Geschichte der Ortsteile - Heimatverein Hoogstede

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Geschichte der Ortsteile - Heimatverein Hoogstede
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Geschichte
der Ortsteile
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Gemeindewappen
Hoogstede
Johann Kemkers
Seit dem Jahre 1991 verfügt die Gemeinde Hoogstede über ein Gemeindewappen. Es wurde von dem
Heraldiker Theo Lorenz aus Norden entworfen und durch das
Niedersächsische Staatsarchiv
in Osnabrück befürwortet.
Das nur in Gold und Rot gestaltete
Wappen ist schräglinks geteilt. Im oberen Feld befindet sich ein rotes Wiederkreuz
auf goldfarbenem Grund. In das untere rote
Feld sind sieben goldene Kugeln entlang der
Teilungslinie in Reihe gesetzt.
Die Zeichen des Wappens sind so zu verstehen: Die aufwärts gerichtete Teilungslinie
mit dem Wiederkreuz versinnbildlicht einerseits das für die Mittelpunktsbildung bedeutsame historische Ereignis der Versetzung der
Kirche von Arkel zur „hoogen stee“ im Jahre
1821. Andererseits steht die Grundrichtung
für eine zukunftsorientierte aufstrebende Gemeinde.
Hoogsteder
Gemeindewappen
von 1991
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Das Wiederkreuz wurde wegen der
vier Kirchen im zentralen Kirchspielort HOOGSTEDE gewählt.
Es drückt sowohl die Eigenständigkeit der vier Kirchen
(evangelisch-reformiert, evangelisch-altreformiert, evangelischlutherisch, römisch-katholisch) als auch
ihre Verbundenheit aus.
Gold-Rot und die goldenen Kugeln stellen
die Verbindung zur Grafschaft Bentheim her
und weisen insbesondere auf die sieben Orte der
Gemeinde hin: Arkel, Bathorn, Berge, Hoogstede, Kalle, Scheerhorn, Tinholt.
Arkel –
ein historischer Ort
Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker und Johann Kemkers
Edel 1953 über die
Herrlichkeit Emlichheim
Ludwig Edel schreibt im Jahrbuch 1953 des
Heimatvereins (S. 34 ff.) über die Herrlichkeit
Emlichheim. Die Gildschaft Scheerhorn und
mit ihr alle Ortsteile der heutigen Gemeinde
Hoogstede gehörten immer zu Emlichheim.
Für Edel ist es sogar erwiesen, dass der Haupthof der Herrlichkeit nicht bei der Kirche in Emlichheim lag, sondern in Arkel. Edel schreibt:
„Bekanntlich hatte Emlichheim von 1324 bis
1440 eigene Herren in den Herren von Borkelo-Gramsbergen. 1440 mußten sie es nicht
ohne ziemlichen Druck wieder für 2.000 goldene alt-fränkische Schilde an den Bentheimer Grafen abtreten. Seit der Zeit gehört es
also wieder unbestritten zur Grafschaft Bentheim, wenn auch als selbständiges Reichslehen.
Haupthof der Herrlichkeit
Zunächst mal ergibt sich aus den Urkunden, dass
der Haupthof der Herrlichkeit nicht bei der Kirche lag, sondern in dem stromaufwärts gelegenen Arkel. 1324 heißt der Hof to Arkelo, 1440
der Hoff to Arkelo und 200 Jahre später der
Schultenhof zu Arkel. Visch schreibt dazu: „In
de boerschap Arkel is eene Kapel, warin de predikanten van Emmelenkamp, op bepaalde tijden
den Godsdienst moeten verigten. In deze boerschap was in vroegere eeuwen eene riderburg,
waarvan man in latere tijden nog overblijfsels
gevonden heeft“. (In der Bauerschaft Arkel steht
eine Kapelle, in der die Pastoren von Emlichheim
zu bestimmten Zeiten den Gottesdienst leiten
müssen. In dieser Bauerschaft stand in früheren
Jahrhunderten eine Ritterburg, von der man in
späteren Zeiten noch Überreste gefunden hat.)
Möller meint: Hier befand sich schon früh eine
dem heiligen Antonius geweihte Kapelle.
Schließlich verarbeitet das Stokmann zu
folgendem Sinn: Der Hof zu Arkel sei in der
Folgezeit zu einer schlossartig befestigten
Burg ausgebaut worden, von welcher nach
Vischs Mitteilung zu seiner Zeit (um 1820)
noch Trümmerreste vorhanden waren. Neuere
Schriftsteller wollen sogar dort ein römisches
Bürgel (arcellum) vermuten.
Dass es der Haupthof der Herrlichkeit war,
dürfte allerdings nicht zu bezweifeln sein. Was
gehörte aber noch mehr dazu? Nach der Urkunde von1324 drei Bauernerben, zwei Kotten, der sog. Scheerhorner Zehnte und die
hohe und niedere Gerichtsbarkeit in einem
genau beschriebenen Bezirk.
Hofnamen aus 1324, 1440 und 1635
Stokmann meint, es sei unmöglich, die einzelnen Bauernhäuser zu bestimmen. Mit Hilfe
des bentheimischen Lagerbuches und ortskundiger Mitglieder unseres Heimatvereins
wollen wir es aber doch versuchen. Da ist zunächst dat hues to Wermerink to Honsteden,
heißt 1440 dat Erve to Werminck, 1635 Wermer und jetzt wohl Warmer.
Dat Hues to Anebrocke von 1324 ist 1440
dat Erve to Anebroke und 1635 Hannebrok. Dat
Hues to Herverdink aus der ungenauen Abschrift von 1324 ist 1440 dat Erve to Herwerdinck und 1635 Hemmeke. Dat Kreppes Kote
von 1324 ist ein Koten geheyten Krepeschote
geworden und später Kroppschott in Kalle. Dat
Rutkote ist 1440 ein Koten to Arkelo und wohl
später Volcker zu Arckel oder Lütke Arckel.
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GESCHICHTE DER ORTSTEILE
1440 werden aber noch als weitere Zubehöre genannt: „dat Erve to Brünynk, dat Erve
to Ruetgerinck, twe Erve to Overinck, dar Roleff enn Hinrich syn Soene nu ton tyd oppe
wonet, dat Erve Oesmanninck und Dyderkinck
in den Dorpe to Empnichem, den Hoff to
Echtler und den Hoff to Eyckinchorst."
Im Pachtregister von 1635 erscheint Brüningh mit 6 Müdde Roggenpacht, Röttgeringh
mit 3 Müdde und 3 Scheffel, Oeveringh mit
sogar 24 Müdde Roggen. Oesmanink ist vielleicht Namink mit 13 ½ Müdde Roggenpacht,
Eikinkhorst, jetzt Ekenhorst in Heesterkante
mit 4 Müdde Roggenpacht.
Nach 1440 sind folgende neue Namen hinzugekommen: Kampert, Struwe, Zechelhorn,
Lutterman, Meierman und Blomendael, ferner
Suwerman mit 7 ½ Müdde Roggen Pacht und
der Schulte zu Scherhorn mit 18 Müdde Pacht.
Der Scherhorner Zehnt ist noch genau bekannt: Suwermans Zehend 11 Müdde Roggen,
Schulten Zehend 11 M., Hannebrocks Zehend
4 ½ M., Calmans Zehend 4 ½ M., Wulffings
Zehend 3 ½ M. Hierzu schreibt der Rentmeister: ‘Diese Zehenden werden ausgenommen,
sonsten scheint, daß sie in Vorzeiten für so
viel Roggen den Leuten gelassen und verpachtet gewesen.’
Grenzen der Herrlichkeit Emlichheim
Die Grenzen der Gerichtsbarkeit oder des Godinkspiels Emmeninghem erstrecken sich von
den drei Paren oder Palen gegenüber der niederländischen Grenze bei Coevorden vechteaufwärts bis zum Scherhorner Kamp. Auf der
linken Seite des Stroms von der sog. Holthemer Schlinge gegenüber der niederländischen
Bauerschaft Holtheme bis zur Hildener Brügge,
wo der Bezirk des Gogerichts Uelsen beginnt.“
Arkel, ein römischer Stützpunkt
(14. Januar 1950) Ein Fleckchen
Erde, das Geschichte erlebte
5. Jahrgang, Sonnabend, den 14. Januar 1950
Artikel von 1950
In einem Zeitungsartikel vom 14. Januar 1950
schreibt ein H.-R. S. unter der Überschrift
„Arkel, ein römischer Stützpunkt? Ein Fleckchen Erde, das Geschichte erlebte“ die nach-
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folgende Abhandlung. Um welche Zeitung
oder Zeitungsbeilage es dabei geht, ist leider
unbekannt. Wohl ist ersichtlich, dass es um
den 5. Jahrgang dieser Zeitung(sbeilage?) geht.
Es heißt dort:
„Wenn man am Vechteufer in Kalle steht
und auf Arkel blickt, dann sieht man mehrere
Höfe stehen, eingefasst und geschmückt von
wuchtigen Eichen und schlanken Pappeln. Ein
Weg schlängelt sich an den Häusern vorbei
und in einer Furt nach Kalle hinüber. Er ist
wenig befahren, der Verkehr fließt heute bei
Hoogstede über die Brücke.
Vor mehreren Jahren kam ich als Fremder
an dieser Siedlung vorüber und fand gar
nichts besonderes an ihr. Nur an einer Scheune
lagen mitten im Bauschutt vergangener Jahre
gesprungene Sandsteinstücke. Ich fragte mich:
Wie kommen die hier hin? Später las und
hörte ich manches von Arkel und konnte vieles verstehen, denn dieses Fleckchen Grafschafter Erde hat Geschichte erlebt.
Es begann in der Römerzeit. Die Söldner
des „Ewigen Roms" kamen auf einigen kleinen Kriegszügen mit Schiffen flussaufwärts
gefahren und gingen an dieser Furt mit dem
hohen Ufer im Osten an Land. Hier stapelten
die Krieger ihre Vorräte, befestigten den Platz
und drangen im Fußmarsch landeinwärts in
Richtung Lingen vor. Aus dem ursprünglichen
Lagerplatz aber wurde allmählich ein römischer Stützpunkt.
Seitdem vergingen tausend Jahre. Um
1000 n. Chr., so erzählen uns alte Urkunden,
wohnen auf dem Edelhofe Arkelo die Herren
eines alten Rittergeschlechts, die sich bis ins
späte Mittelalter „Herren von Arkel" nennen.
Sie sitzen wahrscheinlich schon lange hier,
vererben auf den jeweils ältesten Sohn den
Vornamen Johann und sorgen durch wackere
Taten und kluge Verträge dafür, dass Chroniken und Urkunden recht viel von ihnen berichten. (De Vita et Rebus gestis Dominorum
de Arkel). Ein Johann VII. von Arkel wird eine
bemerkenswerte Persönlichkeit. Er ist mütterlicherseits ein Enkel des Grafen Balduin von
Flandern und heiratet eine Enkelin des Grafen
Otto IV. von Bentheim. Nach einem bewegten
Leben und häufigen Fehden stirbt er 1241.
A R K E L – E I N H I S TO R I S C H E R O R T
Noch höher steigt sein Nachkomme, der im
Jahre 1343 den soeben zum Kardinal ernannten Italiener Nicolaus Capusi auf dem Stuhl
des Fürstbischofs von Utrecht ablöst. Er nennt
sich als Kirchenfürst „Johann IV. von Arkel“,
kauft 1346 aus dem Besitz des Ritters Hermann
von Lage die Herrlichkeit Lage und wird 1364
Bischof von Lüttich.
Die Furt durch die Vechte, die gute Lage
am schiffbaren Fluss und der Herrenhof brachten es wohl mit sich, dass schon frühzeitig in
Arkel eine kleine Kapelle erbaut wurde. Sie
war dem Heiligen Antonius geweiht und blieb
bis lange nach der Reformation als Tochterkirche von Emlichheim abhängig. Ein Geistlicher aus dem sieben Kilometer entfernten
Kirchflecken versah hier den Gottesdienst.
Endlich konnte im September 1819 der erste
eigene Prediger für die Kapelle angestellt werden, und der Gemeindebezirk durfte sich
„Kirchspiel Arkel" nennen.
Die Wohnung des Pastors soll damals bei
Jeurinks Haus gestanden haben, einem ungefügen, schmucklosen Bau mit dicken Wänden.
Die Kapelle selbst hatte auf dem Hügel vor der
Scholtenschen Hofanlage ihren Platz. Beim
zufälligen Graben fand dort ein Bauer Gebeinreste, die darauf schließen lassen, dass in
der Nähe der Kapelle Gräber waren. Das Gotteshaus wurde 1821 nach Hoogstede verlegt.
Heute sind in Arkel kaum noch Dinge vorhanden, die an diese Geschehnisse erinnern.
Am Hügel, auf dem die Kapelle stand, liegt
noch alter Bauschutt, und dazwischen finden
sich einige zersprungene Sandsteinstücke und
Granitbrocken. Vielleicht rühren sie vom Abbruch der Kapelle her, da sie zum Wiederaufbau nicht mehr gebraucht werden konnten. In
einem Namen aber lebt noch das Andenken
an eine größere Zeit der kleinen Siedlung fort,
im Hoogsteder „Kirchspiel Arkel". H.-R. S.
(Wir konnten leider nicht herausfinden, wer
H.-R. S ist, noch in welcher Zeitung dieser
Beitrag 1950 erschienen ist.)
Arkel – Archäologische Notgrabung
Irmgard Maschmeyer (Jahrbuch des Heimatvereins 1996, 285–290).
Die Frühgeschichte von Arkel ist weitgehend
unbekannt. Berücksichtigt man die Lage unmittelbar an der Vechte sowie noch spärlich
vorhandene Hinweise auf einen Hügel an dieser Stelle, so darf man vermuten, dass hier
früher eine Turmhügelanlage, eine sogenannte
Motte, gelegen hat, wie wir sie auch von anderen Adelssitzen an der Vechte, z. B. Ohne,
Brandlecht, Poaskeberg bei Neuenhaus kennen.
Derartige Befestigungen dienten in erster Linie
dem Schutz der herrschaftlichen Rechte auf der
Vechte, an ihren Uferwegen und Furten.
Die Vermutung, in Arkel habe es sich um
eine Ritterburg gehandelt, ist somit wahrscheinlich; besser ist die Bezeichnung Herrensitz.
Erstmals namentlich erwähnt wird Arkel
1326, als der Graf von Bentheim neben anderen Höfen auch den Hof te Arkelo an Gottfried von Borculo als Lehen verkauft und ihn
1346 auch mit dem Gogericht in Emlichheim
Steinmetzzeichen
an der Kirche
in Hoogstede
(Irmgard Maschmeyer)
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GESCHICHTE DER ORTSTEILE
belehnt. Die Bezeichnung „Hof to ...“ besagt
fast immer, dass es sich um einen Herrenhof
handelte. Die Herrlichkeit Emlichheim gehörte
seit 1326 den von Borculo, die sich später
auch von Gramsbergen nannten. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Herrenhof nicht etwa
bei der Pfarrkirche in Emlichheim lag, sondern in Arkel. Bei Rückkauf der Herrlichkeit
Emlichheim und Arkels durch den Grafen von
Bentheim 1440 ist wiederum vom Hof te Arkelo die Rede; erst etwa 200 Jahre später wird
der Schultenhof to Arckelo erwähnt; dabei
handelt es sich wohl zweifellos um den gleichen Hof.
Die Vermutung, dass das in den Niederlanden namhafte Geschlecht der van Arkel
von dem Herrensitz Arkel abstammt, ist erlaubt, aber nicht bewiesen. Jan van Arkel war
ab 1342 Bischof von Utrecht; er erbaute die
Burg Arkelstein bei Bathmen 1361. Diese Burg
kann also kaum der namengebende Stammsitz der van Arkel sein.
Seit Menschengedenken stand in Arkel
eine Kapelle, ein stattlicher Bau aus Sandsteinquadern, deren Alter urkundlich nicht sicher belegt ist. Nach Bauart und Stil dürfte sie
aus dem 14./15. Jahrhundert stammen und
somit wohl durch die Herren von Gramsbergen erbaut worden sein. Da Arkel aber keine
Pfarre war, hatten Emlichheimer Geistliche
dort zu bestimmten Zeiten Gottesdienst abzuhalten. Als Arkel 1819 eine selbstständige Kirchengemeinde wurde, verlegte man die Kirche
durch Abbau und Wiederverwendung der
alten Steine nach Hoogstede, wo sie allerdings
in größerem Format wieder aufgebaut wurde.
Noch heute kann man an der Kirche die wiederverwendeten Formstücke (Wasserschlag,
Fenstergewände mit alten Falzen) sehen, von
denen viele noch die mittelalterlichen Steinmetzzeichen, die sogenannte »Merks« zeigen.
Der Hügel, auf dem die Kapelle in Arkel
stand und von dem die Überlieferung berichtet, wurde nach Abbruch der Kapelle, insbesondere aber Anfang des 20. Jahrhunderts
vom neuen Eigentümer abgetragen und nach
Schätzung um ½ bis ¾ Meter niedriger gemacht. Dabei wurden Skelettteile gefunden,
die von dem ebenfalls bekannten früheren
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Friedhof, der um die Kapelle herum lag,
stammten; der Friedhof soll noch bis in das
19. Jahrhundert hinein belegt worden sein.
Der letzte dort Bestattete war laut mündlicher
Überlieferung ein ertrunkener Schiffer.
Notgrabung 1983
Im Sommer 1983 informierte man mich, dass
auf dem Hof Scholten in Arkel eine Scheune
gebaut werde, die genau den Bereich der etwa
1820 abgebrochenen Kapelle überdecke. Bei
Aushebung der Fundamentgräben habe man
zahlreiche Skelettteile gefunden; auch fand
Herr Scholten das Randfragment eines Kugeltopfes, einer Gebrauchskeramik aus dem 11.
bis 13. Jahrhundert.
Unsere Grabungsmöglichkeit war dadurch
eingeengt, dass unter der neuen Scheune noch
große Teile des Vorgängerbaues aus den 30er
Jahren standen.
Bohrproben ergaben, dass im südlichen
und westlichen Teil der neuen Scheune
offenbar ältere Bodenschichten vorlagen;
oberflächennahe fand sich dort außerdem viel
Kalkmörtel- und Sandsteinschutt als wahrscheinlicher Hinweis auf die ehemalige Kapelle.
Das Katasteramt Nordhorn, auch sonst
immer hilfsbereit, konnte uns glücklicherweise
eine, im Urkataster noch als Kircheneigentum
ausgewiesene Parzelle, die jetzt im Bereich der
Scheune lag, nachweisen und einmessen. Dort
müsste die Kapelle gelegen haben.
Lage der Kapelle
und Kirchhofparzelle
in Arkel (Irmgard
Maschmeyer)
A R K E L – E I N H I S TO R I S C H E R O R T
Zur weiteren Abklärung zogen wir zunächst in der Mitte der Längstenne der neuen
Scheune einen Suchschnitt, der die mündliche
Überlieferung vom Abtrag eines früheren Hügels bestätigte. Erste Bestattungen zeigten sich
schon 30 Zentimeter unter der Erdoberfläche,
allerdings in einem Bereich, der den des angeblichen Kirchhofes nach mehreren Richtungen teilweise um mehrere Meter überschritt.
Auf beiden Seiten des Schnittgrabens machte
sich das Kirchenfundament durch eine Schuttpackung bemerkbar, undeutlich bei 18 Meter
West, recht deutlich bei 31 Meter West. Zwischen diesen beiden Fundamentspuren, also
den Außengrenzen der Kapelle, fanden sich
keine Bestattungen und auch fast keine Knochenreste, sodass davon auszugehen ist, dass
– wie wir das auch von der vorreformatorischen Kapelle in Hesepe/Kreis Bentheim
wissen – Bestattungen nur außerhalb des Kirchenraumes vorgenommen worden sind; dies
in deutlichem Gegensatz zu den Pfarrkirchen,
in denen vor allem Angehörige der Honoratiorenschicht und Pfarrer beigesetzt wurden.
Die Bestattungen fanden sich zumeist in
einer völlig durchmischten graubraunen Sandschicht mit Anteilen von Schutt. Die im Suchschnitt von uns gefundenen Skelette (das Holz
der Särge war verrottet, die Eisennägel noch
in ursprünglicher Lage) (Foto 4) lagen nicht
Skelettfunde in Arkel, Sommer 1983 (Irmgard Maschmeyer)
nur mehrfach übereinander, sondern auch
„kreuz und quer“, also nicht in der rituell vorgegebenen Ost-West-Richtung.
Eine unter dieser graubraunen Sandschicht
gelegene, mit hohen Anteilen humöser Substanz schichtweise verfüllte Grube (bei 32 bis
33 Meter West), die in beiden Wänden des
Suchschnittes deutlich sichtbar wurde, dürfte
somit wohl älter als die Friedhofs-(Begräbnis-)Anlage sein, ebenso wie die sehr tief gelegenen Reste alter Erdoberfläche zwischen 9
bis 14 Meter West. Dafür spricht der Fund ungestört gelagerter Scherben, u. a. eines blaugrauen Gefäßes mit Wellenfuß, das noch in
der Tradition der Kugeltöpfe steht, sowie eines
Kannenhalses aus Frühsteinzeug in der Südwand des Grabens bei 11 bis 12 Meter West.
Die gefundene Keramik stammt aus dem
13./14. Jahrhundert.
Bei den aufgefundenen Schuttpackungen,
die in etwa der Lage des Kirchenfundaments
entsprachen, scheint es sich weniger um die
Reste der Fundamente, sondern eher um Verfüllungsschutt in den Ausbruchgräben zu
handeln; vielleicht aber auch um Reste einer
„Basisstickung“. Aufgrund der erhobenen
Befunde ließen sich denn nach Abbruch des
Vorgängerschuppens weitere derartige Schutt-
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GESCHICHTE DER ORTSTEILE
pakete nachweisen. Der Chorabschluss war
wegen einer tiefen Störung durch Güllekanäle
etc. nicht mehr ganz zweifelsfrei zu verfolgen.
Beim Aushub der Baugrube für den Güllekeller an der Nordseite der Scheune zeigte sich
eine ältere, trichterförmig verfüllte, zunächst
nur angeschnittene Grube. Sie erwies sich bei
weiterer Grabung als mittelalterlicher Brunnen mit einer noch vollständig erhaltenen
hölzernen Brunnenstube von etwa 1,5 Meter
im Quadrat. In der Verfüllung des Brunnentrichters, die also jünger sein muss als die
Brunnenstube, wie auch der bei Anlegung
des Brunnens ausgehobenen trichterförmigen
Grube fanden sich zahlreiche Kugeltopfscherben. Hingegen blieb die Brunnensohle fundleer. Nach dem Befund der Brunnenkammer
(Schwemmsand mit aufgelagerter Torfschicht)
dürfte der Brunnen vor dem Verfüllen längere
Zeit verschlammt gewesen sein.
Die Hölzer der Brunnenstube wurden geborgen und später von uns nach der Zuckermethode konserviert. Die teils gute Erhaltung,
teils fortgeschrittene Zersetzung des Holzes ist
wohl darauf zurückzuführen, dass seit der
Vechteregulierung der Grundwasserstand etliche Dezimeter abgesunken und seither das
Holz trocken gefallen ist. Unter den Seitenbohlen fanden sich einige, die wohl aus einem
mittelalterlichen Bau, vielleicht einem Stabbau stammten und hier sekundär verwendet
worden waren.
Hindrik Jan Bloemendal mit seiner Mutter auf
dem Pferdewagen um 1950 (Scholten)
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Etwa 30 Meter nördlich der Fundstelle des
Brunnens soll sich nach der Überlieferung früher ein runder Hügel befunden haben. Als
daran angrenzend 1960 der neue Stallflügel
des Hofes Jeurink erbaut wurde, fand man bei
der Fundamentierung in der SW-Ecke eine
tiefe, vermodderte Senke, die besondere Fundamente erzwang. Auch das könnte für einen
umgräfteten Turmhügel sprechen. Der von
uns gefundene Brunnen müsste im Vorburgbereich gelegen haben, wo in seiner Nähe
auch das Bauhaus zu vermuten wäre.
Bleibt noch zu erwähnen, dass einige wesentliche Skelette von Herrn Dr. Caselitz,
Hamburg, zur anthropologischen Untersuchung übernommen wurden. Beurteilungen
liegen dazu bisher nicht vor.
(Im Jahrbuch 1996 finden sich wesentlich
mehr Zeichnungen und Fotos.)
Wasse Wiggerink und seine Violine
(JB 1950)
Alte Erzählungen und Sagen halten Erinnerungen wach, die hier oder dort vielleicht ein
Krümelchen Wahrheit im modernen Sinne enthalten. Wasse Wiggering und Wottelharm sind
zwei um 1900 bekannte und berühmte, frei erfundene Personen. Der Heimatkalender von
1950 berichtet über Wasse Wiggerink:
Heimatkalender 1950 Seite 75
Zwischen Arkel und Hoogstede stand in alter
Zeit eine Burg. Darin wohnte ein reicher Graf,
der oft mit seinen Freunden dort frohe Feste
feierte. Zu diesen Festen musste auch der
Bauer Wasse Wiggerink aus Großringe erscheinen, der lustige Geschichten erzählte,
wundervoll die Geige spielte und sich mit seiner Kunst manchen Groschen verdiente.
Eines Abends schickte der Graf wieder seinen Boten zu Wasse Wiggerink und ließ ihm
sagen, er solle sogleich kommen, denn es
seien viele und hohe Gäste eingetroffen.
Wasse nahm die Violine und trat sogleich den
Marsch zur Burg an. Er spielte seine Lieder
und Weisen und die Herren und Frauen waren
des Lobes voll über ihn und seine Violine.
Erst spät in der Nacht machte er sich auf
den Heimweg. Um ihn ein Stück abzukürzen,
A R K E L – E I N H I S TO R I S C H E R O R T
ging er quer über den Esch. Mitten auf der
kahlen, freien Roggenfläche stand plötzlich
ein großer, schwarzer Mann, ein Ungetüm, vor
ihm und sagte: „Wassin, spöll up!“ Dem Bauern kam die Forderung völlig unsinnig vor. Er
war auch müde und versuchte, durch einen
Seitensprung an dem Koloss vorbeizukommen. Aber der Schwarze trat ihm in den Weg
und knurrte drohend: „Wassin, ick segge di,
spöll up!“ Was sollte er machen? Der Mann
ihm gegenüber war groß und stark, und es
ging etwas Unheimliches von ihm aus. Er zitterte wie der Hase in der Wolfsgrube.
Endlich holte er die Geige aus dem Kasten
und begann zu fideln – mitten im Esch und
das spät in der Nacht. Er hoffte, nach einigen
Stücken den lästigen Geist loszuwerden, aber
sobald er die Geige absetzte, donnerte ihn der
Schwarze an: „Wassin, ick segge di, spöll up!“
Und so geigte Wasse Stunde um Stunde. Der
Wind heulte in den Wallbäumen und die
Füchse im Moor bellten. Als der Schwarze sich
einmal bückte, um den Schuhriemen festzu-
binden, sprang Wasse entschlossen an ihm
vorbei und lief, was er laufen konnte.
Schweißtriefend und totenbleich erreichte
er seinen Hof. Er sprach mit niemandem über
das nächtliche Erlebnis, auch nicht mit seiner
Frau.
Aber er ging am nächsten Abend mit der
Violine hinter das Schafschott und zerschlug
sie am Schuppfahl, obwohl er die Geige sehr
liebte und sie ihm viel Geld und Freuden eingebracht hatte. Er wollte mit dem Instrument,
mit dem er dem Teufel aufgespielt hatte –
denn das war der Schwarze im Esch gewesen
– niemandem mehr ein Vergnügen bereiten,
sich selbst auch nicht. Als der Graf von Arkel
ihn abermals zur Burg bat, ging er nicht hin.
Als er ihm eine neue Geige schickte, nahm er
sie nicht an.
Nein, die Geige führe den Bauern in höhere Stockwerke hinauf, wo er nicht hingehörte, meine Wasse! Und schließlich lande er
auf diesem Wege mit der Violine beim Bösen,
und davor müsse er den Hof behüten.
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Arkel, Kalle
und Tinholt
Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker
Dr. Ernst Kühle (1890–1975) hat die Geschichte der einzelnen Gemeinden jeweils im
„Doppelpack“ ausführlich beschrieben. Kühle
war von 1929 bis 1952 als Studienrat an der
Oberrealschule im Aufbau und am späteren
Gymnasium tätig.
Seine Darstellung soll eine erste Übersicht
über die Zeit bis 1974 ermöglichen. Sie folgt
hier für Kalle und Tinholt. Danach finden sich
aktuellere Beiträge von Willy Friedrich und
Unbekanntes Ehepaar mit vier Kindern in Trachten,
um 1920 aus Familie Hans (Mini Büdden)
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aus heutiger Zeit. Später kommt Kühle auch
bei Scheerhorn-Berge und bei Hoogstede-Bathorn zur Sprache. Die beiden letzten Beiträge
habe ich kürzen müssen, weil sie zu umfangreich waren für diese Chronik und sich in
manchem auch mit dem nachfolgenden Beitrag decken. Zwischenüberschriften und Fotos
sind hier und auch in anderen übernommenen Texte neu eingefügt worden, um die Lesbarkeit zu erhöhen
A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT
Kalle und Tinholt,
Geschichte zweier Landgemeinden
E. Kühle, ( Der Grafschafter 1974,Nr. 12)
Die Talsandlandschaft des linken Vechteufers
nördlich von Haftenkamp ist gegenüber der
rechten Uferzone in der wirtschaftlichen
Entwicklung zurückgeblieben. Am rechten
Vechteufer reihen sich an Veldhausen die Bauerschaften Esche, Berge, Scheerhorn, Hoogstede, Großringe, Kleinringe, denen am linken
Ufer nur Tinholt und Kalle gegenüberstehen.
Die Bodengütekarte zeigt auf beiden Flussufern
die gleichen, wenig günstigen Gütewerte an.
Die im allgemeinen tiefere Lage der westlichen
Uferzone und der höhere Grundwasserstand
haben lange Zeit von einer Besiedlung abgeschreckt. Der Verkehr von Neuenhaus nach
Emlichheim nahm seinen Weg am rechten Ufer
der Vechte entlang, der höher lag und trockener war, und an Orten mit den Namen „Berge"
und „Hoogstede" vorbeiführte. Mittelalterliche
Wege waren zumeist Höhenwege, die feuchte
Senken mieden. 1890 gab es die erste feste
Straße, 1906 die Eisenbahn auf dem rechten
Vechteufer; erst fünfzig Jahre später verband
die Vechtetalstraße Neuenhaus über Tinholt
und Kalle mit Emlichheim, obwohl diese Wegstrecke kürzer ist als die des rechten Ufers …
Deutung der Namen
Kalle und Tinholt bildeten einen Markenverband mit den Rechtsufergemeinden Berge,
Scheerhorn, Hoogstede. Die Grenzen der Mark
auf dem linken Ufer waren im Norden, Westen und Süden gerade Linien, die man ohne
Rücksicht auf Naturgegebenheiten auf der
Karte mit dem Lineal gezogen hat. Der Name
Kalle ist eine alte Flurbezeichnung, die Bezug
nimmt auf das Wasser. Abel erklärt in „Ortsnamen des Emslandes" Kalle als am Wasserarm gelegen. Tinholt gehört zu den häufigen
Orten, die den Namen dem Holz entnehmen.
Das Bestimmungswort ist nach Abel unerklärbar. Reurik erklärt es mit ten Holt = zum
Holz. Specht legt das Zahlwort „Zehn“ zugrunde, nach zehn Gemeinden, die am Tinholt
einst Anteil gehabt haben sollen. Die vorgeschichtliche Vechteschifffahrt hinterließ Überbleibsel von Fahrzeugen, Handelsgütern und
Münzen, aus denen jedoch wenig über die Vorgeschichte von Kalle und Tinholt geschlossen
werden kann. Auf höher gelegenen Dünenrücken und Bodenwellen, auf denen frühe
Siedler Fuß fassten, fand man Urnen in Nähe
des Hofes Gröne in Kalle. Der Name Arkel, zu
Kalle gehörig, wird von Heimatforschern als
arcellum gedeutet; sie vermuten, dass hier
eine vorgeschichtliche Burg bestanden hat.
Kalle wird zuerst zusammen mit dem Gogericht Emlichheim genannt, das sich 1313 im
Besitz des Grafen Johann II. befand, 1324 aber
an den Herrn von Borculo gegeben wurde und
erst 1440 endgültig an die Grafschaft zurückfiel. Als 1312 Graf Johann das Gogericht Uelsen
von Eylard van den Toerne erwarb, vereinbarten beide Vertragspartner, dass das Holzgericht
im Tinholte dem Geschlecht Toerne verblieb.
Die Holzgerichte kamen aber 1380 in die Hand
des Grafen, wodurch sich der Einfluss des Landesherrn in den Bauerschaften verstärkte. In
der Tinholter Mark hatte der Bischof von Utrecht drei hörige Bauernerben, denen erlaubt
war, die Eichelmast zu nutzen, wenn ein gutes
Eicheljahr war. Der Graf bestritt dieses Recht.
1324 Hof to Arkelo
1324 wird der Hof to Arkelo genannt. Pastor
Visch in Wilsum schreibt in seiner Geschichte
von einer frühen Kapelle in Arkel, in der ein
Geistlicher aus Emlichheim Gottesdienst hielt,
sowie von einer Ritterburg, von der man noch
im 19. Jahrhundert Reste vorfand. Auch Stokmann berichtet von einer befestigten Burg
Arkel, deren Trümmerreste 1820 noch vorhanden waren. Nach Möller gab es ein adliges
Geschlecht, die Herren von Arkel, aus dem
Johan van Arkel hervorging, der als Bischof
von Utrecht 1346 die Burg Lage erwarb. Von
den Höfen in Kalle wird ein Kotten genannt,
Kreppes Kote, 1324, der später Kroppschott
hieß. 1440, als das Gogericht Emlichheim zur
Grafschaft Bentheim zurückkehrte, wird der
Hof Rutkote to Arkel verzeichnet, von dem Dr.
Edel annimmt, dass er später „Lütke Arkel"
hieß (Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb.
1953). Die Emlichheimer Gerichtsbarkeit reichte
am linken Vechteufer bis zur Hildener Brügge,
wo das Gogericht Uelsen begann.
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GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Im Lehnregister des Grafen Otto, 1346–64,
wird Kalle nicht genannt, wohl aber Tinholt.
Dem Knappen Eylard van den Toerne überließ
der Graf zu Dienstmannsrecht die Holzgerichte zu Hilten, Gölenkamp, Uelsen und im
Tinholte. Eylard war 1319 Burgmann auf
Bentheim. Gegen Überlassung des Gogerichts
Uelsen 1312 erhielt er vom Grafen Johan eine
Anzahl von Zehnten aus Bauernerben zu
Lehen. Der Stammsitz des Geschlechts war das
Dorf Uelsen, wo südlich der Kirche vermutlich
ihre Burg stand. Eylard war auch Lehnsmann
des Bischofs von Utrecht. Das Tinholt gehörte
zu den privaten Gehegen des Grafen; hier übte
er die Jagd allein aus und ließ durch seine
Jäger die Grenzen überwachen. Das Revier
war durch seine guten Entenjagden bekannt.
Die Beachtung der landesherrlichen Reservate
ließ zu wünschen übrig. Mit den holländischen Jagdherren einigte sich der Graf auf
dem Bentheimer Landtag über Jagdgerechtsame zwischen Grenze und Vechte. 1656
überraschten gräfliche Jäger eine Gramsberger Jagdgesellschaft in einer Tinholter Wirtschaft und nahm sie gefangen. Die
Gramsberger kamen mit stärkerem Aufgebot
wieder und verlangten erweiterte Rechte. Der
Graf verwarnte die Gramsberger, „daß man
Bäuerin Lübbers in Alltagskleidung vor ihrem Haus
in Kalle, 1934. Heutige Eigentümerin Gunda Meyerink
(Jan Jeurink)
62
die Jagd nicht wider alle Usance und Gewohnheit extendieren solle". Der Jägermeister
Borchard Lohoff betreute die privaten Gehege,
leitete die großen Umjagden, traf Maßnahmen
für sachgemäße Hege des Wildes, bestimmte
die Schonzeiten und die Menge des von den
Bauerschaften anzuliefernden Hundebrots.
Das Haus Echteler hatte die Koppeljagd in
Kalle. Die Fischerei in der Vechte bis zur Mündung der Lee übten die Grafen gemeinsam mit
der Stadt Neuenhaus aus, weiter nördlich nur
die Grafen allein. Das Bleichen von Flachs in
der Vechte war den Bauern in Kalle und Tinholt verboten.
1451 Personentausch
1451 empfing das Kloster im Austausch mit
dem Herrn v. Dedem zu Esche den Johan Herekinck, der ins Tympenhaus tor Calle kam.
1562 überließ das Bistum Utrecht dem Kloster
einen Sohn des Passcher in Lage, der auf dem
Tympenhof zu Kalle einheiratete. Man nannte
die Einheirat „Auffahrt“ und forderte dafür
eine Gebühr (ungewisses Gefälle). Im Austausch mit dem Grafen kam Wibbe, eine Tochter Campers aus Laarwald nach Kalle, wo sie
auf dem Hof einheiratete. Von den Kindern
auf dem Tympenhof wird berichtet, dass Johann
A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT
tor Calle die Gese van Arkel zur Frau nahm,
die die Tochter eines dem Grafen hörigen Bauern war. Von ihren Kindern ließ das Kloster
den Sohn Johan frei; ein anderer Sohn zog
mit den Wiedertäufern fort, und der Schreiber
trug in das Wesselbuch ein ... „entlopen na
Monster". Eine Tochter, Mette, ging mit einem
Landsknecht in die Ferne. Im Lagerbuch zu
Bentheim befindet sich eine Verpflichtung des
Hofes Tympe von einem Taler. Die Vogtei über
den Hof Tympe hatte Engelbert von Zalre; er
hatte an Callmans Erben ein Gut verkauft,
Bussches Garde genannt, und an das Kloster
Frenswegen Heemans Haus in der Calle veräußert. Der Archivar Dr. Döhmann in Burgsteinfurt nimmt an, dass der Hof Kaalmann in
Hoogstede gemeint ist …
1533 Wiedertäufer nach Münster
Das folgende 16. Jahrhundert war von religiösen Unruhen erfüllt. Die Wiedertäufer hatten 1533 den Bischof von Münster vertrieben
und ein Wiedertäuferreich errichtet, das zwei
Jahre später Graf Arnold mit zerschlagen half.
Anschließend ließ der Graf nach geflohenen
und versteckten Wiedertäufern in der Grafschaft fahnden. Das wenig zugängliche Tinholter Moor bot guten Unterschlupf. Wen die
Häscher fingen, den richtete man als Viehdieb
hin. 1544 aber trat der Graf mit dem größten
Teil der Grafschaft zum lutherischen Bekenntnis über. Die Pastoren Kampferbeck in Veldhausen, Krull und Jungius in Neuenhaus,
Hasenhart in Uelsen predigten im Sinne der
Augsburgischen (lutherischen) Konfession.
Das Bistum Utrecht ging durch die Reformation ein; seine Güter erbte Kaiser Karl V., der
nicht deutsch sprach, aber in den Twenter
Hofrechten die Pflichten und Rechte seiner
Hörigen aufschreiben ließ. Sein Nachfolger
Philipp löste durch Härte und Grausamkeit
seiner gegenreformatorischen Maßnahmen
den niederländischen Befreiungskrieg von der
spanischen Herrschaft aus. Die von ihren Ländern mangelhaft versorgten spanischen und
holländischen Truppen suchten ihren Bedarf
zu decken durch räuberische Überfälle in die
neutrale Grafschaft; bei etwaigem Widerstand
kam es wie in Halle und Getelo zu Blutbädern.
Auf der Heerstraße zwischen Coevorden und
Neuenhaus plünderten die Spanier die Bauerschaften an der Vechte aus; sie beraubten
Kalle und Tinholt, zerstörten das feste Haus
Esche, töteten die zahlreichen Flüchtlinge,
verbrannten in einer Scheune in der Borg 60
wehrlose Menschen und verursachten ein
Massensterben in der Stadt Neuenhaus. „De
nood en ellende waren zoo groot, dat men ze
met geene worden uitdrukken kan (Visch, Geschiedenis). Im schweren Kriegsjahr 1588 traten Graf und Grafschaft zum reformierten
Bekenntnis über, um sich den Schutz der siegreichen Niederländer zu sichern.
1618–1648 Dreißigjähriger Krieg
Auf deutscher Seite ging der Oorlog in den
Dreißigjährigen Krieg, 1618–1648, über. Der
vom Grafen Arnold Jobst angestrebte Selbstschutz in Verbindung mit Schützenverbänden
war nicht ausreichend, den feindlichen Heeren
den Eintritt in die Grafschaft zu verwehren.
Die Kriegsopfer des „Oorlogs“ wiederholten
sich; hinzu kamen die Kriegssteuern in Gestalt
von Korn-, Vieh- und Personenschatzungen,
auf den Landtagen beschlossen, um die Kontributionen zahlen zu können. Die Selbsthilfe
in Kalle und Tinholt beschränkte sich darauf,
Alarmbereitschaften einzurichten, kleinere
Räuberbanden abzuwehren, durch Feuersignale Nachbargemeinden zu warnen, ihre Hilfe zu erbitten und selbst Hilfe zu bringen.
Der Geschichtsschreiber des Krieges, Pastor
Holstein aus Schüttorf, der auch in Arkel predigte, beklagte den Verfall der Sitten. Schon
1620 erlagen die Kaller dem Einfluss von Zauberern, die man um Hilfe bat, wenn Menschen
und Vieh erkrankten. In Tinholt war es nicht
anders; viele gingen nicht mehr in die Kirche,
besuchten während der Kirchzeit die Wirtshäuser, sangen Hurenlieder und mieden die
Arbeit. Vergeblich wetterte Pastor Holstein
1623 von der Kanzel in Arkel und drohte mit
Kirchstrafen. Anstatt der gelobten Exercitien
gab es in den Schützereien Saufgelage. Erst
mit Kriegsende, als ein Bauernaufgebot
schwedische Resttruppen aus der Bimolter
Mark vertreiben musste, kehrte die Ordnung
zurück.
63
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
1637 Dienstgeldliste
Aus dem Kriegsjahr 1637 ist eine Dienstgeldliste des Rentmeisters Kerckerinck erhalten,
die Dr. Edel im Jahrbuch 1953 wiedergab. Es
zahlten an Dienstgeld je 4 Taler Röttgeringh,
Eikinckhorst, Oeveringh, Meyerman, der
Schulte zu Arkel, je 3 Taler Campen, lütke
Arkel, Blomendael, Calthoff, Struwe, je 3 ½
Taler Brüningh, Suwerman, Hembke, Wermer,
je 1 Taler Kroppschotte, Klinckhamer, Böker,
Hessels Lucas, Lüchens Rolff, Schny kert; 3
Ort zahlte Kistemaker.
Der in Tinholt gelegene Platz von Weel Johans Witwe, der wüste war, gab ½ Taler. Im
Eifer um den Wiederaufbau von Hof und Flur
nach Friedensschluss blieben Kalle und Tinholt hinter den Bauerschaften rechts der
Vechte nicht zurück.
Kirchenrat Emlichheim 1562–1620
Die reformierte Kirchenordnung hatte die
Pflege des kirchlichen Lebens in die Hände der
örtlichen Kirchenräte gelegt. Aus den Bauerschaften des Kirchspiels Emlichheim wählte
man angesehene Männer in den Kirchenrat,
die dafür sorgten, dass das Verhalten der Gemeindemitglieder und der Unterricht der Jugend im Sinne des Heidelberger Katechismus
geschah. Dem Kirchenrat gehörten an Gerdt
Volker zu Arkel in den Jahren 1562, 68, 80,
83, Gert Schulte zu Arkel 1612. 1620 befasste
sich der Oberkirchenrat mit einer Anklage
eines Bauern aus Tinholt wegen Hexerei. Der
Bauer beschuldigte seinen Nachbarn, dass er
ihm die Kuh verhext hätte, die gestorben war
(Edel, Ratleute der Kirche zu Emlichheim,
Grafsch. 1958). Es war bald nach Beginn des
großen Krieges (1618–1648), als Pastor Holstein gegen das Zauberunwesen ankämpfte …
1752 Torfstichrechte im Tinholter Moor
Die Schuldenlast zwang den Grafen Friedrich
Carl, seine Grafschaft 1752 an das Land Hannover zu verpfänden. Die Pfandschaftsregierung unter Leitung des Drosten Ompteda
versuchte, durch Sparverordnungen Ordnung
in das Finanzwesen zu bringen. Eine Akte auf
dem Rathaus zu Uelsen von 1752 enthält
einen Vertrag um Torfstichrechte im Tinhol-
64
ter Moor. Aus Uelsen und dem Kirchspiel hatten sich 348 Haushalte bereit erklärt, den Torf
aus Tinholt zu holen. Wiederholtes Zusammentreffen der Dorfschulten auf dem Rathaus
zu Uelsen und Beratung mit Amtleuten und
Vögten, wie 1845 mit Amtsvogt Brill, verbesserten die Anfuhr des Torfs, indem man Entwässerung und Wegebau vervollkommnete.
Schulte Vos aus Tinholt und der Schulte zu
Arkel unterzeichneten ein Protokoll. Als nach
dem Ersten Weltkrieg das Siedlungsgesetz
1919 Land für vertriebene Ostbauern und
nachgeborene Bauernsöhne aus der Heimat
bereitstellte, enteignete man die Torfgruben
und hob die Torfstichgerechtsame auf.
1756–1763 Siebenjähriger Krieg
Vier Jahre nach dem Pfandvertrag brach der
Siebenjährige Krieg, 1756 bis 1763, aus, den
der Graf nutzen wollte, um die Selbständigkeit seiner Grafschaft zurückzugewinnen. An
der Spitze eines französischen Regiments zog
er in den Kampf gegen Hannover, womit er
den Krieg in sein Land trug. Für die Kaller und
Tinholter Bauern nahmen die Lieferungen, die
Kriegsfuhren, die Zahlungen kein Ende. Die
Kriegsherren wechselten, eine Partei jagte der
andern die Beute ab. An wen die Abgaben zu
zahlen waren, erfuhren die Kaller durch Kirchenabkündigung in Emlichheim. Kommandos setzten die Dorfschulten gefangen, wenn
die abzuliefernden Pferde nicht zur Stelle
waren, aber es gelang manchem listigen
Bauern, sein Pferd auf Schleichwegen zurückzuholen. Entzog sich der Jungbauer dem
Traindienst durch die Flucht, musste der
Hausvater den Dienst tun. Hannover gewann
den Krieg und trat nach Friedensschluss die
Pfandschaftsregierung wieder an. Regierungsrat Funck forderte durch Verordnungen zum
Sparen, zur Schädlingsbekämpfung, zur Waldpflege, zur Anlage von Telgenkämpen, zur
Schonung des Wildes, zur Einschränkung im
Haushalt, zum Maßhalten im Verbrauch auf.
Die Bauern in Kalle und Tinholt bedurften
solcher Ermahnungen nicht; die Armut war
ihr täglicher Gast. Die Tinholter trugen ihre
dürftigen Kornmengen auf dem Rücken zur
Mühle Bosmann nach Hardinghausen und
A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT
nahmen gleich ihr Mehl nach Abzug der
Mahlgebühr wieder mit nach Hause. Eine Verordnung 1784 enthielt für Kalle und Tinholt
die Concession des Plaggenstechens, bei
Schonung der Forsten und öffentlichen Wege,
für Tinholt auch die Schonung des Haftenkamper Bruchs. Eine Neuvermessung der Markengrenze zwischen Tinholt und Haftenkamp
schlichtete alte Streitpunkte. Der Streit um die
Jagdberechtigung im Tinholter Feld entfachte
aufs Neue, als 1773 der Herr v. Wassenaer aus
Lage den Richter Lüdick in Emlichheim beauftragte und bevollmächtigte, für ihn die
Jagd im Bezirk Emlichheim auszuüben. Im
Tinholter Feld kam es zu Tätlichkeiten der
Lager Jäger mit den Bentheimern, die eine
Koppeljagd im Tinholter Feld nicht zulassen
wollten …
1795–1815 Franzosenzeit
Als dann 1795 die Franzosen als Revolutionstruppen in Neuenhaus einrückten und den
Freiheitsbaum aufstellten, Gewerbefreiheit
und Ablösung der bäuerlichen Lasten versprachen, sah man sie nicht ungern kommen.
Bald aber konnten die Schulten von Kalle und
Tinholt ihren neuen Pflichten kaum noch
nachkommen, für die Steuer- und Rekrutenlisten die Unterlagen bereitzustellen. Das
französische Kataster fand immer neue Steuerquellen, wie Fußböden, Fenster, Türflächen,
Obstbäume; die Rekrutenlisten füllten sich mit
Namen von Jungbauern, die man einzog, in
fernen Garnisonen ausbildete und in der großen Armee zum Ruhme Frankreichs kämpfen
ließ. Andere traten in das Bentheimer Bataillon ein und kämpften gegen Napoleon auf
belgischen Schlachtfeldern. Eine Verlustliste
1815 nennt Evert Bangeler aus Kalle, gestorben am 1. Juni in Antwerpen. Der Ausbau des
Straßennetzes für schnelle Truppenbewegungen gehörte zu den vordringlichen Aufgaben;
die Kaller und Tinholter sahen, wie die Franzosen Anstalten trafen, einen kürzeren Weg
zwischen Neuenhaus und Emlichheim über
Kalle und Tinholt als Heerstraße auszubauen.
Der Name Franzosendiek blieb in Erinnerung;
erst 150 Jahre später als Vechtetalstraße mit
Asphaltdecke vollendet.
Nach 1815
Nach Abzug der Franzosen übernahm der
Droste v. Pestel die Pfandschaftsregierung
aufs Neue; er stellte die alte Ordnung wieder
her, in der von den versprochenen Freiheiten
nicht mehr die Rede war. Die Zollschranken
senkten sich, drosselten den Handel und
minderten die Zahl der Arbeitsplätze. Das
Kirchspiel Arkel löste sich vom Kirchspiel Emlichheim. Die Kleinsiedlung Arkel, aus nur
vier Bauernhöfen bestehend, erhielt als Sitz
eines Kirchspiels überörtliche Bedeutung.
Th. Nyhuis führte als erster Pfarrer in Arkel
1819–58 Tauf-, Trau- und Sterberegister des
Kirchspiels. Die von den Franzosen eingerichteten Standesämter hatte v. Pestel abgeschafft
und die Beurkundung durch Kirchenbücher
wieder eingeführt. Pastor Lucassen versah den
Kirchendienst 1858–66; dann folgte J. M. Nyhuis, Sohn des ersten Pfarrers; er wirkte als
Konsistorialrat und Kreisschulinspektor vorbildlich in seinem Bezirk, trat für den Bau der
Längsbahn ein und hat als Schriftsteller und
Herausgeber einer Zeitungsbeilage und der
Reformierten Monatsschrift zur Erwachsenenbildung beigetragen.
Eine Zählung, 1821, ergab für Kalle 21
Feuerstellen und 152 Einwohner, für Tinholt
25 Feuerstellen, 26 Höfe, 135 Einwohner. Armut und Arbeitslage, hoher Grundwasserstand
und offene Brunnen, dürftige Haushaltsführung und einseitige Kost waren Ursache
unbefriedigender Gesundheitsverhältnisse.
Zahlreiche Menschen starben im jugendlichen
Alter an „Utteeringe“, der Schwindsucht. Studierte Ärzte gab es nur wenig. Bei weiten und
schlechten Wegen kamen sie selten in abgelegene Dörfer. Die Apotheke in Neuenhaus war
zu weit entfernt. Erst 1830 erhielt auch Emlichheim eine Apotheke.
Schankwirtschaften 1828
Im gleichen Jahr erhielt Vogt Brüna die Anweisung, die Schenkwirtschaften im Gericht
Emlichheim zu registrieren. Sie hatten durch
die ständig zunehmende Zahl der Hollandgänger genügenden Zuspruch. Die Wirtschaft
Bingeler in Kalle bestand erst seit 1828 und
schenkte ½ Anker aus, Schröer in Kalle, seit
65
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
1822 bestehend, verschenkte 1 ½ Anker. In
Tinholt bestanden ebenfalls zwei Schenkwirtschaften, Hilbrink, seit 1828, und Sentkers,
beide mit je 3 Ankern Umsatz. Die Heuerleute
Sentker betrieben den Ausschank schon seit
längerer Zeit. Bingeler (jetzt Berends) – verschenkt ½ Anker, gegründet 1828 …
Aus Bentheimer Heimatkalender 1936
Seite 82 f.
Das Eindringen der Franzosen in die Grafschaft brachte im ersten Jahrzehnt des 19.
Jahrhunderts das Ende der Zünfte. Nunmehr durfte jeder Bürger oder Bauer das
ihm angenehme Handwerk ausüben, ja
deren zwei, drei und mehr gleichzeitig betreiben. Kein Beruf erfreute sich damals
eines lebhafteren Zuspruchs als der des
Schenkwirts. Meist brachte er gute und teils
mühelose Gewinne, der Wirt sah vergnügliche Leute um sich, hörte viel, und das Gewerbe verhalf nicht selten zu Einfluss in der
Gemeinde und im öffentlichen Leben. Um
eine Übersicht darüber zu haben, wie viel
Leute im Bentheimischen das viel begehrte
Nass ausschenkten, erging im Jahre 1830
eine Anweisung zur Inventarisierung der
Schenken. Unter Kalle findet man folgende
Angaben: Bd. Schröör (später Heckmann,
jetzt Prinsen) – verschenkt 1½ Anker, gegründet 1822
Da die Schenken unmittelbar an dem Wege
von Veldhausen über Tinholt nach Emlichheim belegen sind und dieser Weg von
Frachtwagen bei trockener Zeit viel gebraucht wird, so ist die Fortdauer der Schenken nicht unerforderlich.
Markenteilung 1864–1881
1864–81 nahm man die Teilung der Mark vor,
bei der man 1357 ha unter 89 Teiler aufteilte.
Die Mark bestand aus 318 ha Angerland, 621
ha Heide, 251 ha Suddenboden und 165 ha
Moorboden. Da um diese Zeit auch der Mineraldünger aufkam, ließen sich die neu gewonnenen Flächen in ertragreiches Kulturland
umwandeln. 1859 gab es in Kalle 15 Vollerben, 2 Halberben, 2 Kötter, 8 Neubauern, in
Tinholt 15 Vollerben, 4 Halberben, 12 Neu-
66
Haus Heckmann etwa 1942, Frau Steiniger mit
Nichte Gesiene Heckmann. (Dini Wortelen)
bauern. 1866 preußisch geworden, gehörte die
Grafschaft zum Großkreis Lingen, der bis
1885 bestand. Dann löste man den Kreis Grafschaft Bentheim mit den Ämtern Bentheim
und Neuenhaus vom Großkreis ab; als Kreisstadt wählte man Bentheim. Es gab seit 1871
ein Deutsches Reich mit neuen dekadischen
Münzen, Maßen und Gewichten; der Landbriefträger kam in die Dörfer und brachte
Briefe und Postkarten mit einer 10- oder 5Pfennig-Freimarke versehen. Der Telegraph
vermittelte Telegramme; um die Jahrhundertwende erlaubte der Fernsprecher Orts- und
Ferngespräche. Landrat Kriege, 1886 –1920,
setzte sich für Melioration (Entwässerung),
Schul- und Wegebau ein. Die Schulchronik
berichtet vom Schulbau 1858; 80 Jahre später,
1938, entstand ein neues zweckmäßigeres
Schulhaus. Lehrer J. H. Bleumer schrieb einen
humorvollen Bericht ,.Up mien Besseva sien
Hoff": Die tief in der Heimat wurzelnde Charaktererhaltung der Bewohner, die Mit- und
Umwelt spiegeln sich darin (siehe Seite 97).
Verkehrsverhältnisse 1870–1930
Die Not auf dem Lande trieb manchen zur
Auswanderung: aus Kalle H. J. Scholten, aus
Tinholt Jan Mischkotte, Hermina Kaalmink,
Gese Becken, Susanne Klostermann. Die Bin-
A R K E L , K A L L E U N D T I N H O LT
Haus von Loeks–Hessels (jetzt Baumann), 1956/57 abgebrochen (Dini Wortelen)
dungen an die Heimat blieben erhalten und
wurden gepflegt; mancher Auswanderer kehrte
nach Jahren gern zum Besuch in das Heimatdorf zurück. 1870 ersetzte eine Holzbrücke
den bisherigen Fährverkehr; aber diese Brücke
entsprach nicht den Erwartungen. Nicht alle
Bauern wollten sich an den Kosten beteiligen;
der Holzbelag war bald abgenutzt und die
Stützen boten bald nicht mehr die nötige Sicherheit. Der Übergang zum rechten Vechteufer, dem Verkehrsufer, gewann an Bedeutung,
als 1890 die Heerstraße über Hoogstede besteint wurde und 1906 Haltestellen der Bentheimer Eisenbahn in Berge und Hoogstede
entstanden. Kalle und Tinholt blieben weiter
in Abseitslage.
Seit 1903 diente die landwirtschaftliche
Winterschule in Neuenhaus dem bäuerlichen
Nachwuchs als Schulungsstätte. Nach dem
Ersten Weltkrieg sollte das Reichssiedlungsgesetz 1919 Raum für vertriebene Bauern
schaffen. In der Folge enteignete der Staat Ödlandflächen, um sie als Siedlungsstellen vorzubereiten. Landrat Böninger, 1920–31, setzte
die Kulturarbeit seines Vorgängers Kriege fort,
förderte die Meliorierung der Böden, den Bau
von Verkehrswegen und verschaffte den Gemeinden durch Verträge mit der RWE den
elektrischen Strom als Energiequelle.
Emslandplan 1951
Das Staatsgebiet Kalle–Tinholt mit mehr als 500
Hektar hat nach dem Zweiten Weltkrieg das
Wasserwirtschaftsamt Meppen zur Vechte und
zur Radewijkerbecke entwässert. Als 1951 der
Emslandplan anlief, hielt die Technik ihren Einzug in die Vechteufergemeinden. Die Mooradministration setzte Großmaschinen ein,
Tiefkuhlpflüge, Erdhobel, Scheibeneggen, Erdschaufeln und Walzen, von 128 Arbeitskräften
bedient. Die Moorflächen mit Torfschichten bis
zu 50 cm Dicke forderten, die Pflüge so einzustellen, dass die unterlagernden Sande mit
ergriffen werden, um so eine günstige Mischkulturschicht zu erhalten. Drei Hauptvorfluter
mit anschließendem Grabennetz dienen der
Entwässerung. Die Gräben, parallel und gradlinig mit 200 bis 300 Meter Abstand verlaufend,
sind mit Stauen versehen, die einen günstigen
Grundwasserstand auch in trockenen Perioden
sichern. Nachdem die Flächen eingeebnet und
mit Mineraldünger und Kalk versehen waren,
nahm man die Einsaat vor, bei geringeren
Böden mit Lupinen, bei besseren Böden mit
Roggen, Hafer oder Kartoffeln. Auch bei Grünlandflächen erwies sich eine vorherige Einsaat
als günstig, um die Bodengare zu fördern.
Ein Netz von Wirtschaftswegen in Abständen von 800 Meter gewährleistet den Zugang
67
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
zu den Kulturflächen; an rechtwinklig abzweigenden Betonwegen liegen die Gehöfte der
Siedler. So wuchs aus einstigem trostlosen Ödland eine geplante Streusiedlung hervor, bei
der die Hofstätte vom zugehörenden Kulturland umgeben ist und so ohne lange Zufahrt
erreicht werden kann. 1954 konnten die ersten
acht Vollerben mit je 15 ha Kulturland besetzt
werden. Forstflächen und Windschutzstreifen
schufen eine neue Landschaft, die mit den
Schutzgehölzen um das Haus der Flur das Aussehen einer Kulturparklandschaft geben.
Straßenbau 1950er Jahre
Den Anschluss an das Kreisstraßennetz brachte
im Jahre 1956 die Querverbindung WilsumHoogstede, deren Bau eine Sandauffuhr bis zu
zwei Metern erforderte. Die nach Norden verlängerte Vechtetalstraße schuf eine schnelle Verbindung nach den zentralen Orten Neuenhaus
und Emlichheim. Damit nahm der Plan der
Franzosen 1813 (Franzosendiek) Gestalt an. Die
Nachteile der bisherigen Abseitslage schwanden. Mit den Straßen kam die Landkraftpost und
verbesserte den Nachrichtenverkehr. Betonbrücken ersetzten gefahrvolle Behelfsbrücken.
Der Wasserbeschaffungsverband Niedergrafschaft sorgte für den Anschluss an die Trinkwasserleitung. Das Wirtschaftsleben erhielt in
dem bisher an Bodenschätzen armen Gebiet
durch Erdöl und Erdgas neuen Auftrieb. Die
erste Bohrung geschah an der Gemeindegrenze
Kalle-Tinholt. 1957 wurde das Gasfeld Kalle erschlossen. Das gewonnene Gas leitete man in
die Gasleitung von Adorf nach Frenswegen; das
Erdöl nahm die Sammelstelle Bathorn auf.
Die Besiedlung verdichtete sich; 1962 gab
es 16 Vollbauernstellen. Jan Jeurink gab eine
bevölkerungspolitische Studie über die Bauerschaft Kalle heraus. Unter den 49 landwirtschaftlichen Betrieben gibt es zehn Stammfamilien und elf Pachthöfe; die meisten Bauern
sind zugzogen. Der Altersaufbau, das Heiratsalter, Kinderreichtum, Sterbealter werden in Zahlen angegeben. In der Gemeinde gab es keine
Landflucht; die Bevölkerung ist vielmehr stark
bodenständig geblieben. Dem wirtschaftlichen
Aufstieg folgte das Anheben der Grundausrüstung der Gemeinden.
68
In beiden Gemeinden besteht ein gutnachbarliches Zusammengehörigkeitsgefühl. In Tinholt werden auf Gesellschaftsabenden geselliges
Leben und Tradition gepflegt.
Übersicht 1950
Im Sammelband Landkreis Grafschaft Bentheim werden für 1950 folgende Daten gegeben: von den 1119 ha Gemeindefläche Kalle
waren 584 LN (landwirtschaftliche Nutzflächen) mit einem Einheitswert von 696 Mark
je Hektar, in Tinholt von 823 ha Fläche 587
ha LN mit einem Einheitswert von 756 Mark.
Die Bewohner waren in Kalle mit 81 Prozent,
in Tinholt mit 83 Prozent in der Landwirtschaft beschäftigt, in Industrie und Handwerk
waren in beiden Orten je sieben Prozent, in
Handel und Verkehr je vier Prozent beschäftigt. Die LN bestand in Kalle zu 30 Prozent aus
Ackerland, zu 69 Prozent aus Grünland, in
Tinholt zu 24 Prozent aus Ackerland und zu
75 Prozent aus Grünland. Das Ackerland
nutzte man zu 65 Prozent mit Getreideanbau,
zumeist Roggen, zu 30 Prozent mit Hackfrüchten. Die ausgedehnten Grünlandflächen
erlauben einen beachtlichen Tierbestand. Die
GVE (Großvieheinheit je 100 ha LN) ist für
Kalle überdurchschnittlich mit 119 angegeben,
für Tinholt mit 110. Beide Gemeinden sind
nach ihrer wirtschaftlichen Struktur reine
bäuerliche Gemeinden ohne größere gewerbliche Betriebe; in ihrem sozialen Gefüge überwiegen die Selbstständigen mit ihren mithelfenden Familienmitgliedern …
Quellen
Bleumer, Up mien Besseva sien Hoff, Grafschafter 1956
Bode, Naturschutzgebiet Swartes Venn in Tinholt,
Grafschafter 1959
Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrbuch 1953
Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft,
Heimatkalender 1951
Friedrich, Torfstichgerechtsame im Kirchspiel Uelsen,
Grafschafter. 1959, Folge 75
Friedrich, Porträt einer Landgemeinde,
Grafschafter Nachrichten 1960
Frommeyer u. Lögters, Erpl u. Erdgas im Emsland,
Jahrbuch 1960
Jeurink, Kalle, Bevölkerungspolitische Studie,
Grafschafter Nachrichten 1941
Klasink, Moorkultivierung, Grafschafter 1955, Folge 26
Sager, Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte
Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises
Voort, Heberegister von Bentheim, Jahrbuch 1972
Der Landkreis Grafschaft Bentheim
Zeitungsberichte der Grafschafter Nachrichten
Weitere Angaben im Text
Kalle
Dini Wortelen
Betreiber:
1954 bis 1956
1956 bis 1964
1964 bis 1974
seit 1974
Jan-Hindrik Soer
Arthur Reinhardt
Hermann Smitderk
Heinz Hesselink
und Altine geb. Nöst
Bis 1976 wohnte Hermine Soer noch in diesem Gebäude, danach lebte sie bis zu ihrem
Tode bei ihrer Tochter Herta in Emlichheim.
Um 1978 verkaufte Hermine Soer das gesamte
Gebäude an Familie Hesselink. Hesselink haben
1984 zwei Kegelbahnen gebaut und 2002 den
Laden geschlossen.
Farbige Postkarte Kalle, etwa um 1970 (Dini Wortelen)
Gaststätte Hesselink in Kalle
Eigentümer: 1939–1978 Jan Hindrik Soer
(gest. 3. 2. 1975) und Frau Hermine
(gest.18.11.1982). 1939 wurde ein Laden errichtet und ab 1954 gab es hier auch eine
Gaststätte.
Gasthaus Hesselink seit 1939
Herta Schreier geb. Soer aus Emlichheim (2007):
Im Jahre 1939 hat Jan Hindrik Soer mit seiner
Frau Hermine ein kleines Lebensmittelgeschäft in Kalle aufgemacht. Vorher hatte Soer
Gastwirtschaft Hesselink mit Kegelbahnen,
Kalle 2008 (Dini Wortelen)
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2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
in Veldhausen und Haftenkamp seine Kundschaft mit Pferd und Wagen aufgesucht. 1939
zog er mit Frau und drei Kindern nach Kalle,
wo er im bescheidenen Haus sein Geschäft
hatte. Es gab nicht viel zu kaufen: Imi, Soda
im Stück (zum Wäsche einweichen), Kandis,
Zucker, Hefe (im Stück), Erbsen, vielleicht
etwas Kaffee und Buismann zum Bräunen des
Kaffees(!), Petroleum – das Fass durfte noch im
Laden stehen (aber nur für die ersten Jahre).
Das Geschäft lief schlecht, die Bauern waren
Selbstversorger. Eingekauft wurde meistens mit
Eiern, die in einem Korb mit Häcksel gebracht
wurden. Öfters blieb etwas Eiergeld über, dieses wurde dann ausgehändigt.
Dann kamen 1940/41 die Lebensmittelmarken. Jeder bekam eine bestimmte Zuteilung an
Lebensmitteln. Ich erinnere mich noch, dass
einem Raucher 50 g. Tabak im Monat zugeteilt
wurde! So kam es, dass viele Raucher Tabak
angepflanzt haben. Es war zwar verboten
Tabak zu züchten, doch er wurde versteckt im
Kornfeld aufgezogen, bis er geerntet wurde.
Dann wurden die unteren Blätter, die schon
gelb waren, auf ein Band aufgereiht und getrocknet und dann ganz fein geschnitten. Ob
der geschmeckt hat?
Samstagabends mussten die Lebensmittelmarken sortiert und auf Papier geklebt werden.
Da wir kein Papier, aber wohl alte Zeitungen
hatten, wurden die Marken mit angerührtem
Mehl auf Zeitungen aufgepappt. (Woher den
Kleber nehmen?). Dann wurde dieses nach Emlichheim zur Kontrolle gebracht. Oft waren die
Marken abgefallen. Es war eine Tortour!!
Inzwischen war das vierte Kind geboren.
Damit wir alle satt wurden, hat Papa öfters ein
paar Fische gefangen, die wurden gebraten und
waren lecker!
Papas Hobby waren die Bienen. Diese Bienenkörbe wurden im Sommer (bei Nacht) zur
Heideblüte nach Wilsum gebracht. Im Herbst
war dann die Ernte, Scheibenhonig erster
Klasse und Vaters ganzer Stolz. Vor allen Dingen brachte der Honig etwas „Bares“ (Geld)!
1954 wurde eine kleine Kneipe aufgemacht.
Bier wurde nur in Flaschen verkauft und wenig
getrunken. Dafür schmeckte der Pannenborg
sche Fusel um so besser. „Dat kaule Söpie“ war
70
für die Kunden ein Hochgenuss! Auch diese
Zeit hatte etwas Schönes!
Unsere Flucht 1944/45
quer durch Deutschland
Von Hedwig Schepers geb. Liedtke
Der 22. März 1945 war ein wohltuender, angenehm friedlicher Vorfrühlingstag in Kalle.
Für uns, meinem Großvater (79 Jahre), meiner Mutter (52 Jahre), meiner Schwester (22
Jahre) und meinem kleinen Bruder (8 Jahre)
und mir (18 Jahre) bedeutete er das Ende der
Flucht vom östlichsten Zipfel des untergehenden Dritten Reiches in den äußersten westlichen Zipfel, die Grafschaft Bentheim.
Für uns alle bedeutete die Ankunft in Kalle
die Ankunft in unserer zukünftigen Heimat
und ein neues Leben fern der Heimat Ostpreußen, die wir am 20. Oktober 1944 verlassen mussten.
Wir waren keine Gutsbesitzer, sondern
wohnten als Familie eines Postschaffners in der
Kreisstadt Gumbinnen in der Meelbeckstraße
20 zur Miete. Gumbinnen (heute Gusew), eine
Garnisonsstadt, war bis dahin weitestgehend
von den Kriegsereignissen verschont geblieben.
Mit dem Heranrücken der feindlichen Armee
wurde auch Gumbinnen Ziel von Angriffen.
Familienfoto Liedtke vor 1934. Hedwig Schepers geb.
Liedtke, Mutter Auguste, Bruder Bruno (gef. 30. Juni 42
in Russland), Vater Karl und Schwester Lieselotte
(Hedwig Schepers)
KALLE
August 1944 umquartiert
Diese Bedrohung führte dazu, dass bereits im
August 1944 Frauen mit Kindern und alte
Leute umquartiert wurden. Meine Mutter, mein
Opa und mein jüngerer Bruder kamen von
Gumbinnen ins 120 Kilometer westlicher gelegene Heinrichsdorf am Frischen Haff auf
einem Bauernhof unter.
Ich befand mich in der Ausbildung zur Bürokauffrau bei einem Autoreparaturwerk und
Vulkanisierbetrieb mit Tankstelle und arbeitete somit in einem „kriegswichtigen Betrieb“.
So blieb ich zunächst allein zurück, jedoch
konnten wir uns noch gegenseitig besuchen.
Am Montag, den 16. Oktober 1944, meine
Mutter und mein kleiner Bruder waren zu
Hause, um einige Sachen abzuholen, gab es
einen schweren Bombenangriff auf Gumbinnen.
Unser Haus wurde an einer Seite getroffen. Es
gab keinen Strom und kein Gas mehr. Dies und
die weitere Bedrohung waren der Anlass dazu,
dass am 20. Oktober 1944 der Räumungsbefehl
für die gesamte Bevölkerung Gumbinnens erfolgte. Damit begann unsere Flucht.
20. Oktober 1944 Erster Räumungsbefehl
Meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich
liefen zu Fuß in Richtung Bahnhof und wurden von einem Militärlaster eingesammelt
und zum Bahnhof nach Insterburg mitgenommen. Aus dem abfahrbereiten Zug riefen
Insassen uns zu, dass noch Platz sei. In Braunsberg (Ostpreußen) stiegen wir um in die „Haffuferbahn“ und erreichten noch am selben Tag
Frauenburg. Hier verließen wir den Zug, um
nach neun Kilometern Fußmarsch nach Heinrichsdorf zu meinem Opa zu kommen. Bis Dezember 1944 konnten wir hier bleiben.
Der nächste Räumungsbefehl beorderte
uns nach Mühlhausen, von wo aus wir
mit dem Zug zur Bahnstation Virchow in Hinterpommern gelangten. Mit Pferdewagen wurden die Flüchtlinge dort auf Bauernhöfen
verteilt. Wir kamen bei einem Bauern in
Schönfeld unter.
Weihnachten 1944 und den Jahreswechsel
1944/1945 konnten wir hier verbringen,
meine ältere Schwester kam im Januar aus
Königsberg zu uns.
Im Zug – ohne Ziel
Am 29. Januar 1945 kam der Bürgermeister
von Schönfeld mit dem nächsten Räumungsbefehl. Wieder waren wir auf dem Bahnhof
und wurden in einen D-Zug verladen, ohne
unser Ziel zu kennen. Der Zug fuhr – stand
und fuhr für mehr als eine Woche, die Verpflegung bestand nur aus unserem Reiseproviant. Wir landeten schließlich in Lüdershagen
in Vorpommern. In der Schule des Ortes wurden wir mit warmen Essen versorgt und
schliefen auf Stroh. Nur einige konnten in
einem richtigen Bett schlafen. Zu Fuß mussten
wir dann weiter nach Beiershagen. In einem
Behelfsheim erhielten wir ein Zimmer mit
doppelstöckigen Betten und einer Kochstelle
auf dem Flur. Bis zum 18. März 1945 durften
wir hier bleiben, dann erreichte uns der vierte
Räumungsbefehl. Wieder waren wir im Zug,
in Güterwaggons, ohne unser Ziel zu kennen.
Mit Unterbrechungen wegen Fliegeralarm
und Beschuss durch Bordwaffen, kamen wir
am 22. März 1945 ziemlich erschöpft und
hungrig an die Endstation Hoogstede. Sieben
Wochen vor Kriegsende waren wir den Wirren
des Zweiten Weltkrieges den Umständen entsprechend mit Glück und relativer körperlicher Unversehrtheit entronnen.
Endstation Hoogstede 22. März 1945
In Hoogstede wurden wir mit Essen, Brot mit
Butter und heißer Milch versorgt. Dann sollten wir aufgeteilt werden. Wir wollten gerne
zusammenbleiben; Mama, Opa, mein Bruder,
meine Schwester und ich. So kamen wir am
späten Nachmittag dieses Tages nach fünf
Monaten Flucht aus dem ostpreußischen
Gumbinnen an der Pissa auf den Hof der Familie Schepers in Kalle an der Vechte, mit den
wenigen Habseligkeiten, die man während der
letzten fünf Monate über verschiedene Stationen (immer blieb etwas zurück) mit den Händen tragen und retten konnte.
Auf dem Hof Schepers
Auf dem Hof Schepers wurde für uns auf dem
Dachboden eine Schlafgelegenheit geschaffen.
Wir schliefen auf Stroh, das von notdürftig
zusammengenagelten Brettern gehalten wurde,
71
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
unter den nackten Dachziegeln. Lediglich mein
Großvater erhielt ein eisernes Bettgestell. Als
Wohn- und Kochgelegenheit diente das Wohnzimmer der Eheleute Gerhard und Johanna
Schepers (geb. Breukelman).
Auf dem Hof Schepers lebten zu der Zeit
sechs Personen. Ein russischer Kriegsgefangener arbeitete in der Landwirtschaft mit. Die
Kriegsgefangenen, die auf verschiedenen
Höfen tagsüber arbeiteten, waren in der alten
Kaller Schule untergebracht.
Durch Mithilfe bei den Arbeiten auf dem
Hof verdienten wir unsere Unterkunft und
Essen. Opa hackte Holz, Mama wusch Milchkannen und Wäsche. Meine Schwester half
auch auf dem Hof und in der Küche im Gefangenenlager Bathorn.
Hedwig, Mutter Auguste und Bruder Gerhard Liedtke vor
dem Haus Schepers, um 1948. (Schepers)
Einkaufen, Schule und Kirche
Es war schon ein großer Unterschied, zwischen
der Kreisstadt Gumbinnen und der Landgemeinde Kalle. In Kalle gab es einen einzigen
kleinen Laden, das Geschäft „Soer“ (heute Gaststätte Hesselink) an der Wegekreuzung Hoogstede-Wilsum. Um nach Hoogstede zu kommen,
mussten wir entweder über den kleinen Vechtesteg nach Arkel oder über die Holzbrücke in
Tinholt gehen. Es gab keine befestigten Wege
und nur teilweise elektrisches Licht. Auch die
Umgangssprache „plattdeutsch“ war für uns
fremd und führte zu einigen „Verständigungsschwierigkeiten“.
Mein Bruder musste in Kalle zur Schule
gehen. Lehrer war zu der Zeit ein Herr Koring
und seine Tochter Marga war Schulhelferin.
Erst nach Kriegsende fiel für ein halbes Jahr
die Schule aus und begann am 28. August
1945 erneut unter der Lehrerin Ilse Hartmann.
Frl. Hartmann war wie wir lutherisch. Sonntags gingen wir oft gemeinsam zu Fuß zu den
Gottesdiensten, die in der reformierten Kirche
in Hoogstede für „Lutheraner“ von Pastor Nitsche gehalten wurden.
Haushalt, Landwirtschaft und Moor
Ich selbst arbeitete nach kurzer Zeit als Haushaltshilfe bei der Familie van Faaßen (Cousin
der Familie Schepers) im Kaller Feld (heute
Hof Hindrik Speet). Im Kaller Feld gab es kein
elektrisches Licht und wie in ganz Kalle gab es
nur Sandwege, Heide und Feuchtwiesen. Jeden
Tag bin ich zu Fuß dorthin gegangen, morgens hin und abends zurück. Neben allgemeiner Hausarbeit und Feldarbeit wurde im
Frühsommer im Bathorner Moor Torf gestochen. Mit dem Fahrrad (ab und zu mit Pferd
und Wagen) fuhren wir ins Moor. Als Verpflegung gab es Pfannkuchen, Eier, Brot und
Speck. Der Weg führte über die Holzbrücke
von Tinholt nach Hoogstede und dann über
Sandwege bis ins Moor bei Bathorn.
Langsam normalisierte sich das Leben und
wir gewöhnten uns an unsere neue Heimat.
Dazu gehörte, dass die provisorische Bleibe
ausgebaut wurde und nach und nach Dinge
des täglichen Bedarfs angeschafft wurden. Ein
großer Verlust war der Tod meines Opas im
72
KALLE
Februar 1947. Ebenfalls 1947 heiratete meine
Schwester ihren ostpreußischen Verlobten, der
1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, in der reformierten Kirche in Hoogstede
und zog dann nach Osnabrück. Meine Mutter
und mein Bruder wohnten bis 1961 bei der
Familie Schepers. Mein Bruder heiratete 1961
und zog nach Hoogstede. Er nahm meine Mutter mit, die bis zu ihrem Tod 1962 bei ihm lebte.
1950er Jahre
Bis 1950 war ich bei der Familie van Faaßen
im Haushalt, den ich nach dem Tod der Ehefrau und Mutter 1947 bis zu seiner erneuten
Heirat führte. Danach arbeitete ich im Kaufhaus Fühner in Emlichheim als Verkäuferin.
Im Mai 1954 wurde ich die Ehefrau von Gerrit Jan Schepers, dem jüngsten Sohn der Familie Schepers, die uns nach der Flucht
aufgenommen hatte. Unseren eigenen Hausstand gründeten wir in unserem neuen Haus
ebenfalls in Kalle. Seitdem gehöre ich zur altreformierten Kirche in Hoogstede und habe
einen festen Platz in meiner neuen Heimat gefunden.
Heimatvertriebene in Kalle nach 1945
Von Hedwig Schepers, Herbert Ensink
und Dini Wortelen
1. Ehepaar Neumann aus Ostpreußen
wohnten in der alten Schule mit Tochter
(verheiratet Gnass) mit Mann, Edith und
Erwin,
2. Ehepaar Lendzian wohnten bei Lobbel
2 Söhne Walter und Otto wohnten
in der neuen Schule,
3. Frau Anna Grotzky und Mann mit Sohn
Günter wohnten zuerst bei Wortelen in
Bahne, dann bei Hermann Wortelen, Kalle,
4. Frau Hagel mit 3 Söhnen und 1 Tochter
wohnten bei Albers, heute Hof Baumann,
5. Frau Anna Marksteiner und Rudolf
Pf(F)eiler wohnten bei Kleine-Lambers,
heute Hilberink,
6. Frau Bleihöfer und Tochter Magda
(Tochter – als Aushilfe bei
Hermann Wortelen) wohnten
bei Lübbers (heute Meyerink),
17. Herr Herbert Fleischmann und Herr
Werner Lorenz wohnten erst bei Bauer
G. J. Groene, danach in der alten Schule
(Nachfolger von Ehepaar Neumann),
18. Frau Lydia Hegenbarth wohnte bei
H.-J. Groene, heute Arends Koppeldiek,
19. Frau Samuleit und Sohn Rudi
wohnten bei Heckhuis,
10. Frau Schwarz mit 2 Söhnen, danach
Ehepaar Derjung mit Sohn, Tochter war
bei Heckmann, anschließend Frau Vera
Pilz aus Polen (gehörte zu den Jehovas
Zeugen), wohnten bei Speet, Bahne,
11. Frau Selma Nickel und Mann mit Sohn
Erwin und Tochter Erika
Vor Nickel war eine Mutter mit Tochter
Grete da, (Name ist unbekannt), wohnten
bei Geers, Bahne (Erwin war lange Zeit
B-Soldat bei Geers),
12. Frau Helene Maurieschat und Tochter
Maria (kamen 1945), wohnten bei Dietrich Plasger. Die Tochter war schon bei
ihrer Ankunft schwer an Krebs erkrankt
und starb nach sechs Wochen. Sie wurde
in Emlichheim beigesetzt. Später zog
Helene zu ihren Töchtern ins Ruhrgebiet.
13. Herr Willi Kesselhut
wohnte bei Lübbers (heute Meyerink)
und war als B-Soldat eingesetzt.
Später folgten seine Eltern Karl
und Minna Kesselhut mit Sohn Erich.
Nach einigen Monaten zogen sie
in die Emlichheimer Weusten,
wo Minna als Haushälterin
bei Familie Koers arbeitete.
13. Familie Hoffmann
wohnte bei G.J. Groene,
und 2 Söhne (Herbert und Friedel)
wohnten bei Jan-Harm Teunis.
14. Frau Rudat und Sohn (der Mann
war bei der Regierung in Osnabrück
beschäftigt) wohnten bei G.J. Groene.
Sie zogen 1947 nach Osnabrück.
15. Frau Auguste Liedtke
mit Sohn Gerhard
und 2 Töchter Lieselotte
und Hedwig (heute Schepers)
und Opa Liedtke,
wohnten bei Gerhard Schepers.
73
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Die Gründung
der Kaller Siedlung um 1950
Dini Wortelen
Über fast die ganze spätere Kaller Siedlung erstreckte sich bis 1950 eine öde Landschaft mit
viel Heide und wildem Gras. Das Moor war
einen halben bis einen Meter tief und von einzelnen gefährlichen Moorkuhlen durchzogen.
Bis in die 1930er und 1940er Jahre kamen
Menschen aus den umliegenden Ortschaften
Kalle, Tinholt, Wilsum und Haftenkamp hierher, um Grassoden (Plaggen) zu stechen. Kinder mussten die Soden umlegen, damit sie
trockneten. Diese Soden wurden anstelle von
Stroh in die Viehställe eingebracht. Von dort
aus wanderten sie als Dünger auf den Acker,
die Esche oder Kämpe. Sie sind durch diese
Art der Düngung im Laufe der Jahrhunderte
immer höher geworden.
In der späteren Kaller Siedlung weideten
früher die Schafe der umliegenden Höfe in der
Heide unter Aufsicht der Schäfer. Einige Heideflächen waren das Koffiegat, das Teegat, das
Plaggengat, Egbers Venne oder der Fettpott.
Kleine Flächen dieses Gebietes gehörten
einzelnen Landwirten, der größte Teil war
Markengrund (also allgemeiner Besitz der Gemeinde) oder später Staatseigentum.
74
Um 1950 wurde das Ödland kultiviert. Ein
Ottomeyer-Pflug pflügte den Boden bis zu
zwei Meter tief um. Der Pflug wurde zwischen
zwei Dampfmaschinen (Lokomotiven) mit
einem Drahtseil von einem Ende des Feldes
zum anderen gezogen.
1950/51 legte man Wege und Entwässerungsgräben an. Ein- bis eineinhalb Meter
Moor musste zuerst mit der Schaufel abgegraben und auf Loren abtransportiert werden.
Die Gräben wurden teils im Akkord ausgehoben. Ein Teilstück wurde morgens abgesteckt;
wenn es fertig war, hatte man seinen Lohn
verdient. Eine Arbeitswoche zählte 48 Stunden.
Diese Arbeiten führten die Firmen Schneider,
Schoemaker und Holzmann aus.
Es wurde bekannt, dass in Kalle neue Siedlerstellen errichtet werden sollten. Interessenten konnten sich beim Kulturamt in Meppen
bei einem Dr. Schulte melden und bewerben.
Der sah sich die „Bewerberhöfe“ an, was sie
an Vieh und Maschinen hatten, und ob sie für
die bereits errichteten Siedlerstellen geeignet
wären. Familie Voß erhielt am 22. Mai 1954,
genau am 50. Hochzeitstag der Eltern, eine
Zusage. Sie zog am 17. Juni 1954 in ihr neues
Haus ein.
Ottomeyerpflug (Aus „Alt-Hoogstede“)
KALLE
Der Hof Vos in der Kaller Siedlung um 1955/56 (Dini Wortelen)
1953 war schon eine ganze Reihe von
Siedlerstellen fertig. Breman, Koschnik, Robbert, Roseman, Teunis und Wegert zogen 1953
ein. 1954 folgten sieben weitere Familien: Baggert (heute Magritz), Büter, Esschendal, Herms,
Rex (heute Wehner), ter Horst und Voß.
1955 kamen schließlich die Höfe Bergmann,
Dünow und van Faassen (heute Arends) und die
Kleinsiedlerstelle Wever (heute Germs) dazu.
Wever arbeitete beim Kulturamt Meppen, das
zu diesem Zeitpunkt eine Nebenstelle auf dem
Hof von Hilse errichtet hatte, damals noch Jansen. Dr. Schulte hatte hier auch sein Büro.
Die Landwirte, die eine Zusage hatten,
konnten in fertige Häuser einziehen. Die kul-
tivierten Flächen waren schon mit Gras, Kartoffeln und Getreide bestellt. Jeder Siedler
bekam die gleiche Flächengröße von jeder
Frucht zugeteilt. Die Siedler mussten vom Einzug an jedes Jahr einen kleinen Betrag an das
Kulturamt Meppen entrichten, sodass die
Stelle im Laufe der Zeit Eigentum werden
konnte. Um 1961 wurden die Sandwege in der
Kaller Siedlung zu Straßen ausgebaut.
In der Kaller Siedlung entspringt der Radewijker Bach, der die Siedlung entwässert. Er
fließt durch Wilsum, Wielen und danach weiter durch Radewijk in den Niederlanden. Er
mündet in die Vechte.
Hof Büter in Kalle
um 1960 mit sieben
Getreidemieten
(Günter Büter)
75
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Der Vechtesteg Kalle-Arkel
(etwa 1946 bis 1961)
Von Dini Wortelen
Früher – kaum jemand war damals motorisiert –
ein Steg von Kalle nach Arkel führt;
nicht aus Beton, sondern aus dicken Eichenbrettern.
Hinüberzugehen glich mehr einem Klettern.
Der Steg bedeutete den Menschen viel,
suchten sie am anderen Ufer der Vechte ihr Ziel.
Hatte man Glück, gab es ein Fahrrad im Haus,
sonst ging man zu Fuß in Klumpen hinaus.
Der Steg war nicht wirklich sehr breit.
Man ging hintereinander, nicht zu zweit.
Einseitig ’ne Latte – mehr gab es nicht,
das reichte den meisten fürs Gleichgewicht.
Oben und unten:
Vechtesteg Kalle-Arkel, 1956 (Gerrit Ranft)
Durch die Vechte verlief die Furt neben dem Steg
für Pferdegespanne – ein beschwerlicher Weg.
Fröhliche Kinder spielten sommers im Fluss.
Heute fährt man kilometerweit mit dem Autobus.
Flussabwärts bei Bahne – von Arkel nicht weit,
gab’s noch einen Steg; so sparte man Zeit,
den Weg nach Arkel und Ringe zu geh’n.
Nur leider war es sehr unbequem.
Vor fünfzig Jahren dann eine richtige Brücke
für Kalle – bei Bahne schloss sich viel später die Lücke.
Von vielen Radfahrern wird die dort benutzt;
aber Autofahrer halten verdutzt.
Hier heißt es für sie: Rückwärtsgang rein!
Drüberfahren darf nicht sein!
76
Neue Fahrradbrücke bei Bahne,
seit 1999 (Jan Hindrik Teunis)
KALLE
Straßenbau
Von Dini Wortelen
Wasserfreie Straße beantragt in 1931
Eingabe der Einwohner von Arkel
„Wir Unterzeichneten haben im Winter überaus schlechte Wegeverhältnisse. Bei einer
geringen Überschwemmung steht unser Hauptweg unter Wasser, und Arkel ist einer Insel
gleich. Hier haben wir zur Zeit sieben schulpflichtige Kinder, die dann oft wochenlang mit
dem Fuhrwerk durchgefahren werden müssen.
In Krankheitsfällen kann dann kaum ein Arzt
nach hier kommen. Bei mäßigem Frost, wenn
das Eis nicht hält, und der Weg auch mit
Führwerk nicht passiert werden kann, ist es
schon vorgekommen, daß Kinder auf dem
Bahndam zur Taufe getragen wurden. Die Eltern mussten sich also nicht nur der Strafe,
sondern auch der Gefahr aussetzen. Sollte in
solcher Zeit eine Beerdigung stattfinden müssen, so wären wir in größter Ver-legenheit. An
eine Milchlieferung an die Molkerei im Winter ist nicht zu denken. Auch hat der Handel
viel darunter zu leiden, da oft ein Viehtransport unmöglich ist und die Händler dann zurück bleiben müssen. Selbst der Schornsteinfeger hat das vorige Mal nicht fegen können,
weil der Weg nicht passierbar war. Ähnliche
Fälle könnten wir wohl viele anführen. Früher konnten wir per Kahn Hoogstede erreichen, das ist jetzt unmöglich, da die Wiesen
mit Stacheldraht durchzogen sind.
Von seiten der Gemeinde ist schon viel zur
Linderung der Not geschehen, aber es bleibt
dieselbe Lage. Da wohl kaum ein Ort der ganzen Grafschaft so schlechte Wegeverhältnisse
hat, erlauben wir uns, eine wasserfreie Straße
zu beantragen.
Arkel, den 21. März 1931
gez. J. Jeurink, J. Scholten,
G.J. Scholten, J.W. Warmer“
Aus einer „Denkschrift über die Verkehrsverhältnisse im
Kreise Grafschaft Bentheim, herausgegeben vom Ausschuß
für Verbesserung und Neuanlegung von Straßen und Wegen
in der Grafschaft Bentheim“.
Als Manuskript gedruckt, Nordhorn, August 1931.
Die Straße nach Arkel steht auch heute ab und zu
einmal unter Wasser (Johann Kemkers)
Alte Vechtetalstraße 1951/53
1951 plante der Kreis eine Straßenverbindung
von Emlichheim über Kalle und Tinholt nach
Haftenkamp und Neuenhaus. Abschnittweise
wurden diese Arbeiten ausgeführt. Etwa zwei
Kilometer wurden von Emlichheim aus über
Oeveringen ausgebaut. Ein Herr Pikkemaat
aus Nordhorn, der die Jagdpacht hatte, lieferte
das Material, große Sandsteinbrocken, für den
Unterboden für die erste Befestigung. Die
Landwirte aus Kalle haben dieses Material
verarbeitet.
Man hoffte, dass man mit weiterer Unterstützung des Kreises die Straße wenigstens bis
zur Ortsmitte von Kalle weiterbauen könne,
um dadurch einen Anschluss an die geplante
Straße von Wilsum nach Hoogstede zu bekommen.
Der Straßenbau Emlichheim–Kalle wurde
erst 1953 wieder in Angriff genommen. Für
etwa zwei Kilometer wurden die erforderlichen Mittel durch Darlehen bereitgestellt, so
dass die Straße Ende 1953 bis in die Nähe der
Schule ausgebaut war. 1954 wurde die Verbindung Emlichheim–Kalle–Tinholt–Haftenkamp–Neuenhaus ganz fertig.
Wilsumer Straße 1952–1957
Die Straße Wilsum–Hoogstede ist 1952 bis
nach Kalle gebaut worden, und zwar bis zur
Gaststätte Hesselink, damals Soer.
Der weitere Verlauf musste nun erst
beschlossen werden. Die Gemeinde Tinholt
wünschte die Weiterführung durch Tinholt, um
in den Genuss einer Straße zu kommen und
77
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
September 1955, vor der Vechtebrücke in Kalle (Willy Friedrich)
von dem kostspieligen Unterhalt der Vechtebrücke befreit zu werden. Bei diesem Plan
ergaben sich aber Schwierigkeiten. Das Kulturamt Meppen wünschte eine Weiterführung
gradlinig über den „Kaller Mäss“ in Richtung
Hoogstede, um dort die Verbindung mit der bereits ausgebauten Betonstraße durch das Bourtanger Moor zu erhalten.
Schwierigkeiten im Straßenbau ergaben sich
in Hoogstede mit der Bentheimer Eisenbahn.
Sie ließ keinen neuen Bahnübergang zu, solange die Sicherheit nicht gewährleistet sei. Besichtigungen, Verhandlungen im Kreistag und
mit der Bentheimer Eisenbahn lösten einander
im Frühjahr 1955 ab. Die Weiterführung von
Kalle in Richtung Hoogstede wurde beschlossen.
Die Firma Holzmann bekam den Zuschlag.
In wenigen Monaten waren der Fahrdamm teilweise bis zu drei oder vier Meter aufgefahren,
die Vechte im Bereich der Brücke reguliert
sowie Brücke und die Betonstraße fertiggestellt.
Nur ein Sanddamm von etwa 800 Meter Länge
war noch nicht gepflastert, da sich der Boden
erst setzen musste.
Am 16. Dezember 55 wurde die neue Brücke
dem Verkehr übergeben. Regierungspräsident
N. Friemann zerschnitt das Band. Vertreter des
78
Wasserwirtschaftsamtes Meppen, des Kreises
und der Firma Holzmann, die Arbeiter und
Einwohner von Kalle und Tinholt hatten sich
an der neuen Brücke eingefunden. Die Kinder
der Schulen Hoogstede und Kalle gaben mit
Liedern und Gedichten der Stunde einen feierlichen Rahmen.
Noch hinderte der Sanddamm den Durchgangsverkehr, noch war die Blinklichtanlage
nicht fertiggestellt und der Bahnübergang
nicht freigegeben; aber für die Gemeinde Kalle
bildeten Brücke, Damm und Straße schon eine
wesentliche Verbesserung. Die Querverbindung nach Hoogstede war geschaffen. Hochwasser und Schlamm würden den Bewohnern
keine Sorgen mehr bereiten wie vorher.
Im Frühjahr 1956 wurden die Arbeiten an
der Betonstraße Wilsum–Hoogstede wieder
aufgenommen. Der Sanddamm erhielt eine
Betondecke. Am 05. September 1956 war die
Straße fertig. Man rechnete mit einer schnellen Freigabe der Querverbindung. Landkreis
und Kreisbahn wurden sich nicht einig über
die Über- nahme der Kosten bei möglichen
Verkehrsunfällen und einer eventuellen Beschrankung, falls die Straße einmal eine Bundesstraße würde.
KALLE
Einweihung Vechtebrücke Kalle 1955. Links dirigiert Lehrer Schlötel, rechts mit Hut Lehrer Friedrich Wüppen. (Willy Friedrich)
Die Bevölkerung wurde ungeduldig und
überlegte schon, Maßnahmen zu ergreifen.
Das „heikle“ Problem der Bahnkreuzung löste
sich überraschend: Am 12. Februar 1957
setzte die Kreisbahn die Blinklichtanlage in
Betrieb. Niemand erfuhr, warum das plötzlich
möglich war. Ohne „feierliche“ Übergabe
wurde die Straße freigegeben. In den Monaten
zuvor hatten die Kaller schon die Straße und
den Bahnübergang beim Hof Stroot benutzt.
Abbildung 50 September 1955 beim Bau der
neuen Brücke in Kalle (Willy Friedrich)
Regierungspräsident N. Friemann zerschnitt
das Band. (Willy Friedrich)
79
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Franzosendiek 1965–1966
Im Sommer 1965 wurde ein Teilstück des
Franzosendieks von Emlichheim bis Kalle
(Hein Wortelen) bereits fertiggestellt. Im Jahr
1966 sind die Mittel für den zweiten Bauabschnitt bewilligt und der Firma Kwade,
Groß-Ringe, die Arbeiten übertragen worden.
Schwierigkeiten bot die Kreuzung mit der Betonstraße Hoogstede–Wilsum. Man dachte zuerst an eine Über- oder Unterführung, nahm
davon jedoch wieder Abstand. Es entstand nun
eine „übersichtliche, geräumige Kreuzung“. Bis
zum Jahresende 1966 war die Straße als Pflastersteinstraße fertiggestellt. An der Kreuzung
hat es in den späteren Jahren viele Todesopfer gegeben. Sie war bekannt als „Todeskreuzung“. Erst der vor wenigen Jahren gebaute
Kreisverkehr hat hier Abhilfe geschaffen.
Hochwasser 1960/61
Im Dezember 1960 gab es eine allgemeine
Hochwasserkatastrophe. Nach der großen
Dürre im Sommer 1959 und dem Wassermangel im Frühjahr 1960 glaubten viele nicht
mehr an ein Hochwasser. Die letzte Hochwasserkatastrophe von 1946 war nur noch wenigen in Erinnerung.
Durch heftige Regenfälle stieg das Grundwasser schnell, die Vechte erhielt rasch große
Wassermengen zugeführt und trat über ihre
80
Ufer. Gewaltige Wassermassen drangen von
Neuenhaus und Esche nordwärts. Am 6. Dezember 1960 brachen die Dämme in Tinholt.
Unaufhaltsam drängten die Fluten vorwärts.
Am 8. Dezember 60 brach auch in Kalle der
Damm. Die Straße unterhalb der Schule in
Richtung Emlichheim stand unter Wasser. Nur
wenige Kinder kamen morgens zur Schule. Einige mussten sofort wieder zurückgeschickt
werden, damit sie nicht durch die Wassermassen von zu Hause abgeschnitten würden. Lehrer und Kinder beteiligten sich am Aufwerfen
von Dämmen. Vormittags konnte die Flut gehemmt werden, nachmittags brachen die neuen
Dämme und das Wasser drang weiter vor. Die
Häuser lagen wie Inseln im Wasser und mussten einzeln durch Dämme geschützt werden.
Zum Glück setzte gutes Wetter ein, sodass
die Fluten anschließend rasch wieder abzogen.
Mit solch einer Hochwasserkatastrophe hatte
niemand gerechnet. Kartoffelmieten und Roggendiemen waren in der Nähe der Häuser an
niedrigen Stellen errichtet. Der Schaden war
umso größer. „Doar häw moal weer good
Leergäld gewen“, seggt de Buren, „up`t anner
Joar weet wij wall wär, woor wij unse Mieten
maaken mött!!“
Hochwasser in Tinholt 1962, Milchkannentransport (Dini Wortelen)
KALLE
Vechteregulierung 1961–1963
Vechteregulierung
1961 (Hilde
Neuwinger)
Die Kreisverwaltung nahm danach die Vechteregulierung in Angriff. Die Hochwasserkatastrophe im Frühjahr 1961 hatte gezeigt, dass
eine vollständige Regulierung unbedingt erforderlich war. Da im Raume Emlichheim einige
Landwirte Probleme hatten mit der Landabgabe, wurde der Abschnitt Kalle zuerst reguliert.
Mit dem Brückenbau im Zuge der Betonstraße nach Wilsum war bereits 1956 ein kleiner Abschnitt der Vechte an beiden Seiten der
neuen Brücke fertiggestellt. Im Juli 1961 liefen die Arbeiten an. Für Kalle und Arkel bestand nun die Möglichkeit, die Wege in
Ordnung zu bringen. Pausenlos fuhren die
Lastwagen den ausgebaggerten Vechtesand
auf die umliegenden Wege und erhöhten sie
teilweise bis zu einem Meter. Vor den Höfen
Groene, Baumann, Ellen (Neerken) und EversLichtenborg wurde in Richtung Bahne ein
Deich errichtet, so dass das Hochwasser diesen
Bauern und ganz Kalle nicht mehr gefährlich
werden konnte.
Die Arbeiten nahmen den ganzen Herbst
in Anspruch. Die Vechtewiesen boten keinen
schönen Anblick, Lastwagen und große Sandhaufen bedeckten das Gelände, viele Naturschönheiten verschwanden. Gerade der Raum
Arkel war vorher landschaftlich ein besonders
ruhiges, anmutiges und vom Wild geliebtes
Fleckchen.
Die kleine „Notbrücke“ – eine Verbindung
von Arkel nach Kalle (siehe unter „Arkel“
„Vechtesteg“, Seite 74) – musste verschwinden. Als Entschädigung erhielt Arkel eine
Straße an der Ostseite der Vechte und damit
eine sichere Verbindung zur Betonstraße und
den Ländereien in Kalle. Allerdings wurde die
Straße nicht zu einem Damm erhöht, um ein
Überfluten bei Hochwasser zu ermöglichen.
Man befürchtete, das Flussbett könnte bei
Hochwasser die Wassermengen nicht fassen.
Auch der Winter 1961/1962 war sehr nass.
Mehrmals war die Grafschaft von Überschwemmungen bedroht. Kalle hatte nichts
mehr zu befürchten. Die neuen Dämme hielten
dem Wasser stand, die Höfe waren sicher. Für
die betreffenden Bauern gab es erstmals ein
Gefühl von Geborgenheit.
Nur Tinholt hatte noch einmal unter Hochwasser zu leiden. 1962 sollte der Abschnitt
von der Gemeindegrenze Tinholt flussabwärts
bis zur Betonbrücke in Kalle reguliert werden.
Der Straßenbau entlang der Vechte (nach
Arkel) verzögerte sich durch das Hochwasser
und eine anschließende Frostperiode.
Mit dem Beginn des Frühjahrs wurden die
Arbeiten rasch in Angriff genommen und die
Straße im Laufe des Monats März fertiggestellt. Die Straße wurde den Arkelern bis ans
Haus gelegt. Nun waren sie glücklich und zufrieden, nun lohnte sich sogar ein PKW.
Die Vechteregulierung ging 1962 weiter.
Der Bauabschnitt reichte von der neuen Vechtebrücke in Hoogstede-Kalle bis zur Grenze
von Tinholt und Scheerhorn. Das wichtigste
Problem war der Raum an der alten Brücke
nach Tinholt. Man plante den neuen Verlauf
der Vechte in Richtung „Fährmann“ (Meßdag).
Das Wohnhaus sollte verschwinden, man
wollte Meßdag im Tinholterfeld ansiedeln. Die
Verhandlungen führten zu keinem Erfolg.
81
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Man verbreiterte nun das Flussbett nach der
Hoogsteder Seite, sodass Landwirt Weuste
noch näher an die Vechte kam. Es wurde ihm
zugesichert, das Ufer so zu erhöhen und zu
festigen, dass keine Überschwemmung mehr
möglich sei.
Die alte Vechtebrücke in Tinholt war baufällig. Im Zuge der Vechteregulierung entstand
eine neue Brücke, deren Bau man noch im
Jahre 1962 in Angriff nahm. Sie sollte vom
Landkreis unterhalten werden. Darüber freute
sich die Gemeinde Tinholt.
Die Vechtelandschaft bekam durch die Regulierung ein neues Gesicht, da auch gleichzeitig die Zubringer und Gräben reguliert
wurden (Lee und Brennergraben). Die Naturschönheiten in Arkel und dem „Mäss“ in
Kalle-Tinholt verschwanden. Das Gelände
wurde abgeholzt. Gerade diese Flecken waren
vorher kleine „Oasen“ im Wildgebiet.
Der Winter brachte allgemein große Überraschungen und Schwierigkeiten. Mitte Dezember setzte strenger Frost ein und dauerte
bis Anfang März. Während dieser Zeit lag ununterbrochen Schnee. Es gab ungekannte
Schneeverwehungen. Sylvester 1963 waren
sämtliche Straßen der Niedergrafschaft geVor der Regulierung auf dem Kaller Mäss:
Hilda Kelder geb. Teunis, Jan-Harm Teunis und
Gerda Lambers geb. Teunis (Jan Hindrik Teunis)
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Die Tinholter Brücke in 1963 (Willy Friedrich)
sperrt, viele Autos steckten im Schnee fest.
Bauunternehmer wurden aufgefordert, mit
Raupen die Straßen zu räumen. Das gelang
aber nicht überall, da immer neue Schneeverwehungen einsetzten. „Dit is nen düüren Winter, nen richtigen aulerwetschen Winter,“
hörte man die Leute klagen.
Mit dem frühen Beginn des Winters musste
die Firma Diekel aus Bentheim die Arbeiten
einstellen. Sie ruhten bis Mitte März 1963.
KALLE
Erdgas in Kalle 1957
Bau der Erdgasleitung
Kalle–Ochtrup, 1978
(Willy Friedrich)
Aus der Chronik der Schule
„Erdölbohrung in Kalle!“ – das war die „Neujahrsüberraschung“ zu Beginn des Jahres
1957. In der Nähe von Landwirt Bonge errichtete man den ersten Bohrturm. Anfang
1958 wurde zwar kein Erdöl, dafür aber Erdgas gefunden. Für Kalle war das ein großes
Erlebnis. Das Gas wurde zunächst angezündet. Eine mächtige Flamme erleuchtete Tag
und Nacht die nähere Umgebung. Im Laufe
des Sommers baute man eine Gasleitung von
Kalle zum Bohrturm am Bathorner Diek.
Erdgasspeicher in Kalle
Etwa 2100 Meter unter der Oberfläche von
Hoogstede-Kalle liegt eine etwa sechzehn
Meter mächtige, poröse Sandsteinschicht. Die
Poren in dieser Schicht sind mit Salzwasser
gefüllt und eignen sich hervorragend, um Erdgas zu speichern.
Über Stahlleitungen mit einem Durchmesser von sechzig Zentimetern wird Erdgas aus
Norwegen bis nach Kalle geleitet. Durch große
Kompressoren, mit einer Antriebsleistung von
17.800 PS, wird das Erdgas mit hohem Druck
in die Sandsteinschicht gepresst. Dadurch
wird das Salzwasser aus den Poren verdrängt.
620 Millionen Kubikmeter Erdgas werden so
sicher unterirdisch gespeichert.
In einer Stunde kann die Anlage 250.000
Kubikmeter Erdgas ein- und 450.000 Kubikmeter ausspeichern. Mehr als eine Million
Haushalte und große Industriebetriebe, überwiegend in Nordrhein Westfalen, werden aus
Kalle mit Erdgas versorgt.
Der Speicher Kalle ist seit 1978 in Betrieb.
Elf Mitarbeiter aus der unmittelbaren Umgebung haben hier einen sicheren Arbeitsplatz.
Luftbild Erdgasspeicher Kalle, Frühjahr 2007, Blickrichtung Emlichheim (RWE)
83
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Bürgermeister
der Gemeinde Kalle 1917–1974
Von Dini Wortelen
Bürgermeister war in 1917 Jan Brünink
*28.09.1856 Emlichheim – †20.01.1929
Bahne und Ehefrau Hillegien geb. Poll.
1948/49–1952 Jan Evers
*18.01.1901 Kleinringe –
†17.02.1998 Kalle, verheiratet
mit Jakoba geb. Trüün
Bürgermeister Jan Evers
(Dini Wortelen)
1952–1974 Johann Schroven
*04.08.1912 Kalle – 07.06.1983
Kalle, verheiratet mit Altien geb.
Kemken
Bürgermeister Jan Brünink und Hillegien geb. Poll,
um 1920 (Dini Wortelen)
1945 Gerd Ensink (genannt Weermann)
(Laut Grafschafter Heimatkalender von 1926
war er bereits zu der Zeit als Bürgermeister im
Amt tätig) *15.08.1887 Kalle – †02.06.1947
Kalle und Ehefrau Jennegien geb. Hans
1974 erfolgte die Gemeindereform. Die bis dahin selbstständigen Orte Kalle, Tinholt, Berge und
Scheerhorn wurden jetzt mit Hoogstede in der neuen politischen
Gemeinde Hoogstede zusammengefasst.
Bürgermeister Johann Schroven
(Dini Wortelen)
Zeichnung Haus Evers
(Toomsen) von Rudolf
Oppel, Eigentum Familie
Toomsen, Kalle
(Dini Wortelen)
Bürgermeister Geert Ensink (1887–1947)
und seine Ehefrau Jennegien, geb. Hans (1989–1976)
(Geert Ensink, Kalle)
1945–1948/49
Hermann Wortelen
*16.01.1901 Bahne –
†18.03.1985 Bahne
verheiratet mit
Gesina geb. Züter
Bürgermeister Hermann
Wortelen (Dini Wortelen)
84
In diesem Haus wohnte zuletzt Familie Lichtenborg, die ca. 1963 ausgezogen ist. Seitdem
steht das Haus leer und wird von Familie
Toomsen als Wirtschaftsgebäude genutzt.
Der ehemalige Bürgermeister Jan Evers
wohnte seit seiner Hochzeit nebenan in dem
unten abgebildeten Haus. Er hat es von seinem Onkel (ebenfalls ein Jan Evers) geerbt. Es
wurde später mehrfach vermietet.
Haus Jan Evers,
jetzt Toomsen Kalle,
um 1925
(Hilde Neuwinger)
KALLE
Kaller Gemeinderat
1950/51 beim Bürgermeister Jan Evers
Von links: Wilhelm
Speet, Heinrich Pikkemaat (Jagdpächter in
Kalle), Gerhard Brüning
(genannt Büscher),
Johann Scholten, Arkel;
Heinrich Rakers, Hein
Wortelen, Hindrik-Jan
Groene, Bernd Schlee
(stehend) Jagdaufseher,
Kollege von Pikkemaat
(Dini Wortelen)
Haus Jan ter Veen
Von Dini Wortelen
Fast über Nacht oder jedenfalls ganz kurzfristig
hat Jan ter Veen sich um 1950 ein kleines
Haus von zwei mal fünf Metern auf sogenanntes „Niemandsland“ (es gehörte dem
Staat) im Kaller Feld gebaut. Es stand nahe am
Haftenkamper Diek, etwa gegenüber von Familie Groene.
Damals galt: Alles was bis zu zehn Quadratmeter Fläche gebaut wurde, brauchte
nicht genehmigt zu werden. Später hat ter
Veen den größeren Wirtschaftsteil angebaut.
Hierfür hat er die Dachziegel der alten Kaller
Schule benutzt. Seine Frau Klasina war eine
geborene Heckhuis aus Kalle. Sie lebt seit einigen Jahren im Altenzentrum in Emlichheim.
Der Niederländer Jan ter Veen ist am 25. Oktober 1994 in Neuenhaus verstorben. Er hat
längere Zeit die Milchkannen der Landwirte mit
Trecker und Wagen zur Hoogsteder Molkerei
gefahren.
Am 13. November 1972 wurde das Dach
durch einen gewaltigen Sturm sehr beschädigt, doch Jan ter Veen war bereits vorher
nach Denekamp, direkt hinter der Grenze, gezogen. Im März 1973 wurde dieser „Schandfleck“ in den Grafschafter Nachrichten aufgenommen, doch versehentlich unter Tinholt.
Zwei Tage später folgte eine Berichtigung.
Haus von Jan ter Veen,
Haftenkamper Diek,
(Dini Wortelen)
85
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Gemeindefahrt und -fest
In Kalle werden bereits zig Jahre Gemeindefahrten angeboten. Im Anfang waren sie für
Jung und Alt bestimmt. Seit 1986/87 gibt
es dann für die Jüngeren ein Kaller Gemeindefest in verschiedenen Maschinenhallen der
Landwirte. Meistens hilft die umliegende
Nachbarschaft beim Säubern, Schmücken und
Bedienen beim Fest.
Seit 2007 gibt es zusätzlich einen „Altennachmittag“ in der ehemaligen Kaller Schule
für diejenigen, die nicht mehr an der Fahrt
teilnehmen können.
Kaller Gemeindefahrt
etwa 1968-70,hinten
links: Jan und Klasina ter Veen, mitte
links: Altien Schroven, vorne links:
Mina Herms, rechts:
Johann Schroven,
daneben: Janna und
Hindrik-Jan Groene
(Dini Wortelen)
Altes Haus von Teunis. Hindrik-Jan Teunis, geboren am 21.07.1824 in Emlichheim, hat etwa 1850 die kleine Hofstelle von
Weermann (heute Ensink) erworben. In einer Viehzählung aus dem Jahre 1707 heißt das Haus „Weermanns Schüre“. Von
Süden gesehen stand sie direkt vor Weermann. Sie wurde im Jahre 1945 abgebrochen. (Jan Hindrik Teunis)
Wottel Harm vertelld
Johann Kemkers
Unter der Überschrift „Wottelharm ut Tinholt
vertelt“ kursier(t)en in Haftenkamp und Gölenkamp viele Erzählungen von dem Neubauern
Geerd Völkers. Völkers wurde am 29. August8.1850 in Arkel geboren. Nach der Trauung mit Gese Assing aus Binnenborg am 24.
Mai 1883 zog er wohl zunächst dorthin (Die
Tochter Swenne, geb. 2. August 1883, wurde
86
in Veldhausen getauft als Kind der „Ackerleute
Völkers zu Binnenborg“.) Spätestens ab 1885
(Geburt des Kindes Hindrik Jan) wohnte Völkers in Haftenkamp.
Völkers zeichnet seinen Erzähler Wottelharm als einfältigen Wichtigtuer, der mit seinen hilflosen Bemühungen um hochdeutsche
Sprechweise zur komischen Figur gerät. Diesen Erzähler nennt Völkers ausdrücklich und
immer wieder „Wottelharm ut Tinholt“. Das ist
KALLE
interessant, weil Völkers als Kaller (Arkeler)
Kind sicher genau wusste, dass zu seiner Zeit
keine Wottel (Wortel) in Tinholt wohnten,
wohl aber in Kalle. Einen Harm Wortel hat es
hier allerdings nie gegeben. Durchaus möglich, dass die Zuordnung nach Tinholt anzusehen ist als Ausdruck für Nickligkeiten, die
früher gerne zwischen benachbarten Bauernschaften „gepflegt“ wurden.
Heinrich Hensen schreibt im „Bentheimer
Jahrbuch 1987“, Seite 243: „De meesten Groafschuppers kennt, denk ik, de Geschichten van
„Wottelharm ut Tinholt“ wall, de Ludwig Sager
soa moi vertäilt hef. He hef ja, as men hem
glöwt, in 1870 met de aule Käiser tehoape de
Slacht bij Sedan wunnen, en soa Infloot up de
Geschichte van de Weäreld nömmen.“
Wottelharm un den Kriegsplan
Dat was in’t joor söventig bij Sedan, s’morgens froo was’t. Et denkt mij noch soa guud,
as wan’t vandage of gistern geböörd was. Ik
was – joa, wu kwamp’t ok noch? - den dag
ordonanz bij de oule Kaiser. Se höllen net ‘nen
groten road, de Kaiser en wat sienen jungen
was, de Kronprinz, en Moltke en de andern
hogen keerls. Ik hadde net ‘nen breef kregen
van miene Geese uut Tinholt, door höörde ik
se proaten. Moltke, wat recht de baas was, dee
sä hoast niks. En ik kun d’r ok gin woord tüschen kriegen. De oule Kaiser höl net sien köppien koffie in de hand en wörmde sik de
klammen finger, - joa hee beewde wal lük, hee
was dreeunsöventig west -. Ik sä: „Herr Kaiser“, sä ik, - de hogen sään altied van Majestät
– „laß ich Euch noch ein köppien einschenken, das wörmt von binnen!“
„Was meinst du von dem Kriegsplan
heute?“ fröög mij de Kaiser, „Wottelharm, du
bist ja auch nicht unter `ne ule(Eule) ausgebrod`t!“ Ik sä: „ Herr Kaiser“, sä ik, „ich sage:
Liek uut en recht an! Das sagen se in Tinholt,
en da müßt Ihr euch an halten!“ - „Du hast
geliek“, sä de Kaiser tegen mij. „Wottelharm,
ich muß dir geliek geven: Liek uut en recht
an.“ In’n rikketik hadden se nuw eren kriegsplan kloor. Bismarck gaf Roon de hand: „Auf
ihn!“ sä hee. Alle stünnen se nuw van de toafel up. Moltke, de hoast gin woord segt hadde,
keek sik noch eenmal siene generals un feldwebels an, door wöörd’t still. See venömmen
wal, dat de baas noch wat seggen wol en
dachden, wat sal d’r nuw kummen? En wat sä
Moltke? „Wottelharm“, sä hee tegen mij,
„Wottelharm, nuw möt’t gebören!“
Wotelharm mak’t te slimm
Et was ‘nen heten dag. Undern in de Läägde
lag Sedan en wij rund ümto. Wat de Kronprinz was, dee kwamp van de andre kante, en
nuw hadde wij de franzmann in de kniepe. De
Kronprinz kwamp de anrieden en rööp over
de bekke – de Maas was iets breder as de
Vechte bij Tinholt – he rööp: „Is da volk?“ „Zu befehl, Herr Kronprinz“, sä ik (de Hogen
mussen altied seggen: „Königliche Hoheit“,
„hier ist Wottelharm!“ - „Gut, gut, mein Sohn“,
sä hee, „ihr müdt den vijand (ndl. Feind) an
de andere kante festhalten“, sä hee, „seid
drauf verdacht!“ - „Jawohl“, sä ik, „ik sweer’s
euch, Herr Kronprinz, der vijand kommt –
mak starven, wenn er’s nicht tut – er kommmt
vandage tüschen zwei Stühle in die Asche!“
En wij kregen em tüschen twee stöle. Ik lag
den dag orig wied noa vöörn. Van alle kanten
wolln’n se noch weer uutnäjen ut de umzingelung. Ik schööt, joa, et was gin scheten
meer, et was möörden. Mien geweer was glönig, en rund üm mij to laggen de franzosen
in ere roaden buksen. Joa se laggen bij höepe.
Et wöörd mij freeslik vöör de oagen, men wat
sul’k – ik schööt alle men verdan, en anlestde
kun over den barg van doaden nich meer
overto scheten. Sweet stünd mij up de plätte.
Duw pakt mij ’ne frömde hand up de schulder.
Ik kik mij üm, en wel is’t ? De Kaiser. Vöör
schrik kun ik niks seggen. De Kaiser nömp
sien’n sabel, wees up den barg van doaden en
sä tegen mij: „Wottelharm“, sä he, „man
kann’s auch te slim maken!“ Duw bin’k uutschäidt, ik hadde ok ginne patronen meer.
Bi’n Kaiser up Vesite
Et was lange noa’n krieg. Ik hadde in Berlin te
doon. Door schööt mi’t in’t sin, dat de oule
Kaiser mij fake up vesite nöegt (eingeladen)
hadde. Nuw, vesite is völ gesegt, ik wil nich
legen, ik sul bij gelägenhäit es moal achter de
87
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
döre hen kieken. Soa hadde hee segt. - Soa
schöot’t mij dan in de gedachten: Du wis de
oule Kaiser moal upsöken. Gedacht – gedoan!
Ik kwamp an’t slot. Door stönd `nen posten,
dee sä: „Halt, wer da?“ - „Nuw“, sä ik, „sachte
an, kens du Wottelharm nich? Nä? Dan loat’t
dij vanoavend van de Kaiser vertellen!“
Door stünd d’r ok al ‘ne ordonanz, ’nen
leutnant, de fröög: „Sie wünschen?“ - „Ik sin
Wottelharm aus Tinholt in de Groafschup en
wul de Herr Kaiser sprechen“, sä ik, „er hat
mich schon fake genötigt.“ „Eure Papiere!“
Wisse, miene papiere, dee had ik in ödder, en
door mus hee vöör stoan.
Soadöenig wöörd ik meldt bij’n adjutanten, et güng van ene kamer in de andere. Antlesde smeet hee ’ne grote flögeldöre lös, soa
groot as ’ne neendöre bij uns. Den adjutant
möök meldung: „Majestät“, sä hee, „Wottelharm aus Tinholt zur Stelle“. En tegen mij:
„Majestät läßt bitten!“
Wat heb ik de oule man pleseer andoan
met mien kummen! Hee kwamp up mij anlopen: „Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, daß
du noch an mich denkst!“ En nuw güng’t an’t
froagen: „Weißt du noch von Sedan? Denkt
dich das noch? As ik dich nicht gehabt hätte
– Moltke allein hätt’s auch nicht gekonnt!
Wottelharm“, sä hee, „wie ist`s in de Groafschup? Blööjt de Kartoffels al? Wie ist’s ins
Venne? Habt ihr den Torf aus die Kuhlen?“
All’s woll hee wetten; joa, joa, hee proatde
met mij net as’n gewoon mensche. - En up’t
lesde – wij bäide was’n up’n gang an’t
wa’deln, hee klopde mij een up`t andere moal
up de schulder - antlesde fröög hee mij: „Wottelharm, hast du schon gegessen?“ Ik sä:
„Nein, Herr Kaiser, mit all die drokte ist das
dabei verbleven!“ - „Was“, sä de oule, gude
man, „Wottelharm, du hast noch nicht gegessen? Dann schick bei uns an!“ - „Herr Kaiser“,
sä ik, „ich bin man `nen gewonen buur!“ „Niks, niks“, sä hee, „bei Sedan warst du auch
man ’nen gewonen Soldat, un du hast sicher
nicht das minste getan! Du bleibst über Mittag bei uns!“ Soa proatde hee met mij, as wij
net bij de kökken langs kwammen. De Kaiser
smeet de döre lös – et röök door lekker van al
de pannen en schöttels, dat seg ’k uw! Ik keek
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de Kaiser over de schulder, door stünd de Kaiserin, ’n wit schuut vöör.
„Auguste“, rööp de Kaiser, „Wottelharm
aus Tinholt schickt heute bei uns an die Tafel!
Schmeiß d’r noch ein Kotlet mehr in die
Panne!“
Wottelharm pesserde wat
Dat Kotlet bij Kaisers hadde best smaakt, en
wij güngen in’n goren. De Kaiser wol mij
noch’n paar blöömpies föör miene Geese noa
Tinholt metgeven. De wichter van de oule
Kaiser, de prinzessen, kwammen achter uns
an. See keken mij alltied van de siede an en
glimlachden. Et wassen knappe wichter.
Bij’n mooj beet met roade blöömpies bleef
de Kaiser stoan en sä: „Wottelharm“, sä hee,
„hier hast du was für deine Geese in Tinholt!“
Ik bükde mij en plükde ’n paar. Men door
melde sik dat kotlet en den pudding en al dat
fine wark in mien’n buuk, en et pesserde wat.
Joa, joa, et pesserde wat, wat menslik is.
De Kaiser keek heel stief uut en meende:
„Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, das grummelde as die Kanonen bei Sedan!“ Men de
prinzessen, dee schreewden en juuchden’t uut.
„Herr Kaiser“, sä ik, „Herr Kaiser, et is pesseert!“ - Men doorbij keek ik jümmer noch de
gammelnden wichter an: „Herr Kaiser, wat
kan’m de kinder met `ne kläinigkäit doch ’ne
masse pleseer maken!“
Aus „Die Gläserne Kutsche“, Seite 109–111
(L.Sager)
Tinholt
Bearbeitet von Harm Grüppe, Reinhard Middendorf,
Berend-Jan Harms-Ensink, Heike Meier
Tinholt und Kalle bildeten einst eine geographische Einheit. Bereits 1312 überließ der
Bentheimer Graf Johann das Holzgericht „im
Tinholte" dem Burgmann Eylard van den
Toerne aus Uelsen. Tinholt gehört von alters
her zum Kirchspiel Arkel (Hoogstede).
Tinholt – uralte Vechtegemeinde
mit Tradition
Nachteile einstiger Abseitslage
sind dahingeschwunden
Auszug aus: Vechte Kurier, Anzeigen- und Informationsblatt der Emlichheimer Werbegemeinschaft e.V., Ausgabe Mai 1978, S.1ff.:
Lehnsregister 1346–1364
Im Lehnregister des Grafen Otto 1346–64 wird
der Ort Tinholt bereits mit aufgeführt. Es heißt
darin u: a.: „Dem Knappen Eylard van den
Toerne (welcher 1319 Burgmann auf Bentheim war) überließ der Graf zu Dienstmannsrecht die Holzgerichte zu Hilten, Gölenkamp,
Uelsen und im Tinholte." Die 14 ältesten Gehöfte der Gemeinde sind auf die uralten Ortsteile „Hundehoek“, „Grüppenhoek", „Schotthoek" und „Haidebölt" verteilt.
Schüttenhof 1765
An der sich in vielen Windungen und Krümmungen durch die Landschaft schlängelnden
Vechte wurde der Ort Tinholt vor mehreren
Jahrhunderten gegründet. Viele von hohen,
alten und knorrigen Eichen umgebene Höfe
können auf eine Jahrhunderte alte Existenz
zurückblicken. Das älteste Haus der Gemeinde
stand auf dem Gelände des ehemaligen Schüt-
tenhoffs, wo nach alter Überlieferung in früheren Jahren Recht gesprochen wurde. Der
Bauernhof ist 1765 erbaut worden und war
zuletzt von der Familie Jüngerink bewohnt.
Im Jahre 1956 wurde das 180 Morgen große
Anwesen von der Stadt Nordhorn für 65.000
DM erworben. Im Jahre 1960 wurde einem
Umsiedler aus Nordhorn (Familie Pley, Veldhauser Straße) hier ein neues Gehöft mit 57
Morgen Land zur Verfügung gestellt. Der
Umzug erfolgte im Mai 1960.
Im Holz an der Vechte
Tinholt zählte zu den zehn Gemeinden im
Holze, d. h., die zehnte Gemeinde die Anteil
hatte, an den umfangreichen Waldungen, welche einst den Niederungsmooren in diesem
Raum einen parkähnlichen Charakter gaben.
Tinholt wird hier als zehnte „Tien holt" Gemeinde angenommen und gehört damit zu den
häufigen Orten, die den Namen dem Holz entnehmen. Die Talsandlandschaft des linken
Vechteufers nördlich von Haftenkamp (im
Raume Tinholt) ist gegenüber der rechten
Uferzone in der wirtschaftlichen Entwicklung
zunächst zurückgeblieben, weil die allgemeine
tiefere Lage der westlichen Uferzone und der
höhere Grundwasserstand lange Zeit vor einer
Besiedlung in diesem Gebiet abgeschreckt
haben. Der Verkehr von Neuenhaus nach Emlichheim nahm seinen Weg am rechten Ufer
der Vechta entlang, welches höher lag und
damit trockener und besser zu passieren war.
Auf der Vechte, einstmals eine bedeutsame
Verkehrsader zwischen Nordhorn und den
holländischen Hansestädten Kampen und
Zwolle, fuhren flache Pünten und Schuten, die
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2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Postkarte der Tinholter Brücke um 1920 (Mini Büdden)
in der vorchristlichen Römerzeit einen regen
Handel und Wandel auf dem windungsreichen
Fluss vollzogen. Damals entstanden hier die
ersten Hofstellen. So hatte der Bischof von
Utrecht einst drei hörige Bauernerben in der
Tinholter Mark. Ihnen war es erlaubt, die Eichelmast zu nutzen, sofern ein gutes Eicheljahr war …
Enteignung 1937
Das rund 570 Hektar große Tinholter Venn
wurde im Jahre 1937 enteignet. Den alteingesessenen Bauern wurde bei dieser Aktion
durch den ehemaligen preußischen Staat eine
Abfindung gezahlt, die man wohl landläufig
als „Appel un Eij" bezeichnen möchte. Bis vor
etwa vier Jahrzehnten durften Ackerbürger
von Uelsen und Umgebung, Höcklenkamp,
Bauerhausen, Gölenkamp, Haftenkamp, Hardingen, Binnenborg, Hilten und Hardinghausen im Tinholter Venn ihren Torf stechen.
Allerdings nur in Form von so genannten
„Hüllen", da das Moor hier nur eine Mächtigkeit von 20 bis 50 cm vorzuweisen hatte.
Ganze Scharen von „Hüllenstecher" zogen
deshalb früher ins Tinholter Venn, welches als
Markengebiet ausgewiesen war. Anfang der
fünfziger Jahre rückten schwere OttomeyerPflüge an und brachen weite Flächen dieses
90
als Naturreservat nicht wieder zu ersetzende
Geländes um. Ein Gebiet mit einer wertvollen
Flora und Fauna ging damit den Naturfreunden und somit unserer Heimat für immer verloren. Dem Naturschutz wurden seinerzeit
noch zwei kleinere Flächen belassen, deren
Größe etwa 9 Hektar (1,6 %) ausmachten.
Doch bei den in jüngster Zeit durchgeführten
Flurbereinigungsmaßnahmen im Tinholter
Raum wurden auch diese Flächen erneut wesentlich eingeengt …
Straßenbau
Im Jahre 1890 gab es die erste feste Straße in
diesem Gebiet und zwar auf dem rechten
Vechteufer (Esche–Hoogstede), 1906 kam die
Bahnstrecke der Bentheimer Eisenbahn
ebenfalls auf dem rechten Vechteufer dazu.
Erst ein halbes Jahrhundert später rückte die
verkehrsmäßige Erschließung des Gebietes
Kalle-Tinholt mit dem Bau der Vechtetalstraße
von Hilten über Tinholt-Kalle bis nach Laar
ein gutes Stück näher. Den Anschluss an das
Kreisstraßennetz brachte im Jahre 1956 die
Querstraße von Wilsum nach Hoogstede,
deren Bau in diesem Gebiet eine Sandauffuhr
bis zu zwei Meter erforderte und im Raum
Hoogstede-Bathorn gewaltige Moorauskofferungen vorangehen ließen. Der Ausbau des
T I N H O LT
Haftenkamper Diek als eine superschnelle Verkehrsverbindung zwischen den Orten Neuenhaus und Emlichheim nach den einstmals von
den Franzosen gefassten Plan (Franzosendiek)
ließ die Nachteile einer bisherigen Abseitslage
der Gemeinde weiter dahinschwinden.
Vechteregulierung 1962 bis 1964
Im Sommer 1962 bewegte sich die Vechteregulierung im Raum Hoogstede-Tinholt (Leeeinmündung). Es handelte sich um den fünften Bauabschnitt dieses Millionenprojektes
von der Betonbrücke im Zuge der Straße Wilsum–Hoogstede bis zur Einmündung der Lee
bei Scheerhorn. Insgesamt drei Durchstiche
waren in diesem Gebiet erforderlich. Die mustergültig ausgebaute Vechte erhielt hier eine
Sohlenbreite von 17 Metern. Die alte, sehr stark
baufällige Holzbrücke, die 1870 den bisherigen Fährverkehr als Übergang von und zum
Kirchdorf Hoogstede ersetzt hatte, nunmehr
aber keineswegs mehr den Anforderungen des
zunehmenden Verkehrsumfanges gewachsen
war, wurde im Zuge der Regulierungsarbeiten
durch einen modernen Betonübergang ersetzt.
Mit dem Bau des großen Tinholter Vechtestauwerkes oberhalb der Leeeinmündung ist
Ende August 1964 begonnen worden. Es handelt sich um eines von mehreren Stauwerken,
die künftig dazu dienen sollen, das Wasser der
Vechte zu regulieren, um es besser als bisher
der Landwirtschaft und der Industrie dienstbar
zu machen.
Trotz Vechteregulierung und Flurbereinigung bieten sich dem Naturfreund in Tinholt
noch eine Fülle landschaftlicher Schönheiten.
An tot geglaubten Vechtearmen und Kolken
findet man noch ein mannigfaches Dorado
seltenen Tier- und Pflanzenlebens …
Gute Nachbarschaften
Das Miteinander und Füreinander einer gut
florierenden Nachbarschaft in ländlicher
Atmosphäre wird in Tinholt seit Jahren traditionsgemäß mit einem zünftigen Gemeindeabend auf dem Hofe Slikkers gefeiert. Bürgermeister Jan Harms-Ensink, der dieses Amt
1955 von Jan Jonker übernommen hatte und
bis zur Gemeindereform im Frühjahr 1974 im
Amt war, zeichnete als Initiator für diese fröhlichen, die Gemeinschaft fördernden Abende
verantwortlich. Als seinerzeit die Verwaltungs
und Gebietsreform sich anbahnte, feierte man
unter dem Motto: „Will man gemeinsam uns
verwalten, der Geist von Tinholt bleibt erhalten!" …
Vechte, Fähren und Brücke
Tinholter Arbeitskreis
Rettung der Vechte-Brücke Winter 1945
Die alte Holzbrücke über die Vechte in Tinholt
war 1945 durch auftreibende Eisschollen gefährdet. Das Treibeis bildete einen Rückstau
in einer Länge von etwa hundert Meter. Das
Wasser staute sich über einen Meter hoch.
Durch den Druck vom Eis drohte die Holzbrücke zu zerbrechen. Die Tinholter sahen
keine Möglichkeit, das Eis zu zerstören. Auf
Bitten der Gemeinde kamen einige Besatzungssoldaten aus Nordhorn und sprengten das Eis.
Innerhalb einer Stunde war die Gefahr gebannt.
1946 wurde Tinholt von einem Hochwasser
bedroht. Einige Betriebe an der Vechte wie
z. B. Ensink oder Van Ringe sind evakuiert
worden.
Willy Friedrich über Brücke
und Vechte (GN 12.03.1960)
Die Vechte war bereits in der Römerzeit ein
wichtiger Transportweg für allerlei Waren. Die
Vechte wurde lange Zeit bei Kuite in Tinholt
mit Fähren überquert. Bei Middendorf in Tinholt gab es eine fürstliche Fähre. Sie diente
dem Fürsten zum Überqueren der Vechte, da
ihm der Umweg über Hoogstede zu weit war.
Erste Vechtebrücke 1870
Die erste Vechtebrücke wurde 1870 gebaut.
Slikkers, Ensink und Van Ringe lieferten das
Holz. Nicht alle Bauern wollten sich beteiligen. Die Brücke entsprach nicht den Erwartungen. Der Holzbelag nutzte schnell ab und
die Stützen boten bald nicht mehr die nötige
Sicherheit. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde
das Brückengeld von Harms Fritz (heute Kuite)
kassiert. Das Brückengeld wurde zweimal
jährlich einkassiert. Ein einfacher Weg kostete
vierzig Pfennig und Hin- und Rückweg sechzig.
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2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Tinholter Moor
Zeitung und Anzeigenblatt 1915
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim
(Bearbeitet von Johann Jeurink)
Tinholt, 22. Januar 1915 Das Tinholter Moor
Im letzten Frühjahr kam ich auf meiner Dienstreise von Emlichheim nach Uelsen durch eine fast
unabsehbare moorige Heidegegend. Beinahe beängstigend wirkte diese weite öde Landschaft,
über welche sich der blaue Himmel wie eine erhabene Kuppel ausspannte. Weit und breit suchte
das Auge vergeblich nach einem grünen Baum
oder Strauch. Nur einige Kiebitze und Heidelerchen schienen hier die einzigen Bewohner zu sein.
Lange mochte ich sinnend gestanden haben, um
mich den stillen Reizen der seltenen Umgebung
hinzugeben, als ich durch ein leises Geräusch hinter mir gestört wurde.
Ein schlichter Landmann entbot mir einen
freundlichen Gruß. Ich fing ein Gespräch mit meinem Reisegefährten an und äußerte meine Verwunderung darüber, dass sich bis auf die heutige
Zeit noch so weite, vollständig unbebaute Flächen
hätten erhalten können, da nach meiner Ansicht
der Boden für Kulturzwecke sehr geeignet erscheine.
Diese Worte lösten dem biederen Alten die
Zunge. „Diese Fläche“, begann er, „heißt das Tinholter Moor. Mit geringer Arbeit und wenig Kosten wäre aus der Gegend ein Paradies zu
schaffen, da die Bodenverhältnisse nach Gestalt
und Beschaffenheit die denkbar günstigsten sind.
Tausende würde das Land ernähren und ein großes Gemeinwesen erblühen können. Aber ein
Fluch ruht auf dieser weiten Ebene.“
Gerade diese letzten Worte machten mich neugierig, und als ich meinen interessanten Begleiter
bat, mich hierüber näher aufzuklären, fuhr er fort:
„Zwar gehört dieser Boden den Gemeinden Tinholt und Wilsum, aber seit unerdenklichen Zeiten
gewinnen die hier umliegenden Ortschaften, namentlich des Kirchspiels Uelsen, ihren Torf zum
Brennen. Brennsoden dürfen, um die Torfbildung
nicht zu hindern, hier nicht gestochen werden, wir
Bauern haben das Recht, diese ohne weiteres fortzuholen.
Während aber in meiner Jugend zur Zeit des
Frühjahrs durch die Torfgewinnung vieler Bauernschaften sich hier ein reges Leben entwickelte,
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ja nach Feierabend die Torfstecher in großen
Trupps singend in die Ortschaften zurückkehrten,
sehen sie die Gegend hier jetzt völlig menschenleer und verlassen. Die Fläche ist nämlich abgetorft, und infolge der besseren Entwässerung ist
das Torfmoos vertrocknet, so daß die Torfbildung
aufgehört hat. Nun hat kein Mensch mehr Nutzen
von diesem Flecken Erde. Kulturzwecken kann sie
nicht dienstbar gemacht werden, weil die alten
nutzlosen Torfstichrechte wie ein Fluch darauf lasten, die selbst einer Markenteilung hemmend im
Wege stehen. Wie schwer – wenn überhaupt möglich – würde es sein, diese Rechte abzufinden!“
Dann blieb mein Begleiter stehen und spähte
in die Ferne. Er bat mich, einen Augenblick zu
warten und ging etwa 100 Schritte vom Wege ab.
Als er zurückkam, wurde er von schreienden Kiebitzen verfolgt. Schmunzelnd zeigte er in seiner
Mütze vier bunte Kiebitzeier, die er mir mitgab mit
den Worten: „Das ist jetzt der ganze Jahresertrag
dieses Landes, das ein Garten Gottes sein könnte!“
Oft habe ich an das Paradies im Dornröschenschlaf denken müssen.
Besonders lebhaft beschäftigt es in letzter Zeit
meine Gedanken, nachdem die Regierung aus dem
von dem Landtag geforderten Kredit von 1½ Milliarden einen erheblichen Betrag für die Organisation der Kriegsgefangenenarbeit in Aussicht
genommen hat. Sie war dabei von dem besten
Wunsche beseelt, große Kulturarbeiten, Flußregulierungen (Vechte?) Urbarmachungen und neuen
Anbau von Brotgetreide und Kartoffeln besorgen
zu lassen.
Sollte nicht das Tinholter Moor ein geeignetes
Arbeitsfeld für die nutzbringende Tätigkeit unserer Kriegsgefangenen sein, wo sie Wege anlegen,
den Boden bearbeiten und mit Früchten bestellen
könnten? Gewiß recht sehr! Nur muß sich erst ein
Prinz zeigen, der sich für das schlafende Dornröschen interessiert, die Stachelhecke veralteter
Rechte beseitigt und es aus seinem tiefen Schlummer aufweckt. Wenn dann im Mittelpunkte der
Niedergrafschaft diese weite Einöde sich zu einem
blühenden Gefilde entwickelt hat, in dem sich
Bauernhof an Bauernhof reiht, dann trägt dieser
Kulturfortschritt zum Zusammenschluß der zerfetzt liegenden Teile der Untergrafschaft bei und
beseitigt die Möglichkeit, in der Entwicklung hinter der Obergrafschaft zurückzubleiben.
T I N H O LT
„Tinholter Brücke“ Gemälde von Polizist A. Leipner, 1965. Original bei Fam. Harms-Ensink, Tinholt
(Gerrit Jan Beuker)
Da Slikkers, Ensink und van Ringe das Holz geliefert hatten, entfiel für sie die Brückengebühr.
Die Brücke wurde auch von Kallern und Haftenkampern genutzt. Um die Brückengebühr
zu umgehen, wurde im Sommer zum Viehtrieb und mit leichten Wagen eine Furt in der
Vechte bei Koelmann vorgezogen. Es gab da-
mals einige Landwirte, die sich grundsätzlich
weigerten, die Brücke zu passieren. Sie wollten weiterhin mit „ihrer" Fähre ans andere
Ufer gelangen.
Im Zuge der Vechteregulierung wurde die
Holzbrücke 1964 durch einen Betonübergang
ersetzt.
Moorkultivierung, Elektrifizierung,
Gemeindefest
Die ersten Bemühungen um die Kultivierung
des Tinholter Venns gehen auf die Jahre vor dem
Ersten Weltkrieg zurück. Sie konnte aber erst
nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Emslanderschließung realisiert werden. Auf den
ehemaligen Flachmoorflächen, für die sogar
die Bürger aus Uelsen verbriefte Torfstichrechte
besaßen, wogt heute Getreide, stehen prächtige Kartoffeln und weiden große Viehherden.
Kinder auf der Tinholter Brücke 1960. Die Kinder
der Familien Sentker und Günnemann überqueren die
Tinholter Brücke, unterwegs von der katholischen
Volksschule Hoogstede. (Willy Friedrich)
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2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Grafschafter Nachrichten
07.05.1964,
Neue Vechtebrücke
in Tinholt
Elektrifiziert wurde die Gemeinde Ende der
20er bis Anfang der 30er Jahre. Seit Mitte der
Fünfziger Jahre wird das Tinholter Gemeindefest gefeiert. Alljährlich treffen sich 130 bis
150 Tinholter, um in gemütlicher Runde zu
essen, zu trinken und zu feiern. Anfangs traf
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man sich auf den Dielen verschiedener Höfe.
In den letzten Jahren findet das Gemeindefest
in der Werkstatt der Firma Meyerink statt.
Auf dem Tinholter Gemeindefest etwa 1965. Hindrik-Jan
Slikkers 1911-1995, Gerhard Staelberg 1883-1983,
Jan Harms-Ensink 1907-1998 und Maria Middendorf
geb. Staelberg 1921-2000. (Berend-Jan Harms-Ensink)
T I N H O LT
Bürgermeister von Tinholt
bis 1925 Johannes Arnold Meyerink
1925 bis 1955 Albert Ensink
geb. am 18.11.1885
gest. am 25.03.1955
verh. mit Gesien geb. Hannebrook
1955 bis 1956 Jan Jonker
geb. am 17.09.1895
gest. 25.04.1971
verh. mit Gesina geb. Laarmann
1956 bis zur Gemeindegebietsreform 1974
Jan Harms-Ensink
geb. am 08.10.1907
gest. 12.10.1998
verh. mit Johanna geb. Jürriens
Bürgermeister Jan Harms-Ensink 1956–1974
Bürgermeister Albert Ensink 1925–1955
Bürgermeister Jan Jonker 1955–1956
„Jürries Jan“, Jan Harms-Ensink,
Bürgermeister von Tinholt
Johann Kemkers
Gleich wie viele andere Männer seiner Zeit hat
Jan Harms-Ensink als Bürgermeister einer
kleinen Landgemeinde sich in jahrzehntelanger Amtsausübung um seine Gemeinde verdient gemacht. Dass er über die Grenzen der
Gemeinde Tinholt hinaus in vielen wichtigen
Ehrenämtern Verantwortung übernommen hat,
zeichnet ihn besonders aus.
Jan Harms-Ensink wurde 1907 auf dem
Scholtenhof in Scheerhorn geboren. Seine Eltern waren Jennegien Scholte und Berend-Jan
Harms-Ensink, der von dem Hof Harms-Ensink in Bathorn stammte.
Jan H.-E. wuchs auf dem elterlichen Hof
auf und besuchte die in unmittelbarer Nähe
gelegene Volksschule Scheerhorn. Nach der
Schulentlassung arbeitete er auf dem elterlichen Hof. Als er 1935 die einzige Tochter des
Hofbesitzers Jürriens in Tinholt heiratete, begann seine Geschichte als „Jürries Jan van
Tinholt“.
Nach vorübergehender kommunalpolitischer Tätigkeit in den 40er Jahren wurde er
1955 wieder Ratsmitglied und schon ein Jahr
später auch Bürgermeister. Erst als die Gemeinde Tinholt 1974 ihre kommunale Eigenständigkeit verlor, endete seine Tätigkeit als
Vorsteher der Gemeinde. In dem Rat der neu
gebildeten Gemeinde Hoogstede setzte er
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2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
seine politische Arbeit auf Ortsebene bis 1986
fort, um dann im Alter von 79 Jahren als „Ehrenratsherr“ in den politischen „Ruhestand“
zu gehen.
Neben seiner Bürgermeistertätigkeit und
teils in Verbindung damit übte er verschiedene
andere Ämter in der Gemeinde aus, unter anderem als Vorsitzender des Schulzweckverbandes Kalle-Tinholt; als Vorsitzender der
Jagdgenossenschaft Tinholt; als Vorsitzender
der Teilnehmergemeinschaft Flurbereinigung
Tinholt.
Jan Harms-Ensink wirkte weit über die Gemeindegrenzen hinaus: Mit der Gründung der
Samtgemeinde Emlichheim 1974 übernahm er
auch dort ein Ratsmandat bis 1986. Zwölf
Jahre (1964–1976) gehörte er dem Grafschafter Kreistag an und arbeitete in verschiedenen
Ausschüssen (Finanzen; Planung, ...).
Über den politischen Bereich hinaus engagierte sich Harms-Ensink immer auch im sozialen Bereich und wirkte hier vornehmlich in
der Organisation des VdK. Vom Vorsitz in der
Ortsgruppe Hoogstede (1954) führte sein Weg
über das Amt des stellvertretenden Kreisvorsitzenden (1960) schließlich zum Vorsitz im
Kreisverband Grafschaft Bentheim des VdK
(1966 –1986). In dieser Zeit (1972) wurde ihm
auch das Amt eines ehrenamtlichen Richters
am Sozialgericht in Osnabrück angetragen,
das er jahrelang ausgeübt hat.
Jan Harms-Ensink 1907-1998, „Jürries Jan”
(Mini Büdden)
Im Oktober 1985 wurde Jan Harms-Ensink
„in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste“ mit dem
Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Damit wurde er für sein
Lebenswerk geehrt, das weit über seine Heimatgemeinde Tinholt hinausreichte.
Aber in Tinholt hatte nicht nur alles seinen Anfang genommen, hier fühlte er sich
auch lebenslang fest verwurzelt. Er war einer
von ihnen – so empfanden die Tinholter und
so verstand er sich auch selber. Jan HarmsEnsink starb am 12. Oktober 1998 in seinem
Haus in Tinholt.
In Erinnerung bleibt ein Mann, der mit festen Zielsetzungen und Sachverstand seine
vielfältigen Aufgaben anging, mit Gelassenheit auf schwierige Situationen reagierte, der
den Menschen mit Wohlwollen begegnete und
vielen ganz persönlich geholfen hat. Mit seinem sprichwörtlichen Humor trug er in manch
schwieriger Situation zur Entspannung bei
und sorgte in geselligen Runden immer für
Unterhaltung und Heiterkeit.
„Jürries Jan“ vertellt:
Met ses joar mus ok ik noa de Schoole hen. De
Schoole was bij uns net för de döre; doarüm
wüs ik ok so’n bettien wat mij verwochde.
Et was fort an ersten dag. De Meijster sä,
wij sullen uns setten. Alle Kinner setden sik
häin – man ik bleef stoan. De Meijster keek
bettien verwunnert ower siene Brille un froagde mij, warüm ik nich sitten güng. „Och
Meijster“, meende ik, „äinkliks wok mij hier
nich so lange uphollen!“
Aus dem Protokoll
des Tinholter Gemeinderates
1929 Beschluss über öffentliche Fernsprechanlage bei dem Landwirt Harm Grüppe
und beim Händler Schroven in Tinholt
1933 Der Rat beschließt den Ausbau eines
Weges von Gölenkamp, Haftenkamp,
Tinholt, Hoogstede, Bathorner Diek,
bzw. Wielen, Ratzel, Wilsum, Hoogstede, Bathorner Diek und überlässt dem
Herrn Landrat, welcher Weg ausgebaut
werden soll.
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T I N H O LT
1934
Erstmalig NSDAP im Gemeindeprotokoll erwähnt
1939
Erstmalig Hundesteuer festgesetzt
1942
Beschluss wegen Renovierung der Holzbrücke
in Tinholt, Kosten 20.000 RM, Tinholt musste
davon 2.500 RM übernehmen
14.12.1945
Im Gemeinderat wird ein Unterkunftsausschuss gewählt. Er war für die Verteilung der
Flüchtlinge zuständig
1953
Pläne für Ausbau der
Vechtetalstraße (1 km).
24.05.1957
Erster Antrag für den Bau eines Wohnhauses
in der Tinholter Siedlung
1959
Anschluss an die Zentralwasserleitung
1962
Beschluss zum Neubau der Vechte-Brücke und
der Flutmuldenbrücke
1971
Einleitung der Flurbereinigung
Hand- und Spanndienste
„Buurwarken“
„Freie Anschlagstelle“
mit Tinholter „Burwarker“ Zwier Bischop,
Manfred Steiner, Geert
Heetjans, Jan Harms-Ensink, Steven Snyders, Egbert Jonker, Jan-Hindrik
Brinkmann, Johannes
Meyerink, Lefert Klomparens, Georg Jonker, Hindrikus Hölties, Gerhard
Günnemann. Diese Tinholter haben sich zum
„Buurwarken“ zusammengefunden. Die „Freie
Anschlagstelle“ befand
sich beim Hof van Ringe
in Tinholt. Hier konnte
jeder eine Nachricht anheften, z.B. wenn man
etwas gefunden oder
verloren hatte.
(Geert Ensink)
Alle Gemeindemitglieder waren verpflichtet,
mit Hand- und Spanndiensten bei der Unterhaltung der Gemeindewege und -straßen anzupacken. Das nannte man „Buurwarken“.
Meistens wurde mit einem Laufzettel über die
anstehenden Arbeiten informiert.
Die Höfe Slikkers, Ensink und van Ringe
waren vom „Buurwarken“ ausgenommen, weil
sie für die Instandhaltung der alten VechteBrücke von 1870 zuständig waren.
Überall in Tinholt waren Sandentnahmestellen. Hier wurde Sand für die Instandhaltung der Wege entnommen. Dafür waren die
Bauern zuständig, die Gespanne mit zwei Pferden hatten. Sie mussten den Sand fahren. Bauern
ohne Gespanne mussten ihren Dienst mit der
Hand, also mit der Schaufel, ausführen.
Steven Snieders aus Tinholt war für die
Einteilung der Hand- und Spanndienste verantwortlich. Auch bei Hochzeiten wurde
„Buurwarken“ angesetzt. Das Brautpaar wurde
dann von den Buurwarkern aufgehalten, und
es wurde Hochprozentiges ausgeschenkt.
Dr. jur. Wilhelm H. Huffenreuter
(1777–1855)
Auf dem reformierten Friedhof in Hoogstede
steht ein besonderer Grabstein. Wer von der
Hauptstraße her den Friedhof betritt und sich
gleich nach links wendet, der findet ihn nach
wenigen Metern an der Hecke. Auf dem Sandstein steht:
Hier ruht
W. H. Hüffenreuter
geb. 13. Decb. 1777 in Batavia
gest. 8. Febr. 1855 in Tinholt.
Die Lingener Akademie, von einem oranischen Fürsten 1696 gegründet, war durch ihre
Nähe eine von jungen Grafschaftern gern besuchte Bildungsstätte. Im Album der Studierenden stehen die Namen der Studenten, auch
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2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
solche, die aus Holland und den holländischen
Kolonien kamen, darunter Johan Niehoff, der
in Uelsen geboren war und in Batavia lebte. Er
beeinflusste 1776 einige Freunde, mit ihm an
der Lingener Akademie zu studieren.
Zu ihnen gehörte auch Wilhelm Henricus
Hüffenreuter. Ein Hüffenreuter kehrte mit seiner Frau, einer Malaiin, auf den Hof in Tinholt
zurück (Sager, Grafsch. 1965 und Kühle, Zwischen Burg und Bohrturm Jg. 1974, S. 14, 3.
Spalte)
Wilhelm Heinrich Huffenreuter wurde am
13. Dezember 1777 in Batavia geboren. Batavia war der alte Name für die indonesische
Hauptstadt Djakarta. (1610 bis 1943/45 war
das heutige Indonesien eine niederländische
Kolonie.) Dort hatte sein Vater Andreas Christopher Huffenreuter als Rittmeister der Landmiliz Dienst getan. Huffenreuter war ein
bekannter Familienclan im damaligen Indonesien. Um 1810 muss W. H. Huffenreuter in
Bramsche gewohnt haben. Er habe eine Ausbildung als „Advocat" absolviert und seine
akademische Ausbildung mit der Promotion
abgeschlossen. In Bramsche wurden ihm von
seiner Frau Catharina Dorothea Huffenreuter
geb. Lampmann vier Söhne geboren.
Ihre Eltern, der Lingener Seminarlehrer
Georg Ferdinand Lampmann und seine Frau
Anna Aleida Warming, hatten zeitweise in
Tinholt gewohnt.
Deren jüngster Sohn Ferdinand Heinrich
Philipp Cornelius Lampmann (1804–1893)
war jahrzehntelang Pastor in Uelsen. Eine jüngere Schwester, Johanne Rheinhardina Everhardina Lampmann (1887–1863) war mit dem
Amtsassessor Johann Georg Hoogklimmer
(1784–1853) in Neuenhaus verheiratet. Eine
weitere Schwester, Anna Aleida Lampman
(1793–1860), ist in Tinholt geboren und in
Veldhausen verstorben.
1823 kam Huffenreuter nach Tinholt. Er
übernahm dort den heutigen Hof von L. Jürriens am Lägen Diek. Am 22. Mai 1824 wurde
hier die einzige Tochter Anna Catharina geboren und drei Jahre später, am 11. Mai 1827
der fünfte Sohn Johann Georg.
1829 bekam W.H. Huffenreuter für die
reformierte Gemeinde große Bedeutung. Wie-
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derholt war vom Oberkirchenrat (dem Hoogklimmer auch angehörte? gjb) die Anstellung
eines Rechnungsführers (Rendanten) angemahnt worden. Eine qualifizierte Person sollte
die Finanzen der Gemeinde regeln und in der
Zukunft führen. Jedoch konnte der Kirchenrat
zunächst keine geeignete Person finden und
regelte intern das Rechnungswesen. Im Jahre
1828 wurde der Älteste Harm Grüppe aus Tinholt beauftragt, mit dem neuen Gemeindeglied Huffenreuter Kontakt aufzunehmen und
ihn für die Arbeit als Rendant zu gewinnen.
Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt.
Im reformierten Kirchenratsprotokoll vom 26.
Februar 1829 lesen wir:
„Den 26 Februarij wederom buiten gewoon
Kerkenr. vergaderd met den Heer Huffenreuter
en toen met hem er over gesproeken, heeft het
8 dagen in zijn bedenk genomen, en verzogt dat
wij en den Heer Amtman (er)(gemeint ist sein
Schwager Hoogklimmer in Neuenhaus) over
zouden spreken of die het ook goed vond …“
Am 27. März 1829 schließt man einen Vertrag mit Huffenreuter, mit dem er als Rechnungsführer eingesetzt wird:
„Den 27 Maart buiten gewoon de Kerkenr.
vergaderd absent J.Albers en G.Koops, en toen
is door den Heer Huffenreuter hat contract getekend door hem overgeven ... ".
Damit konnten die Finanzen in geordnete
Bahnen gelenkt werden. Waren in den Jahren
vor 1830 die Kirchenrechnungen vom Oberkirchenrat immer wieder beanstandet worden,
so tritt ab 1830 eine grundsätzliche Wende
ein. Der Oberkirchenrat lobte die gute Rechnungsführung und hob die geordneten finanziellen Verhältnisse in der Gemeinde hervor,
auch wenn es häufig nur ein Verwalten von
Mangel war. Die Arbeit als Rendant geschah
zwar im Hintergrund und doch war sie von
großer Bedeutung für die Konsolidierung der
reformierten Gemeinde Hoogstede.
Am 8. Februar 1855 starb W. H. Huffenreuter im Alter von 78 Jahren. Er war zu
einem angesehenen Mitglied der Gemeinde
geworden und hatte über Jahre das Bürgermeisteramt in Tinholt innegehabt. Seine Frau
überlebte ihn um 22 Jahre. Sie verstarb am 6.
Juni 1877 im Alter von 92 Jahren.
T I N H O LT
Jan Harm Bleumer, Tinholt,
Up mien Besseva sienen Hof
Der aus Tinholt stammende Jan Harm(en)
Bleumer erzählt in seinem Buch „Up mien
Besseva sienen Hof“ anschauliche Geschichten,
in denen die ländliche Welt unserer Gegend am
Ende des 19. Jahrhunderts lebendig wird.
Bleumer wurde am 20. August 1873 auf
einem Bauernhof in Tinholt geboren. Nach
dem Besuch des Lehrerseminars unterrichtete
er an der Volksschule in Wielen, dann in
Grasdorf. 1907 verließ er die Grafschaft, als er
nach Papenburg versetzt wurde. Seit 1923 war
er bis zu seiner Pensionierung Lehrer in Osnabrück. Dort starb er am 9. Januar 1943. Das
genannte Buch erschien in Papenburg vermutlich Anfang der zwanziger Jahre. Es folgt
ein Auszug aus aus dem Kapitel über „Großvater und seine Nachbarn“:
Wappen der heutigen niederländischen
Familie Huffenreuter (Gerrit Jan Beuker, Internet)
Der älteste Sohn Heinrich Wilhelm (09.1814
bis 16.12.1879) lebte und arbeitete als Zimmermann in Kalle. Er starb an der Schwindsucht.
Der zweitälteste Sohn Nicolaus Friedrich
Huffenreuter (04.04.1816–14.07.1873) heiratete Anna Marie Louise Wilhelmine Baumann
(30.01.1811–und führte den Hof des Vaters
fort. Vier Kinder starben nach der Geburt und
von der Tochter Catharina Dorothea (geb. am
31. Mai 1844) erfahren wir in den Folgejahren
nichts mehr. (Sie heiratet wohl unter dem
Mädchennamen ihrer Mutter als Dorothea
Bauman den Friederich Stricker (1842–1874)
in Wilsum. Aus der Ehe wird 1873 Oscar
Stricker geboren.) So wie die Familie Huffenreuter 1823 plötzlich in Tinholt erschien, so
verlieren sich auch 1877 ihre Spuren wieder.
Der vierte Sohn Carl Theodor (02.1822 bis
05.12.1902) starb 1902 als Rentier in Lage.
Bei der Eintragung seines Todes im Sterbebuch
vermeldet der Ortspastor als Eltern: „Gutsbesitzer Wilhelm Friedrich Huffenreuter und
seine Frau Catharina Dorothea Lampman“.
(Nach G. ter Stal, 175 Ev.-ref. Kirche,
kursive Abschnitte ergänzt durch Gerrit Jan Beuker)
Besseva un siene Noaberlö
„In de annere Wecke kunn wij wall slachten.
De Domini möt ditmoal ok wat hebben. Krajenfanger hef dor vörige Wecke all nen Schinken
henbracht, de schleppt dor wall soa vull hen.
Vöriges Joahr heb wij dor ok nicks henbracht“,
meende de Moa.
De annere Wecke wöt bij uns dat Beest
slacht. Un do det oawends kot schneen wöt, sä
de Moa: „Nuw schnie dor is`n got Broatstück
of, wenn et ok tien Pund sind.“ „Dat sall ik is
ditmoal don.“
Besseva söchde sik det möiste Stück ut, un
den annern Dag süll de Va dor met hen. „Nee“,
sä Besseva, „dor goah ik sülwen met hen. Ik sall
et in Düstern dor wall henbrengen.“
Oavends göng Besseva lös, Karo met em.
Do he buten unsen Hof was, slög he nen heelen
annern Weg in, noa de Feldkante an. He göng
met sien Fleesk nich noa de Domini.
„De hef genog“, dachde he, „et is better,
ik breng et noa Remmers, de hebt det Hus
vull Kinner, de kriegt wall nich vull Fleesk
te sehn.“
„Gun`n Oavend, Lö!“ „Gunn`n Oavend –
Besseva, ij noch in Düstern!“ „Joa, up hellen
Dach wull ik hier nich hen. Ik heb uw wat
metbracht in den Korw, kiekt is to Frau un dot
det dor is ewen ut.“
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2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
De Frau was ok nijschierig genog, keek to
un slög de Hande tosammen: „Nee, dat hadde
ij doch nich don mußt, det könne wij joa gar
nich annemmen.“
„Worüm denn nich? Wij hebt dor genog
van un de et eigentlich hebben süll, hef ok
genog.“
Besseva wull denn weer goahn. „Nee“, sä
de Frau, „det geht nich an. Erst kriege ij een
Köppien Koffie. Soa söll ij nich weer weg.“
Besseva wull ok nich all te fro weer in Hus
kummen, dann föllt det fort up, he blew sitten.
He kreeg doar een lecker Köppien Koffie;
soa got hadde he et nich völl had. Do he dor
een bis twee Ühre kürt hadde, brachde Remmers em weer upt Hus an.
Do Besseva bijt Für satt, sä he: „Junge,
wat wassen de Löe bliede, van Oavend heb ik
noch is bliede Gesichter sehn!“
Det kunn de Moa sik nich begriepen, det
Dominis sik so bliede anstellt hadden. Se keek
dorüm Besseva is an.
„Joa, joa“, sä Besseva weer, „du kiekst mij
wall an, men so bliede Menschen hebbe ik
lange nich mehr sehn.“
Un et schiende, dat wat van disse Bliedschup up sien Gesicht lag.
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Pater Marcellus Töller
Pater Töller ist in Tinholt geboren. Seine Eltern sind früh verstorben. Er wurde 1921 zum
Priester geweiht. Er war lange in Mainz tätig.
Pater Töller verbrachte seinen Lebensabend in
St. Vincent in Neuenhaus und wurde in Hoogstede beerdigt.
Foto zum 50-jährigen Priesterjubiläum, 1971
(Willy Friedrich)
Berge und
Scheerhorn
Bearbeitet von Harm Kuiper
Dr. Ernst Kühle über
Scheerhorn und Berge
Aus: Der Grafschafter 1968–1972,
S. 887, 892, 900, 910 (Folge 227–230)
Die nachfolgende Beschreibung von Kühle
zeigt, wie sich die Umstände und Verhältnisse
in den letzten vierzig Jahren verschoben
haben. Sie verdeutlicht etwas von den Hoffnungen und Erwartungen jener Zeit. (gjb):
Gemeinsame Mark Hoogstede-Bathorn
Die gemeinsame Mark mit Hoogstede und
Bathorn reichte von der Vechte bis weit in das
Hochmoor hinein nach Osten, doch nicht, wie
bei Ringe, bis an die Grenzaa. Die wertvollsten Flurstücke mit einem Bodengütewert von
über 40 waren die Auewiesen an der Vechte.
Auf leichten Bodenwellen in Überschwemmungsrandlage entstanden in germanischer
Siedlungszeit Brotfruchtfluren und die Hofstätten der Altbauern. Weiter nach Osten ging
die Gemarkung in das lange Zeit unzugängliche Hochmoor über. Die Teilung der gemein-
samen Mark auf die einzelnen Gemeinden geschah, wie man in alter Zeit die Feldflur unter
die Berechtigten aufteilte. Jeder erhielt einen
schmalen Streifen auf jedem Flurstück, wie es
das Rechtsgefühl gebot. So bekamen Scheerhorn und Berge schmale Streifen mit geraden,
parallelen Grenzen von nur wenig über einem
Kilometer Breite und der vierfachen Länge.
Auf dem alten Messtischblatt von 1896 reichten Kulturfläche und Besiedlung nur etwa 1,5
km ostwärts; der übrige Teil der Mark war
noch als Ödland, östlich des Coevorden-Piccardie-Kanals mit Torfstichgruben, verzeichnet. Das neue Blatt, 1958, zeigt das Moor
nahezu vollständig in Grünland umgewandelt,
das durch gerade Gräben und feste Straßen in
Rechtecksflurblöcke aufgeteilt ist. Nur kleine
Reste von Heide und Moor blieben zurück.
Südlich der Lee häufen sich Einzeldünen
und Dünenketten, die mit Nadelwald aufgeforstet sind. Ehe das geschah, war die „Berger
Sahara" ein Quellherd für Sandverwehungen
benachbarter Kulturflächen. Die höchste Erhe-
Die Lee in
Scheerhorn, 2008
(Harm Kuiper)
101
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
bung erreicht in Nähe der Lee 21,5 Meter; tiefste Senke ist die Leemündung mit 14 Meter. Die
Berger Tannen haben Bedeutung gewonnen
als Erholungslandschaft und als Sportstätte,
auf der Waldläufe um die Kreismeisterschaft
ausgetragen werden. Das benachbart Schwimmbad an der Lee wird selbst von Veldhauser
Bürgern gern besucht. Das Scheerhorner Bruch
beherbergt eine seltene Pflanzen- und Tierwelt. Professor Brinkmann und heimische Naturfreunde beobachteten und beschrieben das
Tierleben dieser Naturoase. Ein Moorweiher,
Fettpott genannt, ist mit meterhohen Binsen
umgrenzt und enthält Inseln mit anspruchslosen Kräutern, die Brutstätten von Sumpfund Wasservögeln sind. Möwenkolonien und
Trauerseeschwalben beleben den Restsumpf,
von dem das Jahrbuch 1962 ein Lichtbild
bringt. Lehrer Naber, Veldhausen, beobachtete
Austernfischer und Kampfläufer. Wegraine
und Gräben weisen noch immer einen Artenreichtum auf, der kaum bei kurzen Besuchen
ausgeschöpft werden kann.
Der Name Scheerhorn bedeutet nach H.
Specht eine vorspringende Grenzfläche. Als
Der Fettpott in
Berge, 1959
(Willy Friedrich)
Hörn gilt eine Ecke, ein Winkel oder Platz am
Fluss, wie bei Nordhorn. Abels erklärt „scheer“
mit schier, dürr, wonach Scheerhorn ein dürrer Platz gewesen wäre. Wer heute durch die
Landschaft wandert, erhält einen weit günstigeren Eindruck. Flachlandbewohner haben die
Neigung, flache Bodenerhebungen als Berge
zu bezeichnen, woraus sich der Name Berge
erklärt …
Bischöfe, Grafen und Herren
Der Graf von Bentheim war Hauptgrundherr;
neben ihm gab es geistliche und weltliche
Grundherren mit geringeren Anrechten. Der
Bischof v. Utrecht hatte seine hörigen Höfe im
Schattingsregister der Twente 1475 verzeichnet,
Familienfoto um 1900 aus Berge, Familie Bloemendal.
Hochzeitspaar ganz rechts: Jan Harm Bloemendal und Ennegien Bloemendal geb. Stroot, Eltern sitzend am Tisch:
H. J. Bloemendal geb.15.9.1852 gest. 25.1.1925 und Aaltien Bloemendal geb. Kaalmann geb. 17.2.1856 gest. 9.3.1941, dann
von links nach rechts: Hinrikien Bingler geb. Bloemendal mit Sohn und Ehemann Jan Bingler, Hindrika Bloemendal geb.
4.4.1888 gest. 6.3.1952 später verheiratet mit H.J. Zweers in Berge, Jan Bloemendal und Hermannes Bloemendal (Zweers)
102
BERGE UND SCHERHORN
Hof von Kuite in Berge (Willy Friedrich)
das uns Archivar Döhmann, Burgsteinfurt,
zugänglich machte. Die Herren auf benachbarten adligen Rittergütern hatten Jagdrechte
in der Scheerhorn-Berger Mark; die Herren
von Laar bejagten die Flur zweimal jährlich,
einmal bei Gras, einmal bei Stroh. Die Herren
von Echteler forderten die Koppeljagd in
Scheerhorn, die Herren auf Ödinghof, Esche,
die Koppeljagd in Berge. Die hohe Jagd übte
der Graf allein aus. Zu seinen Reservationen
gehörten u. a. das Scheerhorner- und/Klusenfeld (Clausterfeld). Der Scheerhorner Ballast
und Berger Brill waren Eigenjagdreviere. Beim
Schulten logierten die Jäger, zu den Mahlzeiten trugen die Bauern bei: Bruninck, Surman,
Hemke, Kolthoff, Hannebroeck, Jorinck, Volker lieferten je ein Brot. Die Herren auf der
Schulenburg zu Veldhausen besaßen Land
und Leute in Scheerhorn; dieser Besitz ging
später auf den Grafen über.
Kloster Wietmarschen hörig
Das Kloster Wietmarschen entwickelte sich
zum reichen Grundbesitzer in der Grafschaft;
ihm gehörten 139 Höfe. Zu seinen hörigen
Bauernerben gehörte Hartgerinck (Hatger) to
Scheerhorn, der als jährliche Pacht 4 Müdde
Roggen, 4 Müdde Gerste, 1 Huhn und am
Thomastag 1½ Mark gab. Wenn das Geld an
diesem Tag nicht bezahlt war, verdoppelte sich
der Betrag. Später, 1683, bekennt Hartgerinck,
dass er jährlich im Mai oder zu Martini 1 Rtl,
7 Stüber als Kleindienstgeld geben muss. Hartgerinck erfüllte aber nicht nur Sachleistungen,
sondern auch persönliche Dienste, ebenso
seine Frau und seine Kinder. Söhne und Töchter konnten mit anderen Grundherren ausgetauscht werden. Wenn das geschah, wurde es
im Wechselbuch vermerkt. Das Kloster versuchte, die Vogteirechte in seinen Besitz zu
bringen; es gelang 1355 bei Hartgerinck. Im
Austausch mit dem Grafen empfing das Kloster die Magd Fenne Bruninck, die up Hartgerinck to Scheerhorn kam. 1441 überließ das
Kloster dem Herrn Johan v. Laar Hinrieh, Almerincks Sohn, der zu Silverkinck, Scheerhorn, kam. Lubbe Hartgerinck to Scheerhorn
heiratete Robbe ten Suthove; sie bauten ein
Häuschen vor Mellenkamps Boom; ihre Tochter Talle wurde frei. Im Austausch mit dem Bischof von Utrecht empfing das Kloster die
Magd Swenne, Volkers Tochter, die zu Süverdinck to Scheerhorn kam, ebenso vom Herrn
J. Bade eine Magd, Swenne, Tinholts Tochter,
die einheiratete auf dem Klostererbe ter Kalle
to Scheerhorn.
Die jährlichen Kornpachten nach dem Manual- und Söllerbuch 1829 betrugen für Hat-
103
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Hartgerinck 1 Rind, je 1 Schwein: Wermelinck,
Brüninck, Hemmike. — Die Tende zu Scheernhorn ist Jahr für Jahr verdinget für 33 Müdde
Roggen …
„Zuckerpott“ zwischen 1871 und 1895 von Janna Alferink
Janna Alferink geb. Groene (27.01.1848–16.03.1910),
heiratet am 29.07.1875 Jan Alferink (Hindrik-Jan Alferink)
ger 16 Scheffel Roggen, 16 Scheffel Gerste, 3
Gulden und ungewisse Gefälle, die der Hof
1854 ablöste. Van der Loo nennt das Jahr 1246
als Beginn des Hörigkeitsverhältnisses Hatgers.
Im Heberegister der Grafen von Bentheim
1486 sind 14 gräfliche Höfe aus dem Kirchspiel Emlichheim eingetragen, 1553 bereits 192
(Voort, Jahrbuch 1972).
In Scheerhorn gaben an Roggenpacht (Ro),
Gerstenrente (Ge) in Müdde (6 Scheffel): Schulte v. Scheerhorn 3 Ro, Hemmike 4 Ro, Gozen
Brüninck 6 Ro, 5 Ge, Anebroick 4 Ro, 2 Ge,
Wermelinck 8 Ro, 3 Ge, Kemike (wohl obiger
Hemmike) 4 Ge. An Rinder- und Zwynepacht
gaben Almerinck 1 Rind, Kuelman 1 Rind,
Haager Vergleich 1701
In der Zeit zwischen den beiden Galenschen
Kriegen trat Graf Ernst Wilhelm zum katholischen Bekenntnis über. Die reformierte Grafschaft hielt an ihrem Bekenntnis fest und
suchte Anlehnung beim reformierten Nachbarstaat. Der Haager Vergleich, 1701, stellte
den kirchlichen Zustand vom Jahre 1624 sicher und gab dem Oberkirchenrat ein ausreichendes Maß von Einfluss auf das kirchliche
und Schulleben. Der Vergleich regelte Lehre
und Verfassung der reformierten Kirche in der
Grafschaft. Holländische Lehrer und Geistliche kamen in die Niedergrafschaft, in der die
holländische Sprache die Kirchensprache
wurde. 1707 traf die Regierung erste Maßnahmen gegen die Sandverwehungen. In einer
Zeit, als es noch keine Windschutzgürtel, aber
große Schafherden gab, die die Grasnarbe in
der Mark zertraten, hatte der Wind im Dünenbereich bei zerstörter Grasnarbe beste Angriffsflächen, um Mulden auszublasen und
Flugsand über die Kulturflächen zu wehen.
Durch Einschränken der Schafbestände und
Bepflanzen der nackten Sandflächen sollte
den Sandstuwen Einhalt geboten werden, und
die Anlage von Telgenkämper, 1717, sollte
dem Mangel an Pflanzgut abhelfen. Noch 150
Jahre lang dauerte der Kampf gegen die Sandstuwen fort.
Inschrift „Invidia fortunae comes anno 1689, den 30 Juny“
Übersetzt: „Missgunst ist des Glückes Begleiter“. Alte Inschrift auf dem Hof Hermann Alferink, Scheerhorn. Der alte Stein
war eingemauert in einer Scheune über einer Tür. Stammt er möglicherweise von der Burg Arkel? (Harm Kuiper)
104
BERGE UND SCHERHORN
Hof Hermann Alferink, Hauptstraße, Scheerhorn, etwa 1950 (Alferink, Harm Kuiper)
1752 verpfändet an Hannover
Die Bentheimer Subdelegation, eine vom
Kaiser geregelte Vormundschaftsregierung,
versuchte, durch Sparverordnungen die finanzielle Notlage des Landes zu bessern. Da es
nicht gelang, gesunde Verhältnisse zu schaffen, sah sich Graf Friedrich Carl genötigt,
1752 seine Grafschaft an das Land Hannover
zu verpfänden. Vier Jahre später, im Siebenjährigen Krieg, versuchte der Graf, an der
Spitze französischer Truppen, die Freiheit seines Landes zurückzugewinnen. Die Franzosen
besetzten das Land und nutzten es als Angriffsbasis gegen Hannover, das mit England
in Personalunion vereinigt war. Berger und
Scheerhorner Bauern lieferten Getreide und
Heu und leisteten mit ihren Gespannen
Frachtdienste. Jungbauern dienten als Train-
knechte; entzogen sie sich diesem Dienst
durch Flucht, diente der Vater für den Sohn.
Der Forstmeister Aschenbroick meldete Viehschäden durch Wölfe, worauf der Graf eine
Wolfsjagd, die insbesondere den Scheerhorner
Ballast erfasste, anordnete. Jeder Vollbauer
hatte 2 Treiber, der Halberbe 1 Treiber zu stellen bei 5 Gulden Strafe bei Nichterscheinen.
Nach Friedensschluss folgten die üblichen
Verordnungen zum Wiederaufbau von Flur
und Wegen, hinzu kamen zahlreiche Vorschriften zur persönlichen Sparsamkeit im
Haushalt, im Verbrauch von Holz, zur Schädlingsbekämpfung.
Kampf dem Moor
Das Land Hannover unternahm Großangriffe
auf das Moor; eine Reihe neuer Moorsiedlun-
„Gemeindearbeiten“ = Boerwerken 1920er Jahre in Berge. Berger Landwirte vor
dem Hof Mensen auf der Feldstraße (Harm Kuiper)
105
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
gen entstand, darunter die Neue Piccardie und
Adorf. Trotz geringer Bevölkerungsdichte im
Lande war bei zu geringem Kulturland ein Bevölkerungsüberschuss vorhanden. So nutzten
nachgeborene Söhne aus Berge und Scheerhorn die Möglichkeit, ein Moorkolonat zu erwerben. Die bäuerlichen Lasten waren in der
Bentheimer Eigentumsordnung, die sich der
Osnabrücker anpasste, geregelt. Vorausschauende Männer, wie O. v. Münchhausen, hielten
das Weiterbestehen der privatrechtlichen Bindungen für zu stark belastend und die freie
Entwicklung behindernd. Justus Moser beklagte die Härte der ungewissen Gefälle.
Franzosenzeit
Als nun die Franzosen wieder ins Land kamen,
diesmal als Revolutionstruppen, und Gewerbefreiheit und Ablösung der bäuerlichen Lasten versprachen, hörte man das gern, blieb
jedoch zweifelnd. Die Selbstständigkeit der
Gemeinden hörte auf; Berge und Scheerhorn
wurden mit Nachbargemeinden zu einer Munizipalität unter einem Maire zusammengefasst. Man erkannte bald, dass sich an den
alten Bindungen nichts änderte und dass es
der Fremdregierung auf Steuergelder und Rekruten ankam. Das französische Kataster fand
immer neue Steuerquellen, und die Rekrutenlisten füllten sich mit Namen von Jungbauern, die ausgehoben, auf fremden Garnisonen
ausgebildet und auf fernen Kriegsschauplätzen für Frankreichs Ruhm kämpften. Aber
auch gegen Napoleon stritten Berger und
Scheerhorner Söhne im Bentheimer Bataillon,
wie die Verlustlisten 1814/15 ausweisen. Dirk
Sloot starb 1815 in Corbevoye in Frankreich.
Nach 1815
Nachdem die Franzosen vertrieben waren,
übernahm Regierungsrat v. Pestel die Pfandschaftsregierung, hob die französischen Gesetze auf und ließ die alte Ordnung wieder
gelten, doch vielfach ohne die früher geübte
Milde. Eine Zählung 1821 ergab für Berge eine
Zwerggemeinde mit 83 Einwohnern, 16 Feuerstellen, 10 Höfen; für Scheerhorn 30 Feuerstellen, 12 Höfe und 184 Einwohner. Die erwartete Ablösung blieb aus; das vom Bürger-
106
meister und Landrat Stüve in Osnabrück angeregte hannoversche Ablösungsgesetz, 1831,
sowie die Osnabrücker Markenteilungsordnung galten für die Grafschaft Bentheim erst
nach dem Revolutionsjahr 1848 …
Hollandgänger, Erdhütten, Markenteilung
Der Mangel an Arbeitsplätzen und die Landnot ließen die Abwanderung in die Nachbarstaaten ansteigen; 1847 zählte man 2500
Hollandgänger. Vogt Baake meldete 1869,
dass sich in der Scheerhorner Mark acht bewohnte Erdhütten befänden. Im bäuerlichen
Betrieb nicht ausgelastete Kötter suchten Nebenerwerb an Webstühlen, von denen es 1863
16 gab. Die Markenteilung, 1864 bis 1871, bot
der Landnot Einhalt; der Bau des SüdnordKanals nach 1871 senkte den Wasserspiegel
im Moor, und der Mineraldünger ließ die Erträge auf dem Moorboden ansteigen. Der Kreistag förderte mit den bescheidenden Mitteln
des neuen Kreises die Kulturtätigkeit im Moor.
Zu den Mitgliedern des Kreisausschusses gehörte Kolon Nyenhus. Die Schule erhielt in
Lehrer Wieferink eine beruflich vorgebildete
Lehrkraft, die die Lehrerbildungsanstalt des
Schulrates Fokke in Neuenhaus besucht hatte.
Hindrikien Jeurink geb. Snieders (1875-1961)
mit Wollmütze. Geboren 12.06.1875 in Berge, heiratet
am 28.03.1898 Jan Hindrik Jeurink, verst. 19.02.1961
in Berge. (Harm Kuiper)
BERGE UND SCHERHORN
Straße und Eisenbahn 1890/1909
Die Verkehrslage besserte sich, als der alte
Heerweg durch Berge und Scheerhorn 1890
eine feste Straßendecke bekam. Ein halbes
Jahrhundert später stufte man diese wichtige
Straße zur L 44 auf. 1909 verlängerte die Bentheimer Eisenbahn ihr Gleis nach Norden, von
Neuenhaus nach Emlichheim.
Im Kampf um die Linienführung entschied
die größere Siedlungsdichte am östlichen Ufer
der Vechte. An der Stelle, wo die Eisenbahn
die Straße kreuzt, bot sich der geeignete Platz
für die Haltestelle. Im neuen Jahrhundert
führte Berge einen Prozess gegen Scheerhorn
um seinen Anteil an 32 Mark Brückengeld.
Nach dem Ersten Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Landrat Böninger die Kulturtätigkeit seines Vorgängers
fort. Aufmerksam beobachtete man die Tätigkeit der ersten großen Motorpflüge im Moor,
die leider den Umbruch infolge unerschwingli-
Abbildung 90 Schlechter Weg in Scheerhorn, 1961 oder früher (Willy Friedrich)
Gemeinden streiten um Sparbuch
Zeitung und Anzeigenblatt 1911
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim
Bearbeitet von Johann Jeurink
Scheerhorn-Berge, 18. April 1911
Für die Instandhaltung zweier aus Bohlen bestehender Brücken für den Viehübergang und
den Wagenverkehr über den neuen Kanal um
somit zu dem Berger Bruche und dem Scheerhorner Ballast zu gelangen, hatte der Fürst
von Bentheim eine einmalige Zahlung von 32
Mark geleistet. Dieser Betrag wurde 1887 bei
der Sparkasse belegt, womit es solange sein
Bewenden hatte, bis die Gemeinde Berge, welche inzwischen durch eine politische Grenze
von der Gemeinde Scheerhorn getrennt worden
war, ihren Anteil an dem Sparkassenguthaben
forderte. Merkwürdigerweise stellte es sich heraus, daß der Betrag nur auf den Namen der Ge-
meinde Scheerhorn und nicht auf beide Namen
Scheerhorn-Berge lautend, eingetragen war,
weshalb die Gemeinde Scheerhorn ihr Eigentumsrecht an dem Sparkassenbuche geltend
machte. Hierüber war die Gemeinde Berge
höchst entrüstet und leitete das Klageverfahren
ein. Wichtige Zeugen sind inzwischen verstorben. Einige Aussagen der vernommenen Zeugen widersprechen sich gänzlich, weil der
Zeitpunkt, um welchen die Brückengeschichte
sich abspielt, in dunkler Erinnerung liegt. Die
Angelegenheit beschäftigt nun schon seit einem
Jahre das Gericht und will noch immer kein
Ende nehmen, so daß ganz bedeutende Kosten
erwachsen. Die Verhandlungen gestalten sich
äußerst schwierig, wenn auch teils recht interessant. In beiden Gemeinden wird mit Spannung das Urteil erwartet, das wahrscheinlich
Ende dieses Monats in Osnabrück gefällt wird.
107
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
cher Treibstoffpreise während der Inflationszeit
bald einstellen mussten. Mit dem elektrischen
Strom erhielt der Bauernhof eine neue wichtige Energiequelle, mit dem Schlepper einen
Ersatz für den tierischen Helfer. Herdbuchgesellschaften und Kontrollvereine halfen, die Erträge der Viehwirtschaft zu steigern. Gab die
Kuh bisher jährlich durchschnittlich 900 Liter
Milch, so konnte durch Zucht- und Pflegemaßnahmen der Milchertrag erheblich verbessert werden. In genossenschaftlicher Selbsthilfe
mehrte sich der Bodenertrag, der Gewinn beim
Verkauf der erzielten Produkte bei günstigem
Bezug von Saatgut und Düngemitteln. Die
Hektarerträge an Getreide, vor 50 Jahren 4–5
Doppelzentner, wuchsen auf das Mehrfache an.
Der Ausbau der Lee, 1927–33 zwischen Wiet-
Wegebau im Zuge der Vechteregulierung hinter Mensen,
Berge, ca 1960 (Harm Kuiper)
marschen und Scheerhorn, verbesserte die Vorflut. 1933 besaß Berge 44 ha Ackerland, 14 ha
Wiesen, 28 ha Weiden, 22 landwirtschaftliche
Betriebe, darunter zwei größere Höfe, 15 kleinere, ein Neubauer, vier Heuer. Die Einwohnerzahl der Zwerggemeinde wuchs in 100
Jahren von 83 auf 126 an. Scheerhorn besaß
102 ha Ackerland, 31 ha Wiesen, 38 ha Weiden, 39 landwirtschaftliche Betriebe, darunter
sieben größere, 18 kleinere Höfe, zwei Neubauern, zwölf Heuer und 217 Einwohner.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Landeskultur durch das Vorkommen neuer Bodenschätze eine unvorhergesehene günstige
Entwicklung, an der alle Hofstätten teilnah-
Ölstraße 1961.
Landstraße mit einsam dahinziehenden
Pferdefuhrwerk
bei Scheerhorn.
(Willy Friedrich)
Letzte Holzbrücke
über die Lee bei
Schraten, 2008
(Harm Kuiper)
108
BERGE UND SCHERHORN
Harm Kuiper (1903-1972)
auf der Leebrücke bei Schiphouwer in 1948 (Harm Kuiper)
Gefrieranlage Scheerhorn Dezember 1958
Unbekannt, Johannes Lorenz Jönssen, Gerd Evers,
Harm Kuite, Hindrik-Jan Keute, Gerd Kemper,
Bgm. Johannes Nyenhuis, Unbekannt, Frau Kunze,
Steven Nöst (Willy Friedrich)
21.11.1985, Bürgermeister Jan Hindrik Koops
wird sechzig, v.l. Frieda Koops, Jan Hindrik Koops
und Henrika Köster (Willy Friedrich)
Leestau bei Bernd-Harm Alferink. (Harm Kuiper)
men. Es begann 1946 mit dem Einsatz von elf
Dieselloks im Siedlungsgebiet Berge-Scheerhorn.
Als man 1949 das Ölfeld Scheerhorn entdeckte,
beeinflusste der bergmännische Ausbau auch
den kommunalen Aufbau beider Gemeinden.
Schneller als anderswo erhielten die Marken
feste Straßen, die Gemeinden Wasserleitungen,
Gefrieranlage, Wäscherei, Jugendheim, Sportplätze. Erhöhte Steuereinnahmen erlaubten, die
Infrastruktur, die Grundausrüstung der Dörfer zu
verbessern. Technische Werkstätten mit 120 Arbeitskräften, Verwaltungsgebäude, Pumpaggregate u.a. setzten gewerbliche Elemente in die
bäuerliche Landschaft. Neusiedlungen entstanden, Vollerwerbsbetriebe mit zwölf bis 15 ha
Kulturland und handwerkliche Nebenerwerbssiedlungen. Neue Vorfluter und Nebengräben
verbesserten den Abfluss; feste Brücken, wie
Eißen- und Schratenbrücke, boten sicheren Zugang für Schlepper und Landmaschinen. Die Ölfirma Deilmann verlegte ihren Sitz nach
Scheerhorn; sie half mit an den umfangreichen
Kulturmaßnahmen in den Marken.
109
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Eine neue, zweiklassige Schule im Grünen,
ausgestattet mit Vorgarten, Staudenbeeten,
Lehrgarten, Pausenhof und Gymnastikraum
ersetzte den alten, 100-jährigen Schulraum;
eine Ehrentafel hält die Erinnerung an die im
Kriege Gefallenen wach. 1956 brach die Sonde
22 aus; die 30 m hohe Ölfontäne konnte nach
einigen Tagen gebändigt werden.
1962 erreichte die Vechteregulierung die
Leemündung; ein Vechtewehr mit Stau entstand. Damit hörten die verheerenden Überschwemmungen auf, unter denen besonders
Berge noch 1951 zu leiden hatte. An der alten
Straße, L 44, die mehrfach begradigt und erweitert wurde, richtete das Deutsche Rote
Kreuz 1970 einen Rettungswachdienst in den
Berger Tannen, in der Nähe des Leebades, ein.
Ziele landwirtschaftlicher Lehrfahrten sind
manche der stattlichen und mit neuzeitlichen
Einrichtungen versehenen Höfe, darunter
auch der Aussiedlerhof Maathuis, der 21 ha,
zur Hälfte Acker- und Grünland, bewirtschaftet und mit zweckmäßigen Betriebsanlagen,
wie Absaugvorrichtung, ausgestattet ist. Als
Beispiel eines Kulturpioniers sei J. Oldekamp
genannt, der im Scheerhorner Moor vor 50
Jahren einen eigenen bäuerlichen Betrieb
aufbaute und durch mühsame Kultivierungsarbeiten erweiterte. Die Leitung der aufstrebenden Gemeinde hatte 1961 J. Nyenhuis, der
1961 bereits 30 Jahre Bürgermeister war, was
die Kreisverwaltung ihm durch eine Ehrenurkunde dankte …
Quellen
Edel, Die Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953
Der Fettpott, Grafsch. Tageblatt 1950, Nr. 163
Friedrich, Berge, Porträt einer
Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960
Friedrich, Scheerhorn, Porträt einer
Landgemeinde, Grafschafter Nachrichten 1960
Frommeyer u. Lögters, Erdöl und
Erdgas im Emsland, Jahrb. 1960
Klopmeyer, Die Besiedlung des Niedergrafschafter
Hochmoors, Der Grafschafter 1954, Folge 14
Ossenbühl, Die Entwicklung der adligen Güter, Jahrb. 1966
Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises
Der Landkreis Grafschaft Bentheim
110
Bürgermeister der
Gemeinde Scheerhorn
Etwa 1830 B. Scholten,
etwa 1877 Jan Alferink (1835–1915)
etwa 1881 bis 1908 Wilm Scholte (Scholten).
Hermann Alferink (1880–1932), von Mai
1919 bis etwa 1925.
Bürgermeister Hermann Alferink (*1880)
mit Frau Janna geb. Slikkers, vier kleinen Kindern
und Vater um 1920 (Hindrik-Jan Alferink)
Danach folgte Gerrit Hindrik Hatger
(1881–1944) von etwa 1925 bis 1931.
Johannes Nyenhuis (1881-1975), war von
1931 bis Oktober 1968 fast vierzig Jahre Bürgermeister der Gemeinde Scheerhorn. Ein
Nachruf in den Grafschafter Nachrichten beschreibt ihn als einen „Grafschafter von echtem Schrot und Korn“. Er machte nicht viele
Worte, sondern stellte immer wieder das Allgemeinwohl in den Vordergrund. GN 09.1975
Letzter Bürgermeister in Scheerhorn war Jan
Hindrik Koops (1925–2003). Vom Oktober
1968 bis zum Inkrafttreten der Gemeindereform am 01.03.1974 hatte er dieses Amt inne.
Anschließend war er bis 1996 Bürgermeister
der Gemeinde Hoogstede und Samtgemeindebürgermeister von 1991 bis 1996.
BERGE UND SCHERHORN
„Onkel Hans“ = Johannes Nyenhuis
Erzählt von Johann Jeurink
Gerne erzählte Jan-Hindrik Koops von
seinem Vorgänger Nyenhuis, den er
„Onkel Hans“ nannte. Dass Nyenhuis
einen Sinn für Gerechtigkeit hatte und
nicht vor den Behörden kuschte, erzählte
Koops öfter mit einer kleinen Anekdote.
Regelmäßig prüfte der Landkreis die
Bücher der Landgemeinden. In den
1950er und 60er Jahren führte Herr
Woltmann diese Prüfungen durch. Bei
einer solchen Prüfung fand Woltmann
eine Rechnung über einen Hut. Er konnte
sie nicht einordnen und stornierte den
Betrag. Bürgermeister Nyenhuis musste
diese Rechnung privat bezahlen.
Nyenhuis war ein ehrlicher und korrekter Mann. Er begründete die Buchung
so: Nach einer Landtagswahl trafen sich
die Wahlhelfer im Wahllokal Warmer zur
Auszählung der Stimmen. Danach blieb
man noch bis spät abends in geselliger
Runde zusammen, bevor man den Heimweg antrat. Nyenhuis musste feststellen,
dass jemand wohl versehentlich seinen
Hut mitgenommen hatte. Trotz vieler Bemühungen tauchte der Hut nicht wieder
auf.
Der Bürgermeister ließ sich diesen Hut
zu Lasten der Gemeinde bezahlen. Er
meinte: Der Verlust des Hutes erfolgte bei
der Ausübung kommunaler Tätigkeiten.
Nyenhuis war von kurzen Entscheidungen geprägt. Er diskutierte nicht
lange mit dem Rechnungsprüfer und akzeptierte dessen Entscheidung vorläufig.
Bei der nächsten Prüfung aber wies er
den Prüfer darauf hin, dass er sich seinen
Hut nach der letzten Prüfung doch von
der Gemeinde habe bezahlen lassen. Der
Prüfer werde bei der aktuellen Prüfung
den Betrag bestimmt nicht finden. „Dajn
Betrag hebb ik deer met unner knooit,
um dät he mi tosteht.“
Bürgermeister Gerrit Hindrik Hatger (1883-1944),
im Amt 1925 bis 1931 (Harm Kuiper)
Bürgermeister Johannes Nyenhuis (1881-1975), im Amt
1931 bis 1968 (Harm Kuiper)
Vorsteherwahl
Zeitung und Anzeigenblatt 1919
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim
Ausgesucht von Johann Jeurink
Scheerhorn, 3. Mai 1919
„Gemeindevorsteherwahl mit Hindernissen“
Unsere Gemeinde hat ein neues Oberhaupt zu
wählen, doch stößt die Wahl auf unerwartete
Schwierigkeiten. Zwei Wahltermine sind bereits abgehalten, und beide waren vergeblich,
so daß ein dritter Termin angesetzt werden
muß. Beim ersten Termin am 29. März hatten
sich von 33 Wahlberechtigten 19 eingefunden. Die meisten Stimmen vereinigte der
Kolon Jan Schiphouwer auf sich, nämlich
von 19 sieben. Damit war eine absolute Mehrheit nicht erzielt, vom Landratsamt wurde die
Bestätigung versagt und Neuwahl anberaumt.
111
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
In derselben Versammlung wurde der Kötter
Hindrik Schraten einstimmig zum Beigeordneten gewählt.
Es wurde ein neuer Termin für die Gemeindevorsteherwahl auf den 16. April angesetzt. Da die Gemeindevorsteherwahlen noch
nach dem früheren Wahlrecht vorgenommen
werden sollen, teilte der Vorsteher den erschienenen Wahlberechtigten mit, wie viel
Stimmen nach der Steuerkraft jeder habe. Da
aber erhob sich bei denen , die nur eine Stimme
hatten, stürmischer Widerspruch. Sie bestanden auf Vornahme der Wahl nach dem gleichen, geheimen und allgemeinen Wahlrecht.
Sie verließen unter Protest das Wahllokal. Der
Landrat hat jetzt den Verweser des Hülfsamts
in Neuenhaus, Herrn Middendorf, zum Wahlkommissar für die Gemeindevorsteherwahl in
Scheerhorn ernannt, und unter seiner Leitung
dürfte nun in Kürze die endgültige Wahl erfolgen.
Scheerhorn, 12. Mai 1919
Die viel umstrittene Gemeindevorsteherwahl
ist nun am vorigen Donnerstag erfolgt. Die
Wahl leitete der vom Landrat ernannte
Kommissar Middendorf. Vor dem Wahlgang
erhoben zwar einige Kötter noch Widerspruch
Ein kleines Freibad an der Lee,
GN 31.05.1965
Bis etwa 1971 genutzt,
heute ein „Freibad“ für
Schwäne. Im Hintergrund
die Lee (Onstee)
112
BERGE UND SCHERHORN
gegen das alte Wahlrecht. Nach den nun einmal aber bestehenden Bestimmungen mußte
die Gemeindevorsteherwahl danach erfolgen.
Abgegeben wurden insgesamt 62 Stimmen,
wovon 43 auf den Kolonen Hermann Alferink entfielen, der damit gewählt war. Die anderen 19 Stimmen waren zersplittert.
Höfe in Berge und Scheerhorn
Von Harm Kuiper
In der Gildschaft Scheerhorn wurden im Jahr
1656 siebzig Hofstellen gezählt, davon elf
Erb- und zwei Schultenhöfe, 43 Höfe mit
Acker und Grünland und 14 Hofstellen nur
mit Ackerland. Die Größe der Hofstellen betrug in der Regel unter 20 Hektar. Nur die beiden Schultenhöfe in Arkel und Scheerhorn
hatten etwa 25 Hektar.
Sieben Höfe in der Gildschaft waren dem
Grafen von Bentheim hörig, einer dem Kloster
Wietmarschen. Vier Höfe wurden als „Arve“
bezeichnet. An der Lage und Namen der Höfe
hat sich bis heute wenig geändert.
In Scheerhorn werden genannt: De Scholt
(Scholten / Smit) Ratering (Bosman), Hartger,
Hemken (Nyenhuis), Zuerink (Züwerink) Schiphouwer, De Vett und Coops.
In Berge werden 1656 genannt: Albers, De
Coyt (Kuite), De Cuiper, Bols Lambert (Grote
Lambers), De Pranger (Silder, als einziger in
der Zeit Fürstlicher Hof), Mense in de Berge,
Engbert Swiers (Arnold Mensen) und elf weitere Hof- oder Landbesitzer, wobei es sich
wahrscheinlich um Kotten und Brinksitzer gehandelt hat. Die Hof- und Freiflächen vor den
Höfen Mensen, Kuite und Kuiper werden
heute noch als „Brink“ bezeichnet, was wohl
auf die „Brinksitzer“ zurückzuführen ist. Vergleicht man diese Familiennamen mit den
heutigen, kann man erkennen, dass sehr viel
Wert auf die Tradition der Hof- und Familiennamen gelegt wurde. Das Leben der Familien in Berge spielte sich auf einem sehr
kleinen Raum ab.
Dieser beschränkte sich auf die heutige
Ringstraße, an der (bis etwa 1872) auch noch
die Höfe von Engbers (Mensen), jetzt Feldstraße, und Albers (bis 1888), jetzt Wallstraße,
lagen. Dazu kam der Hof von Klein-Lambers
(Kohlenberg) an der jetzigen Hauptstraße.
Östlich oder rechts der heutigen Hauptstraße lagen nur die beiden Höfe von Kuite
und Kuiper. In diesem ganzen Kreis kann man
die alte Wegestruktur heute noch gut erken-
Übersichtskarte
der Höfe in Berge
(Harm Kuiper)
113
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Heuerhaus von Kuite im Berger Bruch. Familie Berents bis 1896, Familie Klokkers 1896–1926, Familie Jeurink 1926–1954.
Dieses Heuerhaus wurde wegen familiärer Umstände im 19. Jh. von Neuringe (Kuite) nach Berge versetzt. Kuite hat es Ende
der 1990er Jahre abgerissen. (Willy Friedrich)
„Scheerhorn: Ein überaus altes Heuerhaus bei Scheerhorn. Heuerhäuser waren einst die Unterkunft der Heuerleute, der ländlichen Arbeitskräfte, die als Pächter ohne eigenen Grundbesitz waren. Ihre Zahl betrug um 1880 allein im ehemaligen Amt Neuenhaus 2.760 Personen.
Die Abwanderung von den Höfen und die damit verbundene Aufgabe der Heuerhäuser begann
in der Grafschaft mit dem Aufbau der Textilindustrie in Schüttorf und Nordhorn und fand
ihren Abschluss mit dem Strukturwandel der Landwirtschaft nach 1945. Seither wird das ehemalige Pachtland zumeist von den Stammhöfen bewirtschaftet. Heute sind viele Heuerhäuser
der Niedergrafschaft restauriert und zu schmucken ,Landhäusern’ umgestaltet worden.“ (Aufnahme von W. Friedrich vom Januar 1961).
nen. Alte Sandwege, heute fast mit Gestrüpp
zugewachsen, sind umrahmt von alten knorrigen Eichen an den Kämpen. Die jetzige
Hauptstraße gab es früher so nicht. Dieser
Verlauf stammt aus der Franzosenzeit Anfang
des 19. Jahrhunderts.
Die „Berger Sahara“
Hinter den Höfen Kuite und Kuiper, genauer
hinter Albers Kamp, gab es Heidelandschaften bis an die Lee. Das ganze Berger- und
Escherfeld war Heide, soweit das Auge reichte.
Der Berger Brill wurde nur sehr spärlich
bewirtschaftet. Die Berger Tannen gab es zu
der Zeit noch nicht. Längs der Lee wüteten
114
große Sanddünen, die in der Landwirtschaft
sehr große Schäden anrichteten. Man sprach
auch von der „Berger Sahara“. Personen, die
diese Sanddünen beschrieben haben, berichteten über die Sandverwehungen als ein unvorstellbares Naturschauspiel. Wer einmal längs
der Lee spazieren war, sich in der Zeit zurückversetzt und sich die großen Sandhügel ohne
jeglichen Bewuchs vorstellt, kann vielleicht
die Ausmaße in der damaligen Zeit erahnen.
Bereits 1707 traf man erste Maßnahmen,
um die Sanddünen einzudämmen. Doch große
Schafherden der heimischen Bauern vernichteten immer wieder durch Zertretung und
Verbiss jegliche Aufforstaktionen. Auch der
Plaggenstich wirkte sich negativ aus.
BERGE UND SCHERHORN
Immer wieder wurden Versuche gestartet,
angetrieben von der Landesregierung in Hannover. Aber die heimischen Verantwortlichen
Bauern trugen keineswegs zum Gelingen bei.
Erst 1881 kam in der Gastwirtschaft Kleine
Lambers ein Zusammenschluss der Scheerhorner und Berger Grundbesitzer zu einer
Waldgenossenschaft zustande. 1884 wurden
100.000 Kiefern gepflanzt. Zehn Jahre später
meldete das Amt Neuenhaus, dass keine Sandverwehungen mehr vorkommen.
Einige Flächen sind von den Grundbesitzern in den 1960er und 70er Jahren gerodet
worden und werden jetzt landwirtschaftlich
genutzt. Doch der größte Teil des Kiefernwaldes ist bis heute erhalten geblieben und ein
herrliches Erholungs- und Rückzugsgebiet für
Mensch und Tier geworden.
Gerrit Jan Zager hat im Bentheimer Jahrbuch 2001, S. 170–174 einen Artikel veröffentlicht „Der Kiefernwald in Scheerhorn-Berge“.
Er bezieht sich auf die Akte Rep 350, Nr. 749
aus dem Staatsarchiv Osnabrück und auf
einen Beitrag von H. Specht im Heimatkalender von 1927 „Der Kampf des Grafschafter
Landwirts mit dem Sande“. Zagers Artikel
musste aus Platzgründen hier entfallen.
In der Franzosenzeit
Wie viel Elend und Leid die damalige Bevölkerung erleiden musste, beschreibt der Bauer
Bernd Bierling aus Klein Ringe in den Jahren
1759 bis 1836 in seiner Chronik, die er geführt
hat. (J.B. = Jahrbuch 1979) So gern von der
„guten alten Zeit“ gesprochen wurde, an das
Elend der kriegerischen Ereignisse dieser Zeit
erinnert man sich nicht mehr.
1794–1803
1795, 25. Januar: Es herrscht unerträgliches
Frostwetter. Waal, Maas und Rhein sind zugefroren. Das ermöglicht den Franzosen den
Durchbruch nach Holland. Engländer und
Wittgensteiner ziehen durch und nehmen
viele Bauernwagen mit. Am 11.2. ziehen die
Franzosen in die Festung Coevorden ein. In
dieser Zeit war es schlimm mit all dem
„Kriegsvolk“. In Emlichheim brachen die Soldaten die Bänke aus der Kirche, um Platz für
Pferde und „pakken“ (Troßgepäck) zu haben.
Die nach Veldhausen „en elders“ zurückweichenden Engländer brachen die Brücke bei
Coevorden ab.
In Scheerhorn verbrannten sie die Holzbrücke über den „hollandschen Graven“, so hieß
früher die Lee. Die Bauern mussten Torf heranschaffen, um sie in Brand setzen zu können …
Unter französischerHerrschaft (1806–1815)
Am 4. August 1806 wurde trotz aller Zahlungen und Vereinbarungen die Grafschaft Bentheim von Murat, dem Schwager Napoleons –
er nannte sich Großherzog von Berg – in Besitz
genommen. Damit begann die bis 1815 dauernde eigentliche „Franzosenzeit“. Unsere Heimat wurde dem Großherzogtum Berg einverleibt, aber schon bald zum französischen
Kaiserreich geschlagen. Die Verwaltung wurde
jetzt ganz nach französischem Muster aufgebaut und organisiert. Mairien (Bürgermeister
ämter) und Munizipalitäten (Bezirksbürgermeistereien) wurden eingerichtet. Auch Klein-Ringe
wurde eine „Mairie“ und Hindrik Beerlink „Bygeordneter der Munizipalität Klein-Ringe und
Delegierter Civil Standesbeamter“. Das von ihm
auf Veranlassung der Besatzung geführte Sterberegister für das Jahr 1813 wird ebenfalls im
Hause Bierlink aufbewahrt.
Das System der „Marien“, das die Franzosen bei uns eingeführt haben, ist bis heute
mehr oder weniger ähnlich erhalten geblieben.
Sinn und Zweck war es, jede Geburt zu erfassen, und die Söhne, auch frühere Jahrgänge,
zum Militärdienst einzuziehen. Von diesen
Auflistungen der Standesämter haben alle
späteren Landesherren und Regierungen Gebrauch gemacht.
Nr. 5 Geburt von Fenne Brunink
Abschrift der Urkunde (Seite 116): Im Jahre
Eintausend achthundert zwölf am ein und
dreißigsten Jannuar, des Nachmittags drey
Uhr, erschienen vor mir, Heinrich Beerlink,
Maire der Municipalität Kleine Ringe, der Tagelöhner Jan Brunink, wohnhaft zu Berge, mit
der Anzeige, daß am Donnerstage, den dreyzehnten Jannuar des Morgens vier Uhr, ihm
von seiner Ehegattin ein Kind weiblichen Ge-
115
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
schlechts geboren sey, welchem er den Vornamen Fenne gegeben habe.
Zeugen beij dieser Handlung waren:
Der Ackersmann Jan Lambers, fünfundsechzig jährigen Alters und der Municipal-Rath
Geerd Kuiper, zwey und vierzig Jahre alt,
beyde zu Berge wohnhaft.
Jan Lambers, Geert Kuijpers
Nach Verlesung erklärte der Comparent Brunink schreibensunfähig zu seyn, die Zeugen
unterschrieben vorstehend.
gez. Heinrich Beerlink
Maire (Bürgermeister) zu Kleine Ringe.
Bürgermeister von Berge 1806-1974
Die damaligen „Maire“ waren praktisch die ersten Bürgermeister. Der erste Bürgermeister
oder Gemeinderat von Berge war meines Erachtens Geerd Kuiper. Er war bis etwa 1833
Bürgermeister
Ihm folgte etwa 1833 Jan Harm Grote
Lambers, geb. 1806 in Berge. Um 1853 war
Geert Albers geb. Holthuis (aus Itterbeck) Bürgermeister in Berge, 1880 bis 1902 war es Jan
Harm Grote Lambers.
Am 31.01.1812 wurde die Geburt von
Fenne Brünink vor dem Maire der Municapalität Klein Ringe, Heinrich Bierlink beurkundet, die am 30.01.1812 geboren sei. Zeugen
Geburtsurkunde Fenne Brunink 30.01.1812 (Harn Kuiper)
Bürgermeister Harm Kuite 1855–1945
116
Bürgermeister Hindrik-Jan Keute 1909–2001
BERGE UND SCHERHORN
Bürgermeister Gerhard Mensen 1896–1958
Bürgermeister Harm Kuite 1909–1983 (Harm Kuiper)
dieser Handlung waren der Ackermann Jan
Lambers und der Municipalrath Geerd Kuiper,
beide wohnhaft zu Berge. Geert Kuiper ist
1767 geboren und 20.02.1846 gestorben.
Harm Kuite geb. 06.04.1855, war von 1902
bis zum 15.09.1937 Bürgermeister in Berge.
Harm Kuite ist am 16.12.1945 verstorben. Das
Gemeindebüro befand sich schon zu der Zeit
auf dem Hof Kuite und blieb dort bis zur Gemeindereform in 1974.
Ab 16.09.1937 war Hindrik-Jan Keute
Bürgermeister der Gemeinde Berge bis zu
seiner Einberufung 1943. Er ist geboren
27.03,1909 und verstorben am 30.09.2001. Er
war über viele Jahrzehnte in verschiedenen
Gremien tätig (Gemeinde, Schule und Kirche).
Gerhard Mensen geb. Hannebrook geb.
10.03.1896 in Bathorn war Bürgermeister von
1946 bis zu seinem Tod am 05.02.1958.
Nachfolger und letzter Bürgermeister war
Harm Kuite, der dieses Amt bis zur Gemeindereform 1974 inne hatte. Geboren wurde er
am 10.10.1909 und ist am 23.04.1983 gestorben. Hiermit schloss sich die Akte Bürgermeisteramt in Berge.
Lambet und Velt. Überwiegend hielten sie Schafe, nämlich 170 Stück. Außerdem wurden 28
Pferde, 45 Kühe, 30 Rinder und zehn
Schweine auf den Höfen gehalten. Auf den elf
Höfen lebten 1705 32 Erwachsene, 14 Kinder
und fünf Knechte/Mägde. 1717 waren es 29
Erwachsene, acht Kinder und zwei Knechte/
Mägde.
Die Anzahl der Hofstätten hat sich auch im
Jahr 1800 noch nicht geändert. 1821 waren es
nur noch zehn| Höfe aber mit 83 hatte sich
die Zahl der Einwohner fast verdoppelt.
Nach dem Bau des Nord-Süd-Kanals ab
1871 und dem Ausbau und Regulierung der
Lee 1927 bis 1933 siedelten sich mehrere landwirtschaftliche Betriebe an. 1933 gab es 22
Höfe und 126 Einwohner.
Einen wahren Bauboom für das kleine
Berge gab es am Anfang der 1950er Jahre.
Bauernsöhne, aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, bauten sich in
der Gemeinde ein Haus. So wuchs Berge bis
Ende 1959 auf 160 Einwohner in 30 Wohnhäusern an.
Flüchtlinge des letzten Krieges sind in
Berge nicht sesshaft geworden. Dafür war die
Gemeinde zu klein und hatte auch wirtschaftlich zu wenig zu bieten. Die letzten Flüchtlinge verließen Berge 1960 und so pendelte
sich die Personenzahl zwischen 140 und 150
Volkszählungen 1707 bis 1959
1707 zählt man in Berge elf Höfe. Kuiper,
Kuite, Grote, Lambers, Huit Derck, Prenger,
Huit Albert, Mensen, Engbert, Zweers, Klein
117
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
ein. Heute hat Berge ca.123 Einwohner. Auch
an den 30 Wohnhäusern änderte sich in den
letzten 50 Jahren nichts mehr. Berge war, ist
und bleibt eine kleine beschauliche und vor
allem überschaubare Landgemeinde.
Hungersnot 1822 in der Gildschaft
Scheerhorn
STAOS, Rep 340, Amt Benth. Nr. 645, Getreidelieferung auf Kredit an die Gildschaft
Scheerhorn zur Abwendung einer infolge
Hagelschlags drohenden Hungersnot
Akten via Harm Kuiper, Berge
Pr. 21 Decbr. 1822
Die Eingesessenen der Gildschaft Scheerhorn
im Gericht Emlichheim sind im Monate Mai
d.J. dergestalt mit Hagelschlag heimgesucht
worden, daß die Mehrsten kaum das benöthigte Saatkorn von ihren Feldern eingeerndtet
haben, und an Brotkorn würcklich Mangel leiden. Da sie sich um selbiges bey dem gegenwärtigen Geldmangel und den außerordentlich
niedrigen Preisen aller Landes-Producte selbst
auf Credit nicht anzuschaffen vermögen; so
haben sie sich in dieser drückenden Lage an
Uns gewandt und um Hülfe nachgesucht.
Wir haben Uns daher veranlasst gesehen,
durch den Friedensrichter Wedekind den würcklichen Bedarf der besagten Eingesessenen an
Brodkorn untersuchen zu lassen, welche in
dem hiebey anliegenden Bericht desselben vom
18 d. Mts. auf 8 Last 71 Scheffel Roggen dortigem Maaße angegeben wurden.
Da nun jenen des Brotkorns bedürftigen
Eingesessenen auf keine andere Weise zu helfen ist, als daß denselben, wie von dem Friedensrichter Wedekind vorgeschlagenen worden
ist, der ihnen fehlende Roggen von den herrschaftlichen Kornböden, in so fern es der Vorrat gestattet, auf Credit, etwa bis 1 September
künftigen Jahres, jedoch unter genugsamer
Sicherheits-Leistung für die Bezahlung des
jetzt ... gängigen Preises, verabfolgt werde; so
geben Wir der Königlichen Cammer – Administrationen anheim, bey Königlicher Cammer die
dazu erforderliche Autorisation nachzusuchen.
Bentheim, den 20. December 1822
Königliche p. Regierung
Pestel
118
An die Königliche Cammer Administration
hier. Actum Neuenhaus Dienstag den 28ten
Januar 1823 praesentes Herr Richter Wedekind und der Actuar Wineke
Demnach Königliche Cammer zu genehmigen
geruht hat, daß den im ?vergangenen? Sommer durch Hagelschlag beschädigten Eingesessenen der Gildschaft Scheerhorn, acht Last
71 Scheffel Roggen zum Brotkorn, von dem
herrschaftlichen Vorrathe für den jetzigen
Marktpreis überlassen werden, zu dessen
bis zum ersten September dieses Jahres gefristeten Bezahlung aber die theilnehmenden
Communen sich in solidum verpflichten sollen
– und dann Königliche Regierung zu Bentheim,
mittelst Rescripts vom 20ten dieses Monats dem
Friedensgerichte Emblichheim aufgetragen hat,
über die von den Eingesessenen der betreffenden Communen der Gildschaft Scheerhorn zu
übernehmende Verpflichtung ein gehöriges
Protocoll auf zu nehmen und einzusenden,
damit wegen Ablieferung des Roggens das Weitere verfügt werden kann, so erschienen heute:
1. aus der Bauerschaft Scheerhorn die Coloni
Schulte, Hemmeke, Ratering, Vette, Egbers,
Kamps, Brüning und Haatger, welche erklärten, daß sie in Hinsicht der Bezahlung
der drei Last fünfzig Scheffel, welche sie
von dem obigen Roggen erhalten würden,
alle für einen und einer für alle, oder in solidum haften und folglich jeder für die
ganze Summe ansprechlich seyn wollte.
2. aus der Bauerschaft Hochstädte erschienen
die Coloni Warmer, Hannebook, Wöste, Saalming, Jöring, Kuhlmann, Kalmann, Albers,
Kolthoff, Schulte zu Arkel und Völker, welche
in Hinsicht der zwei Last sechs und sechzig
Scheffel, welche sie von obigem Roggen erhalten würden, das Nämliche erklärten
3. aus der Bauerschaft Bathorn erschienen die
Coloni Quade, Bolle, Brookschnieder, Boerkamp, Blömer, Wiegman, Wigger und Herm
Neerken, welche das Nämliche erklärten in
Ansehung der einen Last und 53 Scheffel,
welche sie von dem bewilligten Roggen erhalten würden.
4. Erschienen die drei Eingesessenen der Bauerschaft Berge, nämlich Zweers, Engbers
und Schnieder, welche in Hinsicht der 52
BERGE UND SCHERHORN
Eigenhändige Unterschriften von 36 Einwohnern aus 1823, Abschrift Seite 118 (Gerrit Jan Beuker)
119
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Scheffel, die sie von obigem Roggen erhalten würden, das Nämliche declarirten.
5. Endlich erschienen auch die beiden Eingesessenen Schlickert und van Ringe aus Tinholt, und erklärten eben dasselbe in Hinsicht der fünfzig Scheffel, die sie von obigem Roggen erhalten würden.
Sämtliche Comparenten entsagten allen ihnen
etwa zustehende könnende Einreden, insbe-
sondere der Rechtswohlthat der Theilung und
haben dies Protokoll, welches nach zurück behaltener Abschrift, im Original an Königliche
Regierung zu Bentheim eingesandt werden
soll, darauf nach geschehener Verlesung und
Genehmigung eigenhändig unterschrieben.“
So geschehen Neuenhaus am Tage wie oben
G. Wedekind
Harm hemke
Jan Raterink
Jan Egbers
Jan Hartger
Geert han nebrook
Jan Jeurink
H. Koelmann
Jan Hindrik Albers
Harm Kolt hof
hindrik Kwad
Egbert brook snijder
janherm bleumer
Jan wiggers
Janhindrik Zweers
Berend Engbers zijn
Merkzeichen, welche bescheinige Wineke
Geert Sniders
Berent Scholten
Gerrit Jan Vette
Geert kamps
Jan harm brunink
Jan wermer
jan weusten
Gerrit zaalmink
Rötger Kalman sein Merkzeichen
welches bescheinige Wineke
Geert Scholte
jan hindrik volkers
Albert Bol
Jan Harmberkamp
wasse wiege man
ham neeken
Hindrik Slikkers
Jan van Ringe sein Merkzeichen, welches bescheinige Wineke
Wineke
Heuerhaus vom Hof Scholte,
Scheerhorn, etwa 1955-1960
Hier wohnten Familie Heckhuis, Familie Gerhard Büter,
Familie Veldjans, Fam. Hans
Rießland, Familie Michalsky.
Wohn-Wirtschaftsgebäude
in Scheerhorn. Das wohl
älteste Haus in der Niedergrafschaft. Mit Stroh, Schilf,
Heideplaggen und „Woagebüschen“ (Wacholder) gedeckt,
ebenfalls die Giebelfront.
Die Bewohner fühlen sich
darin wohl. Zufriedenheit
ist „relativ“. (Willy Friedrich)
120
BERGE UND SCHERHORN
Dokumente Berge 1829 bis 1919
Harm Kuiper
Kaufbrief Ratering an Mensen 1829
„12. Mai 1829
(Stempeltaxe 8 Gute Groschen conv. Münze)
Vor dem Amte erschienen die Eheleute Colon
Jan Ratering und Janna Alfering aus Scheerhorn: Dieselbe sagten aus und bekannten vermöge eines von ihrer Gutsherrschaft der
Fürstlichen Domänen Cammer unterm 31ten
März dieses Jahres erhaltenen Consens verkauft zu haben, und hiermit verkauften, ihre
ihnen eigenthümlich zubehörende ungefähr ein
Tagwerk haltende Wiese, belegen an Brinks
Mathe und am Escherbrook, an den Colon
Herm Mensen in den Bergen mit Lüsten und
Lasten, Recht und Gerechtigkeiten für die
Summe von f 400,- geschrieben vier hundert
Gulden – wobei sie bemerken mussten, daß
aus diesem Grundstücke der Zehnte gehe,
wovon sie ihren Antheil dem Käufer mitverkauftt hatten. Da der Käufer nun ihnen die ge-
nannte Kauf-Summe bereits völlig ausbezahlt
habe, so setzen sie denselben in den ruhigen
Besitz der ihm verkauften Wiese, und versprachen ihm die Gewähr Rechtens, jederzeit
dafür zu halten.
Nach geschehener Vorlesung und Genehmigung haben die Verkäufer Eheleute Ratering
vorstehenden Kaufbrief eigenhändig unterschrieben und respective mit einem Handmerk
bezeichnet.
Jan Raterink
++ Diese Zeichen zog die Ehefrau Ratering geborne Janna Alfring eigenhändig in meiner
Gegenwart, quod attestor…
Urkundlich vorgedruckten Amts-Siegels – abschriftlicher Eintragung in das Documenten
Protocoll und der gewöhnlichen Unterschrift.
So geschehen, Neuenhaus, den 12ten May
1829
Standesherrliches Fürstlich
Bentheimsches Amt
Wessels.“
Anfang und Ende Kaufbrief Ratering an Mensen,
12.05.1829 (Harm Kuiper)
121
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Scheerhorner Ballast / Kündigung
eines Versatz-Verhältnisses 1849
Geschehen Amt Neuenhaus, den 17. Juli 1849
Fürstlich-Bentheimsche Domänen-Kammer ./.
28 Eingesessene der Gildschaft
Scheerhorn betreffend
Es erscheint Namens der Fürstlich-Benheimschen Domainen-Kammer der Rentmeister
Crameer von hier und trägt vor:
Der Graf Friedrich Karl Bentheim habe
laut einer unter dem 20. Sept. 1747 darüber
aufgenommenen Urkunde die Summe 8.400
Gl. niederl. von folgenden Personen zum Darlehen erhalten:
Schulze zu Scherhorn, Lambert Ensing,
Hinrich Bloemer, Albert Alfering, Berend Suivering, Gerd Schiphouer, Hemke, Gerd Weuste, Jan Ratering, Gerd Hartger, Coop Mensen,
Hindrich Herms, Geerd Saalming, Lambert
Schulze odere Meijers, Lambert Jöring und
Grote Lambers (Hindrich), Gerrit Quade, Baukamp, Wermer, Gosen, Koelmann, Weuste,
Neerken, Jan Wiegering, Derk Kolthoff, Jan
Saalming, Jan Bruining, Hannebroek und
Kaalmann;
Für jenes Darlehn seij den Darlehngebern,
welche in der Urkunde sämmtlich als Scherhorner Eingesessenen aufgeführt seijen, zum
Theil indessen auch in anderen Bauerschaften
der Gildschaft Scherhorn wohnen, der zu
Scherhorn belegene s.g. Scherhorner Ballast,
dem Fürstlichen Haus Bentheim eigenthümlich gehörig, in antikretischem Versatze gegeben, und seij stipulirt worden, daß beide
Theilen nach Ablauf von 25 Jahren seit dem
20 Sept. 1747. eine halbjährige Kündigung
des Darlehns, resp. des Versatzverhältnisses
frei stehen solle.
Die Fürstlich-Bentheimsche DomainenKammer wolle nunmehr den Scherhorner Ballast wieder einziehen, kündige daher hiermit
die darauf ruhende Last der antikretischer
Versatzung und erkläre sich bereit, binnen
einem halben Jahre, von Zeit der Kündigung
angerechnet die Schuld 8.400 Gl. den
Berechtigten zurück zu zahlen. Er bitte,
diese Kündigung den jetzigen Inhabern der genannten Colonate zu insinieren und ihn(en)
Insinuationsbescheinigung zugehen zu lassen.
122
Sodann wünsche er, daß ??Editalladungen
erlassen und durch diese alle etwaigen Gläubiger, auf welche etwa ein Antheil an dem
fragl. Kapitale durch Erbschaft r. übergegangen sein möchte, von der jetzt geschehenden
Kündigung in Kenntnis gesetzt und zur Anmeldung ihrer Ansprüche in einem auf ein
halbes Jahr hinaus gesetzten Termin, bei
Strafe der Präilusion, vorgeladen würden;
diese Vorladung unter denselben Präjudize
möge auch an die Inhaber der erwähnten Colonate geschehen; Sodann bitte er noch das
Präjudiz anzudrehen, daß diejenigen die eine
des Geldes auf welche im Anwandlungstermine keine Anspruch erhoben würde, daher
unausgezahlt bleibe, auf Gebühr und Kosten
der später sich meldenden Gläubiger gerichtlich deponiert werden solle
Er halte für genügend, wenn die ???Einladung den Osnabrückschen Anzeigen inserirt
und in den Kirchen Veldhausen, Arkel und
Emblichheim publicirt werde.
Endlich überreich er zur Kenntnisnahme
des Amts eine Abschrift des eben erwähnten
Contracts, von welchem er indessen keine Mittheilung an die Besitzer der genannten Colonate wünsche.
procl. ratif.
a.u.s. (actum ut supra)
Kock H. hacke
Durch ‘Blama? am 3. August 1849 insinirt??
W. Brill??“
Ablösungs-Receß von 1876
Zwischen dem Rentmeister Crameer zu Neuenhaus, Namens und im Auftrage der Fürstlich Bentheimschen Domänen Kammer zu
Burgsteinfurt und
dem Colon Mensen zu Berge ist der nachstehende Ablösungsvertrag abgeschlossen
worden.
1. Aus dem Colonate Mensen zu Berge werden nachfolgende, dem Fürstlichen Hause
Bentheim zu leistenden Abgaben abgelöst,
als: ein s.g. Rauchhuhn
2. Diese Abgaben werden mittelst KapitalZahlung abgelöset und beträgt das AblöseKapital dafür auf Grund der nebenstehenden Bezeichnung 4 G. 24 gr.
BERGE UND SCHERHORN
3. Der getroffenen Vereinbarung zufolge soll
das vorgenannte Ablöse–Kapital nebst den
bis dahin seit dem letzten Fälligkeitstermine
verlaufenen Zinsen zu 4% am 1. Nvbr. d.J.
bezahlt werden.
4. Nach Zahlung des Ablöse-Kapitals und der
Rente ist das eingangs gedachte Kolonat
von den im Art. 1 genannten Abgaben für
immer liberirt, so daß Ansprüche darauf
nie mehr gemacht werden können.
So geschehen Neuenhaus den 1. Mai 1876
gez. Crameer, H. Mensen
bitte um Bestätigung und Ausfertigung dieses
...
gez. Crameer
Vorstehender Ablösereceß
wird damit genehmigt.
Burg Steinfurt 19. April 1876
Fürstlich Bentheimische Domänen Kammer
unterschrift
unterschrift
Vorstehende Ablöse Capital ad 4 rt 24 gr nebst
Abgabe zu heute einbezahlt
Neuenhaus d.en 12. Mai 1876
Kglicher Rendant
Crameer
Anfang Ablösungsvertrag
vom 01.05.1876 (Harm Kuiper)
Familie Vette in Berge um 1920, Johanne und Jennegien Vette mit ihren Eltern Aaltine
geb. Brooksnieder und Jan Lukas Vette (Mini Büdden)
123
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Friedenseichen in Hoogstede–Berge
Die Friedenseichen in Berge sind 1913 gepflanzt
worden von Schulkindern des Gustav Lammers, einem gebürtigen Bentheimer und Lehrer in Scheerhorn, Ersatzreservist, gefallen am
11. April 1917 bei Bolaute. Friedenseichen
wurden seinerzeit an verschiedenen Orten der
Grafschaft zur Erinnerung an die napoleonischen Befreiungskriege gepflanzt. (Quelle: Ein
ehemaliger Schüler Foto: Rolf Laing, in: Der
Grafschafter 11/2002, S. 42)
Der Heimatverein hat im Berger Feld und
bei den drei Friedenseichen Ecke Schwarzer
Diek/Zur Friedenseiche im Dezember 2007
Hinweistafeln aufgestellt. Darauf heißt es:
„Bei diesen drei Eichen, die früher von
einem Zaun umgeben waren, handelt es sich
um ein Denkmal. Die Bäume wurden im Jahre
1913 gepflanzt aus Anlass des 25-jährigen
Thronjubiläums des Deutschen Kaisers Wilhelm II. und zur Erinnerung an die Befreiung
von der französischen Fremdherrschaft durch
die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813.
Mögen die Eichen uns mahnen, den Frieden
zu bewahren!“
Die Friedenseiche in Berge
vor dem Hof von Grote Lambers
Friedenseichen
(Gedicht von Heinrich Kuiper, Grasdorf,
deutsch von Manfred Kip)
In Blüte stand das deutsche Kaiserreich,
das Vaterland.
Da wurde ich in froher Friedenszeit
gepflanzt von junger Männerhand doch war der Erste Weltkrieg nicht mehr weit.
Und drohend schaute aus dem schwarzen Wolkenmeer
die Sonne auf die große Völkerschlacht, die jetzt begann.
Ich selbst war Kind und freute mich an bunten Sommerfarben,
als unser Land versank in Nacht und Not.
Noch klingt das Wort „mobil" mir in den Ohren,
und Vater, Mann und Bruder, Sohn –
sie standen an der Front, und in vier fürchterlichen Jahren
mussten Zigtausend noch ihr junges Leben opfern.
Für Kaiser, Volk und Vaterland war es vergebens,
dass alle diesen schweren Acker pflügten. Die Erde brannte,
und begraben wurde die Illusion der großen Freiheit aller Völker.
Doch wenig später, ich war immer noch recht jung,
stieg wieder ein Aggressor auf den Thron und sang
die alte, wohlbekannte Melodie:
Wir werden kämpfen, werden siegen,
ich bin der starke Mann, und wenn wir wollen,
sind wir schon bald die Herr'n der ganzen Welt.
Den Deutschen und den Siegern hat es nur geschadet,
dass aus dem Ganzen niemand etwas lernte.
Ich denke an Verdun und Stalingrad,
zwei Orte, die Symbol für sinnlos' Sterben sind.
So musste ich zwei lange Kriege bitterlich erleben,
und noch vernehme ich den Klang der Waffen.
Auf schwachen Füßen nur steht unser Lebensglück,
und dieser dunkle Weg der Menschheit ist noch nicht zu Ende.
Ich zittere vor Schreck und ziehe bittere Grimassen,
wenn ich von Kriegslärm hier auf Gottes Erde höre.
Oh Völker, gebt dem Frieden endlich mal
ein sicheres Zuhause, dort,
wo Liebe nur und Menschlichkeit regieren!
Der Grafschafter, Oktober 2002
124
BERGE UND SCHERHORN
Friedenseichen in Berge
mit Info-Tafel 2008
(Johann Jeurink)
Scheerhorner Hüttenböilt
Von Harm Kuiper
De Fredenseeke
Van Heinrich Kuiper
Dat düütsche käiserriek en vaderland
in blööjssel stün. In fredenstied
bin ik hier pot´t van junge manlööhand.
Den eersten Oorlog was nich wied,
as reerend keek ut´t swatte wolkenmeer
de sun en wickd´´ne völkerslacht.
Ik was noch ´n kind en glimd´in sommerkleer,
as´t land versackd´in noad en nacht.
Noch klingt dat woord „mobil“ mi in de oor´n
en vader, man en bröör en sön
stün´n fechtend an de front en in´n loop van joor´n
gaff´n völl eer blööj´nde lewen hen.
Föör käiser, volk en vaterland hebt see
ümtsüns den sworen akker plöögt.
Uns eerde brande, en´n lewen völkerfree
lag deep begraven. Later in mien jöögd
steeg weer´n aggressor up den troon en süng
de auld bekäinde melodie:
Will krieg en sieg, ´nen starken man, dat bin ´k,
et heele weltriek, dat höörd mi!
Uns land en ok de siegermächt´heft´t schaad,
dat ut geschichte men niks leerd.
Ik däinke an Verdun en Stalingrad,
woor sinlos starwen sichtbar wöörd.
Twee lange Oorlogs mus belewen ik,
en noch vernem ik wäpenklang.
Up slappe föte steet uns lewensglück.
De mäinschhäid geet döör´n düüstern gang.
Ik beew van schrick en trekt gesichte kruus,
höör ik van kriegslarm up Gods eerd.
O völker, schäinkt den free een worm tohuus,
woor leewd´en mäinschlikhäid regeert!
Baugebiete werden ausgewiesen, erschlossen,
verkauft und innerhalb kürzester Zeit stehen
schmucke, meist Einfamilienhäuser auf den
Bauplätzen. Das ist in der heutigen Zeit der
ganz normale Ablauf.
Bei der Entstehung des Scheerhorner
Hüttenböiltes fanden diese Abläufe so nicht
statt. Woher kommt die Straßenbezeichnung
„Hüttenböilt“?
Der Hüttenböilt war früher ein Tierfriedhof. Noch bis etwa 1948/49 wurden dort tote
Kühe, Schweine, Schafe und auch Pferde, die
dort von den hiesigen Bauern mit Ackerwagen hingebracht wurden, vergraben. Es war
Gemeindegrund und wurde von den Berger
und Scheerhorner Bauern gleichermaßen genutzt. Das Gelände war hügelig, wie die ganze
Lee-Südseite mit ihren Sanddünen.
Ab1948 bauten die ersten Flüchtlingsfamilien Behelfsheime. Den Anfang machte Familie Schrader mit einer Nissenhütte. Schrader
war die erste Flüchtlingsfamilie in Hoogstede
und kam schon vor Kriegsende im Herbst
1944 mit fünf Personen abends am Bahnhof
an. Alfred Schrader beschrieb, sie seien in
Hoogstede regelrecht „ausgeladen“ worden.
Die erste Nacht verbrachten sie in der Schule.
Eine andere Familie fuhr weiter nach Emlichheim. Olga Welt, die Tante, Auguste Schrader
und der jüngste Sohn Helmut (4 Jahre) kamen
am folgenden Tag auf den Hof Peters in Berge;
Walter (12 Jahre) erst zu Scheepers und später zu Kuiper in Berge. Alfred Schrader wurde
zu Familie Hans Bets gebracht, der Heuermann auf dem Hof Korf in Osterwald war.
Später wohnte Schrader bei Familie Jan Albers in Berge.
Schraders kamen aus Litauen und waren
Volksdeutsche. 1938 wurden sie nach Insterburg in Ostpreußen übergesiedelt und kamen
im Herbst 1944 in die Grafschaft. Erst 1948
fand die Familienzusammenführung statt. Sie
bauten sich in Scheerhorn eine Nissenhütte
125
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Olga Welt und Auguste Schrader
vor der Nissenhütte 1948 in Scheerhorn (Harm Kuiper)
(Wellblechhütte), mit Baumaterial von der
englischen Besatzungsmacht und der Gemeinde Scheerhorn und Berge. Die Wellbleche
kamen von den Engländern und wurden
später auch von der Firma Deilmann zur Verfügung gestellt, die zu der Zeit schon in
Scheerhorn tätig war.
Die Schraders verdienten sich ihren Lebensunterhalt mit „Spinnen“. 1952 bauten die
Kinder ihrer Mutter ein Haus auf dem „Böilt“,
erst mit einem Flachdach und 1953 wurde es
mit einem Spitzdach versehen. Dieses „weiße
Haus“ war das erste auf dem Hüttenböilt. In
dem Haus wohnten später die Familien Georg
Züwerink, Günter Wolf und heute Heinrich
Mensen.
Fast alle Familien in Scheerhorn und Berge
nahmen nach dem Krieg Flüchtlinge auf ihren
Höfen auf. Weil viele Familienväter und auch
Söhne noch in Kriegsgefangenschaft, vermisst, verwundet oder krank waren und auch
sehr viele nicht zurückkehrten, fehlte es überall an Arbeitskräften. Die Mithilfe der Flüchtlingsfamilien wurde sehr gern angenommen.
Man gab ihnen dafür ein Dach über den Kopf,
oft wurde es aber auch schamlos ausgenutzt.
Es waren nicht alle begeistert, einen Teil ihrer
126
Wohnung für fremde Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen und zu räumen. Keiner wusste
wie lange diese Situation anhalten würde. So
hatte keiner etwas dagegen, dass sie sich auf
dem heutigen Hüttenböilt Behelfsheime aus
Holz und Wellbleche aufstellten. Jeder war gewillt, diese Missstände schnellstens abzuschaffen beziehungsweise sie zu verbessern.
Ein Behelfsheim aus Holz, was mehr Erdloch als Haus war, baute sich die Familie Rudweleit 1949 in den Sandhügeln an der Lee.
Eiserne Bettgestelle für fünf Personen standen
ihnen dort zur Verfügung. Die Rudweleits erhielten nach dem Krieg kurz ein Quartier bei
Bürgermeister Jan Harms-Ensink in Hoogstede-Bathorn und wurden danach auf dem
Hof Kleine Lambers (jetzt Kohlenberg) in
Berge einquartiert. Hier wohnten sie in dem
Eckraum zur Hauptstraße mit fünf Personen
auf dreizehn Quadratmetern. Wenn man bedenkt, was diese Flüchtlingsfamilien seit der
Vertreibung aus ihrer Heimat alles erlebt
haben, waren sie erst einmal froh, untergekommen zu sein, doch ein Dauerzustand
konnte dies nicht sein. Hertha Weber geb.
Rudweleit, jetzt wohnhaft in Hagen am Teutoburger Wald, berichtet, dass sie zu der Zeit
bereits nach Neuenhaus zur Schule ging und
sich vor anderen Schülern richtig schämte, in
einer solchen Behausung zu leben. Anfang der
50er Jahre baute man sich ein neues Haus aus
Klinker. Ein Stück Land, das sie vom Schulverband pachteten, hatten sie urbar gemacht.
Darauf hielten sie sich ein paar Schweine. Erst
1970/71 erwarben sie ihr bescheidenes Anwe-
Auguste Schrader
vor ihrem Haus
in Scheerhorn, heute
Heinrich Mensen
(Harm Kuiper)
BERGE UND SCHERHORN
sen als Erbpacht von der Gemeinde Scheerhorn. 2000 kaufte Familie Guido Meyerink
das Haus mit Grundstück.
So wie die Flüchtlingsfamilien Rudweleit
und Schrader fingen noch mehrere Familien
mit Holz und Nissenhütten auf dem Scheerhorner Hüttenböild an. Familie Bläsner, die
vorher bei Zweers in Berge wohnte und auch
Familie Weinberg. Bis heute sind dort acht
Häuser entstanden und es weist fast nichts
mehr auf die vorherige Nutzung und sehr
schweren Anfänge der Besiedlung in der
Nachkriegszeit hin.
Die Scheerhorner Siedlung entstand erst
gut 15 Jahre später. Eigentümer der Bebauungsflächen war die Schulgemeinde Scheerhorn/Berge, neun Bauplätze wurden in der
Siedlung vergeben.
Auszüge aus dem Protokollbuch
der Gemeinde Scheerhorn:
Dem Bebauungsplan wird am 24.02.1964 zugestimmt. Die Gemeinde übernimmt keine
etwa anstehenden Kosten. Diese müssen ebenso
wie die Wege- und Straßeninstandsetzung die
Anlieger tragen (oder Bewerber). Auf das
Schreiben der Kreisverwaltung vom 03.11.
1964 beschließt der Gemeinderat am 18.12.
1964, das Baugebiet soll nicht durch weitere
Wohnbauflächen, etwa bis Bolks, vergrößert
Eingang Abenteuerspielplatz Scheerhorn-Berge in 2008
(Harm Kuiper)
werden soll. Der Rat beschließt am 15.11.1967,
die Trägerschaft sowie die künftige Unterhaltung der Kläranlage zu übernehmen.
Am 27.10.1969 heißt es: In der neuen
Siedlung soll eine Pflasterstraße gebaut werden, wenn die Anlieger ein Viertel der Unkosten übernehmen. Die Gemeinde liefert die
Steine und zahlt 20,– DM pro Quadratmeter
für die Pflasterung. Für die Herstellung des
Weges bis zur Pflasterung (ausräumen, Sand
fahren u...) werden 1000,– DM berechnet. Für
Handlangerdienste pro Kubikmeter wird eine
DM berechnet. Den Rest müssen die Anlieger
bar entrichten.
Bei einer 25%igen Beteiligung der Anlieger
am Hüttenböld wird auch dort ausgebaut. Abstimmungsergebnisse 4 ja 2 nein.
Neubau der Gaststätte Warmer in Scheerhorn, 1964. Heute sieht man beim Vorbeifahren ein schmuckes Haus der Familien
Smit/Batterink, früher war es Treff und Mittelpunkt vieler Generationen in Scheerhorn und Berge, die Gaststätte Warmer
in Scheerhorn. Vor dem Neubau 1964 war dort sogar noch eine Viehwaage untergebracht. Sehr lange, über mehrere
Generationen führte die Familie Heinrich Warmer die Gastwirtschaft. Von 1978–1983 wurde sie von Eberhard Rasper
geführt, und 1983–1988 von Brigitte Smit. (Harm Kuiper)
127
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Berger Jugend um 1960 aus Anlass einer Zugfahrt in alten Trachten, Evert Lübbers, Albertus Kuite,
Aaltina Kohlenberg geb. Kl. Lambers, Jenni Zwiers geb. Kl. Lambers, Jenni Harms-Ensink geb. Kuite,
Henni Nacken geb. Kuiper, Albert Jan Kuite (Willy Friedrich)
Erdölfeld Scheerhorn
Gerold ten Brink, Osterwald
Am 19. September 1949 begann mit einer Deilmann-Bohranlage etwa 3 km nordwestlich von
Georgsdorf am Coevorden-Piccardie-Kanal
mit der von Deilmann gebohrten Sonde Scheerhorn 1 (Sche 1) der Aufschluss der Erdöllagerstätte Scheerhorn…
Sche 1 stieß ab 1108 m auf einen gut verölten Bentheimer Sandstein. Am 26. Oktober
1949 stellte man die Bohrung, ohne den Bentheimer Sandstein ganz zu durchbohren, bei
einer Teufe von 1123,5 m ein. Förderteste
brachten den Nachweis, dass die Aufschlussbohrung Scheerhorn 1 fündig war. Der 5. Dezember 1949 war der erste Fördertag und die
Bohrung förderte eruptiv durch eine 6-mmDüse 70m3 Öl je Tag mit einem Stockpunkt
von 28 °C. Ein Öl mit so hohem Stockpunkt
zu fördern, ergab sogleich technische Probleme, insbesondere im Winter.
128
Im folgenden Jahr wurden zehn Bohrungen
in mehr oder weniger großem Abstand von der
Sche 1 im Auftrag des Viererkonsortiums –
Deilmann, Elwerath, Preussag und Wintershall
– abgeteuft. Doch die meisten trafen den Bentheimer Sandstein ganz oder zum Teil verwässert an. Lediglich die Sche 8 und die beiden
mehr als einen Kilometer westlich der Sche 1
Verwalzen eines
Bohrturmes
BERGE UND SCHERHORN
Denkmal „Kleiner Tiefpumpenantrieb“
Bernd Jeurink
beim Abtransport
von Ölresten von
den Fördersonden
angesetzten Bohrungen Sche 10 und Sche 16
waren wirtschaftlich fündig. Sie gaben den
Hinweis, dass sich die Scheerhorner Lagerstätte
in Richtung Westen erstreckt und mit der Sche 1
nur die kleine Ostscholle der Lagerstätte gefunden worden war. Bis zur Mitte der fünfziger
Jahre war dann die Lagerstätte im Bentheimer
Sandstein voll erschlossen. Zeitweise setzte man
bis zu vier Bohranlagen von Deilmann und der
Gewerkschaft Elwerath ein. In den Jahren 1951
bis 1955 wurden 69 Bohrungen abgeteuft…
Insgesamt wurden in Scheerhorn 169 Bohrungen mit fast 200.000 Bohrmetern abgeteuft.
Nur zwölf Bohrungen waren nicht fündig.
Verkehrsverhältnisse
In Scheerhorn gab es 1949 nur unbefestigte
Landwege, die meistens wegen moorigen Untergrundes und schlechter Entwässerung mit
schweren Fahrzeugen zum Transport der
Bohrgeräte nicht befahrbar waren. Im Zuge
der Bohrtätigkeit und des Ausbaus des Feldes
zu einem Erdölförderbetrieb mussten deshalb
nicht nur Bohrplätze angelegt, sondern auch
Wege zu Straßen ausgebaut und viele neue
Straßen gebaut werden. Heute beträgt das von
den Konsortialpartnern angelegte Straßennetz
im Erdölfeld Scheerhorn rd. 41 km.
Der Abtransport des geförderten Erdöls erfolgte im ersten Förderjahr auf dem Wasserweg.
Mit dem 100 t fassenden Tankschiff „Glückauf“ wurde das Erdöl auf dem Coevorden-Piccardie-Kanal nach Emlichheim gebracht und
dort in Eisenbahnkesselwagen gepumpt. Mit
der Bentheimer Eisenbahn und der Bundesbahn gelangte es dann auf dem Schienenwege
129
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
zu Raffinerien im Ruhrgebiet. Damit das Öl
be- und entladen werden konnte, mussten Lagertanks, Tanker und Kesselwagen wegen des
hohen Stockpunktes beheizbar sein. Man
sprach in Scheerhorn oft davon, dass es besser wäre, das Öl in Säcken zu verladen.
Bei der Sonde Sche 1 entstand die Sammelstelle 1 mit Tanks und einem Dampfkessel. Auf Feldbahngleisen fuhr man das Öl in
Kleinkesselwagen von den anderen Fördersonden heran, denn im Anfangsstadium hatte
man noch keine Erfahrungen mit dem Leitungstransport eines Öles mit einem Stockpunkt von 28 °C.
Nachdem im Laufe des Jahres 1950 der
drei Kilometer entfernte Erdölförderbetrieb in
Osterwald einen Grubenbahnanschluss bekommen hatte und dort von den Konsortialpartnern die Emsland Erdölleitung GmbH
(EEG), eine Gesellschaft für die Ölverladung
und Verpumpung zu den Raffinerien, gegründet worden war, transportierte man das
Scheerhorner Öl vorübergehend mit Straßentankwagen nach Osterwald. Doch bald konnte
das Öl durch die an der Sammelstelle 1 vorbeiführende Pipeline des Erdölfeldes Rühlertwist zur EEG verpumpt werden.
Sammelstelle zwei seit 1951
1951 erfolgt der Aufbau der Sammelstelle 2.
Über beheizbare Sammelleitungen geht seitdem der Erdölfluss zu dieser Sammelstelle, wo
das Erdöl entgast und das Lagerstättenwasser
abgeschieden wird, denn inzwischen hatte bei
einigen Sonden in Randwasserbereich eine
Sammelstelle 1 am Kanal
130
Sammelstelle 1 Tankschiff Glückauf
Sammelstelle 2
langsame Verwässerung eingesetzt. Mit der
Inbetriebnahme der Sammelstelle 2, die durch
eine Leitung mit der EEG in Osterwald verbunden war, konnte die Sammelstelle 1 nun
aufgegeben werden.
Betriebsplatz und Verwaltung 1951/52
Anfang der fünfziger Jahre förderten die Sonden aufgrund des hohen Lagerstättendruckes
noch eruptiv. Doch wegen des hohen Stockpunktes des Öles reichte dieser Druck bald
nicht mehr aus, um das Öl durch die Leitungen zur Sammelstelle zu leiten. Die Sonden
mussten deshalb auf Tiefpumpenförderung
umgestellt werden.
Mit der schnellen Feldentwicklung wurden
1951/52 500 m südwestlich der Sammelstelle
2 ein Betriebsplatz mit Feldwerkstatt, Magazin
und Fuhrpark eingerichtet und außerdem ein
Verwaltungsgebäude und eine Kaue gebaut.
Die Anzahl der Mitarbeiter schnellte von
36 im Jahr 1950 auf 171 im Jahr 1953 hoch
und ging dann langsam wieder zurück.
BERGE UND SCHERHORN
Gas – Salzwasser – Öl
Die von Jahr zu Jahr steigende Erdölförderung
verursachte einen stetigen Druckabfall in der
Lagerstätte. Dies erforderte es, die Förderung
zu reduzieren, einzelne Sonden mussten wegen
zu hohen Gas-Öl-Verhältnisses geschlossen
werden. Druckerhaltungsmaßnahmen waren
erforderlich. 1953 und 1955 wurden je eine
Hilfsbohrung in der Südflanke abgeteuft. In
diese presste man von der zentralen Einpressstation des Erdölbetriebes Elwerath in Osterwald aus das mitgeförderte Salzwasser ein.
Hierdurch konnten die mittleren und nördlichen Lagerstättenbereiche nicht beeinflusst
werden. In diesem Bereich versuchte man,
durch Einpressen von Erdgas den weiteren
Druckabfall zu verhindern. Mit dem Einpressen von Erdgas wurde 1953 in die Sche 22
begonnen. Da das Gas schnell zu den umlie-
genden Fördersonden durchschlug, musste die
Gaseinpressung wieder eingestellt werden.
Ausbruch 1956
Der 6. November 1956 war ein schwarzer Tag
für Scheerhorn. Als die Sche 22 wieder zur
Fördersonde umgerüstet werden sollte, kam es
zu einem spektakulären Ölausbruch.
Nach drei Tagen, als der Eruptionsdruck
nachgelassen hatte, gelang es, durch Montage
eines Bohrlochkopfes die Sonde zu schließen.
Mehrere 100.000 m3 Erdgas und etwa
2000 m3 Erdöl waren eruptiert. Das Erdöl erstarrte zu einer Schichtdicke von ca. 1 m um
die Sonde und konnte wiedergewonnen werden. Der hohe Stockpunkt und die hohe Viskosität hatten das Versickern des Erdöls
verhindert.
Ölausbruch Scheerhorn 22 am 06.11.1956
Herausgeworfene Steigrohre
Nach der Montagearbeit
131
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Schwerer Salzgitter-Tiefpumpenantrieb
Tiefpumpen
1958 und 1960 wurden im Mittelfeld und an
der Nordflanke je eine Hilfsbohrung abgeteuft,
um auch hier Salzwasser einzupressen. Die
hohe Viskosität des Öles begünstigte bei den
Druckerhaltungsmaßnahmen eine schnelle
Zunahme der Verwässerung. 1960 betrug die
Verwässerung bereits 40–50%, und stieg 1965
auf über 80 % an. 1965 erreichte die Förderung ihr Maximum von fast 290.000 t Reinöl
pro Jahr. In den nächsten zwei Jahren fiel die
Förderung auf 230.000 t Reinöl ab. Um diesen
Förderabfall zu bremsen, rüstete man die randwassernahen Sonden mit größeren Tiefpumpen
und stärkeren Tiefpumpenantrieben aus.
Da 1970 die Verwässerung 87 % erreichte,
entschloss man sich nun Tauchkreiselpumpen
einzusetzen, um so die Fördermenge zu erhöhen. Bis 1983 bleib die Fördermenge konstant,
nur die Verwässerung stieg auf 97 % an und
die Reinölmenge fiel auf 148.000 t ab.
Neben der Umrüstung der Fördersonden
musste auch die Wasserabscheidung auf der
Sammelstelle vergrößert werden. Die Feinabscheidung erfolgte weiterhin im Förderbetrieb
Elwerath in Osterwald. Für das anfallende
Salzwasser wurden Leitungen zu den einzelnen
Einpresssonden verlegt. Stetig steigende Betriebskosten bei fallender Förderung machten
Rationalisierungsmaßnahmen erforderlich, die
132
durch Anwendung von moderner Mess-, Regelund Fernwirktechnik erreicht wurden. Im Zusammenhang mit dieser Modernisierung wurde
in der Messwarte das Fließbild durch rechnerunterstützte Bildschirme ersetzt, um so die erhöhten Sicherheitsanforderungen zu erreichen.
An sechster Stelle
Das Erdölfeld Scheerhorn lag 2008 bei der
Reinölförderung mit 43.179 t unter den zehn
größten deutschen Erdölfeldern an sechster
Stelle. Insgesamt sind bis einschließlich 2008 in
Scheerhorn 8,7 Mio. t Reinöl gefördert worden.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Dipl.-Berging. Christian von Maltzan,
Scheerhorn 40 Jahre Erdölförderung
Heinz Boigk, Erdöl und Erdölgas
in der Bundesrepublik Deutschland
NLfB Hannover, Erdöl und Erdgas in der
Bundesrepublik Deutschland (Jahresförderung 2006)
Fotos H. Paulsen und G. ten Brink
Tauchkreiselpumpe
Scheerhorn 1
Hoogstede
und Bathorn
Die Entwicklung der politischen
Gemeinde Hoogstede
Johann Kemkers
Gildschaft Scheerhorn – Kirchspiel Arkel
Unter der Bezeichnung „Gildschaft Scheerhorn“
waren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein
sechs Bauernschaften vereint: Scheerhorn,
Berge, Bathorn, Hoogstede, Tinholt und Kalle.
Eine herausgehobene Rolle spielte Hoogstede in
dieser Gruppe über einen langen Zeitraum nicht.
Das änderte sich mit der Errichtung der reformierten Kirche „auf“ Hoogstede (1821). Als
Farbige Postkarte um 1900,
„Gruß aus Hoogstede“ (Johann Jeurink)
neues Zentrum des Kirchspiels Arkel, das bis
auf einen kleinen Randbereich identisch war
mit der Gildschaft Scheerhorn, entwickelte
sich Hoogstede nun auch zum wirtschaftlichen Kern der Region, begünstigt durch die
Mittelpunktslage und die gute überörtliche
Verkehrsanbindung nach Neuenhaus und Emlichheim.
Das Gefühl gemeindlicher Zusammengehörigkeit stiftete wesentlich die kirchliche Verbundenheit. Gemeinsinn bewirkte auch die
Notwendigkeit zur Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung des lange Zeit ungeteilten Markengrunds, der den weitaus größten Teil der
Gildschaftsfläche ausmachte (s. Karte von
1855/56).
Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen waren aufs Engste mit den kirchlichen
verwoben und oft von diesen bestimmt. Diese
Abhängigkeit zeigen beispielhaft die Vorgänge um den Grunderwerb von Hindrik Sloot
in der „Scheerhorner Mark“1 (ab 1818; s. Abschnitt zur „Familie Sloot“). Als Verkäufer
des Markengrundes wird mal die „Gildschaft
Scheerhorn“ genannt, mal heißt es die „Bauernschaften“ von Bathorn, Hoogstede und
Scheerhorn – Nutznießer war aber jedenfalls
die „Kirchengemeinde Arkel“, der die Einkünfte zur „Dotierung“ der neuen Pfarrstelle
zustanden.2
1
Mit „Scheerhorner Mark“ wurde vor der Markenteilung (und gelegentlich auch noch danach) der gesamte Markengrund östlich
der Privatflächen der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede,
Scheerhorn und Berge bezeichnet (s. Karte).
2
Nach dem Verkaufsprotokoll blieben die verkauften Markengründe „auf immer ein Eigenthum der Pfarre zu Arkel“. Es war
jährlich ein Zinssatz von 4 Prozent der Kaufsumme zu leisten.
Erst 1874 zahlte Jan Sloot (Enkel des Kolonisten) die Kaufsumme
von 1.000 Gulden an die Kirchengemeinde Arkel. Damit ging
das Grundstück endgültig in den Besitz der Familie Sloot über.
133
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Scheerhorner Mark 1855/56. Die Karte von 1855/56 zeigt die ungeteilte „Scheerhorner Mark“, die sich vom
Rand der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede, Scheerhorn und Berge über das Bruch bis ins Moor erstreckte.
Am oberen Bildrand rechts ist das Kolonat Sloot erkennbar.
134
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Obwohl Sloot mit seinem Haus und seinen
Ländereien einschließlich der Heuerleute eindeutig in der „Scheerhorner Mark“ lag, und
als Eingesessener der Gildschaft anzusehen
war, setzten insbesondere die Bathorner und
Hoogsteder alles daran, „Sloot und seine Heuerleute“ auszugrenzen. Als schließlich nach
vielen Querelen verfügt wurde, dass Sloot mit
seinen sieben Heuerleuten der Gemeinde Neuringe angehöre, bedeutete das die Abtrennung
eines größeren Gebietes von der Gildschaft
Scheerhorn. Die kirchlichen Bindungen blieben allerdings erhalten: Bis auf den heutigen
Tag gehört der östliche Teil von Neuringe zum
Kirchspiel der ref. Kirchengemeinde Hoogstede (früher Kirchspiel Arkel).
Die Teilung der Mark
Wie in anderen Teilen unserer Region wurde
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch
in der „Scheerhorner Mark“ eine sogenannte
Generalteilung durchgeführt. Die Zuordnung
zu den einzelnen Bauernschaften wurde aber
nicht vollständig vollzogen; denn festgelegt
wurde nur die Grenzlinie zwischen den Bauernschaften Scheerhorn/Berge einerseits und
Hoogstede/Bathorn andererseits.
Die Markengenossen von Hoogstede und
Bathorn beantragten alsbald eine weitere Generalteilung und die Hoogsteder zudem eine
Spezialteilung ihres Anteils. Die Königliche
Landdrostei genehmigte 1864 beide Teilungen.
Danach beschlossen auch die Bathorner die
Spezialteilung. Beide Spezialteilungen konnten
nun in einem Verfahren abgewickelt werden.
Die Berechtigten hatten schon bei der Generalteilung ihre Ansprüche angemeldet. Sie
wurden mit Angabe ihrer Erbesqualitäten registriert.
Die Berechtigten in Hoogstede waren:
ein Fünfviertelerbe (Jeuring);
sechs Vollerben (Hannebrook, Stroot-Salmink,
Wermer, Weelmann, Kuhlmann, Weuste);
ein Dreiviertelerbe (Twentker);
zwei Halberben (Köster, J. Weuste);
acht Viertelerben (Börger, van der Kamp,
Brouwer, Schievink/Sloot, Laarmann,
Snöink, H. Sloot, Scholten);
ein Achtelerbe (Ref. Pfarre Arkel);
ein Zehntelerbe (Ref. Schule Hoogstede);
acht Neubauern (H. Veld, H. Gosen,
Ww. Müller, J.H. Bleumer, J.H. Rosemann,
H. Wiegmink, G. Van Wieren, Ref. Küsterstelle Arkel).
Die Berechtigten in Bathorn waren:
fünf Fünfviertelerben (Bleumer,
Wiegmink, Koops, Ensink, Gr. Neerken);
drei Vollerben (Harms, Kolthoff, Schoemaker);
ein Dreiviertelerbe (G.H. Kwade);
drei Halberben (Boll, Künnen, Evers);
zehn Viertelerben (Wigger, Broekschnieder,
Bloemendal, Hofmeyer, Kl. Neerken,
Schnieders, Boerkamp, Beerlink, Albers,
Ringerbrüggen-Schnieder);
ein Achtelerbe (ter Haar-Pölkink);
zwölf Neubauern (Peters, ter Haar, Lage,
B.J. Snieders, J.B. Weuste, van Laar;
E Zager, J. Kwade, L. Stroot, H. Jeurink,
D. Lübbers, G. Jeurink).
Weitere Berechtigte:
Das Fürstliche Haus zu Bentheim; Vollerbe
Tinholt in Tinholt; Alferink in Scheerhorn;
Stroot-Salmink-Albers in Hoogstede; Wessels/Laarmann in Tinholt; J.H. Sloot in Neuringe; Kath. Schule Hoogstede; Kath. Pfarre
Emlichheim; Kath. Küsterstelle Emlichheim;
Ringerbrüggen-Emlichheim.
Die Berechtigten wählten zu Markenbevollmächtigten die Bauern Stroot in Hoogstede
und Neerken in Bathorn. Der Rentmeister Cramer in Neuenhaus vertrat den Fürsten zu
Bentheim. Die Interessen der Kirchen und
Schulen wurden von den zuständigen Pastoren wahrgenommen.
Fast alle Berechtigten bekamen Markenboden in mehreren Güteklassen: Anger, Heide in
den Binnengründen, gewöhnliche Heide und
Sand. So wurden dem Vollerben Hannebrook
z.B. 30 Morgen (Mg) 98 Quadrat-Ruten (QR)
Anger, 16 Mg 100 QR Heide in den Binnengründen und 22 Mg 100 QR gewöhnliche Heide
zugewiesen, dazu Abfindungen im Moor in
der errechneten Größe. Die Neubauern erhielten in der eigentlichen Mark nur Heideboden.
135
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Der Dorfbrunnen aus dem Jahre 2000
steht für den Ort und alle Ortsteile (R. Golde)
Die nicht verteilten Flächen, Sandgruben
und Depotgründe, blieben Eigentum der Markengenossenschaft. Aus den Gruben sollte
hauptsächlich Sand für die Verbesserung der
Wege entnommen werden. Die Bauern wurden verpflichtet, ihre Grundstücke abzugrenzen, im Moor durch Gräben und in den
anderen Teilen der Mark durch Wälle mit Seitengräben, im Ackerland genügten Grenzsteine. Die Kommission gab Anweisungen für
die Anlage neuer und die Verbreiterung bestehender Wege, ebenso für die Entwässerung
durch Gräben. Auch für die Pflege und Unterhaltung der Wege und Wasserzüge erließ sie
verbindliche Vorschriften.
Die Kosten der Teilung wurden auf die Interessenten umgelegt, der Fürst zu Bentheim
und die Neubauern waren davon befreit. Das
Rechnungswesen führte wie bei der Generalteilung der Scheerhorner Mark der Lehrer
Schievink in Hoogstede.
Der Vertrag über die Hoogsteder-Bathorner
Mark wurde von den Beteiligten anerkannt
und von ihnen bzw. ihren Bevollmächtigten
am 21. Januar 1871 in Hoogstede unterschrieben. Die Königliche Generalkommission in
136
Hannover beglaubigte den Vertrag am 26.
September 1871.
Vereinigung von Hoogstede
und Bathorn in 1890
Der Verzicht auf eine Generalteilung der
Hoogsteder-Bathorner Mark bescherte zwar
den Berechtigten eine verhältnismäßig schnelle
Inbesitznahme ihrer Anteile, bedeutete aber,
dass, wie der Landrat Kriege im April 1889
feststellte, infolge der Markenteilung die
„Grundstücke der Eingesessenen von Bathorn
und Hoogstede in beiden Gemeinden im Gemenge lägen“, sodass eine feste Grenze zwischen beiden Gemeinden nicht bestehe. Eine
Feststellung der Grenze sei grundsätzlich erforderlich, insbesondere aber nach der Anlage
des Kanals Piccardie-Coevorden. Das Königliche Katasteramt Bentheim schlug vor, „daß
die Grenze dahin festgestellt werde, daß die
Kanalstrecke von der Grenze der BathornHoogsteder Mark gegen Scheerhorn ... bis zum
Twister Deich(Bathorner Diek) der Gemeinde
Hoogstede und die Kanalstrecke von da bis
zur Gr. Ringer Grenze ... der Gemeinde Bathorn angeschlossen werde“. Die Hoogsteder
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
und Bathorner wurden aufgefordert, in einer
Gemeindeversammlung über den Vorschlag
des Katasteramtes zu beraten und „über denselben Beschluß zu fassen“.
Schon am 3. Mai 1889 fand die Gemeindeversammlung statt. In seinem Bericht darüber an den Landrat schreibt der landrätliche
Hilfsbeamte, „daß, da eine Einigkeit über
einen Grenzlinie zwischen Hoogstede und
Bathorn nicht zu erzielen, von den Gemeindeversammlungen beider Gemeinden schließlich einstimmig beschlossen worden ist, beide
Gemeinden zu einer politischen Gemeinde zu
vereinigen. Zu diesem günstigen Resultat hat
nicht unwesentlich der Einfluß des Herrn Pastor Nyhuis mitgewirkt, welcher nur durch Vereinigung beider Gemeinden eine Lösung des
Grenzwirrwarrs für möglich erachte“.
Nach einigem Hin und Her hinsichtlich des
Gültigkeit des Beschlusses bestätigte der Oberpräsident R. v. Bennigsen (Hannover) am 21.
Juni 1890 die Vereinigung der beiden Gemeinde Bathorn und Hoogstede zu einer politischen Gemeinde.
Hausnummern und Ortsname
Der Grundsatzbeschluss zur Vereinigung der
beiden Gemeinden war schnell und einvernehmlich getroffen worden.
Aber schon bei der Festlegung der neuen
Hausnummern gab es Streit; der Gemeindevorsteher Kalman von Hoogstede verlangte,
dass man in Hoogstede mit der Nr.1 beginnen
müsse, damit eine fortlaufende Nummerierung der neuen Gemeinde gewährleistet sei.
Vorsteher Harms allerdings hielt dagegen und
verlangte, dass das Los entscheiden müsse,
weil die Bathorner meinten „in dieser Sache
so viel Recht zu haben wie Hoogstede“. „Hierauf“, so schreibt Vorsteher Harms an den
Landrat, „äußerte sich der Vorsteher von
Hoogstede mit zornigen Worten und auch Gebaarden: Losen thue ich heute mit Bathorn
nicht, und auch nie; ich behalte die Nr.1 auf
Hoogstede“. Am Ende wurde von Amts wegen
über die Zuordnung der Hausnummern entschieden und die Gemeinde im April 1891
durch den Landrat angewiesen, „die Neunummerierung der Gebäude innerhalb vier Wo-
chen ausführen zu lassen“.
Die Hausnummer 1 erhielt der Hof Weuste an
der Vechte.
Besonders schwierig und langwierig gestaltete sich die Aufgabe, einen Namen für die
neu gebildete Gemeinde zu finden.
Als Vorsteher Kalman im September 1890
dem Landrat als neuen Gemeindenamen
Hoogstede-Bathorn vorschlug, konnte er für
die Voranstellung von Hoogstede gute Gründe
anführen: Hoogstede sei Kirchort für eine reformierte und eine katholische Kirchengemeinde; es gebe eine reformierte Schule, eine
katholische Schule, eine Posthaltungsstelle,
Telegrafen, Standesamt, Mühle, Straße, mehrere Wirts- und Gasthäuser und mehrere Krämer und Bäcker; von alldem sei in der
Gemeinde Bathorn „nichts zu finden“.
Der Landrat mochte dem Vorschlag von
Kalman nicht folgen und ließ im Dezember
1890 empfehlen, die neue Gemeinde BathornHoogstede zu nennen. Bathorn werde vorhergestelt, weil Bathorn im Alphabet zuerst sei.
Die Angelegenheit war offensichtlich so
heikel, dass sie über die Instanzen in Osnabrück und Hannover schließlich beim Inneminister Herrfurth in Berlin landete. Der wies
im Februar 1891 die Bezirksregierung in Osnabrück darauf hin, dass es im Hinblick auf
frühere allerhöchste Entschließungen angezeigt sei, statt des vorgeschlagenen Doppelnamens einen einfachen Namen zu wählen,
und zwar den Namen derjenigen der vorbezeichneten Gemeinden, welche bisher die bedeutendere war. Dementsprechend wurde die
Bezirksregierung gebeten, sich darüber zu äußern, ob es Bedenken gebe, der neuen Gemeinde den Namen Bathorn beizulegen.
Der nun wieder befragte Landrat konnte
sich mit dem Vorschlag aus Berlin ganz und
gar nicht anfreunden. In seinem Schreiben an
den Regierungspräsidenten vom 26. März
1891 schrieb er: „..dass die Bewohner der Gemeinden Bathorn und Hoogstede auf Beibehaltung der Bezeichnung der bisherigen
Namen erheblichen Wert legen und daß es
sich nicht empfiehlt, der neu gebildeten Gemeinde den Namen derjenigen der bisherigen
Gemeinden beizulegen, welche von ihnen die
137
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
bedeutendere war. Es würde bei den Bewohnern der anderen Gemeinde große Niedergeschlagenheit und vielleicht auch Entrüstung
hervorrufen und ich glaube nicht, daß die Vereinigung zu einem politischen Verbande im
gütlichen Wege zu Stande gekommen wäre,
wenn die Bewohner derselben damals gewusst
hätten, daß für eine der beiden Gemeinden die
Aufgabe ihres bisherigen Namens damit verbunden wäre.“
Der Landrat verwies nochmals auf seinen
alten Vorschlag Bathorn-Hoogstede, weil auch
sonst Doppelnamen bei Gemeinden im Regierungsbezirk öfter vorkämen. Unsicher, ob eine
Umgehung des Doppelnamenverbots erreichbar sei, empfahl er für den Ablehnungsfall
„eine Wortschmelzung beider Namen in einem
vorzunehmen, z. B. Hoogthorn oder Bathoog“.
Nachdem im Juni 1891 der Innenminister
in Berlin bekräftigte, dass die Zusammensetzung der Ortsnamen aus zwei Wörtern
möglichst zu vermeiden sei, wurden die
stimmberechtigten Gemeindemitglieder aufgerufen, ein Votum abzugeben. Bei der Gemeindeversammlung im Laarmannschen
Wirtshause am 13. Juli 1891 wurde darüber
abgestimmt, ob der künftige Ortsname Arkel
oder Hoogstede sein solle. Bei namentlicher
Abstimmung stimmten 29 Stimmberechtigte
(mit 91 Stimmen) für Arkel und 19 Stimmberechtigte (mit 53 Stimmen) für Hoogstede. Die
unterlegenen Gemeindeglieder erklärten sich
anschließend damit einverstanden, dass der
vereinigten neu gebildeten Gemeinde der
Ortsname Arkel beigelegt würde.
138
Die Freude über das Einvernehmen währte
nicht lange; denn bereits im September 1891
ließ der Oberpräsident in Hannover wissen,
dass der Gemeindename Arkel nicht infrage
kommen könne, „weil die den Namen Arkel
tragende Kolonie in kommunaler Beziehung
nicht zu jenen Ortschaften, sondern zur Gemeinde Kalle gehöre“. Die Gemeinde möge
binnen sechs Wochen einen anderen Vorschlag machen.
Wieder wurde eine Gemeindeversammlung
(13. Oktober 1891) einberufen; diesmal standen die Ortsnamen Hoogstede und Bathorn
zur Abstimmung. Ergebnis: 27 Stimmberechtigte (mit 81 Stimmen) für Hoogstede. 25
Stimmberechtigte (mit 73 Stimmen) für Bathorn. 22 Stimmberechtigte waren nicht erschienen. Ein Einspruch von „Kolthoff und
Genossen“ gegen die Gültigkeit der Gemeindeversammlung wegen nicht geladener
Stimmberechtigter wurde vom Landrat abgewiesen, weil selbst bei Hinzurechnung dieser
Stimmen die Bathorner in der Minderheit blieben; außerdem handle es sich bei dem Gemeindebeschluss „lediglich um das Aussprechen eines Wunsches“.
Wohl um den Frieden in der neuen Gemeinde zu wahren, appellierte der Landrat
noch einmal an den Regierungspräsidenten,
darauf hinzuwirken, „daß ausnahmsweise der
neuen Gemeinde der Name Bathorn-Hoogstede verliehen wird“.
Hauptstraße mit reformierter Kirche als Motiv einer
Postkarte, ca. 1927 mit Lukas Köster, 1922-1973. (Köster)
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Verzeichnis der Stimmberechtigten der Gemeinde Bathorn-Hoogstede 1891
(Versammlung am 13. Oktober 1891)
Haus- Name
Stand
StimmenBew. aktuell(2008)
Nr.
zahl
11
Weuste Altien
Colona
5
Weuste a.d. Vechte, Bahnhofstr.
12
Hemke Harm
Kötter
2
Udo Vette, Hauptstr.
13
Gosen J.H.
Kötter
1
Bielefeld, Bahnhofstr.
14
Kalmann J.H.
Kötter
1
Mensen, Bergstraße
15
Koelman Hindr.
Colon
4
Koelmann, Bergstraße
16
Weelmans
Colonat
7
Haamberg, Bergstraße
17
Bloemendal G.J
Kötter
2
Pächter von Stroot, Wilsumer Straße
18
Koster Hindr.
Colon
4
k. Wohnplatz mehr; v.d. Kall. Brücke re.
19
Warmer Jan
Colon
6
Warmer, Schlättstiege
10
Jeurink A.J.
Colon
6
Jeurink, Wilsumer Straße
11
Stroot H.
Colon
4
Stroot, Am Pferdekamp
12
Hannebrook
Colon
5
Hanebrook, Lindenweg
13
Snöjink Geert
Kötter
2
Keute, Kampweg
14
Keen Klaas
Zimmermann
1
Keen, Kampweg
15
Rosemann G. J.
Kötter
1
Rotmann, Am Neuland
17
Scholten E.
Kötter
2
Altes Haus Büdden, Hauptstraße
18
Laarman B.J.
Schenkwirt
3
Gastw. Wolters, Hauptstr.; Abriss 1975
19
Brouwer
Kötter
2
Lügtenaar, Bahnhofsr.
21
Sommer Fritz
Bäcker
1
altes Haus Horstkamp, Hauptstr.
24
Müller Bernh.
Mühlenbesitzer
5
später Gastw. Müller, Hauptstr.; j. COMA
27
Sloot Hindr.
Bäcker
5
Schoemaker/Neuwinger, Hauptstr.
28
van Wieren
Anbauer
1
Barth, Hauptstr.
29
van Laar B.
Bierhändler
1
Wolf, früher Engler, Hauptstr.
29
Pfabe(?) Karl
Grenzaufseher
3
dto.
30
Hilfers F
Krämer
2
Hilfers, Hauptstr.
Maasch Ernst
Grenzaufseher
3
dto.
31
van der Kamp D
Schiffer
1
Jansen, Holunderweg
33
Schoemaker G.
Colon
5
Schoemaker, Zur Friedenseiche
34
Vogelsang
Stationsarbeiter 1
Naber, Zur Friedenseiche
36
Snieders J. H.
Kötter
1
Bloemendal/Reefmann, Zur Friedenseiche
37
Jeurink J.
Kötter
3
v. Münster/Hesselink, Schwarzer Diek
40
Sommer Hindr.
Anbauer
1
Westhuis, Am Schulfeld
41
Weuste Jan
Kötter
3
Warmer, Am Schulfeld
42
Wösten J. B.
Schmidt
2
Wösten, Sunnerkampstege
44
Egbers Friedr.
Kötter
2
Bolk, Schwarzer Diek
45
Stroot H.J.
Landbriefträger
1
Stroot, Schwarzer Diek
46
Wiegmink H.
Kötter
1
Hans, Schwarzer Diek
47
Kwade G.J.
Zimmermann
2
Boers, Molkereistr.
48
Bielefeld
Kötter
1
dto.
49
Lage Jan
Kötter
2
Lage/Helweg, Am Neuen Kamp
50
Kwade Janna
Colona
4
spät. Wilmink; jetzt Rothe
51
Kolthoff H.
Colon
5
Kolthoff Jan, Holunderweg
52
Bloemendal Hermans Kötter
3
hinter Neerken; kein Wohnpl. mehr
53
Neerken K.
Colon
7
Neerken, Bathorner Diek
139
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Haus- Name
Nr.
55
kl. Neerken W.
56
Jeurink Hindr.
57
ter Haar J.G.
59
Boll A.J.
61
Wigger J.
62
Blömer J.H.
63
Wiegmink H.
64
Koops J. Witwe
65
Ensink A.
66
Harms Jan
67
Harms J.H.
Pöhler F.
68
Brooksnieder
69
Blömer J.H.
70
Koelmann Jan
71
Bonge G.J.
72
Rasfeld Heinr.
73
Rott J.
74
Warmer H.J.
75
Beerlink J.H.
76
Snieders H.J.
77
Warmink A:
78
Snöink J.
79
Schroven G.J.
80
Nyhuis J.
81
Roelofs H.
82
Westhuis K.
90
Kottmann J.
91
Horsink A.
92
Bonge G.
Stand
StimmenBew. aktuell(2008)
zahl
Kötter
3
Neerken, Zur Braake
Kötter
1
Höllmann, Drosselweg
Kötter
2
ter Haar, Drosselweg
Colon
4
Boll, Bathorner Weg
Kötter
3
Hans, Zur Braake
Colon
6
Bleumer, Bathorner Weg 5
Colon
7
Wiegmink, Bathorner Weg
Colona
6
Koops, Bathorner Weg
Colon
6
Ensink, Am Voresch
Colon
5
Harms-Ensink, Am Voresch
Kötter
1
Tübbergen, Holunderweg
Pächter
1
Kötter
3
Brooksnieder, Holunderweg
Kötter
2
Bleumer, Bathorner Weg 11
Anbauer
1
Koelmann, Ölstraße
Anbauer
1
Köcklar, Ölstraße
Grenzaufseher a.D. 3
Egbers, Ölstraße
Anbauer
1
Doldersum, jetzt Slikkers, Böbbeldiek
Kötter
2
Keen, Ringer Diek
Kötter
1
Kotten, Ringer Diek
Kötter
2
Snieders, Ringer Diek
Anbauer
1
Kortmann, Ringer Diek
Anbauer
1
Alter Hof Schnöink, Ölstraße
Anbauer
1
Nykamp, Böbbeldiek
Pastor
1
Glüpker, Ölstraße
Kötter
1
Kieft, Bathorner Diek
Anbauer
1
Westhuis, Aulen Diek
Anbauer
1
Nakken, Bathorner Diek
Pächter
1
Derks, Bathorner Diek
Anbauer
1
Günnemann, Hauptstraße (?)
Postkarte von etwa
1910/1920 mit u.a.
dem alten reformiertem
Pastorat
140
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Der Regierungspräsident sah immer noch
keine Gründe für eine Ausnahme (11. November 1891) und stellte dem Landrat „ergebenst
anheim, einen anderen Vorschlag zu machen,
vielleicht durch Bildung eines Namens vermittelst Versetzung oder Anhängung einer
Silbe an den Namen Arkel“. Wenige Monate
später war die Angelegenheit dann doch endlich entschieden. Am 14. März 1892 gab das
Landratsamt an die „Bentheimer“ und „Neuenhauser Zeitung“ folgende Bekanntmachung: „Der aus beiden Gemeinden Bathorn
und Hoogstede neu gebildeten Gemeinde ist
von dem Herrn Oberpräsidenten mit Genehmigung des Herrn Ministers des Inneren der
Name Hoogstede-Bathorn beigelegt.“
Gemeindevorsteher 1891
Die Wahl des ersten Gemeindevorstehers (Bürgermeister) verlief teils parallel zu den oben
dargestellten Vorgängen und auch nicht ganz
ohne Schwierigkeiten. Ein erster Anlauf endete am 29. Dezember 1890 damit, dass in der
einberufenen Gemeindeversammlung die Mitglieder aus Hoogstede „mit großer Majorität“
gegen diese Wahl protestierten, weil die jeweils
gültigen Stimmordnungen der beiden beteiligten Gemeinden auf verschiedenen Stimmrechtsklassen beruhten.
Am 14. Februar 1891 fand dann in einer
weiteren Gemeindeversammlung unter „Zugrundelegung eines einheitlichen Stimmrechts“
die Wahl des neuen Gemeindevorstandes statt.
Zum Gemeindevorsteher wurde der „Colon“
Gert Schoemaker (31 Jahre) gewählt, zum Beigeordneten Gert Hannebrook (32 Jahre). Schoemaker leistete am 4. März 1891 in Neuenhaus
seinen Diensteid.
Zur Einheitsgemeinde
Hoogstede 1968–1974
Als der Rat der Gemeinde Hoogstede am 23.
Juni 1966 beschloss, bei dem früheren Gemeindenamen Hoogstede-Bathorn zu bleiben,
waren nahezu 75 Jahre vergangen, seitdem
dieser Name der damals neu gebildeten Gemeinde verliehen wurde. Nachdem in den 60er
Jahren die Zentralisierung im Schulwesen
kontinuierlich voranschritt, wurde zunehmend
auch über kommunale Gebietsreformen nachgedacht, mit dem Ziel, größere Gemeinden
zu schaffen. So formulierte der Hoogsteder
Rat bereits im Februar 1968 die Ansicht, „daß
sich die Gemeinden Scheerhorn, Berge,
Tinholt, Kalle und Hoogstede zu einer (Samt)
Gemeinde zusammenschließen sollten“. Wohl
in Erwartung einer entsprechenden Entwicklung beschloss der Rat am 9. Dezember 1968,
den Gemeindenamen zu ändern; der amtliche
Gemeindename war ab diesem Zeitpunkt
„Hoogstede“.
Im Laufe der Diskussion über eine umfassende Gemeindereform wurden viele Ideen
eingebracht und zahlreiche Pläne entwickelt.
Links:
Bürgermeister Geert
Schoemaker und Frau.
Erster Gemeindevorsteher der neuen
Gemeinde HoogstedeBathorn, 1891-1921
Rechts:
Hermann Hannebrook,
Gemeindevorsteher
Hoogstede-Bathorn,
1923-1945
141
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Bürgermeister Jan Harms-Ensink im Bürgermeisterzimmer (Willy Friedrich)
Als klar wurde, dass um die größeren Orte
Emlichheim, Neuenhaus und Uelsen herum
Samtgemeinden gebildet werden sollten, verbreitete sich im Raum Hoogstede große Unsicherheit über die Zuordnung.
In dieser Situation starteten die Bürgermeister Koops (Scheerhorn), Harms-Ensink
(Hoogstede), Harms-Ensink (Tinholt) und der
Ratsherr Hoppen (Osterwald) mit Unterstützung des Oberkreisdirektors Dr. Terwey eine
ernsthafte Initiative zur Bildung einer ländlichen Samtgemeinde Hoogstede/Osterwald mit
Sitz in Osterwald/Ölbahnhof.
Als mögliche Mitgliedsgemeinden wurden
im Hoogsteder Ratsprotokoll vom 14. August
1971 genannt: Bimolten, Hohenkörben N.
und S., Georgsdorf, Alte Piccardie, Osterwald,
Esche, Berge, Scheerhorn, Tinholt und eventuell Neuringe und Kalle. Aber es gab von
Anfang an Zweifel an der Durchsetzung des
Vorhabens; denn im gleichen Protokoll heißt
es: „Bei nicht Zustandekommen wählt die
Gemeinde Hoogstede mit Rücksicht auf die
Gemeinden Scheerhorn/Berge den Nahbereich
Neuenhaus.“
142
Die ganze Unsicherheit und Verwirrung in
der damaligen Situation zeigt sich in Vorgängen, die sich im Hoogsteder Umfeld abspielten. Da immer wieder eine Mindestgröße von
400 Einwohnern als unterste Grenze für den
Fortbestand von Gemeinden genannt wurde,
beschloss Scheerhorn am 30. Juli 1971 einen
Anschluss an Hoogstede. Keine zwei Wochen
später, am 12. August 1971, trafen die Räte von
Tinholt und Berge in einer gemeinschaftlichen
Sitzung für ihre Gemeinden auch einen Vereinigungsbeschluss. Wirkliche Bedeutung erlangten die Beschlüsse in der weiteren Entwicklung der Kommunalreform allerdings nicht.
Die entscheidende Wende im Ablauf des
Geschehens kam Anfang Januar 1973, als sich
die Gemeinden Alte-Piccardie, Esche, Georgsdorf, Höhenkörben-V., Lage und Osterwald
eindeutig für die Bildung einer Samtgemeinde
Neuenhaus aussprachen. Damit war der Plan
einer ländlichen Samtgemeinde Hoogstede/
Osterwald vom Tisch.
Nun fiel auch im Raum Hoogstede schnell
die Entscheidung: In einer in der Gaststätte
Engler veranstalteten gemeinsamen Sitzung
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Bürgermeister Koops wurde am 11. Januar
1974 als Interimsbürgermeister einstimmig
gewählt. Die erste Interimsratssitzung der
neuen Gemeinde Hoogstede fand am 7. März
1974 statt.
Mit den Kommunalwahlen am 10. Juni
1974 kam die Gebietsreform zum Abschluss.
Zum ersten Bürgermeister wählte der Rat der
neuen Gemeinde Hoogstede Jan Hindrik
Koops aus Scheerhorn.
Ortseingang
Hoogstede von
Scheerhorn aus,
etwa 1960/65
(Willy Friedrich)
der Gemeindevertretungen aus Hoogstede,
Kalle, Tinholt, Berge, und Scheerhorn am 15.
Januar 1973 wurde beschlossen, eine Gemeinde
Hoogstede zu bilden und sie der Samtgemeinde Emlichheim anzuschließen. Mit einem
förmlichen „Gebietsänderungsvertrag“ am 11.
Mai 1973 besiegelten die oben genannten Gemeinden den Zusammenschluss zur neuen Gemeinde Hoogstede. Die Unterzeichner waren für
Berge
Kuite (Bürgermeister);
Keute (Ratsherr)
Hoogstede
Harms-Ensink (Bgm);
Schöppner (Rh)
Kalle
Schroven (Bgm)
Wortel (Rh)
Scheerhorn Koops (Bgm)
Scholte (Rh)
Tinholt
Harms-Ensink (Bgm)
Jonker (Rh)
Jan Hindrik Koops, Bürgermeister von Hoogstede
1974-1996 (Johann Kemkers)
Bürgermeister
(Gemeindevorsteher; Scholten)
Hoogstede
Jöhring, J.
um 1830
Hannebrook
um 1843
Stroot, H.
um 1850
Kalman
bis 1891
Bathorn
Blömer, J. H.
Schoemaker
Kwade
Harms, Jan
um
um
um
bis
1830
1843
1850
1891
Hoogstede-Bathorn
(ab 1891; ab 1968 Hoogstede)
Schoemaker, Gert
1891–1921
Köster, Hindrik
1921–1923
Hannebrook, Hermann 1923–1944
Kolthoff, Harm
1944–1945
Köster, Hindrik
1945–1946
(von Militärregierung eingesetzt)
Harms-Ensink, Jan
1946–1973
(erste freie Wahl nach dem Krieg)
Schöppner, Dietrich
1974–1974
Hoogstede (Einheitsgemeinde ab 1974)
Koops, Jan Hindrik
1974–1996
Ensink, Jan
1996–
Quellen:
Staatsarchiv Osnabrück; Rep 450 Nr. 102;
Rep 450 Bent II Nr. 352
Zager Gerrit Jan; Der Grafschafter, Beilage
der Grafschafter Nachrichten GN 25.02.2002
Santel, Gregor; Neuringe – Die Entstehung einer
Moorgemeinde, Bentheimer Jahrbuch 1991 S.197 f.
Protokollbücher der Gemeinden
Hoogstede, Scheerhorn, Tinholt
143
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Unglücksfall: Jan Harms-Ensink †,
27 Jahre Bürgermeister
Willy Friedrich, GN 22. Dezember 1973
„Im Alter von 74 Jahren ist der Bürgermeister
Jan Harms-Ensink an den Folgen eines tragischen Verkehrsunfalls gestorben. Auf dem
Heimweg von einer dienstlichen Besprechung
wurde er mit seinem Fahrrad auf der glatten
Fahrbahn von einem ins Rutschen gekommene
Fahrzeug erfaßt und zu Boden geschleudert.
Mit der Familie Harms-Ensink trauert die
Gemeinde Hoogstede um ihren „ersten Bürger“. 27 Jahre war der Verstorbene Bürgermeister. In schwerer Zeit, unmittelbar nach
dem Zweiten Weltkrieg, wurde er auf diesen
Posten berufen. Die Hauptsorge galt in jenen
Tagen den vielen Vertriebenen, die in dem
ehemaligen Gefangenenlager Bathorn und auf
den Bauernhöfen in Hoogstede untergebracht
waren. Mit Umsicht und Tatkraft ging Jan
Harms-Ensink, gestützt von den übrigen Mitgliedern des Gemeinderates, ans Werk.
Langsam normalisierten sich die Verhältnisse. Das Schulwesen mußte ausgebaut werden. Überdies hatten immer mehr Bauwillige
den Wunsch, sich in Hoogstede seßhaft zu
machen. Die Evangelische Volksschule wurde
erweitert, für die Katholische Schule entstand
ein Neubau. Auch in den Folgejahren stand
die Entwicklung nicht still. Das Wegenetz befand sich in einem katastrophalen Zustand,
die Trinkwasserversorgung war unzulänglich.
Gründlicher Wandel wurde geschaffen.
Heute hat Hoogstede ein modernes Schulzentrum und eine neue Turnhalle. Große Baugebiete wurden ausgewiesen. Im Augenblick
beschäftigte Jan Harms-Ensink sich intensiv
mit einem weiteren Bebauungsplan für das
Gebiet Wolters. Die Ortsdurchfahrt hat durch
die Schaffung eines Rad- und Gehweges und
die Montage einer Straßenbeleuchtung ein
neues Gesicht bekommen.
27 Jahre Kommunalarbeit an verantwortungsvoller Stelle bedeutet für einen Landbürgermeister ein großes Opfer an Arbeitskraft
und persönlicher Freizeit. Der Verstorbene hat
dieses Opfer immer gern gebracht, wenn seine
eigene Landwirtschaft – vor allem in früheren
Jahren – auch einmal darunter leiden mußte.
144
Jan Harms-Ensink lebt nicht mehr. „Seine“
Gemeinde, für die in schlechten und guten
Zeiten immer ein ehrlicher und aufrichtiger
Sachwalter war, wird sein Andenken in Ehren
halten. W. F.
Drei Kommunalpolitiker
fast 100 Jahre im Amt
Willy Friedrich in den GN, 28. Juli 1980
„Die früheren Bürgermeister, Jan Harms-Ensink (Tinholt), Hindrik-Jan Keute (Berge) und
Johann Schroven (Kalle), haben sich um ihre
Gemeinden verdient gemacht. Das war der
Tenor einer schlichten Feierstunde, die am
Freitagabend im Gemeindebüro von Hoogstede stattfand. Bürgermeister Jan Hindrik
Koops würdigte das erfolgreiche Wirken der
drei Kommunalpolitiker, die insgesamt fast
100(!) Jahre ehrenamtlich für ihre Gemeinden
tätig sind. Im Zuge der Gemeindereform nahmen sie 1974 Abschied von ihren Bürgermeisterämtern. Seither arbeiten sie tatkräftig im
Gemeinderat von Hoogstede beziehungsweise
in der Samtgemeinde mit.
In seiner Laudatio ging Bürgermeister
Koops auf die Arbeit der geehrten Kommunalpolitiker ein. Seine Rückschau wurde zu
einem Stück Zeitgeschichte: Hindrik-Jan
Keute aus Berge war bereits in den Jahren von
1937 bis 1943 Bürgermeister. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft kehrte
er 1950 in den Gemeinderat zurück. 1951
wurde er Schulverbandsvorsteher für Scheerhorn-Berge. Als 1974 die Gemeindereform
kam, mußte er sein Bürgermeisteramt abgeben. Fortan arbeitete er im Gemeinderat von
Hoogstede mit.
Wie in Berge, so ging auch in Tinholt – mit
der Gemeindereform – die kommunale Eigenständigkeit verloren. Jan Harms-Ensink gehört
dem Gemeinderat von Tinholt seit 1942 an. Bis
1949 ging seine erste Amtsperiode. Dann wurde
er 1954 erneut in den Gemeinderat gewählt. Er
übernahm das Amt des Bürgermeisters, das er
bis 1974 verwaltete. Seit 1974 ist Harms-Ensink Mitglied des Gemeinderates in Hoogstede
und des Samtgemeinderates Emlichheim.
Johann Schroven wurde 1952 Mitglied des
Gemeinderates und Bürgermeister der Ge-
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Bürgermeister Koops,
H. J. Keute,
J. Schroven und
J. Harms-Ensink
(GN 27.07.80)
meinde Kalle. Auch er verwaltete sein Amt
bis 1974, um dann in den Rat der Gemeinde
Hoogstede und der Samtgemeinde gewählt zu
werden.
Wie Bürgermeister Koops sagte, zeichnen
die drei Geehrten sich durch Bescheidenheit,
Fleiß und Pflichterfüllung aus. Sie seien –
nach der Gemeindereform – nicht „mit fliegenden Fahnen“ nach Hoogstede gegangen.
Wenn es trotzdem zu einer konstruktiven
Zusammenarbeit der Altgemeinden Berge,
Scheerhorn, Kalle und Tinholt in der jetzigen
Gemeinde Hoogstede gekommen sei, dann sei
das nicht zuletzt der Weitsicht dieser „Männer der ersten Stunde“ zu verdanken.
Jan Harms-Ensink, Hindrik Jan Keute und
Johann Schroven schlossen sich im gleichen
Sinne an und bedankten sich. Sie wiesen auf
die Probleme hin, mit denen die kleinen Gemeinden einst zu kämpfen hatten. Die innere
Verkehrslage sei miserabel gewesen. Sehr viel
habe man für die Schulen tun müssen und
unter großen Opfern getan. Weiter machten sie
auf die umfangreichen wasserwirtschaftlichen
und landeskulturellen Maßnahmen aufmerksam, die zur allgemeinen Strukturverbesserung
beitrugen.
Zufrieden äußerten die drei sich übereinstimmend mit der jetzigen Kommunalarbeit. Innerhalb der neuen Gemeinde Hoogstede mit
ihren gut 2500 Einwohnern herrsche ein beispielhaftes Zusammengehörigkeitsgefühl. Damit
seien die Voraussetzungen für ein konstruktives
Miteinander gegeben. Daß diese Zusammenarbeit darüber hinaus harmonisch verlaufe, sei in
starkem Maße der integrierenden Kraft des Bürgermeisters Koops zu verdanken.
Als ehemaliger Bürgermeister einer kleinen
Landgemeinde, die seit eh und je eine in sich
geschlossene „kleine Welt“ sei, gebe man seinen „Besitzstand“ naturgemäß nicht gerne auf.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet erscheine es
besonders erfreulich, daß auch innerhalb des
Zusammenschlusses mit Hoogstede nach wie
vor ein intaktes Eigenleben in den ehemals
selbständigen Ortsteilen bestehe. Das werde
auch weiterhin so bleiben.
Bleibt noch zu sagen, daß die Kommunaljubilare über ihre Gemeindearbeit hinaus nach
wie vor mehrere Aufgaben im öffentlichen
Leben wahrnehmen.“
Bürgermeister Jan Hindrik Koops seit
25 Jahren Gemeinderatsvorsitzender
Friedrich Gerlach in den GN
8. November 1993
„Viel Lob, Glückwünsche und Geschenke gab
es am vergangenen Freitag in Emlichheim für
Hoogstedes langjährigen Bürgermeister Jan
Hindrik Koops. Vertreter der Gemeinde, der
Samtgemeinde Emlichheim, des Kreises, des
Städte- und Gemeindebundes sowie der
Hoogsteder Vereine ehrten den 68jährigen für
seine 25-jährige Tätigkeit als Ratsvorsitzender und würdigten sei kommunalpolitisches
Engagement, in dessen Mittelpunkt stets der
Mensch gestanden habe.
Erster Gratulant während der Feierstunde
anläßlich des Jubiläums im Emlichheimer
Hotel Hermann war für den Hoogsteder Gemeinderat der stellvertretende Bürgermeister,
Dieter Schowe. Er ließ zunächst den kommunalpolitischen Werdegang von Jan Hindrik
Koops Revue passieren, der 1961 Mitglied des
Rates der damals noch selbständigen Gemeinde Scheerhorn und 7 Jahre später (1968)
zu ihrem Bürgermeister gewählt wurde. Nachdem im Zuge der Gemeindereform die Gemeinden Hoogstede, Kalle, Tinholt, Berge und
Scheerhorn zusammen gefaßt worden waren,
stand Koops ab 1974 auch an der Spitze des
Rates der neuen Gemeinde Hoogstede. Zuvor
war er bereits in den Emlichheimer Samtgemeinderat und 1972 für die CDU auch in den
Grafschafter Kreistag berufen worden. 1981
trat er zudem als Nachfolger von Hermann
145
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Wieferink das Amt de Emlichheimer Samtgemeindebürgermeisters an. Koops ist ferner seit
Anfang der 80er Jahre Vorsteher des Zweckverbandes der Musikschule Niedergrafschaft.
Im Namen der Hoogsteder Bürger sprach
Dieter Schowe dem Jubilar Dank für seine „oft
schwere und mühevolle Arbeit“ zum Wohl der
Gemeinde und ihrer Einwohner aus. Als verantwortungsbewußter Politiker habe Koops
das Gemeinwohl stets als Richtschnur seines
Handelns betrachtet. Der Bürger habe sich
dabei immer auf ihn verlassen können.
Auch Landrat Nonno de Vries, der Koops
für den Kreis eine Urkunde überreichte, anerkannte den „großartigen Einsatz“ des Bürgermeisters für das Gemeinwesen in den vergangenen Jahrzehnten. Koops sei immer
wieder bereit gewesen, sich in den Dienst der
Allgemeinheit zu stellen und immer wieder
hätten ihm die Bürger „außerordentliches Vertrauen“ entgegengebracht.
Der Emlichheimer Samtgemeindedirektor,
Horst Kammel, nannte den Hoogsteder Bürgermeister unter anderem einen „Mann, der für
alle Zeit hat“. Vielen Menschen habe Koops
während seiner Amtstätigkeit helfen können,
sein Engagement gründe nicht zuletzt in der
tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben.
Für den Kreisverband des Städte- und Gemeindebundes gratulierte Koops` Osterwalder
Amtskollege Sinus Hoppen zum Bürgermeis-
terjubiläum. Er zeichnete ihn zudem im Namen des Gemeindebundes mit einer silbernen
Ehrennadel und einer Urkunde des Gemeindebundes aus.
An Koops` enge Verbundenheit mit der
Hoogsteder Schule erinnerte ihr Leiter Johann
Kemkers in seinem Grußwort. „Der Mensch ist
die Hauptsache“ sei stets Leitgedanke der Arbeit von Jan Hindrik Koops gewesen, und dafür
seien ihm viele dankbar.
Für die Hoogsteder Vereine kam der Sportvereinsvorsitzende Heinrich Keen zu Wort. Ob
Schützenvereine, Rotes Kreuz, Feuerwehr, Feuerwehr, Landjugend oder Sportverein – für alle
Hoogsteder Vereine sei Koops ein stets „treusorgender Vater“ gewesen, meinte Keen. Das
bewiesen auch die zahlreichen Vereinseinrichtungen in Hoogstede, die mit Unterstützung der
Gemeinde und ihres Bürgermeisters in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geschaffen
werden konnten. Auf das breite soziale Engagement des Jubilars, der damit auch einen
Dienst am Frieden geleistet habe, machte
schließlich für den Reichsbund Jakobus Hessels
aufmerksam. Und Regierungsdirektor Wolfgang
Persike vom Meppener Amt für Agrarstruktur
wies auf die vielfältigen Verbindungen hin, die
bei der erfolgreichen Zusammenarbeit in Flurbereinigungsverfahren oder bei der Dorferneuerung zwischen Gemeinde Hoogstede und
der Behörde entstanden seien. „
Gemeinderat
Hoogstede, 2008
Vorne:
Gisela Scholten-Meilink,
Hannegret Scholten,
Jan Ensink,
Fritz Berends,
Gisela Glüpker,
hinten:
Jan Harms-Ensink,
Helmut Sleefenboom,
Günter Meyerink,
Rudi Jahnke,
Reinhard Middendorf,
Johann Wortelen,
Berend Hübel und
Dieter Schowe
(Fritz Berends)
146
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Dr. Ernst Kühle,
Über Bathorn – Hoogstede
Aus „Der Grafschafter“ September 1969,
S. 646–647 (Folge 198-200)
Mittelpunktslage
Hoogstede ist Anlieger des rechten Vechteufers auf ein wenig mehr als zwei Kilometer
Luftlinie. Ackerlandplatten mit Eschfluren treten dicht an die Vechte heran, so daß der Kern
der Siedlung nahe am Fluß gelegen ist. Die
Vechte verlegte ihren Lauf von Westen nach
Osten wie tote Flußschlingen am linken Ufer,
durch Flußsande abgeschnürt, bestätigen.
Hoogstede überholte die Nachbargemeinden,
die sich wie eine Kette von Veldhausen bis
Emlichheim mit durchschnittlicher Ortsentfernung von nur 2 km aneinander reihen, in
Größe und Bedeutung. Das hat seinen Grund
in der topographischen und Mittelpunktslage.
Die mittelalterlichen Handelsplätze lagen etwa
20 km voneinander, weil diese Strecke von
Pferdegespannen im Laufe eines Tages zurückzulegen war. Die Heerstraße zwischen
Emlichheim und Neuenhaus nahm nicht den
kürzeren, aber tiefer gelegenen Weg am linken Ufer, der den Vechtebogen hätte abschneiden können, sondern, um der besseren
Höhenlage willen über Hoogstede. Diese Höhenlage, dazu die besseren Böden die neben
Viehhaltung auch Brotfruchtbau erlauben, bewirken eine größere Siedlungsdichte. Mit der
Ortsdichte stieg die Verkehrsdichte.
1890 erhielt der Ostuferweg eine feste
Straßendecke, später stufte man ihn zur L 44
auf. Der Straße folgte die Eisenbahn; 1908 erhielt Hoogstede einen Bahnhof. Der Weg zum
Kaufmann und zum Handwerker in der Stadt
war weit. Dem Bedürfnis, notwendige Bedarfsgüter im Ort herzustellen, gaben die Behörden nach.
Besonders in der Franzosenzeit siedelten
sich Gewerbebetriebe an. Von den sieben Gemeinden von Esche bis Kleinringe besitzt nur
Hoogstede Kirchen, und zwar je eine der vier
Bekenntnisse. Mit der Eisenbahn kamen der
Mineraldünger, das Baumaterial und andere
Bedarfsgüter in den Ort, und die im Bereich
erzeugten Produkte konnten weiterbefördert
werden So entstanden am Bahnhof Niederlassungen und verarbeitende Betriebe, insgesamt
ein beachtliches Handels- und Gewerbezentrum.
Die angegliederte Gemeinde, auf erhöhtem
Landrücken ins Moor vorspringend, was im
Namen Bathorn, bessere Spitze, zum Ausdruck kommt, greift nach Osten ins Moor ein,
das hier abgetorft, entwässert, umgebrochen
und besiedelt wurde. Die gemeinsame Mark
umfaßte zugleich auch die von Kalle, Tinholt,
Scheerhorn und Berge ...
Ortseinfahrt Hoogstede von Scheerhorn aus.
Links Haus Vette, etwa um 1925, Jan Vette und Lehrer
Fritz Voltmer (Harm Kuiper)
1885 Kreis Grafschaft Bentheim
1885 entstand aus dem Großkreis Lingen der
Kreis Grafschaft Bentheim mit einem Hilfsamt
in Neuenhaus. 1886–1920 sorgte Landrat Kriege
für den Fortgang der Melorierungsmaßnahmen und des Straßenbaus. 1890 erhielt der
Heerweg über Hoogstede eine feste Steindecke. Die 1896 angelegte Teilstrecke der
Bentheimer Eisenbahn erfuhr 10 Jahre später
eine Verlängerung über Hoogstede nach Emlichheim. Hoogstede erhielt einen Bahnhof,
der bald in Personen- und Güterverkehr Bedeutung gewann. Die geförderten Raseneisenerze
verlud man meist in Hoogstede. Die Technik
fand Eingang in den bäuerlichen Betrieb.
Im neuen Jahrhundert stellte sich die landwirtschaftliche Winterschule Neuenhaus 1903
in den Dienst der Berufsausbildung des bäuerlichen Nachwuchses. Das Krankenhaus in
Neuenhaus übernahm den Gesundheitsschutz
der Niedergrafschaft. Nach dem Weltkriege
setzte Landrat Böninger, 1920–31, die Kulturmaßnahmen seines Vorgängers fort. Die Elek-
147
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
trizitätsversorgung des Kreises versah die
bäuerlichen Betriebe mit einer neuen Energiequelle. Herdbuchgesellschaften, Versuchsringe, Bezugs- und Absatzgenossenschaften,
Tierzuchtverbände halfen, die Erträge zu
steigern. Das Kreiswiesenbauamt bemühte
sich um Strukturverbesserung des Grünlandes.
In Hoogstede stellte sich die Spar und Darlehnskasse 1923 in den Dienst Geldverkehrs;
die Posthilfsstelle 1933 diente dem Nachrichtenverkehr. 1933 besaßen Hoogstede und Bathorn 262 ha Ankerland, 108 ha Wiesen und
180 ha Weiden; es gab 91 landwirtschaftliche
Betriebe, darunter 9 größere, 57 kleinere Höfe,
12 Neubauern. 14 Heuer, insgesamt 710 Einwohner. 25 gewerbliche Betriebe hatten sich
in Hoogstede angesiedelt; sie behaupteten sich
zwischen Veldhausen mit 47 und Emlichheim
mit 65 Handwerksbetrieben.
Kulturmaßnahmen 1937
Als beispielhaft können die Kulturmaßnahmen im Raum Hoogstede-Bathorn gelten, über
die W. Friedrich in den Grafschafter Nachrichten unterrichtete. Das Wasserwirtschaftsamt Osnabrück richtete 1937 eine Nebenstelle
die Kulturbauleitung Hoogstede ein. Eine Barackenunterkunft, 1938, enthielt 2 Büroräume
und Wohnung für 14 Arbeitskräfte. Bald gab
es 13 Dieselloks und 20 km Feldbahn, die 90
Stammarbeitern und weiteren Arbeitskräften
des Reichsarbeitsdienstes dienten.
1939 übernahm die Justizverwaltung das
Lager Bathorn und setzte Strafgefangene zur
Arbeit ein, die unter anderem den Bathorner
Diek befestigten. Nach Ausbruch des Krieges
beschäftigte man auch Kriegsgefangene. Nun
übernahm die Wehrmacht das Lager und
führte die Arbeiten bis zur Schleuse weiter
und darüber hinaus bis zum Lager Alexisdorf
und Neuringe. Der Arbeitsdienst hatte bereits
900 ha entwässert als die Kriegsjahre eine
Einschränkung der Arbeiten im Moor erforderten. Ab 1940 konnte man nur noch kleinere Abteilungen beschäftigen.
1941 übernahm das Wasserwirtschaftsamt
Meppen die nunmehr nach Bathorn verlegte
Leitung. Nach dem Kriege begann man 1946
aufs neue mit den Kulturarbeiten und be-
148
schäftigte Vertrieben von denen etwa 500 im
Lager Bathorn untergebracht waren. Zunächst
waren nur drei Dieselloks verfügbar; ab 1947
jedoch, als man die Arbeiten in größerem Maße
wieder aufnahm, waren 140 Arbeitskräfte als
Stammpersonal eingesetzt, die mit Unternehmern und Fachkräften das Straßen- und
Grabennetz erweiterten, die Moordecke umbrachen und die Bodenstruktur verbesserten.
Einheitsgemeinde Hoogstede 1968
Hoogstede gewann nach 1945 Bedeutung als
Nebenkern mit Standort für mehrere Kirchen,
Mittelpunktschule, Berufsschule, landwirtschaftliche Genossenschaften und mehrere
Gewerbe- und Handelsbetriebe. Der Ausbau
der Feuerwehr erlaubt, Nachbargemeinden
Brandschutz zu bieten. Ein Polizeiposten dient
einer Gruppe von acht benachbarten Orten.
Die Bildung einer Einheitsgemeinde beschlossen 1968 die Gemeinden Hoogstede, Bathorn,
Scheerhorn, Berge, Kalle, Tinholt und Neuringe. Eine leistungsfähige Privatmolkerei
richtete 1960 eine fliegende Milchabnahme
ein, deren Tankwagen die Kannen auf den
Höfen entleeren und sie mit Magermilch wieder auffüllen. Der Milchversorgung dient der
Kontrollring Hoogstede. Die Infrastruktur, die
Grundausrüstung der Gemeinde, gewann
durch Einrichtung einer Waschanlage, durch
Gemeinderäume der kirchlichen Gemeinden,
durch Mitwirkung von geselligen Vereinen,
Laienspielschar, Dorf- und Theaterabende und
Gemeindebücherei. Beträgt die Einwohnerzahl
heute etwa 1100, so rechnen die Raumplaner
mit einer Zunahme bis 1985 auf 2000 und
einem weiterem Hinzukommen zentraler Einrichtungen, wodurch Hoogstede Aufgaben
eines kleinen zentralen Ortes für einen begrenzten Nachbarbezirk erfüllen kann.
Quellen
Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953.
Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft,
Heimatkalender 1951.
Friedrich, Hoogstede, Grafschafter Nachrichten 1962.
Sager, Geschichte der Grafschaft Bentheim
Specht, Heimatkunde eines Grenzkreises.
Dr. Specht, Jungpaläolithischer Lagerplatz
am Lamberg. Jahrbuch 1968.
Der Landkreis Grafschaft Bentheim.
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Postkarte Hoogstede um 1925 (Johann Jeurink)
Kriegerverein 1919, Denkmal 1921
und Musikverein von 1928
Mini Büdden
Die Veteranen des Krieges 1870/71 entschlossen sich zur Gründung eines Kriegervereins.
Schon im Jahr 1906 fand vermutlich in der
Gaststätte Warmer in Scheerhorn eine Versammlung mit der Wahl eines Präsidenten
statt. Gewählt wurde der vormalige Lehrer
Bernhard Heinrich Stönnebrink. Nach dem
Ersten Weltkrieg wurde Stönnebrink erneut
erster Vorsitzender, Lehrer Voltmer wurde
zweiter Vorsitzender, Schriftführer der Schmied
Bernhard Haubrich und Kassenführer der
Landwirt Koops. Der Kriegerverein veranstaltete jedes Jahr mehrere Feste, die mit Umzügen durch das Dorf bis zur Gaststätte Warmer
verbunden waren. Ausgangspunkt dieser Veranstaltungen war der Platz der „drei Eichen“
am heutigen Schwarzen Diek. Eine vom Heimatverein aufgestellte Hinweistafel erinnert
heute an diesen Platz.
Die Mitglieder trugen bei solchen Umzügen eine einheitliche Kopfbedeckung (Käppies), eine Fahne und brennende Fackeln. Die
vereinseigene Musikkapelle begleitete die Um-
züge und spielte bei Festen zum Tanz auf.
Der Kriegerverein plante und vollendete auch
den Bau des Kriegerdenkmals zur Erinnerung
an die Opfer des Ersten Weltkrieges. 1921
konnte das durch Spenden finanzierte Denkmal
eingeweiht werden. Seinen Platz hatte es in der
Dorfmitte an der Ecke Bergstraße/Hauptstraße.
Etwa 1974/75 wurde es verkehrsbedingt abgebrochen und befindet sich seitdem im Privatbesitz. Angedacht ist, beim Ausbau des Friedhofs das Denkmal neu einzubeziehen.
Kriegerdenkmal
Zeitung und Anzeigenblatt 1921
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim
Bearbeitet von Johann Jeurink
Arkel, 6. März 1919 In der letzten Versammlung des Kriegervereins wurde festgestellt, dass
30 Vereinsmitglieder am Kriege teilgenommen
haben, 6 auf dem Felde der Ehre gefallen oder
infolge Verwundung gestorben sind und sich
zur Zeit noch ein Mitglied in Gefangenschaft
befindet. Außerdem haben aus dem Kirchspiel
Arkel noch 26 Krieger ihr Leben für das Vaterland dahingeben müssen, harren noch 12 Krieger in der Gefangenschaft ihrer Rückkehr und
gelten noch 5 Krieger als vermißt.
149
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Entlassungs-Urkunde nach dem Ersten Weltkrieg für Johann Heet, 17.02.1920 (Mini Büdden)
Hoogstede, 9. April 1921 Die am 1. April im
Lokale des Herrn Warmer stattgefundene Versammlung des Kriegervereins Arkel erfreute
sich einer regen Beteiligung. Bevor zur eigentlichen Tagesordnung übergegangen wurde,
teilte Herr Stönnebrink mit, dass die Sammlung für die Anlage eines Kriegerdenkmals
bereits einen guten Erfolg gehabt habe, jedoch noch nicht beendigt sei. Er hoffe
jedoch durch den Opfersinn der noch ausstehenden Gemeinden, das in Aussicht genommene Denkmal in Auftrag geben zu können.
Die Arbeiten sind dem Bildhauer H. Wiese
in Nordhorn übertragen, welcher einfache,
künstlerische Entwürfe angefertigt hatte und
diese der Versammlung vorlegte. Herr Wiese,
der anwesend war, erklärte dann die Grundgedanken und Einzelheiten der Ausführung.
Hierauf kam man einstimmig zu dem Entschluß, einen Gedenkstein zu nehmen, der
dem Andenken, der dem Vaterlande geopferten
Söhne würdig und dem Gelände angepasst ist.
– Dann wurde noch beschlossen am 20. April
ein Frühjahrsfest zu feiern, sowie am Himmelfahrtstage einen Ausflug nach Lage zu machen.
150
Hoogstede, 15. Juni 1921 Unser Kriegerdenkmal – Ein gewaltiges Ehrenmal ist es, das das
Kirchspiel Arkel seinen im Kriege gefallenen
Helden widmen wird. Die Wahl ist jetzt getroffen worden, und wir sind heute in der
Lage, darüber folgende Einzelheiten mitzuteilen. Der Hauptblock, der auf einem schweren
Sockel ruht, ist aus echtem Granit nach der
Natur gemeißelt. Der mächtige Block, der an
2,10 m hoch und 1,15 m breit ist, wird aus
einem riesigen Stein gearbeitet und hat das
stattliche Gewicht von 60 Zentnern. Oben ist
das Denkmal gekrönt von dem typischen
Stahlhelm, der – umkränzt von Lorbeerranken
– direkt aus dem Block gemeißelt ist.
Die Namen der gefallenen Helden werden
auf einer Tafel aus Odenwald-Granit eingehauen. Die Anlage wird einen schönen Platz
finden direkt an der Landstraße bei der Stönnebrinkschen Besitzung, unmittelbar am
Friedhof. Die Denkmals-Anlage wird geschaffen von der Firma „Werkstätte für Kriegerund Grabmalkunst Gebr. Wiese, Bocholt“,
deren Vertreter Herr H. Wiese, Nordhorn den
Auftrag entgegennahm. Die Einweihung des
Denkmals wird im Herbst d. Js. erfolgen.
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Das Kriegerdenkmal um 1930,
Ausschnitt aus einer Postkarte (Mini Büdden)
Musikverein im
August 1928,
gleichzeitig Kapelle
vom „Kriegerverein“.
Von links:
Lukas Schroven,
Heinrich Müller,
Heinrich Rott,
Hindrik Jan Keen,
Heinrich Haubrich,
Hindrik Jan Snieders,
an der Trommel
Johann Sommer
(Mini Büdden)
Gedenktafel Gefallene des Ersten Weltkrieges in der katholischen Kirche (Mini Büdden)
Hoogstede, 17. Oktober 1924 Saalbau. Nachdem der Warmer`sche Saal in Scheerhorn
nicht mehr vorhanden ist, macht sich der
Mangel einer größeren Räumlichkeit bei Versammlungen, Festen und Vorträgen sehr empfindlich bemerkbar. Kalle, Tinholt, Hoogstede,
Scheerhorn usw. haben deshalb den Wunsch,
wieder einen Saal zu bekommen. Deshalb hat
ein hiesiger Wirt den Plan erwogen, im nächsten Jahre den Bau eines Saales vorzunehmen.
Besonders der Kriegerverein steht diesem Plan
freundlich gegenüber.
Hoogsteder Musikverein 1948–1952
Johann Jeurink und Heinrich Warmer
Gleich nach der Währungsreform am 20. Juni
1948 gründeten einige Hoogsteder einen Musikverein, dem überwiegend Bläser angehörten. Beteiligt waren Bertus Brooksnieder, Jan
und Wasse Hannebrook, Heinrich Haubrich,
Herbert Hermann (Emlichheim), Heinrich und
Jan Jeurink, Alfred Leipner (Polizist in Hoogstede von 1945 bis 1963, Johann Schroven,
Egbert Stroot sowie Heinrich und Hindrik-Jan
Warmer. Sie spielten Trompete, Tenorhorn,
Flügelhorn, Tuba, Trommel und Schlagzeug.
Leiter und Dirigent war Hermann Gröbe.
Der 1879 in Sachsen geborene Gröbe war vierzig Jahre lang Stabsmusikkapellmeister Dresden gewesen. Er leitete in dieser Funktion eine
Musikgruppe von Österreichern hoch zu Ross.
Nach seiner Flucht war er bei seinen Verwandten Gosen Hoogstede untergekommen.
Die Familie Gröbe war lange Zeit lang im
Obergeschoss des Hauses des Schuhmachers
Heinrich Warmer untergebracht, am heutigen
Feldweg. Nach dem Tode seiner Frau lebte er
mit Frau Trenzinger zusammen. Später wohn-
151
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
ten sie im Hause der Familie Gosen im Berg,
an der heutigen Bergstraße. Die letzten Jahre
verbrachte Hermann Gröbe bei seiner Tochter
in Hamburg. Dort verstarb er 1970. Er wurde
in Hoogstede beerdigt.
Hermann Gröbe war für die junge Musikgruppe ein „Juwel”. Er verstand es, mit Disziplin aber auch mit Humor seine Truppe zu
begeistern.
Die Übungsstunden fanden wöchentlich in
der katholischen Volksschule statt. In den
Wintermonaten mussten die Teilnehmer abwechselnd für Brennmaterial zum Heizen
Sorge tragen. Später übte man auch in der
Gaststätte Wolters.
Nach einem halben Jahr schon wagte der
Musikverein seinen ersten öffentlichen Auftritt. Er spielte überwiegend flotte Blasmusik,
unter anderem auch Märsche. Er spielte auf
Silbernen und Goldenen Hochzeiten und auf
verschiedenen Schülertreffen.
Die Beteiligten hatten zwischen 1949 und
1952 noch keine eigenen Autos. Deshalb
mussten von den eingenommenen „Gagen“
zuerst die Fahrtkosten bestritten werden. Das
restliche Geld – Geld war in dieser Zeit noch
sehr knapp – wurde in Musikinstrumente und
Noten investiert. Es gibt einzelne Zeitungsmeldungen über Auftritte der Gruppe.
Der Musikverein erweckte im Mai 1952 in
Emlichheim großes Aufsehen: Als Herbert
Hermann, der in Emlichheim wohnte und im
Musikverein mitspielte, Schützenkönig von
152
Hermann Gröbe (1879–1970) hoch zu Ross in Österreich (Christa Gosen)
Musikverein mit Hermann Gröbe um 1950. Von links:
Jan Hannebrook, Heinrich Jeurink, H.J. Warmer, Wasse
Hannebrook, vorne: Hermann Gröbe, weiter Egbert Stroot,
Heinrich Haubrich, Bertus Brooksnieder, Heinrich Warmer.
(Johann Jeurink)
Hoogstede geworden war, brachte der Verein
bei ihm zu Hause ein Ständchen. Viele Emlichheimer waren überrascht, dass Hoogstede
schon wieder eine Blaskapelle hatte.
Noch heute erinnern sich einige der Beteiligten gerne an diese schöne Zeit. Sie berichten, dass man bei den Auftritten auch immer
selber kräftig mitgefeiert habe und manches
Mal erst in den frühen Morgenstunden wieder zu Hause eingetroffen sei.
Nachdem einige der jüngeren Mitglieder
geheiratet und eine eigene Existenz aufgebaut
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Verlobung von Bertus Brooksnieder und Wilhemina
Züwerink am 06.06.1949. Von links: stehend Herbert
Hermann, Alfred Leipner, Wilhelmine Züwerink, Bertus
Brooksnieder, Heinrich Taubken, davor v.l. Jan Hannebrook, Wasse Hannebroek, Johann Stroot, Jan Jeurink,
Heinrich Jeurink und Johann Schroven. (Mini Büdden)
Hermann Gröbe, 1879-1970 (Mini Büdden)
Der Hof Westhuis seit 1867
1867 hat Familie Westhuis ihren Hof erworben,
1989 gibt Bernhard Westhuis (1902–1990)
einen kurzen Rückblick. Bilder und Text stehen beispielhaft für viele andere Neusiedlungen des 19. Jahrhunderts. (gjb)
Kinderwagen Westhuis, um 1940,
Anfang der Kriegsjahre (Westhuis)
Kath. Pastor, Bernhard
Westhuis,1902–1990,
Gerhard Beerlink,
1886–1941 (Westhuis)
hatten, stellte man die Aktivitäten 1952 wieder ein. Sechs Jahre später, am 14. Februar
1958, wurde der Posaunenchor der evangelisch-reformierten Gemeinde gegründet. Unter
anderem hatten auch sechs Beteiligte vom aufgelösten Musikverein die Idee und den
Wunsch, einen Posaunenchor ins Leben zu
rufen. Sie hatten sich zuvor an Pastor Ringena
von der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde gewandt. Chorleiter wurde Herr Alfred
Leipner. Mit als Gründungsmitglieder dabei
waren unter anderem auch sechs ehemalige
Spieler des Musikvereins, und zwar Bertus
Brooksnieder, Jan und Wasse Hannebrook Jan
Jeurink und Heinrich und Hindrik-Jan Warmer.
153
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Rückblick von Bernhard Westhuis,
Hoogstede 1989
Aufgeschrieben von Bernhard Westhuis,
1902-1990
Im Jahre 1867 kauften die Eheleute Carl Westhuis und Frau Anna Margarethe geb. Holtel
(Brüning), Scheerhorn, das erste Grundstück von
Hermann Börger (Mensen) aus Hoogstede für
950 Gulden. Es war etwa 13 Morgen groß. Börger musste das Geld zehn Jahre stehen lassen.
Nach drei Jahren war Börger kaputt und
musste das Grundstück wieder verkaufen.
1870 kaufte mein Großvater es dann für 1.000
Reichstaler.
Der Bauer Frans Kennepohl, Tinholt, gab
das Geld für die erste Hypothek. Carl Westhuis
musste es mit vier Prozent verzinsen. Im Jahre
1880 kaufte er von Klein Neerken vier Morgen
für 150 Mark. Es war eine arme Zeit. Das Geld
musste im Webstuhl verdient werden. Die
Löhne waren niedrig. Nach einem alten Büchlein arbeitete er bei Harms in Bathorn als
Torfstecher, Grasmäher, Roggenmäher für
zwei Mark pro Tag, Mistladen für 80 Pfennig
und so weiter.
Bei Westhuis in der Heuernte, um 1940.
Hinten links Maria Westhuis geb. Eling 1909-2003,
Bernhard Westhuis 1902-1990, Franzose,
vorne links unbekannte Frau eines Offiziers,
Gesina Westhuis 1898-1972/3), Margaretha
und Bernhard Westhuis (Westhuis)
Mit Pferd und Auto 1930/1934 bei Westhuis vor der Diele
Von rechts: Bernhard Westhuis 1902-1990, Gesina Westhuis 1898-1972/3,
mit ihrer Nichte Anne Oude Wesselink aus Esche 1921-1997 (Westhuis)
154
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Am Bathorner Diek erlebt
Hermann Kronemeyer
Twistdiek
Der Bathorner Diek hieß ehemals Twistdiek.
Es ist ein sich sehr lang über Kilometer hinziehender Weg. Von der heutigen Hauptstraße,
abzweigend an der Molkerei, in Hoogstede
verlief der Bathorner Diek etwa mittig durch
die Bathorner Flur mit ihrer wechselhaften
Struktur von Eschböden, durch tief gelegene
Bruchwiesen, gefolgt von ausgedehnten Hochmoorflächen. Somit war der Zustand des Dieks,
je nach Jahreszeit, vorgegeben.
Anwohner des Dieks und insbesondere
deren Kinder erfuhren tagtäglich die Erschwernis, die der Diek für sie brachte. Den
Bathorner Diek erfahren sollten auch Tausende Menschen aus allen Kontinenten und
aus allen Staaten Europas. Mit der Einschulung im Jahre 1933 sollte ich in den folgenden
Jahren über den Bathorner Diek laufen und
die unterschiedlichen Eindrücke sammeln.
In Holzschuhen legten wir die Wegstrecke
bei jedem Wetter zurück, im Sommer wie im
Winter. Einigermaßen erträglich zeigte sich
der Weg nur im Sommer, auch wenn der Fußweg durch Weidevieh, das morgens zur Weide
getrieben und abends wieder zum Stall geholt
wurde, zertreten und mit Kuhfladen verschmutzt war.
Sommer und Herbst
Bei sommerlicher Hitze und staubigem Weg
suchten wir schon mal die Wasserpumpe bei
einem Anlieger auf, um eine Schöpfkelle Wasser zu trinken. In der Heuernte herrschte dann
reger Betrieb. Ab und zu musste auch ein
Heufuder auf dem Weg neu geladen werden,
weil ein Teil der Fuhre sich infolge ausgefahrener Senken im Wege gelöst hatte, sehr zum
Verdruss und Ärger der Betroffenen.
Zum Herbst legte sich der Betrieb auf dem
Weg und herbstliches Wetter ließ wieder
größere Wasserlachen und matschige Wegstrecken entstehen, sodass man sich den besten Weg rechts oder links vom Weg suchte.
Nasse Füße waren oft die Folge.
Sargträger
Eine Begebenheit etwa aus den 1920ger Jahren gibt ein Bild von den damaligen Wegverhältnissen. Bei einem Sterbefall in der
Siedlung Bathorner Diek musste der Sarg etwa
drei Kilometer weit bis zum Kanal getragen
werden. Von dort haben Gerhard Brooksnieder
und Bernhard Westhuis Pferde und Wagen gestellt und den Sarg am Kanal entlang und
über den Aulen Diek zum Friedhof gefahren.
Winter und Frühling
Bei Frost war der Weg relativ gut passierbar.
Obwohl bei Schnee und Schneeverwehungen
sich dann die Erschwernis von einer anderen
Seite zeigte. Bei kaltem, schneidendem Ostwind
waren uns schon mal Ohren oder Wangen angefroren. Weder Busch noch Baum boten auf
dem Langen Diek Schutz. Wildgänse, die sich
in jedem Winter in den Wiesen rechts und links
des Weges niederließen, litten dann Hunger und
konnten sich kaum zum Flug erheben.
Angenehm wurde es im Frühjahr, wenn
unzählige Kiebitze am Wege spielten, Lerchen
aufstiegen und große und kleine Brachvögel,
Schnepfen und Wildenten über die grünen
Wiesen strichen. Mit dem Frühjahr kamen
auch einige Holländer, die versuchten, mit
Fallen Maulwürfe zu fangen, um damit etwas
Geld zu verdienen. Gelegentlich passierten
auch Schmuggler unbemerkt den Diek.
Schmuggler
Fast jede Nacht hielten sich Zöllner an unserem Haus oder in der Scheune auf, um die Kanalbrücke zu beobachten. Eines Nachts
stellten sie einen Schmuggler, der die Brücke
passieren wollte. Beim Zugriff ließ der Mann
aus Tinholt sein Schmuggelgut fallen und
stürmte in unseren seitlichen Hauseingang
durch die Küche, das elterliche Schlafzimmer
und durchs Fenster wieder hinaus. So ist er
entkommen. Die Haustüren blieben damals
meist unverschlossen.
Torfholen
Eine jährlich wiederkehrende Betriebsamkeit
auf dem Diek stellte sich im Mai ein und setzte
155
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
sich dann, zur Erntezeit abflauend, bis in den
Herbst hinein fort. Bewohner der näheren und
weiteren Umgebung zogen im Mai ins Moor,
um sich mit dem erforderlichen Jahresbedarf
an Heiztorf zu versorgen. Nach dem Torfstechen und trocknen zogen im Spätsommer vermehrt ein- und zweispännige Pferdefuhrwerke
ins Torfstichgebiet, um den trockenen Torf
nach Hause zu holen. Auffällig war das kleinste Fuhrwerk. Mit einem einspännigen Hundewagen brachte diese Familie ihren Torf über
holperige und lose Sandwege nach Haftenkamp. Eine nicht leichte Arbeit für Mensch
und Hund.
Begradigungen
Kurz vor meiner Einschulung gab es schon
Verbesserungen am Twistdiek. Der sogenannte
Lines (Linesch) war ausgegraben worden, sodass man nicht mehr um Brooksnieder herumfahren musste. Für die Fußgänger führte
bis dahin ein Pfad über den Esch.
Vom Hof Koops war der Diek um einige
Meter westlich zurückverlegt worden. Am Hof
Neerken war der Esch abgegraben worden.
Hier verlief der Diek nun nicht mehr am
Hause über den Hof von Neerken. Weiter verlief der alte Diek zwischen dem Hause Kwade,
heute Boers, und der dazugehörigen Scheune,
später mit kleiner Wohnung, hindurch. Auch
hier wurde der alte Diek westlich verlegt,
somit verlief der Diek gradlinig durch den
Lines zur Hauptstraße an der Molkerei.
156
Arbeitsdienstlager 1933/35
In den folgenden Jahren sollten die Baumaßnahmen kein Ende nehmen, im Gegenteil. Zunächst wurde ein Arbeitsdienstlager nördlich
vom Hof Koops gebaut. In der Folgezeit marschierten Männer in Arbeitsuniform und mit
blankem Spaten singend zu ihren Arbeitsstellen am Diek. Das war ein ungewohntes Bild.
Entwässerungsgräben wurden gezogen bzw.
ausgebaut und vertieft. Dabei wurde ein Einbaum ausgegraben, zu dem wir Schulkinder
geführt wurden. Dieser Einbaum sollte in ein
Museum verbracht werden. Feldbahngleise
wurden verlegt. Darauf fuhren Schienenfahrzeuge verschiedenster Art. Auf die konnten
wir gelegentlich aufspringen und brauchten
unseren Weg nicht zu Fuß zurückzulegen. Behinderungen gab es fortwährend durch die
Verlegung von Durchlassrohren, was sich über
Tage hinzog. Zur Überquerung brauchten wir
Kinder die Hilfe der Arbeitsmänner und auch,
wenn es durch frisch aufgefüllten lockeren
Sand ging.
Fremde und Strafgefangene
Immer mehr Fremde waren anzutreffen. Fremd
war jeder, der nicht plattdeutsch sprach. Vermessungsleute aus Österreich und Deutschland, Arbeiter aus der Grafschaft und den angrenzenden Kreisen. Auf dem Twistdiek und
darüber hinaus entwickelte sich eine Großbaustelle. Unser Schulweg hatte sich inzwischen um einiges verlängert. Unterricht wurde
Lok und Loren
auf einem Feldbahn-Damm,
Sandauffahren
(Gerold Meppelink)
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
jetzt in der katholischen Schule gegeben. Dort
spielte sich eines Tages eine merkwürdige Szene
ab. Zwei Lastzüge mit Anhängern und Planen
überspannt hielten am Schulzaun während
einer Pause. Drei Männer in Uniform mit Karabiner stiegen aus und fragten den Lehrer
nach dem Weg zum Lager Bathorn. Währenddessen steckte ein Mann seinen Kopf durch
die Plane. Ein Uniformierter sah es, sprang
schnell zu, schwang sein Karabiner und
schlug dem Mann mit dem Kolben ins Gesicht.
Dann lief Wasser an der Stelle vom Wagen.
Beide Lastzüge waren voller Männer. Vermutlich die erste Einlieferung von Gefangenen in
das Strafgefangenenlager Bathorn. Vereinzelt,
in zunehmenden Maße, befuhren nun auch
leichte Motorräder, „Bückies“ und Kübelwagen aus den neuen Arbeitsdienstlagern am
Kanal den Diek. Immer mehr Uniformierte
und Arbeitsmänner erschienen. Ein alteingesessener Hoogsteder meinte dazu: „Mäinschen, Mäinschen, ick wüß ja gar nich dat et
soavöll Volk up de Wärld gaff.“ Viele trugen
eine Einheitskleidung anderer Art: blaugraue
Kittel und Hosen mit breiten gelben Streifen
beidseitig an den Beinen, vergleichbar einer
Generalsuniform. Deshalb nannte man sie
auch spöttisch „Generalstäbler“ oder „Bambusen“. Es waren Strafgefangene aus den Zuchthäusern, die nun den Diek bearbeiteten.
Systematisch wurde ein Bodenaustausch vorgenommen. Dazu wurden Erdgruben in erforderlicher Breite aber unterschiedlicher Tiefe
ausgehoben und mit tragfähigem Boden aufgefüllt. Eine gewisse Alltäglichkeit, ja Gewohnheit, stellte sich ein. Auf einem von
Arbeitsmännern eingerichteten Sportplatz
auf einer Wiese vor dem Lines, übten sich
ab und zu Arbeitsmänner im Frühsport oder
Fußball.
Kriegsausbruch
Doch eines Morgens kam unser Vater gegen
seine Gewohnheit aufgeregt zu uns ans Bett.
Er weckte uns zum Frühstück und für die
Schule und sagte nur: „Der Krieg ist heute
morgen angefangen.“ An diesem Morgen führte
unser Weg erst einmal zur Gastwirtschaft
Müller. Dort im Saal lag seit einiger Zeit ein
Zug Grenzschutzsoldaten, darunter mein
Schwager. Es war früh, einige lagen noch im
Stroh. Keiner wusste etwas. Auf unsere Nachricht vom Krieg waren bald alle auf den
Beinen. Die Baustelle auf dem Diek ruhte an
diesem Tage.
Die Strafgefangenen mussten hinter dem
Stacheldrahtzaun bleiben. Bald waren sie wieder auf dem Diek tätig, bis sie unbemerkt endgültig verzogen.
Luftschutz
In der Schule wurde immer öfter über Luftschutz und Ähnliches gesprochen. Die Wirkung von Brandbomben wurde uns in einem
Wasserbehälter vorgeführt. Ja wir mussten
direkt erfahren, wie in einem geschlossenen
Raum Tränengas ohne den Schutz einer Gasmaske auf die Augen einwirkt.
„Zur Kur nach Oranienburg“
Unbemerkt aus dem alljährlich zur Sommerzeit wiederkehrenden Erscheinungsbild verschwand auch ein gebeugter alter Mann mit
Krückstock. Als Bewohner des Hoogsteder Armenhauses führte er zeitweise seine einzige
Kuh an einem Strick zum Fressen in die Seitenräume des Dieks. Wie es hieß, sei er zur „Kur
Eines Tages begegneten uns Brigadewagenzüge voll mit Arbeitsmännern auf dem
Weg zum Bahnhof. Die Arbeitsabteilungen
wurden an die Westgrenze verlegt. Auf dem
Bathorner Diek setzten die Strafgefangenen
ihrer Arbeit fort unter der Aufsicht von Arbeitsanweisern und bewaffneten Posten in
blauer Uniform, die „Blauen“ genannt. Als
Schul-„Diekläufer“ morgens hin und mittags
zurück, nutzten wir natürlich die jeweils beste
Strecke. Mal gingen wir links, mal rechts auf
dem Diek oder auch direkt am Graben entlang. Zeitweise erwiesen sich die Gleise als
guter Weg. Dort konnte man später auch gut
mit dem Fahrrad fahren, sei es mit rhythmischem „Hopsen“ über den Schwellen. Unser
Schulweg hatte sich mittlerweile bis zum
Bahnhof verlängert. Seitdem fuhren wir mit
dem Fahrrad. Posten, Strafgefangene und Arbeitsanweiser waren für uns bekannte Bilder
geworden.
157
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
nach Oranienburg“ geschickt worden. Gesehen wurde er nie mehr. (Siehe Seite 182) Er ist
im Konzentrationslager umgekommen.
Polnische Kriegsgefangene
Fremde Gruppen in nie gesehener Aufmachung nahmen nach geraumer Zeit die Arbeit
auf dem Diek wieder auf. Fremd war ihre unverständliche Sprache. Fremd waren ihre
braunen Uniformen und Mützen, teilweise mit
Vierkantdeckel.
Anstelle des bewaffneten Bewachungspersonals in blauer Uniform hatten jetzt Männer
in feldgrauer Uniform die Aufsicht. Bei den
Arbeitsanweisern hatte sich nichts geändert.
Nur die Sprache der Neuen verstanden sie
nicht mehr. So konnte man anfangs immer
wieder beobachten, dass Arbeitsanweiser zur
praktischen Vorführung am Gleis hantierten
oder an der Schüppe in der Grube standen. Sie
hatten es jetzt mit polnischen Kriegsgefange-
Aus „Der Grafschafter“:
Kriegsgefangene 1942, Bahnhof Hoogstede
nen zu tun. Diese stellten sich in Einzelfällen
zum Verdruss der Anweiser, schon einmal
dumm an. Langsam aber sicher nahm der
neue Diek seine Form an.
Etwas Merkwürdiges, ja Unglaubwürdiges
spielte sich vor dem Hof Neerken ab. Polnische Männer schachteten in einer Grube für
den Bodenaustausch. Zufällig kam in unserem
Beisein ein Hoogsteder Teilnehmer am Polenkrieg, der jetzt auf Heimaturlaub war, in Kavallerieuniform an die Grube und suchte aus
den etwa 15 bis 20 polnischen Männern drei
heraus. Er ließ sie aus der Grube steigen und
behauptete, sie zu erkennen, weil er sie ge-
158
fangen genommen habe. Die übrigen Polen,
die Wachmänner und Anweiser sagten nichts
dazu. War das nahezu Unmögliche ein Trugschluss? Bald danach ging alles wieder seinen
gewohnten Gang.
Kavallerie einquartiert
Dann gab es wieder etwas Nie-Dagewesenes:
Angehörige einer Kavallerieeinheit wurden
mit ihren Reitpferden im Dorf einquartiert.
Fortan hallten über Dorf und Diek gelegentlich Maschinengewehrsalven und Gewehrschüsse aus dem Schießstand im Stapenberg.
Auf dem Diek wurden die Arbeiten fortgeführt. Ein Ende der Erdarbeiten war in Sicht.
Flugzeuge
Zu erahnen war in dieser Zeit etwas Unheimliches und Unbekanntes. Es lag etwas in der
Luft. Das zeigte sich am 10. Mai 1940. Morgens früh zogen deutsche Flugzeuge in mehreren Staffeln auf dem Rückflug aus Holland
über den Bathorner Diek zu ihren Standorten.
Auf dem Diek selbst regte sich noch nichts.
Die Arbeitsgruppen rückten wie üblich erst
später an. Doch auf der Dorfstraße begegneten
uns endlose Trossfahrzeuge. Sie folgten ihren
Kampftruppen in Richtung Holland. Neben
den Trossfahrern vom Bock schlafende und
dösende Soldaten unterm Stahlhelm. Ein
Trosspferd fiel durch ein eingebranntes Eisernes Kreuz ins Auge. Es sollte sicherlich eine
Auszeichnung aus dem Polenkrieg sein. Die
im Dorf einquartierte Kavallerieeinheit hatte
sich am Abend schon in Marsch gesetzt. Nach
einigen Tagen legte sich der Trubel wieder.
Das Geschehen spielte sich weit entfernt ab.
Dessen ungeachtet nahmen die Arbeiten auf
dem Diek ihren Fortgang.
Kriegsgefangene
Ein erneuter Wechsel der Arbeitskolonnen
folgte bald danach. Polen wurden nun nicht
mehr gesehen. Vom Bahnhof aus liefen in der
Folgezeit Tausende Kriegsgefangene über den
Bathorner Diek und zum Teil auch über den
Aulen Diek zum Lager Bathorn. Einige fuhren
auch per Lok und Brigadewagen: Franzosen,
Belgier, Luxemburger, Engländer, später Tsche-
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
choslowaken, Griechen sowie Russen und andere. Nach ein paar Jahren folgten Italiener
als letzte Kriegsgefangene. Sie alle waren auf
irgendeine Weise am Ausbau des Bathorner
Dieks beteiligt, vorwiegend aber die Franzosen.
Als Straßenkörper baute man eine Setzpacklage ein. Dafür nutzte man eine Dampfwalze.
Monate war der Diek für Radfahrer nicht
passierbar, man musste über den Aulen Diek
ausweichen. Die gelegentliche Nutzung des
Seitenstreifens am Bathorner Diek als Radweg
sollte durch Fußangeln verhindert werden. Sie
waren gekennzeichnet mit einem kleinen
Schild: Vorsicht Fußangel. Bewaffnete Posten
und Kriegsgefangene in Uniformen unterschiedlicher Farbe von khakibraun, dunkelbraun oder grau bis zum Rot einiger Franzosen gehörten zum Alltag auf dem Diek.
Zum Wehrdienst eingezogen
und Heimkehr
Eines Morgens, auf dem Weg zum Zug, begleiteten wir ein Stück weit drei feldgraue
Soldaten zu Fuß. Zwei von ihnen trugen einen
Karabiner. Der Soldat in der Mitte war unbewaffnet und ohne Koppelzeug, ein Arrestant.
Das war für uns sehr fremd. Zum Wehrdienst
wurden immer mehr jüngere und ältere Männer eingezogen. Auf dem Bathorner Diek unterwegs zum Zug sah man ab und zu betrübte,
stille Personen. Es waren Menschen, die ihre
Angehörigen, Vater, Mann oder Sohn, für den
Wehrdienst zum Zug brachten. Stumm flossen auch die Tränen, die dabei gelegentlich
geweint wurden. Froh gestimmt waren dagegen Männer, die mit dem Zug in Urlaub
kamen und dabei auch schon mal, von Heimweh geplagt, im Sprung über den Diek zu den
ersehnten Angehörigen liefen.
Auf dem Diek waren die Kriegsgefangenen
weiterhin mit dem Einbau der Setzpacklage
und Abzwicken beschäftigt und bauten fortlaufend die wassergebundene Straßendecke
auf. Nach der Fertigstellung war dann eine
feste Straße von Hoogstede bis zum Kanal
vorhanden. Für unbestimmte Zeit verließ auch
ich nun bald Haus, Diek und Dorf.
In einem kleinen Militärlastkraftwagen
vom Lager Bathorn fuhr ich nochmals über
den Diek über Nordhorn nach Lingen.
Viel später, bei unserer Rückkehr aus der
Kriegsgefangenschaft, waren wir zu zweit, noch
in feldgrauer Uniform, unterwegs nach Hause.
Dabei begegneten wir mitten auf dem Bathoner Diek zwei ehemaligen serbischen Kriegsgefangenen in brauner Uniform. In einer
kurzen Unterhaltung ließen sie uns gegenüber
ihre Überlegenheit und Geringschätzung deutlich merken. Die jahrelange Dominanz deutscher Soldaten auf dem Diek hatte sich ins
Gegenteil gekehrt.
Fortgespült
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist inzwischen darüber vergangen. Fast vergessen ist
das gesamte Geschehen am Bathorner Diek,
sozusagen fortgespült. Dafür mag eine Begebenheit auf dem Diek stehen, die sich unmit-
Arbeiten am Bathorner
Diek, um 1952. Baustelle
nördlich vom Kanal auf
dem Bathorner Diek mit
Dampfloks, Wasserturm
und Baubüro wird besichtigt von Frau G. Kronemeyer mit Kind Hilde, Sina
und Hilda Kronemeyer und
Swanette Glüpker
(Aus „Alt-Hoogstede“)
159
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
telbar nach dem Krieg zutrug. Die Weiden zu
beiden Seiten waren hoch überflutet. Das
Wasser spülte kniehoch auf etwa fünfhundert
Meter über die Straße. Weit vor mir durchfuhr
wie ich ein alter Mann das Wasser mit dem
Fahrrad. Plötzlich war er nicht mehr zu sehen.
Das Wasser hatte ihn samt seinem Rad umgerissen und fortgespült und er trieb im Wasser.
Ohne Hilfe wäre er verloren gewesen. Wegen
der Überflutung wurde der Wege- und Straßenkörper nochmals mit Schotter kräftig
erhöht. Aus dem anfänglich schlecht passierbaren Twistdiek ist heute der viel befahrene
wichtige Bathorner Diek geworden.
Ingebrauchnahme Bathorner Diek 1953, mit
Bogen, 1951–1953 (Aus „Alt-Hoogstede“)
So was et froger
Von Willi Evers
Heel bowen in`t Venn, doar stöind ´n ault Huus,
doar was mine Böbbe un Besse in Huus.
De Müren met Fakwerk, dat Dak was van Stroa,
se han doar gin Riekdum, men ok ginne Noat.
Hier wöden domoals söm Kinner geboren,
de bragden völl Wark un ok allerläi Sorgen,
Ik höörde er noit klagen, se han gin Verdreet,
er Lewen was Arbäit, was`t kault of was`t heet.
Wo ault of dat Huus was, wüss sicher kineene,
et was heel van Fakwerk un bröcklige Steene.
Wemm` drin woll in`t Hüssien, dann muss man sik bükken,
de Dööre was versackt, et was toot bedrükken.
De Kökken, doar bleew man verwunnert in stoan,
de floar was versackt, man kunn de hoast nich up goan.
Men schoane dat was´t doar, doar köje met rekken,
man kunn van de Floare wall Pannkoken etten.
De Kamern wann kläin, un men dree in`t Getall,
ik weet nich wo`t kun, men se slöpen ok all.
Völl Wark han de Mäinschen met Grössgrund un Land.
Se han ok gin Peerd, un döön als met de Hand.
De Rogge, dat Höj un dat heele Verbau,
muss all up de Koare, wat was`t ´n Gesau.
Elektrik, doar bruke wij nich ower proaten,
dat Huus stöint in´t Venn, un nich an de Stroate.
„Bathorner Diek 1951–1953“
hinter Koops an der ersten Lee
(Aus „Alt-Hoogstede“)
160
Se wüssen nich anners, et muss men so ween,
van de Stinköllilampe kunn´ se ok wall wat seen.
Ower`t Drinkwater, doar will ik nich ower proaten,
et liekde wat bruun, un doar wijwt men bi loaten.
Üm Bräjnt wann de Mäinschen in`t Venn nich verlegen,
wen`t kault wööt, dann kunn`se de ok noch wall tegen.
Moi was`t in`t Venn in de Hochsommertied,
wenn de Häide moi blöjd, un de Bookwäide riepd.
Wenn de Kukuk weer röp, dann was et meest Mäi,
un de Häidelerche söink in de Lüfte so frej.
In`t Föörjoar, dann kunn man däin Kurrhaan hören,
wenn de Kiewitten röpen, un sik alles röörde.
Men trök ieter Joar weer de Wijnter in`t Land,
Dann verstummde hoast alles in`t Häideland.
Hier lööp noch `nen Hasen, en doar noch`n Knien,
en off en to keek ok de Voss moal verbij.
Woll man de Mäinschen in`t Wijnter besöken,
was`t better dat ij uw de Steewel antröcken.
De Fietze, de bleew up däin Achterdiek stoan,
dat leste Stück muss man tefoote dann goan.
Men alles vergeet, un niks bliw bestoan,
blos de Erinnerungen van froager, de bliewt doch bestoan.
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Teilung des Hofes Ensink in 1650
Hermann Ensink
In der Gemeinde Hoogstede gibt es zahlreiche
Beispiele für Hofteilungen, auch wenn die Zusammenhänge durch verschiedene Namenswechsel heute nicht mehr auf den ersten Blick
zu erkennen sind. Die meisten Hofteilungen sind
ungleiche Teilungen, indem z. B. ein „Hüürmansspill“ (Heuerhaus) oder noch nicht kultivierte Flächen einem nachrangigen Erben
vermacht wurden.
Ein Hofteilungsprotokoll1 vom 9. Mai 1650
beschreibt die Teilung des „Goets Ensinck“ in
niederländischer Sprache. Warum sich die Brüder Herman und Derik den Hof zu gleichen Teilen ohne erkennbaren Einfluss der Eltern
aufteilten, ist in den Aufzeichnungen nicht beschrieben. Wer von den beiden Brüdern der Ältere war ist ebenfalls nicht bekannt.
Im Protokoll ist von einem alten und neuen
Haus die Rede. Deriks Frau zog das Los und
bekam das alte Haus, zu dem auch die „Wohnung“ der Eltern gehörte. Das alte Haus ist
heute der Hof Ensink, Am Voresch 1. Herman
erhielt das neue Haus, den jetzigen Hof HarmsEnsink, Am Voresch 2.
Die Brüder losten die Grundstücke untereinander aus. Die großen Flächen wurden in zwei
gleich große Teile geteilt. Als Beispiel: „Dat Lant
op den Sunderkamp zal langes over gedeijlet
woerden en is Derik et noert deel gevallen“ (Das
Land auf dem Sunnerkamp soll längs geteilt
werden, der nördliche Teil ist an Derik gefallen).
Kleinere Grundstücke wurden als Ganzes verlost. Zum Schluss des Protokolls bekunden die
Brüder, dass sie wegen der Teilung des Hofes
niemals vor Gericht ziehen werden.
Die Grundstücke von Harms-Ensink und Ensink lagen so, wie im Protokoll von 1650 beschrieben, zum großen Teil bis zum freiwilligen
Landtausch im Jahre 1980 direkt nebeneinander.
Der Familienname Harms-Ensink dürfte seinen Ursprung in Bathorn haben. Im allgemeinen Sprachgebrauch und in vielen späteren
Aufzeichnungen wird der Hof oft nur „Harms“
genannt. Die standesamtlichen Eintragungen
weisen jedoch den Namen Harms-Ensink aus.
Die Hofstelle am Holunderweg (jetzt van
Tübbergen) ist das ehemalige Heuerhaus von
Harms-Ensink. Der Hof Harms-Ensink, Tinholt,
erhielt seinen Namen über den Hof Scholte,
Scheerhorn (jetzt Smit), der zeitweilig durch
Einheirat auch Harms-Ensink hieß. Der
bekannte Kaller Lehrer Berend Jan HarmsEnsink war ein Bruder des ehemaligen Bürgermeisters Jan Harms-Ensink. Der weitere Bruder
Wilhelm (Wilm) gründete in Alexisdorf eine eigene Existenz.
Die Eheleute Albert Ensink (*1818) und Gezina Rolofs (*1820) aus Kalle (jetzt der Hof
Toomsen) trugen wesentlich zur Namensverbreitung in der Gemeinde Hoogstede bei.2,3 Drei
der acht Kinder heirateten in Kalle und Tinholt.
Jan Hindrik Ensink (*1847) heiratete Hille
Weermann, Kalle, jetzt der Hof Geert Ensink,
Vechtetalstraße 19.
Fredrik Ensink (*1855) heiratete die Schwägerin seines Bruders, Johanna Krans aus Tinholt, jetzt der Hof von Grietje Krans und ihrem
Sohn Albert, Lägen Diek 3. Die älteren Kinder
bekamen hier den Namen Krans. Durch eine Gesetzesänderung musste der jüngste Sohn, Berend, mit dem Namen Ensink eingeschrieben
werden. Er errichtete die Hofstelle am Koppeldiek 3, die jetzt von seinem Neffen, Jan Krans
aus Kalle, bewirtschaftet wird.
Gerrit Hindrik Ensink *1857, war Lehrer in
Kalle und heiratete Ennegien Tinholt aus Tinholt, jetzt Hof Albert Ensink, Grüntalstr. 4.
Geschirr zur Hochzeit von G. Kranz und H. J. Ensink,
12.01.1877 (Jan Ensink)
1
Original Hofteilungsprotokoll, erstellt am 12. Juli 1656, aufbewahrt auf dem Hof Ensink, Am Voresch 1
Bemerkenswert sind Aufzeichnungen nachdem der Brautwagen mit vier Pferden über die bereits Anfang Dezember 1844 zugefrorene Vechte
von Kalle nach Bathorn fahren konnte. (Aufzeichnungen in einem alten Psalmbuch, aufbewahrt auf dem Hof Ensink, Am Voresch 1)
3 Wie zu der Zeit üblich gibt es einen ausführlichen Maakmoalsbreef, nachzulesen in Jeurink, Jan (1986). Materialien zur Volkskultur
nordwestliches Niedersachsen. Die Trachten in der Niedergrafschaft Bentheim 1875-1950. Cloppenburg: Museumsdorf. Seite 168 ff.
(ISBN 3-923 675-10-0)
2
161
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
Siedlerhöfe am Rande
des Hochmoores
Johann Kemkers
Im Rahmen des Emslandplanes entstanden
nach der Kultivierung von Hochmoorflächen
auch im Bereich der jetzigen Gemeinde HoogName
Siedlungsjahr
stede innerhalb weniger Jahre neue Bauernhöfe; sie wurden teils von Neusiedlern, teils
von Aussiedlern übernommen.
Die Höfe reihen sich entlang dem Coevorden-Piccardie-Kanal von West nach Ost über
den gesamten Hoogsteder Gemeindebereich
von der Ringer bis zur Osterwalder Grenze:
Bemerkungen
Bathorn
Hessels, Ernst
Jahnke, Hans
Bloemendal,Hermannes
Hessels, Jakobus
Scheerhorn
Maathuis, Geert
Wiggerink, Gesine
Berge
Wolts, Gerrit
Voslambers, Heinrich
Evers, Egbert
1958
1958
1961
1965
2008 Neerken, Lambertus
1964
1962
1970 Averes, Hermann
1964
1962
1948
1965 Evers, Hindrik; Ranter, Bernd
2006 Osterfeld , Harry
bis 1954 Pachtstelle, danach Siedlerstelle
Von Vorwald nach Scheerhorn –
ein Hof zieht um
Geert Mathuis
Im Rahmen der Flurbereinigung im Raum
Vorwald, Eschebrügge und Volzel wurden insbesondere für Straßen, Gräben und Windschutzstreifen erhebliche zusätzliche Flächen
benötigt. Aus diesem Grund ist unser Betrieb
1964/65 aus Vorwald nach Scheerhorn ausgesiedelt. In Vorwald bewirtschafteten wir
etwa 20 Hektar auf zwölf verstreut liegenden
Teilflächen, die bis zu 15 Kilometer vom Hof
entfernt lagen.
In Scheerhorn bot sich die Möglichkeit, auf
einem arrondierten Betrieb mit 21 Hektar neu
anzufangen. Zu der Zeit wurden diese Flächen
von der staatlichen Moorverwaltung bewirtschaftet. Dem Weitblick meines Großvaters,
der damals mit 72 Jahren diese Entscheidung
getroffen hat, ist es zu verdanken, dass die
Weichen für den Betrieb Maathuis in die Zukunft gestellt wurden.
Der alte Hof Maathuis
in Vorwald
(Maathuis, Scheerhorn)
162
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
Der neue Hof in Scheerhorn
(Grafschafter Tagesspiegel, 09.06.1966)
Nachdem die Formalitäten mit der Niedersächsischen Landgesellschaft abgeschlossen
waren, konnte 1963 mit dem Bau der Hofanlage begonnen werden. Der neue Hof war klar
gegliedert in Wohnhaus, Stallungen und Wirtschaftsgebäude und wurde nach neuesten Erkenntnissen eingerichtet. Die Bauzeit betrug
etwa ein Jahr. In dem Jahr mussten sowohl
die Flächen in Vorwald als auch hier in
Scheerhorn bearbeitet werden. Das waren
lange Fahrstrecken von etwa zwanzig Kilometern. Mit dem Schlepper war man gut eine
Stunde unterwegs.
Da landwirtschaftliche Betriebe eher selten
umziehen, war dies eine große Herausforderung für die ganze Familie. Der Umzug zog
sich über Monate hin. Nach und nach wurden
alle Vorräte und Maschinen nach Scheerhorn
gebracht. Beim Transport der Milchkühe, des
Jungviehs sowie der Sauen und Ferkel half
unser damaliger Viehhändler mit dem LKW.
Die alten und neuen Nachbarn, Bekannte und
Verwandte unterstützten uns während der
Bauphase und beim Umzug.
Meine Eltern und mein Bruder kamen im
Dezember 1964 nach Scheerhorn, mein Großvater und die Tante im Februar 1965. Als letzter kam ich, nachdem das 5. Schuljahr in
Vorwald abgeschlossen war. In der Zwischenzeit hatte ich bei Verwandten in Volzel gewohnt.
Im Jahre 1968 konnte die Bewirtschaftungsfläche um neun Hektar vergrößert werden, nachdem angrenzende Hochmoorflächen
mit einer Dampflok und einem Tiefpflug der
Firma Ottomeyer tiefgepflügt worden waren.
Ottomeyer-Pflug mit Dampflokomotive am Feldende
163
2
Aus Zeitung und Anzeigenblatt
1885–1922
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim
Ausgewählt von Johann Jeurink
Ein Luftschiff landet 1909 in Hoogstede
Neuenhaus, 12. Februar 1909.
Auch unsere abseits liegende Grafschaft wird
mehr und mehr dem modernen Verkehr erschlossen. Selbst die allermodernsten Verkehrsfahrzeuge, die Luftschiffe, verirren sich in
die hiesige Gegend. (Bereits vor einigen Monaten konnten wir von einem Luftschiff berichten, das hier nahe der holländischen Grenze
niedergegangen war. Am vorigen Dienstag
(09.02.1909) morgens gegen ½ 6. Uhr landete
im benachbarten Hoogstede in unmittelbarer
Nähe der durch das Hochwasser enorm gestiegenen Vechte das Luftschiff „Essen-Ruhr“, welches mit zwei Herren, Herrn Direktor Heymann
aus Bochum und Herrn Giersberg aus Wesel,
besetzt war. Die Landung ging glatt vonstatten,
das Luftschiff wurde entleert und per Wagen
zum hiesigen Bahnhof gebracht, um wieder in
seine Heimat zurückbefördert zu werden. Auch
die Insassen des Ballons traten von hier nachmittags ihre Heimreise an, nachdem sie uns
zuvor ihre Fahrt geschildert und sich im Hotel
Albersmeier von den Strapazen ihrer Nachtfahrt etwas erholt hatten. – Die Herren waren
des Nachts um ½1 Uhr mit dem – etwa 900 Kubikmeter fassenden Ballon in Essen an der –
Ruhr aufgestiegen, Ihre eigentliche Absicht,
westwärts – nach Belgien zu fahren, konntten
sie nicht ausführen, da - der herrschende Wind
den Ballon nach Norden trieb. Die - Luftschiffer
ziehen es vor, des Nachts in möglichst geringer
Höhe zu fahren, und so fuhr auch dieser Ballon
teilweise nur in der Höhe von fünf Metern.
Nicht wissend, welch breiter Strom unter
ihnen dahinfloss, ließen die Insassen den Ballon an der Vechte bei Hoogstede nieder.
Die Herren gehören dem Niederrheinischen
Verein für Luftschifffahrt an, einem der größten
derartigen Vereine in Deutschland. Im vergangenen Jahre hat dieser Verein, der im Besitze
von zehn Ballons ist, mehr als 200 Fahrten, das
heißt ein Fünftel der gesamten Luftschifffahrten
in ganz Deutschland unternommen.
164
Hoogstede, 1. Oktober 1912
Gestern ereignete sich hier ein trauriger Unglücksfall. Der Dienstknecht Schroven aus
Tinholt wollte ein Fuder Torf holen. Ein Rad
des Wagens lief aus. Die Folge davon war,
dass die Pferde durchgingen. Schr. geriet unter
den Wagen und wurde eine Strecke mit fortgezogen. Dabei zog er sich derartige Verletzungen zu, dass er auf dem Transport zum
Krankenhause starb.
Tinholt, 9.April 1914
Tödlicher Unglücksfall beim Richtfest. Am
gestrigen Dienstag wurde der 21-jährige
Dienstknecht Jeurink das Opfer eines traurigen Unglücksfalles. Beim Richten eines Hauses fiel ein Gebinde herab und traf den J., der
Hülfe beim Richten leistete. Er stürzte bewusstlos nieder und starb nach wenigen Stunden an den Folgen innerer Verletzungen.
Bathorn, 31. März 1916
Der J. H. Albers, gegenwärtig zu Bathorn,
macht hiermit bekannt, dass er in etwa 4 Wochen seine Rückreise nach Nord-Amerika
(Staat Michigan, via Newyork) antreten werde
und zur Übernahme von Bestellungen dahin
bereit ist.
Hoogstede-Bathorn, 20. November 1917
Zu einem ungelegenen Augenblick kam der
Wachtmeister Backhaus auf den Hof einer
Witwe. Eine Sau fraß aus einem Eimer. Als die
Frau den Wachtmeister kommen sah, riß sie
dem Tier den Eimer fort, lief damit in den
Kuhstall, schüttete den Inhalt in den Dünger,
trat ihn mit den Füßen hinein und rührte ihn
auch noch mit der Hand durch den Dünger.
Der Wachtmeister konnte aber noch feststellen, dass das Futter im Eimer Roggenschrot
und Kartoffeln enthalten hatte. Das Schöffengericht verurteilte die Frau zu 50 Mk. Strafe.
Auf die Berufung des Amtsanwalts, dem die
Strafe zu gering erschien, erhöhte die Strafkammer die Strafe auf 100 Mk.
Hoogstede, 9. Februar 1921
Turnen, Spiel und Sport. Wie in den anderen
Orten der Grafschaft hat sich auch hier vor ei-
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
nigen Wochen ein Spiel- und Sportverein gegründet. Am Sonntag, 6. d. Mts. weilte eine
Mannschaft des Sportverein Veldhausen zu
einem Gesellschaftsspiel zu Gaste. Das Spiel
machte einen interessanten Eindruck und
schloß unter einwandfreier Leitung des unparteiischen Schiedsrichters. Da Hoogstede
nur mit 8 Spielern antrat, verlief das Spiel mit
7:2 zu Gunsten Veldhausens. Trotz des kurzen
Bestehens des Hoogsteder Vereins war schon
ein gutes Zusammenspiel festzustellen.
Hoogstede, 18. Oktober 1921
Von Glück im Unglück konnte heute der
Pächter H. Bielefeld, Tinholt sprechen. Er
wollte mit seiner Schwägerin im Kleedwagen
zu Besuch nach Ringe. Auf der Straße beim
Vorsteher Köster Hoogstede lief ihm ein Vorderrad vom Wagen ab, und der Wagen kippte.
Das Pferd wurde scheu und ging durch, die
zerbrochene Wagendeichsel hinter sich her
schleifend. Im rasenden Galopp lief es über
den Schulplatz, durch den Garten des Lehrers
Voltmer, kaum ein Meter weit an dem hier
spielenden etwa 1½ jährigen Töchterchen des
Lehrers vorbei und sprang über einen 1 ½
Meter hohen Drahtzaun. Hier konnte das
Pferd hinter der Lehrerwohnung wieder eingefangen werden. Die beiden Wageninsassen
kamen mit den Schrecken davon. Da es kurz
vor 12 Uhr war, waren die Kinder zum Glück
in der Schule. Das Pferd blieb unbeschädigt.
Man hört in letzter Zeit verschiedentlich, dass
der „Boß“ von halbwüchsigen Jungen herausgezogen wird. Sehe ein jeder deshalb vor der
Wegfahrt zu, ob sein Wagen in Ordnung ist.
Hoogstede, 23. September 1922
Eisenbahntransportgefährdung – Glänzende
Arbeit d. Polizeihündin „Flora“. Am Abend des
Mittwoch waren von unbekannter Hand mehrere Kartoffelkörbe so auf die Schienen der
Kreisbahn gelegt, dass der Abendzug 22 und
der Morgenzug 11 dadurch gefährdet wurden.
Um den Urheber dieser mehr als leichtsinnigen
Tat zu ermitteln, beschloß man, einen Polizeihund zu Hülfe zu nehmen. Donnerstag nachmittag 3 Uhr erschien Herr Polizei Betr.
Assistent Schwanengel aus Nordhorn mit sei-
ner „Flora“, siebzehn Stunden nach der Tat!
Das famose Tier nahm an Ort und Stelle Witterung auf und verfolgte die Spur fünfhundert
Meter weit, lief dann in das Haus des Kolonen
Warmer in Hoogstede, eilte wieder hinaus und
rannte auf den Acker. Hier sprang der Hund auf
einen Wagen, auf dem der Dienstknecht Jan
Hindrik E. saß. Zweimal wiederholte er seinen
Ansprung gegen diesen. E. wurde daraufhin in
ein Kreuzverhör genommen und gestand nach
anfänglichem Leugnen seine Tat ein. Als Grund
gab er an, mit einem gewissen H. in Hoogstede
Krach gehabt zu haben. Um diesen fälschlicherweise bezichtigen zu können, will er die
Körbe auf den Schienen befestigt haben. Der
Streich wird ihm sicher teuer zu stehen kommen, da er sich demnächst vor Gericht wegen
Eisenbahntransportgefährdung zu verantworten haben wird. Wenn es aber gelungen ist, die
Tat so schnell restlos aufzuklären, so muss das
lediglich der glänzenden Arbeit des Nordhorner
Polizeihundes zugeschrieben werden.
Hoogstede, 12. Dezember 1923
Ein genussreicher Abend steht uns bevor. Am
Dienstag, 18. Dezember, wird Herr Carl van der
Linde, der als plattdeutscher Dichter schon
große Erfolge aufzuweisen hat, in der Hoogsteder Schule neue Gedichte und Vertellsels
vortragen. Um 7 Uhr abends wird die Schule
geöffnet, und um 7 ½ Uhr beginnen die Vorträge. Jeder Besucher hat einige Pfund Roggen
oder aber sonstige Lebensmittel mitzubringen,
doch wird auch deutsches oder holländisches
Geld nicht zurückgewiesen werden.
Hoogstede, 9. Mai 1924
Auf Anregung des Präsidenten des hiesigen
Kriegervereins wurde dem Ehepaar W. Scholte
in Scheerhorn, welches am 16. April das
seltene Fest der goldenen Hochzeit begehen
konnte, nachträglich vom Reichspräsidenten
ein Glückwunschschreiben und eine Ehrengabe von 30 Mark übersandt. W. Scholte ist
Kriegsteilnehmer von 1870/71.
Hoogstede, 24. Mai 1924
Herr Rechtsanwalt Arends, der den Landwirt
W. vor dem Schöffengericht verteidigte, …
165
2
GESCHICHTE DER ORTSTEILE
führte darüber hinausgehend an, dass nach
dem Gesetzblatt vom 6. Mai 1924 die Verfütterungsvorschriften aufgehoben seien. Der Beklagte könne also gar nicht mehr bestraft
werden, da das Verfüttern von Brotgetreide
nicht mehr strafbar sei. Das Gericht schloß sich
dieser Auffassung an und kam zum kostenlosen
Freispruch. – Die Aufhebung des Fütterungsverbotes von Brotgetreide lässt den letzten
Zipfel der Brotgetreidezwangswirtschaft fallen,
und die Landwirte können mit ihren Erzeugnissen wieder frei schalten und walten, ungehemmt von lästigen und hemmenden Vorschriften, deren Beseitigung unter den gegenwärtigen Umständen längst angebracht schien.
Hoogstede, 22. März 1926
Der hiesige landw. Ortsverein, Zweigverein
des Emsländischen Bauernvereins, hat sich
mit Schluß des Jahres 1925 aufgelöst, da den
Mitgliedern durchweg die Beiträge als zu hoch
erschienen.
Hoogstede, 18. Januar 1921
Wegen Jagdvergehens wurde der Haussohn S.
vom Schöffengericht Neuenhaus zu 50 Mk.
Geldstrafe und zur Einziehung seines bei der
unberechtigten Jagdausübung benutzten Gewehres verurteilt. Es wurde ihm weiter zur
Last gelegt, durch leichtsinniges Umgehen mit
Feuer im Torfmoor einen großen Moorbrand
Bentheim, 10. Januar 1901
Vorläufige Übersicht über das Ergebnis der Volkszählung am 1. Dezember 1900
Gemeinde
Wohnhäuser
bewohnt
Berge
Hoogstede-Bath.
Kalle
Scheerhorn
Tinholt
17
97
40
50
37
Haushalt.
unbew.
0
0
0
1
2
17
95
40
51
37
Bevölkerung
m.
w.
45
263
110
138
104
48
253
107
116
95
ev.ref. röm.kath. luth. altref.
81
373
134
213
112
10
88
35
41
62
2
6
0
0
0
0
49
48
0
35
Bentheim, den 5. Januar 1903
Übersicht über das Ergebnis der Viehzählung am 1. Dezember 1902
Namen der
Gemeinden
Zahl der Gehöfte
Überhaupt/mit Vieh
bestand
Berge
17
Kalle
40
Hoogstede/Bathorn 96
Scheerhorn
45
Tinholt
37
17
40
86
42
36
Zahl der nicht- Pferde
besitzenden
Haushaltungen
17
29
40
37
86
74
42
46
36
42
Rindvieh
Schafe
Schweine
98
241
402
198
192
1
173
316
161
7
111
221
550
224
306
Die Ergebnisse der Volkszählung vom 16. Juni 1925 für den Kreis Grafschaft Bentheim
1925
Berge
129
Hoogstede-Bathorn 627
Kalle
269
Scheerhorn
219
Tinholt
253
166
1919
124
557
266
230
241
1910
112
520
229
227
205
Die Gesamteinwohnerzahl der Grafschaft Bentheim beträgt 50.192. Seit
der letzten Zählung am 3. Oktober
1919 ist die Zahl von 44.345 um 5.847
auf 50.192 gestiegen.
H O O G S T E D E U N D B AT H O R N
hervorgerufen zu haben. Dafür war aber ein
Beweis nicht zu erbringen, und so wurde S.
von dieser Anklage freigesprochen.
Hoogstede, 9. September 1922
Wegen Jagdvergehen hatte sich der Landwirt
H. von hier vor dem Schöffengericht Neuenhaus zu verantworten. Wir hatten den Vorgang bereits gemeldet. H. gab zu, in der
Schonzeit sechs oder sieben Hasen erlegt und
verkauft zu haben. Das Urteil lautete auf 800
Mk. Geldstrafe, Einziehung des beschlagnahmten Gewehrs und des Jagdgeräts. Die
Geldstrafe blieb in dieser Grenze, weil H. in
ärmlichen Verhältnissen lebt.
Hoogstede, 2. Oktober 1922
Das Fischen mit gifthaltigen Stoffen wird leider ab und zu in der Grafschaft ausgeübt. Mit
Recht wird scharf Obacht auf diese Gemeinheit gegeben, die unserm ohnehin schon arg
zusammengeschmolzenem Fischbestande zum
Verderben gereicht. Vor einiger Zeit wurde
hier ein gewisser L. dabei ertappt. Ein Strafbefehl war die Folge.
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GESCHICHTE DER ORTSTEILE
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