum Samtgemeinden gebildet werden sollten, verbreitete sich im Raum Hoogstede große Unsicherheit über die Zuordnung. In dieser Situation starteten die Bürgermeister Koops (Scheerhorn), Harms-Ensink (Hoogstede), Harms-Ensink (Tinholt) und der Ratsherr Hoppen (Osterwald) mit Unterstützung des Oberkreisdirektors Dr. Terwey eine ernsthafte Initiative zur Bildung einer ländlichen Samtgemeinde Hoogstede/Osterwald mit Sitz in Osterwald/Ölbahnhof. Als mögliche Mitgliedsgemeinden wurden im Hoogsteder Ratsprotokoll vom 14. August 1971 genannt: Bimolten, Hohenkörben N. und S., Georgsdorf, Alte Piccardie, Osterwald, Esche, Berge, Scheerhorn, Tinholt und eventuell Neuringe und Kalle. Aber es gab von Anfang an Zweifel an der Durchsetzung des Vorhabens; denn im gleichen Protokoll heißt es: „Bei nicht Zustandekommen wählt die Gemeinde Hoogstede mit Rücksicht auf die Gemeinden Scheerhorn/Berge den Nahbereich Neuenhaus.“ 142 Die ganze Unsicherheit und Verwirrung in der damaligen Situation zeigt sich in Vorgängen, die sich im Hoogsteder Umfeld abspielten. Da immer wieder eine Mindestgröße von 400 Einwohnern als unterste Grenze für den Fortbestand von Gemeinden genannt wurde, beschloss Scheerhorn am 30. Juli 1971 einen Anschluss an Hoogstede. Keine zwei Wochen später, am 12. August 1971, trafen die Räte von Tinholt und Berge in einer gemeinschaftlichen Sitzung für ihre Gemeinden auch einen Vereinigungsbeschluss. Wirkliche Bedeutung erlangten die Beschlüsse in der weiteren Entwicklung der Kommunalreform allerdings nicht. Die entscheidende Wende im Ablauf des Geschehens kam Anfang Januar 1973, als sich die Gemeinden Alte-Piccardie, Esche, Georgsdorf, Höhenkörben-V., Lage und Osterwald eindeutig für die Bildung einer Samtgemeinde Neuenhaus aussprachen. Damit war der Plan einer ländlichen Samtgemeinde Hoogstede/ Osterwald vom Tisch. Nun fiel auch im Raum Hoogstede schnell die Entscheidung: In einer in der Gaststätte Engler veranstalteten gemeinsamen Sitzung H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Bürgermeister Koops wurde am 11. Januar 1974 als Interimsbürgermeister einstimmig gewählt. Die erste Interimsratssitzung der neuen Gemeinde Hoogstede fand am 7. März 1974 statt. Mit den Kommunalwahlen am 10. Juni 1974 kam die Gebietsreform zum Abschluss. Zum ersten Bürgermeister wählte der Rat der neuen Gemeinde Hoogstede Jan Hindrik Koops aus Scheerhorn. Ortseingang Hoogstede von Scheerhorn aus, etwa 1960/65 (Willy Friedrich) der Gemeindevertretungen aus Hoogstede, Kalle, Tinholt, Berge, und Scheerhorn am 15. Januar 1973 wurde beschlossen, eine Gemeinde Hoogstede zu bilden und sie der Samtgemeinde Emlichheim anzuschließen. Mit einem förmlichen „Gebietsänderungsvertrag“ am 11. Mai 1973 besiegelten die oben genannten Gemeinden den Zusammenschluss zur neuen Gemeinde Hoogstede. Die Unterzeichner waren für Berge Kuite (Bürgermeister); Keute (Ratsherr) Hoogstede Harms-Ensink (Bgm); Schöppner (Rh) Kalle Schroven (Bgm) Wortel (Rh) Scheerhorn Koops (Bgm) Scholte (Rh) Tinholt Harms-Ensink (Bgm) Jonker (Rh) Jan Hindrik Koops, Bürgermeister von Hoogstede 1974-1996 (Johann Kemkers) Bürgermeister (Gemeindevorsteher; Scholten) Hoogstede Jöhring, J. um 1830 Hannebrook um 1843 Stroot, H. um 1850 Kalman bis 1891 Bathorn Blömer, J. H. Schoemaker Kwade Harms, Jan um um um bis 1830 1843 1850 1891 Hoogstede-Bathorn (ab 1891; ab 1968 Hoogstede) Schoemaker, Gert 1891–1921 Köster, Hindrik 1921–1923 Hannebrook, Hermann 1923–1944 Kolthoff, Harm 1944–1945 Köster, Hindrik 1945–1946 (von Militärregierung eingesetzt) Harms-Ensink, Jan 1946–1973 (erste freie Wahl nach dem Krieg) Schöppner, Dietrich 1974–1974 Hoogstede (Einheitsgemeinde ab 1974) Koops, Jan Hindrik 1974–1996 Ensink, Jan 1996– Quellen: Staatsarchiv Osnabrück; Rep 450 Nr. 102; Rep 450 Bent II Nr. 352 Zager Gerrit Jan; Der Grafschafter, Beilage der Grafschafter Nachrichten GN 25.02.2002 Santel, Gregor; Neuringe – Die Entstehung einer Moorgemeinde, Bentheimer Jahrbuch 1991 S.197 f. Protokollbücher der Gemeinden Hoogstede, Scheerhorn, Tinholt 143 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Unglücksfall: Jan Harms-Ensink †, 27 Jahre Bürgermeister Willy Friedrich, GN 22. Dezember 1973 „Im Alter von 74 Jahren ist der Bürgermeister Jan Harms-Ensink an den Folgen eines tragischen Verkehrsunfalls gestorben. Auf dem Heimweg von einer dienstlichen Besprechung wurde er mit seinem Fahrrad auf der glatten Fahrbahn von einem ins Rutschen gekommene Fahrzeug erfaßt und zu Boden geschleudert. Mit der Familie Harms-Ensink trauert die Gemeinde Hoogstede um ihren „ersten Bürger“. 27 Jahre war der Verstorbene Bürgermeister. In schwerer Zeit, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde er auf diesen Posten berufen. Die Hauptsorge galt in jenen Tagen den vielen Vertriebenen, die in dem ehemaligen Gefangenenlager Bathorn und auf den Bauernhöfen in Hoogstede untergebracht waren. Mit Umsicht und Tatkraft ging Jan Harms-Ensink, gestützt von den übrigen Mitgliedern des Gemeinderates, ans Werk. Langsam normalisierten sich die Verhältnisse. Das Schulwesen mußte ausgebaut werden. Überdies hatten immer mehr Bauwillige den Wunsch, sich in Hoogstede seßhaft zu machen. Die Evangelische Volksschule wurde erweitert, für die Katholische Schule entstand ein Neubau. Auch in den Folgejahren stand die Entwicklung nicht still. Das Wegenetz befand sich in einem katastrophalen Zustand, die Trinkwasserversorgung war unzulänglich. Gründlicher Wandel wurde geschaffen. Heute hat Hoogstede ein modernes Schulzentrum und eine neue Turnhalle. Große Baugebiete wurden ausgewiesen. Im Augenblick beschäftigte Jan Harms-Ensink sich intensiv mit einem weiteren Bebauungsplan für das Gebiet Wolters. Die Ortsdurchfahrt hat durch die Schaffung eines Rad- und Gehweges und die Montage einer Straßenbeleuchtung ein neues Gesicht bekommen. 27 Jahre Kommunalarbeit an verantwortungsvoller Stelle bedeutet für einen Landbürgermeister ein großes Opfer an Arbeitskraft und persönlicher Freizeit. Der Verstorbene hat dieses Opfer immer gern gebracht, wenn seine eigene Landwirtschaft – vor allem in früheren Jahren – auch einmal darunter leiden mußte. 144 Jan Harms-Ensink lebt nicht mehr. „Seine“ Gemeinde, für die in schlechten und guten Zeiten immer ein ehrlicher und aufrichtiger Sachwalter war, wird sein Andenken in Ehren halten. W. F. Drei Kommunalpolitiker fast 100 Jahre im Amt Willy Friedrich in den GN, 28. Juli 1980 „Die früheren Bürgermeister, Jan Harms-Ensink (Tinholt), Hindrik-Jan Keute (Berge) und Johann Schroven (Kalle), haben sich um ihre Gemeinden verdient gemacht. Das war der Tenor einer schlichten Feierstunde, die am Freitagabend im Gemeindebüro von Hoogstede stattfand. Bürgermeister Jan Hindrik Koops würdigte das erfolgreiche Wirken der drei Kommunalpolitiker, die insgesamt fast 100(!) Jahre ehrenamtlich für ihre Gemeinden tätig sind. Im Zuge der Gemeindereform nahmen sie 1974 Abschied von ihren Bürgermeisterämtern. Seither arbeiten sie tatkräftig im Gemeinderat von Hoogstede beziehungsweise in der Samtgemeinde mit. In seiner Laudatio ging Bürgermeister Koops auf die Arbeit der geehrten Kommunalpolitiker ein. Seine Rückschau wurde zu einem Stück Zeitgeschichte: Hindrik-Jan Keute aus Berge war bereits in den Jahren von 1937 bis 1943 Bürgermeister. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft kehrte er 1950 in den Gemeinderat zurück. 1951 wurde er Schulverbandsvorsteher für Scheerhorn-Berge. Als 1974 die Gemeindereform kam, mußte er sein Bürgermeisteramt abgeben. Fortan arbeitete er im Gemeinderat von Hoogstede mit. Wie in Berge, so ging auch in Tinholt – mit der Gemeindereform – die kommunale Eigenständigkeit verloren. Jan Harms-Ensink gehört dem Gemeinderat von Tinholt seit 1942 an. Bis 1949 ging seine erste Amtsperiode. Dann wurde er 1954 erneut in den Gemeinderat gewählt. Er übernahm das Amt des Bürgermeisters, das er bis 1974 verwaltete. Seit 1974 ist Harms-Ensink Mitglied des Gemeinderates in Hoogstede und des Samtgemeinderates Emlichheim. Johann Schroven wurde 1952 Mitglied des Gemeinderates und Bürgermeister der Ge- H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Bürgermeister Koops, H. J. Keute, J. Schroven und J. Harms-Ensink (GN 27.07.80) meinde Kalle. Auch er verwaltete sein Amt bis 1974, um dann in den Rat der Gemeinde Hoogstede und der Samtgemeinde gewählt zu werden. Wie Bürgermeister Koops sagte, zeichnen die drei Geehrten sich durch Bescheidenheit, Fleiß und Pflichterfüllung aus. Sie seien – nach der Gemeindereform – nicht „mit fliegenden Fahnen“ nach Hoogstede gegangen. Wenn es trotzdem zu einer konstruktiven Zusammenarbeit der Altgemeinden Berge, Scheerhorn, Kalle und Tinholt in der jetzigen Gemeinde Hoogstede gekommen sei, dann sei das nicht zuletzt der Weitsicht dieser „Männer der ersten Stunde“ zu verdanken. Jan Harms-Ensink, Hindrik Jan Keute und Johann Schroven schlossen sich im gleichen Sinne an und bedankten sich. Sie wiesen auf die Probleme hin, mit denen die kleinen Gemeinden einst zu kämpfen hatten. Die innere Verkehrslage sei miserabel gewesen. Sehr viel habe man für die Schulen tun müssen und unter großen Opfern getan. Weiter machten sie auf die umfangreichen wasserwirtschaftlichen und landeskulturellen Maßnahmen aufmerksam, die zur allgemeinen Strukturverbesserung beitrugen. Zufrieden äußerten die drei sich übereinstimmend mit der jetzigen Kommunalarbeit. Innerhalb der neuen Gemeinde Hoogstede mit ihren gut 2500 Einwohnern herrsche ein beispielhaftes Zusammengehörigkeitsgefühl. Damit seien die Voraussetzungen für ein konstruktives Miteinander gegeben. Daß diese Zusammenarbeit darüber hinaus harmonisch verlaufe, sei in starkem Maße der integrierenden Kraft des Bürgermeisters Koops zu verdanken. Als ehemaliger Bürgermeister einer kleinen Landgemeinde, die seit eh und je eine in sich geschlossene „kleine Welt“ sei, gebe man seinen „Besitzstand“ naturgemäß nicht gerne auf. Aus diesem Blickwinkel betrachtet erscheine es besonders erfreulich, daß auch innerhalb des Zusammenschlusses mit Hoogstede nach wie vor ein intaktes Eigenleben in den ehemals selbständigen Ortsteilen bestehe. Das werde auch weiterhin so bleiben. Bleibt noch zu sagen, daß die Kommunaljubilare über ihre Gemeindearbeit hinaus nach wie vor mehrere Aufgaben im öffentlichen Leben wahrnehmen.“ Bürgermeister Jan Hindrik Koops seit 25 Jahren Gemeinderatsvorsitzender Friedrich Gerlach in den GN 8. November 1993 „Viel Lob, Glückwünsche und Geschenke gab es am vergangenen Freitag in Emlichheim für Hoogstedes langjährigen Bürgermeister Jan Hindrik Koops. Vertreter der Gemeinde, der Samtgemeinde Emlichheim, des Kreises, des Städte- und Gemeindebundes sowie der Hoogsteder Vereine ehrten den 68jährigen für seine 25-jährige Tätigkeit als Ratsvorsitzender und würdigten sei kommunalpolitisches Engagement, in dessen Mittelpunkt stets der Mensch gestanden habe. Erster Gratulant während der Feierstunde anläßlich des Jubiläums im Emlichheimer Hotel Hermann war für den Hoogsteder Gemeinderat der stellvertretende Bürgermeister, Dieter Schowe. Er ließ zunächst den kommunalpolitischen Werdegang von Jan Hindrik Koops Revue passieren, der 1961 Mitglied des Rates der damals noch selbständigen Gemeinde Scheerhorn und 7 Jahre später (1968) zu ihrem Bürgermeister gewählt wurde. Nachdem im Zuge der Gemeindereform die Gemeinden Hoogstede, Kalle, Tinholt, Berge und Scheerhorn zusammen gefaßt worden waren, stand Koops ab 1974 auch an der Spitze des Rates der neuen Gemeinde Hoogstede. Zuvor war er bereits in den Emlichheimer Samtgemeinderat und 1972 für die CDU auch in den Grafschafter Kreistag berufen worden. 1981 trat er zudem als Nachfolger von Hermann 145 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Wieferink das Amt de Emlichheimer Samtgemeindebürgermeisters an. Koops ist ferner seit Anfang der 80er Jahre Vorsteher des Zweckverbandes der Musikschule Niedergrafschaft. Im Namen der Hoogsteder Bürger sprach Dieter Schowe dem Jubilar Dank für seine „oft schwere und mühevolle Arbeit“ zum Wohl der Gemeinde und ihrer Einwohner aus. Als verantwortungsbewußter Politiker habe Koops das Gemeinwohl stets als Richtschnur seines Handelns betrachtet. Der Bürger habe sich dabei immer auf ihn verlassen können. Auch Landrat Nonno de Vries, der Koops für den Kreis eine Urkunde überreichte, anerkannte den „großartigen Einsatz“ des Bürgermeisters für das Gemeinwesen in den vergangenen Jahrzehnten. Koops sei immer wieder bereit gewesen, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen und immer wieder hätten ihm die Bürger „außerordentliches Vertrauen“ entgegengebracht. Der Emlichheimer Samtgemeindedirektor, Horst Kammel, nannte den Hoogsteder Bürgermeister unter anderem einen „Mann, der für alle Zeit hat“. Vielen Menschen habe Koops während seiner Amtstätigkeit helfen können, sein Engagement gründe nicht zuletzt in der tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben. Für den Kreisverband des Städte- und Gemeindebundes gratulierte Koops` Osterwalder Amtskollege Sinus Hoppen zum Bürgermeis- terjubiläum. Er zeichnete ihn zudem im Namen des Gemeindebundes mit einer silbernen Ehrennadel und einer Urkunde des Gemeindebundes aus. An Koops` enge Verbundenheit mit der Hoogsteder Schule erinnerte ihr Leiter Johann Kemkers in seinem Grußwort. „Der Mensch ist die Hauptsache“ sei stets Leitgedanke der Arbeit von Jan Hindrik Koops gewesen, und dafür seien ihm viele dankbar. Für die Hoogsteder Vereine kam der Sportvereinsvorsitzende Heinrich Keen zu Wort. Ob Schützenvereine, Rotes Kreuz, Feuerwehr, Feuerwehr, Landjugend oder Sportverein – für alle Hoogsteder Vereine sei Koops ein stets „treusorgender Vater“ gewesen, meinte Keen. Das bewiesen auch die zahlreichen Vereinseinrichtungen in Hoogstede, die mit Unterstützung der Gemeinde und ihres Bürgermeisters in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geschaffen werden konnten. Auf das breite soziale Engagement des Jubilars, der damit auch einen Dienst am Frieden geleistet habe, machte schließlich für den Reichsbund Jakobus Hessels aufmerksam. Und Regierungsdirektor Wolfgang Persike vom Meppener Amt für Agrarstruktur wies auf die vielfältigen Verbindungen hin, die bei der erfolgreichen Zusammenarbeit in Flurbereinigungsverfahren oder bei der Dorferneuerung zwischen Gemeinde Hoogstede und der Behörde entstanden seien. „ Gemeinderat Hoogstede, 2008 Vorne: Gisela Scholten-Meilink, Hannegret Scholten, Jan Ensink, Fritz Berends, Gisela Glüpker, hinten: Jan Harms-Ensink, Helmut Sleefenboom, Günter Meyerink, Rudi Jahnke, Reinhard Middendorf, Johann Wortelen, Berend Hübel und Dieter Schowe (Fritz Berends) 146 H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Dr. Ernst Kühle, Über Bathorn – Hoogstede Aus „Der Grafschafter“ September 1969, S. 646–647 (Folge 198-200) Mittelpunktslage Hoogstede ist Anlieger des rechten Vechteufers auf ein wenig mehr als zwei Kilometer Luftlinie. Ackerlandplatten mit Eschfluren treten dicht an die Vechte heran, so daß der Kern der Siedlung nahe am Fluß gelegen ist. Die Vechte verlegte ihren Lauf von Westen nach Osten wie tote Flußschlingen am linken Ufer, durch Flußsande abgeschnürt, bestätigen. Hoogstede überholte die Nachbargemeinden, die sich wie eine Kette von Veldhausen bis Emlichheim mit durchschnittlicher Ortsentfernung von nur 2 km aneinander reihen, in Größe und Bedeutung. Das hat seinen Grund in der topographischen und Mittelpunktslage. Die mittelalterlichen Handelsplätze lagen etwa 20 km voneinander, weil diese Strecke von Pferdegespannen im Laufe eines Tages zurückzulegen war. Die Heerstraße zwischen Emlichheim und Neuenhaus nahm nicht den kürzeren, aber tiefer gelegenen Weg am linken Ufer, der den Vechtebogen hätte abschneiden können, sondern, um der besseren Höhenlage willen über Hoogstede. Diese Höhenlage, dazu die besseren Böden die neben Viehhaltung auch Brotfruchtbau erlauben, bewirken eine größere Siedlungsdichte. Mit der Ortsdichte stieg die Verkehrsdichte. 1890 erhielt der Ostuferweg eine feste Straßendecke, später stufte man ihn zur L 44 auf. Der Straße folgte die Eisenbahn; 1908 erhielt Hoogstede einen Bahnhof. Der Weg zum Kaufmann und zum Handwerker in der Stadt war weit. Dem Bedürfnis, notwendige Bedarfsgüter im Ort herzustellen, gaben die Behörden nach. Besonders in der Franzosenzeit siedelten sich Gewerbebetriebe an. Von den sieben Gemeinden von Esche bis Kleinringe besitzt nur Hoogstede Kirchen, und zwar je eine der vier Bekenntnisse. Mit der Eisenbahn kamen der Mineraldünger, das Baumaterial und andere Bedarfsgüter in den Ort, und die im Bereich erzeugten Produkte konnten weiterbefördert werden So entstanden am Bahnhof Niederlassungen und verarbeitende Betriebe, insgesamt ein beachtliches Handels- und Gewerbezentrum. Die angegliederte Gemeinde, auf erhöhtem Landrücken ins Moor vorspringend, was im Namen Bathorn, bessere Spitze, zum Ausdruck kommt, greift nach Osten ins Moor ein, das hier abgetorft, entwässert, umgebrochen und besiedelt wurde. Die gemeinsame Mark umfaßte zugleich auch die von Kalle, Tinholt, Scheerhorn und Berge ... Ortseinfahrt Hoogstede von Scheerhorn aus. Links Haus Vette, etwa um 1925, Jan Vette und Lehrer Fritz Voltmer (Harm Kuiper) 1885 Kreis Grafschaft Bentheim 1885 entstand aus dem Großkreis Lingen der Kreis Grafschaft Bentheim mit einem Hilfsamt in Neuenhaus. 1886–1920 sorgte Landrat Kriege für den Fortgang der Melorierungsmaßnahmen und des Straßenbaus. 1890 erhielt der Heerweg über Hoogstede eine feste Steindecke. Die 1896 angelegte Teilstrecke der Bentheimer Eisenbahn erfuhr 10 Jahre später eine Verlängerung über Hoogstede nach Emlichheim. Hoogstede erhielt einen Bahnhof, der bald in Personen- und Güterverkehr Bedeutung gewann. Die geförderten Raseneisenerze verlud man meist in Hoogstede. Die Technik fand Eingang in den bäuerlichen Betrieb. Im neuen Jahrhundert stellte sich die landwirtschaftliche Winterschule Neuenhaus 1903 in den Dienst der Berufsausbildung des bäuerlichen Nachwuchses. Das Krankenhaus in Neuenhaus übernahm den Gesundheitsschutz der Niedergrafschaft. Nach dem Weltkriege setzte Landrat Böninger, 1920–31, die Kulturmaßnahmen seines Vorgängers fort. Die Elek- 147 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE trizitätsversorgung des Kreises versah die bäuerlichen Betriebe mit einer neuen Energiequelle. Herdbuchgesellschaften, Versuchsringe, Bezugs- und Absatzgenossenschaften, Tierzuchtverbände halfen, die Erträge zu steigern. Das Kreiswiesenbauamt bemühte sich um Strukturverbesserung des Grünlandes. In Hoogstede stellte sich die Spar und Darlehnskasse 1923 in den Dienst Geldverkehrs; die Posthilfsstelle 1933 diente dem Nachrichtenverkehr. 1933 besaßen Hoogstede und Bathorn 262 ha Ankerland, 108 ha Wiesen und 180 ha Weiden; es gab 91 landwirtschaftliche Betriebe, darunter 9 größere, 57 kleinere Höfe, 12 Neubauern. 14 Heuer, insgesamt 710 Einwohner. 25 gewerbliche Betriebe hatten sich in Hoogstede angesiedelt; sie behaupteten sich zwischen Veldhausen mit 47 und Emlichheim mit 65 Handwerksbetrieben. Kulturmaßnahmen 1937 Als beispielhaft können die Kulturmaßnahmen im Raum Hoogstede-Bathorn gelten, über die W. Friedrich in den Grafschafter Nachrichten unterrichtete. Das Wasserwirtschaftsamt Osnabrück richtete 1937 eine Nebenstelle die Kulturbauleitung Hoogstede ein. Eine Barackenunterkunft, 1938, enthielt 2 Büroräume und Wohnung für 14 Arbeitskräfte. Bald gab es 13 Dieselloks und 20 km Feldbahn, die 90 Stammarbeitern und weiteren Arbeitskräften des Reichsarbeitsdienstes dienten. 1939 übernahm die Justizverwaltung das Lager Bathorn und setzte Strafgefangene zur Arbeit ein, die unter anderem den Bathorner Diek befestigten. Nach Ausbruch des Krieges beschäftigte man auch Kriegsgefangene. Nun übernahm die Wehrmacht das Lager und führte die Arbeiten bis zur Schleuse weiter und darüber hinaus bis zum Lager Alexisdorf und Neuringe. Der Arbeitsdienst hatte bereits 900 ha entwässert als die Kriegsjahre eine Einschränkung der Arbeiten im Moor erforderten. Ab 1940 konnte man nur noch kleinere Abteilungen beschäftigen. 1941 übernahm das Wasserwirtschaftsamt Meppen die nunmehr nach Bathorn verlegte Leitung. Nach dem Kriege begann man 1946 aufs neue mit den Kulturarbeiten und be- 148 schäftigte Vertrieben von denen etwa 500 im Lager Bathorn untergebracht waren. Zunächst waren nur drei Dieselloks verfügbar; ab 1947 jedoch, als man die Arbeiten in größerem Maße wieder aufnahm, waren 140 Arbeitskräfte als Stammpersonal eingesetzt, die mit Unternehmern und Fachkräften das Straßen- und Grabennetz erweiterten, die Moordecke umbrachen und die Bodenstruktur verbesserten. Einheitsgemeinde Hoogstede 1968 Hoogstede gewann nach 1945 Bedeutung als Nebenkern mit Standort für mehrere Kirchen, Mittelpunktschule, Berufsschule, landwirtschaftliche Genossenschaften und mehrere Gewerbe- und Handelsbetriebe. Der Ausbau der Feuerwehr erlaubt, Nachbargemeinden Brandschutz zu bieten. Ein Polizeiposten dient einer Gruppe von acht benachbarten Orten. Die Bildung einer Einheitsgemeinde beschlossen 1968 die Gemeinden Hoogstede, Bathorn, Scheerhorn, Berge, Kalle, Tinholt und Neuringe. Eine leistungsfähige Privatmolkerei richtete 1960 eine fliegende Milchabnahme ein, deren Tankwagen die Kannen auf den Höfen entleeren und sie mit Magermilch wieder auffüllen. Der Milchversorgung dient der Kontrollring Hoogstede. Die Infrastruktur, die Grundausrüstung der Gemeinde, gewann durch Einrichtung einer Waschanlage, durch Gemeinderäume der kirchlichen Gemeinden, durch Mitwirkung von geselligen Vereinen, Laienspielschar, Dorf- und Theaterabende und Gemeindebücherei. Beträgt die Einwohnerzahl heute etwa 1100, so rechnen die Raumplaner mit einer Zunahme bis 1985 auf 2000 und einem weiterem Hinzukommen zentraler Einrichtungen, wodurch Hoogstede Aufgaben eines kleinen zentralen Ortes für einen begrenzten Nachbarbezirk erfüllen kann. Quellen Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953. Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft, Heimatkalender 1951. Friedrich, Hoogstede, Grafschafter Nachrichten 1962. Sager, Geschichte der Grafschaft Bentheim Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises. Dr. Specht, Jungpaläolithischer Lagerplatz am Lamberg. Jahrbuch 1968. Der Landkreis Grafschaft Bentheim. H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Postkarte Hoogstede um 1925 (Johann Jeurink) Kriegerverein 1919, Denkmal 1921 und Musikverein von 1928 Mini Büdden Die Veteranen des Krieges 1870/71 entschlossen sich zur Gründung eines Kriegervereins. Schon im Jahr 1906 fand vermutlich in der Gaststätte Warmer in Scheerhorn eine Versammlung mit der Wahl eines Präsidenten statt. Gewählt wurde der vormalige Lehrer Bernhard Heinrich Stönnebrink. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Stönnebrink erneut erster Vorsitzender, Lehrer Voltmer wurde zweiter Vorsitzender, Schriftführer der Schmied Bernhard Haubrich und Kassenführer der Landwirt Koops. Der Kriegerverein veranstaltete jedes Jahr mehrere Feste, die mit Umzügen durch das Dorf bis zur Gaststätte Warmer verbunden waren. Ausgangspunkt dieser Veranstaltungen war der Platz der „drei Eichen“ am heutigen Schwarzen Diek. Eine vom Heimatverein aufgestellte Hinweistafel erinnert heute an diesen Platz. Die Mitglieder trugen bei solchen Umzügen eine einheitliche Kopfbedeckung (Käppies), eine Fahne und brennende Fackeln. Die vereinseigene Musikkapelle begleitete die Um- züge und spielte bei Festen zum Tanz auf. Der Kriegerverein plante und vollendete auch den Bau des Kriegerdenkmals zur Erinnerung an die Opfer des Ersten Weltkrieges. 1921 konnte das durch Spenden finanzierte Denkmal eingeweiht werden. Seinen Platz hatte es in der Dorfmitte an der Ecke Bergstraße/Hauptstraße. Etwa 1974/75 wurde es verkehrsbedingt abgebrochen und befindet sich seitdem im Privatbesitz. Angedacht ist, beim Ausbau des Friedhofs das Denkmal neu einzubeziehen. Kriegerdenkmal Zeitung und Anzeigenblatt 1921 Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim Bearbeitet von Johann Jeurink Arkel, 6. März 1919 In der letzten Versammlung des Kriegervereins wurde festgestellt, dass 30 Vereinsmitglieder am Kriege teilgenommen haben, 6 auf dem Felde der Ehre gefallen oder infolge Verwundung gestorben sind und sich zur Zeit noch ein Mitglied in Gefangenschaft befindet. Außerdem haben aus dem Kirchspiel Arkel noch 26 Krieger ihr Leben für das Vaterland dahingeben müssen, harren noch 12 Krieger in der Gefangenschaft ihrer Rückkehr und gelten noch 5 Krieger als vermißt. 149 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Entlassungs-Urkunde nach dem Ersten Weltkrieg für Johann Heet, 17.02.1920 (Mini Büdden) Hoogstede, 9. April 1921 Die am 1. April im Lokale des Herrn Warmer stattgefundene Versammlung des Kriegervereins Arkel erfreute sich einer regen Beteiligung. Bevor zur eigentlichen Tagesordnung übergegangen wurde, teilte Herr Stönnebrink mit, dass die Sammlung für die Anlage eines Kriegerdenkmals bereits einen guten Erfolg gehabt habe, jedoch noch nicht beendigt sei. Er hoffe jedoch durch den Opfersinn der noch ausstehenden Gemeinden, das in Aussicht genommene Denkmal in Auftrag geben zu können. Die Arbeiten sind dem Bildhauer H. Wiese in Nordhorn übertragen, welcher einfache, künstlerische Entwürfe angefertigt hatte und diese der Versammlung vorlegte. Herr Wiese, der anwesend war, erklärte dann die Grundgedanken und Einzelheiten der Ausführung. Hierauf kam man einstimmig zu dem Entschluß, einen Gedenkstein zu nehmen, der dem Andenken, der dem Vaterlande geopferten Söhne würdig und dem Gelände angepasst ist. – Dann wurde noch beschlossen am 20. April ein Frühjahrsfest zu feiern, sowie am Himmelfahrtstage einen Ausflug nach Lage zu machen. 150 Hoogstede, 15. Juni 1921 Unser Kriegerdenkmal – Ein gewaltiges Ehrenmal ist es, das das Kirchspiel Arkel seinen im Kriege gefallenen Helden widmen wird. Die Wahl ist jetzt getroffen worden, und wir sind heute in der Lage, darüber folgende Einzelheiten mitzuteilen. Der Hauptblock, der auf einem schweren Sockel ruht, ist aus echtem Granit nach der Natur gemeißelt. Der mächtige Block, der an 2,10 m hoch und 1,15 m breit ist, wird aus einem riesigen Stein gearbeitet und hat das stattliche Gewicht von 60 Zentnern. Oben ist das Denkmal gekrönt von dem typischen Stahlhelm, der – umkränzt von Lorbeerranken – direkt aus dem Block gemeißelt ist. Die Namen der gefallenen Helden werden auf einer Tafel aus Odenwald-Granit eingehauen. Die Anlage wird einen schönen Platz finden direkt an der Landstraße bei der Stönnebrinkschen Besitzung, unmittelbar am Friedhof. Die Denkmals-Anlage wird geschaffen von der Firma „Werkstätte für Kriegerund Grabmalkunst Gebr. Wiese, Bocholt“, deren Vertreter Herr H. Wiese, Nordhorn den Auftrag entgegennahm. Die Einweihung des Denkmals wird im Herbst d. Js. erfolgen. H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Das Kriegerdenkmal um 1930, Ausschnitt aus einer Postkarte (Mini Büdden) Musikverein im August 1928, gleichzeitig Kapelle vom „Kriegerverein“. Von links: Lukas Schroven, Heinrich Müller, Heinrich Rott, Hindrik Jan Keen, Heinrich Haubrich, Hindrik Jan Snieders, an der Trommel Johann Sommer (Mini Büdden) Gedenktafel Gefallene des Ersten Weltkrieges in der katholischen Kirche (Mini Büdden) Hoogstede, 17. Oktober 1924 Saalbau. Nachdem der Warmer`sche Saal in Scheerhorn nicht mehr vorhanden ist, macht sich der Mangel einer größeren Räumlichkeit bei Versammlungen, Festen und Vorträgen sehr empfindlich bemerkbar. Kalle, Tinholt, Hoogstede, Scheerhorn usw. haben deshalb den Wunsch, wieder einen Saal zu bekommen. Deshalb hat ein hiesiger Wirt den Plan erwogen, im nächsten Jahre den Bau eines Saales vorzunehmen. Besonders der Kriegerverein steht diesem Plan freundlich gegenüber. Hoogsteder Musikverein 1948–1952 Johann Jeurink und Heinrich Warmer Gleich nach der Währungsreform am 20. Juni 1948 gründeten einige Hoogsteder einen Musikverein, dem überwiegend Bläser angehörten. Beteiligt waren Bertus Brooksnieder, Jan und Wasse Hannebrook, Heinrich Haubrich, Herbert Hermann (Emlichheim), Heinrich und Jan Jeurink, Alfred Leipner (Polizist in Hoogstede von 1945 bis 1963, Johann Schroven, Egbert Stroot sowie Heinrich und Hindrik-Jan Warmer. Sie spielten Trompete, Tenorhorn, Flügelhorn, Tuba, Trommel und Schlagzeug. Leiter und Dirigent war Hermann Gröbe. Der 1879 in Sachsen geborene Gröbe war vierzig Jahre lang Stabsmusikkapellmeister Dresden gewesen. Er leitete in dieser Funktion eine Musikgruppe von Österreichern hoch zu Ross. Nach seiner Flucht war er bei seinen Verwandten Gosen Hoogstede untergekommen. Die Familie Gröbe war lange Zeit lang im Obergeschoss des Hauses des Schuhmachers Heinrich Warmer untergebracht, am heutigen Feldweg. Nach dem Tode seiner Frau lebte er mit Frau Trenzinger zusammen. Später wohn- 151 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE ten sie im Hause der Familie Gosen im Berg, an der heutigen Bergstraße. Die letzten Jahre verbrachte Hermann Gröbe bei seiner Tochter in Hamburg. Dort verstarb er 1970. Er wurde in Hoogstede beerdigt. Hermann Gröbe war für die junge Musikgruppe ein „Juwel”. Er verstand es, mit Disziplin aber auch mit Humor seine Truppe zu begeistern. Die Übungsstunden fanden wöchentlich in der katholischen Volksschule statt. In den Wintermonaten mussten die Teilnehmer abwechselnd für Brennmaterial zum Heizen Sorge tragen. Später übte man auch in der Gaststätte Wolters. Nach einem halben Jahr schon wagte der Musikverein seinen ersten öffentlichen Auftritt. Er spielte überwiegend flotte Blasmusik, unter anderem auch Märsche. Er spielte auf Silbernen und Goldenen Hochzeiten und auf verschiedenen Schülertreffen. Die Beteiligten hatten zwischen 1949 und 1952 noch keine eigenen Autos. Deshalb mussten von den eingenommenen „Gagen“ zuerst die Fahrtkosten bestritten werden. Das restliche Geld – Geld war in dieser Zeit noch sehr knapp – wurde in Musikinstrumente und Noten investiert. Es gibt einzelne Zeitungsmeldungen über Auftritte der Gruppe. Der Musikverein erweckte im Mai 1952 in Emlichheim großes Aufsehen: Als Herbert Hermann, der in Emlichheim wohnte und im Musikverein mitspielte, Schützenkönig von 152 Hermann Gröbe (1879–1970) hoch zu Ross in Österreich (Christa Gosen) Musikverein mit Hermann Gröbe um 1950. Von links: Jan Hannebrook, Heinrich Jeurink, H.J. Warmer, Wasse Hannebrook, vorne: Hermann Gröbe, weiter Egbert Stroot, Heinrich Haubrich, Bertus Brooksnieder, Heinrich Warmer. (Johann Jeurink) Hoogstede geworden war, brachte der Verein bei ihm zu Hause ein Ständchen. Viele Emlichheimer waren überrascht, dass Hoogstede schon wieder eine Blaskapelle hatte. Noch heute erinnern sich einige der Beteiligten gerne an diese schöne Zeit. Sie berichten, dass man bei den Auftritten auch immer selber kräftig mitgefeiert habe und manches Mal erst in den frühen Morgenstunden wieder zu Hause eingetroffen sei. Nachdem einige der jüngeren Mitglieder geheiratet und eine eigene Existenz aufgebaut H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Verlobung von Bertus Brooksnieder und Wilhemina Züwerink am 06.06.1949. Von links: stehend Herbert Hermann, Alfred Leipner, Wilhelmine Züwerink, Bertus Brooksnieder, Heinrich Taubken, davor v.l. Jan Hannebrook, Wasse Hannebroek, Johann Stroot, Jan Jeurink, Heinrich Jeurink und Johann Schroven. (Mini Büdden) Hermann Gröbe, 1879-1970 (Mini Büdden) Der Hof Westhuis seit 1867 1867 hat Familie Westhuis ihren Hof erworben, 1989 gibt Bernhard Westhuis (1902–1990) einen kurzen Rückblick. Bilder und Text stehen beispielhaft für viele andere Neusiedlungen des 19. Jahrhunderts. (gjb) Kinderwagen Westhuis, um 1940, Anfang der Kriegsjahre (Westhuis) Kath. Pastor, Bernhard Westhuis,1902–1990, Gerhard Beerlink, 1886–1941 (Westhuis) hatten, stellte man die Aktivitäten 1952 wieder ein. Sechs Jahre später, am 14. Februar 1958, wurde der Posaunenchor der evangelisch-reformierten Gemeinde gegründet. Unter anderem hatten auch sechs Beteiligte vom aufgelösten Musikverein die Idee und den Wunsch, einen Posaunenchor ins Leben zu rufen. Sie hatten sich zuvor an Pastor Ringena von der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde gewandt. Chorleiter wurde Herr Alfred Leipner. Mit als Gründungsmitglieder dabei waren unter anderem auch sechs ehemalige Spieler des Musikvereins, und zwar Bertus Brooksnieder, Jan und Wasse Hannebrook Jan Jeurink und Heinrich und Hindrik-Jan Warmer. 153 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Rückblick von Bernhard Westhuis, Hoogstede 1989 Aufgeschrieben von Bernhard Westhuis, 1902-1990 Im Jahre 1867 kauften die Eheleute Carl Westhuis und Frau Anna Margarethe geb. Holtel (Brüning), Scheerhorn, das erste Grundstück von Hermann Börger (Mensen) aus Hoogstede für 950 Gulden. Es war etwa 13 Morgen groß. Börger musste das Geld zehn Jahre stehen lassen. Nach drei Jahren war Börger kaputt und musste das Grundstück wieder verkaufen. 1870 kaufte mein Großvater es dann für 1.000 Reichstaler. Der Bauer Frans Kennepohl, Tinholt, gab das Geld für die erste Hypothek. Carl Westhuis musste es mit vier Prozent verzinsen. Im Jahre 1880 kaufte er von Klein Neerken vier Morgen für 150 Mark. Es war eine arme Zeit. Das Geld musste im Webstuhl verdient werden. Die Löhne waren niedrig. Nach einem alten Büchlein arbeitete er bei Harms in Bathorn als Torfstecher, Grasmäher, Roggenmäher für zwei Mark pro Tag, Mistladen für 80 Pfennig und so weiter. Bei Westhuis in der Heuernte, um 1940. Hinten links Maria Westhuis geb. Eling 1909-2003, Bernhard Westhuis 1902-1990, Franzose, vorne links unbekannte Frau eines Offiziers, Gesina Westhuis 1898-1972/3), Margaretha und Bernhard Westhuis (Westhuis) Mit Pferd und Auto 1930/1934 bei Westhuis vor der Diele Von rechts: Bernhard Westhuis 1902-1990, Gesina Westhuis 1898-1972/3, mit ihrer Nichte Anne Oude Wesselink aus Esche 1921-1997 (Westhuis) 154 H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Am Bathorner Diek erlebt Hermann Kronemeyer Twistdiek Der Bathorner Diek hieß ehemals Twistdiek. Es ist ein sich sehr lang über Kilometer hinziehender Weg. Von der heutigen Hauptstraße, abzweigend an der Molkerei, in Hoogstede verlief der Bathorner Diek etwa mittig durch die Bathorner Flur mit ihrer wechselhaften Struktur von Eschböden, durch tief gelegene Bruchwiesen, gefolgt von ausgedehnten Hochmoorflächen. Somit war der Zustand des Dieks, je nach Jahreszeit, vorgegeben. Anwohner des Dieks und insbesondere deren Kinder erfuhren tagtäglich die Erschwernis, die der Diek für sie brachte. Den Bathorner Diek erfahren sollten auch Tausende Menschen aus allen Kontinenten und aus allen Staaten Europas. Mit der Einschulung im Jahre 1933 sollte ich in den folgenden Jahren über den Bathorner Diek laufen und die unterschiedlichen Eindrücke sammeln. In Holzschuhen legten wir die Wegstrecke bei jedem Wetter zurück, im Sommer wie im Winter. Einigermaßen erträglich zeigte sich der Weg nur im Sommer, auch wenn der Fußweg durch Weidevieh, das morgens zur Weide getrieben und abends wieder zum Stall geholt wurde, zertreten und mit Kuhfladen verschmutzt war. Sommer und Herbst Bei sommerlicher Hitze und staubigem Weg suchten wir schon mal die Wasserpumpe bei einem Anlieger auf, um eine Schöpfkelle Wasser zu trinken. In der Heuernte herrschte dann reger Betrieb. Ab und zu musste auch ein Heufuder auf dem Weg neu geladen werden, weil ein Teil der Fuhre sich infolge ausgefahrener Senken im Wege gelöst hatte, sehr zum Verdruss und Ärger der Betroffenen. Zum Herbst legte sich der Betrieb auf dem Weg und herbstliches Wetter ließ wieder größere Wasserlachen und matschige Wegstrecken entstehen, sodass man sich den besten Weg rechts oder links vom Weg suchte. Nasse Füße waren oft die Folge. Sargträger Eine Begebenheit etwa aus den 1920ger Jahren gibt ein Bild von den damaligen Wegverhältnissen. Bei einem Sterbefall in der Siedlung Bathorner Diek musste der Sarg etwa drei Kilometer weit bis zum Kanal getragen werden. Von dort haben Gerhard Brooksnieder und Bernhard Westhuis Pferde und Wagen gestellt und den Sarg am Kanal entlang und über den Aulen Diek zum Friedhof gefahren. Winter und Frühling Bei Frost war der Weg relativ gut passierbar. Obwohl bei Schnee und Schneeverwehungen sich dann die Erschwernis von einer anderen Seite zeigte. Bei kaltem, schneidendem Ostwind waren uns schon mal Ohren oder Wangen angefroren. Weder Busch noch Baum boten auf dem Langen Diek Schutz. Wildgänse, die sich in jedem Winter in den Wiesen rechts und links des Weges niederließen, litten dann Hunger und konnten sich kaum zum Flug erheben. Angenehm wurde es im Frühjahr, wenn unzählige Kiebitze am Wege spielten, Lerchen aufstiegen und große und kleine Brachvögel, Schnepfen und Wildenten über die grünen Wiesen strichen. Mit dem Frühjahr kamen auch einige Holländer, die versuchten, mit Fallen Maulwürfe zu fangen, um damit etwas Geld zu verdienen. Gelegentlich passierten auch Schmuggler unbemerkt den Diek. Schmuggler Fast jede Nacht hielten sich Zöllner an unserem Haus oder in der Scheune auf, um die Kanalbrücke zu beobachten. Eines Nachts stellten sie einen Schmuggler, der die Brücke passieren wollte. Beim Zugriff ließ der Mann aus Tinholt sein Schmuggelgut fallen und stürmte in unseren seitlichen Hauseingang durch die Küche, das elterliche Schlafzimmer und durchs Fenster wieder hinaus. So ist er entkommen. Die Haustüren blieben damals meist unverschlossen. Torfholen Eine jährlich wiederkehrende Betriebsamkeit auf dem Diek stellte sich im Mai ein und setzte 155 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE sich dann, zur Erntezeit abflauend, bis in den Herbst hinein fort. Bewohner der näheren und weiteren Umgebung zogen im Mai ins Moor, um sich mit dem erforderlichen Jahresbedarf an Heiztorf zu versorgen. Nach dem Torfstechen und trocknen zogen im Spätsommer vermehrt ein- und zweispännige Pferdefuhrwerke ins Torfstichgebiet, um den trockenen Torf nach Hause zu holen. Auffällig war das kleinste Fuhrwerk. Mit einem einspännigen Hundewagen brachte diese Familie ihren Torf über holperige und lose Sandwege nach Haftenkamp. Eine nicht leichte Arbeit für Mensch und Hund. Begradigungen Kurz vor meiner Einschulung gab es schon Verbesserungen am Twistdiek. Der sogenannte Lines (Linesch) war ausgegraben worden, sodass man nicht mehr um Brooksnieder herumfahren musste. Für die Fußgänger führte bis dahin ein Pfad über den Esch. Vom Hof Koops war der Diek um einige Meter westlich zurückverlegt worden. Am Hof Neerken war der Esch abgegraben worden. Hier verlief der Diek nun nicht mehr am Hause über den Hof von Neerken. Weiter verlief der alte Diek zwischen dem Hause Kwade, heute Boers, und der dazugehörigen Scheune, später mit kleiner Wohnung, hindurch. Auch hier wurde der alte Diek westlich verlegt, somit verlief der Diek gradlinig durch den Lines zur Hauptstraße an der Molkerei. 156 Arbeitsdienstlager 1933/35 In den folgenden Jahren sollten die Baumaßnahmen kein Ende nehmen, im Gegenteil. Zunächst wurde ein Arbeitsdienstlager nördlich vom Hof Koops gebaut. In der Folgezeit marschierten Männer in Arbeitsuniform und mit blankem Spaten singend zu ihren Arbeitsstellen am Diek. Das war ein ungewohntes Bild. Entwässerungsgräben wurden gezogen bzw. ausgebaut und vertieft. Dabei wurde ein Einbaum ausgegraben, zu dem wir Schulkinder geführt wurden. Dieser Einbaum sollte in ein Museum verbracht werden. Feldbahngleise wurden verlegt. Darauf fuhren Schienenfahrzeuge verschiedenster Art. Auf die konnten wir gelegentlich aufspringen und brauchten unseren Weg nicht zu Fuß zurückzulegen. Behinderungen gab es fortwährend durch die Verlegung von Durchlassrohren, was sich über Tage hinzog. Zur Überquerung brauchten wir Kinder die Hilfe der Arbeitsmänner und auch, wenn es durch frisch aufgefüllten lockeren Sand ging. Fremde und Strafgefangene Immer mehr Fremde waren anzutreffen. Fremd war jeder, der nicht plattdeutsch sprach. Vermessungsleute aus Österreich und Deutschland, Arbeiter aus der Grafschaft und den angrenzenden Kreisen. Auf dem Twistdiek und darüber hinaus entwickelte sich eine Großbaustelle. Unser Schulweg hatte sich inzwischen um einiges verlängert. Unterricht wurde Lok und Loren auf einem Feldbahn-Damm, Sandauffahren (Gerold Meppelink) H O O G S T E D E U N D B AT H O R N jetzt in der katholischen Schule gegeben. Dort spielte sich eines Tages eine merkwürdige Szene ab. Zwei Lastzüge mit Anhängern und Planen überspannt hielten am Schulzaun während einer Pause. Drei Männer in Uniform mit Karabiner stiegen aus und fragten den Lehrer nach dem Weg zum Lager Bathorn. Währenddessen steckte ein Mann seinen Kopf durch die Plane. Ein Uniformierter sah es, sprang schnell zu, schwang sein Karabiner und schlug dem Mann mit dem Kolben ins Gesicht. Dann lief Wasser an der Stelle vom Wagen. Beide Lastzüge waren voller Männer. Vermutlich die erste Einlieferung von Gefangenen in das Strafgefangenenlager Bathorn. Vereinzelt, in zunehmenden Maße, befuhren nun auch leichte Motorräder, „Bückies“ und Kübelwagen aus den neuen Arbeitsdienstlagern am Kanal den Diek. Immer mehr Uniformierte und Arbeitsmänner erschienen. Ein alteingesessener Hoogsteder meinte dazu: „Mäinschen, Mäinschen, ick wüß ja gar nich dat et soavöll Volk up de Wärld gaff.“ Viele trugen eine Einheitskleidung anderer Art: blaugraue Kittel und Hosen mit breiten gelben Streifen beidseitig an den Beinen, vergleichbar einer Generalsuniform. Deshalb nannte man sie auch spöttisch „Generalstäbler“ oder „Bambusen“. Es waren Strafgefangene aus den Zuchthäusern, die nun den Diek bearbeiteten. Systematisch wurde ein Bodenaustausch vorgenommen. Dazu wurden Erdgruben in erforderlicher Breite aber unterschiedlicher Tiefe ausgehoben und mit tragfähigem Boden aufgefüllt. Eine gewisse Alltäglichkeit, ja Gewohnheit, stellte sich ein. Auf einem von Arbeitsmännern eingerichteten Sportplatz auf einer Wiese vor dem Lines, übten sich ab und zu Arbeitsmänner im Frühsport oder Fußball. Kriegsausbruch Doch eines Morgens kam unser Vater gegen seine Gewohnheit aufgeregt zu uns ans Bett. Er weckte uns zum Frühstück und für die Schule und sagte nur: „Der Krieg ist heute morgen angefangen.“ An diesem Morgen führte unser Weg erst einmal zur Gastwirtschaft Müller. Dort im Saal lag seit einiger Zeit ein Zug Grenzschutzsoldaten, darunter mein Schwager. Es war früh, einige lagen noch im Stroh. Keiner wusste etwas. Auf unsere Nachricht vom Krieg waren bald alle auf den Beinen. Die Baustelle auf dem Diek ruhte an diesem Tage. Die Strafgefangenen mussten hinter dem Stacheldrahtzaun bleiben. Bald waren sie wieder auf dem Diek tätig, bis sie unbemerkt endgültig verzogen. Luftschutz In der Schule wurde immer öfter über Luftschutz und Ähnliches gesprochen. Die Wirkung von Brandbomben wurde uns in einem Wasserbehälter vorgeführt. Ja wir mussten direkt erfahren, wie in einem geschlossenen Raum Tränengas ohne den Schutz einer Gasmaske auf die Augen einwirkt. „Zur Kur nach Oranienburg“ Unbemerkt aus dem alljährlich zur Sommerzeit wiederkehrenden Erscheinungsbild verschwand auch ein gebeugter alter Mann mit Krückstock. Als Bewohner des Hoogsteder Armenhauses führte er zeitweise seine einzige Kuh an einem Strick zum Fressen in die Seitenräume des Dieks. Wie es hieß, sei er zur „Kur Eines Tages begegneten uns Brigadewagenzüge voll mit Arbeitsmännern auf dem Weg zum Bahnhof. Die Arbeitsabteilungen wurden an die Westgrenze verlegt. Auf dem Bathorner Diek setzten die Strafgefangenen ihrer Arbeit fort unter der Aufsicht von Arbeitsanweisern und bewaffneten Posten in blauer Uniform, die „Blauen“ genannt. Als Schul-„Diekläufer“ morgens hin und mittags zurück, nutzten wir natürlich die jeweils beste Strecke. Mal gingen wir links, mal rechts auf dem Diek oder auch direkt am Graben entlang. Zeitweise erwiesen sich die Gleise als guter Weg. Dort konnte man später auch gut mit dem Fahrrad fahren, sei es mit rhythmischem „Hopsen“ über den Schwellen. Unser Schulweg hatte sich mittlerweile bis zum Bahnhof verlängert. Seitdem fuhren wir mit dem Fahrrad. Posten, Strafgefangene und Arbeitsanweiser waren für uns bekannte Bilder geworden. 157 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE nach Oranienburg“ geschickt worden. Gesehen wurde er nie mehr. (Siehe Seite 182) Er ist im Konzentrationslager umgekommen. Polnische Kriegsgefangene Fremde Gruppen in nie gesehener Aufmachung nahmen nach geraumer Zeit die Arbeit auf dem Diek wieder auf. Fremd war ihre unverständliche Sprache. Fremd waren ihre braunen Uniformen und Mützen, teilweise mit Vierkantdeckel. Anstelle des bewaffneten Bewachungspersonals in blauer Uniform hatten jetzt Männer in feldgrauer Uniform die Aufsicht. Bei den Arbeitsanweisern hatte sich nichts geändert. Nur die Sprache der Neuen verstanden sie nicht mehr. So konnte man anfangs immer wieder beobachten, dass Arbeitsanweiser zur praktischen Vorführung am Gleis hantierten oder an der Schüppe in der Grube standen. Sie hatten es jetzt mit polnischen Kriegsgefange- Aus „Der Grafschafter“: Kriegsgefangene 1942, Bahnhof Hoogstede nen zu tun. Diese stellten sich in Einzelfällen zum Verdruss der Anweiser, schon einmal dumm an. Langsam aber sicher nahm der neue Diek seine Form an. Etwas Merkwürdiges, ja Unglaubwürdiges spielte sich vor dem Hof Neerken ab. Polnische Männer schachteten in einer Grube für den Bodenaustausch. Zufällig kam in unserem Beisein ein Hoogsteder Teilnehmer am Polenkrieg, der jetzt auf Heimaturlaub war, in Kavallerieuniform an die Grube und suchte aus den etwa 15 bis 20 polnischen Männern drei heraus. Er ließ sie aus der Grube steigen und behauptete, sie zu erkennen, weil er sie ge- 158 fangen genommen habe. Die übrigen Polen, die Wachmänner und Anweiser sagten nichts dazu. War das nahezu Unmögliche ein Trugschluss? Bald danach ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Kavallerie einquartiert Dann gab es wieder etwas Nie-Dagewesenes: Angehörige einer Kavallerieeinheit wurden mit ihren Reitpferden im Dorf einquartiert. Fortan hallten über Dorf und Diek gelegentlich Maschinengewehrsalven und Gewehrschüsse aus dem Schießstand im Stapenberg. Auf dem Diek wurden die Arbeiten fortgeführt. Ein Ende der Erdarbeiten war in Sicht. Flugzeuge Zu erahnen war in dieser Zeit etwas Unheimliches und Unbekanntes. Es lag etwas in der Luft. Das zeigte sich am 10. Mai 1940. Morgens früh zogen deutsche Flugzeuge in mehreren Staffeln auf dem Rückflug aus Holland über den Bathorner Diek zu ihren Standorten. Auf dem Diek selbst regte sich noch nichts. Die Arbeitsgruppen rückten wie üblich erst später an. Doch auf der Dorfstraße begegneten uns endlose Trossfahrzeuge. Sie folgten ihren Kampftruppen in Richtung Holland. Neben den Trossfahrern vom Bock schlafende und dösende Soldaten unterm Stahlhelm. Ein Trosspferd fiel durch ein eingebranntes Eisernes Kreuz ins Auge. Es sollte sicherlich eine Auszeichnung aus dem Polenkrieg sein. Die im Dorf einquartierte Kavallerieeinheit hatte sich am Abend schon in Marsch gesetzt. Nach einigen Tagen legte sich der Trubel wieder. Das Geschehen spielte sich weit entfernt ab. Dessen ungeachtet nahmen die Arbeiten auf dem Diek ihren Fortgang. Kriegsgefangene Ein erneuter Wechsel der Arbeitskolonnen folgte bald danach. Polen wurden nun nicht mehr gesehen. Vom Bahnhof aus liefen in der Folgezeit Tausende Kriegsgefangene über den Bathorner Diek und zum Teil auch über den Aulen Diek zum Lager Bathorn. Einige fuhren auch per Lok und Brigadewagen: Franzosen, Belgier, Luxemburger, Engländer, später Tsche- H O O G S T E D E U N D B AT H O R N choslowaken, Griechen sowie Russen und andere. Nach ein paar Jahren folgten Italiener als letzte Kriegsgefangene. Sie alle waren auf irgendeine Weise am Ausbau des Bathorner Dieks beteiligt, vorwiegend aber die Franzosen. Als Straßenkörper baute man eine Setzpacklage ein. Dafür nutzte man eine Dampfwalze. Monate war der Diek für Radfahrer nicht passierbar, man musste über den Aulen Diek ausweichen. Die gelegentliche Nutzung des Seitenstreifens am Bathorner Diek als Radweg sollte durch Fußangeln verhindert werden. Sie waren gekennzeichnet mit einem kleinen Schild: Vorsicht Fußangel. Bewaffnete Posten und Kriegsgefangene in Uniformen unterschiedlicher Farbe von khakibraun, dunkelbraun oder grau bis zum Rot einiger Franzosen gehörten zum Alltag auf dem Diek. Zum Wehrdienst eingezogen und Heimkehr Eines Morgens, auf dem Weg zum Zug, begleiteten wir ein Stück weit drei feldgraue Soldaten zu Fuß. Zwei von ihnen trugen einen Karabiner. Der Soldat in der Mitte war unbewaffnet und ohne Koppelzeug, ein Arrestant. Das war für uns sehr fremd. Zum Wehrdienst wurden immer mehr jüngere und ältere Männer eingezogen. Auf dem Bathorner Diek unterwegs zum Zug sah man ab und zu betrübte, stille Personen. Es waren Menschen, die ihre Angehörigen, Vater, Mann oder Sohn, für den Wehrdienst zum Zug brachten. Stumm flossen auch die Tränen, die dabei gelegentlich geweint wurden. Froh gestimmt waren dagegen Männer, die mit dem Zug in Urlaub kamen und dabei auch schon mal, von Heimweh geplagt, im Sprung über den Diek zu den ersehnten Angehörigen liefen. Auf dem Diek waren die Kriegsgefangenen weiterhin mit dem Einbau der Setzpacklage und Abzwicken beschäftigt und bauten fortlaufend die wassergebundene Straßendecke auf. Nach der Fertigstellung war dann eine feste Straße von Hoogstede bis zum Kanal vorhanden. Für unbestimmte Zeit verließ auch ich nun bald Haus, Diek und Dorf. In einem kleinen Militärlastkraftwagen vom Lager Bathorn fuhr ich nochmals über den Diek über Nordhorn nach Lingen. Viel später, bei unserer Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, waren wir zu zweit, noch in feldgrauer Uniform, unterwegs nach Hause. Dabei begegneten wir mitten auf dem Bathoner Diek zwei ehemaligen serbischen Kriegsgefangenen in brauner Uniform. In einer kurzen Unterhaltung ließen sie uns gegenüber ihre Überlegenheit und Geringschätzung deutlich merken. Die jahrelange Dominanz deutscher Soldaten auf dem Diek hatte sich ins Gegenteil gekehrt. Fortgespült Mehr als ein halbes Jahrhundert ist inzwischen darüber vergangen. Fast vergessen ist das gesamte Geschehen am Bathorner Diek, sozusagen fortgespült. Dafür mag eine Begebenheit auf dem Diek stehen, die sich unmit- Arbeiten am Bathorner Diek, um 1952. Baustelle nördlich vom Kanal auf dem Bathorner Diek mit Dampfloks, Wasserturm und Baubüro wird besichtigt von Frau G. Kronemeyer mit Kind Hilde, Sina und Hilda Kronemeyer und Swanette Glüpker (Aus „Alt-Hoogstede“) 159 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE telbar nach dem Krieg zutrug. Die Weiden zu beiden Seiten waren hoch überflutet. Das Wasser spülte kniehoch auf etwa fünfhundert Meter über die Straße. Weit vor mir durchfuhr wie ich ein alter Mann das Wasser mit dem Fahrrad. Plötzlich war er nicht mehr zu sehen. Das Wasser hatte ihn samt seinem Rad umgerissen und fortgespült und er trieb im Wasser. Ohne Hilfe wäre er verloren gewesen. Wegen der Überflutung wurde der Wege- und Straßenkörper nochmals mit Schotter kräftig erhöht. Aus dem anfänglich schlecht passierbaren Twistdiek ist heute der viel befahrene wichtige Bathorner Diek geworden. Ingebrauchnahme Bathorner Diek 1953, mit Bogen, 1951–1953 (Aus „Alt-Hoogstede“) So was et froger Von Willi Evers Heel bowen in`t Venn, doar stöind ´n ault Huus, doar was mine Böbbe un Besse in Huus. De Müren met Fakwerk, dat Dak was van Stroa, se han doar gin Riekdum, men ok ginne Noat. Hier wöden domoals söm Kinner geboren, de bragden völl Wark un ok allerläi Sorgen, Ik höörde er noit klagen, se han gin Verdreet, er Lewen was Arbäit, was`t kault of was`t heet. Wo ault of dat Huus was, wüss sicher kineene, et was heel van Fakwerk un bröcklige Steene. Wemm` drin woll in`t Hüssien, dann muss man sik bükken, de Dööre was versackt, et was toot bedrükken. De Kökken, doar bleew man verwunnert in stoan, de floar was versackt, man kunn de hoast nich up goan. Men schoane dat was´t doar, doar köje met rekken, man kunn van de Floare wall Pannkoken etten. De Kamern wann kläin, un men dree in`t Getall, ik weet nich wo`t kun, men se slöpen ok all. Völl Wark han de Mäinschen met Grössgrund un Land. Se han ok gin Peerd, un döön als met de Hand. De Rogge, dat Höj un dat heele Verbau, muss all up de Koare, wat was`t ´n Gesau. Elektrik, doar bruke wij nich ower proaten, dat Huus stöint in´t Venn, un nich an de Stroate. „Bathorner Diek 1951–1953“ hinter Koops an der ersten Lee (Aus „Alt-Hoogstede“) 160 Se wüssen nich anners, et muss men so ween, van de Stinköllilampe kunn´ se ok wall wat seen. Ower`t Drinkwater, doar will ik nich ower proaten, et liekde wat bruun, un doar wijwt men bi loaten. Üm Bräjnt wann de Mäinschen in`t Venn nich verlegen, wen`t kault wööt, dann kunn`se de ok noch wall tegen. Moi was`t in`t Venn in de Hochsommertied, wenn de Häide moi blöjd, un de Bookwäide riepd. Wenn de Kukuk weer röp, dann was et meest Mäi, un de Häidelerche söink in de Lüfte so frej. In`t Föörjoar, dann kunn man däin Kurrhaan hören, wenn de Kiewitten röpen, un sik alles röörde. Men trök ieter Joar weer de Wijnter in`t Land, Dann verstummde hoast alles in`t Häideland. Hier lööp noch `nen Hasen, en doar noch`n Knien, en off en to keek ok de Voss moal verbij. Woll man de Mäinschen in`t Wijnter besöken, was`t better dat ij uw de Steewel antröcken. De Fietze, de bleew up däin Achterdiek stoan, dat leste Stück muss man tefoote dann goan. Men alles vergeet, un niks bliw bestoan, blos de Erinnerungen van froager, de bliewt doch bestoan. H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Teilung des Hofes Ensink in 1650 Hermann Ensink In der Gemeinde Hoogstede gibt es zahlreiche Beispiele für Hofteilungen, auch wenn die Zusammenhänge durch verschiedene Namenswechsel heute nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen sind. Die meisten Hofteilungen sind ungleiche Teilungen, indem z. B. ein „Hüürmansspill“ (Heuerhaus) oder noch nicht kultivierte Flächen einem nachrangigen Erben vermacht wurden. Ein Hofteilungsprotokoll1 vom 9. Mai 1650 beschreibt die Teilung des „Goets Ensinck“ in niederländischer Sprache. Warum sich die Brüder Herman und Derik den Hof zu gleichen Teilen ohne erkennbaren Einfluss der Eltern aufteilten, ist in den Aufzeichnungen nicht beschrieben. Wer von den beiden Brüdern der Ältere war ist ebenfalls nicht bekannt. Im Protokoll ist von einem alten und neuen Haus die Rede. Deriks Frau zog das Los und bekam das alte Haus, zu dem auch die „Wohnung“ der Eltern gehörte. Das alte Haus ist heute der Hof Ensink, Am Voresch 1. Herman erhielt das neue Haus, den jetzigen Hof HarmsEnsink, Am Voresch 2. Die Brüder losten die Grundstücke untereinander aus. Die großen Flächen wurden in zwei gleich große Teile geteilt. Als Beispiel: „Dat Lant op den Sunderkamp zal langes over gedeijlet woerden en is Derik et noert deel gevallen“ (Das Land auf dem Sunnerkamp soll längs geteilt werden, der nördliche Teil ist an Derik gefallen). Kleinere Grundstücke wurden als Ganzes verlost. Zum Schluss des Protokolls bekunden die Brüder, dass sie wegen der Teilung des Hofes niemals vor Gericht ziehen werden. Die Grundstücke von Harms-Ensink und Ensink lagen so, wie im Protokoll von 1650 beschrieben, zum großen Teil bis zum freiwilligen Landtausch im Jahre 1980 direkt nebeneinander. Der Familienname Harms-Ensink dürfte seinen Ursprung in Bathorn haben. Im allgemeinen Sprachgebrauch und in vielen späteren Aufzeichnungen wird der Hof oft nur „Harms“ genannt. Die standesamtlichen Eintragungen weisen jedoch den Namen Harms-Ensink aus. Die Hofstelle am Holunderweg (jetzt van Tübbergen) ist das ehemalige Heuerhaus von Harms-Ensink. Der Hof Harms-Ensink, Tinholt, erhielt seinen Namen über den Hof Scholte, Scheerhorn (jetzt Smit), der zeitweilig durch Einheirat auch Harms-Ensink hieß. Der bekannte Kaller Lehrer Berend Jan HarmsEnsink war ein Bruder des ehemaligen Bürgermeisters Jan Harms-Ensink. Der weitere Bruder Wilhelm (Wilm) gründete in Alexisdorf eine eigene Existenz. Die Eheleute Albert Ensink (*1818) und Gezina Rolofs (*1820) aus Kalle (jetzt der Hof Toomsen) trugen wesentlich zur Namensverbreitung in der Gemeinde Hoogstede bei.2,3 Drei der acht Kinder heirateten in Kalle und Tinholt. Jan Hindrik Ensink (*1847) heiratete Hille Weermann, Kalle, jetzt der Hof Geert Ensink, Vechtetalstraße 19. Fredrik Ensink (*1855) heiratete die Schwägerin seines Bruders, Johanna Krans aus Tinholt, jetzt der Hof von Grietje Krans und ihrem Sohn Albert, Lägen Diek 3. Die älteren Kinder bekamen hier den Namen Krans. Durch eine Gesetzesänderung musste der jüngste Sohn, Berend, mit dem Namen Ensink eingeschrieben werden. Er errichtete die Hofstelle am Koppeldiek 3, die jetzt von seinem Neffen, Jan Krans aus Kalle, bewirtschaftet wird. Gerrit Hindrik Ensink *1857, war Lehrer in Kalle und heiratete Ennegien Tinholt aus Tinholt, jetzt Hof Albert Ensink, Grüntalstr. 4. Geschirr zur Hochzeit von G. Kranz und H. J. Ensink, 12.01.1877 (Jan Ensink) 1 Original Hofteilungsprotokoll, erstellt am 12. Juli 1656, aufbewahrt auf dem Hof Ensink, Am Voresch 1 Bemerkenswert sind Aufzeichnungen nachdem der Brautwagen mit vier Pferden über die bereits Anfang Dezember 1844 zugefrorene Vechte von Kalle nach Bathorn fahren konnte. (Aufzeichnungen in einem alten Psalmbuch, aufbewahrt auf dem Hof Ensink, Am Voresch 1) 3 Wie zu der Zeit üblich gibt es einen ausführlichen Maakmoalsbreef, nachzulesen in Jeurink, Jan (1986). Materialien zur Volkskultur nordwestliches Niedersachsen. Die Trachten in der Niedergrafschaft Bentheim 1875-1950. Cloppenburg: Museumsdorf. Seite 168 ff. (ISBN 3-923 675-10-0) 2 161 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE Siedlerhöfe am Rande des Hochmoores Johann Kemkers Im Rahmen des Emslandplanes entstanden nach der Kultivierung von Hochmoorflächen auch im Bereich der jetzigen Gemeinde HoogName Siedlungsjahr stede innerhalb weniger Jahre neue Bauernhöfe; sie wurden teils von Neusiedlern, teils von Aussiedlern übernommen. Die Höfe reihen sich entlang dem Coevorden-Piccardie-Kanal von West nach Ost über den gesamten Hoogsteder Gemeindebereich von der Ringer bis zur Osterwalder Grenze: Bemerkungen Bathorn Hessels, Ernst Jahnke, Hans Bloemendal,Hermannes Hessels, Jakobus Scheerhorn Maathuis, Geert Wiggerink, Gesine Berge Wolts, Gerrit Voslambers, Heinrich Evers, Egbert 1958 1958 1961 1965 2008 Neerken, Lambertus 1964 1962 1970 Averes, Hermann 1964 1962 1948 1965 Evers, Hindrik; Ranter, Bernd 2006 Osterfeld , Harry bis 1954 Pachtstelle, danach Siedlerstelle Von Vorwald nach Scheerhorn – ein Hof zieht um Geert Mathuis Im Rahmen der Flurbereinigung im Raum Vorwald, Eschebrügge und Volzel wurden insbesondere für Straßen, Gräben und Windschutzstreifen erhebliche zusätzliche Flächen benötigt. Aus diesem Grund ist unser Betrieb 1964/65 aus Vorwald nach Scheerhorn ausgesiedelt. In Vorwald bewirtschafteten wir etwa 20 Hektar auf zwölf verstreut liegenden Teilflächen, die bis zu 15 Kilometer vom Hof entfernt lagen. In Scheerhorn bot sich die Möglichkeit, auf einem arrondierten Betrieb mit 21 Hektar neu anzufangen. Zu der Zeit wurden diese Flächen von der staatlichen Moorverwaltung bewirtschaftet. Dem Weitblick meines Großvaters, der damals mit 72 Jahren diese Entscheidung getroffen hat, ist es zu verdanken, dass die Weichen für den Betrieb Maathuis in die Zukunft gestellt wurden. Der alte Hof Maathuis in Vorwald (Maathuis, Scheerhorn) 162 H O O G S T E D E U N D B AT H O R N Der neue Hof in Scheerhorn (Grafschafter Tagesspiegel, 09.06.1966) Nachdem die Formalitäten mit der Niedersächsischen Landgesellschaft abgeschlossen waren, konnte 1963 mit dem Bau der Hofanlage begonnen werden. Der neue Hof war klar gegliedert in Wohnhaus, Stallungen und Wirtschaftsgebäude und wurde nach neuesten Erkenntnissen eingerichtet. Die Bauzeit betrug etwa ein Jahr. In dem Jahr mussten sowohl die Flächen in Vorwald als auch hier in Scheerhorn bearbeitet werden. Das waren lange Fahrstrecken von etwa zwanzig Kilometern. Mit dem Schlepper war man gut eine Stunde unterwegs. Da landwirtschaftliche Betriebe eher selten umziehen, war dies eine große Herausforderung für die ganze Familie. Der Umzug zog sich über Monate hin. Nach und nach wurden alle Vorräte und Maschinen nach Scheerhorn gebracht. Beim Transport der Milchkühe, des Jungviehs sowie der Sauen und Ferkel half unser damaliger Viehhändler mit dem LKW. Die alten und neuen Nachbarn, Bekannte und Verwandte unterstützten uns während der Bauphase und beim Umzug. Meine Eltern und mein Bruder kamen im Dezember 1964 nach Scheerhorn, mein Großvater und die Tante im Februar 1965. Als letzter kam ich, nachdem das 5. Schuljahr in Vorwald abgeschlossen war. In der Zwischenzeit hatte ich bei Verwandten in Volzel gewohnt. Im Jahre 1968 konnte die Bewirtschaftungsfläche um neun Hektar vergrößert werden, nachdem angrenzende Hochmoorflächen mit einer Dampflok und einem Tiefpflug der Firma Ottomeyer tiefgepflügt worden waren. Ottomeyer-Pflug mit Dampflokomotive am Feldende 163 2 Aus Zeitung und Anzeigenblatt 1885–1922 Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim Ausgewählt von Johann Jeurink Ein Luftschiff landet 1909 in Hoogstede Neuenhaus, 12. Februar 1909. Auch unsere abseits liegende Grafschaft wird mehr und mehr dem modernen Verkehr erschlossen. Selbst die allermodernsten Verkehrsfahrzeuge, die Luftschiffe, verirren sich in die hiesige Gegend. (Bereits vor einigen Monaten konnten wir von einem Luftschiff berichten, das hier nahe der holländischen Grenze niedergegangen war. Am vorigen Dienstag (09.02.1909) morgens gegen ½ 6. Uhr landete im benachbarten Hoogstede in unmittelbarer Nähe der durch das Hochwasser enorm gestiegenen Vechte das Luftschiff „Essen-Ruhr“, welches mit zwei Herren, Herrn Direktor Heymann aus Bochum und Herrn Giersberg aus Wesel, besetzt war. Die Landung ging glatt vonstatten, das Luftschiff wurde entleert und per Wagen zum hiesigen Bahnhof gebracht, um wieder in seine Heimat zurückbefördert zu werden. Auch die Insassen des Ballons traten von hier nachmittags ihre Heimreise an, nachdem sie uns zuvor ihre Fahrt geschildert und sich im Hotel Albersmeier von den Strapazen ihrer Nachtfahrt etwas erholt hatten. – Die Herren waren des Nachts um ½1 Uhr mit dem – etwa 900 Kubikmeter fassenden Ballon in Essen an der – Ruhr aufgestiegen, Ihre eigentliche Absicht, westwärts – nach Belgien zu fahren, konntten sie nicht ausführen, da - der herrschende Wind den Ballon nach Norden trieb. Die - Luftschiffer ziehen es vor, des Nachts in möglichst geringer Höhe zu fahren, und so fuhr auch dieser Ballon teilweise nur in der Höhe von fünf Metern. Nicht wissend, welch breiter Strom unter ihnen dahinfloss, ließen die Insassen den Ballon an der Vechte bei Hoogstede nieder. Die Herren gehören dem Niederrheinischen Verein für Luftschifffahrt an, einem der größten derartigen Vereine in Deutschland. Im vergangenen Jahre hat dieser Verein, der im Besitze von zehn Ballons ist, mehr als 200 Fahrten, das heißt ein Fünftel der gesamten Luftschifffahrten in ganz Deutschland unternommen. 164 Hoogstede, 1. Oktober 1912 Gestern ereignete sich hier ein trauriger Unglücksfall. Der Dienstknecht Schroven aus Tinholt wollte ein Fuder Torf holen. Ein Rad des Wagens lief aus. Die Folge davon war, dass die Pferde durchgingen. Schr. geriet unter den Wagen und wurde eine Strecke mit fortgezogen. Dabei zog er sich derartige Verletzungen zu, dass er auf dem Transport zum Krankenhause starb. Tinholt, 9.April 1914 Tödlicher Unglücksfall beim Richtfest. Am gestrigen Dienstag wurde der 21-jährige Dienstknecht Jeurink das Opfer eines traurigen Unglücksfalles. Beim Richten eines Hauses fiel ein Gebinde herab und traf den J., der Hülfe beim Richten leistete. Er stürzte bewusstlos nieder und starb nach wenigen Stunden an den Folgen innerer Verletzungen. Bathorn, 31. März 1916 Der J. H. Albers, gegenwärtig zu Bathorn, macht hiermit bekannt, dass er in etwa 4 Wochen seine Rückreise nach Nord-Amerika (Staat Michigan, via Newyork) antreten werde und zur Übernahme von Bestellungen dahin bereit ist. Hoogstede-Bathorn, 20. November 1917 Zu einem ungelegenen Augenblick kam der Wachtmeister Backhaus auf den Hof einer Witwe. Eine Sau fraß aus einem Eimer. Als die Frau den Wachtmeister kommen sah, riß sie dem Tier den Eimer fort, lief damit in den Kuhstall, schüttete den Inhalt in den Dünger, trat ihn mit den Füßen hinein und rührte ihn auch noch mit der Hand durch den Dünger. Der Wachtmeister konnte aber noch feststellen, dass das Futter im Eimer Roggenschrot und Kartoffeln enthalten hatte. Das Schöffengericht verurteilte die Frau zu 50 Mk. Strafe. Auf die Berufung des Amtsanwalts, dem die Strafe zu gering erschien, erhöhte die Strafkammer die Strafe auf 100 Mk. Hoogstede, 9. Februar 1921 Turnen, Spiel und Sport. Wie in den anderen Orten der Grafschaft hat sich auch hier vor ei- H O O G S T E D E U N D B AT H O R N nigen Wochen ein Spiel- und Sportverein gegründet. Am Sonntag, 6. d. Mts. weilte eine Mannschaft des Sportverein Veldhausen zu einem Gesellschaftsspiel zu Gaste. Das Spiel machte einen interessanten Eindruck und schloß unter einwandfreier Leitung des unparteiischen Schiedsrichters. Da Hoogstede nur mit 8 Spielern antrat, verlief das Spiel mit 7:2 zu Gunsten Veldhausens. Trotz des kurzen Bestehens des Hoogsteder Vereins war schon ein gutes Zusammenspiel festzustellen. Hoogstede, 18. Oktober 1921 Von Glück im Unglück konnte heute der Pächter H. Bielefeld, Tinholt sprechen. Er wollte mit seiner Schwägerin im Kleedwagen zu Besuch nach Ringe. Auf der Straße beim Vorsteher Köster Hoogstede lief ihm ein Vorderrad vom Wagen ab, und der Wagen kippte. Das Pferd wurde scheu und ging durch, die zerbrochene Wagendeichsel hinter sich her schleifend. Im rasenden Galopp lief es über den Schulplatz, durch den Garten des Lehrers Voltmer, kaum ein Meter weit an dem hier spielenden etwa 1½ jährigen Töchterchen des Lehrers vorbei und sprang über einen 1 ½ Meter hohen Drahtzaun. Hier konnte das Pferd hinter der Lehrerwohnung wieder eingefangen werden. Die beiden Wageninsassen kamen mit den Schrecken davon. Da es kurz vor 12 Uhr war, waren die Kinder zum Glück in der Schule. Das Pferd blieb unbeschädigt. Man hört in letzter Zeit verschiedentlich, dass der „Boß“ von halbwüchsigen Jungen herausgezogen wird. Sehe ein jeder deshalb vor der Wegfahrt zu, ob sein Wagen in Ordnung ist. Hoogstede, 23. September 1922 Eisenbahntransportgefährdung – Glänzende Arbeit d. Polizeihündin „Flora“. Am Abend des Mittwoch waren von unbekannter Hand mehrere Kartoffelkörbe so auf die Schienen der Kreisbahn gelegt, dass der Abendzug 22 und der Morgenzug 11 dadurch gefährdet wurden. Um den Urheber dieser mehr als leichtsinnigen Tat zu ermitteln, beschloß man, einen Polizeihund zu Hülfe zu nehmen. Donnerstag nachmittag 3 Uhr erschien Herr Polizei Betr. Assistent Schwanengel aus Nordhorn mit sei- ner „Flora“, siebzehn Stunden nach der Tat! Das famose Tier nahm an Ort und Stelle Witterung auf und verfolgte die Spur fünfhundert Meter weit, lief dann in das Haus des Kolonen Warmer in Hoogstede, eilte wieder hinaus und rannte auf den Acker. Hier sprang der Hund auf einen Wagen, auf dem der Dienstknecht Jan Hindrik E. saß. Zweimal wiederholte er seinen Ansprung gegen diesen. E. wurde daraufhin in ein Kreuzverhör genommen und gestand nach anfänglichem Leugnen seine Tat ein. Als Grund gab er an, mit einem gewissen H. in Hoogstede Krach gehabt zu haben. Um diesen fälschlicherweise bezichtigen zu können, will er die Körbe auf den Schienen befestigt haben. Der Streich wird ihm sicher teuer zu stehen kommen, da er sich demnächst vor Gericht wegen Eisenbahntransportgefährdung zu verantworten haben wird. Wenn es aber gelungen ist, die Tat so schnell restlos aufzuklären, so muss das lediglich der glänzenden Arbeit des Nordhorner Polizeihundes zugeschrieben werden. Hoogstede, 12. Dezember 1923 Ein genussreicher Abend steht uns bevor. Am Dienstag, 18. Dezember, wird Herr Carl van der Linde, der als plattdeutscher Dichter schon große Erfolge aufzuweisen hat, in der Hoogsteder Schule neue Gedichte und Vertellsels vortragen. Um 7 Uhr abends wird die Schule geöffnet, und um 7 ½ Uhr beginnen die Vorträge. Jeder Besucher hat einige Pfund Roggen oder aber sonstige Lebensmittel mitzubringen, doch wird auch deutsches oder holländisches Geld nicht zurückgewiesen werden. Hoogstede, 9. Mai 1924 Auf Anregung des Präsidenten des hiesigen Kriegervereins wurde dem Ehepaar W. Scholte in Scheerhorn, welches am 16. April das seltene Fest der goldenen Hochzeit begehen konnte, nachträglich vom Reichspräsidenten ein Glückwunschschreiben und eine Ehrengabe von 30 Mark übersandt. W. Scholte ist Kriegsteilnehmer von 1870/71. Hoogstede, 24. Mai 1924 Herr Rechtsanwalt Arends, der den Landwirt W. vor dem Schöffengericht verteidigte, … 165 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE führte darüber hinausgehend an, dass nach dem Gesetzblatt vom 6. Mai 1924 die Verfütterungsvorschriften aufgehoben seien. Der Beklagte könne also gar nicht mehr bestraft werden, da das Verfüttern von Brotgetreide nicht mehr strafbar sei. Das Gericht schloß sich dieser Auffassung an und kam zum kostenlosen Freispruch. – Die Aufhebung des Fütterungsverbotes von Brotgetreide lässt den letzten Zipfel der Brotgetreidezwangswirtschaft fallen, und die Landwirte können mit ihren Erzeugnissen wieder frei schalten und walten, ungehemmt von lästigen und hemmenden Vorschriften, deren Beseitigung unter den gegenwärtigen Umständen längst angebracht schien. Hoogstede, 22. März 1926 Der hiesige landw. Ortsverein, Zweigverein des Emsländischen Bauernvereins, hat sich mit Schluß des Jahres 1925 aufgelöst, da den Mitgliedern durchweg die Beiträge als zu hoch erschienen. Hoogstede, 18. Januar 1921 Wegen Jagdvergehens wurde der Haussohn S. vom Schöffengericht Neuenhaus zu 50 Mk. Geldstrafe und zur Einziehung seines bei der unberechtigten Jagdausübung benutzten Gewehres verurteilt. Es wurde ihm weiter zur Last gelegt, durch leichtsinniges Umgehen mit Feuer im Torfmoor einen großen Moorbrand Bentheim, 10. Januar 1901 Vorläufige Übersicht über das Ergebnis der Volkszählung am 1. Dezember 1900 Gemeinde Wohnhäuser bewohnt Berge Hoogstede-Bath. Kalle Scheerhorn Tinholt 17 97 40 50 37 Haushalt. unbew. 0 0 0 1 2 17 95 40 51 37 Bevölkerung m. w. 45 263 110 138 104 48 253 107 116 95 ev.ref. röm.kath. luth. altref. 81 373 134 213 112 10 88 35 41 62 2 6 0 0 0 0 49 48 0 35 Bentheim, den 5. Januar 1903 Übersicht über das Ergebnis der Viehzählung am 1. Dezember 1902 Namen der Gemeinden Zahl der Gehöfte Überhaupt/mit Vieh bestand Berge 17 Kalle 40 Hoogstede/Bathorn 96 Scheerhorn 45 Tinholt 37 17 40 86 42 36 Zahl der nicht- Pferde besitzenden Haushaltungen 17 29 40 37 86 74 42 46 36 42 Rindvieh Schafe Schweine 98 241 402 198 192 1 173 316 161 7 111 221 550 224 306 Die Ergebnisse der Volkszählung vom 16. Juni 1925 für den Kreis Grafschaft Bentheim 1925 Berge 129 Hoogstede-Bathorn 627 Kalle 269 Scheerhorn 219 Tinholt 253 166 1919 124 557 266 230 241 1910 112 520 229 227 205 Die Gesamteinwohnerzahl der Grafschaft Bentheim beträgt 50.192. Seit der letzten Zählung am 3. Oktober 1919 ist die Zahl von 44.345 um 5.847 auf 50.192 gestiegen. H O O G S T E D E U N D B AT H O R N hervorgerufen zu haben. Dafür war aber ein Beweis nicht zu erbringen, und so wurde S. von dieser Anklage freigesprochen. Hoogstede, 9. September 1922 Wegen Jagdvergehen hatte sich der Landwirt H. von hier vor dem Schöffengericht Neuenhaus zu verantworten. Wir hatten den Vorgang bereits gemeldet. H. gab zu, in der Schonzeit sechs oder sieben Hasen erlegt und verkauft zu haben. Das Urteil lautete auf 800 Mk. Geldstrafe, Einziehung des beschlagnahmten Gewehrs und des Jagdgeräts. Die Geldstrafe blieb in dieser Grenze, weil H. in ärmlichen Verhältnissen lebt. Hoogstede, 2. Oktober 1922 Das Fischen mit gifthaltigen Stoffen wird leider ab und zu in der Grafschaft ausgeübt. Mit Recht wird scharf Obacht auf diese Gemeinheit gegeben, die unserm ohnehin schon arg zusammengeschmolzenem Fischbestande zum Verderben gereicht. Vor einiger Zeit wurde hier ein gewisser L. dabei ertappt. Ein Strafbefehl war die Folge. 167 2 GESCHICHTE DER ORTSTEILE 168