Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum

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Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
한국
문화
Kultur Korea
Spezial:
Ausgabe 4/2012
K o r e a n i s c h e L i t e r at u r
Schiefertafel, Schulbuch, tablet-PC
Literatur digital in Südkoreas Schulen
„Bücher sollten neue Perspektiven schaffen, Horizonte öffnen“
Eine Südkoreanerin in Österreich schreibt über Grönland
Ein Bestseller ist nicht in Sicht
Koreanische Literatur in Deutschland verlässt selten die Nische
Titelbild: Set Byol Oh
Blick auf den Gwanghwamun-Platz im Zentrum von Seoul sowie auf die Rückseite der Statue
von König Sejong (1397-1450), dem Begründer der koreanischen Schrift Hangeul.
Foto: Set Byol Oh
Ed i t o r i a l
In dieser Ausgabe von Kultur Korea widmen wir uns der koreanischen Literatur - nicht zuletzt aus Anlass der Frankfurter
Buchmesse (10. – 14. Oktober).
Um einen allgemeinen Überblick über die historische Entwicklung der Literatur Koreas zu geben, spannen wir einen Bogen von
der Frühzeit bis in die Gegenwart. In der Jetztzeit angelangt, stellen wir neben aufstrebenden Autoren der jüngeren Generation
den Schriftsteller Yi Munyol und den Dichter Ko Un vor – zwei der bekanntesten zeitgenössischen Autoren Koreas. Sie erfahren
auch über aktuelle Strömungen auf dem koreanischen Büchermarkt – über die Abschaffung des Buches in koreanischen
Klassenzimmern und dessen Ersatz durch digitale Medien sowie über die gegenwärtige Popularität historischer Romane.
Ein Fokus liegt auch auf der Frage der Rezeption koreanischer Literatur in Deutschland und umgekehrt. In diesem Zusammenhang schildert Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, seine persönlichen Erfahrungen mit dem Gastlandauftritt
Koreas 2005, und Anita Djafari, Geschäftsleiterin der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika
e.V. (litprom), zeigt mögliche Perspektiven für koreanische Literatur in Deutschland auf. Des Weiteren berichten wir über
eine deutsche Kinderbuchautorin, die mit ihren Titeln in Korea Höchstauflagen erzielt. Da der Erfolg von Literatur auf dem
weltweiten Buchmarkt nicht zuletzt von der Qualität der Übersetzung abhängt, wird in einer separaten Rubrik „Von der Kunst des
Übersetzens“ die Rede sein.
Anhand von koreanischstämmigen Autoren, die außerhalb Koreas aufgewachsen und dort auch literarisch tätig sind, erörtern wir
die Frage, was überhaupt unter „koreanischer Literatur“ zu verstehen ist. Mit dem Autor Martin Hyun stellen wir einen in Krefeld
geborenen ehemaligen Bundesliga-Profi der Deutschen Eishockeyliga vor, der in seinem neuesten Buch beschreibt, wie er den
täglichen Vorurteilen begegnet, die sein Migrationshintergrund mit sich bringt.
Zur Herbstsaison wünschen wir Ihnen viel Freude beim Eintauchen in die Welt der koreanischen Literatur!
Ihre Redaktion Kultur Korea
1
KULTUR
KOREA
1 Editorial
2 Inhalt
PERSPEKTIVENWECHSEL
VON DER KUNST DES ÜBERSETZENS
Historisches
26 Ein Bestseller ist nicht in Sicht
37 Das LTI Korea (Literature
Koreanische Literatur in Deutschland
verlässt selten die Nische
von Anne Schneppen
Translation Institute of Korea)
von Dr. Stefanie Grote
28 Koreanisch-deutsche
stolz, sondern glücklich“,
Interview mit dem Übersetzer HansJürgen Zaborowski von Dr. Stefanie Grote
4 Sprache und Magie
Wirkendes Wort in der frühen
koreanischen Literatur
von Hans-Jürgen Zaborowski
7 Das „Lied vom Jahreslauf des
Bauern“ - ein aktueller Klassiker
von Prof. Dr. Anja Katharina Haftmann
10 Literatur der kolonialen Zeit
in Korea (1910 - 1945) von Hanju Yang
12 Südkoreanische Prosa von den
1950er Jahren bis Ende der 1980er
Jahre von Gesine Stoyke
15 Tendenzen zeitgenössischer
koreanischer Literatur
von Thorsten Traulsen
Literaturbeziehungen 7 Jahre
nach dem Gastlandauftritt
Koreas auf der Frankfurter
Buchmesse von Juergen Boos
40 „Kultur - Übersetzen“
30 Über das Nischendasein der
Das LTI Korea-Forum im Koreanischen
Kulturzentrum von Dr. Stefanie Grote
koreanischen Literatur in
Deutschland – und Perspektiven
Interview mit Anita Djafari von Nina Klein
KOREANISCHE LITERATUR IM
AUSLAND
32 „ In Korea wird sehr gerne
43 Reue und Hoffnung
gelacht“. Interview mit Franziska
Biermann, Bestsellerautorin auf dem
koreanischen Kinderbuchmarkt
von Gesine Stoyke
Rezension von Elke Kressin
44 Gedichtauswahl
„Blüten des Augenblicks“, Ko Un
45 Mittler zwischen den Kulturen
NAHAUFNAHME - AUTOREN IM
FOKUS
Auf der Suche nach einer neuen Heimat
von Andrea Steinbach
17 Yisang: Dichter, Maler, Architekt
47 „Bücher sollten neue
von Gitte Zschoch
Schriftsteller Yi Munyol
von Dirk Godder
Perspektiven schaffen, Horizonte
öffnen“ - Eine Südkoreanerin in
Österreich schreibt über Grönland,
Interview mit der Autorin Anna Kim
von Dr. Stefanie Grote
22 Literatur um ihrer selbst
50 Buchvorstellung
Willen – ein Gespräch mit Ko Un (고은)
von Malte E. Kollenberg
Martin Hyun: „Ohne Fleiß kein Reis“
20 Der südkoreanische
34 „In Korea gibt es eine immer
lebendiger und selbstbewusster
werdende Kinderbuchszene“
Interview mit der Literaturagentin
Susanne Koppe von Gesine Stoyke
© Malte E. Kollenberg
35 Weiblichkeitsentwürfe und
2
KULTUR
KOREA
38 „Als Preisträger wäre ich nicht
Familienmodelle in der europäischen und koreanischen
Literatur von Dr. Sylvia Bräsel
51 Im Plauderton gegen
POLITISCHE KULTUR
Rassismus
Rezension von Karin Schädler
66 Koreas Vereinigung und die
52 Schiefertafel, Schulbuch,
tablet-pc
Literatur digital in Südkoreas Schulen
von Malte E. Kollenberg
Entwicklungsperspektiven des
Sozialstaats im Wahljahr 2012 –
einige deutsche Eindrücke
von Prof. Dr. Stephan Leibfried
KOREA IN KÜRZE
55 Historische Romane in
69 DOKDO - Ökosystem im Ostmeer
von Dr. Stefanie Grote
Südkorea beliebt
von Sebastian Ratzer
PORTRÄT
57 Frühe Koreaner in Deutsch-
70 „Korea ist nicht nur eine
land - Studium und Aktivitäten von Yi
Geungno (1893-1978) in Berlin
von Dr. Sonja Häußler
Wirtschaftsmacht, sondern auch
ein Land mit einer reichhaltigen
Kultur“, Interview mit Kim Jae-shin,
Botschafter der Republik Korea in
Deutschland von Anne Schneppen
DEUTSCHE SICHTEN AUF KOREA
61 Als Leibarzt, Schuldirektor
und Oberhofmeisterin im
offiziellen Auftrag in Korea
Gedanken zu den Reiseberichten von Dr.
med. Richard Wunsch, Johann Bolljahn
und Emma Kroebel von Dr. Sylvia Bräsel
von Gesine Stoyke
72 „Deutschland ist bunt und
vielfältig“, Interview mit der TVModeratorin Nela Panghy Lee
von Dr. Stefanie Grote
Foto: Junggeun Oh
K ALEIDOSKOP
79 Korea Ent.decken
Bundesweite Veranstaltungen
80 Entdeckung Korea! Schätze
aus deutschen Museen
von Dr. Uta Werlich
82 Korea bei der
dOKUMENTA 2012 (Rückblick)
von Gesine Stoyke
KOREA IM ALLTAG
74 Rezept
Japchae - Koreanischer Glasnudelsalat
von Eun-Young Cho
75 Kleiner Sprachführer
Foto: Soobin Ahn
VERANSTALTUNGEN
Koreanisches Kulturzentrum
76 Kurse
77 Ausstellungen / Konzerte /
64 Meine persönliche Begegnung
mit Korea seit den Achtzigerjahren von Dr. Ursula Diezemann
Kino / Workshop/ Wettwerb
83 Veranstaltungskalender
78 „Erstes Auftreten der Korea-
84 Nachruf auf
nischen Welle in der Literatur“
– die Lesung der koreanischen Autorin
Kyoung-Sook Shin in Berlin
von Y.C. Yuna Cho
Prof. Dr. Bruno Lewin
85 Impressum
65 „Man sollte vorbehaltlos
offen für das Neue sein“, Interview
mit Dr. Ursula Diezemann
von Dr. Stefanie Grote
3
KULTUR
KOREA
HISTORISCHES
Sprache und Magie
W i r k e n d e s W o r t i n d e r f r ü h e n k o r e a n i s c h e n L i t e r at u r
Von Hans-Jürgen Zaborowski
4
KULTUR
KOREA
I
n vielen Kulturen der Welt beginnen Aufzeichnungen
von Sprache, beginnt Literatur mit religiösen Texten,
mit Gebeten, mit Sprüchen aus dem Bereich der Magie.
Das Verständnis solcher Texte war und ist nur für die
möglich, die in der jeweiligen Religion groß geworden sind,
die eingeweiht wurden. Für Außenstehende erscheinen sie
großzügig gesehen als Ausdruck „primitiven Denkens“ (was
immer das sein mag).
Aus: KOREA, © Korean Culture and Information Service
Wenn wir uns Korea zuwenden, werden wir feststellen
müssen, dass es dort eine doppelte Hürde zum Verständnis
alter Texte gibt. Die koreanische Schrift, die wir heute kennen,
ist erst im 15. Jahrhundert im Auftrag des Königs Sejong
(1397 - 1450, reg. ab 1418) geschaffen worden. Bis dahin
wurde in chinesischer Sprache und Schrift geschrieben.
Wobei man sich durchaus bewusst war, das die klassische
chinesische Schriftsprache in der Form, wie sie der große
Meister Konfuzius in der Mitte des ersten vorchristlichen
Jahrtausends benutzt hat, eine völlig andere Struktur hatte als
das Koreanische. Auf der einen Seite das Chinesische, für das
- großzügig gesehen - ein Schriftzeichen in der Aussprache
einer Silbe entsprach. Und der Bedeutung nach oft nicht
nur ein Begriff ausgedrückt wurde, sondern ein ganzes Feld
von Begriffen, die je nach Stellung im Satz unterschiedliche
Funktionen übernehmen konnten (z.B. als Subjekt „Oberteil“,
das „Obere“, als Prädikat „hinaufgehen“, „steigen“). Die
Grammatik beschränkte sich weitgehend auf Stellungsregeln
im Satz und wenige Hilfswörter. Dagegen gab und gibt es im
Koreanischen oft mehrsilbige Wörter und lange grammatische
Endungen.
Schon früh muss Koreanern der Unterschied bewusst gewesen
sein. Denn schon in frühen Texten wie der Grabinschrift für
den 413 n. Chr. verstorbenen Goguryeo-König Kwanggaet’o
(die auf dem chinesischen Ufer des Grenzflusses Yalu
in der Stadt Ji’an erhalten ist) gibt es Beispiele für die
Schreibung koreanischer Personen- und Ortsnamen und von
Beamtentiteln mit chinesischen Zeichen – ihrer Aussprache
nach. Sie werden mit einer gewissen Systematik verwendet.
Ähnliches findet sich auch in anderen, leider nur kurzen
Inschriften. Das macht die Grabinschrift umso eindrucksvoller:
7 Meter hoch, 4 Meter Umfang mit etwa 1700 lesbaren
chinesischen Zeichen, eine wichtige Quelle nicht nur für die
koreanische Geschichte, sondern für ganz Ostasien – auch mit
kulturgeschichtlichen, literarischen Aspekten.
Der nächste Schritt waren Versuche, ganze Texte mit
Hilfe chinesischer Zeichen zu schreiben. Dabei wurde der
Wortstamm seiner Bedeutung nach benutzt, die Zeichen
wurden beim Lesen in das ihnen entsprechende koreanische
Wort übersetzt. Bei den grammatischen Endungen wurden
Zeichen ihrer Aussprache, ihrem Lautwert nach benutzt, dafür
wurde wegen der zahlreichen langen grammatischen Formen
die Zeichen standardisiert und oft auch in ihrer Struktur,
ihrer Strichzahl gekürzt (darin liegt die Wurzel der beiden
japanischen Silbenschriftsysteme).
Solche Beispiele früher koreanischer Dichtung sind in einer
der bedeutenden historischen Quellensammlungen für die
Zeit der Drei Reiche Koreas (Goguryeo, Baekje und Silla),
also etwa für das erste nachchristliche Jahrtausend, in den
„Historischen Überlieferungen der Drei Reiche“ enthalten,
das 1279 der buddhistische Mönch Ilyon (1206 – 1289) aus
älteren Textvorlagen zusammengestellt hat. In einem in bester
chinesischer Schriftsprache geschriebenen Zusammenhang
tauchen Textpartien auf, die für jemanden mit chinesischen
Sprachkenntnissen oder für einen Chinesen unverständlich
bleiben. Insgesamt enthält das Werk 14 solche Texte, die
später als „Ländliche Lieder“ oder als „Lieder der Heimat“
bezeichnet wurden. Elf weitere solche Lieder sind in der
Biografie ihres Autors, eines buddhistischen Mönches,
enthalten und stellen die Nachdichtung eines ursprünglich
indischen Textes mit Hilfe dessen chinesischer Übersetzung in
koreanischer Sprache dar.
In den vierzehn Liedern aus den „Historischen
Überlieferungen“ bietet sich ein Schlüssel für das Denken,
Fühlen und Handeln des koreanischen Volkes in dieser
Epoche. Für jedes der Lieder werden die Umstände ihrer
Entstehung dargelegt, in die der eigentliche Liedtext
eingebettet ist.
Wohl berühmtestes der Lieder ist das Ch’oyong-ga. Ch’oyong
ist einer der sieben Söhne des Drachenkönigs aus dem
Ostmeer. Der Herrscher des Silla-Reiches hatte ihn und
seinen Hofstaat zu einem Bankett an den Strand unweit der
Hauptstadt eingeladen. Dabei entschloss sich Ch’oyong,
nicht zurückzukehren, sondern dem menschlichen König zu
dienen. Er wurde mit einer schönen jungen Frau verheiratet,
um die enge Beziehung zwischen den beiden Reichen zu
dokumentieren und zu festigen. Aber, wie das nun einmal war
(und oft noch ist?), ging er gerne abends mit Freunden zum
gemeinsamen Umtrunk. Wenn es dann aus sehr menschlichen
Gründen auch einmal später, sehr spät wurde, war das auch
durchaus nicht ungewöhnlich. Doch eines Tages gab es eine
unangenehme Überraschung. Er kam gegen morgen in seine
Heimstatt zurück – und fand im ehelichen Schlafgemach: zu
viele Beine. Ein böser Geist, ein Krankheitsgeist, der für die
Pocken verantwortlich war, hatte die Schönheit der jungen
Frau wahrgenommen und die Gelegenheit genutzt, mit ihr die
Nacht zu verbringen, verwandelt in einen jungen Mann.
Wie sollte Ch’oyong angesichts dieser Tatsache reagieren?
Was soll er gegen den bösen Geist unternehmen? Völlig ruhig,
völlig gefasst, improvisierte er ein Lied, sang es und tanzte
dazu:
5
KULTUR
KOREA
Lied des Ch’oyong
Die Hauptstadt in Mondlicht getaucht,
spät in der Nacht vom vergnüglichen Spiel
kehr ich heim und find in meinem Bett
vier Beine.
Zwei davon gehören mir,
doch wem die anderen beiden?
Zwei davon gehörten mir –
Er hat sie genommen, was soll ich nur tun?
Jiphyeonjeon ist der Ort, an dem die
Gelehrten von Joseon das koreanische
Alphabet Hangeul schufen.
Der Pockengeist wurde von der Macht, der Wirkung der Worte, von
der Haltung des Sängers so gepackt, dass er einfach verschwand
und gelobte, niemals mehr dorthin zurückzukehren, wo der Name
des Sohnes aus dem Drachenreich genannt würde, wo irgendetwas
an Ch’oyong erinnerte. Das Lied wurde später als Maskentanz in
das Hofzeremoniell aufgenommen zum Neujahrsfest, um das Land
und sein Volk vor Krankheiten zu schützen, die von bösen Geistern
verursacht wurden. Im einfachen Volk hat man zum Jahreswechsel
Bilder des Drachensohnes an die Hoftüren geklebt mit dem gleichen
Ziel. Der Drachen - ein Element der alten Volksreligion Koreas,
des Schamanismus? Sicherlich. Lied und Tanz als Bestandteil des
schamanistischen Rituals? Ja, gewiss. Auf jeden Fall Worte, aber
von unglaublicher Wirkkraft. Auch in späterer Zeit, in einer Zeit mit
rationalen Grundideen der koreanischen Gesellschaft, blieben das Lied
und sein Kontext im Volk erhalten. Am Königshof wurde es Bestandteil
von Unterhaltungsprogrammen. Immerhin.
6
KULTUR
KOREA
Hans-Jürgen Zaborowski
hat an den Ostasienabteilungen der Universitäten
in Berlin (FU), Bonn,
Frankfurt und an der
Hankuk University in
Seoul unterrichtet. Er ist
Übersetzer von Texten
aus allen Gattungen der
koreanischen Literatur.
Aus: KOREA, © Korean Culture and Information Service
Foto: privat
In Gedichten und Liedern finden sich im gesamten, uns bekannten
Zeitraum der koreanischen Literatur immer wieder Beispiele für
eine solche magische Wirkung des Wortes, im Kontext mit dem
Schamanismus, dem Buddhismus und auch dem chinesischen
Taoismus, der in Korea so etwas wie eine Unterströmung der
Geistesgeschichte geworden ist. Auch in der Prosa finden sich immer
wieder Kostbarkeiten, die in diese Richtung weisen. Schätze, die noch
zu übersetzen sind, Schätze die wir für uns noch heben sollten…
HISTORISCHES
Das „Lied vom Jahreslauf des Bauern“
Ei n ak t u e l l e r K l a s s i ke r
Von Prof. D r. A nja Katharina Ha f tmann
© Anja K. Haftmann
Eine der Handschriften des „Nonga-weollyeong-ga“; in Besitz von Prof. Kang
Shinhang , Seoul
7
KULTUR
KOREA
F
ast alle Koreaner haben während ihrer Schulzeit
vom „Nongga-wollyeong-ga“ (농가월령가) gehört.
Doch den wenigsten ist bekannt, dass im „Lied vom
Jahreslauf des Bauern“ umfassendes traditionelles
Wissen verborgen ist. Der Text bietet einen ausgezeichneten
Überblick über herkömmliche landwirtschaftliche Verfahren
und alte Kulturtechniken und illustriert zugleich den hohen
Bildungsstand der Bauern. Und das macht ihn − in einer
Zeit, in der man sich in Korea für derartige Themen wieder
interessiert − unerwartet aktuell.
Das „Nongga-wollyeong-ga“ ist ein Langgedicht; diese
Gattung wird im Koreanischen als „Gasa“ (가사) bezeichnet.
Gleichzeitig wird es dem Genre der Jahreszeitgedichte
zugerechnet. Bis heute ist nicht endgültig geklärt, wer als
Verfasser des Textes zu gelten hat: Man diskutiert die beiden
Gelehrten Taechon Go Sangan (1553 - 1623) und Unpo Jeong
Hagyu (1786 - 1855) als Autoren. Da im Verlauf der neueren
Forschung letzterem mehr und mehr der Vorzug gegeben
wird, stammt das „Nongga-wollyeong-ga“ vermutlich aus der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Gesamtstruktur des Gedichtes ist dreigeteilt. Es besteht
aus vierzehn Strophen − den zwölf Mondmonaten, eingefasst
von einer einleitenden und einer beschließenden Strophe. Die
Strophen selbst sind von unterschiedlicher Länge. Sie setzen
sich aus Versen zusammen, welche syntaktisch jeweils in zwei
Halbverse untergliedert werden.
Inhaltlich erläutert die Einleitung den Zusammenhang
zwischen der Bewegung der Himmelskörper und dem
Entstehen der Jahreszeiten bzw. der Monate und erklärt so die
Herkunft des Mondkalenders (Strophe 1, Zeile 6−9):
대디샹 동셔남북 Dadurch, dass Nord, Süd, Ost und West
곳을•라 틀니기로 auf der Erde Richtungen markieren,
북극을 보••야
lässt sich mit Hilfe des Nordpolarsterns
원근을 마련•니
systematisch der Himmel einteilen:
이십• 졀후를 Vierundzwanzig Zeitabschnitte
십이삭에 분별•야 umfasst das Sonnenjahr.
•삭에 두졀후가
Einer dauert vierzehn Tage,
일망이 •이로다
die Monate enthalten jeweils zwei.
Der umfassende Hauptteil bietet zu jedem der zwölf
Mondmonate ausführliche Informationen. Dabei werden
in zum Teil belehrender Form Ratschläge zur Anwendung
verschiedener agrartechnischer Methoden erteilt und die
Bauern wiederholt dazu aufgerufen, alle verfügbare Kraft in
ihre Arbeit zu investieren. Die einzelnen Monatsstrophen sind
8
KULTUR
KOREA
in sich wiederum strukturiert. Zu Beginn werden jeweils die
beiden oben beschriebenen Perioden eines Mondmonats
genannt. Daran schließt eine kurze landschaftliche
Beschreibung an, die die jahreszeitliche Stimmung einfängt
(Strophe 2, Zeile 1−3):
뎡월은 •츈이라
닙츈우슈 졀긔로다 산즁 간학에 빙셜은 남아스나
평교 광야에 운믈이 변•도다
Der Erste Monat ist Frühlingsanfang:
Frühlingsbeginn und Regenwasser heißen seine
Zeiten.
In den Schluchten im Gebirge
liegen zwar noch Schnee und Eis,
doch im weiten offenen Land
schimmert schon das Frühlingslicht.
Es folgt jeweils eine detaillierte Darstellung bäuerlicher
Tätigkeiten, die im Hof, auf den Feldern und im Haus zu
verrichten sind. Die Bandbreite der behandelten Themen
reicht dabei von Aussaat, Einbringen und Verarbeiten
verschiedener Feldfrüchte über Techniken zum Entfasern
von Hanf und zum Weben und Färben verschiedener Stoffe
bis hin zu Einzelheiten bezüglich der Vieh-, Bienen- oder
Seidenraupenzucht (Strophe 5, Zeile 18-22):
누에셥도 •려니와 곳치나무 쟝만•쇼 고치을 •오리라
쳥명•날 갈희여셔 발우희 엷게널고
폭양의 말니우니
•고치 무리고치
누른고치 흰고치을 •ㄷ이 분별•야
Macht Strohgebinde und Reisiglager
als Stützen beim Spinnen der Kokons
Wenn die Zeit kommt, sie abzusammeln
wählt einen klaren, heiteren Tag.
Legt sie zum Trocknen in der Sonne
auf Bambusmatten aus.
Feste schneeweiße und leicht verschmutzte,
gelbe und schlecht geformte Kokons
werden dem Aussehen nach sortiert.
In dieser Hinsicht ist das „Lied vom Jahreslauf des Bauern“
insbesondere für Leser mit Interesse an traditioneller
koreanischer Landwirtschaft aufschlussreich.
Doch auch naturkundlich interessierten Personen hat es
einiges zu bieten. Listen verschiedener Heilkräuter wie man
sie in der klassischen Medizin verwendete und Aufzählungen
von Wildpflanzen, mit denen man den Speiseplan ergänzte,
können Anregungen geben für wellbeing und health food,
− zwei derzeit nicht nur in Korea stark im Trend liegende
Themen (Strophe 3, Zeile 46−48):
1. Vorzuchtbeet für Reispflänzchen
2. Anbau von Ginseng
3. Zum Trocknen aufgehängte Pflanzen
4. Kräuter und Tees auf dem
traditionellen Markt 1
젼산의 비가•니
살진향• •오리라 삽쥬두룹 고•리며 고비도랏 어아리을 일분은 역거달고
이분은 무쳐먹셰
2
Sobald in den Bergen der Regen endet,
sammeln wir würziges Wildgemüse:
Disteln, Aralien, Adlerfarn,
Glockenblumen, Forsythien und Königsfarn.
Ein Teil wird zum Trocknen aufgehängt,
der Rest gewürzt und gegessen.
3
Erwähnenswert ist auch der volkskundliche Aspekt des Gedichts, denn in
vielen der zwölf Monatsstrophen werden die an den Feiertagen üblichen
Sitten und Gebräuche geschildert. Das Spektrum reicht dabei von Tagen,
die auch heute noch festlich begangen werden − zum Beispiel das
Neujahrsfest Seollal (설날) oder das Mittherbstfest Chuseok (추석) − bis
zu solchen, die allmählich in Vergessenheit geraten. Zu diesen zählen
unter anderem der Hansik-Tag (한식), Dano (단오), das Yudu-Fest (유두)
oder der Tag der Wintersonnenwende (Strophe 12, Zeile 13-14):
Die Sonnenwende wird festlich begangen,
denn täglich gewinnt die Sonne an Kraft.
Alle Nachbarn feiern dies gemeinsam
mit süßem Brei aus roten Bohnen.
Fotos: © Anja K. Haftmann
In der letzten Strophe des „Nongga-wollyeong-ga“ werden dann
abschließend die Vorzüge des bäuerlichen Lebens sowie die Bedeutung
der Landwirtschaft für den Staat gepriesen.
Eine vollständige Übersetzung des Langgedichts ist in Vorbereitung.
517 abwechslungsreiche Verse über die traditionelle koreanische
bäuerliche Gesellschaft − für eine literaturwissenschaftlich interessierte
Leserschaft ebenso aufschlussreich wie für Anthropologen, Biologen und
Pharmazeuten. Wer durch diesen kurzen Beitrag neugierig geworden
ist und den aktuellen Klassiker „Nongga-wollyeong-ga“ vergleichend
auf Koreanisch, Deutsch und Englisch lesen möchte, freue sich auf die
Publikation von Prof. Dr. Werner Sasse und mir, für die sich hoffentlich ein
mutiger Verlag findet.
Foto: Ursula Dören
동지• 명일이라
일양이 ••도다
시식으로 팟쥭쑤어 닌이와 즐기리라
4
Prof. Dr. Anja K. Haftmann
ist promovierte Koreanistin. Die Handschriftenlage
des „Nongga-wollyeongga“ war 1998 Thema ihrer
Doktorarbeit. Heute arbeitet sie als Managementtrainerin, wobei interkulturelles Training Korea
sowie die Vorbereitung auf
Auslandsaufenthalte zu ihren Arbeitsschwerpunkten
zählen. Südkorea besucht
sie regelmäßig seit über 20
Jahren. Sie ist Mitglied der
Außenhandelskammer in
Seoul und darüber hinaus
vor Ort gut vernetzt.
9
KULTUR
KOREA
HISTORISCHES
L i t e r at u r d e r k o lo n i a l e n
Z e i t i n K o r e a ( 1 910 - 1945 )
Von Hanju Yang
Ü
ber die Literatur der kolonialen Zeit zu sprechen,
heißt, sich über die paradoxe Situation klar zu
werden, in der die Autoren damals schrieben.
Korea hatte seit seiner Öffnung 1876 die Impulse
für die Aufklärungsbewegung (kaehwagi 개화기, 1876 1910)1, die zur Modernisierung Koreas hinführen sollte,
von Japan empfangen. Von der Modernisierung hatte sich
Korea eine unabhängige Nation erhofft, die sich in der
imperialistischen Zeit würde behaupten können. Die aus dem
neuen Nationalbewusstsein entfachte Hangǔl-Bewegung
[kugŏgukmunhakundong 국어국문학운동, Bewegung
der nationalen Sprache und Schrift] war eine wichtige
Weichenstellung für die Herausbildung einer selbständigen
Nation und Literatur. Das alte sinozentrische Weltbild mit
konfuzianischen Wertnormen wurde verabschiedet und damit
auch die alte Literatur in chinesischer Schriftsprache hanmun
[한문]. Zeitungen erschienen übergangsweise im Mischstil
von Sino-Koreanisch und Hangǔl. Schriftsteller wie Yi Kwangsu (이광수, 1892 - 1950), Choi Nam-sŏn (최남선, 1890 - 1957)
und andere zeitgenössische Autoren schrieben nur noch in
Hangǔl.
Gerade Japan aber unterwanderte die Entwicklung
Koreas in Richtung einer eigenständigen Nation mit
eigener Sprache und Literatur. Dafür sorgten nach dem
„Protektionsabkommen“ 1905 eine Reihe von Gesetzen:
Japanisch wurde zur offiziellen Landessprache [kukŏ 국어],
Koreanisch zur Wahlsprache [chosŏnŏ 조선어] degradiert, in
den 1940er Jahren sogar verboten. Mit der Annexion 1910
wurden alle Zeitungen verboten, auch eine lange Liste der
Literatur, die sich um die Eigenständigkeit der koreanischen
Nation und die Aufklärung des Volkes bemühte.
In der Zeit der kolonialen Herrschaft zu schreiben wurde zu
einem doppelbödigen Spiel. Man stellte als unabhängiger
Autor seine Literatur nicht mehr wie früher in den Dienst
der Tradition und Systemerhaltung. Andererseits gab es
kein richtiges Schreiben unter den falschen Verhältnissen,
wie die kritische Bemerkung des nationalistischen
Unabhängigkeitskämpfers Sin Ch’ae-ho (신채호, 1880 - 1936)
über die Literatur nach der März-Unabhängigkeitsbewegung
1919 [samil-undong 삼일운동]2 nahelegt: Die Neue Literatur
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KULTUR
KOREA
[sinmunye 신문예] sei das Paradies, in dem die neue
Generation hypnotisiert schwelge, eine Schande sei die
Trostliteratur, die die Liebeshymne singe.
Die Modernisierung nach westlichem Muster, vermittelt über
Japan, schien vielen Schriftstellern der einzige Ausweg für
Korea zu sein. Der 1917 erschienene Liebesroman „Herzlos“
[muchŏng 무정] von Yi Kwang-su ist ein Sinnbild dafür,
besonders das Romanende: Die Irrungen und Wirrungen
nehmen erst ein Ende, als die Protagonisten, junge Männer
und Frauen, zum Auslandsstudium aufbrechen, das ihnen
allen eine hoffnungsvolle Zukunft zu versprechen scheint.
So war es vom Modernisierungsfieber hin zur Kollaboration
kein weiter Schritt, wie bei den Autoren Yi Kwang-su und Choi
Nam-sŏn.
Die März- Unabhängigkeitsbewegung, die von japanischen
Armee- und Polizeikräften gewaltsam niedergeschlagen
wurde, blieb nicht ohne Folgen. Unter dem Namen
„Kulturpolitik“ lockerte Japan seinen Herrschaftsstil.
Gewichtige Zeitungen wie Ostasien Tageszeitung [dongailbo
동아일보 ], Chosŏn Tageszeitung [조선일보 ] und noch andere
sowie Verlage wurden gegründet. Diese etwas enthemmte
Stimmung wirkte sich auf die literarische Entwicklung positiv
aus. Es entstanden literarische Gruppierungen, und man kann
ohne Übertreibung von einer vielfältigen Literaturlandschaft
der 1920er Jahre sprechen. Diese ist grob in drei Lager zu
unterteilen, nämlich die nationalistische, die proletarische
und die populäre Literatur. Die nationalistische Literatur
betonte die Volksseele [chosŏnhon 조선혼] und die Tradition
und verknüpfte die tradierte Metrik mit neuen literarischen
Ausdrucksformen aus dem Westen. Das gelungene Beispiel
dafür ist die Lyrik des Volksdichters Kim So-wŏl (김소월,
1902 - 1934). Er brachte das kollektive Gefühl Han (한, Groll
und Trauer aus der verzweifelten Ausweglosigkeit) und den
Verlust der Heimat in eine eigene Form und Sprache. Die
Gedichte Han Yong-uns (한용운, 1879 - 1944) sind in dem
Zusammenhang der Suche nach der eigenen lyrischen
Sprache nicht zu vergessen. Auch die alte Gedichtform Sijo
[시조] wurde als eigenständige Gattung wiederbelebt.
Die sogenannte erste Generation der modernen Literatur
der 1910er Jahre kam immer mehr von ihrem Anspruch ab,
Aufklärungsliteratur zu sein und wanderte in die populäre
Literatur, die als Serienromane in Tageszeitungen mit den
Themen der freien Liebe, zerrütteten Familien und des
Aufpralls von alten und neuen Werten auf den seichten
Geschmack der breiten Leserschicht abzielte.
In den 1930er Jahren trat eine neue literarische Generation
auf, die sich von der Volks- und marxistischen Literatur
absetzte. Dieses Literaturverständnis wird in Korea
„Modernismus“ genannt und steht in Europa der literarischen
Moderne am nächsten. Um die „Gruppe Neun“ (kuinhoi
구인회, 1933 gegründet) sammelten sich ambitionierte
Autoren wie Kim Ki-rim (김기림, 1908- ?), Yi Tae-jun (이태준,
1904-?)3, Chŏng Chi-yong (정지용, 1902 - 1950), Pak Taewŏn (박태원, 1909 - 1986), Yisang (이상, 1910 - 1937),
Kim Yu-chŏng (김유정, 1908 - 1937) usw. Das Neue dieses
Modernismus war es, die Sprache nicht essenziell als Gefühlsoder Inhaltsträger zu sehen, sondern als Medium und
Zeichen, mit dem der Autor den Text zu konstruieren hatte.
Unter dem Eindruck der weltweiten Wirtschaftskrise
und des Militarismus kehrte in den 1930er Jahren die
unerbittliche Politik der Unterdrückung zurück. Von 1938
an verfolgte Japan eine kriegerische Politik, gewappnet
mit einer Ideologie des Panasianismus als Strategie zur
Überwindung der als Verwestlichung verstandenen
Moderne (kǔndaeǔi- ch’ogǔk, 근대의 초극). Demnach
sollten alle ostasiatischen Länder vereinigt werden unter der
Herrschaft des japanischen Kaisers. So propagierte Japan
die Gleichstellung von Mutterländern und Koloniebürgern
(naesŏn ilch’e 내선일체). Nach der Anweisung zur Regelung
der zivilen Angelegenheiten Chosŏns vom 10. November
1939 wurden die Koreaner gezwungen, ihre Familiennamen
in japanische umzubenennen (ch’angssigaemyŏng 창씨개명).
Es war eine der Maßnahmen, um die Rekrutierung der jungen
Koreaner zu erleichtern und zu legalisieren. Es waren 80 %
der damaligen Koreaner, die sich im Zeitraum von Februar
bis August 1940 der kaiserlichen Anweisung beugten. Die
koreanische Sprache wurde von 1941 an offiziell verboten.
Die Zeit vom Ende der 1930er bis zur Befreiung im August
1945 markiert das dunkelste Kapitel der Literaturgeschichte
Koreas [amhǔkǔi- sidae 암흑의 시대]: „jetzt treibt keinerlei
geist mehr keime“.4
1 Aufklärungsbewegung (kaehwagi, 개화기1876-1910): die Periode von den Anfängen der Modernisierung nach der Öffnung des Landes bis zur Annexion durch Japan
2 März-Unabhängigkeitsbewegung 1919 [samil-undong 삼일운동]: eine landesweite Unabhängigkeitsbewegung, die mit einer Großdemonstration in Seoul am 1. März begann. „Die in koreanischen Quellen angegebenen Zahlen von ca. 7500 Toten, 15.000 Verletzten und 45.000 Verhaftungen bis zum Ende des Jahres sind womöglich
nicht übertrieben“ (M.Eggert/J.Plassen: „Kleine Geschichte Koreas“, 2005, S. 138).
3 Das Todesdatum der beiden Autoren, die der Säuberungsaktion der 1950er Jahre nach dem Koreakrieg (1950 - 1953) im kommunistischen Nordkorea zum Opfer fielen, ist unbekannt.
4 Aus dem Gedicht „schluss“ von Yisang: „Mogelperspektive“. Graz 2005, S.155.
Foto: privat
Die Gruppe der proletarischen Literatur KAPF (Korean Artist
Proletariat Federation) wurde 1925 gegründet und stellte die
Literatur in den Dienst der Politik, mit dem Ziel der Befreiung
der Arbeiterklasse. Bis zur Verhaftungswelle von 1934 agierte
die KAPF in der koreanischen Literaturszene sehr aktiv. Der
führende Kopf war Im Hwa (임화, 1908 - 1953), Schriftsteller,
Literaturkritiker und Aktionist.
Hanju Yang, geb. in Mopko,
Südkorea, lebt seit den
1980er Jahren in Deutschland: Sie studierte Germanistik und Koreanistik und
ist Literaturübersetzerin
und Lektorin an der Sektion Sprache und Kultur
Koreas, Ruhr-Uni Bochum.
Vorliegende Übersetzungen: Yisang: „Mogelperspektive“, mit Marion
Eggert (2005), Kim Chi-ha:
„Blütenneid“, mit Matthias
Göritz (2005), Kim Youngha: „Schwarze Blume“, mit
Heiner Feldhoff (2010).
11
KULTUR
KOREA
HISTORISCHES
S ü dk o r e a n i s c h e P r o s a
v o n d e n 1950 e r J a h r e n
bis Ende der 1980er Jahre
Von G esine Stoyke
D
ie Befreiung von japanischer
Kolonialherrschaft (1945),
die koreanische Teilung
und der Koreakrieg (1950
- 53) sind einschneidende historische
Erfahrungen, die einen prägenden
Einfluss auf die südkoreanische
Literatur hatten. Insbesondere der
Koreakrieg, der rund drei Millionen
Zivilisten das Leben kostete,
ideologische Gräben innerhalb
einzelner Familien aufriss, unzählige
Familien für immer voneinander trennte
und die Teilung Koreas bis heute
zementierte, hinterließ tiefe Wunden in
der Psyche des koreanischen Volkes, die
bis in die Gegenwart nicht verheilt sind.
Der Koreakrieg zog eine Verhärtung
der ideologischen Fronten nach sich.
Unter der repressiven Regierung von
Präsident Rhee Syng-man, der mit aller
Härte gegen Oppositionelle vorging,
zogen sich linksgerichtete Schriftsteller
aus der südkoreanischen Literaturszene
zurück oder gingen in den Norden.
Die Mehrheit der Schriftsteller, die sich
im Süden öffentlich artikulierte, nahm
einen liberalen oder konservativen
Standpunkt ein. Traumatisiert vom
Koreakrieg und beherrscht vom
alltäglichen Überlebenskampf,
thematisierte der überwiegende
Teil der Autoren die belastenden
Kriegserfahrungen sowie Not und
Elend in einem von Krieg zerstörten
Land. Auch wenn die Schriftsteller
12
KULTUR
KOREA
der damaligen Zeit die tragischen
Konsequenzen der Teilung in ihrem
vollen Umfang erkannten, waren die
meisten von ihnen noch zu paralysiert
von den Geschehnissen, um das
Individuum im größeren historischen
Kontext eines geteilten Landes zu
betrachten. Viele Werke kreisten um
die existentialistische Suche nach
dem menschlichen Selbst. Ha Geunchans „Sunan Idae“ (1957, 수난이대,
„The Suffering of two Generations“)
und Lee Beom-seons „Obaltan“ (1959,
오발탄, „A Misfired Shot“) sind zwei
repräsentative Kurzgeschichten der
Nachkriegszeit, deren Protagonisten
sich ihrem Schicksal mit Fatalismus
ergeben. In „Obaltan“ stellt Lee das
Leiden nordkoreanischer Intellektueller
dar, die nach ihrer Flucht in den Süden
ein von Armut und Entfremdung
geprägtes Dasein im „Freiheitsdorf“,
einem Ghetto für Nordkoreaner in
Seoul, fristen. Thema seiner Erzählung
ist die Verzweiflung des koreanischen
Volkes, das er mit Irrgängern vergleicht,
die wahllos ins Universum abgefeuert
wurden.
Am 19. April 1960 kam es in Südkorea
zu einem Protest durch Arbeiter- und
Studentenverbände, der schließlich
zum Rücktritt des Präsidenten im
selben Jahr führte. Auch wenn die
demokratischen Bestrebungen, die
darauf folgten, bereits 1961 durch einen
Militärputsch im Keim erstickt wurden,
hatten die Massendemonstrationen
von 1960 den Menschen die Macht
kollektiven Handelns zum Erreichen
politischer Ziele vor Augen geführt
– eine Erkenntnis, die sich auch auf
die Literatur auswirkte. So bildete
sich in den 1960er Jahren eine neue
Generation von Autoren heraus, die
sich verstärkt politischen und sozialen
Themen zuwandte. Diese Generation
wurde auch die „Generation vom 19.
April“ oder die „Hangeul-Generation“
(한글) genannt. Die erstgenannte
Bezeichnung erhielt sie aufgrund ihrer
Rolle in der Studentenbewegung von
1960 und die zweitgenannte, da es sich
um die erste Generation handelte, die
nach der Unterweisung in klassischen
chinesischen Schriftzeichen während
des Joseon-Reiches (1392 - 1910) und
nach dem erzwungenen Unterricht
in japanischer Sprache während
der Kolonialzeit (1910 – 45) in der
koreanischen Alphabetschrift Hangeul
unterrichtet wurde. Einen Wendepunkt
bildete der Roman „Gwangjang“ (1960,
광장, „The Square“) von Choi In-Hun,
der weit über die vorherrschenden
Formen politischer Erzählungen des
Nachkriegskoreas hinausging und
sowohl Süd- als auch Nordkorea kritisch
hinterfragte, um seine Vorbehalte
gegen ein von Ideologien kontrolliertes
Zeitalter zu formulieren.
Choi In-Huns „Gwangjang“ (1960, 광장,
The Square) in deutscher Übersetzung
Die von der Regierung ab den
1960er Jahren vorangetriebene
Industrialisierung führte zur
Entstehung von modernen,
exportorientierten Großindustrien,
die eine allgemeine Anhebung des
Lebensstandards nach sich zog. Die
Kehrseite dieser Entwicklung zeigte
sich in einer Landflucht und dem
dadurch bedingten Zusammenbruch
der ländlichen Strukturen und
traditionellen Lebensweisen, einer
Vergrößerung des Gefälles zwischen
Arm und Reich und einer zunehmenden
Umweltverschmutzung.
Die Prosaliteratur der 1970er Jahre
thematisierte verstärkt die negativen
Auswirkungen der Industrialisierung
und übte unter anderem Kritik an der
Verschlechterung des sozialen Klimas
und der Ausbeutung der Arbeiterschaft.
Viele Schriftsteller portraitierten in
ihren Werken Charaktere, die durch
die Modernisierung an den Rand der
Gesellschaft gedrängt wurden; darunter
war auch Cho Seheui, Autor von
„Nanjangi-ga ssoaollin jageun gong“
(1976, 난장이가 쏘아올린 작은 공, „A
Dwarf Launches a Little Ball“), auch er
ein Vertreter der „Hangeul-Generation“.
„Nanjangi-ga...“ ist ein beeindruckendes
Werk voll beißender Sozialkritik, das
auf die erzwungene Stadtentwicklung
Seouls in den 1970er Jahren und
die damit verbundenen negativen
Auswirkungen auf die Menschen
fokussiert. Viele Koreaner betrachten den
Roman1 als eines der kritischsten Werke
der Dekade. Darin wird die Familie eines
kleinwüchsigen Gelegenheitsarbeiters
zur Zwangsräumung ihrer slumähnlichen
Unterkunft am Stadtrand gezwungen,
um einer modernen Apartmentsiedlung
Platz zu machen. Der Arbeiter begeht
daraufhin Selbstmord. Auch Yun
Heunggil und Lee Mungu griffen in ihrem
Werk das Thema der Industrialisierung
auf. Yun befasst sich in seinem Epos
unter anderem mit der städtischen
Armut, und Lee thematisiert in Werken
wie „Gwanchon Supil“ (1972 – 77,
관촌수필, „Gwanchon Essays“) die
Transformation des ländlichen Lebens als
Folge des technologischen Fortschritts.
Den koreanischen Autoren, die in den
1970er Jahren auf Koreakrieg und
Teilung eingingen, gelang dies mit
einer größeren Objektivität als früheren
Generationen.
1979 kam der amtierende koreanische
Machthaber Park Chung-hee bei
einem Attentat ums Leben, worauf ein
durch ein Wahlgremium gewählter
Interimspräsident eingesetzt wurde.
Hoffnungen auf einen politischen Wandel
wurden jedoch schon bald wieder
enttäuscht, als der Interimspräsident im
gleichen Jahr durch einen Militärputsch
entmachtet wurde. Forderungen nach
mehr Demokratie wurden daraufhin
immer lauter und gipfelten schließlich
in Massendemonstrationen im ganzen
Land. Um ein Exempel zu statuieren,
schlug die neue Militärregierung im
Mai 1980 die „große Bewegung für die
Demokratie“ in der Stadt Gwangju, eine
der Protesthochburgen, blutig nieder.
Das erschreckende Ende des Aufstands
löste unter koreanischen Intellektuellen
Schockwellen aus und führte dazu,
dass viele Schriftsteller kurzzeitig
das Schreiben aufgaben. Es gab aber
auch Autoren, die die Geschehnisse in
Gwangju nicht nur als eine Tragödie
sahen, sondern als Neuanfang, der das
politische Bewusstsein innerhalb der
Bevölkerung stärkte. Dieser Gedanke
kommt beispielsweise in Hong Hui-dams
Sammlung von Kurzgeschichten mit
dem Titel „Gitbal“ (깃발, „The Flag“) zum
Ausdruck, die allerdings erst acht Jahre
nach dem tragischen Ereignis erschien
(1988). Zu den großen realistischen
Erzählungen über Gwangju zählt das
vierbändige „Bomnal“ (1997, 봄날,
„Spring Days“) von Ihm Cheol-Woo.
Bereits Ende der 1970er Jahre war eine
neue literarische Tendenz entstanden,
die sich zur Hauptströmung der 1980er
Jahre entwickelte: Minjung Munhak
(민중문학, „Volksliteratur“), die sich
mit den Menschen an der Basis der
13
KULTUR
KOREA
koreanischen Gesellschaft - Arbeiter,
Bauern und Fischer - solidarisierte.
Die Minjung-Bewegung, die auf
populären Forderungen nach einer
Demokratisierung von Politik und
Gesellschaft basierte, fand sich nicht nur
in der Literatur, sondern auch in Kunst,
Musik, Drama, Geschichte, Soziologie
und Wirtschaft.
Die Literatur der 1980er Jahre,
die von einer neu erstarkten
Demokratiebewegung beflügelt wurde,
war geprägt von einer radikaleren,
kritischeren Herangehensweise
an soziale Fragen. Es entstand
unter anderem eine Arbeiter- bzw.
Arbeitsliteratur, die eine Verbesserung
der Konditionen für die Arbeiterschaft
erzielen wollte, indem sie ein
schonungsloses Portrait der realen
Beschäftigungsbedingungen lieferte.
Der historische Roman entwickelte
sich zu einer weiteren literarischen
Hauptströmung der Dekade, und es
gab eine Fülle an Werken, die sich
mit Teilung, Koreakrieg und frühen
historischen Themen befassten. Erst
mit einem Nachlassen der Zensur
zum Ende der Chun-Doo-hwan-Ära
waren die Autoren in der Lage, auch
Themen der jüngsten koreanischen
Geschichte wie den Gwangju-Aufstand
zu thematisieren.
1 Das Werk ist eine Sammlung von separat veröffentlichten Kurzgeschichten, die allein stehen oder sich gegenseitig ergänzen können.
Quellenauswahl:
Im Heon-yeong, “The Korean Novel in the
Eighties”, Korea Journal 26/7, 1986.
Kim U-chang, „The Agony of Cultural
Construction“ in Hagen Koo (Hrsg.) State and
Society in Contemporary Korea. Ithaca und
London: Cornell University Press 1993.
Kwon Young-min, “Contemporary Korean
Literature as Division Literature”, Korea Journal
27/7, 1987.
Lee Namho, Un Chanje, Lee Kwangho, Kim
Mihyun: „Koreanische Literatur des 20.
Jahrhunderts.“ Deutsche Übersetzung von Jung
Youngsun und Herbert Jaumann. München:
IUDICUM Verlag 2011.
O’Rourke, Kevin, “Literature After the Korean
War”, Korea Journal 17/6, 1977.
Foto: privat
1987 kam es zu einer Verfassungsreform
und der ersten Direktwahl des
Präsidenten durch die Bevölkerung seit
1961. Unter der Regierung von ExGeneral Roh Tae-woo wurden etliche
Erfolge auf dem Weg hin zu einer
demokratischen Gesellschaft erzielt und
viele Reformen auf den Weg gebracht.
Im Zuge einer neu eingeführten
Meinungsfreiheit wurde 1988 auch das
Verbot für nordkoreanische Literatur
aufgehoben. 1992 wurde mit Kim
Young-sam die erste Zivilperson seit 32
Jahren zum Präsidenten gewählt. Die
fortschreitende Demokratisierung hat
das Gesicht der koreanischen Literatur
seit Ende der 1980er Jahre gewandelt,
die sich heute einer größeren Vielfalt
und Freiheit denn je erfreut.
Gesine Stoyke,
Redaktion Kultur Korea
14
KULTUR
KOREA
Fotos: Park Jeong-roh
HISTORISCHES
Shin Kyung-Sook
Tendenzen
z e i t g e n ö ss i s c h e r
koreanischer
L i t e r at u r
Kim Young-ha
Von Thorsten Traulsen
W
aren vorangegangene Generationen
koreanischer Literaten in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts politisch
mit der Aufarbeitung der japanischen
Kolonialherrschaft bis 1945 und der Teilung des Landes
nach dem schmerzlichen Bruderkrieg 1950 - 53 (die
sogenannte Han’gŭl-Generation1) sowie mit dem Kampf
gegen die Unterdrückung während der Militärdiktatur
unter Park Chung-hee und nach dem Kwangju-Aufstand
1980 (die 386-Generation2) beschäftigt, trat mit der
Konsolidierung der Demokratie durch die Wahl des
Zivilisten Kim Young-sam 1992 zum Präsidenten und
dem zunehmenden wirtschaftlichen Aufschwung ab den
1990er Jahren auch die Literatur in eine neue Epoche.
Der Schriftsteller als politischer Überzeugungstäter und
moralische Instanz in Zeiten der Unterdrückung diente
zusammen mit diesen Zeiten aus. An seine Stelle trat
nun in dieser Phase der „Verinnerlichung“ (naemyŏnhwa
내면화) der genaue Beobachter des alltäglichen
Lebens und seiner Identitätsfragen in einer sich rapide
wandelnden Gesellschaft. Die politische Allegorie weicht
einer stellenweise grotesk-surrealen Erzählweise und einer
zunehmenden Gewichtung und Explizität der Darstellung
von Sexualität.
Jo Kyung Ran
Auch sprachlich schlägt die neue Autorengeneration
andere Wege ein: Bezugspunkte sind nunmehr weniger
eine irgend geartete Form koreanischer Klassiker, sondern
das sich in Korea schon sehr früh verbreitende Internet
mit seinen neuen Kommunikationsformen wie E-Mails
und Blogs einerseits sowie der koreanische Film, der seit
Ende der 1990er Jahre im Rahmen der „Koreanischen
Welle“ (hallyu 한류) vor allem in Form von TV-Serien über
ganz Asien schwappte, andererseits. Die Erzählperspektive
der ersten Person mit ihrem psychologisierenden und
subjektivierenden Potenzial wird ausgiebig genutzt und
kennzeichnet einen weiteren Weg weg von der Literatur
einer historischen oder politischen Wahrheit, die es zu
berichten gilt.
Kein Autor verkörpert diesen Wandel besser als der 1968
geborene Kim Young-ha (김영하), der 1996 mit dem Roman
„Ich habe das Recht, mich selbst zu zerstören“ (Nae-ga
na-rŭl p’agoe-hal kwŏlli-ga itta 내가 나를 파괴할 권리가
있다; in Deutschland erschienen als „Das Gottesspiel“)
debütierte. In Korea von Kritikern und Lesern gleichsam
gefeiert und im Rahmen der Frankfurter Buchmesse
2005, auf der sich Korea als Gastland präsentierte, als
Aushängeschild zeitgenössischer koreanischer Literatur
15
KULTUR
KOREA
vorgestellt, liegen inzwischen zahlreiche
seiner Werke auch in westlichen Sprachen vor.
Bildungskanons hinaus die ständige Präsenz
einer fremden Kulturvorgabe vor Augen führt.
Mit der Entpolitisierung der Literatur einher
geht auch ihre Diversifizierung. Kein geteiltes
historisches Trauma eint die Generation der
neuen Schriftsteller mehr. Vielmehr sucht
jeder für sich nach den Themen der Zeit und
einer Lebensform zwischen Tradition und den
sich nun auftuenden Freiheiten der Moderne
und ihrer Urbanität.
Doch auch die oben skizzierte
Literaturlandschaft Koreas ist weiter im
Wandel begriffen, und Autoren wie Kim
Young-ha und Jo Kyung Ran gehören
nicht mehr zur Speerspitze literarischen
Erfindungsreichtums, auch wenn ihr Erfolg
ungebrochen ist. Haben sie in den späten
1990ern die Tür geöffnet in eine postmoderne
Literaturwelt Koreas, sind es Schriftsteller
wie Park Min-gyu (박민규 *1968) oder
Cheon Woon Young (천운영 *1971), die
– wenn auch vom Alter her zur gleichen
Generation gehörend – den so geschaffenen
Raum vermessen. Aber auch hier gilt wie
überall: eine treffende Bewertung der
zeitgenössischen koreanischen Literatur wird
erst im Rückblick möglich sein.
Wollte man für die Zeit seit den 1990er
Jahren tatsächlich eine Beziehung zwischen
Politik und Literatur finden, so ließe sich
diese in Form der 1995 vom damaligen
Präsidenten Kim Young-sam ausgerufenen
„Globalisierung“ (segyehwa 세계화) finden.
Auffallend ist, wie sehr das außerkoreanische
Fremde nun in vielen Erzählungen anzutreffen
ist. Sei es als Topos der Begegnung auf
koreanischem Boden oder in Übersee; sei
es als Ort der Identitätsfindung außerhalb
des gesellschaftlichen Bezugssystems der
Heimat; sei es als „unbekannter Dritter“,
der durch seine Präsenz ein ähnliches
Befremden bewirkt wie es das Aufbrechen
der traditionellen Gesellschaft tut; sei
es als symbolische oder metaphorische
Verwendung nicht-koreanischer – vor
allem westlicher – Kulturgüter, die über
das bloße Zurschaustellen eines globalen
16
KULTUR
KOREA
1 Benannt nach dem koreanischen Alphabet, das nun nach dem Verbot der koreanischen Sprache Ende der Kolonialzeit endgültig zum Medium koreanischer Literatur wurde.
2 D.h. geboren in den 1930ern, politisch aktiv in den 1980ern und nun in den 1990ern in den Sechzigern ihres Lebens.
Foto: privat
Insbesondere die Frauenliteratur etabliert
sich in dieser Phase als sehr erfolgreiches
Genre und feiert mit Shin Kyung-Sook
(신경숙 *1963) und Jo Kyung Ran
(조경란 *1969) ihre beiden bekanntesten
Vertreterinnen. Waren die allgemeinen
gesellschaftlichen Veränderungen durch
das rapide Wirtschaftswachstum und der
damit einhergehenden Urbanisierung schon
dramatisch, so erfuhr das Rollenbild der
Frau einen noch drastischeren Wandel, der
in den familiären Folgen des Wohlstandes,
wie sie weltweit überall zu beobachten
sind – niedrige Geburten- und hohe
Scheidungsraten –, Ausdruck findet. In ihrem
Debüt-Roman „Das purpurfarbene Sofa“ (Na-ŭi
chajutpit sop’a 나의 자줏빛 소파) von 1998
schildert Jo Kyung Ran das Leben einer SingleFrau in der Großstadt und ihre Identitätskrise,
ein Topos, das auch in vielen anderen
Erzählungen dieses Genres anzutreffen ist.
Thorsten Traulsen arbeitet
als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Lehrstuhl
für „Sprache und Kultur
Koreas“ der Ruhr-Universität Bochum. Daneben ist er
seit 2005 Mitherausgeber
der „Hefte für ostasiatische
Literatur (HOL)“ (iudicium
Verlag) und dort verantwortlich für den Koreateil.
Ko-übersetzt liegen von ihm
vor „Was du mir bedeutest“ (Kim Young-ha; als
Seminarprojekt zs. übers.
mit Kang Eui-Young, Tihana
Sifter, Kim Kyung-Hwa, Kim
Yong, Felix Sigmund, Helmut
Schmidt ) sowie „Die Seele
legt sich schlafen im See“
(Yi Sun-weon; zs. übers.
mit Yang Hanju und David
Renz). Beide Erzählungen
sind in den HOL erschienen. Ein von ihm geführtes
Verzeichnis koreanischer Literatur auf Deutsch (KLD)
seit 2005 findet sich auf
der Homepage des Instituts
(www.rub.de/skk).
이
NAHAUFNAHME - AUTOREN IM FOKUS
상
Yisang:
D ichter, M aler, Architekt
Von Gitte Zscho ch
„Gäbe es einen Arzt, der
Städte therapiert, lautete
die Diagnose für Seoul:
‚Kurzzeitige Amnesie‘. Wie
ein Alzheimerpatient leidet
die Stadt an einer Krankheit,
durch die sie all ihre jüngsten
Erinnerungen verliert“,
schreibt der südkoreanische Autor Kim
Young-Ha über die heutige Megacity Seoul
für die Süddeutsche Zeitung.1 Mehr als 70
Jahre zuvor lebte in derselben Stadt der
Schriftsteller Yisang (1910 - 1937), der
wahrscheinlich eine ähnliche Diagnose
gestellt hätte. Zu jener Zeit wurden in
Seoul nach koreanischer Tradition gebaute
Häuser und Hütten abgerissen und
durch Kaufhäuser ersetzt, auf den breiten
Straßen fuhren elektrische Bahnen, und
Hollywood-Stummfilme konkurrierten
mit traditionellen Schauspieltruppen.
Neues traf auf Altes, Fremdes auf
Eigenes. Dieses Aufeinanderprallen
der Gegensätze und die damit
einhergehenden Veränderungen stellten
die Menschen vor Herausforderungen.
Die Auseinandersetzung erfährt im Werk
und in der Person des Schriftstellers
Yisang einen Höhepunkt. Er flaniert im
weißen Smoking durch Seoul, was ihm
den Ruf eines Dandys beschert, wobei an
der symbolhaften Kleiderwahl der Anzug
neu und modern, die Farbe Weiß jedoch
schon seit jeher die Farbe koreanischer
Kleidung ist. Yisang überschritt zudem die
definierten Genregrenzen: Seine Gedichte
sind alles andere als konventionell, und er
war nicht nur Schriftsteller, sondern fügte
Veröffentlichungen auch Illustrationen bei,
wie der zu seiner berühmtesten Erzählung,
„Flügel“2 („Nalgae“).
Die Karriere Yisangs allerdings war kurz.
Als ältester Sohn in eine ärmliche Familie
geboren und von seinem Onkel adoptiert,
wurden in den zukünftigen Stammhalter
große Hoffnungen gesetzt. Diesen wurde er
zeitlebens allerdings nicht gerecht: „Woher
soll ich all das Geld nehmen? Ein Roman
bringt keine drei Groschen. […] Sogar
die Skelette im Grab fordern etwas von
mir“, verzweifelt das Lyrische Ich in einem
Gedicht. Sein Künstlercafé, das innerhalb
kürzester Zeit zum Künstlertreff avanciert
war, musste er aus Geldgründen 1935
schließen, und es begann eine rastlose
Zeit, bis er schließlich 1937 seine letzte
Reise ins intellektuelle Tōkyō antrat. Dort
wurde er aufgrund ‚antikolonialistischer
Bestrebungen‘ verhaftet und erlag 1937
einer Tuberkulose. Ursprünglich hatte er
Architektur studiert – seine Leidenschaft
war das Malen, und Architektur kam dieser
‚brotlosen Kunst‘ am nächsten – und
währenddessen begonnen, westliche
Literatur in japanischer Übersetzung zu
rezipieren und selbst dichterisch aktiv zu
werden. Insgesamt existieren von ihm rund
einhundert Gedichte, mehrere Erzählungen,
17
KULTUR
KOREA
Essays und ein Roman, und dazu
zahlreiche Illustrationen und Entwürfe
für Titelblätter von Zeitschriften.
Die große Bedeutung Yisangs für
die moderne Literatur Koreas ist
unumstritten. Entsprechend ist
Yisang in viele Sprachen, darunter ins
Japanische, Englische, Französische,
Spanische und Portugiesische,
übersetzt worden. In deutscher
Sprache liegt ein Gedichtband mit
dem Titel „Mogelperspektive“ vor.3
„Mogelperspektive“ (kor. „Ogamdo“)
gehört zu Yisangs Hauptwerk und
ist der Titel einer Serie von fünfzehn
Gedichten, die Yisang 1934 in
der Zeitung Chosŏn Jungang Ilbo
veröffentlichte. Die Veröffentlichung
wurde aufgrund starker Leserproteste
allerdings vorzeitig eingestellt.
Verantwortlich dafür waren die
auffallende, mit allen Konventionen
traditioneller Lyrik brechende
grafische Form sowie die als extrem
verstörend und unverständlich
empfundenen Inhalte. Die Gedichte
sind durchnummeriert, sie sind
grafisch ungewöhnlich, reihen Ziffern
und Symbole aneinander, vermischen
Sprachen.
Eine überlieferte Anekdote
besagt, dass man bei der Zeitung,
in der die Serie ursprünglich
veröffentlicht wurde, „Ogamdo“,
(„Rabenperspektive“), für einen
Schreibfehler gehalten hatte:
„Chogamdo“, also übersetzt
„Vogelperspektive“, hätte es
heißen sollen. Die jeweils ersten
Silben unterscheiden sich nur
durch einen Pinselstrich. Diese
Ähnlichkeitsbeziehung macht sich
Yisang zu Nutze: Der einfache,
unbedarfte Vogel wird zum
Raben, der mit Unglück, Bösem
und Zwielichtigem konnotiert
wird. Die deutsche Ausgabe
„Mogelperspektive“ birgt ebenso
negative Konnotationen in sich.
„Mogeln“ impliziert Falschheit und
Betrug; „Mogelperspektive“ das
Fingieren einer Perspektive oder
Sicht. Das „gedicht nr. 1“4 soll hier als
Beispiel dienen, wie dieses Spiel mit
18
KULTUR
KOREA
“gedicht nr. 1”, veröffentlicht in der Chosŏn Jungang Ilbo, am 24. 7.1934
der Perspektive und dem negativen
Paradigma weiter verstärkt und damit
gespielt wird.
gedicht nr. 1
13 kinder rennen auf der straße.
(als straße ist eine sackgasse geeignet.)
das 1. kind sagt es macht angst.
das 2. kind sagt auch es macht angst.
das 3. kind sagt auch es macht angst.
das 4. kind sagt auch es macht angst.
das 5. kind sagt auch es macht angst.
das 6. kind sagt auch es macht angst.
das 7. kind sagt auch es macht angst.
das 8. kind sagt auch es macht angst.
das 9. kind sagt auch es macht angst.
das 10. kind sagt auch es macht angst.
das 11. kind sagt auch es macht angst.
das 12. kind sagt auch es macht angst.
das 13. kind sagt auch es macht angst.
13 kinder angsterregende kinder
ängstliche kinder nur solche kinder
haben sich versammelt. (es sollte
möglichst keine anderen ursachen
geben.)
1 kind davon kann genausogut
angsterregend sein.
2 kinder können genausogut
angsterregend sein.
2 kinder können genausogut ängstlich
sein.
1 kind kann genausogut ängstlich
sein.
(als straße ist auch eine
durchgangsstraße geeignet.)
13 kinder können genausogut nicht
auf der straße rennen.
Die Angst ist in diesem Gedicht
Hauptthema. Es wird nicht klar,
wer oder was sie auslöst – sie steht
einfach im Raum. Unter den Kindern
sind sowohl „angsterregende“
als auch „ängstliche“ Kinder. Die
Kinder scheinen wegzulaufen, weil
sie Angst haben, aber wovor, das
bleibt undefiniert. Es ist nicht klar,
ob die Angst von den Kindern selbst
ausgeht oder ob diese ihr ausgeliefert
sind. Der starke rhythmische
Charakter des Gedichts, der durch
die ständigen Wiederholungen und
Lautähnlichkeiten entsteht, kreiert
zudem eine Monotonie, die die Angst
weiter heraufzubeschwören scheint.
Die Uneindeutigkeit der Perspektive
und das Ausweglose der gesamten
“gedicht nr. 4”, veröffentlicht in der Chosŏn Jungang Ilbo, am 28. 7.1934
‚bedeuten‘, die aufwühlen und zum
Nachdenken anregen, und zudem
visuell so anspruchsvoll sind wie
die Bildlyrik eines Apollinaire oder
Mallarmé. Es wird Zeit, auch Yisang
in die Sphären der Weltliteratur
einzuschreiben.
1 „Megacity Seoul. Kollektives Alzheimer“, 23.02.2007.
2 Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Chogwang, Juni 1936.
3 Yisang (2005) „Mogelperspektive“. Gedichte, hg. u. übers. v. Marion Eggert, Hanju Yang
u. Matthias Göritz, Graz u. Wien: Literaturverlag Droschl.
Foto: privat
Situation werden weiter durch die
symmetrische Spiegelung der ersten
und letzten beiden Zeilen verstärkt.
Semantisch gesehen hebt sich das
Gedicht dadurch selbst auf. Indem die
Ausgangssituation – Kinder rennen,
beispielsweise in einer Sackgasse
– am Ende umgekehrt, aber nicht
revidiert, sondern nur als Möglichkeit
angedeutet wird, verschwindet die
beschriebene Handlung oder der
Zustand in die Bedeutungslosigkeit. Es
wird keine wirkliche und endgültige
Aussage getroffen, und somit bleibt
alles in der Schwebe. Man kann den
‚Raben‘ des Titels ‚Ogamdo‘ auch als
Beobachter der Szene, die sich auf der
Straße abspielt, begreifen. Die zitierte
Rede impliziert eine Sprecherinstanz,
die das Geschehen von oben, eben
aus einer Perspektive der Überschau,
verfolgt. Vielleicht löst dieser Sprecher
auch die Angst aus? Denn einzig bleibt
am Ende diese Angst.
Das „gedicht nr. 1“ steht exemplarisch
für die Lyrik Yisangs: Es zeigt, dass
seine Werke einen stark verstörenden
Charakter haben, gleichzeitig aber
formal durchkomponiert sind. Sein
Genie besteht darin, Gedichte zu
verfassen, die auch heute noch
4 Siehe Fußnote 3, S. 13.
Gitte Zschoch studierte
Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften an der
Ludwig-Maximilians-Universität in München und
Moderne Koreanische
Literatur an der Seoul
National University.
Im Moment ist sie für
das Goethe-Institut in
Johannesburg tätig.
19
KULTUR
KOREA
NAHAUFNAHME - AUTOREN IM FOKUS
Der
s ü dk o r e a n i s c h e
Schriftsteller
Yi Munyol
Yi Munyol in seinem Schreibzimmer in Ichon
D er Südkoreaner Yi Munyol i st einer der
einf lu ssreichsten lebenden S chr if tsteller
s eines L andes. Er i st zudem einer der ersten
B ests ellerautoren, dess en Werke auch über
die Grenz en Südkoreas bekannt w urden.
D azu gehör t bei spiel swei s e der Roman „ D er
entstellte Held“, der die G es chichte eines
S chulalltag s erz ählt und in Korea S chullektüre
i st. D ie auch auf D euts ch ers chienene
Erz ählung 1 i st eine Parabel über die
Au sübung und den Mi ssbrauch von Macht. Al s
Mei ster werk g ilt in s einem L and der Roman
„ Shi-In“ („ D er D ichter“) 2 von 1992, in dem Yi
das L eben eines Poeten nacherz ählt.
1
2
20
KULTUR
KOREA
Pen d ra g o n 1 9 9 9 , Un i o n s ver l a g 2 0 0 4
S uh r ka m p 2 0 1 0
Foto: Di r k G odde r
Von D irk G o dder
Auch mischte sich der Schriftsteller
immer wieder in politische
Diskussionen in seinem Heimatland
ein. Mit seinen Ansichten eckte er
dabei oftmals an. „Ich bin einer der
Schriftsteller, die immer engste
Beziehungen zu den Lesern gepflegt
haben“, sagt er. Doch mit einigen
Lesern sei er in Konflikt geraten. Als
Yi Anfang dieses Jahrhunderts in
einem Meinungsbeitrag für eine der
auflagenstärksten konservativen
Zeitungen des Landes progressive
Organisationen mit den „Roten Garden“
in China - radikale Studentengruppen
während der Kulturrevolution - verglich,
zog er sich viele Feinde zu. Einige
junge Menschen seien sogar in seinen
Garten gekommen und hätten dort
seine Bücher verbrannt, erzählt Yi. „Die
Situation machte mich wütend.“ Später
entschied er sich, einige Zeit in den USA
zu leben, um Abstand zu gewinnen und
neue Energie zu sammeln.
Trotz seines nicht ungebrochenen
Ruhms wird Yis Schreibkunst nach wie
vor hoch eingeschätzt. Auch wird er
immer wieder als möglicher Kandidat
für den Literaturnobelpreis genannt.
Viele junge Menschen suchen bei dem
bekannten Dichter unter anderem
Anregung, Weisung und Rat. „Seit 1985
betreibe ich eine Art Autorengruppe“,
erzählt Yi. „Das heißt aber nicht, dass
ich sie zu ehrgeizigen Schriftstellern
machen will.“ Es gehe mehr um den
Ideen- und Gedankenaustausch, um
Gespräche über Politik, Kultur und
das Leben allgemein. „Ich habe keinen
Lehrplan. Sie können schreiben und
lesen, was sie wollen.“ Sollte der
eine oder andere auch Rat für seine
Schreibambitionen holen wollen,
so verschließe er sich nicht, betont
Yi. „Es gibt aber kein Geheimnis des
Schreibens.“
Yi hat in seiner Heimat früher mit seinen
Werken Millionenauflagen erzielt. Sein
Oeuvre umfasst rund 100 Bücher. Auch
in Europa sind einige seiner
Erzählungen, Novellen und Romane
erschienen. Allerdings seien bisher
nur wenige Bücher ins Deutsche
übersetzt worden, hingegen zehn
seiner Werke ins Französische und
acht ins Italienische, sagt er. Einem
breiteren Lesepublikum wurden Yi und
andere südkoreanische Schriftsteller
in Deutschland durch die Frankfurter
Buchmesse 2005 bekannt, als Südkorea
Gastland war.
Seit Mitte der 80er Jahren haben sich
mehr als 50 junge Gäste – überwiegend
Männer – während ihres längeren
Aufenthalts auf Yis Anwesen in Ichon
diversen Studien gewidmet. Doch
nur 15 von ihnen seien letztlich auch
Schriftsteller wie er geworden, sagt er
mit einem Lachen. Einige hätten bis
zu drei Jahre bei ihm gewohnt. Aktuell
wohnt auch ein Amerikaner dort. „Louis
bezeichnet sich selbst als Bohemien.
Er liebt China und kehrt nach seinem
Besuch dort immer wieder hierher
zurück. In die USA will er nicht mehr
zurück.“ Zwischen 1985 und 1997 waren
es immer unter fünf Personen, die auf
Yis Grundstück wohnten, manchmal
sogar nur ein einziger Gast. Seit 1997
erhöhte sich die Zahl. Die maximale
Zahl der Gäste sei 15 gewesen, sagt der
Romancier.
Das Verhältnis der jungen Leute
zum bekannten Schriftsteller lässt
sich eher im traditionellen Sinn als
das zwischen einem Gelehrten und
einem Schüler beschreiben – doch
ohne strikte Verhaltensregeln. Yi
verweist in diesem Zusammenhang
auf die alte konfuzianische Akademie
Dosan Seowan in Andong im Osten
des Landes. Die Akademie, in der die
Studenten lebten und arbeiteten,
wurde in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts von Schülern des
berühmten Gelehrten Yi Hwang und
anderen Lehrmeistern gegründet. „Die
Schüler konnten frei Fragen stellen und
mit den Lehrern Ideen austauschen. Das
ist es auch mehr oder weniger, was ich
hier betreibe“, sagt Yi Munyol.
Sein Schwerpunkt liege noch immer auf
dem Schreiben, nicht auf der Tätigkeit
eines „Lehrers“. Zurzeit arbeitet er an
einem historischen Roman, der mit der
Periode der drei alten koreanischen
Königreiche Goguryo, Baekje und
Silla zu tun hat und auch das Thema
Vereinigung beleuchten soll. Allerdings
sei er weniger produktiv als früher,
als er noch zwei Bücher pro Jahr
abgeschlossen habe, sagt Yi. Jetzt sei
es schwierig, selbst noch ein Buch in
einem Jahr zu schreiben. „Ich weiß nicht
genau warum, vielleicht bin ich müde
oder zu alt.“
Foto: privat
M
it freundlichem Lächeln
tritt Yi Munyol aus der
Einfahrt zu seinem Garten
hervor und begrüßt
seinen Besucher. Sein Anwesen in Ichon
ist rund anderthalb Stunden Autofahrt
von Seoul entfernt. Abgesehen von
einem dreijährigen Aufenthalt in
den USA von 2006 bis 2009 wohnt
der südkoreanische Schriftsteller
bereits seit 25 Jahren dort - relativ
abgelegen von der naheliegenden
Großstadtregion. Sein Wohnhaus
hat er damals mitentworfen. Doch
zurückgezogen wohnt er mit seiner
Frau nicht. Zu seinem Anwesen
gehört außer einem großen Garten,
in dem der 64-Jährige unter anderem
Tomaten züchtet, Obstbäume pflegt
und mit seinen Enkeln spielt, auch ein
separates Gebäude mit zahlreichen
Gästezimmern. Hier beherbergt er
seit vielen Jahren immer wieder
junge Menschen, mit denen er Ideen
austauscht und diskutiert.
Dirk Godder ist in Oberhausen aufgewachsen und zur
Schule gegangen. Seit Ende
der 90er Jahre berichtet er als
Korrespondent in Seoul über
politische, wirtschaftliche, kulturelle und sportliche Ereignisse in Süd- und Nordkorea.
21
KULTUR
KOREA
NAHAUFNAHME - AUTOREN IM FOKUS
L i t e r at u r u m i h r e r s e l b s t W i l l e n
– e i n Ge s p r ä c h m it Ko U n (고은)
22
KULTUR
KOREA
Kaum jemand ha t die jüngste
koreanische Geschichte miterlebt wie
Ko Un. Geboren und aufgewachsen in
der japanischen Kolonialzeit, wurde
er in den Nachkriegsjahren Dichter,
unter dem autoritären Regime von Park
Chung-hee zum Widerständler und in
den letz ten Jahren zu Koreas heißestem
A nwär ter auf den Litera turnobelpreis.
Jährlich campieren Journalisten vor der
Bekanntgaben der Nobel preisträger vor
seinem Haus in A nseong bei S eoul. Ko
Uns Werke sind in mehr als ein D utzend
Sprachen übersetz t worden. M alte E.
Kollenberg ha t Ko Un zu Hause besucht und
mit ihm über Freiheit, Goethes „Faust“ und
sein neuestes Werk zur Wieder vereinigung
Koreas gesprochen.
Grund für mich, Autor und Dichter zu werden,
existiert heute nicht mehr. Über die Zeit hat sich
mein Schreiben verändert.
Jedes Mal habe ich ein anderes Thema an die
Welt gerichtet. Mal war es die Schönheit, mal
die Wahrheit, mal war es der Kampf gegen den
Schwindel, um die Wahrheit zu schützen. Mal war
es das Verlangen nach Freiheit. Heute träume ich
von Worten, die all das verinnerlichen.
Um es mit einem Goethe-Beispiel zu sagen:
„Faust I“ ist anders als „Faust II“. Wie Faust sich
entwickelt, entwickelt sich jeder Mensch mit
unterschiedlichsten Gesichtern im Laufe eines
Lebens. Mein literarisches Leben war nicht viel
anders. Es hat viele verschiedene Gesichter.
Beispielsweise habe ich 25 Jahre gebraucht,
um das Gedicht „Maninbo“1 zu vollenden. Der
Anfang und das Ende sind sehr unterschiedlich,
wie bei „Faust“.
Wie sehen Sie die aktuelle koreanische
L i tera tur und jung e Auto ren heute?
We r i s t Ko U n ?
Ko Un
Das ist sehr schwer zu definieren. Ich kann nicht
sagen, wer ich bin. Ich kann nicht einmal sagen,
was genau der Fluss vor meinem Haus ist. Ich
bin, wer ich bin; und ich bin nicht, wer ich bin.
Ich kann nicht entscheiden, welcher der beiden
Ausdrücke der richtige ist.
Stellen Sie sich eine Pusteblume vor. Deren
Samen verteilen sich in alle Winde, zufällig.
Wäre ich in Westeuropa geboren, wäre ich
vielleicht ein Einwohner von Düsseldorf. Aus
diesem Grunde ist Nationalität doch etwas völlig
Willkürliches. In meinem Fall war dieser Zufall
eben, in Korea geboren zu werden und Literatur
zu verfassen. Ironischerweise versuche ich aber
auch, mich gegen genau das aufzulehnen.
© Malte E. Kollenberg
Wi e h a t si c h I h re L i te ra t u r veränd er t?
Als ich angefangen habe zu schreiben, starben
viele Menschen in diesem Land. Die Stadt
war zerstört, und die Menschen lebten unter
jämmerlichen Umständen. Unter dem Einfluss
dieser Umgebung bin ich Dichter geworden. Ich
bin einer der wenigen, die diese Zeit überlebt
haben. Mein Überleben war ein Aufschrei, ein
Aufschrei für jeden, der damals gestorben ist. So
habe ich angefangen. Dieser Aufschrei, dieser
Das ist schwierig. Es gibt zahlreiche
vielversprechende Schriftsteller. Unterschiedliche
Autoren mit ganz unterschiedlichen
Herangehensweisen und Themen. Ich fühle
mich ein wenig so, als wäre Korea als Land
gar nicht ausreichend, um diese Vielfältigkeit
aufzunehmen. Viele schreiben ja auch gar nicht
in Korea, sondern sind irgendwo im Ausland.
I hre Werke sind in viele Sprachen übersetz t
wo rd en. Was bed eutet es f ür Si e, ei n Werk in
ei ner and eren Sprac he zu sehen?
Als ich jung war, war es nur möglich, den Nil in
Ägypten zu erleben, indem man eine Geschichte
oder ein Gedicht las. Das hat mir die Möglichkeit
gegeben, in meinem Herzen und meiner
Fantasie diesen Ort zu besuchen. Das ist nur
möglich, wenn Übersetzungen erhältlich sind.
Ein literarisches Stück kann für sich selbst
bestehen, sollte aber auch ein Land verlassen
und nicht eingeschlossen werden. Dass es auch
chinesisches Essen in Großbritannien gibt,
verdeutlicht doch gut, wie wichtig es ist, auch die
kleinsten Dinge auf der ganzen Welt zu verteilen.
Die menschliche Existenz allein ist ja schon eine
Art der Übersetzung. Literatur an sich ist so
gesehen schon eine Übersetzung. Nichts kann
23
KULTUR
KOREA
24
KULTUR
KOREA
Ko Un
S o llte die ko rean i sc h e Re g i e r u n g m e h r
u n te r n e h m e n , u m ko re a n i sc h e L i te ra t u r i m
A u s lan d pu blik z u m a c h e n ?
Ich war sehr glücklich, als meine Werke ins
Englische, Deutsche und Japanische übersetzt
worden sind. Aber ich bevorzuge es, dass so
etwas ohne Unterstützung oder Einmischung
der Regierung stattfindet. Für mich ist es
wichtig, dass sich etwas aus der Zivilgesellschaft
heraus entwickelt, nicht unterstützt durch die
Regierung. Ich habe mich gefreut, als meine
Werke einfach von Bürgern diskutiert worden
sind, ohne vorher von der Regierung angefasst
worden zu sein. Aber selbstverständlich muss
ich zugeben, dass es mit Unterstützung der
Regierung um einiges schneller gehen kann,
Literatur zu verbreiten.
© Malte E. Kollenberg
M a n c h e M e n sc h e n sag e n , e s w i rd Z e i t f ü r Ko re a ,
e i n e n e i g e n e n S to l z , e i n e e i g e n e Le b e n sa r t z u
e n t wickeln . E t wa s, d a s ü b e r d a s S t re b e n n a c h
e in er bes seren Z u ku n f t h i n a u sg e h t. Wi e se h e n
S ie das ?
Verglichen mit unseren Vorfahren, leben wir
in einer weit glücklicheren Welt. Viele junge
Menschen haben unter Park Chung-hee sehr
unter fehlenden Freiheiten gelitten. In Familien
wurden Frauen schlecht behandelt. Heute ist
der Status der Frau völlig anders als früher. Die
Freiheit jedes Einzelnen ist heute weitreichender.
Ich sehe das als ein absolutes Zeichen für Vielfalt.
Unter den OECD-Mitgliedsländern nimmt aber
Korea eben auch den Spitzenplatz bezüglich
der Selbstmordraten ein. Gleichzeitig hat das
Land die niedrigste Geburtenrate. Diese Zahlen
zeigen, dass wir in einer hoffnungslosen Welt
leben. So kann es nicht weitergehen. Das passt
nicht zur 13. größten Volkswirtschaft der Welt.
Was würden S ie sich für die Z ukunf t des Landes
w ünsc hen?
Korea hat eine unvollständige Geschichte.
Das Einzige, was daran etwas ändern könnte,
wäre die Wiedervereinigung. Viele Länder
waren geteilt und sind heute wiedervereinigt:
der Jemen und Deutschland oder Vietnam.
Aber nicht viele Koreaner wünschen sich die
Vereinigung, das macht mich traurig.
Mein Traum ist die Wiedervereinigung, und den
werde ich nicht aufgeben. Die Sprache in beiden
Koreas hat sich unterschiedlich entwickelt.
Deshalb arbeite ich an einem Wörterbuch, das
diese Unterschiede berücksichtigt. Wenn es zu
einer Vereinigung kommt, werden wir mehr
Möglichkeiten haben, das Buch zu benutzen. In
fünf Jahren wird es fertig sein.
Glauben S ie, dass es so schnell auch eine
Wi ed er verei ni g ung g eben kö nnte?
Ich habe geweint, als Deutschland
wiedervereinigt wurde. Ich habe auch darüber
geschrieben. Einer meiner Leser hat mir damals
ein Stück der Berliner Mauer geschickt. Ich
wünsche mir sehr, ohne die Trennung am 38.
Breitengrad zu leben. Und ich bin sicher, in fünf
bis zehn Jahren wird es soweit sein.
Das Interview führte Malte E. Kollenberg
1 „Maninbo“ (Zehntausend Leben) ist ein 30-teiliges Gedichtepos. Seit Mitte der 1980er Jahre hatte
Ko Un daran gearbeitet, bevor er das Werk 2010 für abgeschlossen erklärte.
Foto: privat
sich der Übersetzung erwehren.
Alles Geschriebene ist der Weg des Autors, die
Welt in Worte zu übersetzen. Jedes Gedicht
ist lediglich eine Neuzusammensetzung von
Worten, die in anderer Form bereits bestanden
haben. Aus dieser Sichtweise bin ich lediglich ein
Übersetzer. Der Originaltext sollte deshalb in so
viele Sprachen wie möglich übersetzt werden.
Wenn das 20. Jahrhundert die Epoche der
Übersetzung war, wird das 21. Jahrhundert
hoffentlich die Epoche, in der die Unterschiede
zwischen Original und Übersetzung beseitigt
werden.
Malte E. Kollenberg,
aufgewachsen in Bonn
und Gummersbach, hat
in Bamberg und Seoul
Politik- und Kommunikationswissenschaft studiert.
2007 hat er zusammen
mit einem Partner das
Journalistenbüro KOLLENBECKER gegründet.
Jetzt lebt und arbeitet
er als Korrespondent in
Seoul.
25
KULTUR
KOREA
PERSPE KTIVENWECHSEL
Ein Bestseller
ist nicht in Sicht
Koreanische L iteratur in Deutschland verlässt
s elten die Nische
Von A nne S chnepp en
Das gilt allerdings nicht für die koreanische Buchkultur, die
in Deutschland nach wie vor ein Nischendasein fristet, ganz
im Gegensatz zu deutscher Literatur in Korea. Während
man dort Schiller, Goethe, Hesse und Hölderlin liest, sogar
zeitgenössische deutsche Romane auf der Bestsellerliste
landen, ist koreanische Literatur trotz vieler lesenswerter
Autoren hierzulande vor allem etwas für Liebhaber und
Spezialisten. Stichprobe in einer gut sortierten Berliner
Buchhandlung: Prosa aus Korea? Vorhanden, aber nicht
vorrätig. Die Verkäuferin antwortet knapp: „Wird nicht
verlangt.“
Viele Hoffnungen richteten sich 2005 auf die Frankfurter
Buchmesse, bei der Korea Gastland und Schwerpunktthema
war. Wer zuvor nichts von koreanischer Literatur gehört
hatte, kam jetzt nicht mehr um sie herum. Vom „Reiz
26
KULTUR
KOREA
des Fremden“ schrieb der Stern euphorisch, „vielfältig
und reizvoll“, lobte der Spiegel. Sieben Jahre danach ist
die Aufbruchstimmung verflogen. Nur selten erscheint
die Rezension eines koreanischen Buches im deutschen
Feuilleton. „Das Interesse an Korea als Literaturland ist noch
geringer als vor der Buchmesse“, konstatiert Verleger Günter
Peperkorn, dessen gleichnamiger Verlag nun schon seit 16
Jahren ungeachtet aller Trends und Moden koreanische
Literatur herausgibt. Rund 40 Titel hat er im Sortiment:
koreanische Prosa, Lyrik, Volksdichtung, renommierte
Autoren wie Ahn Jung-hyo, Kim Soo-young, Choi In-hun,
Oh Jung-hee. Einer der erfolgreichsten Bände ist ein
koreanisches Sprachlehrwerk, immerhin in der 3. Auflage.
„Zur Buchmesse ist Korea sehr gepusht worden, auch von
den Medien, die nach 2005 regelrecht übersättigt waren“,
sagt Peperkorn. Heute sei es „schwierig, ein koreanisches
Buch überhaupt auf den Tisch von Kulturredakteuren zu
bekommen“. Die Auflagen sind klein, ein Bestseller ist nicht
in Sicht. Und noch eine Erkenntnis: Lyrik läuft besser als
Prosa.
Nur wenige Verlage in Deutschland nehmen das Wagnis auf
sich, koreanische Literatur zu verlegen. Neben der Edition
Peperkorn aus dem ostfriesischen Thunum ist dies zum
Beispiel der Münchner Iudicium Verlag, der Übersetzungen
aus dem Koreanischen und Japanischen, Fachbücher und
auch Romane veröffentlicht. „Obgleich Deutschland und
Foto: Park Jeong-roh
W
er sich in Deutschland auf die Suche nach
Korea macht, wird schnell fündig: Jede
Menge Hyundais und Kias auf deutschen
Autobahnen. Flachbildschirm-Fernseher
von LG in den Wohnzimmern. Samsung-Smartphones
laufen Apple den Rang ab. In Berlin eröffnet derzeit alle
paar Monate ein neues Restaurant mit Bulgogi und Kimchi,
koreanische Filme locken nicht nur zur Berlinale Cineasten
ins Programmkino. Ganz zu schweigen von Taekwondo. Im
deutschen Alltag ist Korea sichtbarer denn je.
Der Dritte im Bunde, der Bielefelder Verleger Günther
Butkus (Pendragon), kam 1998 über Kim Wonils „Wind und
Wasser“ zur modernen koreanischen Literatur. Seither
publizierte der Pendragon Verlag eine ganze Reihe mit
30 Bänden, darunter Yi Munyol, Ahn Jung-hyo, Ko Un
und Lee Hochol. Koreanische Literatur sei nie der „große
Bringer“ gewesen, sagt Butkus, wenngleich manche Bücher
durchaus eine 2. Auflage erreicht haben. Daraus aber nun
abzuleiten, koreanische Literatur werde in Deutschland
stiefmütterlich behandelt, hält er – ebenso wie Peperkorn
– für unfair. Das Interesse an deutscher Kultur hat in
Korea eine lange Tradition, und es ist deutlich auf die
Vergangenheit gerichtet. Tatsächlich lasse auch in Korea
die Liebe zu den deutschen Klassikern, der deutschen
Sprache, der Germanistik inzwischen merklich nach, so
Butkus. Die vergleichsweise verhaltene Wahrnehmung
koreanischer Literatur in Deutschland sehen die Verleger
gelassen: Gleiches könne man auch für die Literatur des
afrikanischen und arabischen Raums, ja sogar für viele
europäische Länder sagen, deren Literatur in Deutschland
– von einzelnen bekannten Autoren abgesehen - letztlich
auch wenig gelesen werde. Wer kennt hierzulande schon
zeitgenössische griechische oder finnische Literatur? Und
auch für das literarisch vielseitige Japan ist Haruki Murakami
eine glückliche und untypische Ausnahmeerscheinung.
Im Übrigen sei Deutschland, so Butkus, „das Land mit der
größten Dichte an Übersetzungen“ – Korea hat auf dem
deutschen Buchmarkt viel Konkurrenz.
Was macht nun speziell koreanische Literatur zur schweren
Kost für den deutschen „Normalleser“? Liegt es an Themen,
Fremdheit, Qualität der Übersetzungen? Den oft ernsten
Stoffen - Bruderkrieg, Diktatur und Teilungstrauma -, die
Verständnis für Land, Geschichte und Kultur voraussetzen?
Die wenigsten Deutschen kennen Korea vom Reisen her,
was die Neugier beflügeln könnte. Christina Youn-Arnoldi,
Dolmetscherin und Übersetzerin aus Berlin, hat selbst einige
Bücher aus dem Koreanischen übertragen (zum Beispiel Yi
Munyols „Jugendjahre“ und Lee Hye-kyoungs „Das Haus auf
dem Weg“). Sie vermisst vor allem zweierlei: Unterhaltung
und Spannung. „Lange Zeit folgte koreanische Literatur
in erster Linie dem Anspruch, zu bilden. Es gab ernste
Literatur auf der einen und Comics auf der anderen Seite,
aber keine Trivialliteratur.“ Auch im Original sei koreanische
Prosa oft mühsam zu lesen, übersetzt würden vor allem
Bücher, die als literarisch hochwertig angesehen würden.
Was als „moderne Literatur“ aus Korea den deutschen Markt
erreicht, ist oft schon Jahrzehnte alt. Dabei gibt es, so YounArnoldi, seit einigen Jahren junge koreanische Autoren, die
mit unterhaltsamen und globalen Themen und Sprache
vielleicht gerade bei der jüngeren Lesergeneration gut
ankommen könnten.
Aus Sicht der Verleger ist manches besser geworden: Die
Qualität der Übersetzungen zum Beispiel, was Günter
Peperkorn unter anderem auf bessere Ausbildung
und Förderung zurückführt. Nicht unerheblich ist die
finanzielle Unterstützung durch private und staatliche
koreanische Stiftungen, die Übersetzungen ins Deutsche
und viele andere Sprachen überhaupt erst möglich
macht. Doch das ist nur die eine Seite. Ganz allgemein
ist das Buchgeschäft in den vergangenen Jahren hart
geworden, nicht nur, aber besonders für die kleinen
Verlage mit ihrem Nischensortiment. Amazon, E-Book,
veränderte Lesegewohnheiten stellen die Verleger vor
neue Herausforderungen mit ungewisser Zukunft. Da steht
vielen nicht mehr der Sinn nach Risiko und Experimenten.
Pendragon-Verleger Günther Butkus hat inzwischen die
Notbremse gezogen und sich vor zwei Jahren von der
koreanischen Literatur zurückgezogen, das Programm
insgesamt geschrumpft. Günter Peperkorn in Ostfriesland
macht weiter. Im nächsten Jahr kommen in seiner
koreanischen Reihe zwei neue Bände heraus, einer mit
Theaterstücken: „Der kleine Kreis interessierter Leser ist
immer noch da.“
Foto: privat
auch Korea Länder sind, die durch die Landesteilung etwas
gemeinsam haben sollten, scheint das Interesse an der
koreanischen Literatur bei uns eher gering zu sein“, erklärt
Aimée Dornier vom Iudicium Verlag. „Es liegt vielleicht
gar nicht so sehr an den Themen als an der Tatsache, dass
das Interesse an China und an Japan schon zu Beginn des
letzten Jahrhunderts sehr groß war und Korea nie so sehr
ins Blickfeld gerückt wurde. Es gibt viele Japanologen und
Sinologen, aber wenige Koreanisten. Auch nehme ich an,
dass die Deutschen eher nach China oder Japan reisen als
nach Korea.“ Eine Entwicklung hinsichtlich der Nachfrage in
den letzten Jahren kann man bei Iudicium nicht feststellen.
„Leider werden keine hohen Auflagen der Bücher verkauft.“
Anne Schneppen lebte
von 2005 bis 2007 mit
ihrer Familie in Seoul und
arbeitete von dort - wie
schon zuvor aus Tokio - als
Fernost-Korrespondentin
der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung. In Korea beschäftigte sie sich vor allem
mit politischen, aber auch
gesellschaftlichen Themen.
27
KULTUR
KOREA
PERSPE KTIVENWECHSEL
Eine wechselseitige Beziehung beruht
n i c h t n u r a u f L e i d e n s c h a f t,
sondern auch auf Struktur
Ko re an isch - de utsch e Lite ra t ur b e z ie hun ge n 7 Ja h re n a c h de m
G astlan dauf tritt Ko re a s a uf de r Fra n k f ur te r B uc h me sse
Von Juergen B o os
„Der koreanische Gastlandauftritt in
Frankfurt war einer der ästhetischsten,
schlüssigsten und eindrucksvollsten,
den ich je gesehen habe“, sagte mir
eine Kollegin neulich, die schon seit
Jahren mit der Koordination der
Gastlandauftritte betraut ist. Ich stimme
ihr zu: Auch mich hat der koreanische
Auftritt 2005 sehr berührt – es war nicht
nur das erste Mal, dass ich als Direktor
der Frankfurter Buchmesse ein Gastland
begrüßen konnte. Es war auch die
Art und Weise, wie die koreanischen
Organisatoren versuchten, uns, dem
Westen, Deutschland, ihr Land und ihre
Literatur näherzubringen. Kim Uchang,
der das Projekt von koreanischer Seite
aus leitete, sagte damals: „Unsere
deutschen Freunde sind immer wieder
überrascht, wie viel deutsche Kultur
in Korea bekannt ist – vor allem Ihre
Musik, Philosophie, Dichtung und Ihre
Erziehungstheorien. Leider ist dies
immer eine sehr einseitige Beziehung
gewesen. In Deutschland war man sich
dieser Tatsache kaum bewusst. Wir
glauben, dass … aus dieser bisher oft
unerwiderten Liebe eine wechselseitige
Beziehung werden sollte.“ Über 60
Autoren waren 2005 aus Korea nach
Deutschland gekommen, darunter
ausgezeichnete Schriftsteller wie Ko
Un, Hwang Sok-yong oder Yi Munyol,
aber auch jüngere Autoren wie Kim
Young-ha oder Han Kang. Rund 200
Veranstaltungen fanden statt.
Ein Grund für die beklagte „unerwiderte
Liebe“ war sicherlich damals die pure
Unkenntnis der deutschsprachigen
Leser. Als Lobby-Instrument für
28
KULTUR
KOREA
unbekannte Literaturen war das
Gastland-Prinzip der Frankfurter
Buchmesse 1976 eingeführt worden,
und es basiert bis heute auf einer
einfachen Erkenntnis: Fremde
Literaturen können ein Fenster
öffnen in andere Welten, sie können
Menschen zueinander führen, Fremdes
zu einem Teil des Eigenen werden
lassen. Tatsächlich war die koreanische
Literatur hierzulande vor 2005 fast
unbekannt, wenn überhaupt, wurde sie
von einem kleinen Kreis Eingeweihter
wahrgenommen, und vor allem im
politischen Kontext rezipiert. Gerade
einmal 20 Bücher jährlich waren
aus dem Koreanischen ins Deutsche
übersetzt worden, im Gastland-Jahr
stieg diese Zahl auf 100. Heute ist
die Zahl der Übersetzungen aus dem
Koreanischen ins Deutsche wieder
gesunken. Was heißt das nun für die
Verankerung der koreanischen Literatur
im deutschsprachigen Raum? Ist der
Versuch, das Fremde zu einem Teil
des Eigenen werden zu lassen, eine
wechselseitige Beziehung aufzubauen,
gelungen oder nicht?1
Es fällt mir schwer, hier konkret
zu werden, denn ich bin – trotz
der intensiven Berührung mit der
koreanischen Literatur 2005 – weit
davon entfernt, Experte zu sein. Eher
bin ich ein ganz normaler deutscher
Durchschnittsleser, mit einer
zugegebenermaßen großen Kenntnis
des internationalen Literaturbetriebs.
Deshalb kann ich allgemein sagen:
Heute sind Leser weltweit - nicht
zuletzt wegen des Internets und seiner
grenzüberschreitenden Wirkung –
viel eher daran gewöhnt, Fremdes zu
rezipieren. Gleichzeitig haben sich
viele Literaturen, auch die koreanische
Literatur, geöffnet für einen Leser, der
nicht unbedingt aus dem eigenen
Land stammt. Es gibt also einen Trend,
nicht nur das spezifisch „Eigene“ des
jeweiligen Landes ins Zentrum des
literarischen Schaffens zu stellen,
sondern sich zu öffnen für Themen,
die weltweit verständlich sind. Die
Zahl der Übersetzungen steigt nicht
nur in Korea stetig an, sondern auch in
Deutschland. Dieses verstärkte Interesse
an fremder Literatur hier wie dort macht
zuversichtlich.
Gleichzeitig ist klar, dass es sehr viel
Arbeit bedeutet, eine „wechselseitige
Beziehung“ aufzubauen, wie sie sich
die Organisatoren des Gastlandauftritts
damals wünschten. Denn eine
wechselseitige Beziehung beruht
nicht nur auf Leidenschaft, sondern
auch auf Struktur. Das heißt, dass eine
Literatur nur erfolgreich sein kann in
einem anderen Land, wenn sehr viele
Menschen sich dafür einsetzen und
begeistern, und wenn gleichzeitig
nachhaltige Instrumente der Förderung
von Literatur geschaffen werden.
Konkret heißt das: Kritiker, Übersetzer,
Lektoren, Verleger, Buchhändler – sie alle
sind Teil eines „Transmissionsriemens“,
der fremde Literatur „über-setzt“.
Dieser Transmissionsriemen braucht
Strukturen, um funktionieren zu können,
braucht Institutionen, Programme,
gezielte Förderung. Der GastlandAuftritt 2005 hat hier sicher einen
Anschub geben können. Ein Beispiel dafür
sind die Förderungen durch das staatliche
Literature Translation Institute Korea2, oder
auch die Tatsache, dass sich die koreanische
Botschaft insbesondere seit 2006 ausdrücklich
zum Ziel gesetzt hat, koreanische Literatur in
Deutschland zu verankern. Diese Strukturen
ermöglichen Begegnungen mit der Literatur,
geben aber auch finanzielle Anreize. Denn
die Übersetzungskosten sind für kleine und
mittlere Verlage oft entscheidend, wenn es um
die Frage geht: „Machen wir es oder machen
wir es nicht?“
© Frankfurter Buchmesse, Foto: Emmanuel Raab
Aus dieser Einsicht heraus – dass feste
Strukturen nötig sind, um den AnschubEffekt des Gastland-Auftritts nachhaltig zu
unterstützen – hat die Buchmesse schon
Anfang der 1980er Jahre mitgeholfen,
eine ganz spezielle Institution zu gründen:
„litprom - Gesellschaft zur Förderung der
Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika
e.V.“. Koreanische Literatur wird von der
litprom ebenfalls gefördert – 2011 standen
gleich drei koreanische Werke ganz oben
auf der „Bestenliste“ der litprom, einer Art
Empfehlungskanon: Ko Uns „Blüten des
Augenblicks“, Yi Munyols „Der Dichter“ und Jo
Kyung-Rans „Feine Kost“. Für mich persönlich
war das der Moment, in dem ich wieder
neugierig wurde auf die koreanische Literatur
– und damit anknüpfte an das Jahr 2005.
Juergen Boos studierte nach seiner Ausbildung zum Verlagsbuchhändler Betriebswirtschaftslehre in Mannheim. Er arbeitete einige
Jahre als Verkaufsleiter bei der Droemerschen Verlagsanstalt, im Literarischen Verlag,
Carl Hanser Verlag und im Springer Verlag in
Berlin, wo er anschließend als Leiter International Sales tätig war. 1997 wechselte er als
Bereichsleiter Marketing / Sales / Distribution
zum Verlag Wiley-VCH in Weinheim. Seit
April 2005 ist er Direktor der Frankfurter
Buchmesse.
In diesem Sinne wünsche ich der
koreanischen Literatur in Deutschland noch
mehr professionelle, leidenschaftliche und
neugierige Vermittler, die dazu beitragen,
dass aus der „unerwiderten Liebe“ eine
„wechselseitige Beziehung“ wird.
1 Siehe dazu den Beitrag: „Ein Bestseller ist
nicht in Sicht von Anne Schneppen in dieser Ausgabe (Anm. der Red.).
2 Siehe dazu den Beitrag „ Das LTI Korea“ von Dr. Stefanie Grote in dieser Ausgabe (Anm. der Red.).
29
KULTUR
KOREA
PERSPE KTIVENWECHSEL
Anita Djafari ist Geschäftsleiterin der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika,
Asien und Lateinamerika e.V. (litprom) und
Chefredakteurin der LiteraturNachrichten.
Sie hat u.a. die Weltempfänger-Bestenliste
mit initiiert. Studium der Germanistik und
Anglistik, ausgebildete Buchhändlerin,
nach dem Studium Tätigkeit in Verlagen,
3 Jahre Auslandsaufenthalt in Peru, dort
Gründung der Sprachschule ACUPARI, viele
Jahre freiberuflich als Übersetzerin, Lektorin
und Organisatorin von Veranstaltungen/
Lesereisen tätig.
Über das Nischendasein
d e r k o r e a n i s c h e n L i t e r at u r
in Deutschland – und Perspektiven
Inter view mit A nita D ja fari
litprom – die Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus
Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. tut seit mehr als 30
Jahren genau das, was ihr langer Name sagt. Litprom macht
sowohl Lobby-Arbeit für außereuropäische Literaturen,
also auch für die der asiatischen Länder und somit auch
für koreanische Literatur. Wir sind so etwas wie eine
„Anlaufstelle“ oder Nonprofit-Agentur. Das heißt, man kann
litprom Titel vorschlagen, denen man eine Übersetzung
ins Deutsche wünscht, und litprom informiert mit Hilfe von
Gutachten und Übersetzungsproben interessierte Verlage.
Darüber hinaus können Autoren oder einzelne Werke in der
Vierteljahreszeitschrift „LiteraturNachrichten“ vorgestellt
werden. Auf der von litprom herausgegebenen Bestenliste
„Weltempfänger“ empfiehlt eine Jury aus Literaturprofis
regelmäßig Belletristik aus Afrika, Asien oder Lateinamerika,
die bereits ins Deutsche übersetzt ist. Da waren auch
schon koreanische Titel dabei, von den Gedichten des
Nobelpreisanwärters Ko Un1 bis zum schräg-bissigen Roman
„Feine Kost“ von Jo Kyung Ran.2
30
KULTUR
KOREA
S ie haben 2005 anlässlich der Frankfur ter Buchmesse eine
Rei he vo n Lesung en i m Rahmen d es Ehreng ast-Auf tri tts
Korea organisier t. Wie war damals die Reaktion des
d eutsc hen Publ i kums?
Als ich damals als Freiberuflerin im Auftrag des koreanischen
Organisationskomitees (KOGAF) sämtliche Lesungen auf der
Buchmesse, aber vor allem die Lesereisen vor der Buchmesse
organisieren durfte, war ich beeindruckt von dem großen
Engagement der Koreaner für diesen Ehrengast-Auftritt:
Angefangen vom hohen Standard bei der ästhetischen
Ausgestaltung des Pavillons, der Professionalität und
Unermüdlichkeit der koreanischen Kollegen bis hin zum
Staunen darüber, wie gut sie Deutsch sprachen und sich
in der deutschen Literatur und Kultur auskannten. Das
war fast beschämend, weil wir umgekehrt so gut wie gar
nichts wussten. Trotzdem waren die Lesungen durchweg
gut besucht, von München über Ulm bis Heidelberg und
Hamburg fand sich interessiertes Publikum, das natürlich
zum Teil aus hier lebenden Koreanern bestand. Ich habe
bei Lesungen selten so gute Diskussionen danach und so
interessierte Besucher erlebt. Die koreanischen Auftraggeber
© Frankfurter Buchmesse, Fotograf: Nurettin Çiçek
Wa s t u t l i t p ro m ko n k re t f ü r d i e Fö rd e r u n g a s i a t i scher –
u n d s pe z iell ko re a n i sc h e r – L i te ra t u r ?
legten allerdings auch großen Wert auf äußerst sorgfältige
Vorbereitung, das hat sicher zu diesem erstaunlichen Erfolg
beigetragen.
Wa s i s t vo n d e r P rä se n z d e r ko re a n i sc h e n L i te ra t u r in
D eu t sch lan d gebl i e b e n – je t z t, n a c h s i e b e n Ja h re n ?
Ich fürchte, die vorbildlichen Anstrengungen, koreanische
Literatur hier vorzustellen, haben nicht zu dem gewünschten
Erfolg geführt. Letztendlich ist sie fremd geblieben, obwohl
eine enorme Bandbreite zu erleben war, von konventionell
erzählten und eher historischen Themen bis hin zu sehr
modernen Formen und Fragestellungen der jüngeren
Autorinnen und Autoren.
Wa s ka n n z u m Er fo l g d e r ko re a n i sc h e n L i te ra t u r
h ier z u lan de beit rag e n ? Wi e ka n n d i e „ Fre m d h e i t “ übersetz t
werden , so das s de r Le se r s i e s i c h a n e i g n e n , i n e t was
„ Ei g e n e s “ u mwa n d e l n ka n n ?
Wenn man genau hinschaut, passiert da trotz der eben
geäußerten Skepsis schon viel Gutes. Ich denke, es wäre ein
Fehler, die Texte in irgendeiner Form anpassen oder nach
unserem Geschmack aussuchen zu wollen. Gleichwohl
bedarf es sehr kompetenter Übersetzer/innen und Lektoren,
die souverän mit der „Fremdheit“ der Themen und deren
Umsetzung umzugehen wissen. Es gibt zum Beispiel einige
sehr gute Übersetzer/innen-Tandems, die diesen Transfer
ausgezeichnet hinbekommen, weil sie ihre Kenntnisse aus
beiden (Sprach-) Welten zusammenbringen. Natürlich gelingt
das auch alleine, aber die Anforderungen, auch an das
Lektorat, sollte man nicht unterschätzen.
Hier gilt für Korea das, was für andere fremdsprachige
Literaturen auch gilt: Hilfreich für Übersetzer sind
Übersetzungs-Workshops und Austauschprogramme. Kurz:
gegenseitiges Kennenlernen auch unter Einbeziehung von
Kritikern und Verlagsmenschen.
Gut organisierte Veranstaltungen können helfen, auch ein
Nobelpreis kann einiges bewirken. (lacht)
M ang el t es vi el l ei c ht auc h an Kennern unter d en
Re zensenten und L i tera turk ri ti kern?
Selbst wenn unter den Literaturkritikern und –redakteuren
vielleicht noch nicht allzu viele Kenner sind: Gute welthaltige
Literatur erschließt sich auch ohne ausgesprochene
Spezialisierung. Es bedarf nur einiger Geduld und
Hartnäckigkeit auf der einen und Offenheit auf der anderen
Seite.
I n drei S ä tzen: Welchem Werk der koreanischen Litera tur
wünschen Sie mehr Aufmerksamkeit im deutschsprachigen
Raum – und warum?
Schon 2003 hat Oh Jung-Hee den Frankfurter LiBeraturpreis3
für ihren Roman „Vögel“ bekommen. Diesem warmherzigen
sensiblen Buch über zwei verlassene Kinder wünsche ich
sehr viele Leser/innen, die Autorin gilt als Grande Dame
der koreanischen Literatur. Und wer Gedichte mag, dem
empfehle ich „Blüten des Augenblicks“4 des ‚größten
lebenden Zen-Dichters‘ Ko Un.
Das Interview führte Nina Klein
(Frankfurter Buchmesse)
Weitere Informationen unter: www.litprom.de
1 Siehe dazu den Beitrag: „Literatur um ihrer selbst Willen – ein Gespräch mit Ko Un (고은)“ von Malte E. Kollenberg in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).
2 Siehe dazu LESEPROBE: Jo Kyung Ran in Kultur Korea, Ausgabe 2/2011 (Anm. d. Red.).
3 Der „LiBeraturpreis“ ist ein Literaturpreis, der seit 1987 vom Ökumenischen Zentrum Christuskirche in Frankfurt am Main an Autorinnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika vergeben wird
(http://de.wikipedia.org/wiki/LiBeraturpreis).
4 Siehe dazu die Gedichtauswahl auf S. 44 in dieser Ausgabe (Anm. d.
Red.).
Bra u c h e n w i r m e h r Ve r l ag e, d i e s i c h a u f ko re a n i sc he
L i te ra t u r s p e z i a l i s i e re n ?
Spezialisierte Verlage gibt es ein paar wenige, aber die haben
das Problem, dass sie nur in der Nische existieren, und in die
Nische fällt nicht unbedingt immer ausreichendes Licht. In
den Publikumsverlagen gibt es durchaus Lektoren, die sich
für koreanische Literatur einsetzen.
31
KULTUR
KOREA
PERSPE KTIVENWECHSEL
„In Korea wird sehr gerne gelacht!“
I n t e r v i e w m i t F r a n z i sk a B i e r m a n n ,
Bestsellerautorin auf dem
koreanischen Kinderbuchmarkt
Wie kam I h r er s ter Kon ta k t n a c h Kore a z u s ta n d e ?
Ihr B uc h bi l d ete al so d i e Vo rl ag e zu ei nem M usi cal ?
Mein Buch „Herr Fuchs mag Bücher” erschien 2001 im Rowohlt
Verlag in Deutschland. Die Geschichte von Herrn Fuchs, der
Bücher so gerne hatte, dass er sie am liebsten mit Salz und
Pfeffer verspeiste, löste bei vielen Buchliebhabern große
Freude aus, und schnell wurde das Buch bekannt und beliebt.
Rowohlt arbeitete mit einer koreanischen Agentur, für
die SoonSeop Song tätig war: Bis heute betreut er meine
Bücher auf dem koreanischen Markt, und dafür bin ich ihm
sehr dankbar. Er verstand meine Sprache, erkannte, dass
Philosophie und Humor des Buches bestens nach Korea
passten, und konnte das Interesse des Verlags GimYoung
wecken. GimYoung verdanke ich nicht nur gutes Marketing,
sondern auch eine wunderbare Übersetzerin für den FUCHS:
Kyung-Yun Kim übertrug den Text sensibel und den Witz
erhaltend.
Ja, „Herr Fuchs mag Bücher” wurde auch schon in Deutschland
als Theaterstück auf die Bühne gebracht, aber in Korea hat man
daraus ein für deutsche Verhältnisse ziemlich schrilles Musical
gemacht. Dort spielen neben Herrn Fuchs auch ein Salzstreuer
und eine Pfeffermühle in den Hauptrollen. Die Musik ist
stilistisch an den aktuellen K-Pop angelehnt, und die Handlung
wird mit allerlei modernen Soundeffekten akzentuiert.
Im letzten Jahr kam dann eine Einladung aus Changwon.
Auf Frau Kims Empfehlung hin wurde ich gebeten,
die erstmals dort stattfindende Kinder- und
Jungendbuchmesse zu eröffnen. So reiste ich
also am 25. Oktober 2011 zusammen mit
meiner Agentin Susanne Koppe für eine
Woche nach Korea. Es war mein erster Besuch
in Asien überhaupt, und ich war sehr gespannt
auf dieses Land, seine Kultur, insbesondere seine
Buchkultur.
Ich wurde dort unglaublich freundlich empfangen. Für die Zeit
meines Aufenthaltes wurde mir eine Dolmetscherin zur Seite
gestellt, die mir viele spannende Gespräche und Begegnungen
ermöglichte. So besuchte ich zum Beispiel die Kyungnam
University und hatte dort ein Gespräch mit Literaturstudenten
und Professoren. Ich las aus meinem Buch in der großen
Kinderbibliothek, National Library for Children & YA in Seoul,
besuchte das Musical, das in Anlehnung an „Herrn Fuchs”
ebenfalls in Seoul gespielt wurde und hatte natürlich jede
Menge Kontakt zu meinen Lesern, den koreanischen
Kindern.
32
KULTUR
KOREA
Während ich das Musical in Seoul anschaute, stellte ich mir
ein Gastspiel des Stückes in Deutschland
vor... und dachte, hier würden einige
Kinder vermutlich, geschockt von so viel
poppigen Regieideen, schon nach zehn
Minuten anfangen zu weinen - oder
vielleicht zu tanzen beginnen? - Mir hat
es jedenfalls ganz toll gefallen!
Wie is t die Reson a n z a u f I h re B ü c h e r i n
Ko re a ?
Der Erfolg von „Herrn Fuchs” auf dem
koreanischen Markt war für mich eine
totale Überraschung. Das Buch ist in Korea
tatsächlich ein absoluter Bestseller, bis
heute wurde es über 700.000 Mal verkauft.
Auch meine späteren Titel „Der faule
Kater Josef” und „Der magnetische Bob”
scheinen richtig gut anzukommen, die
Gesamtauflage meiner Bücher liegt bei
über einer Million.
Foto: Franziska Biermann/ Susanne Koppe
Wie er klären S i e s i c h d i e se n E r fol g ?
Nachdem ich aus der Ferne vor allem
kulturelle Gründe für den Erfolg meiner
Bücher in Korea verantwortlich gemacht
habe, wurde ich bei meinem Besuch dort,
in den Gesprächen besonders mit Eltern
und Kindern, aber auch noch auf eine
sozialpolitische Komponente aufmerksam,
die ich ohne Kenntnisse der koreanischen
Wirklichkeit sicher übersehen hätte.
Wie ich in Gesprächen erfuhr, ist der
enorme Leistungsdruck, dem Eltern
wie Kinder in Südkorea standhalten
müssen, nahezu unerträglich. Der in der
koreanischen Gesellschaft offensichtlich
feste Glaube, dass nur durch Fleiß
erzeugte Leistungen auch gute,
erfolgsversprechende Leistungen sind,
treibt viele Familien zu einer Art „BildungsWettkampf”. Neben allgemeinen
Nachhilfekursen und diversen sportlichen
und musischen Bildungsangeboten gibt
es für Kinder in Korea nur noch sehr wenig
Zeit für Muße und Kreativität. Der kreative
Freiraum wird enorm eingeschränkt,
vielleicht, weil er eben auch das Risiko des
Scheiterns beinhaltet.
Für mich ist Humor und der liebevolle
Blick auf die Unzulänglichkeiten meiner
Charaktere die Basis aller meiner
Geschichten. In „Herr Fuchs mag Bücher”
ist der, hier aus der Not geborene, kreative
Umgang mit Bildung ein Aspekt, der mit
Sicherheit auch für die Popularität der
Geschichte bei koreanischen Eltern und
Kindern verantwortlich ist. Herr Fuchs ist
ein Underdog, der sich durch die eigene
Kreativität nicht nur selbst aus der Patsche
zieht, sondern seine Lage noch verbessert,
sogar reich und berühmt wird. Vielleicht
ist das der schöne Traum, von dem
koreanische Kinder wie Eltern gemeinsam
träumen möchten.
Neben meinem grafischen Stil, der
offensichtlich in Korea sehr gut ankommt,
ist es aber auch der leicht schräge Humor,
den ich mit meinen koreanischen Lesern
teile. Das habe ich auch bei meiner Reise
gemerkt: In Korea wird sehr gerne gelacht!
Was waren für Sie die prägendsten
Er lebnisse auf I hrer A utorenreise nach
Ko rea?
Meine siebentägige Reise war gesäumt
von Terminen mit Menschen, die mehr
über mich wussten, als ich über sie — das
war insgesamt einfach überwältigend.
Alles in allem war ich begeistert von
der Freundlichkeit, mit der ich überall
aufgenommen wurde. Ich war bei
Autogrammstunden verblüfft, wie viele
koreanische Kinder meine Bücher kannten,
schätzten und Spaß daran hatten, sich
beim Fuchsmaskenbasteln selber in
kleine Lesefüchse zu verwandeln. Das
Treffen mit den Literaturprofessoren und
Studenten an der Kyungnam University
war auch ziemlich beeindruckend. Wenn
einem solche Ehre und Aufmerksamkeit
zuteil wird, fühlt man sich plötzlich ganz
seltsam... ein Tässchen Tee im Büro des
Dekans! Dazu habe ich es in Deutschland
noch nicht gebracht.
Illustrationen: Franziska Biermann
Das Interview führte Gesine Stoyke
Franziska Biermann studierte an der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung. Seit 1999 schreibt und zeichnet sie
Kinderbücher in der Hamburger Ateliergemeinschaft Freudenhammer. 2002 erhielt Franziska Biermann für ihr Buch „Herr
Fuchs mag Bücher“ den Troisdorfer Bilderbuchpreis. Seit 10 Jahren sind ihre Bücher kontinuierlich auf den Bestsellerlisten
in Korea.
33
KULTUR
KOREA
„In Korea gibt es eine i mm e r l e b e n d i g e r u n d s e l b s t b e w u ss t e r werdende Kinderbuchszene“
Inter view mit der Litera turagentin S usanne Kopp e
34
KULTUR
KOREA
Wi e l ä s st si c h Ihrer A nsi c ht nac h d er
E r fol g a usl änd i sc her K i nd erbüc her auf
d e m koreani sc hen B uc hmark t erk l ären?
Ich denke, es gab lange Zeit ein gewisses
Vakuum, die so rasant vom Agrarstaat
zur Industrienation umstrukturierte
koreanische Gesellschaft brauchte
einfach „Lesestoff“. Und man war sicher
neugierig auf die Welt außerhalb Asiens.
Mit den unmittelbaren Nachbarn
Japan und Nordkorea hatte man kein
unbeschwertes Verhältnis, China
war wirtschaftlich und politisch kein
Vorbild. Also orientierte man sich am
Westen und holte sich die fremde
Kultur sozusagen ins Haus. Bis heute
erhoffen sich offensichtlich viele
Koreaner, dass ihre Kinder durch Lesen
gebildet werden – und, das sollte man
nicht vernachlässigen, man genoss
wohl einfach, dass man sich all diese
Importe leisten konnte, dass plötzlich
so eine ungeheure Auswahl in den
Buchläden vorhanden war und ist:
In Korea liest man offensichtlich sehr
gerne. Sehr beeindruckend für mich war
in diesem Zusammenhang der Besuch
der Kinderbibliothek in Seoul, die auf
einem Topniveau arbeitet, und in der
Verlagsstadt am Stadtrand von Seoul:
Das ist ein bisschen wie ein literarisches
Hollywood.
Das Interview führte Gesine Stoyke
Susanne Koppe studierte
Germanistik in München
(Magister Artium) sowie
Children`s Literature am
Simmons College in Boston
(Master). 1989 stieg sie als
literarischer Scout und als
Übersetzerin ins Verlagsgeschäft ein, außerdem schrieb
sie für DIE ZEIT, SZ und
andere Medien. 1997 wurde
Koppe Programmleiterin
in der Redaktion Rotfuchs
des Rowohlt Verlags. 2002
gründete sie in Hamburg
die Agentur „AUSERLESEN
– AUSGEZEICHNET“ für
Literatur und Illustration.
Mit Franziska Biermann
verbindet sie seit über fünfzehn Jahren eine intensive
freundschaftlich-kreativegeschäftliche Beziehung,
die auch in gemeinsamen
Büchern mündete.
Foto: Set Byol Oh
Zunächst einmal die große
Gemeinsamkeit: In beiden Ländern
gibt es eine sehr internationale
Kinderbuchwelt; der Anteil von
Übersetzungen ist groß. Und in
beiden Ländern hat das historische
Gründe: In Korea ist die eigenständige
Kinderliteratur relativ jung, in
Deutschland gab es nach dem Zweiten
Weltkrieg eine bewusste Öffnung
allem Internationalen gegenüber.
Momentan scheint sich hier jedoch ein
Wandel zu vollziehen: In Korea gibt es
offensichtlich eine immer lebendiger
und selbstbewusster werdende
Kinderbuchszene, langsam beginnt
man sich nicht nur als Lizenzeinkäufer,
sondern auch als Verkäufer zu
betrachten. Im deutschsprachigen
Raum ist die Infrastruktur hier schon
viel ausgeprägter, es gibt bereits
Weltklassiker wie Erich Kästner, Christine
Nöstlinger, Helme Heine oder Cornelia
Funke. Dennoch hetzt der deutsche
Buchmarkt den internationalen FantasyBestsellern hinterher, besonders
gerne den „all-age-Titeln“ [Titel für alle
Altersstufen]. In Korea scheint man
da ein klein wenig gelassener zu sein,
baut eher auf Bücher für etwas jüngere
Leser, die noch ihre Lesekompetenz
üben sollen. Oft sind koreanische
Lizenzausgaben von unseren Titeln
grafisch schöner gesetzt und auf
wunderbarem Papier gedruckt, dazu gibt
es sehr ansprechende und gut gemachte
Werbemittel. Man merkt deutlich, dass
in diesem Land sehr viel Wert auf gute
Illustrationen und Ausstattung gelegt
wird, und es gibt auch großartige
Kinderbuchillustratoren im Land. Ganz
wunderbar ist zum Beispiel das auch
ins Deutsche übertragene Bilderbuch
WOLKENBROT von Baek He Na und Kim
Hyand Soo (Mixtvision Verlag).
Foto: Markus Abele
Inwiefer n u n ter sch e i d e t si c h I h re r
Ein sch ä t z u n g n ach d e r d e u t sc h e vom
ko re a n i sc h e n K i n d e r b u c h m a r k t ? We l c h e
Tren ds h er r sch en vor ?
PERSPEKTIVENWECHSEL
Weiblichkeitsentwürfe
u n d Fa m i l i e n m o d e l l e i n d e r
e u r o pä i s c h e n u n d k o r e a n i s c h e n
L i t e r at u r
Von D r. Sylvia Bräsel
F
rauenfiguren wie die Heilige Johanna, Iphigenie,
Julia, Emilia, Sim-Cheong (심청), Chunhyang
(춘향), Madame Bovary, Donna Anna oder
Anna Karenina durchziehen die Literaturen
und geben Auskunft über historisch gewachsene
Weiblichkeitsvorstellungen. Diese Entwürfe von
Weiblichkeit pendeln zwischen aufopferungsvoller
Hausfrau/Tochter, Heiligenfigur, Amazone und Hure. Die
dämonischen Verführerinnen (wie z.B. Pandora oder die
Fuchsfee 狐狸精 hǔlijīng in der chinesischen Mythologie)
machten im 20. Jahrhundert unter dem Begriff „Femme
Fatale“ Schlagzeilen. Hinzu treten bereits in den Mythen
und Märchen starke oder ambivalente Mutterfiguren.
So offenbaren die „erzählten Familien“ bis in die jüngste
Vergangenheit (z.B. bei Lee Kwang-Su , Theodor
Fontane etc.) und Gegenwart (z.B. Ingeborg Bachmann,
Pak Kyongni, Christa Wolf, Oh Jung-Hee, Han Kang,
Judith Hermann) hinein patriarchalisch geprägte
Geschlechteridentitäten, die mit der Funktionalisierung
von Rollen verbunden sind. Die Thematik spiegelt auf diese
Weise auch politische, religiöse, soziale und ökonomische
Machtverhältnisse und Hierarchien, die bereits in den
Mythen und Märchen der Völker aufscheinen.
Familienbeziehungen und Geschlechterdarstellungen sind
somit ein unerschöpfliches Thema in Literatur und Kunst.
Sie eröffnen die Möglichkeit, Alltag und Lebensformen
in Geschichte und Gegenwart über Kulturgrenzen
auszuloten und legen damit zugleich die Ursachen
gesellschaftlicher Strukturen frei. Natürlich ist es für eine
solche vergleichende Studie notwendig, die Einbettung in
die jeweiligen philosophischen und sozialen Systeme zu
beachten.
So ist es von Bedeutung, dass sowohl im Protestantismus
nach Luther (1483 - 1546 ) als auch im Neo-Konfuzianismus
(Yul Gok (1536–1584); 율곡 ) der Stellenwert der Familie an
Bedeutung gewann.
Im Kontext der jeweiligen Traditionslinien bietet sich so u.a.
ein Vergleich von Werken wie „Emilia Galotti“ von Lessing,
„Iphigenie auf Tauris“ von Goethe und „Sim-Cheongga“
(심청가)1 an.
Die Stoffe wurden alle wiederholt bearbeitet. Das spricht
für die Bedeutung der Problematik. Allein von Sim-Cheong
sollen – nach Recherchen des renommierten koreanischen
Germanisten und Pansori-Sängers Ahn Mun-Yeong, dem
ich für Hinweise zur Thematik verbunden bin - ca. 110
Versionen der Sage, ca. 85 Handschriften und ca. 20 Pansori
(판소리) - Fassungen existieren. Iphigenie wurde u.a. von
Sophokles, Euripides und Goethe gestaltet. Lessing griff auf
eine Vorlage von Livius zurück.
Gemeinsam ist den Texten das Opfer der Tochter für
das männliche Familienoberhaupt. Die geschilderten
dramatischen Familienschicksale beschreiben über
Kulturgrenzen fassbare existenzielle Grundsituationen des
Menschen.
Jedoch werden bei näherer Betrachtung kulturell (wie
philosophisch) bedingte Unterschiede sichtbar. Der
egozentrische Tyrann Eduardo Galotti treibt die naive und
nach den Ideen der Aufklärung unmündige Tochter Emilia
zum Selbstmord. Der Vater (Agamemnon) von Iphigenie
möchte ebenfalls aus machtpolitischen Eigeninteressen die
Tochter zum Opfertod zwingen. Aber – zumindest in den
Fassungen von Euripides und Goethe – weigert sich die
kluge Iphigenie und wird von der Göttin Diane gerettet.
Sim-Cheong hingegen trifft ihre Entscheidung selbst
aus einer tiefen Überzeugung der kindlichen Pietät und
Elternliebe heraus. Interessant ist, dass ihr Vater, der
blinde Sim, gegen das eingeforderte Menschenopfer (der
Seeleute) Anklage erhebt, da auch hier die Opferung nur
strategischen Interessen und der materiellen Gier dienen
soll.
Die Darstellung des Spannungsfeldes Humanität - Barbarei
verbindet wiederum die Werke aus Europa und Korea,
wenn auch unterschiedliche kulturelle Strategien dafür
eingesetzt werden.
Der Ausspruch von Goethe: „Alle menschlichen Gebrechen
sühnt reine Menschlichkeit“ im Zusammenhang mit der
Entstehung des Werkes „Iphigenie auf Tauris“ symbolisiert
diese kulturübergreifende Botschaft auf spezifische Weise.
35
KULTUR
KOREA
36
KULTUR
KOREA
Beziehungen erreicht. Misstrauen, Egoismus und
Liebesunfähigkeit offenbaren sich hinter der Fassade einer
im geruhsamen Wohlstand dahinlebenden Familie der
Mittelschicht. Ein Mord und eine klingende Weihnachtskarte
erinnern an das Verdrängen der eigenen Biografie, an
Schuld aus Gedankenlosigkeit und menschliches Versagen.
Die Erzählung „Krismas Kaereol“ (in deutscher Übertragung:
„Klingende Weihnachtsgrüße“: In: „Koreanische Erzählungen“,
Hrsg. Von Sylvia Bräsel & Lie Kwang-Sook, dtv, München 2005,
S. 119 – 147) liefert ein erbarmungsloses Psychogramm
einer „polierten“ Gesellschaft, die „ihr Gesicht“ zu verlieren
droht. Dabei werden zwischen Mann und Frau kaum mehr
Unterschiede sichtbar. Freundschaft wie Liebe und Treue
entpuppen sich als entleerte Rituale. Hier schließt sich der
Kreis.
Die Thematik versteht sich so auch als übergreifender
Impuls im Umgang mit Lebensentwürfen und Sinnfragen
menschlicher Existenz.
1 Siehe dazu den Beitrag: „Das Meer in Pansori-Gesängen“ von Matthias R. Entreß in Kultur Korea, Ausgabe 3/2012 (Anm. d. Red.).
Foto: privat
In diesem Sinne agiert Sim-Cheong als ein Musterbeispiel
für konfuzianistische Grundnormen wie Mitmenschlichkeit
(仁),Gerechtigkeit (義) und kindliche Pietät (孝). Hier wird
bereits deutlich, dass insbesondere der Neo-Konfuzianismus
die menschliche Ordnung im Diesseits als zentralen
Gegenstand seiner für andere Anschauungen (Daoismus,
Buddhismus, Schamanismus) offenen Lehre begreift. Das
Handeln von Sim-Cheong symbolisiert beispielhaft das
konfuzianistische Pflichtbewusstsein. Dabei vereinen
sich buddhistische, schamanistische, daoistische und
konfuzianistische Elemente. Ihr Treffen mit der verstorbenen
Mutter symbolisiert auf daoistische Weise ihre Elternliebe.
Der Mythos der Augenöffnung für den blinden Sim und
andere Blinde belegt die buddhistische Nächstenliebe
– neben dem konfuzianistischen Pflichtbewusstsein
der Tochter für den Vater. So steht hier am Ende das
buddhistische Prinzip der Kausalität: Nächstenliebe,
Aufopferung und Pflichtbewusstsein werden belohnt. Auf
einer Lotosblüte kehrt Sim-Cheong in die Welt zurück.
Die demonstrierte Multireligiosität erinnert an das Modell der
Toleranz gegenüber den Religionen in Lessings „Nathan der
Weise“. Aktuell betrachtet erscheinen diese Überlegungen
als bedenkenswerte Modelle für geistige Toleranz bzw.
neue Formen interreligiöser Toleranz zum Nutzen einer
konstruktiven Verständigung in einer zunehmend
materialistisch geprägten (konfrontativen) globalen Welt mit
entfremdeten zwischenmenschlichen Beziehungen etc.
Betrachtet man die Literatur in Südkorea wie im
deutschsprachigen Raum in den letzten Jahrzehnten, so
lassen sich weitere Parallelen finden.
Der Dramatiker Oh Tae-Suk hat u.a. in seiner Bearbeitung
des Sim-Cheong-Stoffes (1994) den Mythos für heutige
Fragen problematisiert. In der Tradition eines Heiner Müller
oder Thomas Bernhard spielt er Korruption, Käuflichkeit und
Verrohung einer modernen Konsumgesellschaft ins Extreme
gesteigert durch. In dem auch auf Deutsch publizierten
Stück (vgl. „Warum das Mädchen Sim-Tscheong zweimal ins
Wasser ging“; Edition Peperkorn, Göttingen 1996 - aus dem
Koreanischen von Kim Miy-He & Sylvia Bräsel) gibt es keine
Erlösung mehr.
Schon in Ingeborg Bachmanns Erzählung „Undine geht“
werden korrespondierende Fragen angesprochen, die
die 1970 geborene Autorin Judith Hermann mit ihrem
programmatischen Erzählband „Sommerhaus, später“ weiter
führt. Die ebenfalls deutlich konstruierten Handlungen in
Werken jüngerer koreanischer Autoren wie Han Kang (*1970)
und Kim Young-Ha (*1968) erzählen „mit koreanischen
Augen“ von alltäglicher Entfremdung in einer anonymisierten
Umwelt, von Liebesunfähigkeit, Anpassung, Verlust an
Gemeinsamkeit zwischen Fiktion und Illusion, Bewusstem
und Unbewusstem bis hin zu traumatischen Verstrickungen
und durchgespielten Aggressionen.
Bei Kim Young-Ha hat der „Krieg“ regelrecht die privaten
Dr. Sylvia Bräsel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Bereich Neuere Deutsche
Literaturwissenschaft an
der Universität Erfurt und
hat zahlreiche Werke der
koreanischen Literatur ins
Deutsche übersetzt. Sie
geht einer kontinuierlichen
Lehr- und Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der
Kulturbeziehungsforschung
und der vergleichenden Literaturwissenschaft mit dem
Schwerpunkt Korea nach.
Darüber hinaus setzt sie
sich unter anderem für
die Pflege der Austauschbeziehungen der Universität
Erfurt zu Korea sowie
für die Vorstellung moderner südkoreanischer
Autoren in Deutschland ein.
VON DER KUNST DES ÜBERSETZENS
D a s LTI K o r e a
( L i te r at ure Tra n s l atio n I n s titu te o f Ko re a)
Von D r. Stefanie Grote
Copyright © 2012 by Literature Translation Institute of Korea
K
ultur spiegelt sich in den literarischen Arbeiten,
die sie hervorbringt, weshalb Literatur das beste
Medium sei, eine andere Kultur zu verstehen,
ist Kim Seong-Kon, Geschäftsführer des LTI
Korea, überzeugt und bezeichnet diese Annäherung als
„intellektuelles Abenteuer“. Um andere Kulturen über Korea
zu informieren sei es unerlässlich, Übersetzungen engagiert
voranzutreiben.
Übersetzen sei ein Akt des Anklopfens und des Öffnens der
Tür zur Welt, überschreibt das LTI Korea auf der Website das
eigene Logo.
Das 1996 gegründete LTI Korea untersteht dem Ministerium
für Kultur, Sport und Tourismus Korea und hat es sich zur
Aufgabe gemacht, mittels finanzieller Unterstützung für
Übersetzer und Verleger, der Förderung internationaler
Austausch- und Trainingsprogramme für literarische
Übersetzer sowie der Vergabe von Stipendien für Studenten,
die Verbreitung koreanischer Literatur und Kultur im Ausland
zu fördern. Die Institution will mit qualitativ hochwertigen
Übersetzungen in jede erdenkliche Sprache eine breite
internationale Leserschaft koreanischer Literatur gewinnen
und fokussiert hierbei auf literarische, gesellschafts- und
geisteswissenschaftliche Texte sowie auf Kinderbücher.
Es besteht aus zwei Kreisen: der kleinere im oberen Teil
repräsentiert die Welt, in der wir leben, während der äußere
Kreis den Türring einer traditionellen koreanischen Haustür
darstellt. Dieser steht für besagten Akt des Anklopfens
von Seiten des LTI Korea, um Zutritt zu der literarischen
Weltgemeinschaft zu bekommen.
Mit Hilfe von Zuschüssen sollen die Publikationskosten
für Verleger im Ausland gesenkt werden. Die Höhe der
finanziellen Unterstützung hängt vom Genre des Buches
und der Reputation des Verlegers im Ausland ab. In
Zusammenarbeit mit zuständigen Agenturen im In- und
Ausland plant und unterstützt das LTI Korea verschiedene
Literaturveranstaltungen, entsendet koreanische Autoren
ins Ausland, unterstützt Workshops für koreanische
Literatur jenseits der Landesgrenzen und lädt Schriftsteller,
Verleger, Übersetzer und Journalisten aus der ganzen
Welt zu Literaturfestivals, Seminaren, Austausch- oder
Aufenthaltsprogrammen nach Korea ein. Das LTI Korea
veranstaltet Aufsatzwettbewerbe in Kooperation mit
Koreanistik-Abteilungen der Universitäten und Koreanischen
Kulturzentren im Ausland, um das Bewusstsein für
koreanische Literatur auf internationaler Ebene zu fördern.
Weitere Informationen unter:
http://www.klti.or.kr
LTI Korea ist Herausgeber des
Quartalsmagazins list_Books
from Korea und informiert
über Publikationen auf dem
koreanischen Buchmarkt. Die
Printausgabe erscheint auf
Englisch und Chinesisch.
37
KULTUR
KOREA
VON DER KUNST DES ÜBERSETZENS
„ A l s P r e i s t r äg e r wä r e ich nicht stolz, sondern g lü c k l i c h “
Inter view mit dem Üb ersetzer Hans-J ürgen Zab orow sk i
D e r Foku s Ihrer w i ssensc haf tl i c hen
A u se i n a n dersetzung liegt von jeher auf
O sta s i e n , i nsbeso nd ere auf Ko rea. Wi e
e r k l ä r t s i ch Ihr besonderes Interesse für
d i e se s La nd ?
Ich hatte immer besonderes Interesse
für alles, was nicht augenfällig ist, was
nicht zum Mainstream gerechnet wird –
oder nicht dazu gehört. Mein Interesse
an und meine Beschäftigung mit Asien
von Indien an ostwärts reicht weit in
meine Gymnasialzeit zurück. Immer
wieder wurde ich darauf gestoßen,
dass es zu vielen Bereichen der meisten
asiatischen Kulturen Material gab – aber
kaum zu Korea. Ich empfand das als
Herausforderung und fasste früh den
Entschluss, die Sprache dieses Landes
zu lernen, um damit eigene Lücken –
und auch blinde Flecken in den Augen
der Asienwissenschaften zu beseitigen.
Nach dem Abitur studierte ich an der Uni
Frankfurt/M. „Ostasiatische Philologie“
und „Geschichte und Kultur Ostasiens“,
wobei der Schwerpunkt immer mehr auf
Korea lag. Begegnungen mit Koreanern
haben dann auch das Interesse verstärkt.
D a s kore a n i sc he A l phabet Hang eul
g i l t a l s e i n es d er w i ssensc haf tl i c hsten
S c h r i f t sy steme d er Wel t. Mi t
we l c h e n B esonderheiten sind S ie als
Ü b e r se t ze r eben d i eses S c hri f tsy stems
kon fron t i er t?
Es mag merkwürdig sein: die
Wissenschaftlichkeit der koreanischen
Schrift, bei deren Schöpfung
Prinzipien der modernen strukturellen
Sprachwissenschaft vorweggenommen
wurden - mit den einfachen grafischen
Zeichen - ist tatsächlich leicht zu lernen.
Aber: dem gegenüber steht eines der
38
KULTUR
KOREA
kompliziertesten Lautsysteme.
Diese beiden Seiten zur Deckung zu
bringen, das war, ja, schweißtreibend.
Beim Übersetzen von Texten gibt es
nur Schwierigkeiten mit relativ neuen
Texten, die im Zuge der Globalisierung
Fremdwörter „koreanisieren“ – was
zwangsläufig den Rückgriff auf die
Herkunftssprache, die man aber erst
einmal identifizieren muss, notwendig
macht. Das ist nicht immer einfach, denn
die entsprechenden Nachschlagewerke
hinken dem aktuellen Sprachstand
immer mehrere Jahre hinterher.
Si e g el ten al s DER Übersetzer und
Kenner ko reani sc her L i tera tur. Ih r Na me
wird insbesondere mit dem berühmten
Ly ri ker Ko Un i n Verbi nd ung g ebra cht,
dessen Werke S ie der deutschen
Lesersc haf t zug äng l i c h g emac ht ha b en.
Was ist aus I hrer S icht das Besondere an
d er Perso n Ko Un und sei nem Wer k?
Während vieler Jahre an einer
Hochschule in Seoul, der Hankuk
University of Foreign Studies, konnte
ich viele Künstler, Literaten und
Wissenschaftler kennenlernen. Ko Un
kannte ich während dieser Zeit nur von
seinen Werken her. Eines seiner Gedichte,
das vertont worden ist, gehörte zu
meinem Repertoire beim gemeinsamen
Singen (und Trinken) mit Kollegen
und Studierenden. Begegnet bin ich
ihm dann erst später während eines
Besuchs, was er wie folgt kommentierte:
„Lerne ich den Professor Zaborowski
als letzter Koreaner kennen“. Es wuchs
eine herzliche, eine freundschaftliche
Beziehung. Zu seinem ersten Besuch
in Deutschland habe ich ihn 1996
für das Ostasiatische Seminar der FU
Berlin einladen können. Wir haben uns
dann immer wieder getroffen, mal in
Deutschland, mal in Korea. Ich schätze
ihn als einen Menschen, der nie seine
Wertvorstellungen aufzugeben oder zu
verraten bereit war.
Ein weiser Mensch, vielleicht deshalb
auch ein fröhlicher Mensch. Sein Werk
vermag auch in der Übersetzung (in
einer guten Übersetzung?) unmittelbar
den Leser zu fassen, zu berühren – nein:
zu rühren.
Wie w i c h t i g i s t d i e p e r sö n l i c h e
Beg e g nu n g, d e r Au s ta u sc h m i t d e m / d e r
Auto r / in , u m das j ewe i l i g e l i te ra r i sc h e
We r k i m S i n n e d e s Ve r fa s se r s ve r s te h e n
und ü b e r se t ze n z u kö n n e n ?
Die Vertrautheit mit der Biografie
eines Autors, den man übersetzt,
die persönliche Begegnung, eine
beständige Beziehung, macht es sicher
einfacher, sich in sein Werk einzulesen,
einzuarbeiten und seine Gedanken,
seine Inhalte in eine Fremdsprache
zu übersetzen. Denn so wird der
Hintergrund der Geschichte und der
Kultur, in die der Autor hineingeboren
und hineingewachsen ist, gleichsam
personalisiert. Die eigentümlichen
Brechungen und Deutungen, die darin
begründet sind, zu erkennen, zu kennen,
kann für die Arbeit des Übersetzers
großes Gewicht haben.
14 ko re a n i sc h e K i n d e r- u n d
Jug e n d sa c h b ü c h e r w u rd e n b e re i t s
von I h n en ü ber set z t. Ha b e n S i e e i n
beso n d e re s I n te re s se f ü r d i e se s
S ub s y s te m d e r L i te ra t u r ? G i b t e s
be z üg l i c h d e r He ra n g e h e n s we i se o d e r
der He ra u s fo rd e r u n g e n m a ßg e b l i c h e
Un te r sc h iede im Vergleich zum
Ü b e r se t ze n vo n Er wac hsenenl i tera tur?
Die Kinder – und Jugendbücher, die ich
in den letzten Jahren übersetzt habe,
waren ausnahmslos Sachbücher aus
den Bereichen Naturwissenschaft und
Technik. Dass deutsche Verlage solche
Bücher aus Korea publizieren, war für
mich so etwas wie eine Genugtuung.
Wenn ich zurückdenke, wie oft ich
mich geradezu rechtfertigen musste,
weil ich mich auf Universitätsebene
mit diesem Land beschäftige, tut es
gut, darauf hinzuweisen, dass die
Ergebnisse der Pisa-Studien eigentlich
hinreichend erklären, warum das
geboten ist. Wenn ich an eine Diskussion
Ende der 80er Jahre zurückdenke, bei
der es unter anderem auch um die
Wiedererrichtung einer koreanischen
Abteilung an der Goethe-Universität
Frankfurt (meiner Alma mater)
ging, wurde ich ausgerechnet vom
wirtschaftspolitischen Sprecher einer
Landtagsfraktion angegriffen, dass ein
solches „exotisches Orchideenfach“ ja
nur Steuergelder verschwende! Ja, heute
haben wir die Möglichkeit, unseren
jungen Menschen mit Übersetzungen
aus dem Koreanischen Grundkenntnisse
in Feldern zu vermitteln, die wir als unser
Eigentum betrachtet haben…
M aße fühlen Sie sich als Übersetzer
am Er folg dieses oder anderer Bücher
betei l i g t?
Ich habe immer versucht, bei
Übersetzungen in der sprachlichen
Ausformulierung die Zielgruppe,
auch die Altersgruppe, im Auge zu
behalten. Übersetzungen von Kinderund Jugendbüchern habe ich auf ihre
Verständlichkeit bei der jeweiligen
Altersstufe ausprobiert, überprüft.
Wenn dabei zum jeweiligen Thema
weit über den Inhalt des Buches hinaus
Fragen gestellt worden sind, sich ein
Gespräch über die Generationsgrenze
hinaus ergeben hat, dann konnte
ich den Eindruck gewinnen, auf dem
richtigen Weg zu sein. Auf das Urteil der
Jury bin ich gespannt, aber schon die
Nominierung hat mich ermutigt, auch
weiterhin ähnliche Dinge zu tun. Als
Preisträger wäre ich nicht stolz, sondern
glücklich.
Und wenn dann auch noch Ko Un in
diesem Jahr - wie schon lange erwartet –
den Nobelpreis für Literatur erhält: dann
wäre das Jahr 2012 für mich wirklich ein
gutes Jahr!
Das Interview führte Dr. Stefanie Grote
Da s vo n Ihnen übersetz te Buch „Wo
g e h t ‘s l a ng? Kar ten erklären die
We l t “ von d er ko reani sc hen Auto ri n
He e k you ng K i m und d er po l ni sc hen
I l l u st ra tori n K r y st y na L i pkaS z ta r b a l l o w urd e f ür d en Deutsc hen
J ug e n d l i tera turpreis 2012 nominier t,
d e r i m Ra hmen der Frankfur ter
B u c h m e s se verliehen wird. In welchem
39
KULTUR
KOREA
VON DER KUNST DES ÜBERSETZENS
„ K u lt u r - Ü b e r s e t z e n “
Das LTI Korea-Forum im Koreanischen Kulturzentrum
Von D r. Stefanie Grote
D
er Erfolg eines Buches auf dem internationalen
Markt hängt immer auch von der Qualität der
Übersetzung ab, die in ihrer Bedeutung nicht
hoch genug zu bewerten ist. Sie allein ermöglicht
die Rezeption von fremdsprachlichen Texten, schafft einen
Zugang zu anderen Kulturen, zu Unbekanntem. Sie vermag
es, die Grenzen der eigenen Kultur zu öffnen, das Innere nach
außen zu kehren, es sichtbar zu machen, teilhaben zu lassen.
Straßen und Plätzen. Pansori ist lebendig, aber durchaus
nicht immer witzig – die meisten Koreaner halten Pansori
sogar für unendlich traurig.
Pansori-Texte weisen die Besonderheit auf, dass sich die
direkte Ansprache auch dem Leser mitteilt und dass stets
im Präsens, nicht im Imperfekt erzählt wird. Sie beinhalten
unterschiedliche Sprachqualitäten, von vulgären Ausdrücken
bis hin zur gelehrten Sprache.
Wer sich diesem Thema nähern und sich informieren wollte
über die Herausforderungen der Übersetzertätigkeit,
hatte am 15. Juni 2012 im Koreanischen Kulturzentrum
Gelegenheit, an einem Forum des Literature Translation
Institute of Korea (LTI Korea) teilzunehmen.1 Studenten,
Wissenschaftler und Interessierte waren eingeladen,
nachfolgend skizzierte Vorträge zu hören 2 und im Anschluss
darüber zu diskutieren:
Zu den Herausforderungen bei der Übersetzung von
Pansori-Texten gehört u.a. die Frage, ob es Wortbilder zu
bewahren oder Analogien im Deutschen zu suchen gilt.
Verschiedene Übersetzungsbeispiele machen zudem
Qualitätsunterschiede sichtbar, die im schlechtesten Fall eine
deutliche Entfremdung vom Originaltext bedeuten, wie am
folgenden Übersetzungsvergleich Deutsch versus Englisch
deutlich wird:
Deutsch:
•
„Wenn Nolbo weder die Drei Bindungen noch die Fünf
Pflichten kennt, wie könnte er eigentlich die Regeln des
Anstands gegenüber den Geschwistern kennen?“
Englisch:
•
“Nolbo doesn’t know the basic ethical rules. So he
doesn’t know how to treat his brother either.”
1. „Vor tr ag s ku n s t a l s L i te r at ur : d i e p e r fo r m at i ve n u nd s p r ac h lic h e n Eb e ne n i m Pa n sor i “
R e fe re nt/ in : Mat t hi as Ent re ß, f re i e r Au to r, M u s i k j o u rn al ist u nd - ku rato r
N at a l y J u n g - Hwa H a n , Le i te r i n d e s Ko rea
Ko mmu ni k at i o ns - u nd Fo r s c hu ng s ze nt ru m s
im Ko re a-Ve r b and ( B e r l i n)
Was ist Pansori? Der Definition zufolge handelt es sich um ein
narrativ-performatives Gesamtkunstwerk, um ein Theater des
Erzählens, das sich einer minimalistischen Form bedient, um
eine maximale Wirkung durch direkte Ansprache zu erzielen,
die ihrerseits die Fantasie des Zuschauers beflügeln soll. Als
Theaterform ist Pansori allenfalls mit Balladensängern und
Alleinunterhaltern vergleichbar.
Die Ursprünge des Pansori dürften als Teil der Marktplatzunterhaltung in Korea etwa auf das 10. Jahrhundert zurückgehen. Durch die gelehrten Hinzufügungen auf Wunsch der
Yangbans, der aristokratischen Auftraggeber im 19. Jahrhundert, und die moralische Kritik der christlichen Missionare
hat sich Pansori als ausgefeiltes Sprachkunstwerk zur
heutigen klassischen Form entwickelt. Es begegnet einem
aber in Korea auch heute noch als tagespolitische Satire auf
40
KULTUR
KOREA
Eine weitere Herausforderung für den Übersetzer ist
es also, das Sprachniveau im Originaltext zu erkennen
und in der Sprache, in die übersetzt wird, erkennbar zu
machen. Gleiche Schwierigkeit ergibt sich im Umgang mit
onomatopoetischen Wörtern zur Affektverstärkung
(„…er kann weder fliegen noch springen und wird pokpok
verdroschen“). Auch die Frage nach der Wiedergabe von
verschiedenen Sprachebenen (z.B. unhöflich, höflich, sehr
höflich) muss der Übersetzer für sich beantworten.
Der Vortrag endete mit dem Kapitel „Pansori als
Exportschlager - Die Methode der Darbietung im
Ausland “ und einem von Herrn Entreß eindrucksvoll
rezitierten, fünfminütigen deutschen Textvortrag aus dem
Pansori „Simcheong-ga“, dem Lied vom Mädchen Sim
Cheong.
Foto: privat (1,3), Tsukasa Yajima (2)
2. „ Z u m S tu d ie ng a n g Ü b e r s e t ze n “
R e fe re nt: Pr iv. -D oz . D r. Al bre c ht H u we, Ma s ter s t u d i e ng ang Ü b e r s e t ze n Ko re ani s c h ,
Ab te i l u ng f ü r J apano l o gi e u nd Ko re ani s t ik ,
U n iver s i t ät B o nn
1
Albrecht Huwe verwies in seinem Vortrag u.a. auf
die Vielzahl der Aspekte, die für eine Übersetzung
2
bedeutsam sind. Zunächst ist wichtig, ein genaues
Verständnis von dem zu haben, was übersetzt wird,
1. Matthias R. Entreß
2. Nataly Jung-Hwa Han
nämlich von den Texten. Diese bestehen nicht nur
3. Priv.-Doz. Dr. Albrecht Huwe
aus wahllos aneinander gereihten Einzelwörtern,
sondern weisen innere Strukturen auf: etwa auf
der Bedeutungsebene (Semantik), auf der Ebene
des grammatischen Satzbaus (Subjekt – Prädikat –
Objekt im Deutschen, Subjekt – Objekt – Prädikat
im Koreanischen), auf der Ebene der Sätze und ihres
3
Zusammenhangs (Kohäsion). Eine Klammer für alle
Ebenen stellt die sog. Meta-Ebene dar, der Kulturkreis,
Abend des Vortages geschrieben worden, sodass
in dem der Text entsteht und rezipiert wird. Die
Entstehung und Rezeption eines Textes entspricht einer
‚heute Nachmittag‘ aus der Sicht des Verfassers völlig korrekt
Kommunikationssituation zwischen Autor und Leser. Bei
war – in einer deutschen Zeitung hätte er jedoch ‚gestern
dieser Kommunikation spielen auch die Funktionstypen von
Nachmittag‘ geschrieben“ (Textanalyse und Übersetzen, 4.
Texten (informativ, appellativ, expressiv, unterhaltend) eine
Aufl. 1999, S. 71).
zentrale Rolle.
Einer Übersetzung muss stets eine Analyse des zu
Die größtmögliche Klarheit über den zu übersetzenden
übersetzenden Texts, des Ausgangstexts, vorausgehen. Diese
Ausgangstext ist also unbedingte Voraussetzung
Analyse lässt sich einfach mit der sogenannten W-Fragenfür erfolgreiches Übersetzen. Zu Beginn des
Formel vornehmen: „Wer schreibt für wen was, wann, warum,
Übersetzungsprozesses steht allerdings die grundsätzliche
wozu und wie?“ Auf diese Weise erlangt man erste Klarheit
Frage nach der Übersetzungsmethode: dokumentarisch
über den Ausgangstext, seine externen und internen
versus instrumentell.
Faktoren.
Der Übersetzer berücksichtigt bei seiner Tätigkeit
Dem ungehinderten Verständnis von Texten stehen aber
die Tatsache, dass den verschiedenen Ebenen des
auf der Meta-Ebene noch Verstehensvoraussetzungen
Ausgangstextes die entsprechenden Ebenen des Zieltextes
(sog. Präsuppositionen) im Weg. Dabei handelt es sich um
gegenüberstehen, und ihm ist bewusst, dass dabei alle
das historisch gewachsene Vorwissen einer bestimmten
Ebenen jeweils kulturspezifischen Konventionen unterliegen
Gesellschaft, deren soziologische, religiöse, politische
können.
u.a. Gegebenheiten. Diese werden von den Mitgliedern
Auf der unteren Ebene der Wörter und ihrer Bedeutung
der einen Gesellschaft ohne weiteres verstanden und als
bestehen für Übersetzer weitere Hürden, etwa die der
selbstverständlich hingenommen, nicht aber so von denen
„Eins-zu-Viele-Entsprechung“. Der eine koreanische Begriff
einer anderen. Hierzu folgendes Beispiel aus einem Buch von
gyoyuk교육 kann beispielsweise sowohl mit „Erziehung“ als
Christiane Nord:
auch mit „Bildung“ übersetzt werden. Der Übersetzer muss
„Eines Morgens in Madras, Indien, las ich zu meiner
entscheiden - wahrlich keine einfache Aufgabe.
Überraschung in der Morgenzeitung, die mir mit dem
Frühstück serviert wurde, ‚heute Nachmittag‘ seien zwei
Züge zusammengestoßen. Natürlich war der Text am späten
41
KULTUR
KOREA
3 . „Fr i e d r i c h S c hl e i e r m a c h e r u n d d i e z we i We g e des
Ü b e r s e tze n s – We g e, I r r we g e, U nwe g s a m ke i te n “
R e fe re nt: Prof. D r. R i c hard H u mphre y M .A ., Ph.D. (Cantab. ) , Hoch s ch u l e Z i t t au / G ö r l i t z (Au to r vo n me hre ren b e k a n nte n B ü c h e r n z u r Ü b e r s e t z u n g s p ra x i s und
- t h e o r i e, s ow i e z u r L i te rat u r w i s s e n s c h a f t u nd dt.
Ze itg e s chi c hte )
Das Multitalent Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834),
Theologe, Hermeneutiker, Philosophietheoretiker,
Aphoristiker, begnadeter Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler, beschäftigt Linguisten und Studenten mit
seinen Sprach- und Übersetzungstheorien bis heute.
In denkwürdiger Erinnerung bleibt sein Vortrag „Über die
verschiedenen Methoden des Übersetzens“, den er am 24.
Juni 1813 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften
Berlin gehalten hat.
„Aber nun der eigentliche Übersetzer, der diese beiden
ganz getrennten Personen, seinen Schriftsteller und seinen
Leser, wirklich einander zuführen, und dem letzten, ohne
ihn jedoch aus dem Kreise seiner Muttersprache heraus zu
nöthigen, zu einem möglichst richtigen und vollständigen
Verständniß und Genuß des ersten verhelfen will, was
für Wege kann er hiezu einschlagen? Meines Erachtens
giebt es deren nur zwei. Entweder der Übersetzer läßt den
Schriftsteller möglichst in Ruhe und bewegt den Leser
ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe
und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen“, so Friedrich
Schleiermacher.
Im Februar desselben Jahres hatte bereits Johann Wolfgang
von Goethe in Weimar zum Andenken an Christoph Martin
Wieland einen Vortrag gehalten und folgende Position
vertreten: „Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine
verlangt, daß der Autor einer fremden Nation zu uns herüber
gebracht werde, dergestalt, daß wir ihn als den Unsrigen
ansehen können; die andere hingegen macht an uns die
Forderung, daß wir uns zu dem Fremden hinüber begeben
und uns in seine Zustände, seine Sprachweise, seine
Eigenheiten finden sollen.“
(1953 - ) wiederum erklärte mit Bezug auf Schleiermacher:
„… Foreignizing translation in English can be a form of
resistance against ethnocentrism and racism, cultural
narcissism and imperialism, in the interests of democratic
geopolitical relations. “ (‚Verfremdendes Übersetzen
ins Englische kann eine Form des Widerstands gegen
Ethnozentrismus und Rassismus, kulturellen Narzissmus
und Imperialismus sein, im Interesse demokratischer und
geopolitischer Beziehungen.‘)
Dass es zu solchen Meinungsdivergenzen kommen konnte,
liegt, so Humphrey, an Schleiermachers zwar suggestiver,
aber auslegungsbedürftiger, metaphernreicher Rhetorik.
Vor allem die Metapher der zwei Wege sei als Entweder/
Oder nicht imstande, die tatsächliche Komplexität des
Übersetzungsvorgangs abzubilden. Auch Schleiermachers
„Entgegen“ bedürfe der Präzisierung. Jedes reelle
Übersetzen sei ein reges Hin und Her zwischen Ausgangsund Zieltext. Es komme darauf an, adäquatere Metaphern
für das Übersetzen zu finden sowie auch die Bewegungen
des Texts im Dazwischen kartographisch genauer zu
erfassen.
Prof. Humphrey beendete seinen Vortrag mit diversen
Schlussthesen, von denen drei wie folgt lauten:
- „Das ‚verfremdende‘ Übersetzen fängt nicht bei Schleiermacher an, sondern bei Voß und Herder.
Aber durch Schleiermacher erhält es seine – freilich noch unausgereifte – Gestalt.“
- „In mehrfacher Hinsicht ist Schleiermacher, der metaphernagile Rhetor, selber zur Metapher geworden.
Sein Vortrag ist mittlerweile Mythos.“
- „Schleiermacher ist weniger Weg als Wegweiser, auch Wegweiser in Unwegsamkeiten.“
1 Siehe dazu auch: „Das LTI Korea (Literature Translation Institute of Korea)“ von Dr. Stefanie Grote in dieser Ausgabe.
2 Die Zusammenfassung basiert auf den Präsentationen/Vortrags-
manuskripten, welche die Referenten als Rechteinhaber freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben.
Das Echo auf Schleiermachers Vortrag war sehr
unterschiedlich, wie Prof. Humphrey weiter ausführte
und u.a. auf Anthony Pym (1956 - ) verwies, der sagte: „I
suspect his text, despite its title, is not about translation
at all“ (‚Ich vermute, in seinem Text geht es letzten Endes,
trotz des Titels, nicht um das Übersetzen‘). Lawrence Venuti
42
KULTUR
KOREA
Foto: privat
Anders als Goethe, der sowohl die einbürgernde
(domesticating strategy) als auch die verfremdende
(foreignizing strategy) Übersetzungsmethode gelten lässt, ist
Schleiermacher ganz Romantiker und favorisiert prinzipiell
nur eine Übersetzungsweise, nämlich das Verfremden.
Dr. Stefanie Grote,
Redaktion Kultur Korea
KOREANISCHE LITERATUR IM AUSLAND
Reue und Hoffnung
Rezension von Elke K ressin
von ihren Erinnerungen eingeholt: Die
Mutter bestimmte ihr Leben. Sie sorgte
für sie, arbeitete hart, um sie satt zu
bekommen, drängte darauf, dass „etwas
aus ihnen wurde“, erträumte sich eine
goldene Zukunft für sie. War „Mutter
ist immer da, wenn wir sie brauchen“
der Normalzustand, so wird ihr
Verschwinden zum Ausnahmezustand.
In ihrer Heimat längst Bestseller-Autorin,
deren Bücher außerdem Exportschlager
sind, wurde ihr Roman bisher in 19
Ländern veröffentlicht, bevor er
nun – endlich – auch in Deutschland
erscheint. Kyung-Sook Shins deutsches
Debüt führt uns in ein doppeltes Korea:
in das der traditionellen, ländlichen
Lebensweise, das in Rückblenden
lebendig wird, und in das moderne
Korea mit seiner Zerrissenheit, die
jener der westlichen Welt in vielem zu
gleichen scheint. Die Kinder werden
Am Ende ahnt Tochter Chi-Hon, dass die
Mutter nicht mehr zurückkehren wird.
Doch die Hoffnung, dass es ihr dort, wo
sie ist, gut geht, hilft ihr, loszulassen.
Und auch darin liegt ein Trost.
Kyung-Sook Shin: „Als Mutter verschwand“,
Piper Verlag, 2012, 256 Seiten, 19,99 Euro.
ISBN 978-3-492-05510-9
Reue überfällt die Kinder: Chi-Hon,
zweitälteste Tochter, spricht es
für alle aus: „An Silvester habe ich
aufgeschrieben, was ich (…) in den
nächsten zehn Jahren tun wollte. Aber
es ist nichts dabei, was ich mit Mama
tun wollte.“ Wer dahinter eine Botschaft
in Richtung Leser vermutet, liegt richtig.
Auch der Vater leidet, als ihm klar wird:
Er hat nicht nur in der U-Bahn von Seoul
die Hand seiner Frau losgelassen, sodass
der Zug ohne sie losfuhr und sie allein
und orientierungslos auf dem Bahnsteig
zurückblieb. Immer wieder hat er sie in
der mehr als 50 Jahre dauernden Ehe
im Stich gelassen, sie gedemütigt und
verletzt. Eine Erkenntnis, die zu spät
kommt.
Foto: privat
W
as geschieht, wenn
plötzlich die eigene
Mutter verschwindet
– aufgesogen von der
Millionen-Metropole Seoul? Ihre Familie
macht sich verzweifelt auf die Suche,
und dabei gerät jeder für sich völlig
aus den Fugen. Der Roman „Als Mutter
verschwand“ beschreibt diese Suche,
die nicht nur die nach einer Vermissten
ist, sondern auch die Sehnsucht nach
der engen Beziehung zur Mutter,
nach menschlicher Nähe und auch
der eigenen, persönlichen Identität.
Unsentimental und doch berührend
aufgezeichnet von der koreanischen
Autorin Kyung-Sook Shin.
Schritt für Schritt bricht sich die
Erkenntnis Bahn: Sie wissen wenig über
die Frau, die sie nur als „Mama“ kennen.
Wer war sie, als Kind, als Mädchen,
als junge Frau – und später, als sie alt
wurde und ihre Kinder nur ab und zu
in Seoul besuchte? Erstaunlich sind
die Antworten, die sie finden. Stück für
Stück wird ein Puzzle zusammengesetzt,
das ein neues Bild der Mutter ergibt:
Sie kann weder lesen noch schreiben.
Sie versorgte heimlich Waisenkinder.
Sie überwand Brustkrebs, wird oft
ohnmächtig vor Kopfschmerzen, leidet
an Alzheimer. Und hatte eine große,
heimlich Liebe.
Besonders intensiv wirkt der Roman
durch die verschiedenen Perspektiven.
Wir lesen in den Gedanken der
rebellischen Tochter Chi-Hon, des
ältesten Sohnes Hyong-Chol, des
Ehemanns und schließlich in denen der
Mutter selbst. Die Spannungen in der
Familie, das Einander-Nicht-Verstehen,
die Verlorenheit werden klar. Jeder lebt
in seiner eigenen Welt - und wird zum
Spiegel der koreanischen Gesellschaft.
Es geht um den Verlust der Wurzeln und
um die Frage: Wer bin ich?
Elke Kressin, 46, ist Redakteurin der Zeitschriften
„plus magazin“ und „Frau
im Leben” in Köln. Sie
hat u.a. Anglistik studiert,
in England gelebt und
beschäftigt sich intensiv
mit Literatur in englischer
Sprache, vor allem mit der
von Frauen. So stieß sie
auf den neuen Roman von
Kyung-Sook Shin, der sie
sofort begeisterte.
43
KULTUR
KOREA
KOREANISCHE LITERATUR IM AUSLAND
G ed ic hta u swa hl
„ B lü t e n d e s A u g e n b l i c ks “
Ko Un
Die Nachtvögel singen aus voller Kraft,
die Sterne scheinen, so hell es geht.
Und dabei, in einer solchen Welt, leg ich mich ruhig hin
und hoffe, dass der Schlaf bald kommt.
(S. 21)
»Ich bin gekommen, Liebste,
der strenge Winter, der ist vorbei.«
Das Grab seiner Frau lacht leise.
(S. 28)
Letzte Nacht in meinen Träumen
fielen mir zwei Zeilen ein für ein Gedicht,
doch als ich aufwachte,
war eine davon wieder weg.
Schneemond,
hell um Mitternacht.
Keine Worte mehr nötig.
(S. 41)
Diese steile, enge Gasse,
wo Menschen in Einklang leben miteinander.
Wahres Glück – ist es in den Hütten der Armen?
(S. 44)
Siehe auch das Interview mit Ko Un: „Literatur um ihrer selbst Willen – ein
Gespräch mit Ko Un (고은)“, von Malte E. Kollenberg in dieser Ausgabe.
44
KULTUR
KOREA
Blüten des Augenblicks - Gedichte
D: 15,90 €
Erschienen: 18.04.2011
Halbleinen, 154 Seiten
ISBN: 978-3-518-42225-0
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag
Berlin 2011
KOREANISCHE LITERATUR IM AUSLAND
Dr. Mirok Li
M i t t l e r z w i s c h e n d e n K u lt u r e n
a u f d e r S u c h e n a c h e i n e r n e u e n H e i m at
W
© Dr. Mirok Li Gedächtnis-Gesellschaft e.V. (www.mirokli.com)
a s m a c h t e i g e n t l i c h ko re a n i s c h e L i te r atur aus?
D ie ko re a n i s che S p r a che ? De r E r s che i n u ngsor t
Kore a ? D i e ko re a ni s ch e N at i o na l i t ät des
A u tors ? Ko re a a l s The m a ?
D i e s e Fr ag e n ze ig e n d a s S p a n n ung s fe l d a uf, i n d e m sic h
ko re an is c h e A u tore n d e r e r s te n , z we i te n o d e r d r i t ten
Au s wan d e re rg e n e r at i o n a uße r h a l b Ko re a s o f t b e finden.
S c h re i b e n S i e d e nn n o c h ko re a n i s c h e L i te r at u r, a uch wenn
di e s e au f E n g lis c h , De ut s ch, R us s i s ch o d e r N i e d e r ländisc h
en t s te h t ? G i b t e s ü b e r h a u p t G e m e i n s a m ke i te n i m Werk
di e s e r A u tor in n e n und A uto re n ?
In Deutschland überwiegt bisher koreanische Literatur
mit autobiografischem Hintergrund. Seien es nun kurze
Momentaufnahmen oder größere Romane.
Die bekannte koreanische Autorin Gong Ji-young (공지영),
die einige Zeit in Berlin gelebt hat, hat ihre Erfahrungen
mit der vielschichtigen koreanischen Gemeinde dort (sie
vergleicht die koreanischstämmigen Berliner mit einem
regenbogenfarbenen Cocktail, in dem die verschiedensten
Gruppierungen miteinander und doch isoliert existieren) in
mehreren Kurzgeschichten verarbeitet, die sie später unter
dem Titel Byeoldeureui Deulpan (별들의 들판) veröffentlicht
hat.
Einen völlig anderen literarischen Blick bietet der ehemalige
Eishockeyspieler Martin Hyun, der in seinen Kurzgeschichtenbänden Lautlos-Ja Sprachlos-Nein: Grenzgänger zwischen
Deutschland und Korea und Ohne Fleiss kein Reis: Wie ich
ein guter Deutscher wurde1 persönliche Geschichten und
Begebenheiten ironisch überspitzt in der Art von Kaminers
Russendisko erzählt und dabei mit Klischees und Erwartungen
genauso spielt wie mit Kritik an den Integrationsbemühungen
der Eltern und des Staates. Tragik und Komik stehen in diesen
Geschichten oft eng nebeneinander.
Um Perspektivenwechsel zwischen alter und neuer Heimat und
die Frage nach Heimat allgemein geht es in dem mittlerweile
Von A ndrea Steinbach
verfilmten autobiografischen Roman Der Yalu fließt (압록강은
흐른다) von Mirok Li (이미륵), der 1946 auf Deutsch erschien
und erst 1959 postum in Korea herausgegeben wurde. In dem
Roman muss ein junger Medizinstudent, der sich in der Zeit der
japanischen Okkupation Koreas einer Widerstandsbewegung
anschließt, nach Deutschland fliehen, wo er dann seine
Erfahrungen zu Papier bringt.
Eine Reise in die umgekehrte Richtung, nämlich von
Deutschland nach Korea, betrachtet dagegen Berlin - Seoul Berlin: Auf der Reise zu mir selbst von Miriam Yung Min Stein. Die
gebürtige Südkoreanerin wuchs bei deutschen Adoptiveltern
in Osnabrück auf, studierte in den USA und begab sich 2008
auf die Suche nach ihren Wurzeln in Korea.
Ganz anders als die autobiografisch angehauchten Werke
der deutsch-koreanischen Autoren sieht das Werk der
koreanischen Minderheit Goryeo-Saram (Корё-сарам,
고려사람), in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion,
besonders in Russland und den Ländern Zentralasiens, aus.
Während der bekannteste Goryeo-Saram Wiktor Robertowitsch
Zoi (Виктор Робертович Цой/ 빅토르 로베르토비치 초이)
seine Gedichte zu den ersten russischen Rock-Songs vertonte,
stellte er nicht die Frage nach der sozialen Identität einer
Minderheit, sondern Fragen nach der Identität einer ganzen
Generation. Seine Texte waren lyrische Anklagen der aktuellen
politischen Lage und forderten im Laufe der Zeit immer
deutlicher eine Veränderung der politischen Situation.
Ein typischeres Beispiel für einen Autoren der koreanischen
Minderheit ist der auch in Korea sehr bekannte Anatoli
Andrejewitsch Kim (Анатолий Андреевич Ким, 아나톨리 김),
dessen Vorfahren Anfang des 20. Jahrhunderts nach Russland
auswanderten. Wie viele koreanische Familien wurde auch
Kims Familie deportiert, erst nach Kasachstan, dann nach
Sachalin. Obwohl er bis zur Grundschulzeit ausschließlich
Koreanisch sprach, verlernte er es unter dem Einfluss des
Russischen und hat es sich erst Jahrzehnte später wieder
angeeignet. Die ornamentale Prosa des Autors wird sowohl
45
KULTUR
KOREA
46
KULTUR
KOREA
Recorvits, die aber sowohl die Probleme beim Wechsel in
eine neue Sprache (My name is Yoon) als auch in eine andere
Kultur (Yoon and the Christmas Mitten) mit viel Feingefühl und
Hintergrundwissen über koreanische Sprache, Kultur und
Brauchtum beschreibt.
Diese Suche nach Identität, die bei allen hier vorgestellten
Autoren deutlich wurde, ist nichts typisch Koreanisches; im
Laufe unserer Entwicklung suchen wir alle nach Identität und
Heimat, egal aus welchen Ländern wir und unsere Familien
stammen. Aber Menschen, die mehrere Länder als Heimat
betrachten, Kinder, die zwischen den Kulturen aufgewachsen
sind, stellen sich diese Frage oft drängender, und je
unterschiedlicher die beiden (oder mehreren) Kulturen aus
dem Spannungsfeld eines Autors sind, desto dringlicher wird
die Suche nach Antworten.
Man sollte dennoch nicht vergessen, dass sich nicht jeder
Autor diese Frage stellt oder sich bemüßigt fühlt, in seinen
Büchern darüber zu schreiben. Greg Pak, ein Autor, der
bei Marvel Comics an so bekannten Charakteren wie
Hulk, Magneto und Herkules gearbeitet hat, hatte nach
eigenen Angaben nie mit Problemen wegen seiner Stellung
zwischen zwei Kulturen zu kämpfen. Wenn Autoren ihre
Suche nach kultureller und persönlicher Identität jedoch
in ihrem Werk verarbeiten, wie es die hier vorgestellten
koreanischstämmigen Autoren getan haben, dann kann jeder
Leser neben interessanten Einblicken in eine andere Kultur
etwas für sich und seine persönliche Suche aus der Lektüre
dieser Bücher mitnehmen.
1 Siehe dazu auch die Rezension von Karin Schädler in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.)
Foto: privat
russischen als auch koreanischen Einflüssen zugeschrieben.
Eines seiner großen Themen ist die Suche nach einer
Heimat, sei sie nun geografisch, seelisch oder emotional. Zu
Sowjetzeiten schickte er noch russische Protagonisten, wie im
Zwiebelfeld (Луковое поле) auf diese Suche, während er nach
dem Zerfall der Sowjetunion und einem längeren Aufenthalt
in Korea auch Angehörige der Goryeo-Saram, wie in Плачь
по матери в Сеуле, Weinen nach der Mutter in Seoul, zu
Protagonisten machte.
Lawrenti Djadjunowitsch Son (Лаврентий Дядюнович Сон,
라브렌티 손), dessen Lebensaufgabe es ist, die ethnischen
Minderheiten Zentralasiens in Dokumentarfilmen zu
verewigen, wählt in seinem literarischen Werk die Sprache als
Mittel zur Identifikation. Sein 기억 (Память, Erinnerung) ist
eines der wenigen Theaterstücke, die je in Goryeomal (Корё
маль, 고려말) dem Dialekt der koreanischen Minderheit in der
ehemaligen Sowjetunion, geschrieben wurden.
Am vielschichtigsten zeigt sich die koreanisch-literarische
Szene in Amerika. Das Land, das 2003 ein Jahrhundert
koreanischer Einwanderer feierte, ist Heimat für die meisten
koreanischen Auslandsautoren. In kein anderes Land sind
so viele Koreaner ausgewandert, nirgendwo sonst wird
koreanische Kultur noch so zelebriert. Das Interesse an
Koreanisch als „Heritage Language“, als so genannter ererbter
Muttersprache, ist groß, auch wenn für die Kinder zusehends
Englisch die Sprache der Wahl wird. Wurden im letzten
Jahrhundert noch viele Kinderbücher für koreanische Kinder
zweisprachig gedruckt, um einen Zugang zum Englischen zu
ermöglichen, ist der Grund mittlerweile eher, dass die Sprache
der Eltern- und Großelterngeneration nicht völlig verloren
gehen soll.
Neben autobiografischen Werken, die die eigene Suche nach
einem Platz zwischen den zwei Kulturen zeigen (besonders
lesenswert in dieser Kategorie: Trail of Crumbs - Hunger,
Love and the Search for Home von Kim Sunée), leben heute
viele koreanischstämmige Autoren zwischen mehr als zwei
Kulturen und definieren ihre Identität immer vielschichtiger.
Es gibt Autoren, die sich von ethnischen Definitionen völlig
lossagen, Autoren, die in der Vielfalt der ethnischen und
geistigen Einflüsse ihren Platz gefunden haben oder die
sich rein über die neue Heimat definieren. Eine interessante
Mixtur verschiedenster literarischer Einflüsse findet man
beispielsweise in den Werken des vielgereisten Minsoo Kang,
der in seinem Buch koreanische Einflüsse mit Borges, Umberto
Eco oder Italo Calvino zu einem neuen Ganzen verschmilzt.
Manche der Bücher dieser Autoren benutzen die Heimat ihrer
Eltern oder Großeltern allein als exotischen Hintergrund für
ihre Romane, versuchen sich durch ihre Werke abzunabeln
oder schreiben speziell für neueingewanderte Koreaner, um
ihnen den Zugang zur neuen Heimat möglichst einfach zu
machen. Ein lesenswertes Comicbuch aus diesem Bereich ist
Gina Park Comes to America von Dorothy Hong.
Eine der bekanntesten amerikanischen Bilderbuchserien über
ein koreanisches Mädchen, Yoon, stammt interessanterweise
von einer Autorin mit osteuropäischen Vorfahren, Helen
Andrea Steinbach ist seit
ihrer Jugend fasziniert von
fremden Sprachen und
Kulturen. Neben diversen
germanischen, romanischen und slavischen
Sprachen hat sie 2007
das Koreanische für sich
entdeckt: ihre bisher
größte Herausforderung
aber auch eine große
Bereicherung.
Ihre eigenen Lernerfahrungen hat die Gymnasiallehrerin und Unilektorin als
Ko-Autorin in ein Koreanischlehrbuch einfließen
lassen und versucht ihre
Begeisterung für die koreanische Sprache, Literatur
und Kultur an ihre Schüler
und Studenten weiterzuvermitteln.
KOREANISCHE LITERATUR IM AUSLAND
„ B ü c h e r s o l lt e n n e u e P e r s p e k t i v e n
schaffen, Horizonte öffnen“
E i n e S ü dk o r e a n e r i n i n Ös t e r r e i c h s c h r e i b t ü b e r G r ö n l a n d
Inter view mit der Autorin A nna K im
Sie s i n d i n S ü d ko re a g e b o re n , i n De u t sc h l a n d a u fg e wachsen und leben
seit 1983 in Ö s ter re i c h . Ve r ste h e n S i e s i c h a l s e i n e A r t Ko smo po l i ti n?
© Sven Paustian/Suhrkamp Verlag
Der Begriff „Kosmopolit“ ist, wie mir scheint, zurzeit ein sehr beliebter, er
taucht jedenfalls in den Medien immer häufiger auf. Der Duden definiert
Kosmopolit u.a. auch als „eine Tier- oder Pflanzenart, die über die ganze
Welt verbreitet ist“. In diesem Sinne sehe ich mich als Kosmopolitin, aber
nicht nur mich, sondern jedes menschliche Wesen.
Diese Einstimmigkeit der Herkunft und des Wohnortes ist und war nie die
Norm, sondern eine Vorstellung, die in ihrer Eindeutigkeit Sicherheit schafft
und die Dinge scheinbar vereinfacht, tatsächlich sind viele, wenn nicht
mehr Menschen immer schon in mehreren Ländern verankert gewesen, da
aber das Ideal bis vor kurzem noch die eindeutige Zugehörigkeit war, wurde
alles Uneindeutige verleugnet bzw. ihre Bedeutung heruntergespielt. Ich
sagte, bis vor kurzem, weil ich glaube, dass das heutige Ideal in Richtung
Kosmopolitismus geht.
In I h rer E r zäh lu n g „D i e Bi l d e r sp u r “ ( 2 0 0 4 ) g e h t e s u m S uc hen, Fi nd en,
Ver lieren . S ie t h em a t i s i e re n He i m a t, E x i l u n d Fre m d e. Auc h i n d em Essay
„ Inva s i o n e n d e s P r i va te n “ ( 2 0 1 1 ) f i n d e t e i n e A u se i n andersetzung mit
dem Th em a Iden t itä t u n d Fre m d e s ta t t. D i e n te I h r e i g enes Leben al s
Vor lage?
Ja und nein. Ich denke, das eigene Leben spielt im Schreiben immer
eine große Rolle insofern, als es der Impulsgeber, Ideenlenker und
Koordinatenstifter ist. Eine Literatur aber, die nur aus dem eigenen
Leben schöpft, ist meines Erachtens nach zu kurz geraten: Bücher sollten
vergrößern, neue Perspektiven schaffen, Horizonte öffnen und sich nicht
damit begnügen, Vorhandenes abzubilden oder um das Eigene Kreise zu
drehen bzw. im Eigenen zu verharren. Eines der schönsten Dinge, die man
durch das Schreiben erhält, ich würde sogar so weit gehen und von einem
Geschenk sprechen, sind die Einsichten in zum Teil ganz fremde Inhalte und
Themen: Welten.
„Die Bilderspur“ war mein erstes Buch, und wie fast jedes Debüt verweist es
auf das Leben des oder der Autorin, weil man es sich anfangs nur zutraut,
über Dinge zu schreiben, über die man Bescheid weiß. In den „Invasionen
des Privaten“ ging ich eigentlich davon aus, dass ich – die keine privaten
Bezüge zu Grönland hat – mich in ein Thema einarbeite, von dem ich bis
dahin nicht viel, nur Theoretisches wusste, nämlich Kolonialpolitik bzw.
koloniale Praktiken. Ich wurde von meinen Gesprächspartnerinnen zu
einem Thema meines eigenen Buches gemacht, indem sie mich aufgrund
meines Aussehens zu einer von ihnen machten, zu einer Grönländerin.
Anna Kim, geboren 1977 in
Daejeon, Südkorea. 1979 Umzug
der Familie nach Deutschland.
1995–2000 Studium der
Philosophie und Theaterwissenschaft an der Universität Wien.
Veröffentlichungen in Zeitungen,
Zeitschriften und Anthologien.
Bücher: Anatomie einer Nacht
(Roman, Suhrkamp Verlag 2012),
Invasionen des Privaten (Essay,
Literaturverlag Droschl 2011),
Die gefrorene Zeit (Roman, Literaturverlag Droschl 2008), Die
Bilderspur (Erzählung, Literaturverlag Droschl 2004). Sie lebt
in Wien.
47
KULTUR
KOREA
In der Nacht vom 31. August auf den 1. September 2008 nehmen sich
in einer kleinen Stadt im
verarmten und weitgehend isolierten Osten
Grönlands elf Menschen
das Leben. Wie eine
Epidemie breitet sich der
Freitod in allen gesellschaftlichen Schichten
und Altersgruppen des
Ortes aus, dessen Bewohner sich »durch eine
Berührung oder einen Blick infiziert« zu haben scheinen. Oberflächlich betrachtet, stehen diese Selbstmorde in keinerlei Zusammenhang, nur einige der
Toten kannten sich flüchtig. Und doch fragt sich der
außenstehende Beobachter: »Ist es nicht ein Trugschluss zu glauben, das Leben eines Einzelnen habe
Bedeutung nur für sich betrachtet? Genauso wenig
wie der Tod eines Einzelnen Sinn macht, isoliert vom
Leben der anderen.«
Der Roman Anatomie einer Nacht von Anna Kim erzählt
die letzten Stunden von elf Menschen, und er erzählt
von Grönland, diesem Land der Extreme, über dem
so viel Kälte und Einsamkeit und tröstlicher Zauber
zugleich liegt. Behutsam und in eindringlichen Bildern
folgt die Autorin den lebensgeschichtlichen Verzweigungen ihrer Figuren und gibt Antwort darauf, warum
diese eine Nacht nur so ablaufen konnte, wie sie ablief.
D: 19,95 €
A: 20,60 €
CH: 28,50 sFr
Erschienen: 10.09.2012
Gebunden, 303 Seiten
ISBN: 978-3-518-42323-3
Charakteristisch für I hre Werke ist ein tragisches Moment.
I n „Die gefrorene Z eit‘“ (2008) konzentrieren Sie sich auf
d as trauma ti si erend e Erei g ni s d es Versc hw i nd ens Tausender
Menschen im Kosovokrieg. I m vergangenen Mona t erschien Ihr
neues Buch „ A na tomie einer Nacht ”, in dem Sie die S elbstmorde
mehrerer Menschen als eine A r t Epidemie beschreiben. Welches
Motiv liegt dieser S chwere zugrunde?
Ich sehe mich eigentlich als Autorin politischer Bücher, wobei
es mir nicht darum geht, Politik zu erklären oder über sie
zu theoretisieren. Mich interessieren die Auswirkungen von
politischen Entscheidungen und Entwicklungen vor allem auf
das oft entpolitisierte Individuum. Die Schwere dieser Themen
ist vielleicht in dieser Ohnmacht zu suchen, die wir uns zum
Teil selbst zuzuschreiben haben, indem wir uns immer mehr
aus der Sphäre der Politik zurückziehen, zu einem großen Teil
aber ist unser Leben bestimmt vom Zusammenspiel globaler
Zusammenhänge, die wir nur bedingt steuern können, zumal
wir sie nicht einmal verstehen. Sie verständlich zu machen, ist
eines meiner Ziele, ein Grund, warum ich schreibe, denn ich
glaube, Verstehen und Erkennen sind der Schlüssel zu einer
differenzierteren Sicht auf die Welt und wie sie tatsächlich
funktioniert.
Ko l o ni al i si erung, Ausbeutung und K ri eg si nd mehr fac h
Geg enstand Ihrer Er zähl ung en. Spi eg el n Ihre B üc her hi er die
l ei d vo l l en Er fahrung en d er vo n Invasi o n und Unterd rüc kun g
g epräg ten Gesc hi c hte Ko reas?
Ihre Frage freut mich, denn das ist es letztlich, worauf ich hinaus
möchte: Kolonialisierung und Krieg sind nicht nur Erfahrungen,
die am Balkan und in Grönland gemacht wurden, sondern
auch in Korea – aber nicht nur dort, diese „Geschichten“ gibt es
überall, und immer ähneln sie einander, denn Zerstörung und
Ausbeutung geschieht immer auf die gleiche Weise, und ihre
Folgen sind auch stets die gleichen.
Andererseits hat mich Korea auf eine Art und Weise geprägt, die
selbst für mich nicht offensichtlich ist, ich komme erst jetzt immer
mehr darauf, wie sehr. Wahrscheinlich liegt Koreas Bedeutung für
mich darin, dass dieses eher schwer erreichbare Land für mich
ein Sehnsuchtsort ist: die Heimat meiner Eltern und im Grunde
der Ort meiner Kindheit, denn auch wenn ich meine Kindheit
in Deutschland und Österreich verbracht habe, war doch Korea
immer da, sobald ich unsere Wohnung betreten habe.
I n Ihren letz ten beiden Büchern verlagern Sie die Handlu ng
nach Grönland. Wieso fokussieren Sie auf dieses Land der
Ex treme?
Der Essay „Invasionen des Privaten“ war nicht geplant, er entstand
sozusagen spontan. Während ich für den Roman „Anatomie
einer Nacht“ recherchierte, merkte ich, dass es Inhalte gibt, die
ich nicht im Roman unterbringen kann, nicht in der Form, in der
ich sie gerne darstellen wollte. Dann bekam ich ein großzügiges
Reisestipendium, das mir erlaubte, ein zweites Mal und ebenso
ausgedehnt wie das erste Mal nach Grönland zu reisen, allerdings
48
KULTUR
KOREA
bat man mich, eine Reisereportage zu schreiben. Meine
Reisereportage wurde mehr zu einem Essay, je mehr ich mich
mit dem theoretischen Hintergrund von Kolonialismus befasste.
Die „Invasionen des Privaten“ sind, so gesehen, die Rückseite des
Romans „Anatomie einer Nacht“. Und Grönland ist ein Land, das
mich schon immer sehr fasziniert hat, auch wenn ich gar nicht
sagen kann, warum genau... vielleicht, weil es ein Ort ist, der die
Fantasie ankurbelt.
I h re Te x te we i sen i m m e r w i e d e r a u c h e i n e a b s t ra kte E bene auf.
I n „ A n a to m ie ein e r Na c h t “ ( 2 0 1 2 ) sc h e i n e n s i c h d i e B ewo hner
e i n e s k l e i n e n O r te s i n G rö n l a n d d u rc h B l i c ke m i t dem Freitod
i n f i z i e r t z u h a b e n , wä h re n d i n „I nva s i o n e n d e s P riva ten“
( 2 0 1 1 ) d i e G re n ze z u m I m ag i n ä re n ü b e r sc h r i t te n wird und
d i e P ro tag o n i s t i n a n e i n e m s u r re a l e n Or t we i l t. In einem
A u s z ug au s den E r zä h l u n g e n „ Fi g u re d u sou ve n i r / Di e Fo rm d er
Er i n n e r u n g “ ( 2 0 1 1 ) h e i ß t e s : „S te l l d i r vo r : Ei n e parallele Welt,
i n d e r Er i n n e r u n g e n nu r b i s z u m n ä c h s te n S c h l a f halten, am
fo lgen den M o rge n h a t m a n a l l e s ve rg e s se n .“
I s t d a s e i n l i te ra r i sc h e r Ku n s tg r i f f ? S i n d d e r re a l en Welt
G re n ze n g e se t z t, d i e s i c h a u f l i te ra r i sc h e r Eb e n e nur im
S u r realen au f lö se n kön n e n ?
Ja und nein, die reale Welt scheint natürlich begrenzt, gleichzeitig
ist sie aber auch so groß und weit, dass die Begrenzung, von der
man gerade noch gesprochen hat, in dem Moment absurd wird.
Fantasie ist ja auch ein Teil der realen Welt, aber auch ihr sind,
entgegen der allgemeinen Ansicht, Grenzen auferlegt: Unsere
Fantasie ist leider schrecklich begrenzt, oft enger und kleiner als
die reale Welt.
Dass meine Texte immer eine abstrakte Ebene aufweisen,
liegt daran, dass ich oft versuche, die Prinzipien der Dinge
zu beschreiben, denn nur dann, scheint mir, komme ich der
Wahrheit wirklich nahe. Die Natur in Grönland etwa ist so
anders als die Natur in Mitteleuropa, dass ich sie nur auf diese
Art und Weise erfassen konnte, aber indem ich sie als etwas
vollkommen Fremdes beschrieb, wurde sie zu etwas Abstraktem.
In der Erzählung, die Sie angesprochen haben, ging es mir
darum, ein Gedankenexperiment an den Beginn zu stellen,
eines, das im Grunde das Ende der Erzählung vorwegnimmt.
Meine Erzählungen sind tatsächlich bewusst surreal, sie werden
auch mal von Wesen mit verpflanzbaren Armen und Händen
bevölkert, das ist jedoch eine ganz andere Form von Abstraktion,
die viel konkreter ist als jene in meinen Romanen. Letztere ist ein
Ausdruck meiner Verwunderung: Die Welt, wie sie ist, erstaunt
mich oft, ich würde sogar sagen zunehmend, öfter allerdings
befremdet sie mich, und diese Befremdung äußert sich in einer
Distanziertheit – in Abstraktion.
Das Interview führte Dr. Stefanie Grote
Weitere Informationen: http://www.annakim.at
49
KULTUR
KOREA
KOREANISCHE LITERATUR IM AUSLAND
Buchvorstellung
Ohne Fl eiß kein Reis
Wie ich ein guter Deutscher wurde
€ 14,99 [D]/ € 15,50 [A] / CHF 21,90
224 Seiten
ISBN 978-3-442-75343-7
Erschienen: 08.06.2012
Martin Hyun, Sohn koreanischer Gastarbeiter und deutscher
Staatsbürger, schreibt entwaffnend und voller Humor über
die alltäglichen Abenteuer der Ausländer in Deutschland. Er
entlarvt die politische Debatte über Integration ebenso wie
die gesellschaftlichen Gegebenheiten. Zählt Mitarbeiter mit
Migrationshintergrund im Deutschen Bundestag. Spricht mit
Philipp Rösler und schreibt über eine Begegnung mit Thilo
Sarrazin vor - und nach - Erscheinen von dessen Buch. Und
er erzählt über seine Reise mit Wladimir Kaminer in seine
Heimat Korea und verrät, warum er niemals Tierarzt werden
konnte. Mit seinen Freunden aus aller Herren Länder schlägt
er sich tapfer durch im bunten Großstadtdschungel Berlin.
Scharfzüngig und mit einem Augenzwinkern, zum Heulen
tragisch und zum Schreien komisch.
Martin Hyun wurde 1979 in Krefeld geboren. Er ist Sohn
koreanischer Gastarbeiter und studierte Politik sowie
International Relations in den USA und Belgien. Er war
der erste koreanischstämmige Bundesliga-Profi in der
Deutschen Eishockey Liga sowie Junioren-Nationalspieler
Deutschlands. Seit 1993 ist er glücklicher deutscher
Staatsbürger.
»Die Deutschen wissen von den Koreanern nur eins
sicher, dass sie Hunde essen. Mein Bekannter Martin,
ein in Deutschland geborener Koreaner, kann sehr gut
Geschichten über solche Klischees erzählen, mit denen er
seit seiner Geburt konfrontiert wird. Seinen Kindertraum,
ein Tierarzt zu werden, musste Martin an den Nagel
hängen. Kein Deutscher würde seinen Lieblingshund einem
Koreaner anvertrauen.« Wladimir Kaminer
(Presseinfo btb)
50
KULTUR
KOREA
Im Pl auderton gegen Rassismus
K
Rezension von Karin Schädler
ann man Rassismus mit Humor nehmen? Tut es gut, schlagfertig auf ihn zu
reagieren? Martin Hyun scheint es in gewisser Weise so zu sehen. An etlichen
Stellen beschreibt er in seinem Buch, wie er cool, gelassen und witzig
reagierte, obwohl er gerade abgewertet wurde. Über eine eigentlich sehr
unangenehme Situation schreibt er: „Es ist immer lustig zu sehen, wie die Menschen
einen anstarren, wenn man mit einer Horde voller Asiaten ein Lokal betritt. Kein
Wunder, dass die Schimpansen im Zoo manchmal ausrasten und Stöcke gegen das
Plexiglasfenster werfen.“ Eigentlich ist es zwar überhaupt nicht lustig, so angestarrt
zu werden, aber die Alternative, nämlich auszuflippen, ist noch weniger attraktiv. Es
bleibt also nur der Galgenhumor.
Hyun reiht in seinem Buch viele lustige und interessante Anekdoten aneinander,
gespickt mit spannenden Beobachtungen und Fakten. Obwohl viele der Erlebnisse
unsäglich sind, schreibt Hyun sie unterhaltend auf. Das kann Entlastung schaffen.
Wer selbst häufig Diskriminierendes erlebt, kann auch mal über die Idiotie der
Rassisten lachen. Wer sich für den Rassismus seiner Mitmenschen schämt, profitiert
ebenfalls von solchem Humor - von der entspannenden Wirkung und der deutlichen
Abgrenzung („Seht her, ich lache über Rassisten, also bin ich keiner“).
Wer will sich nicht abgrenzen von all den dummdreisten Menschen, die Hyun
in seinem Buch beschreibt? Etwa von einem jungen Bayern, der auf einer MultiKulti-Hochzeit sagt: „Da schaut‘s her! Des passiert, wennst die Linken wählst!“
Oder einer Sicherheitsbeamtin, die Hyun im Bundestag unterstellt, er habe sich
dort unrechtmäßig eingeschlichen. Oder einem Mitarbeiter des Auswärtigen
Amts, der Hyun - einem in Krefeld geborenen deutschen Staatsbürger - in einem
Bewerbungsgespräch allen Ernstes die Frage stellt, wie es um seine Loyalität zu
Deutschland bestimmt sei.
Der Buchtitel „Ohne Fleiß kein Reis. Wie ich ein guter Deutscher wurde“ ist wohl
ironisch gemeint und klingt verheißungsvoll. Eigentlich beschäftigt sich das Buch
eher mit der Unmöglichkeit, als Mensch mit ausländischen Eltern in Deutschland
als gleichwertig betrachtet zu werden. Richtig wäre als Untertitel gewesen: „Wie ich
politischer wurde“. Denn der Wille Hyuns, sich einzumischen, scheint mit jeder Seite
größer zu werden. Wie man ein „guter Deutscher“ wird, erfährt ein Leser dieses Buches
zum Glück nicht. Wie man ein guter Bürger wird, schon.
Martin Hyun: „Ohne Fleiß kein Reis. Wie ich ein guter Deutscher wurde“, btb 2012.
Foto: Philipp Bögle
Neben dem Alltagsrassismus und dem systematischen Rassismus in Deutschland
beschäftigt sich Hyun auch kritisch - und wieder humorvoll - mit der koreanischen
und koreanischstämmigen Minderheit in Deutschland. Trotz des heiteren Plaudertons
im gesamten Buch bleibt auch hier dem einfühlsamen Leser an mancher Stelle das
Lachen im Halse stecken, etwa bei Sätzen wie diesem: „Aus Unwissenheit blieben wir
treu ergeben in Vaters Reich, in dem Befehl und Gehorsam die tragende Säule für
ein harmonisches Leben miteinander bildeten.“ Die Strenge in vielen Elternhäusern
schildert Hyun mit einer Mischung aus Komik und Tragik. Seinen Auszug aus dem
elterlichen Haushalt beschreibt er als Flucht in die Freiheit.
Karin Schädler (31) ist
freie Journalistin in Berlin.
Sie schreibt vor allem zu
Migrationsthemen und
Außenpolitik. Zudem leitet
sie Workshops in der Internationalen Jugendarbeit.
51
KULTUR
KOREA
K ALEIDOSKOP
Schiefertafel
Schulbuch
tablet-pc
Literatur digital in Südkoreas Schulen
Von Malte E. Kollenberg
Yeo Mi-jung, Englischlehrerin an der Sukjung Mittelschule in Incheon unterrichtet ihre 13 und 14 Jahre alten Schüler/innen nur noch digital. Jeder Schüler und jede Schülerin
hat einen Laptop vor sich, die Tafel ersetzt ein großer, berührungsempfindlicher Bildschirm.
52
KULTUR
KOREA
A
mazons Kindl hat die Literatur auf den Bildschirm
gebracht. Im internetaffinen Korea soll ab 2015 auch
die Bildung komplett digital ablaufen. Alle Schulen
werden dann mit „elektronischen Schulbüchern“
unterrichten. Pilotprojekte sind vielversprechend, aber
Bildungsexperten haben ihre Zweifel, ob die digitale Technik
das koreanische Schulsystem wirklich besser macht.
Für die drei Schüler Jeong Seo-yeong, 13 Jahre, Park Seok-yeon,
14 Jahre, und Kim Ho-seon, auch 14 Jahre, hat die Zukunft
bereits begonnen. Alle drei sind sozusagen Schüler 2.0, „Digital
Natives“ der zweiten Generation. Sie lernen mit elektronischen
Büchern. Für die jungen Koreaner bedeutet das Aufwachsen mit
digitaler Technik nicht mehr nur Soziales Netzwerk, mp3-Player,
BlueRays und Laptops zur Freizeitunterhaltung. Die Teenager
gehören zu den ersten im Land, die auch digital die Schulbank
drücken.
Das hat Vor- und Nachteile, sagt Jeong Seo-yeong. „Es ist toll,
dass wir während des Unterrichts ganz einfach Medien, Videos
und Fotos einbinden können, wenn wir mit dem digitalen
Textbuch arbeiten“, freut sich die Schülerin. Klassenkamerad
Park Seok-yeon hält dagegen: „Ich finde den digitalen Unterricht
anstrengender, weil meine Augen sehr schnell ermüden, wenn
ich die ganze Zeit auf den Bildschirm schauen muss.“ Experten
nennen diesen Effekt Benetzungsstörung oder TrockenesAuge-Syndrom. „Zu lange auf den Computerbildschirm zu
schauen kann die Augen austrocknen, weil die Blinzelfrequenz
abnimmt“, erklärt Bae Cheong-hun, Augenarzt im KangbukSamsung-Krankenhaus in Seoul.
© Malte E. Kollenberg
In Schweden, in den USA, auch in Deutschland gibt es erste
Modellklassen wie die in Korea. Dort, in Incheon, lernen
die Schüler in einem der ersten digitalen Klassenräume
der Sukjung-Mittelschule. Die Schule ist eine von rund
300 im ganzen Land, in der die Zukunft des Lernens und
Lehrens ausprobiert wird. Bis 2015 sollen alle gut 11.000
südkoreanischen Schulen „digitalisiert“ werden, so ist der
ehrgeizige Plan. 2,5 Milliarden US-Dollar lässt sich Korea
die Umstellung kosten. „Smart Education“ nennt das
Bildungsministerium das. Dafür müssen aus normalen Schulen
„Smart Schools“ – intelligente Schulen – werden.
Kim Deong-sik, Professor für Educational Technology an der
Seouler Hanyang-Universität, hält die Umstellung für wenig
intelligent. Stattdessen fordert er ein komplettes Umdenken im
Land: „Das gesamte Schulsystem muss reformiert werden.“ Der
Forscher hat seine Zweifel, ob Korea mit der flächendeckenden,
ersatzlosen Einführung der digitalen Schulbücher den richtigen
Weg einschlägt. In erster Linie sei nicht die Frage, ob digital
oder analog, glaubt er. „Die jungen Menschen müssen zu
selbstständigem Denken angeregt werden, nicht zu einfacher
Replikation.“ Für ihn steht fest: Die Einführung des „digitalen
53
KULTUR
KOREA
Textbuches“ in Korea soll vorrangig die technische
Leistungsfähigkeit des Landes demonstrieren.
Wie in der Modellklasse in Incheon sollen Papier und
herkömmliche Stifte bis 2015 komplett verschwinden.
Die einzige, die im digitalen Klassenraum noch einen Stift
benutzt, ist Lehrerin Yeo Mi-jung. Damit schreibt sie auf die
Whiteboards links und rechts der digitalen Tafel. Noch, denn
das auch nur so lange, bis sie sich an das Schreiben mit
dem Finger auf der digitalen Tafel gewöhnt hat. Auch Yeo
Mi-jung ist wie ihre Schüler und Schülerinnen noch in der
Erprobungsphase. Seit März dieses Jahres unterrichtet die
Englischlehrerin digital.
Yeo Mi-jung erzählt von Kollegen, vor allem die Älteren,
die nicht so recht überzeugt seien, dass das digitale
Klassenzimmer eine gute Idee ist. Auch sie selbst war
zunächst skeptisch: „Ich hatte anfangs Angst vor den
digitalen Textbüchern“, sagt sie. Yeo Mi-jung ist 29 Jahre alt.
Eine junge Lehrerin. Auch sie ist eigentlich schon ein „Digital
Native“, jemand, der mit digitaler Technik aufgewachsen ist.
„Ich habe Englisch noch mit einem Buch aus Papier
gelernt“, grinst sie. Für die neue Schülergeneration wird
das Sprachenlernen nun interaktiv. Lösen sie eine Aufgabe
im „Arbeitsbuch“, antwortet das Schulbuch auf Englisch:
„Großartig“, wenn die Aufgabe richtig gelöst worden ist
und „Bitte noch einmal“, wenn der Schüler nicht korrekt
geantwortet hat.
Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kommt die
Lehrerin mit der neuen Technik mittlerweile bestens klar. Als
unterrichte sie seit Jahren mit der digitalen Tafel, wischt sie
über den Bildschirm. Die Aufgaben für die Schüler tippt sie
im 90 Grad-Winkel auf der virtuellen Tastatur in die ebenfalls
digitale Tafel.
Geht es nach der Regierung in Seoul, wird das Projekt
ein voller Erfolg und das koreanische Bildungssystem
nun noch etwas besser. Der Erfolg bei der OECD-weiten
Bildungsvergleichstudie PISA scheint den Koreanern recht
zu geben. Dass Korea sowohl bei der digitalen Technik
als auch im Bildungssystem mit weitreichenden sozialen
Problemen zu kämpfen hat, wird dabei gerne übersehen.
Viele koreanische Jungendliche gelten als internet- oder
computersüchtig, verbringen eigentlich das ganze
Leben vor Bildschirmen. Leistungsdruck von Eltern und
Mitschülern und ein unbarmherziges Schulsystem haben
Südkorea zu einem traurigen Rekordhalter gemacht: In
keinem anderen OECD-Land nehmen sich mehr Menschen
das Leben als in Korea. Selbstmord ist die häufigste
Todesursache in der Altersgruppe der 14- bis 29-jährigen.
54
KULTUR
KOREA
Dass das Klassenzimmer digital wird, steht angesichts
der Entwicklungen auf dem Computer-, Handy- und
Tablet-Markt quasi außer Frage. Die Durchdringung der
koreanischen Gesellschaft mit elektronischen Geräten, die
potenziell geeignet sind, die schulischen Inhalte auch in
andere Lebensbereiche außerhalb des Klassenzimmers zu
tragen, ist omnipräsent.
Welches Gerät die Schüler am Ende nutzen, um auf
die Lerninhalte zuzugreifen, soll letztlich auch völlig
egal sein. Vom „grenzenlosen Klassenraum“ und dem
„Lernen außerhalb der Schule“ träumt Bildungsminister
Lee Ju-ho in dem von ihm 2011 herausgegebenen Buch
„Positiver Wandel – Die Bildungs-, Wissenschafts- und
Technologiepolitik Koreas“. Lernen soll so allgegenwärtig
und selbstverständlich werden wie die Benutzung des
Mobiltelefons.
Auch wenn viele Schüler das Lernen mit der neuen Technik
toll finden, so richtig angekommen in der Freizeit ist die
Schule damit noch nicht. Der grenzenlose Klassenraum wird
wohl auch erst einmal eine Vision bleiben, denn die ersten
Grenzen müssen den Schülern bereits im Probeunterricht
aufgezeigt werden. Populäre Internetseiten wie Twitter
oder Facebook können die Schüler nicht für Lernzwecke
nutzen. Der 13-jährige Kim Ho-seon bringt es lachend auf
den Punkt: „Ich würde ja gerne Facebook im Unterricht
benutzen, aber wenn ich das mache, bringt mich meine
Lehrerin um.“
K ALEIDOSKOP
Historische Romane
in Südkorea beliebt
Von Sebastian Ratzer
Foto: Set Byol Oh
Historische Romane sind in Südkorea seit vielen
Jahren beliebt. Immer wieder erobern sie die
vorderen Plätze der Bestsellerlisten.
„Die Menschen mögen glaubwürdige fiktive
Geschichten“, erklärt Lee Yong-sook, die sich
als Übersetzerin vorwiegend mit deutschen
literarischen Texten beschäftigt. „Auf Basis
der vergangenen Realität wird der Eindruck
vermittelt, dass sich die Geschichten wirklich
ereigneten“, fügt sie hinzu.
2011 belegte „Goguryeo“ von Kim Jin-myeong,
ein Roman über die Zeit des gleichnamigen
alten Königreiches, Platz sieben der
Jahresbestsellerliste von Südkoreas größtem
Buchhändler Kyobo. Auf Platz 13 folgte das fürs
Fernsehen verfilmte „Tree With Deep Roots“
von Lee Jeong-myeon über König Sejong den
Großen und die Erfindung des koreanischen
Alphabets Hangeul. Rang 17 belegte „Princess
Deokhye“ von Kwon Bi-young über das Leben
der jüngsten Tochter des letzten Kaisers Kojong.
Hohe Affinität zur Geschichte
Koreas wechselvolle Geschichte bietet viel
Stoff für spannende Erzählungen. Gleichzeitig
haben die Südkoreaner eine hohe Affinität zur
Geschichte ihres Landes.
„Wir Südkoreaner sind durch den
Schulunterricht gut mit der Vergangenheit
vertraut. Fiktionale Elemente machen
Geschichte aber noch interessanter“, meint die
Angestellte Moon Jeong-seon. „Historische
Romane sind eine Wiederverwertung der
Geschichte“, sagt der Angestellte Kim Jae-sam.
„Mir gefällt es, wenn ich aus den Erfahrungen
der Helden vergangener Zeiten lernen kann.“
Autoren machen sich das allgemein große
Interesse an früheren Zeiten zunutze. Häufig
ließe sich die Kernhandlung auch in der
Gegenwart ansiedeln. Doch die Schriftsteller
wissen, dass ein historischer Roman beim Leser
allgemein gut ankommt.
„Man muss aber genau nachforschen, was in
dem betreffenden Zeitraum wirklich passiert ist“,
meint Lee, die an der Universität Frankfurt/M.
Germanistik studierte.
Historische Romane werden gerne verfilmt
Anstoß für den aktuellen Trend zu historischen
Romanen gab das 1990 veröffentlichte „Dongeui
Bogam“ von Lee Eun-seong. Das Werk über den
Hofarzt Heo Jun bescherte MBC, neben KBS
und SBS eine der drei großen Fernsehanstalten
Südkoreas, 2000 einen Quotenerfolg.
Die Handlung historischer Romane spielt sich
meist in der Joseon-Epoche (1392 - 1910) oder
zur Zeit der japanischen Kolonialherrschaft
(1910 - 1945) ab. „Beides liegt weniger weit
zurück und ist für den Verfasser aufgrund der
Fülle an zugänglichen historischen Dokumenten
und Materialien leichter zu erschließen“, weiß
die Expertin Lee.
Doch gründliche Nachforschungen sind heute
nicht mehr zwingend erforderlich. Denn der
Trend zu historischen Romanen entwickelte
sich weiter. Mussten sich Autoren früher an
historische Fakten halten, so dürfen sie heute
der Fantasie freien Lauf lassen. Auch eine Prise
Herzschmerz ist beim Leser willkommen.
Von Januar bis März zeigte MBC mit großem
Erfolg „The Moon That Embraces the Sun“,
basierend auf dem gleichnamigen Roman
von Jung Eun-gwol. Der Roman war bereits
2005 erschienen, doch erst die Ende 2011
veröffentlichte Neuausgabe erreichte dank
der Beliebtheit der Serie zu Jahresanfang
Bestsellerstatus. Viele der Romane werden
erst dank einer Verfilmung als Serie
Verkaufsschlager.
55
KULTUR
KOREA
Ein Roman der im Internet entdeckten Autorin
Jung Eun-gwol diente bereits als Vorlage für
einen im Herbst 2010 gesendeten erfolgreichen
Mehrteiler auf KBS2. „Sungkyunkwan Scandal“
basiert auf „The Lives of Sungkyunkwan
Confucian Scholars 1 & 2“, ursprünglich 2007
erschienen und 2009 anlässlich der Serie neu
aufgelegt. Die Neuauflage erreichte Platz
drei der Jahresbestsellerliste von Kyobo. In
ihrem Sog belegte Jungs neuestes fiktionales
Prosawerk „The Days of Kyujanggak Gakshins“
Platz sieben der Jahresliste.
Foto: Klaus Ratzer
Geschichten werden fantasievoller
In „The Moon That Embraces the Sun“ trifft ein
fiktiver Joseon-König eine Schamanin, die einst
als Tochter einer Adelsfamilie sein Herz erobert
hatte, als er noch Kronprinz war. Durch eine
Intrige hatte sie ihre Stellung als Kronprinzessin
in spe verloren, besitzt aber keine Erinnerung an
den Vorfall.
Für den Leser und Zuschauer ist offenkundig,
dass sich die Geschichte nicht annähernd so
zugetragen haben kann; die fiktiven Elemente
überwiegen.
Gespräche mit Südkoreanern zeigen, dass sich
weibliche Leser mehrheitlich nicht daran stören.
Männliche Leser hingegen mögen es häufig
nicht, wenn sich Romanschreiber zu sehr von
den historischen Fakten entfernen.
„Je mehr Fantasie der Autor aufbringt, desto
interessanter wird die Handlung“, sagt die
Leserin Moon. „Zu viel Fiktion dient nur der
Anbiederung an die Massen“, hält der Leser Kim
dagegen.
Doch im Buchladen sind sich beide Geschlechter
schnell einig. Historische Romane sind bei Mann
und Frau gleichermaßen beliebt. Das beweisen
die konstant hohen Verkaufszahlen.
Nicht zuletzt dank erfolgreicher Verfilmungen
werden historische Romane auch künftig bei
den Südkoreanern hoch im Kurs stehen.
Sebastian Ratzer arbeitet
seit seinem Abschluss
als Diplom-Bibliothekar
an der Fachhochschule
Köln im Jahr 2000 als
Redakteur bei Südkoreas
Auslandsrundfunk KBS
WORLD Radio in Seoul.
56
KULTUR
KOREA
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K ALEIDOSKOP
Frühe Koreaner in Deutschland
Studium und Aktivitäten von Yi Geungno (1893-1978) in Berlin
Von Dr. Sonja Häußler
A
nfang des 20. Jh. machte sich eine Reihe von
Koreanern auf den beschwerlichen und weiten
Weg nach Deutschland, um Bildung und Wissen
an den hiesigen Universitäten zu erlangen.
Wie viele es insgesamt vor und während der Kolonialzeit
waren, konnte bisher nicht hinlänglich geklärt werden.
Teils liegt dies an der unbefriedigenden Aktenlage, teils
an mangelnden Nachforschungen. Soweit ersichtlich, war
Kim Jung-se (1882 - 1946?) der erste koreanische Student
in Deutschland. Er kam 1909 nach Berlin und promovierte
hier 1923 im Fach Philosophie. Ein zeitgenössischer Artikel
in der Sinhan minbo spricht davon, dass es im Jahre 1925
insgesamt 32 koreanische Studenten in Deutschland gab
und 34 weitere inzwischen nach Korea zurückgekehrt oder
zum Studium in ein anderes Land gegangen seien.1 Der
Bekannteste unter ihnen ist zweifellos Li Mirok (1899 - 1950),
der nach der Zerschlagung der Unabhängigkeitsbewegung
1919 nach München kam und dort im Jahre 1928 in Zoologie
promovierte. Mit seinen autobiografischen Romanen und
koreanischen Erzählungen hat er sein Heimatland auf
feinsinnige, künstlerische Weise den deutschen Lesern
näher gebracht und sie zu rühren vermocht. Wenn von den
ersten koreanischen Studenten in Deutschland die Rede
ist, wird meist auch An Ho-sang genannt, der an der Jenaer
Universität in Philosophie promovierte und später ebenfalls
ein bedeutender Kulturbotschafter zwischen Korea und
Deutschland war. Viele weitere koreanische Absolventen einer
deutschen Universität in der frühen Phase sind entweder gar
nicht oder nur vom Namen her bekannt und warten noch auf
die Aufdeckung ihrer Studien- und Lebensgeschichte.
Im vorliegenden Beitrag soll ein in Deutschland bisher
kaum bekannter Intellektueller vorgestellt werden, der
in den 1920ern an der Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Berlin, der Vorgängerin der Humboldt-Universität,
studierte: Yi Geungno bzw. Li Kolu. Er war eine bedeutende
Persönlichkeit in der koreanischen Unabhängigkeits- und
Sprachbewegung der Kolonialzeit und nach der Befreiung
einer der führenden Linguisten. Dass ein gewisser Li Kolu an
der Berliner Universität studierte und mit dem Linguisten Yi
Geungno identisch ist, erfuhr die Verfasserin erstmals durch
ihre früheren Kollegen an der Humboldt-Universität, Prof.
Helga Picht und Dr. Wilfried Herrmann. Vor einigen Jahren
dann recherchierte die Verfasserin im Auftrag von Herrn
Go Yeonggeun, Prof. em. der Seoul National University, im
Archiv der Humboldt-Universität und sichtete dort einige
Studienunterlagen von Yi Geungno/Li Kolu.
Yi Geungnos Beispiel verdeutlicht, dass es in manchen
Fällen nicht so einfach ist, die Identität einer Person
herauszufinden, zumal, wenn es sich um Personen oder
Ereignisse aus der Kolonialzeit handelt. Zahlreiche Koreaner
sind in dieser Zeit über China nach Europa oder Amerika
gegangen und daher an ihrem Ankunftsort oft unter der
chinesischen Lautung ihres Namens registriert worden.
Für diejenigen, die der japanischen Kolonialmacht kritisch
gegenüberstanden, war dies sicher eine willkommene,
vielleicht sogar absichtlich herbeigeführte Gelegenheit, eine
Registrierung als japanischer Staatsbürger zu umgehen und
auf diese Weise ihre Distanz zur Kolonialmacht auszudrücken.
Einige, wie der oben erwähnte Li Mirok, gelangten sogar
mit Hilfe eines chinesischen Passes ins Ausland, und es ist
mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dies bei Yi
Geungno ebenso der Fall war. In allen Personalpapieren der
Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin ist er als chinesischer
Staatsbürger ausgewiesen, und sein Name mit Kolu Li
angegeben. Eine Ausnahme bildet seine Promotionsurkunde,
in der seine koreanische Herkunft angezeigt ist: „Kolu Li,
coreano“. 2 Yi Geungno selbst gibt in seinem Lebenslauf an,
er sei „am 10. April 1896 als Sohn des Arztes Kenchu Li in
Huan-jen-hsian in der Mandschurei geboren“. 3 Tatsächlich
ist er jedoch am 28.08.1893 in Korea geboren, und zwar im
Dorf Du-gok, Kreis Uiryeong, Provinz Süd-Gyeongsang. Über
die Gründe, die Yi Geungno zu einer abweichenden Angabe
seines Geburtsdatums veranlasst haben könnten, soll hier
nicht spekuliert werden. Die Informationen zu seinem Vater
entsprechen ihrem Grundgehalt nach der Wirklichkeit,
berücksichtigt man, dass dessen Name Yi Geun-ju in
chinesischer Lautung und dessen Tätigkeit als traditioneller
Heilpraktiker mit einer europäischen Berufsbezeichnung
wieder gegeben sind. Der genannte Kreis Huan-jen-hsian,
auf Koreanisch Hwanin-hyeon, war Yi Geungnos erster
57
KULTUR
KOREA
이
극
로
Aufenthaltsort in der Mandschurei, nachdem er 1911 sein
Heimatland verlassen hatte. Während seiner dortigen
Tätigkeit als Lehrer an einer koreanischen Schule lernte er
eine Reihe bedeutender Aktivisten der anti-japanischen
Unabhängigkeitsbewegung kennen. Unter dem Einfluss
von Yun Se-bok (1881 - 1960) und Bak Eun-sik (1859 - 1925)
schloss er sich der nationalistisch gesinnten DaejonggyoSekte an, die Dan’gun als Urvater des koreanischen Volkes
verehrte. Von daher lag es für Yi Geungno wohl nahe, die
Stätte seiner spirituellen Erweckung, die für ihn sicher ein
einschneidendes Erlebnis in seinem Leben bedeutete, als
seinen angeblichen Geburtsort auszugeben.
Seine Hochschulreife erlangte Yi Geungno im Januar 1920,
nach vierjährigem Besuch der Gymnasialabteilung der
deutsch-chinesischen Tung-Chi Medizin- und Ingenieurschule
in Wusung bei Shanghai. Nach seinem Abitur studierte er
ein Semester an der Ingenieurschule der gleichen Anstalt.
Im Juni 1921 fand sich schließlich eine Gelegenheit, seinen
lang gehegten Traum eines Studiums in Deutschland zu
verwirklichen. Von Shanghai aus fuhr er auf dem Schiffsweg
über Hongkong, Saigon, Singapur und Colombo durch den
Suez-Kanal nach Port Said, Ägypten, und gelangte dann über
Rom nach Berlin, von wo er zunächst als Dolmetscher und
Begleiter von Yi Donghwi einen dreimonatigen Abstecher
nach Moskau machte. Im April 1922 wurde Yi Geungno an der
philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Berlin immatrikuliert und studierte im Hauptfach
Nationalökonomie und als Nebenfächer Philosophie und
Ethnologie. In seinen Lebenserinnerungen erzählt er davon,
dass er Seminare bei 44 Professoren besucht habe, wobei
er die Professoren Schuhmacher (Wirtschaft), Sombart
(Soziologie), Thurnwald (Ethnologie) und Heinrich Maier
(Epistemologie) hervorhebt. 4
Während seines achtsemestrigen Studiums bemühte
sich Yi Geungno, auch praktische Erfahrungen in seinen
Studienfächern zu sammeln. Seine erste Reise führte ihn im
August 1923 zusammen mit Kim Jun-yeon, einem weiteren
koreanischen Studenten, in den Spreewald, um sich die Kultur
und Lebenswirklichkeit der Wenden anzuschauen. Für diese
Reise wird vermutlich nicht nur eines seiner Studienfächer,
die Ethnologie, ausschlaggebend gewesen sein, sondern
das generelle Interesse eines Angehörigen eines kleinen,
kolonial unterdrückten Volkes, die Lebensbedingungen
von ethnischen Minderheiten in anderen Ländern
kennenzulernen. Eine weitere Studienreise unternahm Yi
Geungno im August 1926, bei der er das Dorf Zäckerick in
Westpommern besuchte, um dort den Ackerbau und die
Forstwirtschaft deutscher Bauern zu erforschen. Über diese
Reisen als auch seine Erfahrungen und Erlebnisse in Berlin
berichtete er später in den 1930ern in zahlreichen Beiträgen
für koreanische Zeitungen und Zeitschriften, wodurch er
nicht unwesentlich dazu beitrug, das Wissen über fremde
Länder unter seinen Landsleuten zu mehren.
58
KULTUR
KOREA
Yi Geungno schloss sein Studium im Juni 19265 erfolgreich
ab und promovierte bereits kurze Zeit darauf, am 27.05.1927,
im Fach Staatswissenschaften an der Philosophischen Fakultät
der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Selbst wenn
man bedenkt, dass Promotionsschriften zur damaligen Zeit
nicht so umfangreich waren wie heute, ist es als eine ganz
erstaunliche Leistung anzusehen, dass er schon fünf Jahre
nach seiner Ankunft in Berlin zu promovieren vermochte.
Von Yis außerordentlichen Fähigkeiten und seinem Intellekt
zeugt außerdem der Fakt, dass seine Promotionsschrift „Die
Seidenindustrie in China“ mit dem Prädikat „valde laudabile“
gewürdigt und aufgrund der ausgezeichneten Bewertung
im gleichen Jahr im Verlag Wilhelm Christians, Berlin,
veröffentlicht wurde. Da er einer der wenigen Koreaner war,
die zur damaligen Zeit eine Promotion im Ausland vorweisen
konnten, wurde Yi Geungno von seinen Landsleuten sehr
bewundert und geschätzt und nach seiner Rückkehr nach
Korea des Öfteren um öffentliche Meinungsbekundungen in
den verschiedensten Bereichen gebeten.
Eine spannende Frage ist, wo Yi Geungno in Berlin wohnte. In
seinen Personalpapieren für die Meldung zum Doktorexamen,
datiert am 26.11.1926, findet sich die Angabe Jagowstraße 23
(heute zum Bezirk Mitte gehörig). Ob er die ganze Zeit über
dort wohnte oder erst zum Ende seiner Promotionsphase hin,
kann beim jetzigen Kenntnisstand leider nicht beantwortet
werden.
Neben seinem Studium war Yi Geungno auch stark
gesellschaftlich aktiv. Gleich nach seiner Ankunft in Berlin trat
er der Vereinigung koreanischer Studenten in Deutschland
(유덕고려학우회, Yudeok Goryeo haguhoe) bei und
entwickelte sich zu einer ihrer führenden Persönlichkeiten
im anti-kolonialen Kampf. Als die Studenten von dem
Blutbad erfuhren, das die Japaner nach dem Großen KantoErdbeben unter Koreanern anrichteten, organisierten Yi
und andere Mitglieder der Vereinigung am 26.10.1923
eine Großkundgebung der Koreaner in Deutschland
(재독한인대회, Chaedok hanin daehoe), auf der sie das
Gemetzel brandmarkten. In einer auf der Großkundgebung
verteilten Agitationsschrift in deutscher und englischer
Sprache informierten sie die ausländische Öffentlichkeit
über das grausame Kolonialregime und baten sie um
Unterstützung des gerechten Anliegens der Koreaner, einen
unabhängigen Staat wiederzuerrichten.6 Um eine breitere
Öffentlichkeit zu erreichen, verfasste Yi Geungno kurz darauf
eine umfassendere Darstellung über die Geschichte des
koreanischen Volkes, den Verlust seiner Souveränität und
sein Ringen um die Wiedererlangung der Selbstständigkeit.
Die 32 Seiten lange Broschüre wurde im Februar 1924
unter dem Titel „Unabhängigkeitsbewegung Koreas und
japanische Eroberungspolitik“ im Berliner Verlag Siettenfeld
gedruckt. Versehen mit einem persönlichen Signum ließ der
Verfasser eine der Broschüren der Königlichen Universitäts-
© Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv
Bibliothek zu Göttingen zukommen, in deren Nachlass
sie auch heute noch zu finden ist. Eine wichtige Aktion im
anti-japanischen Unabhängigkeitskampf war die Teilnahme
mehrerer koreanischer Studenten und des Juristen Heo
Heon am Kongress gegen koloniale Unterdrückung und
Imperialismus, der im Februar 1927 in Brüssel stattfand.
Als Vertreter der koreanischen Studenten in Deutschland
nahmen daran Yi Geungno, Yi Ui-gyeong (Li Mirok) und
Hwang U-il teil, aus Frankreich Kim Beom-nin. Der in
deutscher, englischer und französischer Sprache vorbereitete
Antrag der Koreaner umfasste drei Punkte: Die Erfüllung
des Vertrages von Ganghwa 1895, laut dem Korea die
Unabhängigkeit zugesichert worden war, die sofortige
Auflösung des japanischen Generalgouvernements Chōsen
und die Anerkennung der Provisorischen Regierung in
Shanghai. Zu den zahlreichen politischen Aktivitäten Yi
Geungnos in Berlin zählt u. a. auch die Veröffentlichung
einer zweiten, 16 Seiten umfassenden Broschüre, die den
Titel „Korea und sein Unabhängigkeitskampf gegen den
japanischen Imperialismus“ trug und im Mai 1927 gedruckt
wurde.
Ein entscheidender Wendepunkt für Yi Geungnos zukünftigen
beruflichen Werdegang sollte seine Tätigkeit als Lektor
für koreanische Sprache werden, die er am Seminar für
Orientalische Sprachen der Friedrich-Wilhelms-Universität
von 1923 bis 1926 ausübte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
ist davon auszugehen, dass Yi Geungno damit der erste
war, der an einer akademischen Institution in Deutschland
einen Koreanisch-Kurs gab. Die näheren Umstände seiner
Anstellung, die Frage, von wem die Initiative kam, neben
Chinesisch und Japanisch auch Koreanisch anzubieten,
wie viele Studenten den Kurs besuchten, und andere
diesbezügliche Aspekte lassen sich nach bisheriger
Kenntnislage nicht erhellen. Fakt ist, dass das akademische
Interesse an der koreanischen Sprache in Berlin bereits
geweckt war, denn unter den Sprachaufnahmen,
die in den Jahren 1916/17 im Auftrag der Königlich
Preußischen Phonographischen Kommission in deutschen
Kriegsgefangenenlagern gemacht wurden, befanden sich
auch Sprach- und Liedproben koreanischer Soldaten der
russischen Armee. Die Lautsammlung wurde im Jahre
1923 durch weitere koreanische Sprachaufzeichnungen,
nachweislich jene von Kim Jungse, ergänzt.7 Warum gerade
Yi Geungno mit der Aufgabe betraut wurde, Unterricht in
Koreanisch zu geben, lässt sich vielleicht damit erklären,
dass er bereits Lehrerfahrungen aus seiner Zeit in der
Mandschurei nachweisen konnte und durch die Freundschaft
mit Schülern von Ju Sigyeong (1876 - 1914), des Pioniers der
modernen koreanischen Sprachwissenschaft, schon einige
Einsicht in Arbeiten und Diskurse zur koreanischen Sprache
und Schrift gewonnen hatte. Angesichts des damaligen
Forschungsstandes war es für Yi Geungno ungemein schwer,
den Erwartungen an den Sprachunterricht gerecht zu werden.
Um ein Hilfsmittel für Übungen in der koreanischen Sprache
zu bieten, wählte Yi Geungno einige Kapitel aus einem Roman
seines Zeitgenossen Yi Gwangsu und publizierte diese,
versehen mit einer eigenen Übersetzung, in die deutsche
Sprache, im Jahre 1927 in den Mitteilungen des Seminars für
Orientalische Sprachen zu Berlin, Jhrg. XXX. Für den Druck
des koreanischen Ausschnittes aus dem „Heosaeng-jeon“
(허생전, in deutscher Übersetzung: „Aus dem Leben eines
koreanischen Gelehrten“) verwendete die Reichsdruckerei die
neu entwickelten koreanischen Schrifttypen, die Yi Geungno
von Kim Dubong aus Shanghai erhalten hatte.
李
克
魯
Wie Yi Geungno später immer wieder betonte, litt er
sehr darunter, dass er während seines Studiums in
Deutschland den Bitten nach Koreanisch-Unterricht nur sehr
unvollkommen habe nachkommen können.8 Insbesondere
die Fragen seiner Studenten, warum es keine einheitliche
Orthographie und keine Wörterbücher gäbe, hätten in ihm
ein Gefühl der Scham hervorgerufen und ihn dazu motiviert,
sich der Erforschung und Standardisierung der koreanischen
Sprache und Schrift zuzuwenden.9 Nach seiner Promotion
fing er daher an, sich intensiver auf sprachwissenschaftlichem
Gebiet zu bilden, wobei er sich die damals bestehenden
Möglichkeiten zur Beschäftigung mit experimenteller
Phonetik nutzbar machte. Zu den Phonetikern, die er
59
KULTUR
KOREA
Wie viele Koreaner, die sich für die Unabhängigkeit Koreas
einsetzten, war Yi Geungno überzeugt, dass der Erhalt
der koreanischen Nation nur durch die Bewahrung und
Pflege der koreanischen Sprache, Kultur und Geschichte
zu sichern sei. Durch seine Studien in Deutschland sowie
Reisen in Europa und Amerika erkannte Yi Geungno, dass
eine Standardisierung der koreanischen Sprache und Schrift
unabdingbar sei. Nach seiner Rückkehr nach Korea trat
er der Gesellschaft für koreanische Sprache (조선어학회,
Joseoneo hakhoe) bei, in der er sich fortan führend engagierte,
und schuf außerdem ein Komitee zur Kompilation eines
Koreanischwörterbuchs. Als prominentes Mitglied dieses
Komitees wurde er 1942 von den Japanern verhaftet und zu
sechs Jahren Kerker verurteilt. Erst der Zusammenbruch des
japanischen Kolonialregimes im August 1945 beendete seine
Haft im Gefängnis von Hamheung. Nach seiner Befreiung
rief er mit anderen früheren Mitgliedern die Gesellschaft für
koreanische Sprache wieder ins Leben, wirkte maßgebend
an sprachreformerischen Projekten mit und beteiligte sich
an den unterschiedlichsten Aktivitäten zur Wiederbelebung
des koreanischen Kulturguts und der Rückbesinnung auf
die eigene Geschichte. Gesellschaftlich setzte er sich für ein
unabhängiges, einheitliches Korea ein, was im damaligen
polarisierten politischen Klima des Kalten Krieges zum
Scheitern verurteilt war. Nachdem er im April 1948 zusammen
mit Kim Gu und einer Reihe weiterer Südkoreaner an einem
Kongress in Nordkorea teilgenommen hatte, entschied
er sich letztendlich, dort zu bleiben. Auch dort avancierte
er zu einer führenden Persönlichkeit der koreanischen
Sprachwissenschaft; er war u. a. Vorsitzender der Gesellschaft
für koreanische Sprache und Schrift (조선어문연구회, Joseon
eomun yeon’guhoe) und Direktor des Institutes für koreanische
Sprache und Literatur an der Akademie für Wissenschaften.
Mit seinen Ansichten über die Reinheit der koreanischen
Sprache und die Standardisierung von Lexik, Phonetik und
Schrift bestimmte er in bedeutendem Maße Sprachpolitik
und -reform in Nordkorea. Inwieweit er dabei Vorstellungen,
die er bereits in früherer Zeit entwickelt hatte, umsetzte oder
davon abging, kann im Rahmen des vorliegenden Beitrags
nicht erörtert werden. Gleiches gilt für die Beleuchtung seiner
politischen Tätigkeit in verschiedenen höheren Ämtern.
Yi Geungnos Wirken für die Unabhängigkeit Koreas und sein
Einsatz innerhalb der koreanischen Sprachbewegung in
der Kolonialzeit werden heute in beiden Teilen Koreas hoch
geschätzt. In der Republik Korea hat sich bereits eine Reihe
60
KULTUR
KOREA
von Publikationen den Nachforschungen über sein Leben
und Werk gewidmet. Seine Würdigung mündete jüngst in die
Gründung einer Gedenkgesellschaft, der Yi Geungno baksa
ginyeom saeophoe (이극로박사 기념사업회). Begleitet wird
diese Initiative namhafter koreanischer Linguisten von der
Publikation einer Vereinszeitschrift mit dem Titel Goru sosik
(고루소식). Nähere Informationen können Interessenten auf
der Homepage der Gesellschaft finden: www.goru.kr.
1 Sinhan minbo, 05.11.1925.
2 Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Rektor und Senat, Promotion, 27.05.1927, Kolu Li.
3 HU, Universitätsarchiv, Lebenslauf, undatiert, Kolu Li.
4 Go Yeong-geun. Yi Geung-no-ui sahoe sasang-gwa eomun undong. Hanguk inmulsa yeongu, Nr. 5, Seoul: Hanguk inmulsa yeonguso, 2006 (Sonderdruck), S. 334.
5 HU, Universitätsarchiv, Abgangszeugnis, 27.07.1926, Kolu Li.
6 Die englische Ausgabe mit dem Titel „Japan’s Bloody Rule in Korea“ siehe: The History of Korean Independence Movement Online. https://
search.i815.or.kr/Degae/DegaeView.jsp?nid=712 (Zugriff: 15.05.2012)
7 Siehe Lautarchiv der Humboldt-Universität: www.sammlungen.hu-
berlin.de
8 Erinnerungen des koreanischen Sprachlektors an der Humboldt-
Universität, Tschong Tschido, im Gespräch mit Prof. Helga Picht in
den 1980er Jahren.
9 Go Yeonggeun, S. 334.
10 Siehe elektronische Datenbank der Bibliotheque Nationale de France: www.gallica.bnf.fr
Foto: privat
kontaktierte, zählen Dr. Daniel Jones in London, Dr. Wettler
in Berlin und Dr. E. Šramek in Paris. Vor allem die praktischen
Arbeiten in den phonologischen Laboratorien in Berlin und
Paris wurden für ihn eine Inspiration für seine langzeitige
Beschäftigung mit der koreanischen Phonologie. Aus dem
Pariser Laboratorium sind uns sogar einige Stimmproben Yi
Geungnos auf den heutigen Tag überliefert.10
Sonja Häußler ist gegenwärtig Professorin für
koreanische Sprache und
Kultur an der Universität
Stockholm. Davor war
sie als Gast-/Vertretungsprofessorin an der
Ruhr-Universität Bochum,
der ELTE-Universität
Budapest sowie der HU
und FU in Berlin tätig. Sie
lehrte außerdem an den
Universitäten Wien und
Hamburg.
DEUTSCHE SICHTEN AUF KOREA
Als Leibarzt,
Schuldirektor
und Oberhofmeisterin
im offiziellen Auftrag in Korea
– Gedanken zu den Reiseberichten von Dr. med. Richard Wunsch, Johann Bolljahn und Emma Kroebel –
Von Dr. Sylvia Bräsel
„Aber das Eigene muß so gut gelernt sein wie das Fremde“
( Friedrich Hölderlin)
Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Enkeltöchter von Dr. Wunsch,
Ute Claussen (Wiesbaden) & Dr. Gesine Felix (Berlin).
Dr. Wunsch mit seinen Hausangestellten in Seoul
Auf den ersten Blick scheinen die deutschen KoreaReisenden Emma Kroebel (1872 – 1945), Dr. Richard
Wunsch (1869 – 1911) und Johann Bolljahn (1862 – 1928)
wenige Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Sind doch ihre
nachgelassenen Reiseerinnerungen auf unterschiedliche
Weise publiziert bzw. der Nachwelt übermittelt worden.
Während Johann Bolljahn Artikel in verschiedenen
renommierten Zeitschriften seiner Zeit über das koreanische
Schulwesen, Sitten und Bräuche, Märchen und Sagen
veröffentlichte, wurden die Briefe und Tagebuchnotizen
des Arztes Richard Wunsch („Fremde Heimat Korea“/ 1905)
erst im Jahre 1976 von seiner Tochter Gertrud ClaussenWunsch aus dem Nachlass herausgegeben. Emma Kroebels
Buch „Wie ich an den Koreanischen Kaiserhof kam“ erschien
hingegen 1909 in dem bekannten Berliner Verlag R.
Jacobsthal & Co in einer gediegenen Ausgabe und löste
sogar heftige Debatten in der amerikanischen Presse aus.
Alle Publikationen reihen sich jedoch in die beachtliche
Anzahl von Reiseberichten (ca. 22 Bücher) ein, die über
das im Westen damals kaum bekannte Korea zwischen
1835 bis 1914 geschrieben wurden. Auf den zweiten Blick
überwiegen zudem die verbindenden Aspekte der auf den
ersten Blick so unterschiedlichen Persönlichkeiten Bolljahn,
Kroebel und Wunsch, die einer Generation von Deutschen
angehören, die durch ihr Wirken in Korea die deutschkoreanischen Beziehungen nachhaltig prägten.
Der Arzt Dr. Richard Wunsch, der Schuldirektor Johann
Bolljahn und die Oberhofmeisterin Emma Kroebel waren
im offiziellen Auftrag in Korea während der letzten Phase
der territorialen Souveränität des Landes (zwischen 1898
bis 1909) tätig. Wunsch, Bolljahn und Kroebel standen
in koreanischen Diensten und nahmen im jeweiligen
Gefüge eine herausgehobene Stellung ein. Sie erlebten
die Umbrüche zwischen Tradition und Moderne und die
schrittweise Kolonialisierung Koreas aus spezifischen
Blickwinkeln und waren durch ihre Tätigkeiten mit den
61
KULTUR
KOREA
daraus resultierenden Problemen konfrontiert. Wunsch
und Bolljahn verband zudem eine Männerfreundschaft,
die auch von den Werten der Toleranz und Akzeptanz
gegenüber der anderen Kultur getragen wurde. Die
vorangegangenen Auslandserfahrungen in China (Emma
Kroebel) und Japan (Johann Bolljahn und Dr. Richard
Wunsch) ermöglichten den drei Persönlichkeiten
zudem eine bessere Einordnung der gesellschaftlichen
und politischen Prozesse in Korea zu Beginn des
20. Jahrhunderts. Pioniergeist und die Hoffnung,
auf der Basis von Engagement deutsche Interessen
vor Ort produktiv zu vertreten und gleichzeitig
zum Wissenszuwachs über die andere Kultur
beizutragen, prägen die Ausführungen. So fehlt in den
Reiseeindrücken jener vordergründige Eurozentrismus,
der in vielen Zeitquellen auffällig ist. Natürlich sind auch
diese Wortmeldungen nicht frei vom Geist der Zeit.
Insbesondere Emma Kroebel und Johann Bolljahn
vermögen ihre Berichte spannend zu „verkaufen“.
Emma Kroebel und Dr. Richard Wunsch ergänzen ihre
Eindrücke durch eigene Fotos, die zur Authentizität
beitragen sollen. Während Richard Wunsch auf
Frl. Sontag und Emma Kroebel in Seoul
ungestellte „Schnappschüsse“ aus dem Alltag setzt,
findet man im Buch von Kroebel auch Abbildungen, die
den Hang zu Exotik und Fremde bedienen.
Emma Kroebel (geb. Kosegarten) war übrigens die erste
Deutsche, die ein Reisebuch über Korea veröffentlichte.
Dieses Buch einer Frau sollte politisches Aufsehen erregen
und sogar zu Stellungnahmen in der New York Times oder
der Kiautschou-Post führen. Durch ihre Heirat im Jahre
1901 mit dem fast zwanzig Jahre älteren Hauptmann a.
D. Ernst Kroebel (1853 - 1925) kam sie nach Ostasien. In
der deutschen Kolonie Kiautschou war ihr Mann nach
dem Ausscheiden aus dem aktiven Militärdienst seit 1898
als einer der ersten Deutschen tätig. Als Direktor des
Kantinenwesens und als selbständiger Kaufmann erwarb
er sich in Tsingtau Verdienste. Das wiederum ermöglichte
es Emma Kroebel, das in Korea legendäre Fräulein Sontag
während deren Europa-Reise (1905 bis Herbst 1906) am
Koreanischen Kaiserhof als Oberhofmeisterin zu vertreten.
Zudem war Ernst Kroebel mit dem Gouverneur Oskar von
Truppel (1854- 1931) seit seiner Jugendzeit gut bekannt,
der wiederum Beziehungen zu Fräulein Sontag unterhielt.
So erklärt sich, dass die Wahl auf die gesellschaftlich wie
protokollarisch versierte Ehefrau des Hauptmanns a.D.
Kroebel als geeignete Vertreterin von Fräulein Sontag fiel.
Emma Kroebel war eine für ihre Zeit äußerst couragierte
und recht gebildete Dame. Das belegen ihre
Reiseerinnerungen in Buchform. Als erste Frau wagte
sie sich an die öffentliche Beschreibung koreanischer
Verhältnisse, reflektierte ihre Meinung zu Ereignissen
und Personen. So verdanken wir Emma Kroebel u.a.
eine ausführliche Beschreibung des Schulalltags an der
62
KULTUR
KOREA
Kaiserlichen Deutschen Sprachschule in Seoul unter dem
Begründer des Deutschunterrichts in Korea, Rektor Johann
Bolljahn (1862 – 1928). Kroebel bezeichnet den Pommern
Bolljahn als „Musterpädagogen“ und überaus „tüchtigen
Schulmann“.
Doch bekannt wurde Emma Kroebels Buch insbesondere
durch ihre Schilderung des Aufenthaltes von Miss Alice
Roosevelt, der Tochter des amerikanischen Präsidenten
Theodore Roosevelt, im September 1905 in Korea. Bereits
am 23.9.1905 berichtete die New York Times über den
Korea-Besuch der Präsidenten-Tochter. Die junge Alice
Roosevelt (1884 - 1980) reiste in Begleitung ihres späteren
Ehemannes, des Politikers Nicholas Longworth (1869 - 1931)
und gemeinsam mit dem damaligen Secretary of War William
Howard Taft (1857 - 1930). Die hochrangigen Gäste - so
berichtet die New York Times - wurden in Seoul mit allen
Ehren empfangen.
Emma Kroebel erzählt in ihrem Buch auf den Seiten 162
bis 167, wie man am Kaiserhof um das Wohlergehen der
Amerikaner bemüht war. Um die hohen Gäste besonders
zu ehren, „hatte der Kaiser den Befehl gegeben, für seinen
Gast ein Festessen auf der Grabstätte seiner verstorbenen
Zugleich verweist sie die Leser in Deutschland auf die
Ahnenverehrung und die Tatsache, dass die Grabstätte der
Vorfahren dem Koreaner als heilig gilt.
Dann schildert die Augenzeugin Emma Kroebel das nun
folgende Geschehen an der Grabstätte. Hier hatten sich
koreanische Würdenträger, Hofbeamte und Persönlichkeiten
der Diplomatie zum Empfang der amerikanischen Gäste
Alice Roosevelt und Mr. Longworth versammelt.
„In rotem Reitkleid, die engen Reithosen in hohen blanken
Schaftstiefeln, die Reitgerte in der rechten – eine Cigarre im
Munde, so kommt die Präsidententochter angesprengt“. Sie
nimmt kaum Notiz vom Begrüßungsakt der Würdenträger.
„Ihre Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf die Wache
haltenden Götzen und Steintiere und mit einem Sprunge
schwingt sie sich rittlings auf eines dieser Kolosse, dabei
Mr. Longworth zuzwinkernd, der schnell seinen Apparat
hervorholt, um die seltsame Szene photographisch
festzuhalten.“
Das in dem Buch „Wie ich an den Koreanischen Kaiserhof
kam“ geschilderte Auftreten war so spektakulär, dass es
zu einem Dementi und sogar zur Verunglimpfung der
Persönlichkeit von Emma Kroebel durch den Politiker
Longworth in der New York Times (18.11.2009) und in der
Kiautschou Post (11.12.1909) führen sollte. Die Kiautschou
Post versuchte noch in der Ausgabe vom 28.5.1910 mit
Hinweisen auf faktische Fehler das Buch zu diffamieren
und empfiehlt (einer Frau!) „Vorsicht bei der Behandlung
exotischer Themen“.
Dem in den USA lebenden koreanischen Wissenschaftler
Seangill (Peter) Bae ist es zu verdanken, dass die Richtigkeit
der Schilderung von Emma Kroebel nunmehr belegt werden
kann. Im Nachlass von Mr. Straight, dem persönlichen
Sekretär des damaligen amerikanischen Botschafters in
Korea Edwin V. Morgan, fanden sich Fotoarbeiten, die mit der
Aufschrift „Alice Roosevelt at Seoul“ die von Emma Kroebel
geschilderte Szene klar aufzeigen und ihre Glaubwürdigkeit
dokumentieren.
Letztlich war all das nur ein Mosaikstein im unrühmlichen
Paktieren gegenüber dem koreanischen Staat in dieser Zeit.
Während dieser „Goodwill-Mission“ (nach den Philippinen,
Japan und Korea) von William Howard Taft kam es durch den
amerikanischen Politiker und späteren Präsidenten der USA
(1909 - 1913) zur Aushandlung eines Geheimabkommens
mit dem japanischen Premierminister Katsura Taro. Es ging
als „Taft-Katsura Agreement“ in die Politikgeschichte ein und
besiegelte die Kolonialisierung Koreas durch Japan.
Roosevelt - Grabritt
Gemahlin zu veranstalten und hierbei feierlichst zu
begrüßen. Eine solche Ehrung wird, dem kaiserlichen
Hofzeremoniell zufolge, nur in ganz besonderen Fällen und
ganz besonders willkommenen und erlauchten Gästen
zuteil“, schreibt Emma Kroebel.
In der nächsten Ausgabe unseres Magazins können Sie den zweiten
Teil dieses Artikels über den Arzt Dr. med. Richard Wunsch und den
Pädagogen Johann Bolljahn lesen.
63
KULTUR
KOREA
DEUTSCHE SICHTEN AUF KOREA
Meine persönliche Begegnung mit Korea
seit den Achtzigerjahren
Von Dr. Ursula Diezemann
I
m Jahr 1988, vom 17. September bis zum 2. Oktober,
war Korea Gastgeber der Olympischen Sommerspiele,
an denen 8391 Sportler aus 159 Ländern teilnahmen,
ein Teilnehmerrekord! Die Entscheidung, Seoul mit der
Austragung der Olympischen Spiele zu beauftragen, traf das
Internationale Olympische Komitee 1981 in Baden Baden.
Zwei Jahre später begann meine Tätigkeit in der Presse- und
Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea. In den
Jahren bis zum Beginn der Olympischen Spiele war ein
Schwerpunkt der Pressearbeit, Korea in Deutschland einem
breiteren Publikum bekannt zu machen, um auch möglichst
viele Deutsche, für die Korea damals noch ein exotisches,
nahezu unbekanntes Land war, dafür zu interessieren, nach
Korea zu reisen.
Was lag da näher, als erst einmal in eine deutsche
Buchhandlung zu gehen, um zu sehen, was an Reiseliteratur
über Korea angeboten wurde – gähnende Leere in den
Regalen. Das musste sich ändern. So entstand die Idee, einen
Reiseführer über die Hauptstadt Seoul mit Ausflügen in das
Landesinnere und Informationen über die Austragungssorte
der Olympischen Spiele zu schreiben. Der damalige Presseund Kulturattaché hat sich sofort für die Idee begeistert und
seine Unterstützung zugesagt, da er wusste, dass mein Mann
schon einige Reiseführer geschrieben hatte. Sein Bericht über
unseren Plan stieß auch in Korea auf offene Ohren. Das war
der Beginn meiner Beziehung zu Korea. Damals ahnte ich
noch nicht, wie eng sie werden würde.
Welch ein Erlebnis, die Stadt Seoul, mit der ich durch
meine Tätigkeit schon eng verbunden war, selbst zu
erleben. Was uns am Stadtbild als erstes völlig faszinierte,
war das Nebeneinander von modernster Architektur und
Monumenten aus längst vergangenen Zeiten. Ein Beispiel
ist das Südtor (Namdaemun), das heute inmitten eines
pulsierenden Kreisverkehrs steht, umgeben von modernen
Hochhäusern. Gleichzeitig konnte man in dem quirligen
Treiben der Metropole in die Abgeschiedenheit uralter
Palastgärten von traumhafter Schönheit entfliehen. Bei
allem Fortschrittsdrang wurde das Althergebrachte bewahrt.
Ein besonderes Erlebnis auf dieser Reise, die uns auch zum
buddhistischen Haeinsa-Tempel, nach Gyeongju und Busan
führte, war der Aufenthalt auf der Insel Jeju. Weniger als
eine Flugstunde von Busan entfernt, taucht man plötzlich
in eine exotische, subtropische Vegetation ein. Malerisch
anzusehen waren die vielen Hochzeitspaare, die unter
bizarren Bäumen oder an einem der vielen Wasserfälle
64
KULTUR
KOREA
für das Hochzeitsfoto posierten – erfreute sich Jeju bei
koreanischen Paaren als „Honeymoon-Insel“ doch seinerzeit
großer Beliebtheit. Besonders beeindruckt waren wir von den
Taucherinnen (해녀/ Haenyeo), die ohne Sauerstoffflasche bis
zu einer Tiefe von 20 Metern nach Meeresfrüchten tauchen.
Inspiriert von vielfältigen Eindrücken und ausgestattet
mit Film- und Informationsmaterial kehrten wir nach
Deutschland zurück. Der Reiseführer erschien pünktlich zu
den Olympischen Sommerspielen 1988.
Durch die Sommerspiele rückte Korea in den Fokus der Welt.
Nicht nur die sportlichen Leistungen standen im Mittelpunkt
der weltweiten Aufmerksamkeit, sondern auch die Kunst
und Kultur Koreas, die in der Eröffnungs- und Abschlussfeier
eindrucksvoll präsentiert wurden. Seitdem ist auch in
Deutschland das Interesse an Korea stetig gewachsen.
Zahlreiche kulturelle Veranstaltungen trugen dazu bei,
dass nicht nur die rasant wachsende industrielle und
wirtschaftliche Bedeutung Koreas im Mittelpunkt des
Interesses stand, sondern dass sich die Öffentlichkeit auch
immer mehr für Koreas Kultur zu interessieren begann.
Auf politischer Ebene war der dreitägige Staatsbesuch von
Präsident Kim Dae-jung im März 2000 das herausragende
Ereignis während meiner Tätigkeit bei der Botschaft.
Bundespräsident Johannes Rau nannte Präsident Kim Daejung in seiner Tischrede anlässlich eines Abendessens im
Schloss Bellevue den „Vater der koreanischen Demokratie“.
Sieben Jahre nach seinem Staatsbesuch kam Kim Dae-jung
noch einmal nach Deutschland: Ihm wurde der Freiheitspreis
der Freien Universität Berlin verliehen. Er war der Erste, der
diese Auszeichnung erhielt.
In den nun mehr als 100 Jahren deutsch-koreanischer
Beziehungen – der Grundstein wurde 1883 durch die
Unterzeichnung eines Handels- und Freundschaftsvertrags
zwischen Korea und Deutschland gelegt – hat Korea eine
unglaubliche Entwicklung durchgemacht: von einem im
Westen nahezu unbekannten Land, das im 17. Jahrhundert
noch als „Einsiedel-Königreich“ bezeichnet wurde, zu einem
Land, das im Blickpunkt des Weltinteresses steht, von einem
durch den Koreakrieg (1950 - 53) zerstörten Agrarland zu
einer führenden Industrienation.
Interview mit
Dr. Ursula Diezemann
Sie sind in den Achtzierjahren für drei
Wochen nach Korea gereist. Inwiefern
war das ‚alte Korea’ im Alltagsleben der
Menschen noch gegenwärtig?
Es fiel auf, dass die Menschen noch
sehr in ihrer Tradition verwurzelt waren,
was dadurch zum Ausdruck kam, dass
traditionelle Feste und Feiern für sie
sehr wichtig sind, und dass sie bei
diesen Gelegenheiten ihre traditionelle
Kleidung, wie beispielsweise den
Hanbok [한복], tragen. Zudem konnte
man im täglichen Umgang mit
Koreanern spüren, dass ihr Leben sehr
stark von der durch den Konfuzianismus
vorgegebenen hierarchischen Ordnung
geprägt ist.
Aufgrund Ihrer beruflichen Tätigkeit
waren Sie bereits mit Korea vertraut. Im
Rahmen Ihrer Reise haben Sie das Land
schließlich ‚hautnah‘ erlebt. Inwiefern
korrespondierten Ihre Erwartungen mit den
tatsächlichen Begebenheiten vor Ort?
Was hat Sie am meisten überrascht?
Überrascht haben mich im Straßenbild
von Seoul die ernsten Mienen der
Passanten. Auf meine Frage an unseren
Begleiter, wieso man nicht mehr
lachende und fröhliche Menschen sähe,
meinte dieser, ein lachender Mensch
würde den Eindruck vermitteln, dass
er seine Arbeit nicht ernst nähme.
Auffallend war auch, wie formell die
meisten Männer und wie elegant
die Frauen gekleidet waren. Nach
Dienstschluss waren die Koreaner dann
wie ausgewechselt. Selten habe ich
Menschen getroffen, die so ausgelassen
feiern konnten.
Wie gut konnten Sie Land und Leute in der
Kürze der Zeit kennenlernen? Hat Ihr Korea-
Aufenthalt Ihre Sichtweise verändert?
Durch unsere Reise sind mir die Kunst
und Kultur Koreas sowie die Sitten
und Bräuche des Landes sehr vertraut
geworden. Besonders beeindruckt
war ich von der engen Beziehung der
Koreaner zu ihren Ahnen.
Ein einschneidendes Erlebnis war der
Besuch von Panmunjom [militärische
Siedlung in der Entmilitarisierten Zone
zwischen Nord- und Südkorea, Anm.
d. Red.]. In den 1980er Jahren verband
Deutschland und Korea noch das
gleiche Schicksal, geteilte Länder zu
sein. Mir wurde sehr bewusst, wie viel
einschneidender und schmerzhafter
die Teilung Koreas im Vergleich zu der
Deutschlands war. In Deutschland gab
es auch zu Zeiten der DDR zumindest
einen regelmäßigen Postverkehr, auch
konnten sich die Menschen gegenseitig
besuchen.
Koreaner und Deutsche haben eine sehr
unterschiedliche Arbeitskultur. Können Sie
einige wesentliche Unterschiede skizzieren?
Am schwierigsten war wohl damit
umzugehen, dass aufgrund des
ausgeprägten hierarchischen Denkens
der Koreaner ein Gespräch darüber,
wie man einen erteilten Auftrag
möglicherweise besser erfüllen könnte
als vorgegeben, eigentlich nicht
möglich war. Auch konnte ich nicht
immer nachvollziehen, warum stets
alles schnell erledigt werden musste.
Das erzeugte eine gewisse Hektik. Auch
hat es eine Zeitlang gedauert, bis ich
begriff, dass man niemals sagen durfte,
dass etwas unmöglich war. Um das
auszudrücken, wählte man besser die
Formulierung, dass es schwierig werden
würde.
Sie haben über 20 Jahre für die Botschaft
der Republik Korea gearbeitet. Welche
Entwicklung konnten Sie in Bezug auf eine
Annäherung der Arbeitsweise zwischen
Deutschen und Koreanern feststellen?
Im Verlauf meiner Dienstzeit hat sich
die hierarchische Denkweise sehr
gelockert. Mitarbeiter erhielten mehr
und mehr Spielraum bei der Erfüllung
bestimmter Aufgaben und konnten
eigenverantwortlicher handeln.
Auch wurde das Verhältnis zwischen
Arbeitgeber und Angestellten sehr viel
herzlicher.
Als Pressereferentin waren Sie gewiss
auch mit negativer Berichterstattung über
Korea konfrontiert. Haben Sie als Deutsche
manchmal ‚zwischen den Stühlen‘ gesessen?
Zu Beginn meiner Dienstzeit war Chun
Doo-hwan Präsident [1980 – 1988].
Während seiner Amtszeit gab es viele
Studentenunruhen in Korea, über
die natürlich in der deutschen Presse
berichtet wurde. Es kam vor, dass ich
entgegen der eigenen Überzeugung
Presseberichte verschicken musste, in
denen diese Berichterstattung kritisiert
wurde.
Welches sind die Voraussetzungen, um ein
wirkliches Verständnis für eine andere
Kultur zu entwickeln?
Ein wirkliches Verständnis für eine
andere Kultur kann man nur entwickeln,
wenn man sich eingehend mit der
Geschichte eines Landes beschäftigt
und sich bemüht, die andere
Kultur unter Berücksichtigung ihrer
geschichtlichen Ursprünge zu verstehen.
Man sollte vorbehaltlos offen für das
Neue sein, ohne immer Vergleiche mit
der eigenen Kultur anzustellen.
Das Interview führte Dr. Stefanie Grote
Foto: privat
„Man sollte
vorbehaltlos
offen für das
Neue sein“
Dr. Ursula Diezemann studierte in
Mainz, Madrid, Kairo und New York
Germanistik, Spanisch und Anglistik.
Sie begleitete ihren Mann, Dr. Eckart
Diezemann, weltweit auf verschiedenen diplomatischen Posten und verfasste mit ihm zahlreiche Reiseführer.
Zurück in Deutschland arbeitete sie
mehr als 20 Jahre für die Presse- und
Kulturabteilung der Botschaft der
Republik Korea in Bonn und in Berlin.
65
KULTUR
KOREA
POLITISCHE KULTUR
Koreas Vereinigung
und die Entwicklungsperspektiven
des Sozialstaats im Wahljahr 2012
– einige deutsche Eindrücke
Von Prof. Dr. Stephan Leibfried1
A
m 23. Februar 2012 hielt ich
in Seoul auf einer großen,
von der hohen Politik
besuchten Konferenz über
„Global Korea 2012. Shared Growth:
Toward a New Model of Capitalism
after the Crisis“ einen Vortrag über
die Entwicklungsperspektiven des
Wohlfahrtsstaates in der OECD. Die
Konferenz fand im Hotel Lotte statt,
benannt nach der Charlotte in Goethes
„Die Leiden des jungen Werther“. Dort
wurde mir oft die Frage gestellt: Was
kann Südkorea von der deutschen
Wiedervereinigung lernen?
Dieses Thema war schon in den
Mitt-1990er Jahren aktuell. Aber es
gewinnt in Südkorea eine ganz neue
Bedeutung in einem Wahljahr, in dem
die großen Parteien versprechen, zügig
die Sozialstaatsausgaben um ca. 6,6%
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu
erhöhen und dies oben auf die ca. 8,6%
BIP draufzupacken, die Südkorea derzeit
für den Sozialstaat ausgibt. Das wäre
ein riesiger, ziemlich einmaliger Sprung
nach vorn.
Um den objektiven Entwicklungsspielraum zu verstehen, den
Südkorea hier hat, reicht es, auf den
OECD-Durchschnitt von 22,4% BIP
Sozialstaatsausgaben zu verweisen
66
KULTUR
KOREA
(die letzten OECD-Daten sind von
2007). Südkorea liegt mit seinen
Rahmendaten nah am wirtschaftlichen
Mittelfeld der OECD, nicht aber beim
Wohlfahrtsstaat. Einschränkend
wirkt, dass Südkorea schon heute
2,9% BIP für privaten sozialen
Sicherungsaufwand ausgibt, während
es im OECD-Durchschnitt nur 2,4% sind.
Südkorea steht also in Gefahr einer
„verdrehten“ Sozialstaatsentwicklung
nach Art der USA, die 17,4% BIP
öffentlich und massive 10,4% privat
aufwenden. Dafür haben die USA
heute, vor allem im Gesundheitswesen,
nur einen spaltenden Zwei-DrittelSozialstaat. Bei all dem haben wir die
Bildungsausgaben noch gar nicht
beachtet, obwohl im 21. Jahrhundert
viel dafür spricht, Bildungs- und
Sozialpolitik zusammen zu denken, was
ohnehin der koreanischen Tradition
entsprechen würde.
Je entwickelter der Sozialstaat,
umso fester und massiver werden
seine Strukturen sein – und umso
wahrscheinlicher ist es, dass man
sie im plötzlichen Vereinigungsfall
allesamt nolens volens auf Nordkorea
übertragen muss. Sollte man
dann nicht, bei einem so massiven
Wachstumsschub, schon heute seinen
Wohlfahrtsstaat so ausbauen, dass er
auch „vereinigungsfest“ ist und am Tag X
auf den Norden erstreckt werden kann?
Wie könnte das aussehen?2
Im deutsch-koreanischen Vergleich
fallen einige wichtige Unterschiede auf:
Nordkorea ist von der Fläche her größer
als Südkorea, und hat etwa halb so viele
Einwohner. Kurzum, eine Vereinigung
aus der „Portokasse“ ist dort noch
weniger möglich als bei der DDR. Und
die Teilung fand in einem Folgekrieg
zum Zweiten Weltkrieg statt, der aber
vor allem ein Bürgerkrieg war. Das
erklärt, warum die soziale und kulturelle
Fremdheit zwischen Nord- und
Südkorea im Vergleich zu der zwischen
Ost- und Westdeutschland riesig und
nachhaltig ist. Hinzu kommt das Mehr
an verflossener Zeit seit der Trennung,
das bald keinerlei lebendige Erinnerung
an eine Einheit übrig lassen wird.
Das dürfte am Tag X, wenn die
Vereinigung gelingen soll, der
Sozialintegration einen höheren oder
mindestens den gleichen Rang mit
der Wirtschaftsintegration zuweisen.
Also wird der Vereinigungsfestigkeit
des Sozialstaatsausbaus in Südkorea
eine zentrale Bedeutung zukommen,
die man beim Ausbau des Sozialstaats
im Süden schon heute fest im Auge
behalten sollte.
4.
5.
6.
sind nur zu 10% öffentlich. Ohne
vorbeugende Reform müsste
Südkorea Private massiv dafür
subventionieren, in den Norden
zu gehen. Das dürfte extrem teuer
werden und wird zudem nicht
schnell genug geschehen.
Private soziale Sicherung eindämmen:
Je privater, je voraussetzungsreicher
im Sinne von Zahlungsfähigkeit
und je immobiler im Blick auf den
Norden. Die Proportionen von privat
zu öffentlich ähneln in Korea schon
jetzt denen der USA. Wenn sich das
fortsetzt, dürfte die Immobilität am
Tag X festgeschrieben sein.
Universalisierung des
Bildungssystems: Hier lauert wohl
die größte Herausforderung,
denn in Nordkorea fehlt
mehreren Generationen die
Grundqualifikation für das
südkoreanische Industriesystem,
und Südkorea hat selbst ein
schwieriges Schulsystem, das den
Eltern 30% ihres Einkommens
für ein ergänzendes privates
Unterrichtssystem abverlangt und
nicht nach Norden exportierbar ist.
Vielleicht läge der Ausweg in einer
Strategie der Systemkombination?
Sie setzt auf eine Art US-HighSchool-Abschluss und verdrängt
so das private Zusatzsystem.
Sie bereitet, als Element dieses
Abschlusses, auch auf ein
Berufsausbildungssystem deutscher
Art vor, das für etwa die Hälfte der
Schülerschaft einen neuen, von
Seiten der Praxis unterstützten
Zugang zum Arbeitsmarkt
schafft, der nicht über das tertiäre
Bildungssystem, sprich die
Hochschulen, läuft.
„Universellen Wohnungszugang“
ausweiten: Zwar kam dieses Thema
im bisherigen Wahlkampf nicht vor.
Aber solche Ausgaben gehören
wie die Bildungsausgaben zum
ostasiatischen Wohlfahrtsstaatsprofil, und hier wird Korea am Tag X
massiv gefordert sein.
Foto: Reiner Zensen, Bonn
Was könnten denn Leitlinien für einen
vereinigungsfesten südkoreanischen
Sozialstaat sein? Mir sind folgende
aufgefallen:
1. Grundorientierung: Südkoreas
Wohlfahrtsstaat ist dadurch
gekennzeichnet, dass er weitgehend Statusgruppen sichert –
Militär, Lehrer, Landwirte usf. –, also
„partikular“ orientiert ist. Das würde
für mindestens eine Generation
nicht zu dem kaum industriell und
großstädtisch geprägten Norden
passen. Also, je „universalistischer“,
bürgerrechtlicher man den
Wohlfahrtsstaat im Süden
zuschneidet, je vereinigungsfester
wird er sein – und umgekehrt.
2. Mindesteinkommen: Südkorea
sollte wohl quer durch alle
sozialen Sicherungen zusätzlich
einen Mindesteinkommensansatz
aufbauen und pflegen, sei
es nun bei den Renten, bei
Familienleistungen, bei Stipendien,
bei den Löhnen oder bei der
Einkommensfreilassung in den
Steuern. Eine soziale Sicherung,
die sich vornehmlich an
verdientem Einkommen und am
Äquivalenzprinzip orientiert, wird
im Norden erst nach mehreren
Generationen greifen können,
Mindestsicherungen aber sofort.
Natürlich lässt sich ein solches
System nach Lebenshaltungskosten
differenzieren.
3. Öffentliche Gesundheitssicherung:
Hier wäre es wichtig, dass
die Sicherung die gesamte
Bevölkerung erfasst und nicht nur
die Menschen, die durch einen
Arbeitsvertrag gesichert sind.
Das scheint im Süden durch ein
Anknüpfen an den Haushalt schon
weitgehend geschafft? Aber 90%
der Dienstleistungen werden privat
erbracht. Die Privaten werden nur
schwer in den Norden wandern,
sodass schon heute eine langsame
Nationalisierung angesagt sein
dürfte. Auch die Krankenhäuser
Prof. Dr. Stephan Leibfried
ist Forschungsprofessor
an der Universität Bremen
(UB) und an der Jacobs
University Bremen. Er ist
Politikwissenschaftler und
leitet an der UB den DFGSonderforschungsbereich
„Staatlichkeit im Wandel“
(2003-2014).
67
KULTUR
KOREA
Verglichen mit dem deutschen
Sozialstaat und seinen Anfängen
in den 1880er Jahren ist der
südkoreanische noch jung. Er
setzt in den 1970er Jahren ein
und entwickelt sich dynamisch
seit der Demokratisierung. Stein
Ringen, Huck-Ju Kwon, Ilcheong
Yi, Tae-kyoon Kim und Jooha
Lee haben 2008 die Entwicklung
in The Korean State and Social
Policy: How South Korea lifted itself
from poverty and dictatorship
to affluence and democracy
(New York: Oxford University
Press) geschildert. Sie haben
dabei auch auf die politische
Umsichtigkeit Südkoreas
hingewiesen: „Very early, social
policy became an indispensable
instrument of rule. In turning
their attention to social policy,
it was as if the South Korean
leaders looked to the more
advanced industrial nations,
saw there that the welfare state
was a core instrument of rule, and
said: that too we must have if we
are to be an equal partner in the
family of modern nations.” (S. 3)
(‚Sozialpolitik wurde sehr früh zu
einem unverzichtbaren Instrument
politischer Herrschaft. Mit der
Hinwendung zur Sozialpolitik
war es so, als schauten die
südkoreanischen Politiker
auf die fortgeschritteneren
Industrienationen, sahen dort,
dass der Wohlfahrtsstaat ein
Kernelement der Herrschaft
geworden war und sagten sich:
das müssen wir auch haben, wenn
wir ein gleichberechtigter Partner
in der Familie moderner Nationen
sein wollen.‘ - Übersetzung
von SL3). Dementsprechend
ist Südkorea auch vertreten in
einer weltweiten Sammlung
von Sozialstaatssymbolen auf
Briefmarken, wie sie jüngst auf
einem Sozialstaatshandbuch zu
finden war – und zwar mit einer
Briefmarke zur Bildungspolitik.
68
KULTUR
KOREA
Bucheinband von Francis G. Castles, Stephan
Leibfried, Jane Lewis, Herber t Obinger
und Christopher Pierson, Hrsg., The Oxford
Handbook of the Welfare State, Oxford: Oxford
University Press, hardback 2010, paperback
2012, xxx, 876 S. Copy right: Oxford University
Press.
ISBN 978-0-19-957939-6 (hardback)
ISBN 978-0-19-965051-4 (paperback)
Der Bezug der Briefmarken zum Sozial- und
Bildungsstaat wird auf den Seiten XXVI-XXX
des Handbuchs näher erläuter t. Eine goldene
koreanische Briefmarke über den „Tag des
Lehrers“ aus dem Jahr 1983 findet sich rechts
oberhalb der schwarz-weißen Abbildung des
Kopfes von Otto von Bismarck, der in der Mitte
der Briefmarkensammlung zu finden ist.
Am Anfang dieser Entwicklung
stand in den 1970er Jahren die
Entwicklung von Sozialpolitik
als Teil einer EntwicklungsDiktatur. Seit 1987, in der
werdenden Demokratie, ist
Sozialstaatsaufbau Dauerthema.
Und das Jahr 2012 ist speziell,
denn es ist von der Parlamentsbis zur Präsidentschaftswahl
durch einen „Plus-6,6% ProzentBIP“-Sozialstaatswahlkampf
gekennzeichnet, in dem alle
Seiten auf dessen Aufbau setzen.
Auch in Deutschland entstand der
Sozialstaat unter Bismarck und
Wilhelm II in vordemokratischen
Zeiten. Er kam erst zur Blüte in
den 1950er und 1960er Jahren
und wurde in den 1990er
Jahren seinem größten Test, der
Wiedervereinigung, unterworfen.
In Südkorea geschieht das alles
– bis auf die Wiedervereinigung –
doppelt so schnell. Eine VogelStrauß-Politik wird nicht helfen, im
Gegenteil.
1 Im nachfolgenden Text auch unter
dem Kürzel SL erwähnt (Anm. d. Red.).
2 Das in Seoul spontan vorgetragene Argument ist im ZeS-Report der Universität Bremen (Heft 1, 2012,
S. 4-12) ausführlich vorgestellt. Hier konzentriere ich mich auf die Grundzüge.
3 Im Original nicht in deutscher Sprache.
KOREA IN KÜRZE
Dokdo
Ökosystem im Ostmeer
Fotos: Moon Duk-gwan and Lee Jun-gi
Von Dr. Stefanie Grote
Im östlichsten Bereich des koreanischen Territoriums
befindet sich eine Ansammlung kleiner Inseln und
Felsen namens Dokdo, die vor etwa 2,5 bis 4,6 Millionen
Jahren durch Vulkanausbrüche unter Wasser aus
Lavamassen geformt wurden. Genauer gesagt besteht
Dokdo aus den zwei kleinen Inseln Dongdo und Seodo
sowie aus etwa 90 Felsen und Riffen.
Aufgrund der großen Entfernung zur koreanischen
Halbinsel und der vulkanischen Natur sind in diesem
einzigartigen Ökosystem mehr als 1000 Tier- und
Pflanzengattungen beheimatet. Mitten im Ostmeer
gelegen dient Dokdo unzähligen Zugvögeln als
Raststätte auf ihrem langen Flug. Darüber hinaus
bevölkern etwa 23.000 Schwarzschwanzmöven die
Insel- und Felsenformation, um dort zu brüten und ihren
Nachwuchs aufzuziehen. Dokdo ist Lebensraum für
zahlreiche bedrohte Arten, darunter der Wanderfalke
und der Wespenbussard.
Die Insel ist mit Ausnahme von Herrn und Frau
Kim unbewohnt. Das Ehepaar hat sich bereits vor
über 20 Jahren an diesem wenig komfortablen,
meist regnerischen, windigen und nebligen Ort
niedergelassen. Trotz der Unwirtlichkeit wollen sie
bleiben - bis zum letzten Tag.
Tourismus
Der Zutritt zu diesem Kleinod der Natur wurde im Jahr
1982 eingeschränkt, als Dokdo zum Naturdenkmal
# 336 bestimmt wurde (offizieller Titel: Dokdo Natural
Preservation Zone/ Natürliche Schutzzone Dokdo). Auf
Antrag ist heute allerdings zumindest der Zutritt zu
Dong-do möglich.
Quellenauswahl:
KOREA, People & Culture, July 2012, S. 2-11.
http://en.dokdo.go.kr/index.do
69
KULTUR
KOREA
V.l.n.r.: Dr. Klaus Herlitz, Vorsitzender der
Buddy Bär Berlin GmbH; Michael Geier,
Botschafter a.D. und Vorsitzender der DeutschKoreanischen Gesellschaft; Jae-shin Kim,
Botschafter der Republik Korea in Deutschland.
„Korea ist nicht nur eine Wirtschaftsmacht,
sondern auch ein Land mit einer reichhaltigen Kultur“
Interview mit Kim Jae-shin, Botschafter der Republik Korea in Deutschland
Botschaften haben nicht nur mit Politik, sondern auch mit Kultur
zu tun. Sie werden sich während Ihrer Zeit in Deutschland also
auch mit Kultur bzw. Kulturaustausch beschäftigen. Was sind Ihre
Prioritäten auf diesem Gebiet?
Es besteht ein aktiver wirtschaftlicher und politischer
Austausch zwischen Korea und Deutschland wie z.B. das
Freihandelsabkommen zwischen der Republik Korea und
der Europäischen Union zeigt. Obwohl auch der kulturelle
Austausch zwischen beiden Ländern voranschreitet, sollte
auf diesem Gebiet noch deutlich mehr geschehen. In Korea
sind insbesondere die kulturellen Leistungen Deutschlands in
Bereichen wie Musik, Literatur und Philosophie wohlbekannt. In
Deutschland dagegen ist die koreanische Kultur immer noch ein
weitgehend fremdes Terrain.
Ich werde mich bemühen, dieses Ungleichgewicht zu
korrigieren, indem ich die Leistungen Koreas nicht nur auf dem
Gebiet der traditionellen koreanischen Kultur, sondern auch auf
dem Gebiet der modernen Kultur herausstelle. Ich möchte einen
Beitrag dazu leisten, die Gesamtwahrnehmung meines Landes
zu erhöhen, indem ich den Akzent darauf setze, dass Korea nicht
nur eine Wirtschaftsmacht ist, sondern auch ein Land mit einer
reichhaltigen Kultur.
Während man in Korea Schiller, Goethe, Hesse und Hölderlin
liest, sogar zeitgenössische deutsche Romane, ist koreanische
70
KULTUR
KOREA
Literatur trotz vieler lesenswer ter Autoren hierzulande weniger
verbreitet. Welche Möglichkeiten sehen Sie, koreanischer Literatur
in Deutschland einen prominenteren Platz zu verleihen?
Im Jahr 2005 war Korea das Gastland der Frankfurter Buchmesse,
und damit erhielt die koreanische Literatur die Gelegenheit, in
Deutschland erstmals wirklich einen gewissen Bekanntheitsgrad
zu erreichen.
Um die Wahrnehmung der koreanischen Literatur in
Deutschland zu erhöhen, sind aber nicht nur die Anstrengungen
koreanischer Schriftsteller und die Qualität der Werke wichtig,
sondern auch der Standard der Übersetzer und der Verlage in
Deutschland, die koreanische Literatur verlegen.
Botschafter sind aber nicht nur Beamte und Diplomaten, sondern
auch Privatpersonen mit Bildung und kulturellen Interessen. Was
sind die kulturellen „Güter“ Ihres Landes, die Sie persönlich am
meisten schätzen und denen Sie weite Verbreitung wünschen?
Persönlich wünsche ich mir, dass Koreas Schriftkultur noch
bekannter wird. Die weltweit ersten beweglichen Drucklettern
aus Metall, die koreanische Alphabetschrift Hangeul, die als
eines der wissenschaftlichsten Schriftsysteme der Welt bewertet
wird, und andere Errungenschaften sind Teil des kulturellen
koreanischen Erbes im Bereich der Schriftkultur, deren sich Korea
weltweit rühmen kann. Besonders das „Joseon Wangjo Sillok“
Fotos: Hyunmyung Jang
PORTR ÄT
(„Die Annalen aus dem JoseonReich“), das in das Verzeichnis
des Weltdokumentenerbes der
UNESCO aufgenommen wurde, ist
ein außergewöhnliches historisches
Schriftdokument, das weltweit
seinesgleichen sucht.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Literatur Ihres
Landes? Wer sind Ihre Lieblingsautoren?
Bereits vor meinem offiziellen
Amtsantritt war die erste Veranstaltung,
die ich nach meiner Ankunft in
Deutschland besuchte, die vom
Koreanischen Kulturzentrum organisierte
Lesung der koreanischen Autorin Shin
Kyung-Sook. Ich interessiere mich sehr
für Literatur, und ich möchte mich dafür
einsetzen, die koreanische Literatur im
Ausland noch bekannter zu machen.
Als ich „엄마를 부탁해“ („Eomma-reul
Butak-hae“) von Shin Kyung-Sook las,
das gerade ins Deutsche übersetzt
wurde (deutscher Titel: „Als Mutter
verschwand“), musste ich an meine
eigene Mutter denken, und es kamen
mir die Tränen. Die Familie hat für die
Koreaner eine besondere Bedeutung,
und sie ist immer das wichtigste Thema
der koreanischen Literatur. Ich liebe auch
„칼의 노래“ („Kal-ui Norae“) des Autors
Kim Hoon, das ebenfalls in deutscher
Übersetzung vorliegt (deutscher Titel:
„Schwertgesang“). Sein Werk erzählt die
Geschichte Koreas, die vom Eindringen
fremder Mächte beeinflusst wurde, in der
lebendigen Sprache einer Einzelperson.
Wie sich vielleicht bereits aus dem
Titel des Werks schließen lässt, wird
die menschliche Leidenschaft, die sich
unter einem unausweichlichen Schicksal
entfaltet, mit einer Schärfe dargestellt,
die einem Messer gleicht.
Worin sehen Sie Eigenar t und
Besonderheit der Literatur Ihres Landes?
Ich persönlich meine, dass sich die
moderne koreanische Literatur
insbesondere dadurch auszeichnet, dass
es eine Vielzahl an Werken gibt, die den
Widerspruch zwischen alten und neuen
Wertvorstellungen, soziale Spannungen
und andere Konflikte thematisieren, die
sich durch den schnellen Übergang zu
Industrialisierung und Demokratisierung
ergeben. Obwohl sich diese Aspekte
als eine Besonderheit der modernen
koreanischen Geschichte bezeichnen
lassen, kann man auch sagen, dass
es sich um universelle Belange der
Menschheit handelt, die auch Leser
in anderen Ländern nachvollziehen
können.
Welches Werk ausländischer Literatur hat
Sie beeinflusst?
Mich hat besonders „Der alte Mann
und das Meer“ von Ernest Hemingway
beeindruckt. Hier werden auf prägnante
Weise die Bemühungen der Menschheit
symbolisiert, die Naturgewalten
zu überwinden, wenn auch diese
Bemühungen zum Scheitern verurteilt
sind. Gerade in unserer heutigen Zeit,
in der die Umweltfrage immer mehr an
Bedeutung gewinnt, ist diese Thematik
erstaunlich aktuell.
Welches Buch lesen Sie zur Zeit?
Um meine Kenntnisse der älteren
deutschen Literatur aufzufrischen, habe
ich bereits einige deutsche Klassiker
gelesen, darunter „Die Leiden des
jungen Werther“, „Demian“ und „Die
Räuber“. Bald will ich mir noch einmal
den „Faust“ vornehmen. Außerdem
möchte ich Schillers „Ode an die Freude“
auswendig lernen, die integraler Teil
der 9. Symphonie von Beethoven
ist, und irgendwann vor Publikum
vortragen. Später werde ich mich mit
der moderneren deutschen Literatur
befassen.
Die Fragen stellte Anne Schneppen
Übersetzung der Antworten aus dem
Koreanischen: Gesine Stoyke
Und wie steht es um die deutsche
Literatur? Was kennt und schätzt man
davon in Korea?
Ich denke, dass die deutsche Literatur
ein philosophisches Gewicht hat. In
den Arbeiten von Autoren wie Thomas
Mann oder Hermann Hesse scheint die
spekulative Tendenz der deutschen
Literatur besonders gut zum Ausdruck zu
kommen.
In Korea werden die Werke von
klassischen deutschen Dichtern wie
Goethe und Schiller bis zu den Arbeiten
moderner Schriftsteller wie Günther
Grass viel übersetzt und gelesen. Seit
der Wiedervereinigung Deutschlands
erhalten auch die Werke junger Autoren
Aufmerksamkeit, die sich zum Sprachrohr
der Generation der Wiedervereinigung
machen. Die deutsche Literatur scheint
sich eher durch psychologische
Beschreibungen als durch epische
Darstellungen hervorzutun.
Haben Sie eine persönliche Leseliste für
Ihre Mußestunden?
Jae-shin Kim, Botschafter der Republik
Korea, wurde am 30. Mai 1957 in Jeonju
(Provinz Nord-Jeolla) geboren. Nach dem
Studium der Politischen Wissenschaften
an der Korea-Universität in Seoul trat er
1980 in den Diplomatischen Dienst seines
Landes ein. Seit den achtziger Jahren war
Jae-shin Kim als Diplomat in Tokio, Rangun,
Washington D.C. und Peking tätig.
Von 2008 bis 2010 war er Sekretär
für Auswärtige Angelegenheiten im
koreanischen Präsidialamt. Seit September
2012 ist Jae-shin Kim mit seiner Frau
Jongmin Lee in Berlin, wo er am 24.
September Bundespräsident Gauck sein
Beglaubigungsschreiben überreichte. Im
Gespräch mit Gauck betonte Kim, dass
er sich insbesondere für den koreanischdeutschen Kulturaustausch einsetzen wolle.
71
KULTUR
KOREA
PORTR ÄT
„Deutschland
ist bunt
und vielfältig“
Interview mit der TV-Moderatorin Nela Panghy Lee
S ie moderieren der zeit die S endung „taff “
bei Pro 7 . B ekannt g ewo rd en si nd Si e a ls
M o d era to ri n versc hi ed ener S end ung en des
Musiksenders V I VA. Wie und wann entstand
die Idee, ins Showbusiness einzusteigen?
Während ich im Jahr 2000 mein Abitur
geschrieben habe, kam mir die Idee, mich
für ein Moderatorencasting bei VIVA zu
bewerben. Damals hatte es leider nicht
geklappt, aber dieser Beruf faszinierte mich
so sehr, dass ich drangeblieben bin und
auch während meines Studiums immer
wieder zu Castings gegangen bin, und 2004
hatte ich dann meinen Vertrag bei VIVA in
der Tasche.
A l s S c hauspi el eri n ha tten Si e Ihr Debüt
2007 in der Z DF -Telenovela „Wege zum
Glück “ und in dem K inofilm „Mord ist mein
Gesc häf t, L i ebl i ng “. Mö c hten Si e an diesen
Ei nsti eg ank nüpfen?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, auch
häufiger als Schauspielerin zu arbeiten
- auch wenn ich mit ganzem Herzen
Moderatorin bin. Es müssten allerdings
interessante, nicht klischeebehaftete
Rollen sein, die ich spielen wollen würde,
und das ist als Künstler/Künstlerin mit
migrantischem Hintergrund in Deutschland
sehr schwierig zu bekommen.
Copyright © ProSieben/Philipp Nemenz
Si e si nd al s Hal bko reaneri n i n Deutschla nd
geboren und aufgewachsen. I n welchem
Land si nd Si e emo ti o nal behei ma tet? Wie
prägend sind Ihre koreanischen Wur zeln
für I hre persönliche und berufliche
Ent w i c k l ung ?
72
KULTUR
KOREA
ProSieben-Moderatorin Nela Panghy-Lee
Ich bin in Deutschland geboren und
aufgewachsen und fühle mich von Kopf bis
Fuß deutsch. Ich interessiere mich allerdings
sehr für die koreanische Kultur. Meine
Familie lebt zum großen Teil in Korea, und
ich freue mich sehr, wenn Korea kulturell
und wirtschaftlich eine immer größere Rolle
in Deutschland spielt. Meine koreanische
Mutter hat mich auch typisch „koreanisch“
erzogen. Da spielten Merkmale wie Ehrgeiz,
Konsequenz und Leistungsorientierung
eine große Rolle, die mich als Mensch
sehr geprägt haben. Wenn die deutsche
Fußballnationalmannschaft gegen Korea
Person ist I hr Leben sehr transparent.
Wel c he B ed eutung ha t f ür Si e
Pri va tsphäre, und w i e sc hützen Sie
si e?
spielt, drücke ich aber doch Jogi Löw
und seinen Jungs die Daumen.
S ie en gagieren s i c h a u f ve r sc h i e d e n e n
E b e n e n f ü r e i n to l e ra n te s M i te i n a n d e r.
B eis piels weise w u rd e d i e P ro7 In i t i a t i ve z u r Ei n f ü h r u n g e i n e s
„To leran ce D ay“ i m Fe b r ua r l e t z te n
J a h re s I h re r se i t s m i t z we i C l i p s
u n te r s t ü t z t. G e h t Ih r E n g ag e m e n t a u f
p e r sö n l i c h e Er fa h r u n g e n z u r ü c k ?
ProSieben hat mich letztes Jahr
gefragt, ob ich Lust hätte, bei dieser
Kampagne mitzumachen. Ernsthaften
Fremdenhass habe ich zum Glück
bisher nicht erlebt, da ich aber am
Bodensee in einer kleinen Stadt
aufgewachsen bin und es damals
dort fast keine Asiaten gab, habe ich
mich immer als „Sonderling“ gefühlt.
Trotzdem war es meinen Eltern
immer sehr wichtig, dass wir uns in
die Gemeinschaft integrieren. Wenn
mein Bruder oder ich mit „Schlitzauge“
gehänselt wurden, haben wir einfach
einen frechen Spruch zurückgegeben.
Durch den offenen Umgang damit
haben wir viele Freunde gehabt, die uns
immer das Gefühl gegeben haben, kein
bisschen anders zu sein.
Si e s i n d b e i „ ta f f “ e i n mu l t i ku l t u re l l e s
M o d e ra t i o n s te a m . S o l l te d i e
M e d i e n b ra n c h e ve r s tä r k t d a ra u f
se t ze n , u m a u f d i e se We i se f ü r
ku lt u relle Vielfal t u n d Tol e ra n z z u
we r b e n ?
Ich finde es großartig von ProSieben,
dass der Sender keine Scheu hat,
ein multikulturelles Team on Air zu
schicken. Das entspricht eben der
gesellschaftlichen Realität. Deutschland
ist bunt und vielfältig. Von der
Großstadt bis zum Dorf - alles lebt von
unterschiedlichen Kulturen, Einflüssen
und Bräuchen. Nur so bleibt das Leben
spannend.
M i t Ih re n Fa n s p f l e g e n Si e ü b e r d i e
soz i a l e n Ne t z we rke e i n e n d e ra r t
re g e n Au s ta u sc h , d a s s Si e so g a r a l s
„Twit ter-I ko n e“ g e l te n . A l s öffe n t l i c h e
Ich gebe meinen Fans gerne die
Möglichkeit, mit mir auf Twitter und
Facebook in Kontakt zu treten. Ich poste
Fotos, die mich ungeschminkt in der
Maske zeigen. Ich unterhalte mich mit
meinen Fans über Fußballspiele und
freue mich über Feedback zu meinen
Sendungen. Das lässt mein Leben sehr
transparent erscheinen. Doch wenn
man genau hinschaut, gebe ich kaum
private Details preis, denn Privatsphäre
ist das Wertvollste, das eine Person des
öffentlichen Lebens hat. Dazu gehören
eben auch mein Partner, meine Familie
und meine engsten Freunde, weil
sie mir helfen, die wichtigsten Dinge
des Lebens nicht aus den Augen zu
verlieren.
Nela Panghy-Lee wurde 1980
im baden-württembergischen
Tettnang geboren. Nach dem
Abitur studierte sie zunächst
Soziologie, um dann in die Fächer
Germanistik und Journalistik zu
wechseln. Nach einem Workshop
und ersten Er fahrungen beim
Musiksender VIVA stieg sie dort
als Moderatorin ein. Ihr weiterer
TV-Weg führte sie über KiKa und
das ZDF zu ProSieben, wo sie seit
2009 das Magazin taff moderiert.
Im Sommer 2012 übernahm sie
die Online-Moderation für die
neue Staffel Popstars. Auch als
Schauspielerin ist Nela zu sehen,
so in diversen Folgen der ZDFTelenovela „Wege zum Glück“
oder im Spielfilm „Mord ist mein
Geschäft, Liebling“. Sie engagiert
sich privat für den Berliner Verein
Kinderschutzengel, der
bedür ftigen und sehr kranken
Kindern den Krankenhausaufenthalt erleichtern soll. Nela
lebt in München.
K-Pop ist A nfang der 1990er Jahre
in Korea entstanden und durch
die „ Koreanische Welle“/ „ Hall yu“
welt weit auf dem Vormarsch. S ie
sel bst haben K-Po p hautnah erl eb t.
Was mac ht d i ese M usi k ri c htung so
er folgreich? Wird sich dieser Trend
I hrer Meinung nach for tsetzen?
K-Pop ist bunt und macht sofort gute
Laune. Die Bands sind heute das, was
die Backstreet Boys in den 1990ern
waren. Gutaussehende Jungs und
Mädels, die von Liebe, Herzschmerz und
Party singen und dabei hervorragend
tanzen, faszinieren eine ganze
Generation von Jugendlichen - und das
nicht nur in Asien, sondern weltweit.
Ich bin mir sicher, dass wir von der
„Koreanischen Welle“ noch viel stärker
erfasst werden.
Haben Sie einen Wunschtraum für die
Z ukunf t?
Nein, aber ich habe viele kleine Träume.
Wenn sich ein paar von diesen erfüllen,
bin ich schon zufrieden.
Das Interview führte Dr. Stefanie Grote
73
KULTUR
KOREA
KOREA IM ALLTAG
Japchae
Koreanischer Glasnudelsalat
(für ca. 6 Personen)
Von Eun-Young Cho
Im Herbst findet das wichtigste Familienfest der Koreaner statt: Chuseok (추석, Erntedankfest).
Ein Gericht, das bei keinem Festmahl fehlen darf, ist Japchae (잡채, Glasnudelsalat).
Vorbereitung
Zubereitung
•
Shiitake-Pilze über Nacht in kaltem Wasser einweichen.
Die eingeweichten Pilze durch ein Sieb gießen, kurz
abspülen und leicht ausdrücken
•
Das Gemüse jeweils einzeln bei mittlerer Hitze in Öl kurz
anbraten und dabei leicht salzen. Das Fleisch in etwas Öl
braten, bis es durchgegart ist.
•
Aus den Shiitake-Pilzen die Stiele herausschneiden und
die Pilze in dünne Streifen schneiden
•
•
Rindfleisch in dünne Streifen schneiden
Nach jedem Bratvorgang die Pfanne gut reinigen, da
sich sonst Farbe und Geschmack der einzelnen Zutaten
vermischen.
•
Rindfleischstreifen in eine Marinade aus 3 EL Sojasauce,
1 TL Sesamöl, 1 TL Zucker und 1 kleinen Knoblauchzehe
einlegen
•
Die Glasnudeln in reichlich Wasser kochen und wenn
sie al dente sind (Achtung! Die Nudeln dürfen nicht zu
weich sein), ganz kalt abschrecken.
•
Zwiebeln schälen, in der Mitte durchschneiden und in
dünne Halbringe schneiden
•
•
Möhren schälen und in dünne Streifen schneiden
•
Paprika getrennt nach Farben in dünne Streifen
schneiden
Eine tiefe Pfanne mit Öl erhitzen und die Glasnudeln
darin mit ca. 5 EL Sojasauce und 2 kleinen
Knoblauchzehen bei mittlerer Hitze anbraten. Dabei gut umrühren.
•
•
Frühlingszwiebeln in ca. 3 cm lange Stücke schneiden
Die Glasnudeln mit den angebratenen Zutaten und dem
Fleisch in einer großen Schüssel vorsichtig vermengen.
Mit Soja-Sauce, Sesamöl und Zucker abschmecken. Am
Ende Sesamkörner untermischen.
Tipps
•
•
Vegetarier können statt des Fleisches in Salzwasser gekochte
Shrimps oder nur Gemüse verwenden.
Statt Shiitake-Pilzen können auch Morcheln oder Champignons
verwendet werden.
Zutaten
74
KULTUR
KOREA
• 500g koreanische Glasnudeln
• 250g Rindfleisch
• 2 mittelgroße Zwiebeln
• 2 mittelgroße Möhren
• je eine halbe gelbe, grüne und rote Paprikaschote
• 4 Stangen Frühlingszwiebeln
• 5-7 (je nach Größe) getrocknete Shiitake-Pilze
• Speiseöl
• koreanische Sojasauce
• kleine gepresste Knoblauchzehen
• koreanisches Sesamöl
• gebratene Sesamkörner
• Salz
• Zucker
서
점
에
서
KOREA IM ALLTAG
Kleiner Sprachführer
In der Buchhandlung
서울에서 큰 서점이 어디예요?
[Seoul-eseo keun seojeom-i eodiyeyo?]
Wo gibt es in Seoul eine große Buchhandlung?
선물 가게가 있어요.
[Seonmul gage-ga isseoyo.]
Es gibt einen Geschenkladen.
교보문고가 크고 유명해요.
[Kyobomungo-ga keugo yumyeonghaeyo.]
Die Buchhandlung Kyobomungo ist groß und bekannt.
커피숍이 있어요.
[Keopisyob-i isseoyo.]
Es gibt Cafés.
교보문고가 어디에 있어요?
[Kyobomungo-ga eodi-e isseoyo?]
Wo befindet sich der Kyobomungo?
인터넷 서점에서도 책을 살 수 있어요.
[Inteonet seojeom-eseo-do chaeg-eul salsu isseoyo.]
Auch in der Online-Buchhandlung kann man Bücher
kaufen.
광화문하고 강남에 있어요.
[Gwanghwamun-hago Gangnam-e isseoyo.]
Es gibt einen Kyobomungo in Gwanghwamun und in
Gangnam.
어떤 책을 사고 싶어요?
[Eotteon chaeg-eul sago sipeoyo?]
Was für ein Buch möchten Sie kaufen?
소설책을 사고 싶어요.
[Soseolchaeg-eul sago sipeoyo.]
Ich möchte einen Roman kaufen.
요즘 무슨 책이 베스트셀러예요?
[Yojeum museun chaeg-i Bestselleoyeyo?]
Welche Bücher sind zurzeit Bestseller?
요즘 무슨 책이 새로 나왔어요?
[Yojeum museun chaeg-i saero nawasseoyo?]
Welche Bücher sind zurzeit neu erschienen?
교보문고에서 또 뭐 할 수 있어요?
[Kyobomungo-eseo tto mwo halsu isseoyo?]
Was kann man außerdem im Kyobomungo tun?
Foto: Oliver Melchert
음악 CD하고 영화 DVD를 살 수 있어요.
[Eumak CD-hago Yeonghwa DVD-reul salsu isseoyo.]
Man kann Musik-CDs und Film-DVDs kaufen.
다양한 문구를 살 수 있어요.
[Dayanghan mungureul salsu isseoyo.]
Man kann verschiedene Schreibwarenartikel kaufen.
한국 인터넷 서점 주소
Einige Online-Buchhandlungen in Korea:
www.Yes24.com, www.aladin.com, www.kyobook.co.kr
도서 카테고리 [Doseo Kategorie] Buchkategorien
소설 [Soseol] Roman
시 [Si] Gedichte
에세이 [Essei] Essay
역사 [Yeoksa] Geschichte
문화 [Munhwa] Kultur
종교 [Jonggyo] Religion
철학 [Cheolhak] Philosophie
정치[Jeongchi] Politik
경제 [Gyeongje] Wirtschaft
예술 [Yesul] Kunst
여행 [Yeohaeng] Reise
취미 [Chwimi] Hobby
요리 [Yori] Kochen
잡지 [Japjji] Zeitschrift
건강 [Geongang] Gesundheit
만화 [Manhwa] Comic
외국어 [Oegugeo] Fremdsprachen
사전 [Sajeon] Wörterbuch
자연과학 [Jayeongwahak] Naturwissenschaft
인문과학 [Inmungwahak] Geisteswissenschaft
아동 도서 [Adongdoseo] Kinderbücher
청소년 도서 [Cheonsonyeon Doseo] Jugendbücher
자기계발 [Jagigyebal] Ratgeber
[Seojeom-eseo]
75
KULTUR
KOREA
VERANSTALTUN GEN Koreanisches Kulturzentrum
KURSE
Veranstaltungsort für alle Kurse: Koreanisches Kulturzentrum
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin, Kontakt: Tel. 030/ 269 52-0
Sprachkurse
Koreanisch
Grundstufe 1A (1. Quartal: neuer
absoluter Anfängerkurs)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Donnerstag, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 11.10. – 13.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
1A (Student’s Book + Workbook)
Grundstufe 1A (2. Quartal:
Fortsetzungskurs des absoluten
Anfängerkurses)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Mittwoch, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 10.10. – 12.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
1A (Student’s Book + Workbook)
Grundstufe 1A (3. Quartal:
Fortsetzungskurs der Grundstufe 1A
des 2. Quartals)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Montag, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 08.10. – 10.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
1A (Student’s Book + Workbook)
Grundstufe 1B (1. Quartal)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Dienstag, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 09.10. – 11.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
1B (Student’s Book + Workbook)
Grundstufe 1B (2. Quartal)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Freitag, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 12.10. – 14.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
1B (Student’s Book + Workbook)
Grundstufe 2A (1. Quartal)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Dienstag, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 09.10. – 11.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
2A (Student’s Book +Workbook )
Grundstufe 2A (3. Quartal)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Montag, 17.30 – 20.00 Uhr
76
KULTUR
KOREA
Zeit: 08.10. – 10.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
2A (Student’s Book +Workbook)
Grundstufe 2B (3.Quartal)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Donnerstag, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 11.10. – 13.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
2B (Student’s Book +Workbook)
Mittelstufe 3B (3. Quartal)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Freitag, 17.30 – 20.00 Uhr
Zeit: 12.10. – 14.12.12
Kursbuch: Sogang Korean New Series
3B (Student’s Book + Workbook)
Sonderkurs : Koreanische
Grammatik
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Mittwoch, 17.30 – 19.10 Uhr
(inkl. 10 Min. Pause)
Zeit: 10.10. – 12.12.12
Zielsetzung:
Dieser Sonderkurs vermittelt
eine Übersicht der koreanischen
Grammatik für die Koreanischlerner, die bereits die Fertigkeiten
Sprechen, Hören und Verstehen
im Koreanischen gut beherrschen,
aber keine fundierten Kenntnisse
der koreanischen Grammatik
haben.
Voraussetzung:
- Kaum sprachliche
Schwierigkeiten im Alltag
- Die grundlegende
Kommunikation im persönlichen
Umfeld ist möglich.
Zielgruppe:
- Koreanischlernende der zweiten
Generation hier lebender
koreanischer Familien
- Koreanischlernende aus
koreanisch-deutschen Familien
- Koreanischlernende, die
Sprechen, Hören und Verstehen
gut beherrschen, aber keine
fundierten Kenntnisse der
koreanischen Grammatik haben
Der Schwerpunkt dieses
Kurses liegt im Bereich der
Grammatik, damit die Lernenden
grammatikalisch korrekt sprechen
und Sätze richtig bilden.
Die Kursgruppe besteht aus
maximal 6 Teilnehmern
(Mindestteilnehmerzahl: 4).
Die Lehrmaterialien werden im
Kurs von der Kursleiterin verteilt.
Dieser Kurs wird komplett auf
Koreanisch gehalten.
Kursdauer: 10 Termine mit jeweils 2
Lerneinheiten à 45 min.
Kursgebühr: 30 Euro
Anmeldung und Beratung:
Vor der Anmeldung für diesen
Kurs ist eine persönliche Beratung
erforderlich.
Am Ende der Beratung kann man
sich direkt für den Kurs anmelden.
Gebühr für alle Sprachkurse
(außer Sonderkurs): 40,00 Euro pro
Quartal
Unterrichtssprache: Koreanisch/
Deutsch (bis auf den Sonderkurs)
Die Anmeldung direkt bei den
Kursleiterinnen per E-Mail vor
Kursbeginn (außer Sonderkurs).
Die Kursgebühr zahlen Sie bitte am
ersten Kurstag in bar direkt an die
Kursleiterinnen.
Die Lehrbücher können die
Kursteilnehmer bei www.
seoulselection.com erwerben.
Weitere Informationen zu den
Kursen erfragen Sie bitte per E-Mail
bei Frau Kim (hj_kim@web.de)
bzw. bei Frau Chong (paekun@
gmx.de).
Kalligrafie-Kurs
Dozent: Zen-Meister Byong Oh Sunnim
Mittwoch, 10.00 – 12.00 Uhr
Mittwoch, 18.00 – 20.00 Uhr
Kursgebühr: 30,00 Euro pro Monat;
bei Teilnehmern, die sich für eine
dreimonatige Teilnahme am Kurs
entscheiden, reduziert sich die
Kursgebühr für drei Monate auf
80,00 Euro.
Unterrichtssprache: Koreanisch/
Deutsch
Ein Einstieg in den Kurs ist jederzeit
möglich.
Gayageum
(zwölfsaitige Zither)
Dozentin: Frau Jee Yeon Kim
Zeit: 08.10. – 12.12.12
Anfänger: Mi., 16.00 – 17.30 Uhr
Mittelstufe: Mo., 17.00 – 18.30 Uhr
Kursgebühr: 30,00 Euro für zehn
Sitzungen
Unterrichtssprache: Koreanisch
Danso (kleine Bambusflöte) und
Daegeum (große Bambusflöte)
Dozent: Herr Hong Yoo
Zeit: 16.10. – 18.12.12
Danso: Di., 18.00 – 19.30 Uhr
Daegeum: Di., 19.30 – 21.00 Uhr
Kursgebühr: 30,00 Euro pro
Quartal
Die Instrumente können im
Koreanischen Kulturzentrum
käuflich erworben werden.
Danso: 5,00 Euro (aus Kunststoff)
Daegeum: ca. 15,00 Euro
Unterrichtssprache: Koreanisch/
Englisch
Koreanisches Yoga
Dozentin: Seohee Jang
Mittwoch: 18.00 – 19.00 Uhr, Figur 19.10 – 20.10 Uhr, Yin/Yang
Samstag: 11.00 - 12.00 Uhr, Balance
12.10 – 13.10 Uhr, Figur
Programm
1. Balance-Yoga: Ausbalancierung
des Körpers/ für jeden geeignet
2. Figur-Yoga: figurformend/
Stärkung der Muskulatur
3. Yin/Yang-Yoga: Tai Chi mit YogaElementen
Kursgebühr
1 Monat
1x/ Woche EUR 20,00 2x/ Woche EUR 30,00 3x/ Woche EUR 40,00 3 Monate
EUR 50,00
EUR 70,00
EUR 90,00
*Der Einstieg in alle Kurse ist
jederzeit möglich.
Mitzubringen: eine Yogamatte und
bequeme Kleidung
Kontakt: Tel. 030/7680-4759
(Seohee Jang)
VERANSTALTUNGEN Koreanisches Kulturzentrum
A u ss t e l lu n g e n
Foto: Jong-Guk Lee
12. OKTOBER
Hangeul-Kalligrafie
Gruppenausstellung aus Korea - Kalligrafie
Vernissage: Freitag, 12.10.12, 18.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 12.10. – 06.11.12
Ort: 1. OG, Koreanisches Kulturzentrum
Kalligrafie-Wettbewerb: 12.10.12
18. OKTOBER
Papierkunsthandwerk
Jong-Guk Lee
Einzelausstellung – Papierkunsthandwerk
Vernissage: Donnerstag, 18.10.12, 18.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 18.10 – 28.12.12
Ort: EG, Koreanisches Kulturzentrum
Workshop: 19. und 22.10.12
Workshop Jong-Guk Lee
Vortrag: Herstellungsprozess des traditionellen Hanji
(traditionelles koreanisches Papier)/ Leben in einem
koreanischen Bergdorf und dessen Ambiente
Eigene Anfertigung von traditionellem Kunsthandwerk
aus Hanji
Workshop Erwachsene:
1) Anfertigung eines Fächers und Bemalen mit einem
Motiv
2) Anfertigung einer Laterne und Bemalen mit einem
Motiv
Zeit: 19.10.12, 10-12 Uhr (Fächer) oder 14-16 Uhr (Laterne)
Kursgebühr: 25 Euro
Workshop Kinder:
1) Der Schwerpunkt liegt auf dem Papierschöpfen (Fasern
aus Maulbeerbaumpapier) und der Herstellung einer
Brosche
Zeit: 22.10.12, 10-12 Uhr oder 14-16 Uhr
Keine Kursgebühr
Teilnehmerzahl pro Workshop: 20 Personen
Bewerbung unter ausstellung@kulturkorea.org (Bitte als
Betreff „Workshop für Papierhandwerk“ angeben)
Bewerbungsfrist: bis 17.10.12
14. DEZEMBER
Koreanische Künstler aus Frankreich
Austauschausstellung – Malerei
Vernissage: Freitag, 14.12.12, 18.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 15.12.12 – 05.01.13
Ort: 1. OG, Koreanisches Kulturzentrum
Konzerte
11. OKTOBER
Würde und Ekstase - Musik der Könige und Schamanen
aus dem Alten Korea
National Gugak Center Korea
Zeit: 20.00 Uhr
Ort: Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie,
Herbert-von-Karajan-Str.1, 10785 Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 245 88-999
Veranstalter: Koreanisches Kulturzentrum
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter konzert@
kulturkorea.org
17. OKTOBER
Asian Art Ensemble „Verstreute Melodien“
17.30 – 18.30 Uhr, Workshop für Gayageum, Daegeum,
Sanjo und Sinawi
19.00 – 20.30 Uhr, Konzert
Ort: Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 200 57-0 / -100
Kino
8. OKTOBER
Aus der Filmreihe „16 mm der Erinnerung“
Angae Gidung (안개기둥, A Pillar of Mist)
Republik Korea 1987, Regie: Park Chul-soo
Drama über ein verheiratetes Paar (Auszeichnung als
bester Film bei den Grand Bell Awards)
Zeit: 19.30 Uhr
Ort: Koreanisches Kulturzentrum
02. – 24. NOVEMBER
Retrospektive des Filmregisseurs Hong Sang-soo
13 Filme
Ort: Kino Arsenal, Institut für Film und Videokunst e.V.,
Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 26955-100,
www.arsenal-berlin.de
KalligrafieWettwerb
12.OKTOBER
10.30 - 14.00 Uhr
Preisverleihung und Vernissage: 18.00 Uhr
Wettwerbsinhalt: Kalligrafie in der koreanischen
Alphabetschrift Hangeul
Größe der Werke: 30x80cm (Reispapier wird vom
Koreanischen Kulturzentrum zur Verfügung gestellt)
Mitzubringen: Pinsel, Tusche, Tuschreibestein,
Papiergewicht, Schreibunterlage, Übungspapier (falls
vorhanden), Personalausweis
Bewerbungsfrist: bis zum 11.10.12 (die Teilnahme
am Wettwerb ist kostenlos)
Motive: Aus den folgenden Sätzen können die
Teilnehmer frei auswählen.
1. 아름다운 우리 한글
(Unser schönes Hangeul).
2. 아름다운 우리 섬 독도
(Unsere schöne Insel Dokdo).
3. 세계를 향하여 나아가는 한국문화
(Die koreanische Kultur, die in die Welt hinausgeht).
4. 꽃의 향기는 천년을 가고 사람의
덕은 만년을 지닌다 (Der Duft einer Blume
hält tausend Jahre an, die Tugend eines Menschen
zehntausend Jahre).
5. 뿌리깊은 나무는 바람에 넘어지지
않은다 (Ein Baum mit tiefen Wurzeln lässt sich nicht
vom Wind fällen).
6. 한독교류 백삼십주년 기념 세종한글
(In Gedenken an den 130. Jahrestag der Aufnahme der
koreanisch-deutschen diplomatischen Beziehungen das koreanische Alphabet Hangeul von König Sejong).
Preise: Großer Preis (1. Preis, „Preis des Leiters des
Koreanischen Kulturzentrums“): 1 Person
Höchster Exzellenzpreis („Preis des Vorsitzenden der
Koreanischen Kalligrafievereinigung“): 2 Personen
Exzellenzpreis: 3 Personen
Förderpreis: 4 Personen
Bewerbung:Koreanisches Kulturzentrum
Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea
Leipziger Platz 3
10117 Berlin
Tel.: 030/ 269 52-0
Fax: 030/ 269 52-134
E-Mail: mail@kulturkorea.org
www.kulturkorea.de
Im Falle der Bewerbung per E-Mail bitte als Betreff
„Teilnahme am Kalligrafie-Wettwerb” angeben.
77
KULTUR
KOREA
VERANSTALTUN GEN Koreanisches Kulturzentrum
„Erstes Auftreten der Koreanischen Welle in der Literatur“
Von Y.C. Yuna Cho
„한류“ (Hallyu), die Koreanische Welle1,
erreicht nun auch durch die Literatur
Resonanz in der Welt: „엄마를 부탁해“
(„Eomma-reul Butak-hae“), der Roman
von Kyoung-Sook Shin, sicherte sich
in der englischen Übersetzung einen
Platz auf vielen Bestsellerlisten, und
am 10. September erschien nun auch
die deutsche Fassung auf dem Markt
(deutscher Titel: „Als Mutter verschwand“).
Shin kam pünktlich am 9. September
in Berlin an, um am internationalen
literaturfestival berlin teilzunehmen und
ihr Buch vorzustellen. Das Koreanische
Kulturzentrum lud zur besonderen
Autoren-Lesung mit Gespräch am 12.
September ein.
„Wenn der Leser beim ersten Satz („Es
ist schon eine Woche her, seit Mama
verlorengegangen ist.“) an seine Mutter
denkt, bin ich schon glücklich“, sagt Shin
in der Lesung. Sie wünscht sich, dass die
Leser das Buch eventuell zum Anlass
nehmen werden, über ihre eigene Mutter
nachzudenken. Denn jede Mutter dieser
Welt wurde nicht als Mutter geboren,
sondern wuchs in diese Aufgabe hinein.
Ob der Roman autobiografisch sei,
lautet eine Frage aus dem Publikum.
Schließlich ist Shin eine der bekanntesten
Schriftstellerinnen Koreas, und ihre
Mutter lebt auch auf dem Lande,
wie in dem Roman. Dort ist eine der
Protagonistinnen eine Schriftstellerin,
die Mutter kann jedoch nicht lesen.
„Natürlich schreibt man vieles, was
man selbst erlebt hat, in seine Werke.
78
KULTUR
KOREA
V.l.n.r.: Gesandter-Botschaftsrat Jong Seok Yun (Leiter des Koreanischen Kulturzentrums), Anja Kellner
(Koreanisches Kulturzentrum), Kyoung-Sook Shin, Y.C. Yuna Cho (Dolmetscherin), Prof. Dr. Eun-Jeung Lee
(Koreastudien, FU Berlin)
Meine Romane sind in der Hinsicht
prädestiniert, alles von mir zu beinhalten.
Aber auch die ungeordneten Ereignisse
der Gesellschaft, Gedankengänge.
Alle Romane sind sozusagen ,meine’
Geschichten, aber gleichzeitig auch die
meiner Mitmenschen in der Gesellschaft“,
antwortet Shin.
„엄마를 부탁해“: der Titel des Originals
lautet „Pass auf Mama auf“ und beschreibt
die Geschichte einer Familie, die sich im
Epilog in eine Art religiösen Dialog mit
einer höheren Instanz verwandelt. Shin
erklärt dazu: „Ich wollte mich mit der
Symbolik der Mutter als wunderbares
Wesen auseinandersetzen und ihr
Zeit und Raum als Mutter an sich
geben. Meine Mutter war für mich die
vertrauteste Person in meinem Leben,
aber zugleich merkte ich beim Schreiben
auch, dass der Umgang mit ihr auch
schwierig für mich war.“ Deswegen der
Hilferuf an eine höhere Macht, denn
wem sonst will man seine eigene Mutter
anvertrauen, wenn man selbst nicht mehr
in der Lage dazu ist?
Als ein weiterer Gast fragt, ob die Mutter
wiedergefunden wird oder zurückkehrt,
antwortet Shin: „Ich glaube, dass wir
heutzutage daran arbeiten müssen, die
zwischenmenschlichen Beziehungen
untereinander aufrechtzuerhalten. Uns
gegenseitig ,bemuttern‘ sozusagen, und
dies gesellschaftlich zu verbreiten. So
kehrt auch die Mutter aus dem Roman zu
uns ,zurück’.“
30 Jahre hat Shin gebraucht, um
diesen Roman zu schreiben. Die Angst,
der Aufgabe nicht gewachsen zu
sein, ein Werk für alle Mütter dieser
Welt zu schreiben, war zu groß. Man
darf nun gespannt sein, ob sich die
deutschsprachige Leserschaft von dem
Roman genauso begeistern lässt wie die
Leser anderorts in der Welt und von der
„Koreanischen Welle“ mitgerissen wird.
„Als Mutter verschwand“
Erschienen am 10.09.2012 im Piper Verlag
Gebundene Ausgabe
19,90 EUR
ISBN: 978-3-492-05510-9
1 Weltweit zunehmende Beliebtheit der
modernen koreanischen Populärkultur (vor
allem Popmusik, Fernsehserien und Filme) im 21.
Jahrhundert, (Anm. d. Red.).
Foto: Jesus Pastor
Die Lesung der koreanischen Autorin
Kyoung-Sook Shin in Berlin
Y.C.Yuna Cho, BB.A., M.A. ist Doktorandin
der Neueren Deutschen Literatur an der
Humboldt-Universität zu Berlin, Dolmetscherin und Übersetzerin, Radio- und
Fernsehmoderatorin für einen Berliner
Sender, Kuratorin für Kunstausstellungen,
Social Media Beraterin,Veranstaltungsmanagerin und Gründerin des Berliner
Interview-Magazins stylistberlin.de.
Darüber hinaus arbeitet sie ehrenamtlich
im Presse- und Öffentlichkeitsbereich für
verschiedene internationale Institutionen.
VERANSTALTUNGEN Koreanisches Kulturzentrum
Foto: Tobias Liefert
Korea ent.decken
Regelmäßigen Besuchern des Koreanischen Kulturzentrums
wird vielleicht schon eine Neuerung im Eingangsbereich
aufgefallen sein: Ab nun steht dort ein Buddy Bear1, der das
Land Korea repräsentiert.
Gestaltet wurde er von Junggeun Oh, einem seit 2004 in
Berlin lebenden koreanischen Künstler, der bereits Erfahrung
mit der Arbeit an Buddy Bears gesammelt hat: 2006 wurde
er von der Stadt Wiesbaden eingeladen, einen Bären für ein
Projekt in den Rhein-Main-Hallen zu entwerfen. Während
er die Arbeit damals als sehr angenehm empfand, sei sie
ihm dieses Mal sehr schwergefallen, „weil der Bär draußen
vorm Koreanischen Kulturzentrum stehen sollte. Ich habe
mich gefragt, wie ich diese Aufgabe bestmöglich umsetzen
Von Gesine Stoyke
kann, denn es ging ja nicht lediglich darum, eine beliebige
Skulptur zu schaffen, sondern ein Symbol für die Beziehung
zwischen Korea und Deutschland.” Ursprünglich dachte er
daran, den gesamten Bären in Rot zu tauchen und im Stil
seiner Werkserie „Zwischenräume”2 die Himmelsausschnitte
nachzuzeichnen, die zwischen dem Koreanischen
Kulturzentrum und seinen Nachbargebäuden entstehen.
Diesen Einfall verwarf er allerdings bald wieder, denn
„wenn man diesen roten Bär sieht, denkt man, das sei das
Chinesische Kulturzentrum”, erklärt er lachend. Es dauerte
eine Woche, bis er die entscheidende Idee hatte und mit der
Umsetzung beginnen konnte.
Zur Vorbereitung bedeckte er den Bären vollständig mit
einem großen Stofftuch, das er mit einem dünnen Seil
umwickelte, und fotografierte das Ergebnis ab. Dann übertrug
er die Vorlage mit einem Conté-Stift auf die Skulptur. Er ließ
nur die Füße frei, die er mit Acrylfarbe blau und rot kolorierte in den Farben von Eum und Yang (음양, „Yin und Yang“), wie
man sie im Zentrum der koreanischen Nationalflagge findet.
Zur Zeit des Gesprächs hatte Junggeun Oh den letzten Schritt
seiner Arbeit noch nicht abgeschlossen: auf der Brust der
Statue einen koreanischen Briefstempel aufzuzeichnen, der
suggerieren soll, dass es sich bei dem Buddy Bear um ein
überdimensioniertes, in Packpapier eingewickeltes Paket
handelt, das von Korea nach Berlin geschickt wurde. Nur der
rote und der blaue Fuß lassen erahnen, wie der eigentliche
Bär unter der Verpackung wohl aussehen könnte.
Foto: Junggeun Oh
Während der Stil von Junggeun Oh oft sehr abstrakt
und minimalistisch ist, hat er dieses Mal - abgesehen
von den Füßen des Bären - eine sehr gegenständliche
Darstellungsweise gewählt. Er sagt, dass zwar nicht der
Gedanke dahinter, aber der Stil seines Werks ein wenig an
Christo erinnere. So hat der Buddy Bear einen sehr schönen
Bezugspunkt zur Stadt Berlin, in der bis heute die Verhüllung
des Reichstags durch den berühmten Künstler nicht
vergessen ist.
Der Buddy Bear vor seiner Fertigstellung im Atelier des Künstlers
Junggeun Oh hat seine Arbeit auf Koreanisch „발견”
(„Balgyeon”, Entdecken), auf Deutsch „Ent.deckung” und
auf Englisch „Dis.covery” getauft. Er erläutert seine Idee
hinter der Namensgebung: „Das koreanische Wort ,발견’
bedeutet eigentlich, etwas Neues, Unbekanntes zu finden.
Meine Idee ist es aber, dass man etwas bereits Vorhandenes
79
KULTUR
KOREA
Entdeckung Korea!
Schätze aus deutschen
Museen
für sich selbst erschließen soll - ganz ohne
Vorurteile. Das ,deckung’ und das ,covery’ stehen
für die Vorstellungen und Ideen, die wir von
einem bestimmten Gegenstand haben, das ,Ent.’
und das ,Dis.’ für die Befreiung von vorgefertigten
Meinungen.” In diesem Sinne sollen sich die
Menschen, die Korea oder Deutschland kennen
lernen wollen, von allem befreien, das sie bereits
über das jeweilige Land zu wissen glauben und
sich auf ein unmittelbares Erleben einlassen,
das frei von Vorurteilen ist. „Wenn Koreaner über
Deutschland sprechen, wollen sie es manchmal
aus der Perspektive des Ersten oder Zweiten
Weltkriegs bewerten. Umgekehrt wird Korea von
Außenstehenden oft aus Sicht des Nord-SüdKonflikts, des Koreakriegs oder der Zeit beurteilt,
als Korea eines der ärmsten Länder der Welt
war. Meiner Meinung nach haben sich Korea
und Deutschland heute völlig gewandelt. Die
Botschaft meiner Arbeit ist es, dass die Menschen
beiden Ländern vorurteilsfrei begegnen und
Neugier für sie entwickeln sollten - das ist ein
aktiver Prozess”, erklärt Junggeun Oh.
Der Leipziger Platz ist ein sehr
geschichtsträchtiger Ort, denn durch ihn
verlief die innerdeutsche Grenze, an die heute
noch eine schmale Linie aus Pflastersteinen
auf der Rasenfläche vor dem Koreanischen
Kulturzentrum erinnert. Zur Zeit der deutschen
Teilung war der Leipziger Platz ein unbebautes
Niemandsland, aber heute ist er ein Symbol
für die Wiedervereinigung. Deshalb gibt es
vielleicht keinen besseren Standort für den
koreanischen Buddy Bear und für das Koreanische
Kulturzentrum, um darauf aufmerksam zu
machen, dass Korea immer noch ein geteiltes
Land ist. Von den acht Millionen Besuchern, die
jährlich das Sony-Center am Potsdamer Platz
besuchen, der nur 0,4 km Luftlinie entfernt liegt,
werden hoffentlich auch viele ihren Weg zum
Leipziger Platz finden, um das Land Korea auf ihre
ganz persönliche Art und Weise zu entdecken.
1 Der Buddy Bear ist eine Bärenskulptur, die 2001 als Wahrzeichen der Stadt Berlin entwickelt wurde und
heute überall im öffentlichen Raum der deutschen Hauptstadt zu finden ist.
2 Bei seiner Werkreihe „Zwischenräume“, hat Junggeun Oh die Formen, die die Außenlinien bekannter Berliner Gebäude wie das Brandenburger Tor in den Himmel
zeichnen, als minimalisierte und abstrakte Formen dargestellt. Die Serie ist in Rot und Schwarz gehalten.
80
KULTUR
KOREA
© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Foto: Maria Thrun
Von Dr. Uta Werlich
Space4 unter Verwendung des Motivs „Tiger und Elster“, JoseonReich (1392-1911), Ende 19./Anfang 20. Jh.
Die folgenden Museen haben Objekte aus ihren Sammlungen für die
Ausstellung zur Verfügung gestellt:
•
Museum für Asiatische Kunst (Staatliche Museen zu
Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz)
•
Ethnologisches Museum (Staatliche Museen zu Berlin,
Stiftung Preußischer Kulturbesitz)
•
Museum für Angewandte Kunst Frankfurt
•
Museum für Ostasiatische Kunst Köln
•
Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig
•
Museum für Völkerkunde Hamburg
•
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
•
Gutenberg-Museum Mainz
•
Linden-Museum Stuttgart
•
Missionsmuseum St. Ottilien
b u n d e sw e i t e VERAN STALTUN GEN
Für rund 100 ausgewählte Exponate
begann im Frühjahr 2010 eine
zweijährige Ausstellungstournee.
Keramiken, wertvolle Lackarbeiten und
Malereien machten Station im Museum
für Ostasiatische Kunst Köln, im Grassi
Museum für Völkerkunde zu Leipzig
und im Museum für Angewandte Kunst
Frankfurt/M. Vom 13. Oktober 2012
bis zum 13. Januar 2013 zeigt nun
auch das Linden-Museum Stuttgart
als abschließender Ausstellungsort die
hochkarätige Auswahl koreanischen
Kunstschaffens.
Koreainteressierten sei bereits
an dieser Stelle ein Besuch der
Stuttgarter Ausstellung ans Herz
gelegt, auch wenn sie „Entdeckung
Korea!“ bereits in Köln, Leipzig
oder Frankfurt gesehen haben. Das
Anliegen, die Objekte in jedem der vier
ausstellenden Häuser aus einer eigenen
Perspektive und mit unterschiedlichen
Präsentationsansätzen zu zeigen, bildete
von Anfang an eine Besonderheit
des Projektes. So wurden in Köln
und Frankfurt die Exponate aus der
Blickrichtung des Kunsthistorikers
inszeniert, in beiden Häusern durch
Arbeiten zeitgenössischer koreanischer
Künstler ergänzt. Das Grassi Museum
für Völkerkunde zu Leipzig hatte
sich zum Ziel gesetzt, den größeren
kulturhistorischen Kontext der Objekte
zu vermitteln.
In Stuttgart laden wir den Besucher
ein, sich mit uns auf eine Reise in
die koreanische Vergangenheit zu
begeben und ein Land zu entdecken,
dessen Kultur und Geschichte ebenso
facettenreich wie beeindruckend sind.
In zurückhaltenden Porzellanen aus der
Joseon-Zeit (1392 - 1910) äußert sich
der strenge Geist des Konfuzianismus;
in bunten Genremalereien erscheinen
Alltagssituationen aus dem Korea der
Jahrhundertwende. Elegante Seladone
der Goryeo-Zeit (918 - 1392) vermitteln
einen Eindruck von der exklusiven
Lebenswelt einer privilegierten
Oberschicht, und Gefäßkeramiken aus
dem Vereinigten Silla-Reich (668 - 935)
und den Drei Königreichen (57 v. Chr.
- 668 n. Chr.) zeugen vom Einfluss des
Buddhismus, aber auch älterer, mit
dem Schamanismus in Verbindung
stehender geistiger Überzeugungen.
Informative Texte vermitteln dem
Ausstellungsbesucher die komplexen
inhaltlichen Zusammenhänge. Filmund Audiostationen bieten zudem die
Möglichkeit, in einzelnen Bereichen
tiefere, bis in die Gegenwart reichende
Einblicke in die koreanische Kultur zu
gewinnen. Für Kinder ist ein kostenloses
Begleitheft erhältlich, das sie spielerisch
durch die Ausstellung führt.
In einem Exkurs wird die Stuttgarter
Ausstellung zudem das Augenmerk
auf die frühen deutsch-koreanischen
Begegnungen lenken. Erstmals gezeigt
werden historische Fotografien aus
Korea, die Teil der umfassenden
Sammlung des Linden-Museums sind.
Studiofotografien und Aufnahmen
ambitionierter Amateurfotografen, die
aus konservatorischen Gründen nur
als Reproduktionen gezeigt werden
können, vermitteln einen Eindruck
von der fremden Lebenswelt, auf die
frühe deutsche Koreareisende im
ausklingenden 19. Jahrhundert trafen.
Während die Ausstellung „Entdeckung
Korea!“ sich vor allem dem „alten“
Korea widmet, richten Thementage
und –wochenenden, die begleitend
zur Stuttgarter Ausstellung konzipiert
wurden, den Blick auf das moderne
Korea. In einzelnen Vorträgen wird die
Situation koreanischer MigrantInnen
in Deutschland angesprochen,
ebenso wie die Frage nach möglichen
Perspektiven für die geteilte Halbinsel.
„Ein Fest für Kinder“, das gemeinsam
mit der Koreanischen Schule Stuttgart
durchgeführt wird, lädt am 16.
Dezember 2012 vor allem junge
Besucher zur Begegnung mit der
koreanischen Kultur ein.
„Entdeckung Korea“, ein
Ausstellungsprojekt, das in enger
Kooperation und mit Unterstützung
der Korea Foundation realisiert
werden konnte, bietet eine Fülle von
Möglichkeiten, Korea zu entdecken
und sich einem faszinierenden Land
aus unterschiedlichen Richtungen
anzunähern. Das Linden-Museum
Stuttgart freut sich auf Ihren Besuch!
Foto: privat
Wenn am 12. Oktober die Ausstellung
„Entdeckung Korea! Schätze aus
deutschen Museen“ im LindenMuseum Stuttgart eröffnet wird, geht
ein dreijähriges Projekt seinem Ende
entgegen. Zehn deutsche Museen
hatten sich im Herbst 2009 auf eine
gezielte Anfrage des Berliner Büros der
Korea Foundation hin bereit erklärt,
Objekte aus ihren Koreasammlungen
für eine gemeinsame Ausstellung zur
Verfügung zu stellen. Erstmals sollte ein
repräsentativer Querschnitt der noch
wenig bekannten Sammlungen einem
breiten Publikum zugänglich gemacht
werden.
Dr. Uta Werlich ist Leiterin
des Ostasien-Referats und
Kuratorin der Ausstellung
„Entdeckung Korea!“ im
Linden-Museum Stuttgart.
81
KULTUR
KOREA
Korea bei der dOCUMENTA 2012
Von Gesine Stoyke
Am 16. September 2012 ging die 13.
dOCUMENTA in Kassel zu Ende. Über
300 Künstler nahmen teil, und mit den
Arbeiten von Haegue Yang und dem
Künstlerduo Kyungwon Moon & Joonho
Jeon waren auch zwei Projekte aus
Südkorea präsent.
Haegue Yang zeigte in einer alten
Lagerhalle am Kasseler Hauptbahnhof,
der inzwischen nur noch als
Regionalbahnhof genutzt wird, eine
Installation mit maßgeschneiderten
Jalousien, die sich wie von Geisterhand
in Bewegung setzten, um dann wieder
stillzustehen, denn „Mobilität und
Fluidität im konzeptuellen eher denn im
wörtlichen Sinne bilden entscheidende
Momente ihrer Arbeiten (…), die in einem
ständigen Prozess der Verwandlung
sind, sich falten und entfalten und
eine feste Basis – im wörtlichen wie im
metaphorischen Sinne – meiden.“1
Bereits seit der Werksreihe „Series of
Vulnerable Arrangements - Version
Utrecht” (2006) tauchen immer
wieder Jalousien in den Arbeiten der
südkoreanischen Künstlerin auf, die dank
ihrer halbdurchlässigen Struktur Grenzen
ziehen und Räume für - manchmal
sichtbare, manchmal verborgene narrative Elemente schaffen.
Yangs Installation wurde auch vom
Standort inspiriert: Die motorbetriebenen
Jalousien sind sowohl eine Anspielung
auf die mechanischen Bewegungen
82
KULTUR
KOREA
der Züge, die früher an dem jetzt
verwaisten Bahnsteig in der Lagerhalle
Halt machten, als auch auf die industrielle
Vergangenheit der Stadt Kassel, die
einmal von Schwerindustrie geprägt war.
Im Untergeschoss der an der Karlsaue
gelegenen documenta-Halle war das
Gemeinschaftsprojekt „News from
Nowhere“ (2012) von Kyungwon Moon
& Joonho Jeon zu sehen. Inspiriert vom
gleichnamigen Roman von William
Morris aus dem Jahr 1890 schufen die
beiden Künstler/innen ein in der Zukunft
liegendes, postapokalyptisches Szenario,
in dem die wenigen überlebenden
Menschen retrospektiv über die Funktion
von Kunst im Jahr 2012 nachdenken.
Ziel des Werks war es nicht, eine Vision
der Zukunft zu entwerfen, sondern
die Gegenwart einer kritischen
Bestandsaufnahme zu unterziehen.
Das Projekt wurde in Form eines
Films, einer Installation und einer
Buchveröffentlichung umgesetzt.
Im Mittelpunkt des auf zwei
Großleinwänden parallel laufenden
Films „El fin del mundo“ (Drehbuch und
Regie: Moon und Jeon) stand der Dialog
zweier überlebender Künstler in der
postapokalyptischen Welt, die sich der
Aufgabe stellen, den Begriff von Ästhetik
unter den veränderten Umständen neu
zu definieren.
Die Installation „Voice of Metanoia“
(2011-2012) präsentierte die LifestyleProdukte eines fiktiven internationalen
Konzerns, der das gesellschaftliche Leben
der Menschen nach der Apokalypse
beherrscht, und das von Moon und
Jeon neu gestaltete Buch „News from
Nowhere“ befasste sich mit der Frage,
was die Zukunft heutigen Menschen in
einer sich rapide wandelnden Welt zu
bieten hat.
Künstler/innen:
Die 1971 in Seoul geborene Künstlerin
Haegue Yang pendelt zwischen Berlin
und Seoul. Sie hatte Einzelausstellungen
in Deutschland, Großbritannien, den
USA und Korea und beteiligte sich 2006
an der Bienal de Sao Paulo und 2009
als Vertreterin Koreas an der Venedig
Biennale.
Kyungwon Moon und Joonho Jeon
wurden beide 1969 in Südkorea geboren
und leben in Seoul. Neben diversen
Einzelausstellungen nahmen sie
gemeinsam an der Gwangju Biennale
(2012), der Moskau Biennale (2010) und
an der Biennial of Graphic Arts Ljubljana
(2010) teil.
Quellen:
dOCUMENTA (13). Das Begleitbuch/ The
Guidebook. Katalog. Ostfildern: Hatje Cantz
2012.
http://www3.documenta.de/de/
1 dOCUMENTA (13). Das Begleitbuch/ The Guidebook. Katalog. Ostfildern: Hatje Cantz 2012.
Fotos: Soobin Ahn
b u n d e sw e i t e VERANS TALTUNGEN
b u n d e sw e i t e VERANSTALTUNGEN - Veranstaltungsk alender
OKTOBER
KUNST
2. OKTOBER
Berlin
TRANSFER Korea – NRW 2011/12/13
Berlin-Special
Mit koreanischen und deutschen TransferKünstlerInnen
Zeit: 19.00 Uhr
Ort: PLATOON Kunsthalle Berlin, Schönhauser
Allee 9, 10119 Berlin
Unterstützt vom Koreanischen Kulturzentrum in
Berlin
4. OKTOBER
Hamburg
Filmfest Hamburg: Verleihung des DouglasSirk-Preises an den südkoreanischen Regisseur
Kim Ki-duk
Zeit: 19.30 Uhr
Ort: Cinemaxx 1, Dammtordamm 1,
20354 Hamburg
Im Anschluss wird sein neuester Film „Pieta“ als
Deutschlandpremiere gezeigt.
BIS 09.OKTOBER
Weiden
Ausstellung „Koreanische Keramik. Kap-Sun
Hwang“
Zeit: Di - So 10.00-12.30 Uhr, 14.00-16.30 Uhr
Ort: Internationales Keramik-Museum,
Luitpoldstraße 25, 92637 Weiden
11. OKTOBER
Düsseldorf
TRANSFER Korea-NRW 2011/12/13
Zwischenbilanz und Ausblick
Mit Transfer-KünstlerInnen und Partnern aus
Korea und NRW
Die koreanischen KünstlerInnen werfen in kurzen
Präsentationen einen Blick zurück auf ihren
Aufenthalt in NRW – gleichzeitig geben die NRWKünstlerInnen einen Ausblick auf ihre unmittelbar
bevorstehende Residenz-Zeit in Korea
Zeit: 19.00 Uhr
Ort: Hans Peter Zimmer-Stiftung, Ronsdorfer
Str. 77a, 40233 Düsseldorf
Kontakt: Tel. 0202/ 698 27 00 (NRW
Kultursekretariat)
AB 13.OKTOBER
Stuttgart
Ausstellung „Entdeckung Korea! Schätze aus
deutschen Museen“
Zeit: 13.10.12 – 13.01.13
Di 10.00-17.00 Uhr, Mi 10.00-20.00 Uhr, Do – Sa
10.00-17.00 Uhr, So 10.00-18.00 Uhr
Ort: Linden-Museum Stuttgart, Staatliches
Museum für Völkerkunde, Hegelplatz 1,
70174 Stuttgart
MUSIK
BIS 13.OKTOBER
Hannover
Joseph Joachim - Internationaler
Violinwettbewerb Hannover
Mit den koreanischen Teilnehmer/innen Kim
Bomsori, Kim Jee Won, Kim Dami, Kim SoJin, Kim
JaeYoung, Koh Eunae, Sir Joo Yeon und Yang In
Mo
Zeit: 30.09. – 13.10.12
Ort: Richard Jakoby Saal, Emmichplatz 1, 30175
Hannover
Kontakt: Tel. 0511-990 5418
AB 19. OKTOBER
Berlin
Willows became the thread and a nightingale
became the shuttle
(Weiden wurden zum Faden und eine Nachtigall
zum Weberschiffchen)
Erstaufführung der koreanischen Bildenden
Künstlerin yeesookyung und der koreanischen
Gagok-Vokalistin Minhee Park
Die Zeit steht still im Gagok, der traditionellen
Vokalmusik koreanischer Höfe – gesungene
Poeme, deren einzelne Silben so ausgedehnt
werden, dass die Worte nicht mehr zu
unterscheiden sind. Wenn ein einziger Takt 20
Sekunden dauert, wird der Text zu Klangmaterial,
die Musik auf den stimmlichen Ausdruck
konzentriert.
Zeit: 19. – 21.10.12
Ort: Haus der Berliner Festspiele,
Schaperstr. 24, 10719 Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 254 89-269
LITERATUR
12. OKTOBER
Frankfurt a.M.
Verleihung des Deutschen
Jugendliteraturpreises 2012
Nominiert ist u.a. das Buch: „Wo geht‘s lang?
Karten erklären die Welt“ von der Autorin
Heekyoung Kim und der Illustratorin Krystyna
Lipka-Sztarballo (Übersetzer: Hans-Jürgen
Zaborowski)
Zeit: 17.30 – 18.50 Uhr (Einlass ab 16.45 Uhr)
Ort: Saal Harmonie des Congress Centers der
Messe Frankfurt/M., Ludwig-Erhard-Anlage 1,
60327 Frankfurt am Main
Information: Eine Eintrittskarte für diese
Veranstaltung ist erforderlich (jedoch keine
Eintrittskarte für die Buchmesse, da die
Veranstaltung nicht direkt auf dem Messegelände
stattfindet, sondern in unmittelbarer Nähe)!
Da die Teilnahmebestätigungen bereits im
September vorliegen mussten, besteht ggfs. noch
die Möglichkeit, Stehplatzkarten zu erwerben. Bei
Interesse wenden Sie sich bitte an:
Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V. (Tel. 089/45
80 80–6, E-Mail: info@jugendliteratur.org)
13. OKTOBER
Frankfurt a.M.
Gesprächsrunde mit den Preisträgern des
Deutschen Jugendliteraturpreises 2012
Zeit: 10.00 – 11.00 Uhr
Ort: Lesezelt der Frankfurter Buchmesse
Moderation: Dr. Susanne Helene Becker
(Vorsitzende der Kritikerjury)
Keine Voranmeldung und keine Eintrittskarten
erforderlich! Teilnehmer müssen jedoch im Besitz
einer Eintrittskarte für die Buchmesse sein, da die
Veranstaltung auf dem Messegelände stattfindet.
SONSTIGES
20. OKTOBER
Hamburg
Deutsch-koreanischer Stammtisch
Zeit: ab 18.00 Uhr
Ort: Sushi-Bar Dehnhaide, Barmbeker
Markt 37-38, 22081 Hamburg
Kontakt: Tel. 04191/ 7226590 (DeutschKoreanische Gesellschaft Hamburg e.V.)
NOVEMBER
MUSIK
03. NOVEMBER
Berlin
Yun+…: Junge Musiker VI
Zeit: 19.00 Uhr
Ort: Joseph-Joachim-Saal (= Konzertsaal
Bundesallee 1-12), 10719 Berlin
Programm: Isang Yun und Franz Schubert
Eintritt frei, Spenden erbeten
Weitere Informationen: www.yun-gesellschaft.de
30.NOVEMBER
Berlin
Vortragsabend
Klavierklasse der Dozentin Mi-Joo Lee
Zeit: 19.00 Uhr
Ort: UdK Berlin, Joseph-JoachimKonzertsaal, Bundesallee 1-12, 10719
Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 3185-0
83
KULTUR
KOREA
Ort: UdK Berlin, Joseph-JoachimKonzertsaal, Bundesallee 1-12,
10719 Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 3185-0
Nachruf
KUNST
Am 18. Juni dieses Jahres verstarb Prof.
Dr. Bruno Lewin im Alter von 87 Jahren
im nordrhein-westfälischen Hilden.
Er führte das Erbe Andre Eckardts
(1884 – 1974), des Begründers der
deutschen Koreanistik, in würdevoller
und sehr erfolgreicher Weise fort.
Lewin war neben Prof. Dr. Frits Vos,
Universität Leiden, und Prof. Dr. William
E. Skillend, Universität London, eines
der Gründungsmitglieder der AKSE
(Association of Korean Studies in
Europe/ Verband der Koreastudien in Europa).
Als Gründungsmitglied der Fakultät für Ostasienwissenschaften an der
Ruhr-Universität Bochum und Lehrstuhlinhaber dieser Fakultät etablierte
er 1965 die erste Abteilung für Koreanistik an einer westdeutschen
Universität mit vollwertigem akademischen Studiengang und
entsprechenden Studienabschlussmöglichkeiten. Zu seinen Schülern
zählen unter anderem Prof. em. Dr. Dieter Eikemeier (lange Zeit Leiter
der Koreanistik an der Eberhard Karls Universität Tübingen), Prof. em. Dr.
Werner Sasse (lange Zeit Leiter der Koreanistik an der Ruhr-Universität
Bochum und an der Universität Hamburg) und Priv. Doz. Dr. Albrecht
Huwe (langjähriger Leiter des Diplom-/Master-Studiengangs Übersetzen
Koreanisch an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und
Professur an der Universität Wien), die ihrerseits einen wichtigen Beitrag
zur Weiterentwicklung der Koreanistik in der Bundesrepublik Deutschland
leisteten bzw. leisten.
Prof. Dr. Bruno Lewin (geboren 1925) erwarb seinen Doktortitel
in japanischer Sprache und Literatur an der Universität München.
Sein Interesse für Japan führte ihn später zur wissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit dessen Nachbarland Korea. Im Laufe
der akademischen Laufbahn Prof. Dr. Lewins entstand eine Reihe
richtungsweisender Bücher und Artikel über die koreanische Sprache,
Geschichte und Kultur sowie über die Bedeutung Koreas für die kulturelle
Entwicklung Japans. Zu diesen Publikationen zählen u.a. „Morphologie
des koreanischen Verbs“ (1970) und „Der koreanische Anteil am Werden
Japans“ (1976). Prof. Lewin hat sich große Verdienste um die Koreanistik in
Deutschland und Europa erworben.
BIS 11. NOVEMBER
Berlin
Yoonjee Geem
Spinnennetz 2012
Zeit: 15.09. – 11.11.12
Ort: Dada Post Berlin, Nordbahnstr. 10,
13409 Berlin
www.y-geem.com
BIS 18. NOVEMBER
Fürstenberg
Von Fürstenberg nach Asien
Ausstellung von Kap Sun Hwang,
einem der führenden PorzellanDesigner der Gegenwart
Zeit: 29.06. – 18.11.12
Ort: Museum im Schloss,
Porzellanmanufaktur Fürstenberg,
Meinbrexener Str. 2, 37699 Fürstenberg
Kontakt: Tel. 05271/ 401-161
AB 23. NOVEMBER
Berlin
Ji-Young: Einzelausstellung
Zeit: 23.11.12 - 26.01.13
Ort: LEE Galerie, Brunnenstr.172,
10119 Berlin
Kontakt: Tel. 030/4171 7973
Dezember
SONSTIGES
Entdecke Korea: Mitmach-Aktionen und
koreanisches Picknick für Kinder ab 6
Jahren
Zeit: 12.30 – 17.00 Uhr
Anmeldung für koreanisches Picknick bis
02.12.12 erforderlich:
Tel. 0711/2022-444 / anmeldung@
lindenmuseum.de
Eintritt Erwachsene: EUR 7,-/5,- inkl.
Sonderausstellung „Entdeckung Korea!“
Kinder bis 12 Jahre frei, Essen extra
http://www.lindenmuseum.de
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KULTUR
KOREA
Foto: OAW, Ruhr-Universität Bochum
16. Dezember
Stuttgart
Ein Fest für Kinder!
IMPRESSUM
HERAUSGEBER
Koreanisches Kulturzentrum
Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin
www.kulturkorea.de
LEITER
Gesandter-Botschaftsrat
Jong Seok Yun
REDAKTION
Gesine Stoyke
Dr. Stefanie Grote
GESTALTUNG
Setbyol Oh
MITARBEIT
Jongmin Lee
KONTAKT
Tel. (030) 269 52-0
Fax: (030) 269 52-134
E-Mail: redaktion@kulturkorea.org
Auflage: 5.500 Exemplare
DRUCK
Concept Verlag
VERTRIEB
Koreanisches Kulturzentrum
Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea
Kultur Korea erscheint vierteljährlich als Print-, Digital- (PDF-Datei)
und Online-Ausgabe unter:
http://magazin.kulturkorea.de
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