Philippinen – Pinikpikan

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Philippinen – Pinikpikan
musik & bildung
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Philippinen – Pinikpikan
Musikalischer Hintergrund
Auf den Philippinen haben die Menschen lange nach einer Identität gesucht. Insgesamt beheimaten die über
7 000 Inseln etwa 140 einheimische malaiische Volksgruppen und eine entsprechende Vielfalt an regionalen
Sprachen. Die Inseln wurden aber auch 300 Jahre von
den Spaniern beherrscht, dann fast 50 Jahre von den
Amerikanern – von 1898 bis 1941 sowie von 1944 bis
1946 – und während des Zweiten Weltkriegs von den
Japanern. Oft empfinden sich die Menschen daher als
Asiaten und als Westler. Dies kommt ebenfalls sprachlich zum Ausdruck: Viele Bewohner der Philippinen
beherrschen sowohl Englisch als auch die einheimische
Sprache Filipino, eine standardisierte Variante des
Tagalog, das in der Region Manila im Südwesten der
Insel Luzon gesprochen wird.
Dieser kulturelle Gegensatz wird auch in der Musik
deutlich. Gerade in den gebirgigen Gebieten (auf Luzon
und Mindanao sind die Berge bis zu 2 900 Meter hoch)
haben sich viele regionale Traditionen bewahrt, die teilweise denen des benachbarten Indonesien ähneln. So
sind die Kulintang-Gongs eine philippinische Variante
der indonesischen Gamelan-Instrumente. Die Küstenbereiche und die zugänglicheren flachen Regionen
wurden hingegen stark von den Spaniern beeinflusst,
wodurch die Gitarre ebenfalls auf den Philippinen
große Verbreitung fand.
Auch die amerikanische Kolonialzeit hinterließ ihre musikalischen Spuren, denn die Amerikaner brachten ihre
Popularmusik mit. Nach dem Krieg blieb amerikanische
Musik von Blues, Folk, R&B bis hin zu Punk und Grunge
in den Medien präsent. Eine Vermischung mit regionalen Elementen blieb daher nicht aus. Zunächst sangen
die Musiker auf Tagalog zu westlicher Rock ’n’ Roll-Musik. Aus diesem sogenannten „Pinoy Rock“ entwickelten sich dann viele eigene philippinische Varianten von
Punk bis Grunge, die sich stilistisch vom Westen zunächst nur in der Sprache unterschieden, dann gelegentlich aber auch eigene Stilistiken entwickelten.
Eine der bekanntesten Stars des Pinoy Rock ist Grace
Nono. Die Sängerin, die Ethnologie studiert hat, vermischt westliche Gitarren-Akkorde mit einheimischen
traditionellen Elementen. Für Grace Nono berührt die
Vermischung verschiedener regionaler Stile auch die
Frage nach der politisch-kulturellen Identität der Filipinos: „Wir wollen eine vertraute Saite bei unseren
einheimischen Völkern anschlagen, indem wir nicht nur
einen eigenen Sound kreieren, sondern auch Parallelen
zwischen den verschiedenen Richtungen aufzeigen.“*
In diese Richtung lässt sich auch Pinikpikan einordnen.
Die Gruppe benutzt Perkussions-Instrumente aus
Metall und Bambus aus nahezu allen Regionen der Philippinen und schafft dadurch einen einheitlichen philippinischen Sound. Zugleich wird in den unterschiedlichen regionalen Sprachen gesungen. Die westliche
Rockmusik wirkt hier als musikalische Klammer, welche
die verschiedenen Elemente als einheitliche Basis zusammenhält.
* Grace Nono, zitiert in: John Clewley: „The Philippines: Pinoy
Rockers“, in: Simon Broughton et al.: World Music: The Rough
Guide Vol. 2, London 2000, S. 216.
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Thema
Die Musiker
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„Pinikpikan“ ist eigentlich
ein würziges philippinisches Hühnchengericht. Bei
der Zubereitung wird das
Hühnerfleisch mit einem Bambusstock rhythmisch geklopft. Die Band Pinikpikan entstand 1989 eher zufällig
während des ersten Kulturfestivals in Baguio, einer
Stadt im Hochgebirge Luzons und Heimat vieler moderner Künstler. Wie das Booklet zu der CD Atas farbig beschreibt, saßen einige Musiker abends bei einem Lagerfeuer zusammen. Irgendwann nahm jemand einige
Stücke Feuerholz und begann, auf diesen einen Rhythmus zu schlagen. Ein anderer hob Bambusteile auf und
ergänzte den Rhythmus. Nach und nach kamen Klänge
von leeren Rum- und Bierflaschen dazu, andere schlugen auf Topf- und Pfannendeckel. Spontan gesellte sich
auch die bekannte philippinische Rockband The Blank
mit modernen Popklängen von Gitarre, Keyboards und
Saxofonen dazu. Und schließlich ergänzte Bandfrontfrau Grace Nono eine improvisierte Gesangslinie. Diese
Musik wurde spontan Rock ’n’ Runo genannt (Runo ist
eine dünne, bambusähnliche Schilfsorte).
Pinikpikan ist nach wie vor keine feste Gruppe. Zwar
gibt es einige Mitglieder, die bei fast allen Konzerten
dabei sind, doch eigentlich wechseln die Besetzungen
je nach Projekt. Als „Mitglied“ gilt, wer mindestens einmal mitgespielt hat. Die Band-Mitglieder (zu denen
auch Filmemacher und visuelle Künstler gehören) finden sich dabei zu ganz unterschiedlichen Anlässen zusammen – etwa an den Stränden der Insel Palawan
oder in einem privaten Wohnzimmer in der Hauptstadt
Manila. Dadurch hat die Musik den spontanen SessionCharakter beibehalten, und viele Stücke sind tatsächlich auf Partys entstanden.
Die Musik
„Wichtigstes Element der Musik Pinikpikans ist die
Wahrung der philippinischen Kultur“* – so die Gruppe
in dem CD-Booklet zu dem Album Atas, von dem auch
das Stück Kalipay stammt. In der Tat sind viele traditionelle Instrumente zu hören:
• Eröffnet wird Kalipay mit den Gangsa-Gongs – flachen
Metall- oder Silbergongs, die von den verschiedenen
Gebirgsstämmen bevorzugt werden.
• Dazu sind weitere Instrumente zu hören wie Samenrasseln aus dem Caballero-Baum, Maultrommeln (Kubing) aus Bambus und die Bambus-Klanghölzer Tungatong, die an einem Ende offen sind und auf einen Stein
geschlagen werden.
• Ungewöhnlich ist auch der relativ direkte, metallischschrille Gesang.
Dazu kommen dann aber rockige E- und Bass-Gitarrenriffs und – gelegentlich – westliches Schlagzeug.
In dem Text geht es einfach nur um Freude durch Tanzen
(„sa kalipay“ lässt sich etwa mit „Lasst uns in unserer
Freude tanzen“). Fassettenreich wird der Text aber dadurch, dass ein- und dasselbe Wort nacheinander in
den verschiedenen philippinischen Sprachen gesungen
wird. Ein Beispiel aus der 2. Strophe: „Mukanta, agkanta, mangkanta tayu-tayu tundag“ („singt, singt, singt,
alle von uns sollen springen, springen, springen“).
Kalipay wurde im Jahr 2000 auf den Philippinen mit
dem „Best World Song“ und dem „Best World Performance“ ausgezeichnet. Doch Musiker und Kritiker tun
sich schwer mit dem Begriff „World Music“ oder „Weltmusik“, der hier gleichbedeutend mit ethnisch-westlicher „Fusionsmusik“ gebraucht wird. Aus Sicht Pinikpikans ist „Weltmusik“ nicht nur die bloße Vermischung
traditioneller ethnischer Musik mit westlichen Pop-,
Rock-, Blues-, Jazz- oder Techno-Elementen. Vielmehr
ist es auch eine Vermischung materialistischer, globaler Lebensstile mit Bewegungen,
die Haltungen wie „Zurück-zur-Natur“ bzw.
„Zurück-zum-Spirituellen“ betonen. Dadurch
entsteht aber etwas ganz Neues, das eine
eigene musikalische Energie hat. Wie ein philippinischer Kritiker selbstbewusst unterstrich: „Das Atas-Album ist der Alptraum eines westlichen Musikkritikers. Zu leicht fällt
man in die Versuchung, Pinikpikans Musik
gedankenlos in das Genre zu packen, welches
wir törichterweise ‚Weltmusik‘ nennen.“
* Alle nachfolgenden Zitate – wie auch das Hintergrundmaterial zu Kalipay – stammen von dem CD-Booklet
Pinikpikan: Atas (Tropical Music 2001).