Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum

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Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
Kultur Korea
한국문화
SPEZIAL: FAMILIE UND PARTNERSCHAFT IN KOREA
Die koreanische Familie: Aufbruch, Umbruch – und dann?
Adler, Wildgänse und Pinguine: das schwere Los koreanischer Väter
Liebe Grüße aus Pjöngjang
Ausgabe 4/2011
Titelbild: Felix Park
Felix Park arbeitet als Fotograf und Ausstellungsmacher zurzeit in Seoul. Er kuratierte mehrere Ausstellungen in Galerien in Deutschland und Korea sowie im Koreanischen Kulturzentrum Berlin. Seine Portraits von
Berliner Galeristen präsentierte er am Stand des Landesverbands Berliner Galerien auf der Korea International
Art Fair (KIAF) 2008 in Seoul.
Im Rahmen seines Doljabee-Projekts porträtierte er zwischen 2009 und 2010 Berliner Familien mit einjährigen
Kindern. Zusätzlich wurden Interviews mit den Eltern - die meisten mit einem Migrationshintergrund geführt, um sie nach ihren Wünschen und Erwartungen im Hinblick auf die Entwicklung ihres Nachwuchses
zu befragen. Eine Auswahl der Fotografien erscheint in dieser Ausgabe von Kultur Korea.
Foto: privat
Die einjährige Anais (rechts) mit ihrer Schwester Yumi und ihren
Eltern Chul-Young und Severine zu Hause in Berlin-Charlottenburg.
Die Aufnahme entstand 2010 im Rahmen der Doljabee-Serie des
Fotografen.
EDITORIAL
Vollziehung der Ahnenriten im Kreise der traditionellen Großfamilie, erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
Nicht nur in westlichen Gesellschaften ist eine zunehmende Auflösung traditioneller Familienwerte zu
verzeichnen – auch in asiatischen Ländern wie Korea, die gemeinhin als sehr traditionsverbunden gelten, hat
diese Entwicklung längst Einzug gehalten. Während die koreanische Familie 1975 durchschnittlich noch 5,0
Mitglieder hatte, verfügte sie 2005 nur noch über 2,9 Mitglieder.1 Die traditionelle Großfamilie wird immer
seltener. So stieg die Zahl der nur aus einem Elternpaar und Kindern bestehenden Kernfamilien zwischen
1975 und 2005 von 70,5 auf 82,7 Prozent. Aufgrund hoher Scheidungsraten und veränderter Lebensgewohnheiten hat auch die Zahl der Alleinstehenden und Alleinerziehenden deutlich zugenommen. Betrug der Anteil
der Singles 1985 noch 6,9 Prozent, lag er 2005 schon bei 20 Prozent. Die Zahl der Haushalte von Alleinerziehenden erhöhte sich von 848.000 (1985) auf 1,37 Mio. Haushalte (2005).
Die einst ethnisch höchst homogene Gesellschaft Koreas zeigt seit langem Tendenzen der Öffnung nach
außen. 2010 lebten in Korea rund 122.000 Kinder, die aus Ehen zwischen Koreanern und Nicht-Koreanern
hervorgegangen waren.
Diese Beispiele belegen, dass sich die koreanische Gesellschaft im Wandel befindet. In dieser Ausgabe unseres
Magazins möchten wir uns verschiedensten Aspekten dieses Transformationsprozesses widmen, die Ursachen
aufspüren und ein möglichst vielschichtiges Bild moderner Familien und Partnerschaften in Korea vermitteln,
die heute vor vielerlei neuen Herausforderungen stehen.
Wir wünschen Ihnen einen schönen Herbst und viel Freude beim Lesen!
Foto: Sooeun Lee
Die Mitarbeiter des Koreanischen Kulturzentrums
1
Quelle aller Statistiken: http://english.mogef.go.kr/sub02/sub02/sub02_61.jsp
1
INHALT
1 EDITORIAL
2 INHALT
GESELLSCHAFT
4 Die koreanische Familie und Jugend im Wandel der Zeit von Tobias Lehmann
7 Ehe-Arrangements. Organisierte ‚Nachhilfe‘ auf der Suche nach dem
großen Glück von Dr. Stefanie Grote
9 Adler, Wildgänse und Pinguine: das schwere Los koreanischer Väter
von Gesine Stoyke
12 Scheiden tut weh. Ehen in Auflösung von Dr. Stefanie Grote
14 Die koreanische Familie: Aufbruch, Umbruch – und dann? von Anneliese Stern-Ko
16 Wenn einer einen Partner sucht – Single sein in Südkorea
von Malte E. Kollenberg & Fabian Kretschmer
KALEIDOSKOP
18 Liebe Grüße aus Pjöngjang von Anne Schneppen
20 „Korea ist (…) das OECD-Land mit dem am schnellsten wachsenden
Ausländeranteil“, Interview mit Jungyeol Kim von Gesine Stoyke
23 Deutsch lernen in Familien auf Zeit. „Bildungsurlaub“
vom koreanischen Schulstress von Bodo Hartwig
26 “Shocking Family“/„Anti-Family Documentary“ von Dr. Stefanie Grote
27 Kleiner Wegweiser durch den Dschungel koreanischer
Verwandtschaftsbezeichnungen von Gesine Stoyke
MENSCHEN
30 „Gute Köchin, gute Schwiegertochter!“, Interview mit Sophie Bocquelet
von Dr. Stefanie Grote
32 „Ich fühle mich in beiden Welten zu Hause“, Interview mit Ariane Fischer
von Gesine Stoyke
FOTOSERIE
34 Doljabee von Felix Park
2
KULTUR
38 Park Chan-wooks Rache-Trilogie im Kontext des modernen Kultfilms
von Alexandra Schulz
41 B-Boying in Korea von Axel Altmann
43 „Wir B-Boys reisen durch die ganze Welt, tragen die koreanische Flagge
vor uns her und steigern das Prestige Koreas im internationalen Ausland“,
Interview mit dem koreanischen B-Boy Spring von Axel Altmann
PORTRÄT
46 „Beim Theater und Film finde ich wichtig, dass alles Magie bleibt“, Interview mit Bonn Park von Dr. Stefanie Grote
KOREA IM ALLTAG
49 Zukunftschance Koreanisch von Alexander Stuber
51 Koreanischer Sprachführer
52 rezept
VERANSTALTUNGEN
KOREANISCHES KULTURZENTRUM - RÜCKBLICK
53 Minsok-ak von Matthias R. Entreß
56 „Zur Zeit treffen sich die Familienmitglieder nicht mehr zu Hause, sondern im Internet“, Interview mit der Papierpuppenkünstlerin So Hee Kang
von Gesine Stoyke
58 Die Bibimbap Backpackers von Gesine Stoyke
60 Erste deutsche K-Pop-Nacht von Esther Klung
KOREANISCHES KULTURZENTRUM - VORSCHAU
62 Kurse
63 AUSSTELLUNGen
65 KONZERTe, KINO, SONSTIGES
66 BUNDESWEITE VERANSTALTUNGEN OKTOBER - DEZEMBER 2011
68 IMPRESSUM
3
GESELLSCHAFT
Die koreanische Familie und Jugend
im Wandel der Zeit
Von Tobias Lehmann
Foto: privat
Familienbild im Wandel
Tobias Lehmann hat es
2004 das erste Mal als
Austauschstudent der
Yonsei University nach
Korea verschlagen. Im
Jahr 2006 hat er sich,
unterstützt durch ein
Stipendium der Korea
Foundation, für ein
Magisterstudium an der
Graduate School of International Studies der Sogang University in Seoul
entschieden. Zudem hat
er dort die koreanische
Sprache gelernt. Seine
Magisterarbeit hat er
über die nationale Identität geteilter Nationen
am Beispiel Koreas und
Deutschlands geschrieben. Seit dem Abschluss
seines Studiums arbeitet
er als Lektor für deutsche
Sprache und Kultur an
koreanischen Oberschulen und Universitäten,
derzeit an der Kongju
National University.
4
So rasant und dynamisch sich Korea entwickelt und ständig verändert, genauso
eingreifend sind die Veränderungen und
Umwälzungen innerhalb der koreanischen
Familienstruktur, insofern man noch von Familie nach traditionell koreanischem Muster
sprechen kann. War es in der Vergangenheit
üblich, in der Großfamilie mit mehreren
Geschwistern aufzuwachsen, so bekommen
die heutigen Paare in der Regel nur noch ein
Kind – wenn überhaupt. Korea hat weltweit
eine der niedrigsten Geburtenraten, sie lag im
Jahr 2009 bei nur 1,2 Kindern pro Frau. Viele
Kinder wachsen ohne Geschwister auf und
haben daher wenig Verständnis und Zugang
zum konfuzianischen Familienbild ihrer
Eltern oder gar ihrer Großeltern.
Die früher als lebensnotwendig erachteten
Beziehungen zu ihren jüngeren und älteren
Geschwistern, die Hilfe und Fürsorge für
die Jüngeren sowie die Unterordnung und
Loyalität gegenüber den Älteren und damit
das ausgesprochen kollektive Verständnis für
die Familie bricht vor allem in den Großstädten des Landes weg oder verändert sich
zumindest derart, dass die einzelnen Generationen nicht mehr zusammen in einem Haus
leben, sondern getrennt voneinander, häufig
in Apartments. Dies verändert nicht nur den
Lebensrhythmus, sondern vor allem die Beziehungen innerhalb der Familie. Es gibt weniger
Kommunikation und menschliches Miteinander, die Familie rückt auseinander. Sie ist zwar
weiterhin das wichtigste soziale Glied und
Quelle von Sicherheit und Geborgenheit, so
lautet zumindest die Rhetorik vieler Koreaner.
Aber der Vater der Familie arbeitet häufig den
gesamten Tag und hat höchstens am Wochenende Zeit, sich um die Familie zu kümmern,
wenngleich viele Väter heute stets bemüht
sind, zumindest etwas Zeit mit ihrer Kleinfamilie zu verbringen. Die oft nach patriarchalischen Prinzipien geführten Unternehmen
berücksichtigen das jedoch selten. Zeit ist ein
sehr kostbares Gut in Korea.
Die geringe Geburtenrate stellt die koreanische Familie nicht nur vor enorme Herausforderungen, sondern stellt sie insgesamt
als grundsätzliche soziale Gruppe in Frage.
Das bedeutet schließlich, dass als selbstverständlich angesehene Wertvorstellungen ganz
zwangsläufig überprüft und neu definiert
werden. Die Gründe, warum Korea eine derart niedrige Geburtenquote hat, unterscheiden
sich zum Teil nicht von anderen westlichen
Industrieländern, sind aber in ihrer Zusammensetzung einzigartig.
Der Wettbewerb innerhalb der Gesellschaft,
insbesondere um Arbeitsplätze, ist heute so
hart wie niemals zuvor. Gute Arbeitsplätze
in den führenden Großunternehmen (대기
업, daegieop) sind rar gesät. Deshalb werden
hohe Anforderungen an Universitätsabsolventen gestellt. Nur solche Studenten, die
die höchsten Punktzahlen in der zentralen
Universitätsaufnahmeprüfung (수능시험,
suneungsiheom) erreichen und somit in den
angesehenen Hochschulen studieren können,
haben eine realistische Chance, eine in der
Gesellschaft anerkannte und gut bezahlte
Stelle zu finden. Sodann werden an den Uni-
versitäten Beziehungen geknüpft, die
für die spätere Jobsuche mindestens
nützlich, wenn nicht sogar unerlässlich
sind. Zudem stellen einige Unternehmer lediglich Absolventen bestimmter
Universitäten ein, meistens genau jene
Universitäten, an denen sie selbst ihren
Abschluss gemacht haben. Durch diese
Exklusivität, die aus den vielfältigen Beziehungen rührt, stehen Koreaner von
Anfang an unter einem enormen Druck
und müssen schon in jungem Alter viel
leisten und werden daher zu Workaholics erzogen.
Bildung exzessiv
Foto: Sooeun Lee
Ebenso sind die enormen Kosten, die
für die Ausbildung der Kinder entstehen, für die ständig sinkende Geburtenrate verantwortlich – erst die Schul-,
später dann die Studiengebühren,
welche in den letzten Jahren explodiert
sind. Vor allem der Ehemann steht unter dem ständigen Druck, seinem Kind,
besonders dem Sohn, eine den heutigen
Anforderungen der Globalisierung als
angemessen geltende Ausbildung zu finanzieren, damit er später dem Wettbewerb standhalten kann. Zudem gehört
es zum guten Ton, Englisch zu lernen
und darüber hinaus im Ausland zu
studieren, um sich von der Mehrheit abzuheben. Nur wenn dafür die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden sind,
kann an Familienzuwachs gedacht werden. Kinder zu bekommen, insbesondere einen Sohn, ist aber nach traditionell
konfuzianischem Familienbild Voraussetzung, um die Familienlinie (혈통,
Hyeoltong) fortzusetzen. Jedoch muss
hierfür geheiratet werden, denn nur
dann können Koreaner ohne Bedenken
Kinder bekommen und passen in das
Familienbild, das sie zumindest nach
außen abgeben müssen. Für die Heirat
wiederum sind erhebliche finanzielle
Aufwendungen nötig, zum Beispiel für
ein Apartment. Deshalb wird später
geheiratet, und deshalb gibt es in den
Familien der koreanischen Mittelschicht
weniger Kinder, oft nur eins, manchmal
auch gar keins.
Diese den Spielregeln der koreanischen
Ausprägung des Kapitalismus folgende
Ökonomisierung der Familie führt
dazu, dass sich eine Spirale von riesigem
sozialen und psychischen Druck aufbaut, der sich die Mehrheit der Koreaner
kaum entziehen und verweigern kann.
Nur wer bereit und fähig ist, sich dieser
Ökonomisierung anzupassen und daraus Profit zu schlagen, wird reüssieren.
Es liegt auf der Hand, dass ein solches
Familienbild viele individualistische
Züge trägt. Koreas Familienstruktur hat
sich den westlichen Industrieländern
angepasst und diese teilweise sogar noch
übertroffen, lediglich die Art und der
Grad des Zusammenhalts unterscheidet
Korea vom Westen. Die Ausmaße und
Auswüchse dieser Ökonomisierung sind
vielen zwar bewusst, es gibt auch Empö-
Feier des ersten Geburtstags
5
Illustration: Yun So-hee
rung und Widerstand von der Zivilgesellschaft, doch ist dieser weniger radikal als in den 1970er und 1980er Jahren
und führte bisher zu wenig Veränderungen. Nicht nur die Eltern, sondern auch
die Kinder stehen unter einem enormen
Druck. Sie müssen die Erwartungen
der Gesellschaft und ihrer Eltern durch
entsprechende Noten in der Schule und
in der Universität erfüllen. Daran orientieren sich ihre Wertschätzung und ihre
Stellung innerhalb der Gesellschaft. Ihr
Weg ist vorgezeichnet. Daher ist es für
die Eltern auch so wichtig, die nötigen
finanziellen Mittel aufzubringen, um
diesen Weg, entsprechend der gesellschaftlichen Anforderungen, positiv zu
gestalten. Viele Eltern nehmen sogar
Kredite auf oder verschulden sich für
ihre Kinder.
Tatsächlich ist es fraglich, ob dieser Weg
für die persönliche Entwicklung des
Kindes so positiv ist, wie es die Rhetorik
der bildungsbesessenen Eltern oft glaub-
6
haft machen möchte. Die Kinder bauen
parallel dazu selbst Druck auf, weil ihre
Eltern viel für sie investiert haben, oft
sogar Opfer gebracht haben. Die Öffentlichkeit schreckt wie bei einem Flugzeugunglück für einen Moment auf, wenn
es wieder zu Suizidfällen kommt. Korea
hat die höchste Suizidrate aller OECDLänder. Nach wenigen Tagen stehen
aber schnell wieder andere, „wichtigere“
Themen im Mittelpunkt der öffentlichen
Diskussion.
Diese Spirale führt dazu, dass die koreanischen Jugendlichen Wege suchen,
um diesen Druck zu kompensieren. So
wird man als Beobachter der Jugend
kaum einen Heranwachsenden treffen,
der nicht eines der unzähligen, gerade
als en vogue geltenden elektronischen
Mediengeräte wie Handy, Smartphone
oder I-Pad in den Händen hält. Viele
Jugendliche sitzen oder stehen den
überwiegenden Teil des Tages vor einem
Bildschirm, der ihr ständiger Begleiter
wird. Es ist gerade für die Oberschüler
die einzige Freizeitbeschäftigung, der
einzige Ausweg, die einzige Ablenkung
vom tristen Alltag. Aber auch Studenten
und junge Arbeitnehmer finden großen
Gefallen daran, zu zeigen, dass sie ‚up
to date‘ sind. Sie empfinden den Zwang,
im Trend liegen zu müssen, wollen
dazugehören und mithalten, wenn
nicht im Kampf um einen Platz an den
vermeintlich besten und vor allem prestigeträchtigsten Universitäten bzw. um
einen Arbeitsplatz bei den nicht minder
beliebten Jaebeols (재벌)1, dann doch
zumindest als stolzer Besitzer solchen
Gerätes, das diese Jaebeols produzieren.
1 Jaebeol: koreanische Bezeichnung für einen
bestimmten Typus von Mischkonzern (Konglomerat) (de.wikipedia.org/wiki/Jaebeol)
(Anm. d. Red.)
Organisierte ‚Nachhilfe‘ auf der Suche nach dem
großen Glück
GESELLSCHAFT
Ehe-Arrangements
Von Dr. Stefanie Grote
Foto: privat
A
Dr. Stefanie Grote,
Redaktion Kultur
Korea
uf der Suche nach dem großen
Glück bleibt es nicht immer
dem Zufall überlassen, wann
und wie sich zwei Menschen begegnen,
um sich im Laufe ihres Kennenlernens
zu entscheiden, den Bund fürs Leben zu
schließen. Arrangierte Heiraten sind in
Südkorea durchaus keine Seltenheit –
im Gegenteil. Hierbei gilt es allerdings
zwischen verschiedenen Formen des
Arrangements zu unterscheiden.
Eine gängige Variante ist die Vermittlung
durch die Eltern, die zunächst ein Treffen
zwischen den infrage kommenden
Partnern organisieren. Über den weiteren
Verlauf und über eine gemeinsame
Zukunft entscheiden dann aber nicht die
Eltern, sondern das Paar – in aller Regel
nach diversen Verabredungen und einer
intensiven Phase des Kennenlernens.
Folglich muss eine arrangierte Ehe keinen Gegensatz zur Liebesheirat bedeuten,
wenngleich die Art des Kennenlernens
jener spontanen Herzensregung entbehrt,
die gemeinhin als Verliebtheit bezeichnet
und empfunden wird und keines äußeren
Zutuns bedarf.
Arrangierte Ehen erfreuen sich großer
Beliebtheit, weil eine Vermählung in
Korea nicht nur eine Verbindung zwischen zwei Menschen, sondern zwischen
zwei Familien ist. Durch die vorherige
‚Begutachtung‘ der Braut seitens der
Familie werden Einwände gegen die
Heirat unwahrscheinlicher – anders, als
es bei Liebesheiraten vielfach der Fall
ist. Wenngleich Liebesheiraten heute
eher Akzeptanz finden als vor nicht allzu
langer Zeit, scheitern viele Verbindun-
gen schließlich dennoch am familiären
Widerstand. Wie bedeutsam die elterliche
Zustimmung für die Partnerwahl ist,
verdeutlichen Umfrageergebnisse, die
zeigen, dass die Mehrheit junger Koreaner eher die Beziehung zu ihrem/ihrer
Partner/in beenden würde, als sich gegen
den Willen der Eltern zu vermählen.
Mit der Suche nach einem Ehepartner
wird aber häufig auch ein Heiratsvermittler beauftragt, dessen Aufgabe es ist, den
Lebenslauf der Tochter/des Sohnes und
die Familiengeschichte zu analysieren,
um jemanden zu finden, der im Hinblick
auf den gesellschaftlichen Status das angemessene Pendant bildet. Frauen suchen
in aller Regel Männer mit mindestens
vergleichbarem, gern auch höherem
ökonomischen Status. Der umgekehrte
Fall bleibt die Ausnahme.
In jüngster Zeit ist es für Männer aus
ländlichen Regionen zunehmend schwieriger geworden, eine Frau zu finden.
Das hat nicht nur mit dem steigenden
Bildungsniveau und sozialen Status
von Frauen sowie mit ihrer mangelnden Bereitschaft zu tun, auf dem Land
zu leben. Es ist auch das Resultat eines
Männerüberschusses als Folge von SohnPräferenz und dem Eingriff in das natürliche Geschlechterverhältnis durch die
seinerzeit weit verbreitete Abtreibungspraxis zu Ungunsten von Mädchengeburten. Im Ergebnis dieser Entwicklungen
sind internationale Heiraten seit den
1990er Jahren in Südkorea zunehmend
beliebter geworden. 2010 machten
Eheschließungen mit einer Ausländerin/
einem Ausländer in Korea bereits einen
7
Anteil von 10,5 Prozent aus. 2000 waren
es noch 4 Prozent gewesen. Während Eheschließungen zwischen koreanischen Frauen und ausländischen Männern weniger
häufig sind, bilden koreanische Männer,
die ausländische Partnerinnen suchen, die
Mehrheit – aus genannten Gründen. Diese
Ehen werden von Heiratsagenturen/
-vermittlern arrangiert, von denen es
landesweit schätzungsweise 3.000, nicht
immer legal operierende, gibt.
Zwischen 1990 und 2005 kamen etwa
100.000 ethnische Koreanerinnen zwecks
Heirat aus China nach Südkorea. Im
Jahr 2009 wurden über 7.000 Ehen allein
zwischen südkoreanischen Männern und
vietnamesischen Frauen geschlossen.
Manche sprechen bereits von einer „internationalen Heiratsindustrie“.
Der überwiegende Teil ausländischer Ehepartnerinnen kommt aus ärmeren Regionen Südost- oder Zentralasiens, aus China,
Vietnam und von den Philippinen. In den
letzten Jahren hat sich das Spektrum der
Nationalitäten um Frauen aus Russland
und Usbekistan erweitert. Die Aussicht auf
ein besseres Leben erhöht ihre Bereitschaft, in Südkorea zu leben und sich der
neuen Umgebung anzupassen. Sie gelten
als anpassungsfähiger, familienorientierter
und loyaler als wohlhabendere Frauen.
fehlender Verständigungsmöglichkeiten
aufgrund von Sprachbarrieren.
Der vielfach niedrige soziale Status der
ausländischen Frauen erleichtert koreanischen Männern mit geringer Qualifikation, niedrigem Einkommen oder physischen Beeinträchtigungen die Suche,
erfordert andererseits aber auch politische
Antworten. Mit der Etablierung des
internationalen Heiratsmarktes erhielt das
Thema gesellschaftliche Relevanz - nicht
zuletzt, weil es eine signifikante Veränderung bedeutet für ein Land, das lange
Zeit durch ethnische Homogenität geprägt
war. Die Regierung sah sich veranlasst,
durch Gesetzesänderungen und politische Maßnahmen auf diesen Wandel und
diese Herausforderungen zu reagieren.
2007 verabschiedete die südkoreanische
Regierung ein Gesetz zur Bekämpfung
skrupelloser Heiratsvermittler, die Frauen
als Sex-Objekte anbieten. Des Weiteren
gewährt die Regierung jenen Frauen die
südkoreanische Staatsangehörigkeit, die
infolge von Gewalterfahrungen von ihren
Ehemännern geschieden wurden – um nur
zwei Beispiele zu nennen.
Der internationale Heiratsmarkt boomt
und wird in U-Bahn-Höfen und anderen
öffentlichen Räumen beworben. Es mag
der Eindruck entstehen, als ebnete die
Vermählung zwischen weniger Privilegierten den Weg ins Glück, aber es bleibt eine
pragmatische Lösung auf gesellschaftliche
Problemlagen und entwickelt sich im
günstigsten Fall zu dem, was eine Ehe idealtypischerweise begründen sollte – Liebe
nämlich.
Quellenauswahl:
http://www.usatoday.com/news/world/2008-0227-brides_N.htm
http://www.cct.go.kr/data/acf2006/multi/multi_0303_Hye%20Kyung%20Lee.pdf
http://www.nytimes.com/2007/02/22/world/
asia/22brides
http://www.womensviewsonnews.org/2010/08/
concerns-for-vietnamese-brides-seeking-newlife-in-south-korea/
http://www.chr.gov.ph/MAIN%20PAGES/
about%20hr/advisories/pdf_files/abthr008.pdf
Die koreanische Regierung hat diesen
Trend zur Heiratsmigration nach Korea
unterstützt und viele Frauen aus China
an koreanische Männer in ländlichen
Regionen vermittelt. In einigen Gebieten mit starkem Bevölkerungsrückgang
werden Auslandsreisen zum Zweck der
Brautschau, Heirat und Erhöhung der
Geburtenrate mittlerweile sogar von den
Lokalregierungen finanziell unterstützt.
Heiratswillige Männer suchen in wenigen
Stunden eine der infrage kommenden
Frauen im Ausland aus, die Eheschließung
erfolgt noch am selben Tag – ungeachtet
Illustration: Yun So-hee
8
Von Gesine Stoyke
Foto: privat
D
Gesine Stoyke,
Redaktion Kultur
Korea
er Wettlauf um die beste Bildung – darunter auch insbesondere die Aneignung
möglichst perfekter Englischkenntnisse - beginnt in Korea bereits im Vorschulalter, kaum dass die Kinder dem Säuglingsalter
entwachsen sind und mündet in die Universitätsaufnahmeprüfungen, deren erfolgreiches
Bestehen darüber entscheidet, ob die Schüler in
die Ränge der so genannten SKY-Universitäten
- die Seoul National University (S), die Korea
University (K) oder die Yonsei University (Y) aufgenommen werden und sich fortan zur Elite
der koreanischen Gesellschaft zählen dürfen. Der
Druck, bei den Universitätsaufnahmeprüfungen
gute Ergebnisse zu erzielen, ist immens: Junge
Koreaner arbeiten quasi während ihrer gesamten
schulischen Laufbahn auf die Prüfungen hin.
Da vielen Eltern der Regelunterricht als alleinige
Vorbereitung auf die Prüfungen nicht ausreicht,
haben private Nachhilfeinstitute (koreanisch:
학원, Hakwon) zunehmend an Bedeutung
gewonnen. 2009 existierten in Korea rund
28.000 solcher privaten Einrichtungen, die einen
jährlichen Umsatz von ca. 15 Mrd. US-Dollar
erzielten. Die Preise einzelner Institute variieren,
wobei die renommiertesten ab 1.000 US-Dollar
pro Schulfach monatlich verlangen.
In Sorge darüber, ob ihre Kinder in koreanischen
Schulen trotz zusätzlichen Nachhilfeunterrichts
ausreichende Englischkenntnisse erwerben, sind
viele koreanische Eltern dazu übergegangen,
ihren Nachwuchs in zunehmend jüngerem Alter
zum Schulbesuch ins englischsprachige Ausland
zu schicken, um ihm einen möglichst frühen
Zugang zur englischen Sprache zu ermöglichen.
So setzen die Eltern statt teurer Englischnachhilfestunden im eigenen Land gleich auf eine
komplette schulische Ausbildung im Ausland.
Während ursprünglich vor allem sehr wohlhabende Familien ihre Kinder in die USA sandten,
sind in den letzten Jahren viele Mittelklassefa-
GESELLSCHAFT
Adler, Wildgänse und Pinguine:
das schwere Los koreanischer Väter
milien ihrem Beispiel gefolgt, die allerdings
weniger kostspielige Destinationen wie Kanada,
Australien oder Neuseeland bevorzugen. Die
Kinder - meist zu jung, um ohne Erziehungsberechtigten im Ausland zu leben – werden
von den Müttern begleitet. Die Väter, die den
mehrjährigen Bildungsaufenthalt von Frau und
Kindern finanzieren müssen und ihre Familien
nur selten zu Gesicht bekommen, bleiben allein
in Korea zurück.
Dieses gesellschaftliche Phänomen, das in dieser
starken Ausprägung weltweit seinesgleichen
sucht, ist in Korea inzwischen derart verbreitet,
dass sich für die koreanischen Väter, die sich
für die Bildung ihrer Kinder aufopfern, unterschiedliche Bezeichnungen herausgebildet
haben - je nach ihren finanziellen Mitteln und
der Möglichkeit, zu ihrer Familie im Ausland zu
fliegen. Ganz oben in der Hierarchie steht der
„Adler-Vater“ (독수리 아빠, Doksuri-Appa),
benannt nach dem Adler, der zur Gattung der
Greifvögel zählt und dank seines majestätischen, eindrucksvollen Aussehens sowohl in
der griechischen Mythologie als auch auf vielen
Wappen auftaucht. Der Adler hat eine durchschnittliche Fluggeschwindigkeit von 50 bis 60
km/h; im Sturzflug erreicht er sogar 250 bis 300
km/h. Der koreanische „Adler-Vater“ strahlt
wie sein tierisches Pendant Macht aus und ist
finanziell gut gestellt. Je nach Lust und Laune
kann er ins Flugzeug steigen, wenn er Frau und
Kinder vermisst, um sie an ihrem ausländischen
Wohnort zu besuchen. Umgekehrt lässt er sie in
den Schulferien zu sich nach Korea kommen.
Die Wildgans kann pro Stunde ca. 60 km
zurücklegen, unter Ausnutzung der Windgeschwindigkeit bringt sie es sogar auf bis zu 140
km/h. Sie ist ein Zugvogel, den es im Winter
gewöhnlich in wärmere Gefilde zieht. Nach
ihr ist der „Wildgänse-Vater“ (기러기 아빠,
9
Gireogi-Appa) benannt, der nicht so
wohlhabend wie der Adler-Vater ist, es
sich aber immerhin leisten kann, ein
oder zwei Mal im Jahr an den Feiertagen
zu seiner Familie im Ausland zu reisen,
ähnlich wie die Wildgans, die saisonal in
den Süden fliegt.
Der „Pinguin-Vater“ (펭귄 아빠, Penguin-Appa) fristet dagegen ein trauriges
Dasein, denn er hat nicht die finanziellen
Mittel für ein Flugticket. Deshalb kann
er sich nicht in die Lüfte erheben, genau
wie sein flugunfähiges Vorbild aus dem
Tierreich, dessen Flügel zu Flossen umgebildet sind. Aufgrund seiner besonderen Anatomie – kurze Oberschenkel,
starres Kniegelenk und stark nach hinten
versetzte Beine – macht der Pinguin eine
etwas traurige Figur und bewegt sich
an Land meist in einem unbeholfenen
wirkenden, aufrechten Watschelgang
voran. Der koreanische „Pinguin-Vater“
ist ebenfalls ein trauriger Vertreter seiner
Gattung, der seine Familie zuweilen mehrere Jahre in Folge nicht sieht und den
Kontakt nur über Internet und Telefon
aufrechterhält.
Seltener verwendet wird der Begriff des
„Enten-Vaters“ (오리 아빠, Ori-Appa)
dessen Kinder in Korea leben und der
unter der Last steigender Kosten für
private Nachhilfeinstitute und teure
Oberschulen „quakt und kreischt“ wie
eine Ente.
Entsprechend lassen sich auch die im
Ausland lebenden koreanischen Mütter
je nach Finanzkraft des Ehemannes in
„Adler-„, „Wildgänse-„ und „PinguinMütter“ einteilen. Die verwöhnte „AdlerMutter“ wohnt mit ihren Kindern nicht
selten in einer vom Ehemann erworbenen Immobilie und fährt einen luxuriösen Oberklassewagen. Ihre Freizeit
verbringt sie gern mit Golfspielen und
Einkaufen, und sie kann engen Kontakt
zum Ehemann halten. Am anderen Ende
der Skala steht die „Pinguin-Mutter“, die
sehr bescheiden lebt und mit wenig Geld
auskommen muss. Sie sieht den eigenen
Partner fast nie und ist bei der Betreuung
der Kinder und in allen wichtigen Erziehungsfragen weitgehend auf sich allein
gestellt. Visabestimmungen erlauben es
meist nicht, dass die Frauen im Ausland
eine Arbeit aufnehmen, so dass sie ausschließlich auf die finanzielle Unterstützung des Partners angewiesen sind. 2009
lebten rund 18.118 koreanische Kinder
und Jugendliche im schulpflichtigen
Alter im Ausland, um dort eine Schule
zu besuchen (Korea National Statistical
Office, KNSO).
Auch die Situation der Pinguin-Mütter
ist nicht einfach, aber es sind insbesondere die Pinguin-Väter, die unter
ihrem Zustand leiden. Traditionell daran
gewöhnt, von einer Ehefrau umsorgt zu
werden, fällt den meisten dieser koreani-
Illustration: Yun So-hee
10
schen Männer das plötzliche Alleinsein
besonders schwer. Dong-hyeon Kim, ein
typischer Pinguin-Vater, lebt in Seoul in
einem Officetel, einem Gebäude mit kleinen Wohneinheiten, die als Apartments
oder Büros genutzt werden können.
Sein Zimmer ist nicht größer als sieben
Pyeong (ca. 23qm). Obwohl er beruflich
voll ausgelastet ist, übernimmt er noch
zusätzliche Übersetzungsarbeiten, um ein
wenig dazuzuverdienen für Ehefrau und
Kinder im Ausland. Bald steht ein großer
koreanischer Feiertag vor der Tür. Anders
als andere Väter wird er eine einsame Zeit
verbringen, da er seine Familie im fernen
Australien wieder einmal nicht besuchen
können wird. Eigentlich ist er zu einem
Verwandtentreffen in Suwon eingeladen
worden, aber für die Fahrt dorthin kann
er keine Energie aufbringen. Seine Mutter
macht sich große Sorgen um ihn, und
seine Brüder kritisieren seine Lebensweise, fühlen sich aber hilflos angesichts der
Situation.
Dong-hyeon Kim steht für die vielen
koreanischen Väter, die unter der dauerhaften Abwesenheit ihrer Familie leiden.
Manche Väter sagen, dass sie sich kaum
noch an die Gesichter von Ehefrau und
Kindern erinnern können oder dass sie
zeitweise sogar die Existenz ihrer Familie
völlig vergessen. Viele dieser „Strohwitwer“ vernachlässigen ihre Ernährung und
leben fast ausschließlich von westlichem
Fastfood oder koreanischen Fertignudeln, um Zeit und Geld zu sparen.
Andere nehmen an jedem erdenklichen
geselligen Anlass teil und bekämpfen ihre
Einsamkeit mit Alkohol. Wieder andere
werden arbeitssüchtig und verbringen
lange, solitäre Stunden im Büro, um
möglichst viel Geld zu ihren Lieben in
die Ferne schicken zu können. Die lange
Trennung von der Ehefrau führt häufig
zu Entfremdung und Affären eines oder
beider Partner und endet nicht selten
in der Scheidung. Die Rolle des Vaters,
früher das Zentrum in einer konfuzianistisch geprägten traditionellen Gesellschaftsordnung, gerät mehr und mehr
ins Wanken. Aufgrund dieser von den
Betroffenen als extrem empfundenen Belastungen entwickeln manche Wildgänseund Pinguin-Väter physische Symptome
wie Bluthochdruck, Diabetes, schwerwiegende Erschöpfungszustände und
Herzinfarkt oder psychische Symptome
wie Depressionen. Einigen fällt es zunehmend schwerer, den Sinn ihres Lebens
zu erkennen. Selbstmord und plötzlicher
Tod durch Herzstillstand sind in dieser
Gruppe folglich häufig anzutreffen.
Doch manche Gireogi- und PinguinVäter versuchen, sich aus der Isolation
zu befreien. Inzwischen haben sich viele
von ihnen in Internet-Foren zusammengeschlossen, und ein Großteil der
Männer nimmt auch an den ein oder
zwei Mal monatlich stattfindenden
Mitgliederversammlungen dieser Foren
teil. Vor rund einem Jahr machte eine so
genannte „Date Bar“ für Gireogi- und
Pinguin-Väter, die sich in einer beliebten
Ausgehstraße im reichen Seouler Stadtteil
Gangnam-gu befindet, auf sich aufmerksam. Dort können die Alleingelassenen
für rund 100.000 Won (ca. 67 Euro) pro
Stunde ihre Probleme vor einer verständnisvollen weiblichen Gesprächspartnerin
ausbreiten. Auch wenn dies ein stolzer
Preis ist, wird das Angebot dankbar angenommen – ein Indiz dafür, wie einsam
sich diese Väter fühlen müssen.
Einige machen die Mängel des koreanischen Bildungssystems für die Misere
der getrennten Familien verantwortlich,
andere das übertriebene Streben nach
Status und Bildung in der koreanischen
Gesellschaft. Insbesondere die Konservativen des Landes sehen die Frauen als
treibende Kraft des „Gireogi-Phänomens“
und werfen ihnen übertriebenen Ehrgeiz
vor, mit dem sie zugunsten der Ausbildung ihrer Kinder ihre Ehen zerstörten.
Böse Zungen behaupten gar, dass viele
koreanische Mütter den Weg ins Ausland
wählen würden, um auf diese Weise der
kontrollierenden Schwiegermutter zu
entkommen.
Um die Bildungsflucht weiterer Familien zu vermeiden, bemüht sich die
jetzige Regierung um eine Reform des
Schulwesens, die insbesondere auf die
Verbesserung der Qualität des Englischunterrichts abzielt. Ein Wahlversprechen,
nach dem bis 2010 alle Unterrichtsfächer
in koreanischen Schulen auf Englisch unterrichtet werden sollten, wurde aufgrund
des Protestes durch Eltern, Lehrer und
Bildungsexperten nicht realisiert.
Oft ist zu hören, dass die niedrigen
Geburtenraten des Landes auf den
erbarmungslosen koreanischen Bildungswettbewerb zurückzuführen seien, und
angesichts des Schicksals der Adler-,
Wildgänse- und Pinguin-Väter seufzt so
mancher ledige Koreaner auf und sagt:
„Ein Glück, dass ich Single bin“.
Quellenauswahl:
http://news.chosun.com/site/data/html_
dir/2007/05/30/2007053001048.html
http://weekly.khan.co.kr/khnm.html?mode=vi
ew&artid=13794&code=115
http://www.nytimes.com/2008/06/08/world/
asia/08geese.html
http://www.koreatimes.co.kr/www/news/nation/2009/02/117_40060.html
http://sports.hankooki.com/lpage/report/201009/sp20100903170140106190.htm
http://en.wikipedia.org/wiki/Lee_Myung-bak
11
GESELLSCHAFT
Scheiden tut weh
Ehen in Auflösung
Von Dr. Stefanie Grote
B
eginnen wir mit der guten Nachricht:
Seit Südkorea im Jahr 2003 mit fast
167.000 Scheidungen den traurigen
Rekord der gescheiterten Ehen bilanzieren
musste, ist die Zahl tendenziell rückläufig.
Die schlechte Nachricht ist, dass die aktuelle
Scheidungsrate von 2,3 Prozent (Stand
2010)1 immer noch zu den höchsten der
Welt gehört. Das ist umso erstaunlicher, als
Scheidungen in Korea historisch betrachtet
fast nicht existent waren und gesellschaftlich auch heute weiterhin verpönt sind.
In Korea gilt die Hochzeit als wichtigstes
Ereignis im Leben, und eine Scheidung wird
von der Familie als Schande empfunden.
Vorbehalte gegenüber Geschiedenen sind
in der traditions- und familienorientierten
koreanischen Gesellschaft tief verwurzelt,
und Betroffene entscheiden sich nicht selten
dafür, diesen Teil ihrer Vergangenheit zu
verschweigen.
Selbstredend hat die Moderne auch vor der
Tradition nicht Halt gemacht. Südkorea hat
in den letzten 40 Jahren einen vergleichbar drastischen gesellschaftlichen Wandel
vollzogen, wie die Länder des Westens
in Jahrhunderten. Dieser Prozess hat zur
massiven Transformation traditioneller Familienwerte geführt, begleitet von einer sich
rapide verändernden Einstellung zu Themen
wie Heirat, Kinder und Scheidung, die nicht
zuletzt in ersten signifikanten Scheidungszahlen der 1970er Jahre ihren Ausdruck
fand – mit steigender Tendenz. Im Zeitraum
von 1970 bis 1980 verdoppelte sich die Zahl
der Scheidungen von knapp 12.000 auf
knapp 24.000. Von 1980 bis 2000 weisen
die Statistiken gar eine Verfünffachung der
Zahlen von knapp 24.000 auf knapp 120.000
Scheidungen aus.
Das durchschnittliche Heiratsalter von
Frauen liegt heute bei 28,9 Jahren, von
Männern bei 31,8 Jahren. Zum Zeitpunkt
12
der Scheidung sind Frauen durchschnittlich
41,1 Jahre und Männer 45 Jahre alt. Die
Zahlen des Nationalen Statistikamtes Korea
zeigen weiterhin, dass die Scheidungsrate unter jungen Paaren Anfang zwanzig
extrem hoch ist. Wer früh heiratet, geht
schneller auseinander als Paare mittleren
Alters. Studien verweisen auch auf einen
Zusammenhang zwischen Heiratsalter, Bildungsniveau und Scheidungsrate. Statistisch
betrachtet heiraten weniger gebildete Paare
jünger als Paare mit hohem Bildungsniveau.
In dem Fall erhöhen beide Faktoren für sich
genommen das Scheidungsrisiko – das Heiratsalter und das niedrige Bildungsniveau.
Ein mittleres Heiratsalter und Höherqualifizierung erhöhen nachweislich die Stabilität
einer Ehe. Interessanterweise ist das Scheidungsrisiko junger Paare vergleichbar hoch
bei Paaren, die sich im hohen Alter für den
Bund des Lebens entscheiden. Schließlich
sind zunehmend auch bei lange verheirateten Paaren Auflösungstendenzen zu konstatieren. Die Zahl der Ehen, die nach mehr als
20 Jahren Dauer geschieden wurden, stieg
im Zeitraum von 10 Jahren seit Mitte der
1990er Jahre fast um das 13-Fache.
Wenngleich Erhebungen zwar grundsätzlich belegen, dass Paare mit Kindern ein
erheblich geringeres Scheidungsrisiko
haben als kinderlose Paare, schwächt sich
die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der
Ehe offenbar mit der Selbstständigkeit der
Kinder - mit deren Studien-/ Arbeitsbeginn
oder mit deren Heirat - ab, wie Analysten
vermuten. Auch mit der Auflösung der
Großfamilie unter einem Dach minimierte
sich der innerfamiliäre Druck, eine Ehe
aufrechterhalten zu müssen.
Mit der Modernisierung Südkoreas verließen immer mehr Menschen das Land und
zogen in die Städte. Diese Entwicklung begünstigte die Erhöhung der Bildungschan-
Zahl der Scheidungen pro Tausend
175
Grafik: Nationales Statistikamt Korea
150
125
100
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
Statistische Erhebung zu Scheidungen
cen für Frauen und deren Streben auf den
Arbeitsmarkt. Aus dem neu gewonnenen
Selbstbewusstsein leiteten Frauen zunehmend ein Recht auf persönliches Glück
und den Wunsch nach einem selbstbestimmteren Leben ab, als es der Konfuzianismus für sie vorsah. Heute werden die
meisten Ehen auf Initiative von Frauen
hin geschieden. Mit 66,7 Prozent bilden
sie eine deutliche Mehrheit gegenüber
30,6 Prozent Männern. Dieses Mehrheitsverhältnis ergibt sich jedoch auch aus der
deutlichen Zunahme internationaler Ehen
in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten, die
aufgrund von kulturellen Differenzen oder
in Ermangelung von Phasen des Kennenlernens als ‚Blitzhochzeiten‘ vielfach
nicht von Dauer sind und oft von Frauen
beendet werden.2 Das Nationale Statistikamt Korea bilanzierte für 2010, dass Ehen
zwischen koreanischen Männern und ausländischen Frauen durchschnittlich nach
3,2 Jahren geschieden werden. Im umgekehrten Fall sind es 6 Jahre. Im Vergleich
dazu betrug die durchschnittliche Dauer
einer Ehe zwischen koreanischen Partnern
im Scheidungsfall 13 Jahre.
Auch die Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise Asiens 1997/1998 hat ihren
Beitrag zur Erhöhung der Scheidungsrate
und zur Veränderung der Geschlechterrollen geleistet. Viele Ehen sind an
finanziellen Problemen gescheitert, und
die Position des Mannes innerhalb der
Gesellschaft und der Familie wurde aufgrund von Arbeitslosigkeit erschüttert. Die
Veränderung der Geschlechterrollen hat
aber auch dazu geführt, dass Frauen immer weniger bereit sind, das Fehlverhalten
ihrer Ehemänner zu tolerieren und dass sie
ihre Konsequenzen aus ehelicher Untreue,
Vernachlässigung der Familie oder gar
häuslicher Gewalt ziehen, die - bis dahin
ein Tabuthema - in den 1990er Jahren
noch als Hauptscheidungsgrund angegeben wurde. Im Jahr 2008 wurden in 47,8
Prozent der Scheidungsfälle charakterliche Unterschiede als ausschlaggebender
Grund genannt. Auch an diesem Umstand
lässt sich die Bedeutung des Strebens nach
persönlichem Glück ablesen, das sich nicht
zuletzt auch in der zunehmenden Untreue
von Frauen gegenüber ihren Ehemännern
äußert.
Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt
vielfältige Auflösungstendenzen der traditionellen Familienstrukturen. Südkorea ist
eine Gesellschaft im Umbruch, welche die
Politik vor die große Aufgabe stellt, neue
Antworten auf veränderte Verhältnisse zu
suchen – und zu finden.
1
Alle Angaben basieren auf Erhebungen des
Nationalen Statistikamtes Korea (Korea National Statistical Office, KNSO).
2
Siehe dazu auch den Artikel „Ehe-Arrangements“ in dieser Ausgabe.
Quellenauswahl:
Gey, Peter (2004): „Südkorea: Herausforderungen für das 21. Jahrhundert“, Analyse der
Friedrich-Ebert-Stiftung.
http://world.kbs.co.kr/german/program/program_qna_detail.htm?No=325
http://www.nytimes.com/2003/09/21/world/
divorce-in-south-korea-striking-a-new-attitude.
html
http://news.bbc.co.uk/2/hi/asia-pacific/3011119.
stm
http://english.hani.co.kr/arti/english_edition/e_
international/352058.html
http://klowf.kwdi.re.kr/
http://www.asienhaus.de/public/archiv/kalinowskicho-suedkorea.pdf
13
GESELLSCHAFT
Die koreanische Familie:
Aufbruch, Umbruch – und dann?
Von Anneliese Stern-Ko
2011
1958
: „Du hast die Rettichwürfel mit Pflaumenextrakt
und diesen ... Wacholderbeeren
eingelegt?“
: „Husch, raus hier! Du
weißt doch, dass dein Gochu
[고추]1 abfällt, wenn du in die
Küche kommst?!“
1978
: „Um ordentlich zu studieren und in Deutschland nicht
zu verhungern, bringe ich dir bei,
wie man Reis kocht, Sojabohnenpastensuppe, ...“
Foto: Miriam Ko
D
Anneliese Stern-Ko
ist verheiratet mit
einem Koreaner und
wohnt seit 1985 in
Seoul. Sie ist Lektorin
an der Graduate
School of Interpretation and Translation
der Hankuk University of Foreign Studies
und übt verschiedene
freiberufliche Tätigkeiten aus: Lehrbuchund Wörterbuchentwicklung für DaF,
Mitarbeit bei EBS-TV
und EBS-Radio, KBS
World Radio (world.
kbs.co.kr/german)
und der Vierteljahreszeitschrift KOREANA
(www.koreana.or.kr).
14
iese Äußerungen meiner 76-jährigen Schwiegermutter zu ihrem
ältesten (!) Sohn stehen nicht
nur für die allumfassende Fürsorge einer
koreanischen Mutter, sondern auch für
den Wandel der Familie im Wandel der
Zeiten. 1958 war die Familien-Welt noch
in Ordnung: Nach alter konfuzianistischer
Vorstellung war die Küche das unangefochtene Reich der koreanischen Frau,
in dem ein Mann nichts zu suchen hatte.
Kochende Männer gab es nur in Form
von „vor Wut kochen“, die Ehefrau war die
Jib-saram (집사람 - die Person im Haus),
der Ehemann der Bakkat-Yangban (바깥
양반 - der Herr, der außerhalb des Hauses
tätig ist). Wie geschockt und gleichzeitig
beeindruckt war meine Schwiegermutter
- übrigens eine wahre Matriarchin - als
sie vor fünfzehn Jahren bei einem Besuch
meiner Eltern erlebte, dass mein Vater
kochen konnte und den Abwasch machte!
Nach dieser Reise brachte mein Schwiegervater dann als Zeichen seines guten Willens seine leere Kaffeetasse in die Küche...
Aber natürlich wurde ihm beim Essen
immer noch zuerst serviert, er bekam die
größten Fleischstücke, danach der älteste
Sohn, der zweite Sohn, der dritte Sohn, die
Schwiegermutter, der älteste Enkelsohn,
der zweitälteste Enkelsohn, ..., die älteste
Schwiegertochter, die zweitälteste Schwiegertochter, ..., die älteste Enkelin, ... .
Heiratete der Sohn, musste seine Frau
damit rechnen, dass man ihr Sijib-sari
[시집살이] beibrachte, eigentlich das Zusammenleben im Schwiegerelternhaushalt (시집, Sijib), allgemein das korrekte
Verhalten gegenüber der Schwiegerfamilie. Heute sprechen meine koreanischen
Freundinnen, deren Söhne jetzt heiraten,
von Myeoneuri-sari [며느리살이]. Diese
Wortneuschöpfung umfasst alles, was
sich die Schwiegermutter heute von der
Schwiegertochter „gefallen“ lassen muss.
Aber vor fünfzig Jahren hatten die Dinge
noch ihre Ordnung, wie sie Jahrhunderten
von tradierten konfuzianistischen Vorstellungen entsprach. Rechtlich gesehen
bedeutete das, dass nur der Mann die
wichtige Position des gesetzlichen Familienoberhauptes innehaben konnte, die
dann überging auf den ältesten Sohn, die
weiteren Söhne, die älteste ledige Tochter und endlich die Ehefrau, die ja „von
anderem Blut“ war. Ähnliche diskriminierende Gesetze galten im Erbrecht oder im
Sorgerecht.
1978 war schon etwas Bewegung in die
koreanischen Familienstrukturen geraten.
Die Veränderungen hingen vor allem
mit der wirtschaftlichen Entwicklung
zusammen, die auf das Humankapital
Frau nicht verzichten konnte. Dazu
gehören Gesetze, die eine Schulbildung
für Mädchen verpflichtend machten
(1963), Frauen die Tür zur Berufsausbildung öffneten oder sie nach der Heirat
weiterarbeiten ließen. Meilensteine
waren auch die zu Beginn der 1970er
Jahre gestartete Familienplanungspolitik der Regierung, die zusammen mit
der Urbanisierung den Wandel von der
Großfamilie zur Kernfamilie beförderte2, das Gesetz zur gleichberechtigten
Beschäftigung (1987), das den Weg für
mehr Gleichstellung im Beruf ebnete
usw. Es ließen sich noch weitere Gesetze
zur Gleichstellung der Geschlechter
aufzählen, die für Umbruch in der
Familie sorgten, das einschneidendste
war aber wohl die Abschaffung des
Familienoberhauptsystems (2005)3,
der tragenden Säule des koreanischen
Patriarchats. Trotzdem lag Südkorea,
dessen Volkswirtschaft zu den zehn bis
fünfzehn stärksten der Welt zählt, in
Sachen Gender Empowerment Measure
2008 unter den über hundert gelisteten
Ländern nur auf Platz 68.4
Es hat sich ungemein viel in ungemein
kurzer Zeit getan, und das hat auch
seinen Tribut von der Familie gefordert.
Die koreanische Gesellschaft, die einst
auf Ebene der Familie als ihrer kleinsten
repräsentativen Einheit säuberlich in
die zwei Hälften „außen“ (Mann) und
„innen“ (Frau) mit exakt definierter
Rollenverteilung geteilt war, hat keine
starre „Mittellinie“ mehr, sondern eine
durchlässige, was nicht wenige Probleme
mit sich bringt. Meine Schwiegermutter
hätte sich nie träumen lassen, dass sie
mal mit ihrem ältesten Sohn Kochrezep-
te diskutieren und stolz ihren Freundinnen erzählen würde, dass die Schwiegertochter ihr „Taschengeld“ zusteckt, das
NICHT aus dem Familientopf stammt.
Damit ist aber sicherlich leichter zu
leben als mit der Frage, die sich der
„Himmel“ (in Korea gilt der Mann als
Himmel und die Frau als Erde) stellt,
dem quasi plötzlich die „Erde“ auf den
Kopf gefallen ist: Was ist meine Rolle?
Traditionell hatten Koreaner strenge Väter und warmherzige Mütter: Der Vater
hatte für den Unterhalt der Familie zu
sorgen und war omnipotenter Entscheidungsträger. Die Mutter verkörperte
die bedingungslose Liebe, fungierte als
Brücke zwischen Vater und Kindern
und war deren Ansprechpartner. Heute
soll der Vater nicht nur Geld verdienen,
sondern auch noch demokratische
Verhaltensweisen an den Tag legen und
zu den Kindern eine „echte“ Beziehung
aufbauen, indem er quantitativ und qualitativ Zeit mit ihnen verbringt, d.h. er
muss sich Liebe und Respekt, die vorher
als a priori gegeben verstanden wurden,
erst „verdienen“, was ihn aber nicht zum
„Doppelverdiener“, sondern eher zum
„doppelten Sklaven“ macht.5 Und auch
die – meist vermittelte – Ehe, die früher
aus geordneten Selbstverständlichkeiten
bestand, verlangt plötzlich „Beziehungsarbeit“, was sich an der sprunghaft
gewachsenen Zahl der Ehe- und Familienberatungen in Korea ablesen lässt.
Während es den „neuen Mann“ und den
„neuen Vater“ in Europa bereits gibt,
schlüpft er in Korea jetzt erst aus der
Schale. Es ist ein schmerzhaftes Schlüpfen mit gestutzten Flügeln. Gleichzeitig
sinkt die Bindungswilligkeit beider
Geschlechter: Ehe und Familie sind kein
Schicksal mehr, sondern Optionen der
Lebensgestaltung, die zudem unsicher
geworden sind, was sich an der Zahl der
bis 2003 stetig ansteigenden Scheidungen und einer extrem niedrigen
Geburtenraten6 ablesen lässt. Manchmal
scheint mir, dass der rasante Wandel zu
einem Geschlechter-Schachmatt geführt
hat: MANN fragt sich, wo der Vorteil
der Heirat liegt, wenn er - OHNE die
Vorteile der traditionellen Vormachtstellung - hauptsächlich Geld verdienen
soll, um den Sprösslingen Bildungsvorsprung in den USA zu finanzieren (siehe: „Gireogi“-Väter), während er selbst
von Luft und Ramen7 lebt; FRAU fragt
sich, warum sie heiraten soll, die Karriere zurückfahren, um Kinder zu kriegen,
um die sich dann die Oma nicht
kümmern will (nach fünfzig Jahren
Aufopferung fordert Oma jetzt ihr Recht
auf Leben) und der Staat sich nicht
hinreichend kümmert (das öffentliche
Betreuungssystem ist unterentwickelt)
UND sich auch noch dem Stress mit der
Schwiegerfamilie aussetzen sollen.
Ja, und dann?
1
Peperoni: „Kosename“ für das männliche
Geschlechtsteil
2 1995 waren bereits zwei Drittel aller
koreanischen Haushalte Zwei-GenerationenHaushalte.
3 http://world.kbs.co.kr/german/news/news_
Po_detail.htm?No=9633
4 http://ipsnews.net/news.asp?idnews=51994
5 Vgl.: Korean Women`s Development
Institute (Hrsg.), Women`s Studies Forum,
Vol. 12, 1996
6 http://www.indexmundi.com/g/g.
aspx?v=31&c=ks&l=en
7 Ramen: koreanische Instantnudeln (Anm.d.
Red.)
15
GESELLSCHAFT
Wenn einer einen Partner sucht
– Single sein in Südkorea
Von Malte E. Kollenberg & Fabian Kretschmer
Foto: privat
Foto: Malte E. Kollenberg
“Die meisten jungen Leute, die mein
Sprachcafé besuchen, sind Singles”,
Malte E. Kollenberg,
aufgewachsen in
Bonn und Gummersbach, hat in Bamberg
und Seoul Politikund Kommunikationswissenschaft
studiert. 2007 hat
er zusammen mit
einem Partner das
Journalistenbüro
KOLLENBECKER
gegründet. Jetzt lebt
und arbeitet er als
Korrespondent in
Seoul.
sagt Jin-guk Kim. Im März 2010 hat der 34-Jährige in Seouls
Studentenviertel Sinchon ein Café eröffnet. Die Gegend ist
perfekt für die anvisierte Zielgruppe. Drei der besten Universitäten des Landes liegen in Laufdistanz.
Fabian Kretschmer,
Jahrgang 1986, Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
in Wien, Shanghai
und Seoul. Seit 2006
als freier Journalist
tätig, u.a. für den
Standard, Zeit Online
und China Daily.
In Jin-guks Cafe treffen sich junge Leute in kleinen Gruppen,
um Sprachen zu lernen. Und um hoffentlich bald nicht mehr
Single zu sein. „Oft finden sich Pärchen durch die Sprachgruppe“, grinst Jin-guk. Das Konzept, sich beim Lernen
kennenzulernen und zu verlieben, scheint aufzugehen. Jinguk beobachtet fast täglich: „Nach den Sprachgruppen gehen
viele noch etwas trinken.“
Das Singleleben in Korea ist nicht einfach. Bei Frauen fangen
ab Mitte 20 die Fragen der Eltern nach einem Partner fürs
Leben an. Männer haben ein paar Jahre mehr Zeit. Sie müssen zur Armee und dann erst einmal Geld verdienen. Aber
ab ca. 30 Jahren wird der Singlestatus bei beiden Geschlechtern als kritisch bewertet. Bei der Elterngeneration herrscht
eine bestimmte Sichtweise vor: Verheiratet sollten junge
Menschen am Ende ihrer Twen-Zeit sein.
In einem Land, in dem beide Geschlechter Karriere machen
wollen und in dem an einen Lebenspartner hohe Ansprüche gestellt werden, findet sich nicht so leicht ein Mann
oder eine Frau fürs Leben. Sozialer Status und der Job des
Lebenspartners sind vor allem bei Frauen ab 30 oft ein
wichtiger Grund bei der Entscheidung für einen bestimmten
Lebensgefährten.
16
Foto: Fabian Kretschmer
Die meisten Paare trennen sich, während der Mann beim
Militär ist. In Deutschland gerade komplett abgeschafft,
müssen koreanische Männer nach wie vor rund zwei Jahre
Wehrdienst ableisten. Wer anfängt, hat einen Streifen auf der
Uniform. Der Streifen gibt den Rang des Soldaten an. Nach
sechs Monaten werden daraus zwei – ein weiteres Jahr später
sind es drei. Doch die lange Zeit bei der Armee hinterlässt
Spuren. „Ich habe noch keinen Vorgesetzen mit drei Streifen
gesehen, der noch die gleiche Freundin wie zu Beginn der
Militärzeit hatte“, sagt Min-jay No. Der 20-Jährige ist seit
drei Monaten bei der Armee. Er ist auch nicht sicher, ob
seine Beziehung die kommenden 20 Monate überleben wird.
Auf ihn wartet dann vielleicht, was das Denken so vieler
junger Koreaner/innen bestimmt: Die Suche nach einer
Partnerin/einem Partner. Im Sprachcafé, im Internet oder
per Blind-Date. In einer Gesellschaft, in der oft der Job das
gesamte Leben bestimmt, muss die Partnersuche speziell
organisiert werden.
Freunde oder sogar Agenturen verkuppeln die jungen Leute.
Entweder treffen sie sich in einer größeren Gruppe oder
gleich nur zu zweit. Gesehen haben sich die Blind Date-Teilnehmer vorher noch nie. Rund drei Stunden haben sie beim
ersten Treffen Zeit, sich zu „beschnuppern“. Gefällt, was
bestellt, läuft das Blind-Date auf ein weiteres Treffen hinaus.
War es ein echter Blindgänger, muss weitergesucht werden.
Zum Beispiel per Smartphone.
Südkorea war 2005 das weltweit erste Land, in dem ein Dating-Alarm für Mobiltelefone angeboten wurde. War ein/e
potenzielle/r Partner/in in der Nähe, signalisierte das Handy
dies akustisch. In Zeiten, in denen jeder ein Smartphone hat,
werden die Kuppeldienste ausgefeilter. Das Prinzip ist oft
sehr einfach. Der in fast jedem Taschencomputer eingebaute GPS-Emfänger gibt einem Dienst wie ‚WhosHere’ oder
‚HiThere’ die eigene Position durch. Die Server der Anbieter
gleichen die Daten mit anderen Nutzern ab, und angezeigt
werden nur solche, die sich in einem vorgegebenen Radius
befinden. Oft lassen sich auch noch bestimmte Eigenschaften mit angeben. Fast wie ein Blind Date also, nur eben viel
besser in den eigenen digitalen Alltag integrierbar.
Noch einen Schritt weiter geht die Smartphone-App „Honey
it’s me!“ Dabei wird das Handy zur Freundin. Vier Mal am
Tag meldet sich die virtuelle Freundin und will umgarnt
werden oder „Gute Nacht“ sagen. Ein Beziehungs-Tamagotchi sozusagen. Die Softwareschmiede Nabix, die die
Applikation programmiert hat, erklärt, dass ihr Produkt den
Nutzern das Gefühl geben soll, dass jemand da ist, der sich
um sie kümmert.
Das Problem: „Kaum jemand gibt zu, dass er einsam ist“,
sagt Min-jay No. Er ist sich aber sicher, dass es sehr viele
der jungen koreanischen Singles sind. Smartphone Apps
wie „Honey it’s me!“ scheinen das zu bestätigen. Soziale
Dating-Dienste im Internet und auf dem Smartphone bilden
weltweit einen riesigen Markt. „In Korea ist die ‚social
dating’-Industrie noch am Anfang, aber sie wächst rasant“,
sagte Park Hee-eun, Manager bei EUM, einer auf soziale
Dienste spezialisierten Firma, Anfang April der koreanischen Zeitung Joong Ang Ilbo.
Wer noch ganz traditionell jemanden kennenlernen möchte,
der geht am besten in die Kirche. Denn die ist in Korea
ein guter Ort, um Kontakte zu knüpfen. In Relation zur
Gesamtbevölkerung betrachtet leben nach den Philippinen
in Südkorea die meisten Christen. Rund 30 Prozent der
Koreaner sind entweder Katholiken oder gehören einer protestantischen Glaubensrichtung an. So wie Su-yeon Seo. Die
25-jährige Praktikantin ist Protestantin und aktives Mitglied
einer Kirchengemeinde in Seoul. „Ich will einen Freund
finden, der auch an Gott glaubt. So wie ich denken viele bei
uns“, sagt sie. Etliche Kirchengemeinden werben sogar ganz
offen damit, dass sich in der Kirche ein guter Partner/eine
gute Partnerin finden lässt.
Und wenn es dort nicht klappt, ist nach dem Gottesdienst
immer noch Zeit, um auf einen Green-Tea-Latte im Sprachcafé vorbeizuschauen.
17
KALEIDOSKO
Liebe Grüße aus Pjöngjang
Von Anne Schneppen
Foto: privat
P
N
Anne Schneppen lebte
von 2005 bis 2007 mit
ihrer Familie in Seoul
und arbeitete von dort
- wie schon zuvor aus
Tokio - als FernostKorrespondentin der
Frankfurter Allgemeinen
Zeitung. In Korea beschäftigte sie sich vor
allem mit politischen,
aber auch gesellschaftlichen Themen.
18
eulich fand sich eine ungewöhnliche Karte in unserem Briefkasten.
Sie trug den Poststempel „Pyongyang“ [Pjöngjang]. Abgebildet war die koreanische Halbinsel in vereinigter Silhouette,
versehen mit einigen mir unverständlichen
Parolen. Unsere deutschen Freunde, die ihren Reisegruß aus Nordkorea vier Wochen
zuvor auf den Weg nach Berlin geschickt
hatten, lieferten die ungefähre Übersetzung
mit: „Souveräne Vereinigung – Frieden
gegen Krieg – Große nationale Geschlossenheit“. Darunter in schwungvoller Handschrift: „Liebe Grüße aus Pjöngjang!“
Die Karte machte nachdenklich. Unsere
Familie hat im Sommer viele Ansichtskarten erhalten: aus Amerika, Singapur, Italien,
Frankreich und Österreich. Lebenszeichen,
kurze Grüße von Freunden und Verwandten, die für uns zur Ferienzeit selbstverständlich sind und denen wir meist wenig
Beachtung schenken. Doch es gibt, auch
heute noch, Orte und Menschen, die ohne
Verbindung sind. Zwischen Nordkorea und
Südkorea herrscht Stille und Schweigen,
seit Jahrzehnten schon. Nicht nur ist es
so gut wie unmöglich, sich gegenseitig zu
besuchen, es ist auch nicht vorgesehen oder
erlaubt, dass sich die Menschen anrufen
oder schreiben. Die gewaltsame Teilung
der koreanischen Halbinsel hat Millionen
Familien auseinandergerissen und getrennt
gehalten. Viele sind in den vergangenen
Jahrzehnten verstorben, ohne zu erfahren, was aus ihren Eltern, Geschwistern
oder Kindern auf der anderen Seite der
verschlossenen Grenze geworden ist. Nur
wenige Ausländer reisen nach Nordkorea.
Visa werden restriktiv vergeben, Delegationen sind spärlich und die meisten Besuche
nur wenige Tage lang. Eine Postkarte aus
Pjöngjang ist so selten, dass sie als Erinnerung ins Album kommt.
Oft wird die koreanische Halbinsel mit dem
geteilten Deutschland verglichen. Doch
tatsächlich waren die Jahre von 1949 bis
1990 für Deutsche in Ost und West keine
sprachlose Zeit. Im Gegensatz zu Korea
hatte die Mauer doch zahlreiche Öffnungen. Die „Berliner Zeitung“ hat unlängst
unter Berufung auf das Museum für
Kommunikation in Berlin berichtet, dass
schätzungsweise 400 Millionen Briefe jedes
Jahr die innerdeutsche Grenze überquerten.
Fast jeder Ostdeutsche und viele Westdeutsche haben demnach zumindest hin und
wieder „Post von drüben“ erhalten, so die
Recherchen des Museums, das mehr als
6000 dieser Briefe archiviert hat. So war
es möglich, dass Verwandte und Freunde
trotz des Kalten Krieges und der politischen
Differenzen in Kontakt blieben und sich
nicht gänzlich aus den Augen verloren.
Natürlich musste vieles ungesagt bleiben,
die Staatssicherheit der DDR kontrollierte
den Briefverkehr - und las mit. Doch es gab
eine Verbindung, die Besuche der „Oma aus
dem Westen“ und nicht zuletzt Zugang zu
West-Fernsehen.
In Seoul sprach ich einmal mit einem alten
Mann, der überglücklich war, als er nach
Jahren des Wartens an einer der seltenen
„Familienbegegnungen“ zwischen Süd- und
Nordkorea teilnehmen durfte. Hundert
Südkoreaner waren in einer Art Lotterie
unter der Regie des Roten Kreuzes ausgelost
worden. Der alte Mann, der ursprünglich
aus dem Norden stammte, hatte seine Familie als Kind in den Wirren des Koreakrieges
verloren. Er musste Pjöngjang ohne sie verlassen, nicht ahnend, dass dies ein Abschied
von Dauer war. Es gab kein Lebenszeichen mehr, weder in die eine, noch in die
andere Richtung. Nun fuhr er nach mehr
als einem halben Jahrhundert für wenige
Stunden über den 38. Breitengrad zurück.
Er wusste nicht, wen er dort noch antreffen
würde, ob seine Geschwister überhaupt
noch am Leben waren. Er selbst war schwer
krank. Man kann es sich kaum vorstellen:
Foto: Malte E. Kollenberg
Unterwegs in Nordkorea: Autobahnen ohne Verkehr.
Die Freude des Wiedersehens, gefolgt von
einem zweiten Abschied. Kurz vereint und
wieder verloren.
Hunderttausende, vielleicht auch Millionen Koreaner sind zwischen 1945 und
1953 voneinander getrennt worden. Die
ersten Gespräche der verfeindeten Staaten
über mögliche Familientreffen verliefen
im Sande. Erst 1985 kam es zu einer
arrangierten Begegnung von 65 Familien.
Im Juni 2000 dann, beim „historischen
Gipfeltreffen“ der beiden koreanischen
Staatschefs in Pjöngjang, eine Annäherung unter hoffnungsvollen Vorzeichen.
Die beiden Rot-Kreuz-Gesellschaften
nahmen die Verhandlungen auf. Seither
hat es in unregelmäßigen Abständen
und immer wieder unterbrochen von
politischen Eiszeiten fast 20 Runden von
Familientreffen gegeben. In den nordkoreanischen Diamantenbergen, an der
malerischen Ostküste, wurde eigens ein
Haus dafür gebaut. Es sind emotionale
Begegnungen, getragen von Erwartungen,
die nicht zu erfüllen sind. Zwei, drei kurze
Treffen an einem „neutralen“ Ort, orchestriert, reglementiert und überwacht.
Intimität kann es nicht geben. Manche
„Treffen“ finden auch nur als Videokonferenzen statt, in klinisch anmutender
Atmosphäre. Die Gespräche sind vorsichtig. Man will die Verwandten im Norden
nicht in Verlegenheit und nicht in Gefahr
bringen. Immer fließen Tränen. Das
südkoreanische Fernsehen zeigt Bilder,
die ans Herz gehen. Man spürt die Freude,
die Trauer, den Schmerz, die Verwirrung,
aber auch die Resignation.
Viele Treffen werden vertagt oder
abgesagt. Die Alten sind ein politisches
Pfand. Was für Seoul ein humanitäres
Anliegen ist, verbindet Pjöngjang oftmals
mit Forderungen nach Öl, Nahrungslieferungen, Dünger, Konzessionen. Manche
Menschen in Südkorea nehmen auf eigene
Faust Kontakt zu Verwandten im Norden
auf, sie verlassen sich dabei auf private
Vermittler, die meist gegen Bezahlung
und über China Briefe überbringen oder
per Mobiltelefon Kontakt herstellen. Aber
das ist nicht einfach und höchst riskant.
Der alte Mann, den ich vor seiner Abreise
in Seoul befragte, ist kurz nach dem einzigen Treffen mit seinen nordkoreanischen
Geschwistern gestorben. 22.000 Südkoreaner haben nach Angaben des Roten
Kreuzes bisher an „Familienbegegnungen“
teilgenommen. Rund 120.000 haben sich
insgesamt angemeldet. Fast 47.000 von
ihnen sind inzwischen verstorben. Die
meisten der noch Wartenden sind über 80
Jahre alt. Die Zeit läuft aus.
19
Interview mit Jungyeol Kim, Direktor der Abteilung für multikulturelle
Familien des Ministeriums für Frauen und Familie
Wie viele Mitbürger mit ausländischem Pass leben in Korea,
und welche Nationalitäten sind am stärksten vertreten?
Foto: privat
KALEIDOSKOP
„Korea ist (…) das OECD-Land mit dem am
schnellsten wachsenden Ausländeranteil“
Können Sie Ihre Institution einmal vorstellen? Welche
Aufgaben erfüllt sie?
Als Antwort auf den sprunghaften Anstieg internationaler
Eheschließungen in Korea seit dem Jahr 2000 erfolgte im
November 2007 innerhalb des Ministeriums für Frauen
und Familien die Neugründung des so genannten „Familienintegrationsteams“ – einer Abteilung, die sich vorrangig mit den Problemen multikultureller Familien befasst.
Später wurde das Team mit Inkrafttreten des Gesetzes zur
Unterstützung multikultureller Familien in „Abteilung für
multikulturelle Familien“ umbenannt.
Die Abteilung für multikulturelle Familien setzt sich in
Anlehnung an das Gesetz zur Unterstützung multikultureller Familien für die Umsetzung einer Politik ein,
die ein stabiles Familienleben sowie die gesellschaftliche
Integration von Heiratsmigrantinnen1 und ihren Familien
gewährleistet.
Die Arbeit der Abteilung lässt sich in folgende vier
Schwerpunkte einteilen:
•
Zusammenführung und Abstimmung der Politik für
multikulturelle Familien
•
Planung, Durchführung und Bewertung aller politischen Strategien sowie aller Initiativen zur Unterstützung der Kindererziehung für multikulturelle
Familien
•
Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung der Stabilität von multikulturellen Ehen (Qualitätskontrolle
von Heiratsagenturen etc.)
•
Aufklärung und Informationskampagnen, um innerhalb der koreanischen Gesellschaft das Verständnis
für den Multikulturalismus zu fördern
Die Folgen der Globalisierung machen sich auch zunehmend in der koreanischen Gesellschaft bemerkbar, die in
den letzten Jahrzehnten einen verstärkten Zuzug von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zu verzeichnen hat.
20
Die Migration ist ein Phänomen, das weltweit zunimmt.
Hierin bildet auch Korea keine Ausnahme.
Verglichen mit westlichen Ländern, in denen der Anteil
von Menschen mit Migrationshintergrund bei rund 10
Prozent liegt, ist die Zahl der in Korea lebenden Ausländer vergleichsweise niedrig. Korea ist jedoch das OECDLand mit dem am schnellsten wachsenden Ausländeranteil, und man geht davon aus, dass sich diese Entwicklung
auch in Zukunft fortsetzen wird.
Mehr als 10 Prozent aller Ehen in Korea werden mittlerweile zwischen einem koreanischen Staatsbürger und
einer Person mit ausländischem Pass geschlossen – so
steigt die Zahl der multikulturellen Familien Jahr für
Jahr an. Man kann also sagen, dass sich die koreanische Gesellschaft auf der Schwelle zur multikulturellen
Gesellschaft befindet. Die Zeit ist gekommen, in der sich
Korea ernsthaft auf die Koexistenz verschiedener Kulturen
vorbereitet.
Statistiken des Justizministeriums zufolge lebten in Korea
im Dezember 2010 insgesamt 1,26 Mio. Menschen mit
ausländischem Pass (Gesamtbevölkerungszahl Südkoreas: ungefähr 50 Mio.), darunter 48,3 Prozent Chinesen
(einschließlich in China geborener und aufgewachsener
ethnischer Koreaner), 10,1 Prozent US-Amerikaner, 8,2
Prozent Vietnamesen, 4,9 Prozent Japaner und 3,7 Prozent
Philippinen als größte Gruppen.
Wie setzen sich die multikulturellen Familien in Korea
zusammen?
Das Gesetz zur Unterstützung multikultureller Familien
definiert multikulturelle Familien als Familien, bei denen
ein Partner Koreaner und ein Partner ausländischer Herkunft ist (z.B. Heiratsmigrantinnen oder naturalisierte Koreaner2). Darüber hinaus kommt es auch häufig vor, dass
ethnische Koreaner/-innen aus dem Ausland Ehen mit in
Korea lebenden Koreanern/-innen eingehen. Es gibt auch
multikulturelle Familien mit Wohnsitz in Korea, bei denen keiner der beiden Partner koreanischer Abstammung
ist, aber diese Familien sind noch nicht Bestandteil des
Gesetzes zur Unterstützung multikultureller Familien.
Wie gut sind die multikulturellen Familien in die koreanische
Gesellschaft integriert?
Laut einer „Nationalen Studie zur Situation multikultureller
Familien“ (Ministerium für Frauen und Familie, Justizministerium, Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt, 2009) gaben
56,8 Prozent der in Korea lebenden Heiratsmigrantinnen an,
dass sie mit ihrem Leben in Korea „zufrieden“ seien, und 36,4
Prozent antworteten, dass sie „mehr oder weniger zufrieden“
seien. Dies ist insgesamt ein sehr gutes Ergebnis.
Wenn man darüber hinaus das Ergebnis einer Studie zum
Kenntnisstand der koreanischen Bevölkerung über multikulturelle Familien (durchgeführt vom Ministerium für Frauen und
Familien, dem Komitee für National Branding und der Zeitung
Donga Ilbo, Oktober 2010) betrachtet, bewerteten 79,5 Prozent
der Befragten die Zunahme von multikulturellen Familien als
positiv.
Da allerdings die Heiratsmigrantinnen aus einem anderen
Kulturkreis kommen, bereitet vielen von ihnen das Leben in
Korea aufgrund von Sprachbarrieren und unterschiedlichen
Lebensgewohnheiten Schwierigkeiten.
Wie bereits erwähnt, reagiert der Großteil der Koreaner positiv
auf die Zunahme multikultureller Familien.
Dennoch haben 76,3 Prozent der Befragten auf die Frage,
ob die „koreanische Gesellschaft gegenüber multikulturellen
Familien diskriminierend“ sei, mit „ja“ geantwortet, und 78,6
Prozent bejahten die Frage, „ob die koreanische Gesellschaft
gegenüber den Herkunftsländern oder der ethnischen Zugehörigkeit der Mitglieder multikultureller Familien diskriminierend“ sei.3
Auf der einen Seite ist in Korea das Bewusstsein für den Erhalt
einer rein koreanischen Blutlinie nach wie vor sehr stark ausgeprägt, auf der anderen Seite existiert der Gedanke, dass man
multikulturelle Familien unterstützen müsse. Es ist notwendig, in unserer Gesellschaft das Denken zu verändern, indem
wir Verständnis für unterschiedliche Kulturen und Toleranz
wecken. Nur so können die multikulturellen Familien eine
positive gesellschaftliche Rolle spielen.
Wie reagiert die koreanische Gesellschaft auf Kinder, die aus
den Ehen zwischen koreanischen und ausländischen Partnern
hervorgehen?
Viele der ausländischen Ehepartner beherrschen die koreanische Sprache nur unzureichend und haben aufgrund des unterschiedlichen Bildungssystems ihres Heimatlandes Probleme,
das koreanische Schulwesen zu verstehen. Besonders in der
Grundschulzeit kommt den Eltern eine wichtige Rolle zu. Hier
empfinden es viele Heiratsmigrantinnen als sehr schwierig,
ihre Kinder bei der Erfüllung der schulischen Anforderungen
ausreichend zu unterstützen.
Aufgrund dieser Sachlage haben Kinder aus multikulturellen
Familien oftmals Schwierigkeiten, sich an den Schulalltag anzupassen: Zu ihren Problemen zählen Verzögerungen bei der
sprachlichen Entwicklung, Lernschwierigkeiten und Mobbing
durch Klassenkameraden.
Auch im Verhältnis zu den koreanischen Verwandten kommt
es zu Konflikten. Hierzu liegen jedoch noch keine konkreten
Studien vor.
Welche Probleme haben multikulturelle Paare im Alltag?
Bikulturelle Paare haben mehr Probleme als Paare, bei denen
beide Partner demselben Kulturkreis angehören. Typische
Schwierigkeiten ergeben sich aus kulturellen Unterschieden
(angefangen mit Problemen beim gedanklichen Austausch
aufgrund des unterschiedlichen Sprachgebrauchs) und aus den
Gefühlen von Einsamkeit und Isolation des nichtkoreanischen
Partners/der nichtkoreanischen Partnerin.
Bei einem Teil der koreanischen Männer, deren Ehe mit einer
ausländischen Frau über eine Heiratsagentur zustandekommt,
herrscht der Gedanke vor, dass sie sich aus einem armen Land
„eine Frau mitbringen“. In solchen Fällen kommt es nicht
selten zu schwerwiegender häuslicher Gewalt.
Laut einer Studie des Ministeriums für Frauen und Familie aus
dem Jahr 2010 ist der Prozentsatz der häuslichen Gewalt gegenüber Frauen in multikulturellen Familien jedoch niedriger
als in rein koreanischen Familien. In den Fällen, in denen in
multikulturellen Familien häusliche Gewalt ausgeübt wurde,
war allerdings die Rate der schweren körperlichen Gewalt oder
der wirtschaftlichen Ausbeutung besonders hoch.
Mit welchen Familien haben Sie in Ihrem Arbeitsalltag zu tun?
Können Sie uns ein konkretes Beispiel aus der Praxis nennen?
Als Beispiel möchte ich gern die Familie einer Heiratsmigrantin anführen, die an einem Monitoring [Beobachtungssystem]
für multikulturelle Familien teilnimmt. Das Monitoring gibt
der koreanischen Regierung Aufschluss darüber, wie multikulturelle Familien politische Strategien und Projekte des Staates
bewerten.
O. aus Vietnam kam 1995 nach Korea und lernte bei ihrer
Arbeit in einer Fabrik für Autoteile ihren jetzigen koreanischen
Ehemann kennen, den sie im Jahr 2000 heiratete. Sie hat nun
zwei Söhne und führt ein glückliches Familienleben.
Bevor sich O. ausreichende koreanische Sprachkenntnisse aneignete, begegnete sie vielen Schwierigkeiten, sei es im Verhältnis zu Familie und Verwandtschaft, sei es im gesellschaftlichen
Leben. Seitdem sich ihre sprachlichen Fähigkeiten verbessert
haben, erlebt sie jedoch als Mitglied einer multikulturellen
Familie in Korea keine gravierenderen Schwierigkeiten oder
keine größere Diskriminierung. Es gibt allerdings immer noch
Situationen, in denen sie das patriarchalische System innerhalb
21
der Familie, das in Korea weiterhin vorherrscht, nicht versteht.
Da sie darüber hinaus mit dem koreanischen Schulsystem
nicht sehr vertraut ist, fällt es ihr nicht leicht, ihre Söhne zu
unterstützen, die nun die Grundschule besuchen.
Welche staatlichen Programme gibt es für multikulturelle Familien?
Das Ministerium für Frauen und Familien hat in ganz Korea
200 Zentren für multikulturelle Familien gegründet. Die
Zentren bieten verschiedenste Dienste an. Familienberatungen,
kulturelles Training, Aufklärung zum besseren Verständnis
des Multikulturalismus, Dolmetscher- und Übersetzerdienste
sowie Unterstützung bei der Kindererziehung sollen dazu
beitragen, dass multikulturelle Familien in Korea ein ausgewogenes familiäres und gesellschaftliches Leben führen können.
Darüber hinaus sind über das Ministerium das Internetportal
„Danuri“ sowie die Zeitschrift „Rainbow Plus“ verfügbar. Diese
beiden Medien ermöglichen es multikulturellen Familien, jederzeit inner- und außerhalb des Internets neueste Informationen zum Alltag in Korea und zur Regierungspolitik zu erhalten
– Wissen, das sie für ein Leben in Korea benötigen.
Das Ministerium unterstützt auch die Aufklärung und Beratung multikultureller Familien - insbesondere der koreanischen Ehepartner und deren Eltern - , um den Zusammenhalt
innerhalb der Familien zu fördern. Zur Gewährleistung der
finanziellen Unabhängigkeit werden den Heiratsmigrantinnen Praktika in regionalen Unternehmen angeboten, und sie
erhalten berufliche Schulungen, Trainings und Starthilfen für
den Berufseinstieg.
Wie reagieren Politik und Gesellschaft auf die sozialen Veränderungen, die sich durch die Ankunft der neuen Mitbürger ergeben?
Seitdem Korea im Jahr 2006 begonnen hat, eine Politik für
multikulturelle Familien auf Regierungsebene voranzutreiben,
wurde in einem relativ kurzen Zeitraum eine juristische und
institutionelle Basis geschaffen und die Unterstützung für
multikulturelle Familien kontinuierlich ausgebaut. Nicht nur
die Regierung, sondern auch Bürgerinitiativen, Unternehmen
und Privatpersonen zeigen Interesse und setzen sich dafür ein,
multikulturelle Familien zu unterstützen und für ihre gesellschaftliche Integration zu sorgen.
Die Zahl der multikulturellen Familien nimmt rapide zu. So ist
in jüngster Zeit auch eine Zunahme gesellschaftlicher Konflikte
zu verzeichnen, denn manche Menschen in der Bevölkerung
reagieren angesichts dieser Entwicklung mit Misstrauen oder
Feindseligkeit.
Um die gesellschaftliche Integration multikultureller Familien zu gewährleisten, reicht es nicht aus, bei den jeweiligen
Familien und ihren Kindern anzusetzen. Man muss auch einen
Blick auf das gesellschaftliche Umfeld werfen und für einen
Bewusstseinswandel innerhalb der Bevölkerung sorgen.
22
Durch Aufklärungskampagnen zum besseren Verständnis
multikultureller Familien mittels verschiedenster Medien, Forschungen zur Akzeptanz multikultureller Familien innerhalb
der koreanischen Gesellschaft und durch andere Initiativen
plant die koreanische Regierung, die Basis für eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen, in der eine Integration multikultureller Familien erfolgreich gelingen kann.
Welche Chancen ergeben sich aus der Zunahme multikultureller
Familien in Korea?
Die Zunahme multikultureller Familien bedeutet auch eine
Zunahme von potenziellen Arbeitskräften sowie die Erhöhung
von Vielfalt und Kreativität innerhalb der koreanischen Gesellschaft. Diese Faktoren tragen auch zur Erhöhung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit bei. Andererseits ergeben sich aus
einer verzögerten Integration multikultureller Familien gesellschaftliche Konflikte und finanzielle Bürden. Eine Zunahme
dieser Probleme kann sich als soziale Gefahr erweisen.
Positiv ist, dass die Kinder von Heiratsmigrantinnen aufgrund
ihrer Mehrsprachigkeit über besondere interkulturelle Kompetenzen verfügen, so dass sie sich später zu global orientierten
Persönlichkeiten entwickeln können. Darüber hinaus tragen
die Heiratsmigrantinnen und deren Kinder dazu bei, eine
Brücke zwischen ihrem Herkunftsland und der koreanischen
Gesellschaft zu schlagen.
Zunächst muss jedoch ein gesellschaftliches System etabliert
werden, das es den Heiratsmigrantinnen ermöglicht, sich eine
stabile Lebensgrundlage in Korea aufzubauen und ihre Talente
zu entfalten. Wir unternehmen vielerlei Anstrengungen, damit
sie eine führende Rolle bei den positiven Veränderungen
innerhalb unserer Gesellschaft spielen können.
Durch den Einfluss verschiedener Kulturen wird die koreanische Kultur noch vielfältiger. Dies bietet auch die Chance, die
traditionellen Werte der koreanischen Kultur neu zu entdecken.
Das Interview führte Gesine Stoyke
1 Im Folgenden wird der Begriff in der femininen Form verwendet, da
es sich bei den Heiratsmigranten meist um Frauen handelt (Anm. d.
Red.).
2 Ausländer, die die koreanische Staatsbürgerschaft angenommen
haben (Anm. d. Red.).
3 Umfrage zur Erhöhung der Akzeptanz multikultureller Familien innerhalb der koreanischen Gesellschaft, durchgeführt vom Ministerium
für Frauen und Familien, dem Komitee für National Branding und der
Tageszeitung Donga Ilbo vom 3. bis 5. Oktober 2010.
„Bildungsurlaub“ vom koreanischen Schulstress
KALEIDOSKOP
Deutsch lernen in Familien auf Zeit
Foto: Bodo Hartwig
Von Bodo Hartwig
Am Morgen danach. Abschied von neuen Freunden und von einer aufregenden Zeit im “Deutschen Dorf”.
S
ie sind gerade 17 und leben mit ihren Eltern in sogenannten Apartments (아파트) in den Hochhausvierteln
Seouls. Sie lernen Deutsch als zweite Fremdsprache und
haben sich dafür größtenteils europäisch klingende Namen
ausgesucht. Rund fünfzig Schülerinnen und Schüler der ersten
Oberstufe lädt der Seouler Deutschlehrer Verband (SDV)
jährlich für eine Woche zum Deutschen Kultur- und Sprachcamp „Deutsches Dorf “ (독일문화체험캠프, Dogil Munhwa
Cheheom Camp) in die Wälder Pyeongchangs ein. Für die
meisten von ihnen ist es ein prägendes Erlebnis.
Alltag eines Oberschülers
Normalerweise steht Cheong-Uk Park (박 정욱) alias Luke um
sieben Uhr auf, frühstückt mit der Mutter. Der Vater ist schon
fort, zur Arbeit. Es gibt warmen Reis mit Beilagen, im Wohnzimmer läuft der Fernseher. Schnell noch die Hausaufgaben
eingepackt, die neben dem Bett auf dem Schreibtisch liegen,
Uniformjacke überziehen und los. So ähnlich be­ginnt der
Wochentag für fast alle Schülerinnen und Schüler Südkoreas.
Ein Tag, der oft viel zu lange dauert und doch viel zu kurz ist
für das Pensum, das vor ihnen liegt.
„Viele Lehrkräfte spulen ihr Programm nur noch routinemäßig
an der Tafel ab“, sagt Frau Oh, die als Deutschlehrerin an einer
Seouler Oberschule arbeitet und sich von ihren Schü­lern Rosa
nennen lässt. „Stockschläge fürs Dösen auf der Schulbank gibt
es zum Glück nicht mehr, aber im Gegensatz zu früher haben
die normalen Schulen etwas an Effektivität verloren“. Die
gesellschaftlichen Ansprüche an die Leistung der Schüler seien
enorm ge­stiegen. Deswegen habe sich das Pauken nach der
Schule eingebürgert, am Abend in den privaten Lehrinstituten, den Hagwons (학원). Und der Unterricht tagsüber in der
Schule werde vernachlässigt.
Wenn Luke gegen halb sechs die Schule verlässt, geht er meist
zum Abendessen nach Hause. Um sieben beginnt dann der
Nachhilfeunterricht im Hagwon. Montags Mathe, dienstags
Englisch, mittwochs wieder Mathe usw., gelegentlich auch
am Wochenende. Gebüffelt wird bis 22 Uhr, manchmal auch
23
Bodo Hartwig lebt in
Berlin und arbeitet
als freier Tonmeister
und Autor für den
Öffentlich Rechtlichen
Rundfunk. Seit 2007
reist er regelmäßig zu
Recherchezwecken
und
Tonauf­nahmen
nach Südkorea. 2010
und 2011 hat er auf
Einladung des Seouler
Deutschlehrer­
verbandes im Deutschen Kultur- und
Sprachcamp mit internationalen Jugendlichen gear­
beitet und
Radioworkshops gegeben.
länger. Zu Hause setzt er sich dann noch zu den
Eltern in den Fernsehsessel oder geht ins Internet. Das Bett, von der Mutter sorgfältig gemacht,
muss indes noch eine Weile warten, denn es
stehen weitere Hausaufgaben an: Englisch, Mathe, Physik, Sozialkunde. Bis ihm vor Müdigkeit
die Augen zufallen. Nur drei bis vier Stunden
Schlaf pro Tag sind für die meisten Jugendlichen
normal.
Kennenlernspiel die Namen der anderen Familienmitglieder eingeprägt. Dann kommen Helfer
vorbei und sammeln die Mobiltelefone ein. Spätestens jetzt wird jedem klar, dass der Draht zum
heimischen Uni­versum erst einmal abgerissen ist,
sich andererseits aber gerade eine völlig neue und
spannende Welt auftut.
Sommerferien. In Südkorea bedeutet das: In der
Schule ist weniger los, endlich bleibt Zeit für
Projekte, Theaterproben oder Sommerkurse in
den Fremdsprachen. „Zeit zum Verrei­sen haben
Familien mit Schulkindern freilich kaum“, sagt
Rosa, die selbst einen zwölfjähri­gen Sohn hat.
In den privaten Hagwons gehe der Unterricht
sogar ungerührt weiter. Jeder zusätzliche Tag
verspricht bessere schulische Leistungen. Und
natürlich auch mehr Ein­nahmen. „Obwohl es
befremdlich klingen mag: Kinder haben in den
Familien den höchs­ten Stellenwert. Die Eltern
stecken sehr viel Geld in deren Erziehung“, sagt
sie und fügt hinzu: „Als kinderfreundlich würde
ich die koreanische Gesellschaft dennoch nicht
be­zeichnen, weil sie ihre Kinder einem solchen
Leistungsdruck aussetzt.“
Die Familien wachsen schnell zusammen, alle
Aufgaben sind klar verteilt, die Zeit ist gut
verplant. Der Tag beginnt mit dem Besuch der
Bank und dem Einkauf von echten Lebens­mitteln
gegen falsche Euro. Auf Deutsch ist das eine
kleine Herausforderung, aber die Jugendlichen
lernen schnell dazu. Auch beim anschließenden gemeinsamen Frühstück gehen Sätze wie
„Reichst du mir bitte mal die Butter rüber“ oder
„Könnte ich noch etwas Müsli bekommen“ von
Tag zu Tag leichter über die Lippen. Ein Brötchen
aufzuschneiden und mit Marmelade zu bestreichen ist anfangs noch ungewohnt aber interessant zugleich.
Die familiäre Atmosphäre vom Frühstück
überträgt sich auf den anschließenden Deutsch­
unterricht. Dass die „Eltern“ jetzt die Rolle von
Lehrern innehaben, fällt kaum auf. So ist auch
die anfängliche Scheu, einen Muttersprachler
auf Deutsch anzusprechen, spätestens nach dem
zweiten Tag verflogen. Man schläft unter einem
Dach, das schafft Vertrauen.
Ankunft im Deutschen Dorf
Der Bus mit den rund 50 Schülerinnen und
Schülern aus Seoul kommt um die Mittagszeit
auf dem Jugendfreizeitgelände in Pyeongchang
an, einem großen Areal in bewaldeter Berglandschaft. Aus einem weiteren Bus steigen noch
andere, vom Goethe-Institut einge­ladene CampTeilnehmer aus Japan, China, Taiwan, der Mongolei und Indonesien. Die Luft ist gut, irgendwo
im Tal ruft ein Kuckuck. Mit ihren Koffern und
Taschen durchlaufen Luke und die anderen
Jugendlichen zunächst eine Art Einreiseprozedur
mit gespielter „Pass- und Zollkontrolle“. Fragen
auf Deutsch werden gestellt, es wird verlegen
gekichert und überlegt: „Wie heißt du“, „Wie alt
bist du“, „Zu welcher Stadt gehörst du“. Geduldig nimmt das Camp-Team aus koreanischen
Deutschlehrern, deutschen Muttersprachlern
sowie einigen studentischen Helfern die Daten
auf. Sieben Schülerinnen und Schüler beziehen
dann mit einem deutsch-koreanischen „Elternpaar“ je ein Blockhaus. Luke ist in der „Familie
Berlin“ gelandet und hat sich gerade bei einem
24
Alltag im Camp
In den Hobbygruppen lösen sich die familiären
Strukturen dann auf. Hier versammeln sich Leute
mit ähnlichen Interessen, machen Workshops in
Theater, Radio, Musik und Tanz. Betreut werden
sie dabei von den jeweils anbietenden Lehrern,
mit denen sie auch ge­meinsam zum Mittagessen
in die Mensa des Camps gehen. An den Nachmittagen finden Ball- und Gesellschaftsspiele statt,
die Abende sind geprägt von täglich variierenden
Ver­anstaltungen wie Musikabend, Talent- und
Zungenbrecherwettbewerb oder Schnitzeljagd mit anschließendem Stockbrotbacken am
Lagerfeuer. Bald werden neue Freundschaften
geschlossen, die frischen Eindrücke miteinander
geteilt. All die spannenden Momente lassen das
Leben „in der Welt da draußen“ und die Zeit
vergessen. Niemand mag jetzt gerne an das Ende
dieser Woche denken. Vor der Nachtruhe sind
die Familien dann in ihren Häusern noch ein we-
Foto: privat
Familie auf Zeit. Sieben Schülerinnen und Schüler wohnen mit einem deutschkoreani­schen „Elternpaar“ in einem Blockhaus.
nig unter sich. Die Erlebnisse des Tages werden zusammengefasst. Und während sich die einen in der Dusche die Klinke in
die Hand geben, schreiben und gestalten die anderen im Wohnzimmer das Familientagebuch. Auf Deutsch, versteht sich.
Zeit für den Abschied
Den krönenden Abschluss bildet der Abend des letzten Tages.
Hier werden im Rahmen ei­ner Abschlusspräsentation die
Arbeitsergebnisse der Workshops gezeigt. Als Deutscher kommt
man immer wieder ins Staunen, welches Potenzial und welche
Leidenschaft insbe­sondere koreanische Jugendliche haben.
Vielleicht hängt es auch mit der ungezwungenen, aber konzentrierten Atmosphäre des Camps zusammen, die sie beflügelt
und derart aus sich herausgehen lässt.
Das Echo der Darbietungen verhallt kaum in den Köpfen, dann
ist es auch schon vorüber, das Deutsche Kultur- und Sprachcamp. In einem großen Kreis stehen alle beieinander, die Leiter
des Camp-Teams halten eine kurze Dankes- und Abschiedsrede.
Plötzlich verzaubert ein Feuerwerk den Abendhimmel, Wunderkerzen erhellen die Gesichter. Jetzt beginnt die Verabschiedungszeremonie, bei der jeder jedem noch einmal persönlich
die Hand geben kann, ein sehr emotionaler Moment, bei dem so
manche Träne fließt.
Die letzte Nacht ist sehr kurz. In den Familien bleibt man noch
lange wach, Rundbriefe werden geschrieben. Die Sprachen
wechseln sich ab, Deutsch, Englisch, Koreanisch. Worte des
Dankes, des Respektes und der Zuneigung, alles, was einem in
solch einem Moment eben einfällt. Natürlich dürfen auch die
Email-Adressen nicht fehlen.
Zurück in den normalen Alltag
Über den Morgen der Abreise hat sich eine gewisse Traurigkeit
gelegt. Die Häuser werden aufgeräumt, die Koffer gepackt. Hier
und da tauscht man noch die Kontaktdaten aus. Dann bekommen alle ihre Mobiltelefone zurück. Schnell werden ein paar
Abschiedsfotos mit den Lehrern geschossen und per MMS an
Familie und Freunde geschickt, bevor der Bus kommt.
Wieder in Seoul finden die Jugendlichen problemlos in ihr
gewohntes Umfeld zurück. Und trotz Zeitmangels finden einige
Nachtreffen statt. Den meisten wird ihre Familie auf Zeit, die
kurze, aber intensive Woche im „Deutschen Dorf “ unvergesslich bleiben. „In den drei Jahren an der Oberschule könnte das
ihr einziger Urlaub gewesen sein“ sagt Rosa. Ab jetzt heißt es
Durchpauken für den Suneung-Test (수능시험), für die Bewerbung an der Uni. Wie Luke wollen die meisten weiter „fleißig
Deutsch lernen“, damit sie eines Tages vielleicht in Deutschland
studieren können. Sicher ist, dass ihre Begeisterung für alles
Deutsche noch eine ganze Weile anhalten wird.
25
KALEIDOSKO
“Shocking Family“/
„Anti-Family Documentary“
Von Dr. Stefanie Grote
P
26
Foto: INDIESTORY
W
er könnte sich nicht daran erinnern,
das Familienleben in jungen Jahren
schon einmal nachgestellt und ‚Vater
- Mutter - Kind‘ gespielt zu haben. Ein Blick auf
Werbeplakate von Versicherungsunternehmen,
Krankenkassen oder Reisebüros lässt keinen Zweifel an der Familienidylle in besagter Konstellation.
Das ist in Deutschland nicht anders als in Korea
oder in anderen Teilen der Welt.
Der koreanische Film „Shocking Family“ (mit
englischen Untertiteln) aus dem Jahr 2006 ist
eine ‚Anti-Familien-Dokumentation‘ und damit
gewissermaßen das Gegenbild zur Vater–Mutter–
Kind-Idylle. Der Film fokussiert auf die Perspektive
von Frauen; es handelt sich um eine Kompilation
von Selbstporträts der Filmemacherinnen, welche
die Institution Familie als fundamentale Einheit
der koreanischen Gesellschaft durch alternative Lebensentwürfe kontrastieren oder zumindest anders
definieren. Es ist ein Film über Individuen, die sich
nicht aufgehoben fühlten in ihrer ‚herkömmlichen‘
Familie, deren Strukturen durch die hier kritisierte
Überbetonung der Blutsverwandtschaft allzu oft
nicht hinterfragt würden.
Da lebt beispielsweise die über vierzigjährige Regisseurin Gyeong-su als alleinerziehende Mutter mit
ihrer Tochter zusammen - Familie einmal anders.
Da gibt es die Kamerafrau Se-young, eine SingleFrau in Ihren Zwanzigern oder die frisch geschiedene Fotografin Gyeong-eun. Sie und andere erzählen
aus ihrem Leben, über schwierige Beziehungen zu
ihren eigenen Müttern, zu geschiedenen Ehemännern und Schwiegermüttern, über problematische
Strukturen in ‚ganz normalen‘ Familien, in denen
Mütter Arbeit, Kinder und Haushalt vereinen und
Väter mit ihrem Fernseher ‚verheiratet‘ sind oder
in denen Ehemänner ihre Mütter zu Idealfiguren
stilisieren, über lieblose Ehen, das System der
gesetzlich fixierten Vorherrschaft des Mannes als
Familienoberhaupt [Hoju –호주] und über dessen
späte Abschaffung im Jahr 2005. Bei aller Problematik und persönlichen Betroffenheit mangelt es
den Protagonistinnen nicht an Humor und Unbeschwertheit, was der Dokumentation Frische und
einen amüsanten Unterton verleiht.
Der Film erzählt von dem Bedürfnis der Frauen
nach einem selbstbestimmten Leben und mag
erinnern an lang ersehnte Freiheiten eines studentisches Lebens in den eigenen vier Wänden, in denen
abseits familiärer Kontrolle geraucht, getanzt,
gelacht, Musik gehört werden darf – seien die
Frauen nun Mitte vierzig oder Mitte zwanzig, seien
sie nun geschieden oder nicht, seien sie nun Mütter
oder nicht. Sie haben sich Freiräume geschaffen,
mit Konventionen gebrochen und sich für andere
Lebensentwürfe entschieden.
Kleiner Wegweiser
durch den Dschungel
koreanischer Verwandtschaftsbezeichnungen
Von Gesine Stoyke
K
urz vor den großen koreanischen Feiertagen - dem
Neujahrsfest Seollal (설날) und dem Erntedankfest
Chuseok (추석) - tauchen sie vermehrt in koreanischen Tageszeitungen auf: redaktionelle Beiträge, die
die Koreaner noch rasch über die korrekte Bezeichnung
von entfernteren Onkeln und Tanten, Nichten und Neffen
aufklären, bevor sie in ihre Heimatstädte reisen, um jene
besonderen Feste im Idealfall mit der gesamten Großfamilie zu begehen. Denn seitdem das Zusammenleben
in der Kernfamilie in Korea zur Regel und der Kontakt
zur weitläufigeren Verwandtschaft sehr lose geworden
ist, tun sich viele Koreaner mit der Zuordnung einzelner
Verwandtschaftsgrade schwer.
Dies wird einen Europäer nicht weiter überraschen, wenn
er der schier unerschöpflichen Anzahl von Begriffen
gegenübersteht, die die Koreaner verwenden, um die
Beziehungen innerhalb der eigenen Sippe bis ins Detail zu
beschreiben. „Schuld“ daran ist der Einfluss des Konfuzianismus während des vorangegangenen Joseon-Reiches
(1392 – 1910), der eine Gesellschaft mit einer klaren
hierarchischen Ordnung propagierte, in der jeder in
Abhängigkeit von seinem Alter, seiner familiären Position
und seinem sozialen Status einen bestimmten Platz einzunehmen hatte. Das Ergebnis: die Entwicklung einer für
einen Ausländer recht unüberschaubaren Terminologie
für verwandtschaftliche Beziehungen, deren Erklärung bei
näherer Nachfrage selbst koreanische Muttersprachler ins
Schwitzen bringt.
Um nur einige Beispiel zu nennen: Für das, was man im
Deutschen als „Onkel“ bezeichnen würde, gibt es im Koreanischen mindestens acht verschiedene Begriffe. Der unverheiratete Bruder des Vaters heißt Samchon (삼촌), und
je nachdem, ob er älter oder jünger als der Vater ist, kann
man noch weiter differenzieren zwischen Keun Samchon
(큰삼촌, „großer Onkel“) und Jageun Samchon (작은삼촌,
„kleiner Onkel“). Heiratet der Bruder des Vaters, wird er
zum Keun Abeoji (큰아버지, „großer Vater“, älterer Bruder
des Vaters) oder zum Jageun Abeoji (작은아버지 „kleiner Vater“, jüngerer Bruder des Vaters). Handelt es sich
dagegen bei dem Onkel um den Ehemann der Schwester
des Vaters, spricht man von Gomubu (고모부). Dieser ist
aber nicht mit dem Ehemann der Schwester der Mutter
zu verwechseln, denn der heißt Imbobu (이모부). Und
der Bruder der Mutter, unabhängig davon, ob er verheiratet ist oder nicht, wird nicht etwa als Samchon (삼촌),
sondern als Oesamchon (외삼촌 ) bezeichnet. Beim
Ajeossi (아저씨, „Onkel“) schließlich muss es sich nicht
um einen leiblichen Verwandten handeln, sondern dies
kann auch der Zeitungsverkäufer an der Ecke oder der
ältere Kollege in der Firma sein. In diesem Falle gibt die
familiäre Bezeichnung dem Verhältnis zwischen zwei
einander quasi fremden Menschen einen etwas freundlicheren Anstrich.
Auch ist im Koreanischen „Schwester“ nicht gleich
„Schwester“ und „Bruder“ nicht gleich „Bruder“. Ein
Mann bezeichnet seine älteren Geschwister als Nuna
(누나, ältere Schwester) und Hyeong (형, älterer Bruder),
eine Frau hingegen spricht von Eonni (언니, ältere Schwester) und Oppa (오빠, älterer Bruder). Jüngere Geschwister
werden dagegen als Dongsaeng (동생, jüngeres Geschwister, unabhängig davon, ob es sich um einen Jungen oder
ein Mädchen handelt) bezeichnet. Die Verwendung dieser
Begriffe (Nuna, Hyeong, Eonni, Oppa und Dongsaeng)
ist übrigens auch unter Freunden üblich. Wenn ein Mann
eine Frau bittet, Oppa zu ihm zu sagen, bedeutet dies, dass
er ein freundschaftlicheres Verhältnis zu ihr aufbauen
möchte. Heute nennen jüngere koreanische Frauen altersmäßig über ihnen stehende männliche Bekannte, aber
auch ihren Freund Oppa. Eine Gepflogenheit, die wohl
zum Ausdruck bringen soll, dass ihnen ihre männlichen
Bekannten oder zumindest der eigene Freund so nahe stehen wie der leibliche Bruder. Da viele Koreanerinnen immer noch einen Partner heiraten, der etwas älter als sie ist,
27
Verwandtschaftliche Beziehungen – ausgewählte Bezeichnungen:
아버지 (Abeoji) -아빠 (Appa, informelle Bezeichnung): Vater
어머니 (Eomeoni) - 엄마 (Eomma, informelle Bezeichnung): Mutter
부모님 (Bumonim, honorativ): Eltern
아들 (Adeul): Sohn
딸 (Ttal): Tochter
형 (Hyeong): älterer Bruder
누나 (Nuna): ältere Schwester (von Männern gebrauchte Anrede)
오빠 (Oppa): älterer Bruder (von Frauen gebrauchte Anrede)
언니 (Eonni): ältere Schwester (von Frauen gebrauchte Anrede)
남동생 (Namdongsaeng): jüngerer Bruder
여동생 (Yeodongsaeng): jüngere Schwester
할머니 (Halmeoni): Großmutter väterlicherseits
할아버지 (Harabeoji): Großvater väterlicherseits
외할아버지 (Oeharabeoji): Großvater mütterlicherseits
외할머니 (Oehalmeoni): Großmutter mütterlicherseits
손자 (Sonja): Enkel
손녀 (Sonnyeo): Enkelin
큰아버지 (Keun Abeoji): älterer verheirateter Bruder des Vaters
큰어머니 (Keun Eomeoni): Frau des älteren Bruders des Vaters
작은아버지 (Jageun Abeoji): jüngerer verheirateter Bruder des Vaters
작은어머니 (Jageun Eomeoni): Frau des jüngeren Bruders des Vaters
bleibt der Ehemann auch nach der Hochzeit oft der Oppa
für sie. Und es vergeht kaum ein koreanisches Popkonzert,
bei dem der gut aussehende männliche Leadsänger nicht von
weiblichen Fans im Teenageralter mit „Oppa, Oppa“-Rufen
angehimmelt wird.
Als Imo (이모, eigentlich Tante mütterlicherseits) lassen sich
außerhalb des verwandtschaftlichen Rahmens auch enge
Freundinnen der Eltern (meist der Mutter) oder weibliche
Restaurantangestellte mittleren Alters bezeichnen, die in etwas altmodischen Gaststätten arbeiten. In einem Fünf-SterneRestaurant wäre ein solcher Beiname dagegen unangebracht.
Indem die Gäste die Bedienung „Imo“ nennen, fordern sie sie
praktisch auf, die Kunden als Teil der eigenen Verwandtschaft
zu betrachten. So erhoffen sie sich eine größere Portion oder
besseren Service, denn schließlich wäre einer Tante für ihre
eigenen Nichten und Neffen auch nur das Beste gut genug. In
der koreanischen Seifenoper Ban-jjak ban-jjak Bit-nan-eun
(반짝반짝 빛나는, Twinkle Twinkle, 20111) zeigt sich die Protagonistin Jung Won verwundert darüber, dass ihr Begleiter
Seung Joon entgegen seines üblichen Naturells die Bedienung
als Imo bezeichnet; eigentlich gehört er nicht zu den extrovertierten Typen, die diese vertraute Anrede für Fremde wählen
würden. Die Auflösung des Ganzen: Seung Joon zeigte nicht
etwa einen unerwarteten Anflug von Lockerheit, sondern die
Kellnerin war tatsächlich seine Tante mütterlicherseits. So
bieten koreanische TV-Dramen einen interessanten Einblick
in die koreanische Soziologie, und beim Verfolgen der Verwicklungen zwischen Großtante und Nichte, Neffe und Onkel
28
zweiten Grades lassen sich gleichzeitig ein paar koreanische
Verwandtschaftsbezeichnungen aufschnappen.
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Koreaner Mitglieder
ihres Clans ansprechen möchten, denn die Anrede beim
persönlichen Vornamen kann je nach familiärer Position ein
absolutes Tabu darstellen. Die älteren Geschwister beispielsweise würde ein Koreaner niemals beim Vornamen nennen,
sondern stets respektvoll als Hyeong (형, älterer Bruder) oder
Nuna (누나, ältere Schwester) bezeichnen. Jüngere Geschwister darf er dagegen beim persönlichen Namen rufen - aber
nur, bis sie erwachsen sind und/ oder eigene Kinder haben.
Danach werden sie zu Dongsaeng (동생, jüngere Schwester/
jüngerer Bruder) oder „Mutter von…“/ „Vater von…“. Ebenfalls nicht beim Vornamen genannt werden dürfen Nichten
und Neffen, die älter als die eigene Person sind oder Cousins
des Vaters, selbst wenn sie jünger sind.
So sollte man sich merken: Jemanden in Korea beim Vornamen anzureden bedeutet entweder, dass man in einem sehr
engen Verhältnis zueinander steht oder dass man altersmäßig
oder in der familiären Rangordnung eine höhere Position als
die andere Person hat. Es gibt nur eine relativ kleine Anzahl
von Menschen, die einen Koreaner beim Vornamen ansprechen dürfen, und das sind die Eltern, Großeltern, Onkel und
Tanten, älteren Geschwister sowie die engen Freunde, die
gleichaltrig oder älter sind.
Darüber hinaus ist es gegenüber Dritten nicht üblich, den
Verwandtschaftliche Beziehungen – ausgewählte Bezeichnungen:
삼촌 (Samchon): unverheirateter Bruder des Vaters
고모 (Gomo): Schwester des Vaters
고모부 (Gomobu): Mann der Schwester des Vaters
외삼촌 (Oesamchon): Bruder der Mutter
외숙모 (Oesukmo): Frau des Bruders der Mutter
조카 (Joka): Nichte/ Neffe
이모 (Imo): Schwester der Mutter
이모부 (Imobu): Mann der Schwester der Mutter
시어머니 (Si-eomeoni): Schwiegermutter (aus Sicht der Frau)
장모 (Jangmo): Schwiegermutter (aus Sicht des Mannes)
시아버지 (Si-Abeoji): Schwiegervater (aus Sicht der Frau)
장인 (Jangin): Schwiegervater (aus Sicht des Mannes)
며느리 (Myeoneuri): Schwiegertochter
사위 (Sawi): Schwiegersohn
사촌 (Sachon): Cousin/ Cousine
아주버님 (Ajubeonim): älterer Bruder des Ehemannes
형님 (Hyeongnim): Frau des älteren Bruders des Ehemannes/ ältere Schwester des Ehemannes
서방님 (Seobangnim): jüngerer Bruder des Ehemannes (verheiratet)/ Mann der jüngeren Schwester des Ehemannes
동서 (Dongseo): Frau des jüngeren Bruders des Ehemannes
도련님 (Doryeonnim): jüngerer Bruder des Ehemannes (ledig)
Namen des eigenen Vaters direkt auszusprechen. Statt dessen
werden alle Bestandteile des Namens einzeln genannt und
jeweils mit der honorativen Endung „–ja“ (자) ergänzt. Wird
ein Koreaner nach dem Namen seines Vaters gefragt und
dieser heißt beispielsweise Hong Kil-dong, würde der Sohn
folgendermaßen antworten: „Mein Vater heißt Hong-ja Kil-ja
Dong-ja“.
Bei vielen verwandtschaftlichen Bezeichnungen auf mütterlicher Seite lässt sich das Präfix „oe-“ (외, „entfernt“) finden:
Oehalmeoni (외할머니, „entfernte Großmutter“ = Großmutter mütterlicherseits), Oeharabeoji (외할아버지, „entfernter
Großvater“ = Großvater mütterlicherseits), Oesonja (외손
자 „entfernter Enkel“ = Sohn der Tochter) und Oesonnyeo
(외손녀, „entfernte Enkelin“ = Tochter der Tochter). Bei verwandtschaftlichen Bezeichnungen auf väterlicher Seite wurde
dagegen traditionell gern das Präfix „chin-„ (친, nahestehend)
vorangesetzt: Chin Sonja (친손자, „nahestehender Enkel“ =
Sohn des Sohnes), Chin Sonnyeo (친손녀, „nahestehende
Enkelin“ = Tochter des Sohnes). Die Bezeichnung der Großeltern mütterlicherseits als „entfernte Großeltern“ und der
Kinder der Tochter als „entfernte Enkel“ wird verständlich,
wenn man bedenkt, dass im traditionellen Korea die Eltern
kaum noch Kontakt zu ihrer Tochter und deren Nachwuchs
hatten, nachdem die junge Frau einmal geheiratet und das
Elternhaus verlassen hatte. Von da an wurde sie als Teil der
Familie ihres Mannes betrachtet und hatte nur noch selten
Gelegenheit, ihr Elternhaus zu besuchen. Heute wird jedoch
meist nur noch von Sonja ( 손자, Enkel) und Sonnyeo (손녀,
Enkelin) gesprochen. Denn den Großeltern ist es inzwischen
ziemlich gleichgültig, ob es sich um die Kinder des Sohnes
oder der Tochter handelt - umso mehr in Zeiten, in denen die
Geburtenrate auch gerade in Korea einen Tiefpunkt erreicht
hat und sich viele Eltern erwachsener Kinder darüber freuen
mögen, dass sie überhaupt Enkel haben.
Noch eine Anmerkung zum Schluss: Wer durch das Wirrwarr
der koreanischen Verwandtschaftsbezeichnungen nicht mehr
durchblickt, wird durch die überschaubare Anzahl der koreanischen Familiennamen entschädigt, denn in 45% aller Fälle
trägt ein Koreaner den Nachnamen Kim, Lee oder Park,2 und
insgesamt sind gegenwärtig nur etwa 250 Familiennamen in
Umlauf.3
1
Eine Erfolgsgeschichte über eine Frau, die unverschuldet in Schwierigkeiten gerät und sich aus eigener Kraft daraus befreit.
2 Genaue Aufschlüsselung: Kim (21,6%), Lee (14,8%), Park (8,5%),
Choi (4,7%), Jeong (4,4%). Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/
Korean_name
3 Eine Gruppe von Physikern von der Umeå-Universität in Schweden
veröffentlichte vor einiger Zeit im New Journal of Physics eine Studie
aus Korea, nach der bereits im Jahre 500 20% der auf der koreanischen Halbinsel lebenden Menschen den Familiennamen „Kim“
trugen, obwohl auch rund 150 andere Nachnamen verfügbar gewesen
wären. Dieser Anteil sei bis heute relativ konstant geblieben. Diese
Beständigkeit wird als Hinweis darauf gewertet, dass die koreanische
Kultur trotz zahlreicher politischer, klimatischer und demographischer Einflüsse in den letzten 1500 Jahren eine große Stabilität
bewahren konnte (Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wissen/
namensforschung-in-korea-zehntausend-kims-1.1125543).
Quellenauswahl:
http://blue1004.wordpress.com/2011/07/08/korean-language-andculture-series-aunty-are-you-there/
http://askakorean.blogspot.com/2008/11/how-dare-you-call-me-bymy-name.html
29
MENSCHEN
„Gute Köchin, gute Schwiegertochter!“
Interview mit Sophie Bocquelet
Illustrationen: Yun So-hee
Foto: privat
D
Sophie Bocquelet ist
Französin, wohnt in
Deutschland und ist seit
sieben Jahren mit einem
Koreaner verheiratet.
Sie erzählt von der Beziehung zu ihren beiden
Schwiegermüttern, der
leiblichen Mutter sowie
der Stiefmutter1 ihres
Mannes.
30
as Verhältnis zwischen Schwiegermüttern und –töchtern ist zuweilen bekanntlich
ein prekäres. Welche Rolle spielt die Schwiegermutter in Südkorea, einem Land
mit starken familiären Bindungen und Traditionen? Ihr Einfluss ist gemeinhin
groß, und die Erwartungen an die Schwiegertochter sind hoch. Eine adäquate Frau soll es
sein, die den ihr Angetrauten gut versorgt, sich pflichtbewusst um Kindererziehung und
Haushalt kümmert, mit Geld umzugehen weiß und die Kontaktpflege zu den Schwiegereltern nicht vernachlässigt. Mit der zunehmenden Bedeutung und dem wachsenden Status
von Mädchen in der koreanischen Gesellschaft haben in jüngster Zeit auch die Mütter der
Töchter an Einfluss gewonnen. Nicht ohne Grund heißt es, dass ein Brautpaar nach der
Hochzeit zwei Mütter und zwei Väter habe – eine Zuordnung, die sich auch im Sprachgebrauch ausdrückt, in der persönlichen Anrede „Mutter“/„Vater“ ihre Entsprechung findet,
wenngleich die Schwiegereltern gemeint sind.
1 Frau Bocquelet wird die leibliche Mutter ihres Mannes nachfolgend auch als „1. Schwiegermutter“ und die Stiefmutter als „2. Schwiegermutter“ bezeichnen.
Frau Bocquelet, wie intensiv ist der
Kontakt zu Ihren Schwiegermüttern, und
wie würden Sie das jeweilige Verhältnis
beschreiben?
Aufgrund meiner Berufstätigkeit kann ich
nur höchstens drei Wochen pro Jahr nach
Korea fliegen, was ich seit meiner Heirat
auch fast jedes Jahr tue. Die Stiefmutter
meines Mannes sehe ich nur zu diesem
Anlass im Urlaub, sodass die Beziehung
zu ihr etwas oberflächlich ist. Im Gegensatz dazu ist das Verhältnis zu der Mutter
meines Mannes mittlerweile sehr eng, da
sie uns fast jedes Jahr für ein paar Wochen
in Berlin besucht und wir auf diese Weise
viel Zeit miteinander verbringen.
Worin unterscheiden sich Ihre Schwiegermütter im Wesentlichen, und wie verständigen Sie sich?
Meine 1. Schwiegermutter ist ein aufgeschlossener Mensch und mir gegenüber
kommunikativer. Sie spricht gebrochenes
Englisch und verständigt sich auch unter
Einsatz ihrer Körpersprache, weil ihr oft
das passende Wort fehlt. Vielfach spricht
sie mit mir auch Koreanisch, obwohl sie
weiß, dass meine Koreanischkenntnisse
nicht immer ausreichen, ein reibungsloses
Gespräch mit ihr zu führen. Im Ergebnis
meines ständigen Bemühens, sie zu verstehen und mich verständlich zu machen,
habe ich mein Hörverstehen verbessert,
und nun macht es mir Spaß, mit ihr zu
kommunizieren. Meine 2. Schwiegermutter ist dagegen eher schweigsam und
introvertiert. Im Gespräch mit mir lässt sie
gern meinen Mann übersetzen. Meistens
geht es um Gesundheitsfragen - Small
Talk also.
Welche Erwartungen bestehen an Sie als
Schwiegertochter? Inwiefern ist Ihr Verhältnis durch unterschiedliche kulturelle Muster
geprägt?
So, wie die beiden Schwiegermütter
charakterlich recht verschieden sind,
unterscheiden sich ihre „Philosophien“ in
puncto Familie und diesbezügliche Erwar-
tungen. Meine 2. Schwiegermutter hält die
traditionellen familiären Werte und die
dazugehörigen Förmlichkeiten für sehr
wichtig. Darin ist sie sich mit meinem
Schwiegervater einig.
Ein sehr wichtiger Bestandteil der koreanischen Förmlichkeit ist das Begrüßen
durch Verbeugen (인사, „Insa“) und
Niederknien (절, „Jeol“). Auf diese Weise
zeigt man Höflichkeit und Respekt gegenüber Älteren. Jedenfalls erwarten sie
das auch von mir jedes Mal zur Begrüßung und zum Abschied - „Jeol“ bei der
jährlichen An-/Abreise, „Insa“ bei jeder
täglichen Verabschiedung und Rückkehr.
Der Besuch auf dem Friedhof ist bei
Koreanern ein sehr übliches, familiäres
Ritual. Bei jedem Korea-Besuch fahre ich
mit meinen Schwiegereltern in die Berge,
um den Friedhof zu besuchen, auf dem
die Familienangehörigen beerdigt sind. Da
knien wir vor dem Grab jedes verstorbenen Urgroßvaters und jeder Urgroßmutter
zweieinhalb Mal nieder. Das Verbeugen
war mir am Anfang unheimlich, mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt
und finde es sogar witzig.
Darüber hinaus gilt in Korea der Grundsatz: gute Köchin, gute Schwiegertochter!
Meine 2. Schwiegemutter und mein
Schwiegervater hätten mich gern mehr
in der Küche gesehen, wenn sie von Verwandten oder Freunden besucht wurden,
damit ich die traditionelle Pflicht aller
Frauen erfülle. Sie erwarten das, obwohl
ich keine Koreanerin bin. Ich bin der Meinung, dass Männer - hier sind natürlich
auch und vor allem koreanische Männer
gemeint - wenigstens Geschirr spülen
können, wenn sie schon nicht kochen
können/wollen. Ich betrachte diese Erwartung seitens meiner Schwiegereltern an
mich somit als unannehmbare Forderung.
Meine 1. Schwiegermutter hat solche Erwartungen nicht. Sie ist selbst berufstätig
- meine 2. Schwiegermutter ist Hausfrau
- kocht gern für uns, aber wenn sie müde
ist oder keine Lust dazu hat, lässt sie das
auch. Sie lebt allein und ist pragmatisch,
weniger traditionell.
Das Verhältnis zwischen einer koreanischen Schwiegermutter und einer nichtkoreanischen Schwiegertochter wird wohl
auch maßgeblich dadurch bestimmt, wie
viel oder wenig Offenheit und Akzeptanz
beiderseits gegenüber kulturellen Unterschieden besteht.
Welche Parallelen erkennen Sie in Bezug
auf Familientraditionen in Frankreich?
Trotz aller Unterschiede sehe ich auch
viele Gemeinsamkeiten im Hinblick auf
die Familientraditionen beider Kulturen. Auch in Frankreich bildet der Vater
das Zentrum der Familie, Männer sind
immer noch hauptverantwortlich für
das Wohl der Familie. Von Frauen wird
diesbezüglich eine gewisse Zurückhaltung
erwartet, egal ob sie berufstätig sind oder
nicht. Auch wenn es natürlich individuelle
Unterschiede gibt, ist diese Tendenz in
Frankreich noch deutlich erkennbar.
Welche Erwartungen haben Sie an Ihre
Schwiegermütter? Was würden Sie sich
anders wünschen?
Ich erwarte von meiner 2. Schwiegermutter, dass sie mich nicht nur als Frau
eines Koreaners sieht, sondern auch als
Französin. Ich bin gern bereit, mich verschiedenen kulturspezifischen Besonderheiten anzupassen - aus Respekt, und weil
ich es auch genieße, aber ich könnte und
würde nicht allen Erwartungen und Verpflichtungen nachkommen, die von einer
koreanischen Frau erwartet werden.
Von meiner 1. Schwiegermutter wünsche
ich mir, dass sie uns noch öfter in Berlin
besucht.
Das Interview führte Dr. Stefanie Grote
31
Interview mit Ariane Fischer über ihre koreanisch-deutsche Familie
Foto: Koreanisches Kulturzentrum
MENSCHEN
„Ich fühle mich in beiden Welten zu Hause“
Können Sie sich einmal selbst vorstellen?
Ich heiße Ariane Fischer, bin Abiturientin aus BerlinReinickendorf und werde bald Architektur studieren. Meine
Mutter stammt aus Südkorea, mein Vater aus Deutschland.
Meine Mutter kam 1974 als Krankenschwester nach Berlin.
Sie lernte meinen Vater, der Arzt ist, bei der Arbeit im Krankenhaus kennen.
Haben Sie Geschwister?
Nein, leider nicht. Ich hätte gern einen älteren Bruder
gehabt.
Wie sah das Familienleben bei Ihnen aus? Welche typisch
koreanischen, welche typisch deutschen Rituale gab es?
Das Jahr wird durch christlich-europäische Feiertage
bestimmt. Über koreanische Traditionen und Feiertage
sprechen wir, praktizieren sie aber nicht.
32
Gibt es bestimmte Merkmale oder Verhaltensweisen, die typisch für Ihre koreanische oder deutsche Verwandtschaft sind?
Meine koreanische Verwandtschaft ist deutlich zahlreicher
als meine deutsche Familie. Zwischen den deutschen und
koreanischen Verwandten sehe ich keine Unterschiede im
Verhalten oder im Umgang miteinander.
Meine koreanischen Verwandten sind sehr liebenswürdig
und großzügig. Als ich klein war, haben sie mich immer in
Wange und Arm gekniffen, um mir zu zeigen, dass sie mich
gern haben. Das war ich aus Deutschland nicht gewohnt.
Außerdem laden sie uns häufig zum Essen ein, wenn wir in
Korea sind. Ähnliches kann ich allerdings auch von deutschen Verwandten berichten.
Meine koreanischen Verwandten sind aber – auch im hohen
Alter – weitaus aktiver als meine deutschen Verwandten.
Eine meiner Tanten unterrichtet, obwohl sie schon pensioniert ist, an einer Grundschule, eine andere Tante geht
mehrmals die Woche zum Yoga und kümmert sich um meine Großmutter. Der Familienzusammenhalt ist sehr stark
ausgeprägt in Korea.
Welche Verwandten leben in Korea?
Meine Großmutter, meine drei Tanten, mein Onkel und
unzählige Cousins und Cousinen und deren Kinder. Eine
Cousine lebt mit ihrer Familie in Florida/USA, und ein Cousin studierte für drei Jahre in Berlin.
Haben Sie engen Kontakt zu ihnen?
Ich wünschte, der Kontakt wäre enger. Da ich leider kaum
Koreanisch spreche, ist es für mich schwierig, mit meinen
Verwandten zu kommunizieren. Meine Mutter telefoniert
häufig via Webcam mit ihren Geschwistern. Ich winke dann
immer in die Kamera, sage ein paar Worte auf Koreanisch,
und alle freuen sich.
Ich war bereits sechs Mal in Korea. Jedes Mal haben wir bei
meiner Großmutter, meinen Tanten oder meinem Onkel
gewohnt und haben im Land Rundreisen gemacht. Als ich
2008 Korea besuchte, habe ich am Global Korean Youth Network teilgenommen. 200 Jugendliche aus der ganzen Welt
mit koreanischen Wurzeln wurden von der koreanischen
Regierung eingeladen, eine Woche die koreanische Kultur
und Landschaft zu erkunden.
Art zu verreisen als wir: Wichtig ist für sie, möglichst viele
Ziele zu erreichen. Ein intensives Kennenlernen fremder
Länder ist für sie von nicht so großer Bedeutung.
Wie ist es für Sie, in zwei Kulturen zu leben? Was sind die
Vorteile, was die Nachteile?
Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie meinen Blick auch
immer auf meine ferne koreanische Heimat gelenkt haben.
Ich fühle mich in beiden Welten zu Hause. Die Reisen nach
Korea haben meinen Horizont erweitert. Etwas anstrengend
ist die durch die konfuzianische Tradition strenge Erziehungsweise meiner koreanischen Mutter. Vielleicht bin ich
ihr später einmal dafür dankbar – im Augenblick habe ich
diese Erleuchtung noch nicht.
Da ich in Berlin geboren bin, einsprachig erzogen wurde
und hier zur Schule gegangen bin, liegt mein Lebensmittelpunkt natürlich in Deutschland. Intellektuell und emotional
fühle ich mich allerdings auch Korea sehr verbunden.
Das Interview führte Gesine Stoyke
Kommen Ihre koreanischen Verwandten öfter nach Deutschland?
Seit einiger Zeit. Früher waren Reisen nach Europa unerschwinglich. Heute können sich unsere koreanischen Verwandten Fernreisen leisten. 2002 und 2010 waren sie hier
bei uns. Wir sind mit ihnen durch Deutschland und durch
einen Teil Europas gereist. Es war sehr schön, aber auch anstrengend, denn meine Verwandten haben eine ganz andere
33
FOTOSERIE
Doljabee (돌잡이)
Fotos von Felix Park
In seinem Projekt „Doljabee“ präsentiert der Fotograf Felix Park Familien unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds, die
im Rahmen des Projekts eine Tradition vollziehen, die in Korea am ersten Geburtstag üblich ist.
„Doljabee“ bezeichnet einen Brauch, bei dem die Eigenschaften oder Neigungen eines Kindes spielerisch erkundet werden.
Hierfür werden dem Kleinkind zum ersten Geburtstag Gegenstände präsentiert, aus denen es einen greifen soll. Jedes Objekt repräsentiert dabei entweder eine berufliche Richtung, Wohlstand oder ein langes, gesundes Leben. Je nach dem vom
Kind ausgewählten Gegenstand werden Rückschlüsse auf dessen Zukunft gezogen.
Für sein Projekt wählte Felix Park unterschiedlichste Familien aus, die in Berlin zu Hause sind, das mehr als 140 Nationen
beherbergt. Die Themen Integration, Bildung und Chancengleichheit sind von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. Mit
„Doljabee“ möchte der Fotograf auf künstlerische und dokumentarische Weise einen Beitrag zum allgemeinen Verständnis
gegenwärtiger Wünsche und Zukunftssorgen frischgebackener Eltern leisten und Denkanstöße für staatliche bildungspolitische Förderprogramme geben.
Noah posiert im Hanbok [한복, koreanische Nationaltracht] auf dem Sofa.
34
Johannes greift beim Doljbabee zum Golfball. Vielleicht wird er einmal Profisportler?
35
Anais entscheidet sich für den Geldschein, der Wohlstand symbolisieren soll.
36
Der einjährige Julian im Kreis seiner Familie mit Schwester Lena und Eltern Tobias und Michaela.
37
KULTUR
Park Chan-wooks Rache-Trilogie
im Kontext des modernen Kultfilms
Von Alexandra Schulz
Foto: Sun-Ok Yu
Was definiert einen Kultfilm?
Alexandra Schulz wurde 1981 als Tochter
einer
koreanischen
Mutter und eines deutschen Vaters geboren.
Sie studierte Drehbuch und Dramaturgie
an der Filmhochschule
Potsdam und lebt heute als freie Autorin in
Berlin. Dort schreibt
sie Kurzgeschichten,
Drehbücher und Texte
über Film und ist in allererster Linie ein Fan
guter Unterhaltung.
38
Es gibt auf diese Frage keine klare Antwort, und allein das deutet
auf eine gewisse Vielfalt hin. Ein Kultfilm muss keinem bestimmten Genre angehören. Er kann gut oder schlecht, teuer oder billig,
erfolgreich oder ein ausgesprochener Flop sein. Ob ein Film Kultstatus erlangt oder nicht, entscheidet allein das Publikum. Es spielt
sogar keine Rolle, ob ein Großteil der Zuschauer den Film hasst –
so lange genug Menschen ihn lieben. Das ist das einzige Kriterium:
die Leidenschaft, die der Film in seinen Betrachtern auslöst.
Kurz nachdem ich Park Chan-wooks Oldboy zum ersten Mal
gesehen hatte, wurde ich Zeuge einer lebhaften Diskussion um den
Film. Die meisten Gesprächsteilnehmer waren begeistert, lobten
die epische Wucht der Rachegeschichte und die Erbarmungslosigkeit der Darstellung. Ein Zuschauer aber hasste den Film geradezu
mit Inbrunst. Er argumentierte, Oldboy sei unmoralisch, geradezu Gesellschaft zersetzend. Themen wie Inzest, Vergeltung und
extreme Gewalt gehörten nicht in einer solchen Art und Weise
dargestellt. Szenen wie die, in denen der Held Dae Su Oh nach
13 Jahren Gefangenschaft und Isolation gierig einen lebendigen
Oktopus verschlingt, oder sich in einem Anfall von Wahnsinn die
Zunge herausschneidet, seien unzumutbar. Dieser Zuschauer war
offenbar durch den Film tief verstört worden und ließ sich darin
auch nicht umstimmen.
Die Erkenntnis, die ich aus dem Gespräch gewann, war diese: Ein
Regisseur, der es vermag, eine so tiefe und heftige Reaktion bei
seinen Zuschauern hervorzurufen, hat etwas Außerordentliches
geschaffen. Unmoralisch, Gesellschaft zersetzend: Wie oft hört man
diese Dinge im Zusammenhang gerade mit Filmen, die später als
Bahn brechend oder besonders mutig gelten?
Ein Film kann Kultstatus erlangen, weil er schockierende Bilder
enthält wie das Auge, durch das langsam ein Messer gleitet in Luis
Bunuels Der andalusische Hund. Er kann Ausdruck eines rebellischen Geistes sein, so wie in dem Fall des Anti-Haschisch-Filmes
Reefer Madness von 1936, der in den 1970ern ausgerechnet von
der Kifferszene ironisch zu einem Lieblingsfilm erklärt wurde. Er
kann für eine florierende Subkultur stehen, wie die Rocky Horror
Picture Show, die provokativ mit Sexualität und Gender-Identität
spielt. Er kann Kontroversen auslösen wie die tiefschwarze
Serienkiller-Komödie Mann Beißt Hund. Er kann Mutprobe sein
und Übergangsritus – Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre
oder Takashi Miikes Audition gesehen zu haben, gilt als
Auszeichnung, vor allem unter halbwüchsigen Zuschauern.
Es sind Filme, die das gewisse Etwas haben. Die cool sind,
charismatisch und ein bisschen gefährlich. Die Mischung
eben, die auch Oldboy zu einem so beunruhigenden und
faszinierenden Film macht.
Der amerikanische Filmkritiker Scott Tobias rechnet Oldboy daher auch dem ‚Neuen Kult-Kanon‘1 zu, einer Reihe
zeitgenössischer Filme, die in der kulturellen Topografie
für das Außergewöhnliche, Abseitige und Aufregende im
Kino stehen. Die anderen beiden Filme der Rache-Trilogie,
Sympathy for Mr. Vengeance und Lady Vengeance, sind weniger bekannt, weisen aber ihrerseits Aspekte des Kultfilmes
auf. Zudem haben sie etwas, das dem Kritikererfolg Oldboy
schon fast wieder abhanden gekommen ist – die relative
Obskurität, die ebenfalls zu den Charakteristiken eines
Kultfilms zählt. Sympathy und Vengeance sind unter Filmfans
heiß begehrt und auf dem westlichen Markt selten zu finden,
wie in jener Zeit, als man ungewöhnliche Filme noch wie
geheime Schätze auf ausgeleierten VHS-Kassetten untereinander tauschen musste.
Es reizte mich, die Rache-Trilogie unter den Gesichtspunkten des Kultfilmes zu betrachten. Denn trotz der inhaltlichen
und formellen Vielfalt gibt es Elemente, die viele Kultfilme
gemeinsam haben: Dazu gehören die Überschreitung von
Genregrenzen, der furchtlose Umgang mit gesellschaftlichen
Tabus, und die bewusste Negierung von Zuschauererwartungen. Diese Dinge beherrscht Park Chan-wook meisterlich,
und das macht seine Trilogie zu einem interessanten Beitrag
für einen neuen Kult-Kanon.
Sympathy for Mr. Vengeance und Lady Vengeance bedienen
sich der Technik des Genrebruchs und das zu einem maximalen Effekt. Es ist interessant, dass Mr. Vengeance der erste
der drei Filme ist. Denn wenn man Oldboy nicht kennt und
nicht weiß, was einen erwartet, wiegt er den Zuschauer für
eine ganze Weile in einem falschen Gefühl der Sicherheit.
Mr. Vengeance beginnt allen Anzeichen nach als schwarze, aber launige Gangsterkomödie: der naiv-gutherzige,
taubstumme Ryu möchte seiner kranken Schwester helfen
und kündigt seinen Job, um mit der erhaltenen Abfindung
auf dem Schwarzmarkt eine Niere für sie zu kaufen. Aber er
gerät an die falschen Leute und wird sowohl um sein Geld,
als auch um seine eigene Niere erleichtert. Seine Freundin,
die Anarchistin Yeong Mi, schlägt ihm vor, die Tochter von
Ryus ehemaligem Arbeitgeber Dongjin zu entführen.
Sie setzen den Plan in die Tat um; aber immer noch scheint
es so, als ob es sich bei ihnen eher um Entführer der harmlosen Sorte handelt. Es gibt leicht verstörende Szenen wie
die, in der Ryu das weinende entführte Mädchen mit seiner
Polaroidkamera durch seine Wohnung scheucht, oder sich
ihre Puppe ausleiht, nur um diese später zerschlissen und
mit falschem Blut beschmiert an den Vater zu schicken.
Trotzdem kann man immer noch denken, man sähe eine
schräge Komödie. Ryu will bloß das Leben seiner Schwester
retten und ganz offensichtlich niemandem etwas zuleide tun.
Ungefähr nach der Hälfte aber macht der Film eine der tückischsten 180 Grad-Wendungen, die es im zeitgenössischen
Kino zu erleben gibt, und das mit einer vernichtenden Konsequenz. Als Ryus Schwester von der Entführung erfährt,
nimmt sie sich aus lauter Scham das Leben. Überwältigt von
Trauer, begräbt Ryu sie an einem Fluss. Dabei verliert er das
kleine Mädchen aus den Augen, das ins Wasser stürzt und
ertrinkt.
Plötzlich wandert der Fokus des Films von dem tollpatschigen Entführer Ryu auf Dongjin und wird zur pechschwarzen
Studie über einen trauernden Vater, der zu einem von Rache
Getriebenen wird. Nach dem Tod des Mädchens verfällt der
Film fast in so etwas wie eine Totenstarre, in Entsprechung
zu dem lähmenden, unausweichlichen Horror, den der
Familienvater lebt, bis klar wird, dass er gar keinen anderen
Weg mehr einschlagen kann als den der Rache.
Auch der Film Lady Vengeance (im Koreanischen sarkastisch
betitelt „Die gutherzige Frau Geumja“) macht seinen Anfang
als gallige schwarze Komödie. Geumja sitzt im Gefängnis;
sie hat gestanden, einen kleinen Jungen ermordet zu haben,
und ist die einzige, die weiß, dass der wahre Mörder noch
auf freiem Fuß ist. Nach ihrer Entlassung setzt sie alles
daran, den Verantwortlichen zur Strecke zu bringen. Zu
diesem Zweck hat sie schon im Frauengefängnis angefangen,
ein feines Netz aus Verbündeten zu spinnen. Sie wird von
den anderen Insassinnen als Heldin gefeiert, weil sie eine
besonders tyrannische Mitgefangene aus dem Weg räumt,
erbt aber auch deren Spitznamen als ‚die Hexe‘. Diese Doppelbödigkeit zeichnet Geumja aus. Sie hat das Gesicht eines
Engels und wird doch von schrecklicher Mordlust getrieben.
Sie schneidet sich vor den Augen der Eltern des ermordeten
Jungen einen Finger ab, um Vergebung zu erlangen, aber
erschießt kaltblütig den kleinen Hund ihrer Tochter, um
ihren neu angeschafften Revolver auszuprobieren. Geumja
ist die irritierendste Heldin der Rache-Trilogie. Mit ihrer
eiskalten Beherrschung wirkt sie weit weniger verzweifelt
als die männlichen Helden in Sympathy for Mr. Vengeance
und Oldboy. Aber dafür werden die Momente, in denen
ihre Verzweiflung durchscheint, mit besonderer Zärtlichkeit
gezeichnet. Wie Sympathy for Mr. Vengeance kippt auch Lady
Vengeance endgültig von schwarzer Komödie in dunkelstes Drama, als sie ihre Rache an dem Kindermörder Baek
vollzieht, in einer der verblüffendsten und beklemmendsten
Filmszenen der letzten Jahre.
Hier zeigt sich etwas, das alle drei Filme der Rache-Trilogie
auszeichnet, und das zu den wichtigsten Charakteristika des
Kultfilms gehört: Park Chan-wooks Auge für Tabus und sein
39
schonungsloser Umgang mit ihnen. Mr. Vengeance und Lady
Vengeance brechen mit einem der größten erzählerischen
Tabus überhaupt: dem gewaltsamen Tod von Kindern.
Der Tod von Kindern spielt dabei auch eine Rolle im
Umgang mit Zuschauererwartungen. Selbst erfahrene
Kinogänger gehen in der Regel nicht davon aus, dass Kinder
in Filmen zu Schaden kommen. Umso vernichtender ist
der Stimmungsumschwung in Mr. Vengeance, wenn die
Kamera scheinbar minutenlang die lautlose Obduktion des
kleinen Mädchens begleitet und Dongjins bodenlose Trauer
dokumentiert. Dies wird auf die Spitze getrieben in Lady
Vengeance, wenn ein ganzer Raum voller Eltern gezwungen wird, die letzte Augenblicke ihrer ermordeten Kinder
auf Tonband anzuhören. Es sind Momente ausgesuchter
Grausamkeit, die fast dazu einladen, wegzusehen und sich zu
distanzieren. Aber Park Chan-wooks immersive Regie macht
es nahezu unmöglich; die Erlösung kommt nicht. Weder für
den Zuschauer, noch für die Protagonisten.
Das Tabu, das in Oldboy gebrochen wird, ist Inzest – und das
auf zwei Ebenen (ein Bruder begehrt seine Schwester; ein
Vater schläft, wenn auch unwissend, mit seiner Tochter, und
beide Ereignisse sind untrennbar miteinander verknüpft).
In allen drei Fällen ist der Tabubruch nicht nur dazu da,
um zu schockieren, sondern ein integraler Bestandteil der
Geschichte.
Sympathy for Mr. Vengeance, Oldboy und Lady Vengeance
sind keine herkömmlichen Rache-Filme. Der klassische
Rache-Film – Der Hügel der blutigen Augen, Ein Mann
sieht rot, Kill Bill – bietet dem Zuschauer ein kathartisches
Erlebnis an. Die Protagonisten wirken gerechtfertig in ihrem
Wunsch nach Rache, sodass man sich auf ihre Seite schlägt
und ihren Feldzug als befriedigend erlebt. Die drei RevengeFilme von Park Chan-wook untergraben dieses Element oft
auf tückische Weise. Sie drehen sich nicht ausschließlich um
Vergeltung, sondern vor allem auch um Trauer. In allen drei
Filmen tun die Hauptfiguren monströse Dinge, um ihren
Schmerz zu betäuben.
Dongjin in Mr. Vengeance tötet grausam die junge Yeong Mi,
weil er mit dem Tod seiner Tochter nicht fertig wird. Aber
er kann die bittere Tatsache, dass er sein Kind verloren hat,
nicht auslöschen, bis er selber im blutigen Showdown des
Films ausgelöscht wird.
Woojin in Oldboy quält Dae Su Oh wie ein Insekt und macht
ihn durch Manipulation und Hypnose zu einem Monster,
kann aber letztendlich seine eigene Beteiligung am Selbstmord seiner Schwester nicht ungeschehen machen.
Geumja in Lady Vengeance will den Kindermörder zur
Strecke bringen, für dessen Verbrechen sie damals unter
Zwang die Schuld auf sich nahm und ins Gefängnis ging.
Aber nachdem sie den Tod des Mannes orchestriert hat,
erscheint ihr der Geist des kleinen Jungen, den Baek ermor-
40
det hat, und schiebt ihr einen Knebel in den Mund. Weil sie
geschwiegen hat, hat der Mörder weiter gewütet, hat noch
mehr Kinder ermordet. So wie alle Helden in Parks RacheTrilogie findet sie keine Vergebung, keine Erlösung.
Obwohl alle drei Filme Szenen ästhetisierter Gewalt enthalten – am berühmtesten wohl die Szene in Oldboy, in der es
Dae Su Oh nur mit einem Hammer bewaffnet mit einem
ganzen Korridor voller Schläger aufnimmt – kann man nicht
behaupten, dass Gewalt in Parks Filmen glorifiziert wird.
Denn in allen drei Fällen führt die Gewalt nur weiter eine
Abwärtsspirale hinunter in eine schreckliche Leere, aus der
es kein Entrinnen gibt – außer durch Tod, völliges Vergessen
oder Wahnsinn.
Der einprägsame visuelle Stil, die verschachtelten Stories
und die Topografie der Gewalt würden wahrscheinlich
schon ausreichen, um den drei Revenge-Filmen Kultstatus
zu sichern. Aber Park geht einen Schritt weiter. Weil seine
Filme die Idee des Rachefilmes dekonstruieren, weigern sie
sich, versöhnlich zu sein, und hinterlassen einen bleibenden
Eindruck.
Frei von der politischen Zensur, die den koreanischen Film
noch in den 1980ern zurückhielt, hat sich in Korea eine
Generation von Filmemachern etabliert, die ungewöhnliche
Filme machen und sich weigern, im Untergrund zu bleiben.
Die Tatsache, dass schwierige (und schwer verdauliche)
Filme wie Lady Vengeance und Oldboy zu den erfolgreichsten
koreanischen Filmen aller Zeiten gehören, zeigt vor allem
auch, wie aufgeschlossen das koreanische Publikum ist, und
dass es weit mehr von seiner Unterhaltung erwartet als nur
leichte Kost. Was beeindruckend ist, wenn man etwa das
amerikanische Blockbuster-Kino dagegenhält.
Kultfilme sind dazu da, Grenzen zu überschreiten und einen
neuen, kulturellen Kanon zu schaffen, der international Geltung besitzt. Durch Regisseure wie Park Chan-wook gestaltet
der koreanische Film diese Bewegung aktiv mit und kann für
Filmschaffende in aller Welt eine Inspiration sein.
1
http://www.avclub.com/features/the-new-cult-canon/
KULTUR
B-Boying in Korea
W
Fotos: privat
Axel Altmann wurde
1987 in Berlin geboren. 2003 kam er über
Freunde zum B-Boying.
Seitdem trainiert er
fast täglich. Mit seiner
Gruppe konnte er
2010 den dritten Platz
bei der deutschen
Breakdance-Meisterschaft erzielen.
ettkämpfe sind in jeder Sportart wichtig. Nicht nur für den
Zuschauer, sondern auch für
den Sportler selbst. Durch den direkten
Vergleich mit anderen Teilnehmern wird
er gezwungen, seinen Leistungsstand abzurufen und diesen einzuschätzen. Daraus
entsteht sportlicher Ehrgeiz und dadurch
Entwicklung für den Sport selbst. Jedoch
sind die Kriterien, an denen man sich misst,
nicht so leicht zu definieren, und diese sind
auch abhängig vom Sport selbst. Deshalb
stellt sich die Frage, woran man sich misst.
An einem früherem Leistungsstand? An
einer höheren Maxime oder schlichtweg an
den Besten?
Beim B-Boying1 ist diese Frage ziemlich
leicht zu beantworten: Am Beispiel Korea.
Kein anderes Land der Welt hat sich in den
vergangenen Jahren zu solcher Dominanz
in diesem noch recht jungen, oft unverstan-
Von Axel Altmann
denen Sport entwickelt. Während sich in
Deutschland das Bild von Breakdance, wie
B-Boying bei uns noch genannt wird, in den
letzten Jahren nicht geändert hat, hat Korea
es geschafft, nicht nur dieses alte Verständnis des Tanzes aufzubrechen, sondern es gar
neu zu entwickeln. Um das zu verstehen,
muss zunächst erklärt werden, welches Bild
hier in Deutschland und welches in Korea
vorherrscht und wieso es überhaupt diesen
Unterschied gibt. Dazu muss man sich
zuerst die Entstehung und Entwicklung von
B-Boying (Breakdance) anschauen.
B-Boying ist in den 1970er Jahren in New
York bzw. in der Bronx entstanden und war
zunächst eine Mischung aus vielen einzelnen Tänzen und Einflüssen. B-Boying schuf
eine Basis, die damals allen Ethnien und
Altersgruppen zugänglich war, was auch
die verschiedenen Einflüsse und die rasche
Popularität erklärt. Der Tanz war eine
41
Foto: privat
Axel Altmann bei einer Performance
Mischung aus Capoeira, Electric Boogaloo, Good Foot
Step und vielem mehr. Außerdem war er eine gesunde
und willkommene Abwechslung zum Gang-Alltag vieler
Bronx-Bewohner. Verbreitet wurde der Tanz dann durch
amerikanische Soldaten, die in Deutschland, Frankreich
und Korea stationiert waren.
Während die Entwicklung in Deutschland sofort in den
1980er Jahren begann, blieb sie in Korea vorerst aus und
setzte erst in den 1990er Jahren ein, als Deutschland den
Zenit seiner Entwicklung erreichte. Danach hat Deutschland es versäumt, Nachhaltigkeit zu schaffen, weswegen
der Nachwuchs ausblieb. Die Entwicklung blieb stehen
und deshalb auch das nach außen getragene Bild in
den Medien. Wer heutzutage an Breakdance denkt, hat
zunächst das Bild von Drehungen auf dem Kopf oder
Rücken oder unverständliche Schritte vor Augen. Und
was unverständlich ist, gilt als Willkür. So scheint es,
als ob Breakdancer nicht wirklich wissen, was sie tun.
Dass es überhaupt eine mediale Präsenz gibt, liegt an der
Kommerzialisierung in den 1980er Jahren. Man erkannte das wirtschaftliche Potenzial und verstärkte dadurch
diese fragwürdige Darstellung des Tanzes. So wurde
B-Boying in Breakdance umbenannt und der Tanz in eine
bestimmte Richtung gedrängt. Dieser Prozess blieb in
Korea aus, wodurch das Land etwas Essenzielles behielt:
die Freiheit in der Entwicklung. Denn im Gegensatz zu
anderen Sportarten oder Tänzen gibt es keine Richtlinien
oder Zwänge beim B-Boying. D.h., es gibt keine bestimmte Abfolge, die einzuhalten ist oder eine B-Note oder
bestimmte Bewegungen, die in einen Wettkampf einzubringen sind. Man wird nach simpleren Dingen bewertet:
nach Schwierigkeit und nach Kreativität. Nach Stil und
Dynamik. Nach Musikalität und Power. Der Tanz lebt von
seiner Entwicklung an sich. Eine neu erdachte Bewegung
42
wird durch ihren Erschaffungsprozess immer als schwieriger eingestuft als Altes. Dadurch entwickelten sich viele
verschiedene Stile und immer komplexere Schritte, und
Korea wurde Sinnbild für technische Perfektion und
freie Entfaltung. Diese Freiheit wurde international das
erste Mal im Jahre 2001 wahrgenommen, als die Gruppe
Visual Shock bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft des
Breakdance, Battle of the Year (BOTY)2, den Preis für die
„Beste Show“ erhielt und den 4. Platz erreichte. Nur ein
Jahr später gewann dann die Expression Crew als erste
asiatische Gruppe den 1. Platz. In den Jahren darauf folgte
der rapide und unaufhörliche Aufstieg an die Weltspitze.
Korea gewann die Weltmeisterschaft danach noch weitere
fünf Male: in den Jahren 2004, 2005, 2007, 2009 und
2010. Auch dieses Jahr gilt die koreanische Jinjo Crew
beim Battle of the Year als Favorit. Ihren Status verdanken
die Koreaner vor allem ihrer Homogenität. Keine Szene
der Welt scheint sich so einig in ihren Zielen und Vorstellungen. Es geht darum, Korea durch den Tanz nach außen
zu tragen und die Zeit, die den B-Boys zum Tanzen bleibt,
zu nutzen. Da jeder Koreaner immer noch zwei Jahre
Militärdienst ableisten muss und beim Militär das Tanzen
verboten ist, werden junge koreanische Männer auf diese
Weise gezwungen, ihre Ziele früher zu erreichen. Denn
wer nicht trainiert, verliert seine Fähigkeiten. Aus diesem
Grund trainieren viele hart – das Training umfasst viele
Stunden täglich - und inspirieren durch ihre Leistungen
Menschen auf der ganzen Welt.
So bin ich durch eine koreanische Gruppe zum B-Boying
gekommen, was mein Interesse an Korea geweckt hat.
Seitdem riss meine Liebe für den Tanz und meine
Faszination für das Land nie ab. Und ich erwarte auch
in diesem Jahr mit Spannung die koreanischen Gruppen
und wünsche ihnen viel Erfolg bei der Weltmeisterschaft
am 19. November 2011 im französischen Montpellier.
1
B-Boying: eine andere Bezeichnung für „Breakdance“, eine populäre Form des Straßentanzes, die in den frühen 1970er Jahren
als Teil der Hip-Hop-Kultur von jungen Afroamerikanern und
Latinos in New York City entwickelt wurde (http://de.wikipedia.
org/wiki/Breakdance) (Anm. d. Red.).
2
Battle of the Year: das größte internationale BreakdanceTurnier der Welt, deshalb wird es auch als „Weltmeisterschaft
des Breakdance“ bezeichnet (http://de.wikipedia.org/wiki/Battle_of_the_Year). Nationale Vorentscheidungen münden in ein
Finale, das in diesem Jahr in Montpellier, Frankreich, stattfindet
(Anm. d. Red.).
„Wir B-Boys reisen durch die ganze Welt, tragen die
koreanische Flagge vor uns her und steigern das Prestige
Koreas im internationalen Ausland“
Interview mit dem koreanischen B-Boy Spring
Ich freue mich sehr, dass du dich zu einem Interview bereiterklärt
hast. Könntest du dich selbst einmal kurz vorstellen?
Foto: B-Boy Spring
Hello everyone! Ich lebe in Südkorea und mein Künstlername
ist B-Boy Spring. Ich trete in den beiden Breakdance-Gruppen
T.I.P. Crew und Leadmos Crew auf. Die T.I.P. Crew ist 1996
aus der Gruppe B-Boy Virus hervorgegangen; sie ist eine der
repräsentativen koreanischen Crews [Bezeichnung für eine
Breakdance-Gruppe], die bis heute erfolgreich sind. Leadmos
Crew ist ein Zusammenschluss von sehr starken koreanischen
Breakdancern.
Ich performe mit den Künstlern Kill, Beast, GreatMan, Flex,
Sukist, Shorty Force, King und vielen anderen, die in der B-BoySzene sehr bekannt sind.
Wann hast du mit dem Breakdance begonnen, und warum?
Koreanische B-Boys beginnen in aller Regel im 1. oder 2. Jahr
der Mittelschule mit dem Breakdance. Ich selbst bin aber erst
sehr spät zum Tanz gekommen, erst im 2. Jahr der Oberschule.
Dazu gibt es folgende Anekdote: Im unteren Jahrgang meiner
Schule gab es einen Typen, der sich von niemandem etwas sagen
ließ und immer Chaos um sich herum verbreitete. Der meinte
eines Tages zu mir, dass er aktiver B-Boy sei. Ich habe insgeheim
vor Lachen geprustet und gedacht: „Du doch nicht“. Damals
habe ich ihn nicht ernst genommen.
Ein, zwei Monate später hatte er jedoch in der Schule einen
Showcase [Vorzeigeprojekt]. Seine Performance war wirklich
cool! Es war für mich geradezu schockierend, zu sehen, wie sich
dieser Schüler von der mir bekannten Person in einen völlig
anderen Menschen verwandelte. Ich bekam regelrecht eine
Gänsehaut.
43
Danach habe ich meinen Stolz überwunden und ihn gefragt, ob
er mir Breakdance beibringen könne. Ab da habe ich das Tanzen
von ihm gelernt. Das ist meine Geschichte. Ich bin jetzt seit
sieben Jahren B-Boy, und ich liebe es!
ich quasi seit sechs Monaten nur einen Arm benutzen kann.
Deshalb sitze ich jetzt von 9.00 Uhr morgens bis 18.00 Uhr
abends im Bezirksamt, um dort meinen Wehrdienst abzuleisten.
Ich bin nun Zivildienstleistender… ha, ha.
Könnest du uns einen Einblick in die koreanische B-Boy-Szene
geben? Was gefällt dir, was nicht?
Wegen der Wehrpflicht kann ich erst nach 18.00 Uhr Breakdance trainieren, und wenn ich [zu einem Wettbewerb] ins
Ausland reisen will, muss ich erst die Genehmigung des Staates
einholen.
Ich denke, dass die koreanischen B-Boys wirklich großartig
sind, und wenn man sich ihr Übungspensum anschaut, weiß
man auch, warum. Die Jinjo Crew1 beispielsweise übt zwischen
sieben und acht Stunden pro Tag. Ebenso intensiv wie die investierte Zeit ist ihre Liebe und Leidenschaft für den Tanz.
Von den Jams2 koreanischer B-Boys bin ich allerdings sehr
enttäuscht.
Ich besuche oft die Performances anderer Tanzgenres wie
Popping3, Locking4, Krumping5 und Hip-Hop. Die Art, wie die
Künstler dieser Stilrichtungen agieren, ist sehr offen.
Die Gefühlsäußerungen der B-Boys sind dagegen oft alles andere als offen. Wenn ich sehe, wie sie die Arme kreuzen und bei
den einzelnen Bewegungen nicht viel Spaß zu haben scheinen,
dann werde ich unmerklich zum Kritiker der B-Boys.
Ich würde es begrüßen, wenn die koreanischen Breakdancer
extrovertierter würden, wirklich gute Jams lieferten und die koreanische B-Boy-Szene noch dynamischer präsentieren würden.
Was ist deiner Meinung nach der Grund für den Erfolg koreanischer B-Boys?
Wie ich bereits oben erwähnt habe, hebt sich das Übungspensum koreanischer B-Boys deutlich von dem der Breakdancer
anderer Länder ab. Sie trainieren viel mehr. Wenn koreanische
B-Boys an internationalen Wettbewerben teilnehmen, verschmilzt die gesamte Crew zu einer Einheit. Für die Vorbereitung auf das jeweilige Event geben sie wirklich alles und lassen
kein einziges Training bei Sonnenaufgang aus.
Deshalb ist es für die Teams anderer Länder auch schwer, die
koreanischen Crews zu schlagen. Ihre Energie und die Art, wie
sie ihre Kräfte bündeln, sind tatsächlich einzigartig.
Wie beeinträchtigt die Wehrpflicht6 die koreanischen B-Boys?
Meiner Meinung nach ist die Wehrpflicht für die Existenz eines
B-Boys lebensbedrohlich! Ich selbst bin auch gerade dabei,
meinen Wehrdienst abzuleisten. Da ich mich aber beim B-BoyTraining verletzt habe, bin ich in der schwierigen Situation, dass
44
Die Militärzeit dauert in Korea insgesamt zwei Jahre; ich habe
bereits ein Jahr und vier Monate absolviert. Dass ich in der
Zeit, in der die anderen B-Boys trainieren, im Dienst sein muss,
belastet mich sehr. Ständig vermisse ich das Training.
Aber ich schätze mich glücklich, weil ich trotzdem, wenn
auch in sehr eingeschränktem Maße, trainieren kann. Wenn
ich Freunde sehe, die bereits ein Jahr und acht Monate ihres
Wehrdienstes hinter sich haben, tut mir das im Herzen weh.
Der Großteil der B-Boys fängt nach dem Militär wieder mit
dem Breakdance an. Zu dem Zeitpunkt liegen ihre Fähigkeiten
jedoch meist weit hinter dem zurück, was sie ursprünglich
konnten. Viele erleben dann einen Einbruch und geben das
Tanzen vollständig auf.
Obwohl das B-Boying kein Sport, sondern ein Tanz ist, wäre
es schön, wenn man uns als offizielle Repräsentanten unseres
Landes anerkennen würde. Wenn es die koreanische Fußballnationalmannschaft bis ins Achtelfinale schafft, dann werden
die Spieler, die Ersatzspieler und selbst die Reservespieler vom
Militärdienst befreit.
Wir B-Boys reisen durch die ganze Welt, tragen die koreanische
Flagge vor uns her und steigern das Prestige Koreas im internationalen Ausland. Es ist wirklich traurig, dass dies in Korea noch
nicht gebührend anerkannt wird.
Was ist deine Motivation, mit dem Training fortzufahren?
Es ist die Leidenschaft für das B-Boying…
Wie ich bereits sagte, wird in Korea der Wert des Tanzes bislang
noch nicht richtig anerkannt. Es ist schwer, davon zu leben.
Deshalb arbeiten die B-Boys alle in anderen Berufen. Aber wir
können durch das Tanzen unseren Traum verwirklichen. Es ist
wirklich ein schöner Traum. Andere fragen uns immer: „Könnt
Ihr von eurem Traum leben?“ Ich möchte ihnen entgegnen:
„Wirst du es im Anblick deines Todes bereuen, nicht genug gegessen zu haben? Oder wirst du es bereuen, deinen Traum nicht
verwirklicht zu haben?“
Was war dein erster Eindruck von Deutschland, und welche
Unterschiede gibt es zwischen den B-Boy-Szenen beider Länder
(Korea und Deutschland)?
Deutschlands B-Boys sind immer eine große Inspiration für
mich gewesen. Ich glaube, dass sie mich dazu motiviert haben,
mich noch mehr anzustrengen. Besonders als ich jung war,
mochte ich die Moves [Bewegungen] von Salajin der Crew Terror Bunch. Ich mag wirklich den Flavor [Aroma] und die Color
[Nuance] deutscher B-Boys. Sie lernen fortwährend kreative
Moves, die die übrigen nicht ausführen, und entwickeln diese
weiter. Wenn ich heute die Moves von Crews wie Lil Amok und
Airdit sehe, denke ich, dass ich noch weit hinter ihnen zurückliege. Mit deutschen B-Boys habe ich mir noch keinen Battle
[Wettkampf] geliefert. Deshalb hoffe ich, dass bald der Tag
kommen wird, an dem ich die Gelegenheit dazu haben werde.
In welche Richtung wird sich deiner Einschätzung nach die weltweite B-Boy-Szene entwickeln?
Die neue Generation wird die Welt umstürzen! Ich sage das
vielleicht, weil ich selbst zur neuen Generation gehöre.
Möchtest du den Lesern noch ein paar letzte Worte mit auf den
Weg geben?
Das Interview führte Axel Altmann
Übersetzung aus dem Koreanischen: Gesine Stoyke
Anmerkungen der Redaktion:
1
Siehe dazu auch den Artikel „B-Byoing in Korea“ in dieser Ausgabe.
2 Breakdance-Veranstaltung,
den Wettkampf geht.
bei der es eher um das Miteinander als um
3
Popping: eng mit Breakdance verbundener Tanz, bei dem es vor allem
um Pops – Muskelkontraktionen zur Musik – geht.
4
Locking: einer der wichtigsten Hip-Hop-Tänze, der in enger Verbindung zum B-Boying steht und zu Funk Musik getanzt wird (http://
de.wikipedia.org/wiki/Locking_%28Tanz%29).
5
Krumping: aggressiver, extrovertierter Tanz mit vielen Armschwingungen.
6
Schätzungsweise vier von fünf aktiven koreanischen B-Boys zögern
den Militärdienst so lange wie möglich hinaus, verletzen sich selbst
oder täuschen eine psychische oder physische Erkrankung vor, um
die Wehrpflicht zu umgehen (http://www.salon.com/entertainment/
feature/2008/06/26/korean_hiphop/print.htm). Elf Mitglieder der Crew
Gamblers wurden 2010 festgenommen, nachdem sie versuchten, den
Militärdienst zu vermeiden, indem sie ihre Schultern mit schweren
Lautsprecherboxen auskugelten (http://killthebeat.com/gamblerz-crewarrested-for-dodging-military-service-2010/). Ebenso wurden 2010
neun Mitglieder der T.I.P. Crew arrestiert, die eine mentale Erkrankung
vortäuschten (http://morethanastance.com/blog/2010/05/tip-membersarrested-in-seoul-for-evading-military-service/).
Foto: B-Boy Spring
Zunächst einmal möchte ich mich für dieses Interview bedanken. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, würde ich gern nach
Deutschland kommen und mit dir Tanztechniken austauschen.
Much love and respect!
45
PORTRÄT
„Beim Theater und Film finde ich wichtig,
dass alles Magie bleibt“
Interview mit Bonn Park
Bonn Park wurde 1987 in Berlin
geboren. Er begann bereits im Alter von
11 Jahren, Theaterstücke zu schreiben und selbst zu inszenieren. Während und nach seinem Abitur 2007 wirkte er als Nebendarsteller für die ARD-Serie „Die Stein“ sowie in diversen Kurzfilmen mit. Seit
2008 sammelte Bonn Park Erfahrungen als Regiehospitant und Kleindarsteller
an der Volksbühne Berlin, u.a. bei Frank Castorf, Werner Schroeter und René Pollesch, inszenierte im dortigen Jugendtheater p 14 „Die Orestie“ sowie „Die Ratten“ und
realisierte 2009 sein erstes Kurzfilmprojekt. „WALBURGA“, der letzte von mittlerweile
fünf kurz- und mittellangen Filmen, hatte erst vor wenigen Wochen im Juni Premiere
an der Volksbühne. 2010 nahm Bonn Park das Studium „Szenisches Schreiben“ an der
Universität der Künste Berlin (UDK) auf und inszenierte dort die bislang zweiteilige
Minidramen-Serie „< insert title here> - Based On A True Story“. Im Mai dieses Jahres
wurde sein erstes abendfüllendes Theaterstück „DIE LEIDEN DES JUNGEN
SUPER MARIO IN 2D“ mit dem in Höhe von 6.000 Euro dotierten Innovationspreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet. Im Rahmen des 1. Karlsruher Dramatikerfestivals (01. – 03. Oktober 2011) ist eine Buchpublikation der Zeitschrift „Theater der Zeit“ zum Thema „Stadt der Zukunft“
geplant, die auch einen Text des Autors mit dem Titel „Karlsruhe
2289: Johnny Kilometà und die Beerdigung von Gott Faust
– Ein Trailer“1 enthält. Diese Auseinandersetzung wird
von einem befreundeten Regisseur inszeniert.
Foto: Dr. Stefanie Grote
1 Streichung so im Original-Titel.
46
Herr Park, worum geht es in Ihrem Theaterstück „DIE LEIDEN
DES JUNGEN SUPERMARIO IN 2D“, für das Sie den Innovationspreis erhalten haben?
Super Mario kennt jeder. Er ist eine Spielfigur-Ikone der
japanischen Computerspiele-Firma Nintendo, ein Klassiker,
der erste Computerspiele-Held, den es gab.2 Super Mario bewegt sich zweidimensional und macht im Grunde immer das
gleiche - er tötet kleine Monster und befreit eine Prinzessin.
Er ist ein kleiner dickbäuchiger Italiener mit Schnurrbart und
übt den Beruf des Klempners aus. Das Geschehen spielt aber
nicht in Italien, sondern in irgendwelchen fiktiven Welten.
Der Hauptgegner ist eine Riesenschildkröte mit stacheligem
Panzer, die Super Mario töten muss, um die Prinzessin zu
befreien – das ist seit ca. 20 Jahren immer die gleiche Geschichte.
Der Gedanke war, dass jemand in einer zweidimensionalen
Welt gefangen ist, dass er eine Ikone ist, Vorbild und Generationsbegleiter für Leute in meinem Alter. Es geht mir um die
Reflektion der Frage, wie menschlich Super Mario ist, und
was er tun würde, wenn er Mensch wäre. In meinem Stück hat
er sich entschieden, nicht mehr Superheld zu sein und schafft
es auch nicht, die Prinzessin zu befreien; das macht dann sein
Bruder Luigi, der auch Klempner ist. Super Mario begeht am
Ende Selbstmord und kommt an einen anderen Ort.
Was war Ihre Intention, genau dieses Stück zu schreiben?
Ich hatte die Idee vor mehr als zweieinhalb Jahren. Zunächst
schoss mir der Titel durch den Kopf, den ich sehr mochte,
weil viel darin steckt, was erzählenswert ist. Ich fand es spannend, eine Ikone der Pop-Kultur zu finden, die aber nicht als
solche wahrgenommen wird, über die man in den BoulevardMedien nichts liest, weil Mario keine Interviews geben kann,
weil es keine Paparazzi-Bilder von ihm gibt, weil nichts über
seine Liebschaften zu berichten ist. Er kann sich nicht selbst
erklären. Er ist nicht mündig. Mario ist eine Figur, die jeder
kennt, die aber kein handelnder oder denkender Mensch ist
und deshalb auch so nicht wahrgenommen werden kann. Es
ging um die Ikone, die zwar kein Mensch ist, aber trotzdem
so bekannt, so populär wie ein Mensch, wie beispielsweise
Madonna in den Achtziger-/Neunzigerjahren. Im Unterschied dazu kann Madonna aber Interviews geben, heiraten,
Kinder bekommen und adoptieren, für Afrika spenden und
alles Mögliche für ihre Außendarstellung tun oder tun lassen.
Mario erreicht diese Popularität, obwohl er gar nicht mal gut
aussieht und lächerlich gezeichnet ist.
Es wäre schön, wenn Andy Warhol ihn porträtieren würde,
wenn er noch lebte.
Ihr künstlerisches Repertoire reicht von Schauspielerfahrung
über das Schreiben und Inszenieren von Theaterstücken bis hin
zum Filmschaffen. Worin besteht für Sie persönlich der besondere Reiz jedes einzelnen Kreativbereiches?
Anfangs wollte ich Schauspieler werden, habe das auch gemacht im Film und auf der Bühne, aber schnell gemerkt, dass
das nichts für mich ist, weil mich die Situation des Vorsprechens stresst und sich nicht gut anfühlt. Vom Jugendtheater
habe ich mich sehr angesprochen gefühlt. Das Regieführen
und das Schreiben haben mich dann mehr interessiert als das
Schauspielern. So kam ich auch zu meinem jetzigen Studiengang „Szenisches Schreiben“.
Welches ist Ihr größter Wunsch im Hinblick auf Ihre berufliche
Entwicklung?
Wahrscheinlich schreibe ich, weil ich ganz viel Narzissmus in
mir habe. Selbstdarstellung, Beliebtheit und Ruhm sind wichtig. Ich möchte wahrgenommen werden. Ich will den Oscar
gewinnen, aber wenn das nicht passiert, ist es auch nicht so
schlimm. Ich glaube aber, dass ich noch suche und mich noch
nicht entschieden habe, was ich wirklich mit meiner Arbeit
will. Ich schreibe immer etwas völlig anderes und mache auch
immer unterschiedliche Filme, die sich ästhetisch unterscheiden und ganz andere Geschichten erzählen und manchmal
auch keine Geschichten erzählen.
Ich empfinde den Input beim Theater kleiner, weil das deutsche Theater extrem inzestuös ist; es blickt leider oft und viel
zu sehr nur auf sich, und ist meistens sehr dröge und einseitig
– auf eine deutsche Art und Weise. Man schafft es kaum, in
ein Nachbarland zu schauen, weiter weg eher noch weniger.
Z.B. ist das Musical in den USA sehr etabliert und eine hochkulturelle Form, aber auch sehr populär. Die Wahrnehmung
von Theater ist dort eine ganz andere, was ich großartig finde.
In Deutschland ist das Musical eigentlich verpönt und eine
Form, über die wenig nachgedacht wird, statt zu erkennen,
dass das eine spannende Form ist, mit der man Themen
verhandeln kann, die man im Theater nicht verhandeln kann
oder nur auf eine andere Art und Weise.
Vielleicht ist das eines meiner Ziele, dieses Denken ein wenig
aufzubrechen.
Sie sprechen fünf Sprachen, lernen derzeit Japanisch und hatten
2008 in Berlin mit einem Studium der Slawistik begonnen. Woher kommt dieses ausgeprägte Interesse für Serbo-Kroatisch?
Mich hat die Kultur Ex-Jugoslawiens extrem interessiert, vor
allem die Musik und die Filme, besonders Kusturica-Filme
[Emir Kusturica]. Ich mochte die Direktheit, die Derbheit,
aber auch den Humor und die Melancholie. Eigentlich blöde
47
Gründe, um Slawistik zu studieren (lacht), denn ich hatte
überhaupt keine Beziehung zu dem Land.
Im Vorfeld Ihrer diesjährigen Korea-Reise entstand die Idee
eines mehrwöchigen Tempelaufenthaltes. Warum haben Sie
gerade diesen Ort erwogen?
Ich wurde zum 1. Karlsruher Dramatikerfestival eingeladen
und sollte einen Text zum Thema „Stadt der Zukunft“ einreichen. Ich habe einen Trailer geschrieben, das Science-FictionStück „Karlsruhe 2289: Johnny Kilometà und die Beerdigung
von Gott Faust …“ – die Langfassung ist im Tempel in Korea
entstanden. Ein Tempel ist für mich ein Rückzugsgebiet. Ich
bin eigentlich ziemlich faul, aber wenn ich arbeite, dann arbeite ich akribisch und stundenlang am Stück. „DIE LEIDEN
DES JUNGEN SUPERMARIO …“ ist beispielsweise in drei
Wochen entstanden, und ich habe etwa 6-8 Tage daran geschrieben. Wichtig für mich ist, dass die Idee in mir über sehr
lange Zeit gereift ist, und ich Zeit hatte, mit ihr schwanger
zu sein. Ein Tempel ist ein guter Ort, um sich wegzusperren
und gegen die Langeweile mit Arbeit zu kämpfen. Aber auch,
weil sich damit eine verklärte und zugleich schöne Romantik
verbindet – Mönche, Berge, unbekannte Pflanzen, ein plätschernder Bach, Stille.
Ihre Eltern sind Koreaner, aber Sie sind größtenteils in Deutschland aufgewachsen. Welchen persönlichen Bezug haben Sie
heute zu Korea? Sind Sie in Ihrem künstlerischen Schaffen von
koreanischen Autoren oder Filmschaffenden beeinflusst? Gibt es
Vorbilder?
Ich fahre heute mindestens ein Mal pro Jahr mit meiner Mutter nach Korea, die auch in Berlin lebt. Ein paar Mal war ich
in diesem Theaterbezirk in Seoul. Da sind lauter kleine Theater und junge Menschen, die auf der Straße versuchen, Karten
zu verkaufen. Die Bühnen sind immer klein und im Keller.
Es war alles sehr schön und vielversprechend, die Stücke an
sich dann aber eher enttäuschend. Jede Inszenierung ist eine
Geschichte zwischen Mann und Frau, die sich verlieben, sich
dann hassen und schließlich doch zusammenfinden. Das
unterscheidet sich kaum von den Fernseh-Soaps in Korea, die
ja in ganz Asien sehr beliebt sind, obwohl das alles Billigproduktionen sind, die wenig Inhalt und immer die gleichen
Plot-Strukturen und Dramaturgien haben. Hier beschwere ich
mich ja oft darüber, dass junge Dramatik nicht wahrgenommen wird, aber dort ist junge Dramatik reine Fließbandarbeit.
Zumindest habe ich sie so kennengelernt.
Beim Film ist das anders, da gibt es den Regisseur Park Chanwook3, dessen Filme ich sehr mag, z.B. „I’m a Cyborg, But
That’s OK“, den ich 2006 im Rahmen der Berlinale gesehen
48
habe. Ich finde Fiktion sehr wichtig, mag Illusionstheater und
Illusionsfilm. Da ist stets klar, dass es nicht die wirkliche Welt
ist, es gibt immer Distanz – wenn es Fiktion ist, darf man alles
machen. Sowohl Kusturica als auch Park Chan-wook orientieren sich daran, erzählen aber trotzdem Geschichten, die
mit uns zu tun haben, und das finde ich sehr spannend, weil
es schlau ist und rührend und immer magisch. Beim Theater
und Film finde ich wichtig, dass alles Magie bleibt.
Das Interview führte Dr. Stefanie Grote
Anmerkungen der Redaktion:
2
Mit über 295 Millionen verkauften Spielen ist Super Mario nicht nur
die erfolgreichste Nintendo-Reihe, sondern die bisher erfolgreichste
Videospielreihe überhaupt. Super Mario gilt als bekannteste Videospielfigur der Welt (http://de.wikipedia.org/wiki/Super_Mario).
3
Zum Regisseur Park Chan-wook siehe auch den Beitrag „Park
Chan-wooks Rache-Trilogie im Kontext des modernen Kultfilms“ in
dieser Ausgabe.
Die koreanische Sprache ist auf dem Vormarsch - und das nicht nur in Asien
Von Alexander Stuber
Foto: privat
S
Alexander Stuber hat
in Konstanz und in
Berlin Sprachen studiert. Während seines
Studiums arbeitete er
mehrere Jahre für die
Lokalredaktionen verschiedener Tageszeitungen. Seit 2007 ist
er zudem auch für das
Internetreiseportal
Holidaycheck tätig. Im
vergangenen Jahr lebte
er sieben Monate in
Seoul und arbeitete
zeitweise für das Goethe-Institut und die
Firma CJs World, die
derzeit die Vermarktung der Deutschen
Zentrale für Tourismus (DZT) in Korea
übernimmt.
prachen zu erlernen ist wichtiger
denn je. Viele Menschen sprechen
heutzutage fließend Englisch, und
auch andere Sprachen wie vor allem
Spanisch, Französisch, Italienisch sowie
Chinesisch und Japanisch erfreuen sich
weltweit großer Beliebtheit. Die koreanische Sprache gehört dagegen eher zu den
Exoten, findet in den letzten Jahren jedoch
weltweit immer mehr Anhänger. Die
Motivation für deutsche Koreanisch-Lerner
heißt vor allem Partner und Familie. Doch
es gibt auch andere Gründe.
„Viele unserer Sprachschüler aus Europa
kommen nach Seoul, weil sie über koreanische Freunde oder den Lebenspartner
Interesse an der Sprache gewonnen haben
und etwas Neues ausprobieren möchten“,
weiß Jay Chun, Managerin der KoreanischSprachschule GEOS im Stadtteil Myeongdong, Seoul, zu berichten. Bildung wird
in Korea als äußerst wichtig angesehen,
weshalb jährlich viele Koreaner zum
Studium oder Erlernen einer Fremdsprache
nach Europa oder Amerika kommen. Dort
knüpfen sie nicht nur viele Freundschaften,
sondern gehen auch nicht selten eine Beziehung mit einem ausländischen Partner
ein. In der Regel haben diese ausländischen
Partner zuvor nur wenige Informationen
über Korea, lernen durch ihre Beziehung
jedoch zuvor unbekannte, faszinierende
Aspekte der koreanischen Kultur kennen,
wie beispielsweise die markante und würzige Küche, das Kino mit seinen fesselnden
Filmen oder die gefühlvolle Musik, die sie
dazu veranlassen, mehr über Korea wissen
zu wollen und sich für Sprachkurse zu
entscheiden.
Ein weiterer, vor allem in Deutschland
wichtiger Grund für das KoreanischSprachstudium ist die Familie. So leben
G
KOREA IM ALLTA
Zukunftschance Koreanisch
nämlich heute in Deutschland über 30.000
Koreaner. Da ein Großteil von ihnen bereits
in den 1960er bis 1970er Jahren nach
Deutschland gekommen ist, haben viele
mittlerweile Kinder im Jugend- bzw. Erwachsenenalter. Während größere Gruppen
dieser Koreaner der zweiten Generation als
Kinder die koreanische Sprache nicht oder
nur bruchstückhaft erlernten, sind sie heutzutage, als Erwachsene, umso interessierter
und motivierter, sich die Sprache ihrer
Eltern anzueignen.
Darüber hinaus gibt es aber noch viele
weitere Gründe, warum immer mehr
Menschen aus aller Welt Koreanisch lernen
möchten. In den letzten 20 Jahren hat sich
Südkorea zu einer politisch und wirtschaftlich starken, einflussreichen Nation entwickelt. Auf vielen Gebieten ist Korea mittlerweile auf dem Weg nach oben bzw. bereits
in Spitzenpositionen vertreten. Im Bereich
Sport wurden 1988 die Olympischen Sommerspiele in Seoul ausgerichtet, für 2018
hat man sich soeben die Winterspiele in
Pyeongchang gesichert. Auch die Fußballweltmeisterschaft fand 2002 neben Japan
auch in Korea statt, und diesen Sommer ist
Daegu Ausrichter der Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Zudem wurde auf politischer
und wirtschaftlicher Ebene im vergangenen
Jahr das Freihandelsabkommen mit Europa
geschlossen, und aus der Wirtschaft sind
viele koreanische Konzerne wie Samsung,
LG, Kia und Hyundai kaum noch wegzudenken. Diese Firmen sind zudem weltweit
mit Zweigstellen-Büros vertreten.
All das führt zur steigenden Bedeutung
und Wahrnehmung Koreas in der Weltöffentlichkeit und sorgt dafür, dass vor allem
in Asien die koreanische Sprache immer
wichtiger wird. „Viele unserer asiatischen
Studenten erhoffen sich durch KoreanischSprachkurse bessere Chancen auf dem
49
asiatischen Markt“, so Jay Chun. Diese
Aussage bestätigt eine aktuelle Umfrage
unter den Sprachschülern von GEOS, in
der 30 Prozent den Grund „Business“ für
ihr Sprachstudium angaben. Aber auch
außerhalb Asiens kann man durchaus von
Koreanisch-Kenntnissen profitieren.
So eröffnet zum Beispiel der Gedanke, dass
Korea ein ständig einflussreicher werdendes Mitglied der UN ist, den Kennern der
koreanischen Sprache darüber hinaus große
Zukunftsmöglichkeiten. Während bereits
viele Menschen die UN-Amtssprachen
Englisch, Französisch, Russisch, Chinesisch, Arabisch und Spanisch beherrschen,
sind Personen mit Koreanisch-Kenntnissen
eher selten. Macht man in Korea einen
Sprachkurs, findet man immer wieder Mitschüler – meist Politikstudenten – die sich
diese Tatsache zu Nutzen machen möchten
und deshalb Koreanisch lernen.
Aber nicht nur auf wirtschaftlicher und politischer Ebene hat Korea einiges zu bieten.
Auch kulturell zeigt sich der Tigerstaat von
einer interessanten Seite. So genießen in
ganz Ostasien die koreanischen Musik- und
Filmproduktionen ein sehr hohes Ansehen. Koreanische Musikgruppen, Sänger
und Sängerinnen, Dramas (koreanische
Fernsehserien vergleichbar mit deutschen
Soaps und Telenovelas) sowie qualitativ
hochwertige Filme erfreuen sich großer
Beliebtheit und finden mittlerweile auch in
Europa und den USA einen relativ großen
Absatzmarkt. Dabei begeistern die meist
sehr jungen und hübschen Sängerinnen
und Sänger nicht nur Teenager, sondern
durchaus auch ältere Frauen und Männer
im nichtkoreanischen Ausland.
Des Öfteren sind aber auch direkte kulturelle Verbindungen ausschlaggebend für
den Wunsch, Koreanisch zu erlernen. So ist
zum Beispiel der koreanische Nationalsport
50
Taekwondo [태권도] weltbekannt. Viele
Menschen aus aller Welt praktizieren ihn
bereits seit dem Kindesalter und bekommen irgendwann Lust darauf, auch die dazugehörige Sprache zu erlernen. Dies führt
teilweise sogar zum Koreanisch-Studium
an der Universität und mündet möglicherweise eines Tages in eine große Karriere auf
dem asiatischen Markt. Die Chancen stehen
gut, und das Entwicklungspotenzial Koreas
ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Wer Interesse hat, in die koreanische Sprache einzutauchen, kann dies in Berlin unter
anderem in Sprachkursen am Koreanischen
Kulturzentrum, im Rahmen des Studiengangs Koreastudien der Freien Universität
Berlin oder an den so genannten HangeulHakgyos [한글학교]1 tun. In Seoul bieten
koreanische Universitäten (zu bestimmten
Zeiten des Jahres) sowie die Sprachschule GEOS (wöchentlich – das ganze Jahr)
(http://www.geoskorea.co.kr/) Intensivsprachkurse (jeweils mit Unterkunftsmöglichkeiten) an.
1
Hangeul-Hakgyo: Diese Einrichtungen in
privater Trägerschaft richten sich an Lerner im
Kinder- und Jugendalter. Dabei handelt es sich
fast ausschließlich um die Kinder in Deutschland
lebender Koreaner. Diese kommen gewöhnlich
einmal in der Woche zusammen, um in einem
mehrstündigen Koreanisch-Kurs die Sprache
ihrer Eltern zu erlernen (Anm. d. Red.).
Im Krankenhaus/ in der Apotheke
병원에서/ 약국에서
[Byeongwon-eseo/ Yakguk-eseo]
머리/배/이가 아파요. Ich habe Kopf-/Bauch-/ Zahnschmerzen.
[Meori/bae/i-ga apayo]
손을/다리를 다쳤어요. Ich habe mir die Hand/ das Bein
verletzt.
[Son-eul/dari-reul dachyeosseoyo]
감기에 걸렸어요. Ich bin erkältet.
[Gamgi-e geollyeosseoyo]
열이 나요. Ich habe Fieber. [Yeor-i nayo]
기침이 나요. Ich habe Husten. [Gichim-i nayo]
콧물이 나요. Die Nase läuft. [Konmur-i nayo]
코가 막혀요. Meine Nase ist verstopft.
[Ko-ga makhyeoyo]
재채기가 나요. Ich muss niesen. [Jaechaegi-ga nayo]
목이 부었어요. Mein Hals ist angeschwollen.
[Mog-i bueosseoyo]
어지러워요. Mir ist schwindlig. [Eojireowoyo]
소화가 안 돼요. Ich habe Verdauungsbeschwerden.
[Sohwaga an dwaeyo]
설사를 해요. Ich habe Durchfall.
[Seolsareul haeyo]
배탈이 났어요. Ich habe Magenbeschwerden.
[Baetari nasseoyo]
피가 나요. Es blutet. [Piga nayo]
화상을 입었어요. Ich habe mich verbrannt.
[Hwasang-eul ibeosseoyo]
Körperteile
신체 부위 [sinche buwi]
머리 [meori] der Kopf
눈 [nun] das Auge
코 [ko] die Nase
입 [ip] der Mund
귀 [gwi] das Ohr
목 [mok] der Hals
어깨 [eokkae]die Schulter
가슴 [gaseum] die Brust
허리 [heori] die Taille
등 [deung] der Rücken
배 [bae] der Bauch
팔 [pal] der Arm
손 [son]die Hand
손가락 [songarak] der Finger
다리 [dari] das Bein
무릎 [mureup] das Knie
발목 [balmok] der Fußknöchel
발 [bal] der Fuß
발가락[balgarak] die Zehe
G
KOREA IM ALLTA
Koreanischer Sprachführer
Krankenhaus
병원 [byeongwon]
내과 [naegwa] Innere Medizin
외과 [oegwa] Chirurgie
치과 [chigwa] Zahnarztpraxis
정형외과 [jeonghyeong oegwa] Orthopädie
안과 [angwa] Augenklinik
정신과 [jeongsingwa] Psychiatrie
이비인후과 [ibiin hugwa] HNO
피부과 [pibugwa] Hautklinik
산부인과 [sanbuingwa] Gynäkologe
소아과 [soagwa] Kinderklinik
숨을 못 쉬겠어요. Ich bekomme keine Luft mehr.
[Sum-eul mot swigesseoyo]
토할 거 같아요. Ich fühle mich, als müsste ich mich
erbrechen. [Tohal-geo gatayo]
속이 메스꺼워요. Mir ist übel.
[Sog-i meseukkeowoyo]
51
G
KOREA IM ALLTA
Rezept
Bibimbap (비빔밥)
Das koreanische Reisgericht Bibimbap1 gibt es in unzähligen Varianten. Hier stellen wir Ihnen eine davon zum Nachkochen vor.
Zutaten:
Foto: Toric Photo
2 Tassen Reis
2½ Tassen kaltes Wasser
½ Pfund Rinderhack
3 EL klein gehackte Frühlingszwiebeln
½ TL klein gehackter Knoblauch (oder Knoblauchpulver)
½ TL Pfeffer
3 TL pulverisierte Sesamkörner
3 TL Öl
2 EL Sojasauce
2 Tassen fein gehackte Brunnenkresse (Sellerie)
1 Karotte
1 Gurke
2 EL Sojasprossen
2 Eier
1 Birne
Salz und Pfeffer
Chilipaste (고추장, Gochujang)
Zubereitung:
1. Den Reis gründlich waschen und mit 2½ Tassen kaltem Wasser zum Kochen bringen. Wärme reduzieren und 30-40 Min
köcheln lassen. Den Topfdeckel während des Kochens nicht bewegen oder abheben.
2. Brunnenkresse waschen und in 2 cm lange Streifen schneiden. Mit Salz bestreuen und 10 Min. stehen lassen. Entstehendes
Wasser auspressen und Brunnenkresse mit ½ TL Öl kurz anbraten.
3. Gurke waschen (nicht schälen) und in kurze Streifen schneiden. Mit Salz bestreuen und kurz stehen lassen. Entstehendes
Wasser auspressen und Gurke anbraten.
4. Karotte waschen und schälen und in kurze Streifen schneiden. 3 Min. in kochendem Salzwasser garen. Abtropfen lassen.
5. Sojasprossen waschen und in Salzwasser kochen. Abtropfen lassen. Mit 2 EL Sojasauce, 1 klein gehackten Frühlingszwiebel,
½ TL klein gehacktem Knoblauch, 1 TL Öl und pulverisierten Sesamkörnern vermischen und anbraten, bis die Gewürze gut
aufgenommen wurden.
6. Rindfleisch, Frühlingszwiebeln, Knoblauch, Pfeffer, Sesamkörner, Öl und Sojasauce gut durchmischen. Langsam braten, bis
das Fleisch durchgebraten ist, fortwährend umrühren.
7. Eiweiß und Eigelb trennen, getrennt voneinander anbraten und in möglichst schmale Streifen schneiden.
8. Birne schälen und in schmale Streifen schneiden.
9. Die Zutaten auf einzelnen Portionen gekochten Reis anrichten und je nach gewünschtem Schärfegrad etwas Chilipaste hinzugeben. Warm servieren.
맛있게 드세요! Mas-ikke deuseyo! Guten Appetit!
1
Zu Bibimbap siehe auch den Betrag „Die Bibimbap Backpackers“ in der Rubrik „Veranstaltungen Koreanisches Kulturzentrum – Rückblick“ in
dieser Ausgabe.
52
Musik koreanischer Volkstraditionen findet in Deutschland ihre Freunde
Foto: Matthias R. Entreß
Von Matthias R. Entreß
I
m Mai und Juli dieses Jahres gab es für das Berliner
Publikum im Rahmen von zwei Mal zwei Konzerten
die Gelegenheit, die Musik koreanischer Volkstraditionen, zusammengefasst im Begriff Minsok-ak [민속악],
kennenzulernen. Aber es waren auch zwei verschiedene
Vermittlungskonzepte, die sich der Herausforderung
stellten, einem deutschen Publikum eine weitgehend
fremde Musik zu präsentieren und näherzubringen.
Ich selber hatte die Aufgabe, die beiden Programme im
Mai mit einer zehnköpfigen Delegation der Folk Music
Troupe des National Gugak Centers Seoul zu kuratieren.
Die beiden Konzerte im Juli hingegen liefen unter eigener
Regie des National Gugak Centers. Inhaltlich ergänzten
sich die beiden Reihen in idealer Weise, aber aus deren
Programmgestaltung ließen sich andere Einschätzungen
der Musik und andere Erwartungen an ihre Wirkung
herauslesen.
Seit 2004 versuche ich neben meiner Arbeit als Musikkri-
K
RÜCKBLIC
LTUNGEN
NTRUMS VERANSTA
KULTURZE
ANISCHEN
DES KORE
Minsok-ak
tiker, der koreanischen traditionellen Musik in Deutschland und Europa Gehör zu verschaffen. Die Maßstäbe,
die ich dabei anlege, haben sich in dieser Zeit kaum
verändert. Am Anfang stand bei mir die Kritik an der
Darstellung dieser Musik durch koreanische Institutionen selber, deren Stolz auf den Reichtum des musikalischen Erbes mit einem weitgehenden Unverständnis
für das Interesse und die Aufnahmebereitschaft des
deutschen Publikums einherging: In revueartigen Musikbeispielprogrammen, in denen in 70 Minuten die ganze
Fülle, von Gagok [가곡] bis Samulnori [사물놀이], also
von Musik höchster Verfeinerung bis zu ekstatischer
Trommelmusik, abgearbeitet wird, kann ein ernsthaft an
Musik interessiertes Publikum keinen Gewinn erkennen.
Zu Recht hat sich dafür der abfällige Begriff der „Touristischen Konzerte“ verbreitet. Sie halten das Publikum
im Stadium des blutigen Anfängers und schaffen eine
Distanz, die sicher nie das Ziel dieser Konzerte war. Vor
den Kopf gestoßen fühlten sich die Hörer auch durch die
gedankenlose Mischung von traditionellen und mo-
53
Foto: privat
Matthias R. Entreß,
geb.1957 in Hamburg,
lebt und arbeitet in
Berlin als freier Autor,
Musikjournalist und
-kurator. Er studierte
Theaterwissenschaft,
Germanistik
und
Kunstgeschichte
an
der FU Berlin, kuratierte 2004 in Berlin
und 2007 in Italien
Festivals mit koreanischer Musik und initiierte 2005 die ersten
deutschen Übersetzungen von Pansori
[판소리, epische Gesänge], an denen er
auch
mitarbeitete.
Musikjournalistische
Schwerpunkte
sind
Neue Musik und Außereuropäische Musik.
dernisierten Formen, sowie durch eine allgegenwärtige, den Klang verwischende und
verzerrende elektrische Verstärkung – eine Respektlosigkeit gegenüber Menschen, die erleben
möchten, wie die Musik wirklich klingt, wie
auch gegenüber der Tradition, denn noch vor
100 Jahren gab es keine Verstärkeranlagen. Es
braucht sie auch heute nicht. Mit einer Haltung,
die Gehör, Hirn und Urteilsvermögen der Zuschauer so unterschätzt, kann kaum eine weiterführende Bekanntschaft erworben werden. Des
Weiteren sprach aus solchen Programmen eine
Unterschätzung der Schönheit und Tiefe der
eigenen Musik – das Gespenst der Unvermittelbarkeit schreckt jeden koreanischen Manager.
Aber diese Musik ist nicht unvermittelbar!
Mein „Rezept“ ist ganz unkompliziert. Die
Hörhaltung unseres Publikums findet in den
Konventionen der klassischen Konzerte ihre
Erfüllung. Es werden dort in guten Sälen ganze
Werke in authentischer Klanggestalt gespielt.
An einem Streichquartettabend z.B. hört man
drei Werke gleicher Besetzung, die, oft durch
epochenübergreifende Aspekte miteinander
verbunden, gemeinsam ein stimmiges Programm ergeben. Nichts anderes wünsche ich für
die koreanische Musik. Während die „Touristenkonzerte“ ernste Hörer abstoßen, wende
ich mich an Hörer, die keine Angst vor dem
Fremden haben und nach neuen Erfahrungen
suchen: Klassik-, Neue-Musik-, Jazz-Hörer und
natürlich Menschen, die die Tugenden außereuropäischer Kulturen zu schätzen wissen.
Auf Veranlassung des Linden-Museums
Stuttgart, welches eine (später abgesagte)
Ausstellung koreanischer Kunst aus deutschen
Museen plante und „mal etwas Lebhafteres“
wünschte, wollte ich meine Ansprüche diesmal
auf die Musik der Volkstraditionen anwenden.
Damit sich Vorbereitung und Anreise lohnten,
organisierte ich, mit großzügiger Unterstützung
des Kulturzentrums der Botschaft der Republik
Korea, eine Tournee, die auch Hamburg, Berlin
und Köln ansteuerte.
Minsok-ak erstreckt sich von der Bauernmusik
Nong-ak [농악] bis zu den kunstvollen Instrumentalsuiten Sanjo [산조]. Der größere Teil der
Minsok-ak kann nicht „Volksmusik“ im Sinne
geselligen Singens unter den Linden genannt
werden, sondern ist bürgerliche Kunstmusik
54
– als Pendant zur Musik des Hofes und der
aristokratischen Elite.
Ich klammerte also die spektakulären Trommeltänze aus und skizzierte zwei kontrastierende
Programme: ein Ensemblekonzert mit Liedern
verschiedener Provinzen plus der schamanistischen Improvisationsmusik Sinawi, und
ein Kammerkonzert mit Sanjos, Gayageum
Byeongchang [가야금 병창] sowie eine
Szene aus Pansori [판소리], den gesungenen
Romanen Koreas, weil das Programm stilistisch
letztlich im Pansori-Gesang kulminierte. Sanjos
– wörtlich „zerstreute Melodien“ – sind eine
Ende des 19.Jahrhunderts, erst spät in der Joseon-Ära [1392 - 1910] entstandene Form für ein
Soloinstrument plus Trommel, welche Melodien
und Rhythmen der Volksmusik in einfacher,
gleichwohl kunstvoller Weise ordnet. Typisch
für die Musik und den Musikgeschmack Koreas
ist die Beschleunigung von ganz langsam bis
rasch, also von tief nachdenklich bis zu leicht
überfliegend. Die Lust an der Komplikation des
melodischen Verlaufs macht sie zum Kunstereignis ersten Ranges. Gayageum Byeongchang
ist musikalisch damit verwandt, aber die Spielerin singt gleichzeitig – und Pansori ist schließlich, was als musikalische Erzählung dieselben
Elemente nutzt - nicht zu Unrecht wird Sanjo
„instrumentales Pansori“ genannt. So bildete
sich wie von allein ein perfektes Programm.
Doch mein Plan, zwei große Sanjos in den
beiden Konzerthälften mit jeweils einer der vokalen Formen zu kombinieren, drohte daran zu
scheitern, dass die Musiker zu meiner größten
Enttäuschung höchstens Sanjos von mittlerer
Länge im Repertoire hatten, zu kurz fast für
die ungeübten Hörer. Denn ungeübte Hörer –
und Deutschland hat in Bezug auf koreanische
Musik praktisch nur solche – brauchen Zeit, um
ihre musikalische Wahrnehmung zu justieren.
Es braucht Zeit, die fremden Klänge und Strukturen als Musik wahrzunehmen, dann bildet
sich auch Erinnerung. Klar, dass bei mir die
Alarmglocken schrillen und ich diese Tradition
in Gefahr sehe, wenn die Praxis langer Sanjos
verloren geht.
Die Musiker dazu zu bringen, länger als nur
eine Stunde Musik zu spielen, war auch die erhebliche Schwierigkeit beim Ensemblekonzert,
das sich um Sinawi [시나위] drehte. Sinawi ist zwar einerseits
schamanistische Zeremoniemusik, aber andererseits eine auf
viele Gelegenheiten anwendbare Methode zur musikalischen
Begleitung. Die „Lieder verschiedener Provinzen“ – Arbeitslieder, die auf echte Volksmusik zurückgehen, ein Arirang
[아리랑] Medley im Stil der Gyeonggi-Provinz (Gegend
um Seoul) und das südliche Yukjabaegi [육자배기], alle
von Sinawi-artig sich verschlingenden melodischen Girlanden umrankt – bildeten so zusammen mit dem Höhe- und
Ankerpunkt beider Konzerte, dem Sinawi selbst, eine volle
Einheit im Sinne meiner vorher beschriebenen Idee.
Jedoch, ach! Das Sinawi! Ich wünschte eine lange SinawiAufführung von 50 Minuten, nicht nur, um den „Einstieg“ zu
gewährleisten, sondern auch, um das Erlebnis einer unvergleichlichen musikalischen Ekstase zu ermöglichen - aber
angeboten wurden mir 25 Minuten! Sinawi ist eine Musik,
in der sich aus einem tempolosen Beginn beschleunigende Rhythmen, hochexpressive Solos und chaotische, wie
Riesenwellen über die Hörer schwappende Ensemblepassagen schälen, und in der eine konstant steigende Erregung
die Hörer ergreift, wie sie im Westen allenfalls der Free Jazz
kennt. Um jede einzelne Minute musste ich mit dem National
Gugak Center feilschen, und viele Vorschläge zur Abänderung des Programms ablehnen: Warum konnte Pansori nicht
in das Ensemble-Konzert eingefügt werden, wo doch Pansori
und Sinawi so eng verwandt sind? Weil Pansori erzählerisch
(wie Sanjo) ist, die Lieder und Sinawi aber strophisch sind!
Warum akzeptierte ich keinen unbegleiteten Liedteil vor
dem Sinawi? Weil es die Einheitlichkeit des Konzerts und des
Hörens zerstört hätte!
[시조] und Gasas [가사] der Musikpraxis der gelehrten Klasse; wie bei dieser bleibt die Spannung statisch, aber die rauhere Tongebung und der im Vergleich zu Sijo schnellere Rhythmus weist es als volkstümliche Tradition aus. Die Schönheit
von Chun-hee Lees Stimme lag nicht in einer hellen Klarheit,
sondern in ihrem brüchigen Timbre von verletzlicher Sensibilität, in der Erfahrung und Weisheit mitschwang. In den
beiden recht ähnlichen Konzerten wurde dieser vermeintlich
armen Musik nicht der Raum gewährt, in welchem sich ihre
Fremdheit zu Vertrautheit und faszinierender Rätselhaftigkeit
hätte wandeln können, sondern sie war in eine Folge lose
verwandter, durchaus gewichtiger Musikformen wie instrumental begleiteter Minyos (민요, Lieder) und Kurz-Sanjos
eingebunden. Hier wurde ein wissenschaftlich fundiertes Potpourri gegeben, ein musealer Einblick in die Geschichte; aber
im Vorübereilen der verschiedenen Formen und Stile blieb
das ästhetische Erlebnis auf der Strecke. Im ersten Konzert
im Koreanischen Kulturzentrum gelang dabei immerhin eine
elegant fließende Abfolge der Stücke, und die Hörer konnten
sich glücklich schätzen, mit ihren eigenen Ohren hören zu
dürfen. Welch interessante harmonische Reibungen ergaben
sich zwischen Gesangsstimme und Instrumenten! Im zweiten
Konzert im größeren Saal des Dahlemer Museums gebrach es
Chun-hee Lee leider an Mut, ohne Lautsprecher aufzutreten.
Das dumpfe Dröhnen der Stimme trennte sich hier von den
Instrumenten - und wem sollte der künstliche Nachhall nutzen? Dass bei den Ensembleliedern in der Begleitung von nur
drei Instrumenten faszinierende melodische Verschlingungen
von glühender Intensität gelangen, dürfte den meisten Hörern in der Eile des Programms entgangen sein, denn als man
glaubte, „drin“ zu sein – war schon Schluss.
Schließlich spielte das Ensemble das Sinawi in Hamburg
und Köln 33 Minuten, in Berlin und Stuttgart 27 Minuten,
und ein überraschendes Ergebnis war, dass die Zuhörer in
Hamburg und Köln regelrecht auf die Stühle stiegen, der
Jubel nicht enden wollte und die Musiker bestürmt wurden:
„Das war so toll! Wir hätten es noch eine Stunde länger hören
wollen!“, während in Stuttgart und Berlin „bloß“ begeisterter Applaus aufkam. Nach 27 Minuten Sinawi also war man
zwar begeistert, nach 33 Minuten aber süchtig! Die Musiker
erlebten es, auch im Sanjo-Konzert: Die Anstrengung zahlt
sich aus, koreanische Musik ist vermittelbar.
Im Juli wohnte ich, nun als Kritiker, einem nur in Berlin
stattfindenden Gastspiel mit zwei Konzerten einer weiteren, kleineren Delegation des National Gugak Centers mit
der Sängerin Chun-hee Lee bei, die auf die Liedformen der
Gyeonggi-Provinz spezialisiert ist. Die mir vorher unbekannte Liedform Japga [잡가], bei der die Sängerin nur von der
Janggu-Trommel [장구] begleitet wird, ähnelt mit ihrem eng
auf drei Töne begrenzten psalmodierenden Gesang den Sijos
55
Interview mit der Papierpuppenkünstlerin So Hee Kang
Vom 8. bis 29. Juli präsentierte die in Prag lebende koreanische Künstlerin So Hee Kang
ihre Papierpuppen im Koreanischen Kulturzentrum. In typischen Alltagsszenen aus dem
traditionellen Korea beschwört die Künstlerin die Romantik einer noch „heilen Welt“.
Aufgrund der positiven Resonanz der Besucher hat das Koreanische Kulturzentrum einzelne Exponate erworben, die nun in einer Dauerausstellung zu sehen sind.
Fotos: Koreanisches Kulturzentrum
VERANSTALTUNGEN
K
URZENTRUMS - RÜCKBLIC
DES KOREANISCHEN KULT
„Zur Zeit treffen sich die Familienmitglieder nicht
mehr zu Hause, sondern im Internet“
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Papierpuppen herzustellen?
Schon als Kind hat es mir Spaß gemacht, mit den Händen
zu arbeiten und Dinge herzustellen. Zunächst wollte ich
Fashion Design studieren, deshalb habe ich eine Schule für
Modedesign besucht. Aber meine Eltern waren überhaupt
nicht mit meinem Berufswunsch einverstanden, sodass
ich das Studium schließlich abgebrochen habe. Durch die
Papierpuppen, denen ich schöne Kleider anziehen konnte,
habe ich eine Methode gefunden, meinen Traum vom Fashion Design auf Umwegen zu realisieren. Ich beschäftige
mich mit Papierpuppen, seit ich 22 Jahre alt bin.
Anfänglich waren die Papierpuppen lediglich ein Hobby
für mich, aber später sind sie zu einer richtigen Lei56
denschaft geworden. Obwohl die Menschen in meinem
Umfeld dagegen waren und mir mangelnden Realitätssinn
vorwarfen, habe ich mir irgendwann im Seouler Stadtteil
Insa-dong ein eigenes Atelier eingerichtet. Meine erste
Schülerin war eine katholische Nonne, und das erste Werk,
das ich angefertigt habe, hieß „Das Leben“ (삶, Salm); ich
habe es damals in meinem Atelier präsentiert, und es ist
auch in der Ausstellung in Berlin zu sehen. Eines Tages
wurde ich für ein koreanisch-englisches Magazin interviewt. So wurde die Frau des britischen Botschafters auf
mich aufmerksam und kam in meine Werkstatt. Als sie
meine Arbeiten sah, war sie tief berührt. Ich hätte niemals
gedacht, dass ausländische Betrachter die Intention meiner
Kunst verstehen können, aber sie hat mich eines Besseren
belehrt. Sie war lange Zeit meine Schülerin.
Welche Zeit stellen Sie in Ihren Arbeiten dar?
In meinen Arbeiten gehe ich rund 60 Jahre zurück und stelle das
Korea zur Zeit des Koreakriegs (1950 – 53) dar. Ich war noch
ganz klein, habe aber viel von Eltern und Freunden gehört und
mir auch später koreanische Filme über diese Zeit angeschaut. An
einige Dinge kann ich mich noch persönlich erinnern. Obwohl
Korea damals sehr arm war, waren die Menschen sehr warmherzig und haben sogar das Essen miteinander geteilt. In der heutigen
Gesellschaft ist dieses Gefühl der Solidarität leider weitgehend
verlorengegangen.
Inwieweit sind autobiografische Begebenheiten in Ihre Werke eingeflossen?
Man kann sagen, dass ich zu 50 Prozent Ereignisse aus meinem
eigenen Leben und zu 50 Prozent Ereignisse aus dem Leben der
Menschen meiner Nachbarschaft wiedergegeben habe, teilweise
in abgewandelter Form. Um nur einige Beispiele zu nennen: Eine
meiner Arbeiten trägt den Titel „Das Fahrrad des Vaters“. Mein
Vater ist aber überhaupt nicht Fahrrad gefahren, sondern Motorrad. Damals gab es jedoch in den Dörfern gewöhnlich nur ein bis
zwei Motorräder. Weil sie nicht so typisch für die damalige Zeit
sind, habe ich lieber eine Szene mit einem Fahrrad gestaltet.
Es gibt eine andere Arbeit von mir, die heißt „Ggongdari1
schmecken noch besser“. Meine Mutter konnte wirklich meisterhaft Kimbap2 zubereiten. Wenn ich einen Schulausflug machte,
hat sie mir immer eine Portion für den Schuldirektor mitgegeben. Ein anderes Werk, „Weg zum Elternhaus meiner Mutter“
(외가집 가는 길, Oegajip ganeun gil), stellt meine Familie
dar, wie sie zum Elternhaus meiner Mutter geht. Ich war die dritte
Tochter, und wenn man damals nur Töchter hatte, war das nicht
gut angesehen. Als nach mir ein Sohn geboren wurde, waren
meine Eltern sehr glücklich.
Welche Rolle spielten Ihre Eltern für Sie?
Meine Eltern waren natürlich etwas ganz Besonders für mich, wie
für alle Kinder. Besonders stolz war ich auf meinen Vater, denn
am 14. Mai 1970 wurde er für eine seiner Erfindungen mit dem
„Preis des Präsidenten“ ausgezeichnet. Seine Entdeckung war ein
kleines Zubehörteil für Fahrräder - seinerzeit für die Fahrradherstellung in Korea eine sensationelle Neuentwicklung. Leider war
die Erfindung nicht erfolgreich, weil die Bevölkerung nicht das
Geld hatte, sie zu kaufen. Mein Vater war ein großartiger Mensch:
Er hat ein Geschäft geführt, Erfindungen gemacht und vielen
Bedürftigen geholfen.
Die Mutter meines Vaters ist sehr früh gestorben, deswegen hat
er all seine Liebe uns Kindern gegeben. Nachdem ich heiratete,
bin ich aus meinem Elternhaus in ein Apartment umgezogen.
Manchmal konnte es passieren, dass ich aus dem Fenster guckte
und meinen Vater dort unten sitzen sah, wie er eine Zigarette
rauchte und auf mich wartete. Er wollte mich begleiten, falls ich
zum Markt gehe. Unser Verhältnis war außerordentlich gut.
Meine Mutter war eine ausgezeichnete Köchin und konnte viele
verschiedene Gerichte zubereiten. Deshalb bin ich so verwöhnt,
dass ich selbst heute noch Schwierigkeiten habe, im Restaurant zu
essen. Viele Menschen sagen mir, dass ich gut kochen könne, aber
das Essen meiner Mutter ist immer noch das beste!
Sehnen Sie sich manchmal nach der Zeit Ihrer Kindheit zurück?
Manchmal sehne ich mich nach der Zeit meiner Kindheit zurück,
aber selbstverständlich ist es angenehmer, in der heutigen Zeit
zu leben. Ich würde vielleicht sogar dafür zahlen, wenn es die
Möglichkeit gäbe, für eine Woche in die Vergangenheit zu reisen,
aber dann würde ich gern wieder in die Gegenwart zurückkehren.
Denn in meinem früheren Leben würde ich es vielleicht keine
zehn Tage aushalten: Schließlich gab es keine Reiskocher, keine
elektrische Heizung, keine Klimaanlage, kein Internet, keine
Handys. Das Leben war sehr hart. In meinen Arbeiten habe ich
alle Menschen versammelt, die ich vermisse: meine Eltern, meine
Freunde… Wenn ich ein Werk gestalte, ist das für mich so, als
würde ich in eine Zeitmaschine steigen, in die damalige Zeit zurückgehen und alle Menschen treffen, die mir heute fehlen.
Wie empfinden Sie die Veränderungen der traditionellen Familienstrukturen?
Ich finde, dass früher wirklich vieles besser war. Ehepartner
sind heute generell sehr egoistisch und bringen keine Opfer
mehr füreinander. Sie sind sehr selbstzentriert und weigern sich,
Nachwuchs zu bekommen, und wenn sie welchen haben, dann
höchstens ein oder zwei Kinder. So nehmen sie ihren Söhnen oder
Töchtern die Möglichkeit, mit vielen Geschwistern aufzuwachsen
und die emotionale Nähe zu erfahren, die in einer großen Familie
herrscht. Zurzeit treffen sich die Familienmitglieder nicht mehr
zu Hause, sondern im Internet. Viele Kinder machen Videospiele,
anstatt ihre Freunde bei der Hand zu nehmen und draußen zu
spielen.
Früher sind die Familien zusammengekommen, um gemeinsam
zu essen und sich zu unterhalten. Wenn ich mich beim Essen
nicht gut benahm, wurde mir vorgehalten, dass ich keine Etikette
hätte. Ich war sehr mäkelig und habe deshalb viel geweint, denn
ich konnte zum Beispiel keine Lauchzwiebeln essen. Dennoch
war es schön, mit der gesamten Familie zusammenzusitzen. Jetzt
esse ich allein – ein Zustand, den ich wirklich hasse. Mir gefällt es,
wenn mir jemand gegenübersitzt und mich auffordert, von dieser
oder jener Beilage zu probieren.
Heute sind wir zwar materiell reich, aber wir teilen nicht mehr.
Das finde ich sehr traurig. In meinen Werken möchte ich die
Warmherzigkeit und das Mitgefühl, die früher in Korea üblich
waren, noch einmal aufleben lassen. Ich denke, dass die Botschaft
des „Jeong“3 auch von den Besuchern meiner Ausstellung in
Berlin verstanden wird, selbst wenn sie einen unterschiedlichen
kulturellen Hintergrund haben.
Das Interview führte Gesine Stoyke
Ggongdari (꽁다리): die Reste an den Enden der Kimbap-Reisrolle, die
abgeschnitten werden, um der Reisrolle ein schönes Aussehen zu geben.
2 Kimbap (김밥): mit Seetang umwickelte Reisrolle
3 Jeong (정): Gefühl der Zuneigung und Warmherzigkeit - eine Emotion,
die die Koreaner als Teil ihres Volkscharakters ansehen.
1
57
VERANSTALTUNGEN
DES KO
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EN
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LTURZENTRUMS RÜCKBLICK
Die Bibimbap Backpackers
Von Gesine Stoyke
D
ie Bibimbap Backpackers („Bibimbap-Rucksacktouristen“), das sind Kyu-Woon Chung (26), Sang-Kyun
Kang (30), Myeoung-Sik Kim (30), Su-Chan Kim
(25) und Hyun-Jin Park (20) - fünf junge Koreaner, die für
fast zehn Monate aus ihrem Alltagsleben ausgestiegen sind,
um auf einer Reise, die sie auf vier Kontinente und in über
30 Länder führt, für das koreanische Reisgericht Bibimbap (비빔밥) zu werben. In ihrem früheren Leben waren
sie Mitarbeiter der koreanischen Telekom, Bankangestellte,
Armeeangehörige und Universitätsstudenten. Jetzt schnipseln sie Tag für Tag Gemüse und Fleisch in feine Streifen
und ordnen rohe und gekochte Zutaten sorgfältig in kleinen
Schälchen mit Reis an, um Menschen auf der ganzen Welt die
koreanische Esskultur schmackhaft zu machen.
Zunächst waren sie nur zu dritt: Sang-Kyun, der spätere Leiter
des Teams, Myeoung-Sik und Kyo-Woon waren Freunde, die
sich regelmäßig im Café trafen, um über Gott und die Welt zu
philosophieren und kreative Ideen zu entwickeln. Eines ihrer
58
beliebtesten Themen: die Globalisierung, ein Schlagwort, das
auch in Korea zurzeit sehr häufig zu hören ist. Nach angeregten Diskussionen darüber, was der Begriff eigentlich bedeutet,
kamen sie überein, dass damit jedenfalls nicht gemeint sei,
dass alle Menschen gleich werden. „Globalisierung ist kein
Schmelztiegel“, betont Kyo-Woon Chung, eine sympathisch
wirkende Mittzwanzigerin, die bis vor kurzem in einer amerikanischen Bank arbeitete. Vielmehr sollten die Menschen
unterschiedlicher Nationen miteinander kommunizieren und
gegenseitiges Verständnis für die Kultur des jeweils anderen aufbringen. „Korea war sehr gut darin, beispielsweise
die westliche Kultur anzunehmen, aber es war nicht so gut
darin, seine eigene Kultur anderen Nationen vorzustellen.
Die wirkliche Kommunikation besteht jedoch darin, dass
man sich gegenseitig kennenlernt und nicht nur eine Seite die
andere“, sagt sie. Bei Überlegungen, wie man bei Menschen
anderer Nationen Neugier für die koreanische Kultur wecken
könne, wurde das Bibimbap-Projekt geboren. Warum gerade
Foto: Tobias Liefert
Bibimbap? „Es gibt so viele Aspekte der koreanischen Kultur, die
wir natürlich nicht alle vorstellen können. So mussten wir uns
auf einen konzentrieren und entschieden uns für die koreanische
Küche, weil Menschen gewöhnlich neuem Essen gegenüber sehr
aufgeschlossen sind. Dann haben wir überlegt, welches koreanische Gericht wir präsentieren könnten und haben uns auf
Bibimbap geeinigt, denn es schmeckt fast jedem und ist deshalb
ideal, um einen ersten Eindruck von der koreanischen Esskultur
zu erhalten.“ Die Logik dahinter: Wenn die Menschen Bibimbap
mögen, entwickeln sie ein Interesse an der koreanischen Küche
und dadurch vielleicht auch ein Interesse an der koreanischen
Kultur.
Ausgehend von dieser Idee machten sich die Freunde daran, die
Gruppe für eine Reise zusammenzustellen, die sie von April bis
Dezember dieses Jahres von Asien nach Europa, von Nord- nach
Südamerika führen sollte. Als die fünf Koreaner Anfang Juli in
Berlin ankamen, hatten sie bereits in China, Thailand, Indien,
Schweden, Spanien, Frankreich und Großbritannien Station
gemacht und in Deutschland auch die Hansestadt Hamburg
besucht. Nach Berlin sollte es weitergehen nach Prag, Wien und
Rom in Europa, Seattle, San Francisco, Los Angeles, New York,
Boston und Washington D.C. in den USA, Vancouver in Kanada
und nach Brasilien, Argentinien, Bolivien, Peru und vielleicht
noch ein paar weitere Länder in Südamerika.
Am Abend des 7. Juli 2011 bauten die Bibimbap Backpackers
ihre mobile Küche in der Galerie Korea des Koreanischen
Kulturzentrums auf und bewirteten die Gäste einer Vernissage
kostenlos mit diesem Gericht, serviert in kleinen Pappschalen
mit Einwegstäbchen – fast wie das Essen in einem FastfoodRestaurant. Auf diese Weise konnten sich die Anwesenden
persönlich von den Vorzügen des Gerichts überzeugen, denn
„das Großartige an Bibimbap ist, dass die Auswahl der Zutaten
variabel ist und dem individuellen Geschmack unterschiedlicher
Kulturen angepasst werden kann. Während man für andere koreanische Gerichte weitere Schalen mit Reis und Beilagen benötigt,
hat Bibimbap den Vorteil, dass alles, was man für eine gesunde
Ernährung braucht, in einer Schüssel enthalten ist: gewöhnlich
Rindfleisch, Eier, frisches Gemüse, Kräuter und Reis mit einem
Schuss Chilipaste. Deshalb finden wir, dass Bibimbap ideal für
Menschen in unserer modernen Zeit ist, die sonst kaum Zeit
finden, sich ausgewogen zu ernähren“, so Kyo-Woon Chung. In
Berlin ging das Rezept jedenfalls auf: Zwei Gäste konnten sich
sogar durchaus vorstellen, dass eine Fastfood-Kette, die Bibimbap anbietet, in Deutschland Erfolg haben könnte.
Der finanzielle und organisatorische Aufwand für das Projekt ist nicht zu unterschätzen. Wie gelingt es den fünf jungen
Menschen, das alles allein auf die Beine zu stellen? Zwei Drittel
der Kosten bestreiten die Bibmbap Backpackers aus eigenen
Ersparnissen, ein Drittel übernimmt die koreanische Regierung.
Eine Unterabteilung des koreanischen Landwirtschaftsministeriums und ein koreanischer Lebensmittelkonzern stellen Zutaten
wie Gochujang (고추장, Chilipaste), Sesamöl, Reis usw. zur
Verfügung. Die koreanischen Kulturzentren vor Ort nehmen die
Lebensmittellieferungen aus Korea entgegen und kommen auch
für die Zölle auf. Manchmal erhält das Team an den jeweiligen
Destinationen Unterstützung von dort lebenden Koreanern,
die ihm billige Unterkünfte besorgen oder Schlafmöglichkeiten
zur Verfügung stellen. Um Geld zu sparen, hat sich die Gruppe
für ihre Rundreise in Europa einen Mietwagen genommen und
übernachtet meist in Jugendherbergen oder preiswerten Hotels.
Wenn die fünf Freunde in ein neues Land oder eine neue Stadt
kommen, lassen sie es sich nicht nehmen, mindestens einmal ein
einheimisches Restaurant zu besuchen, um die lokalen Spezialitäten kennenzulernen. „Da die Restaurantbesuche in Europa
aber so teuer sind, bestellt jeder von uns ein anderes Gericht,
und wir lassen die anderen dann probieren“, erzählt Kyo-Woon
Chung.
Gewöhnlich halten sich die Bibimbap Backpackers ein bis zwei
Wochen in den einzelnen Ländern auf, um geeignete Orte für ihr
Anliegen zu finden, lokale Märkte aufzusuchen und die frischen
Zutaten zu kaufen. Vor ihrer Ankunft in einer Stadt kontaktieren sie zunächst die koreanische Gemeinschaft und bitten sie
um Mithilfe. Manchmal sind die Landsleute in der Lage, ihnen
einen geeigneten Platz für ihren Stand zu organisieren, manchmal muss die Gruppe selbst danach suchen. Bei der Hälfte ihrer
Aktionen werden die fünf Volontäre von Organisationen und
Vereinen unterstützt, bei der andere Hälfte begeben sie sich einfach auf die Straße zu einer Touristenattraktion und teilen unter
den Passanten ihr kostenloses Essen aus.
Dazu befragt, welche Begebenheit auf ihrer Reise ihr bislang am
nachhaltigsten in Erinnerung geblieben sei, berichtet Kyo-Woon
Chung: „In Thailand besuchten wir ein sehr armes Dorf und
boten Erwachsenen und Kindern Bibimbap an. In thailändischen
Städten kennen die Menschen Korea, nicht aber in den verarmten Regionen auf dem Lande. Die Bevölkerung dort hat nicht
einmal gehört, dass ein Land namens Korea existiert. Als wir
die Dankbarkeit der Menschen sahen, waren wir froh, dass wir
die ersten waren, die dort die koreanische Esskultur vorstellen
konnten. Das war ein sehr bewegender Moment für uns.“ Überrascht sei die Gruppe über die Aufgeschlossenheit der Europäer
gewesen, sich auf die koreanische Küche einzulassen, denn gerade in Europa habe sie eher mit Zurückhaltung gegenüber dem
fremdartigen Essen gerechnet. „Wo immer wir unseren Stand errichteten, war das Publikum sehr interessiert und wollte kosten.
Einige sind sogar zum zweiten Mal gekommen, um sich einen
Nachschlag zu holen. Manche meinten aber auch, dass ihnen das
Essen zu scharf sei.“ In Indien mussten die Bibimbap Backpackers die Zutaten leicht variieren, da Hindus kein Rindfleisch
essen und Muslime kein Schweinefleisch. Darüber hinaus waren
noch die Veganer zu berücksichtigen, die den Konsum jeglicher
tierischer Produkte wie Eier ablehnen. So servierten sie in Indien
eine vegane Variante des Gerichts, bei der sie das Fleisch wegließen und die Eier durch gelbe Paprikastreifen ersetzten. „Gerade
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in Indien hatten viele Menschen aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen Bedenken, unser Angebot zu probieren. Die Inder
achten sehr bewusst darauf, was sie essen.“
Das Team plant, in der ersten Dezemberwoche zurück in Korea
zu sein. Was danach kommt, weiß Kyo-Woon Chung noch
nicht, aber eins ist sicher: dass die Gruppe ihre Reiserlebnisse auf irgendeine Weise aufbereiten wird. So könnte sie sich
vorstellen, entweder ein Buch darüber zu schreiben oder einen
Dokumentarfilm zusammenzustellen. Auch würden die Bibimbap Backpackers gern eine neue Gruppe Freiwilliger auf den
Weg schicken, die ihr Projekt fortführt und im Rahmen einer
Weltreise ebenfalls einen Aspekt der koreanischen Kultur präsentiert. „Das muss ja nicht unbedingt wieder Bibimbap sein“, sagt
die ehemalige Bankangestellte. Gern würden die fünf Koreaner
ihren Nachfolgern hilfreich zur Seite stehen und ihr gesammeltes
Know-how an sie weitergeben. Einige Teammitglieder könnten
sich sogar vorstellen, mit der zweiten Gruppe noch einmal um
die Welt zu reisen.
Bis die Freunde sich jedoch ernsthaft Gedanken darüber machen
müssen, wie ihr Leben in Korea weitergeht, warten auf sie noch
viele spannende Erlebnisse und Unmengen Gemüse, Chilipaste
und Reis, die zu Bibimbap verarbeitet werden wollen.
Von Esther Klung
Fotos: Hyun Myung Jang
VERANSTALTUNGEN
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LTURZENTRUMS RÜCKBLICK
Erste deutsche K-Pop-Nacht
Foto: privat
Esther Klung lebt in Berlin und beschäftigt sich seit 2007 mit der Kultur und Popkultur Südkoreas.
Das anfängliche Hobby ist zu einer lebensfüllenden Leidenschaft geworden: Seit Juni 2010 gibt sie das
Onlinemagazin „K-Colors Of Korea“ (www.k-magazin.com) heraus. Darin geht es um koreanische
Kultur und Popkultur.
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B
einahe unbemerkt steigt seit einiger Zeit die Zahl der
deutschen K-Pop-Fans – der Fans koreanischer Popmusik - stetig an. Obwohl sie nicht so laut und auffällig sind
wie zum Beispiel Fans in Frankreich, die regelmäßig Flashmobs1
veranstalten, vernetzen sie sich untereinander immer besser. Viele
kennen sich aus den wenigen deutschen Foren, die es gibt, einige
davon seit Jahren. Einige pflegen auch privat Kontakt miteinander, treffen sich regelmäßig und veranstalten größere Treffen, zu
denen Fans aus allen Teilen Deutschlands, Österreich und der
Schweiz anreisen. Das erste wirklich große Event, das K-Pop-Fans
von überall her anlockte, fand am 20. August im Koreanischen
Kulturzentrum in Berlin statt. Die erste deutsche K-Pop-Nacht
war die Antwort auf den Wunsch der Fangemeinde, koreanische
Musik auch hierzulande populärer zu machen. Fast 400 Fans
hatten sich angemeldet, doch aufgrund der begrenzten Räumlichkeiten schafften es nur 170 auf die Gästeliste. Viele reisten für
diesen einen Abend an, nahmen Strecken von mehreren hundert
Kilometern in Kauf. Geboten wurde ihnen einiges. Die größten
K-Pop-Hits waren auf der großen Leinwand zu sehen, bei einem
Quiz gab es CDs und Poster zu gewinnen, und wer mutig war,
griff später beim Karaoke zum Mikro. Applaus bekam jeder, egal
ob Koreaner, von denen einige an diesem Abend anwesend waren,
oder Deutsche, die bewiesen, dass Musikhören nicht nur passiv
ist, sondern auch zum Erwerb einer Sprache beitragen kann. Die
meisten Fans können Hangeul [한글, die koreanische Schrift]
lesen, und viele von ihnen besuchen später Sprachkurse, um
irgendwann einmal nach Korea gehen zu können.
Durch die K-Pop-Nacht führte ein junges Team - selbst K-Pop
Fans, die mit Liebe zum Detail vorgingen. So gab es Aufsteller
mit den Gesichtern von Idols (koreanische Popstars), die auf das
Programm hinwiesen, für Karaoke und das Quiz warben. Um
den Verkauf von Alkohol zu regeln, gab es für Minderjährige
Getränkemarken, auf denen die Gesichter ihrer Stars abgebildet
waren. Diese kamen so gut an, dass sich manch Erwachsener
Einige Teilnehmer/innen der ersten deutschen K-Pop-Nacht
wünschte, er wäre noch einmal 16. Am Ende entschieden sich
viele Jugendliche gegen alkoholische Getränke, um diese Marken
behalten zu können.
Zwei Höhepunkte brachte der Abend mit dem Auftritt einer
Berliner Coverbandgruppe, die ein Remix, unter anderem mit
Liedern von Super Junior (seit 2005 aktive 15-köpfige Boygroup),
2NE1 (vierköpfige Girlgroup, siehe letzte Ausgabe unseres Magazins) und Teen Top (Boygroup, die vor allem für ihre synchrone
Choreographie bekannt ist), zum Besten gaben und der Videobotschaft von JYJ (dreiköpfige koreanische Boygroup), die versprachen, bald ein Konzert in Europa zu geben. Diese Botschaft sorgte
für einige Aufregung und war eine Entschädigung für die Minderjährigen, für die die K-Pop-Nacht früher endete, die jedoch dafür
ein Poster mit nach Hause nehmen durften.
Für alle anderen endete der Abend kurz nach Mitternacht, bis
dahin wurde gefeiert, getanzt, man unterhielt sich und machte
gemeinsame Fotos. So fanden sich Fans, die T-Shirts der gleichen
Band trugen, und so stellte sich heraus, dass zwei Block-B-Fans
(Fans einer am Hip-Hop orientierten koreanischen Boygroup)
sogar aus Italien angereist waren.
Am Ende waren sich alle einig: Die erste deutsche K-Pop-Nacht
war ein Erfolg und sollte wiederholt werden. Der Zusammenhalt
der Fans wurde gestärkt und zukünftige Pläne geschmiedet, um
zu zeigen, wie beliebt K-Pop in Deutschland bereits ist und wie
groß das Potenzial für die Zukunft. Als ein Zeichen unterschrieb
der Großteil der Anwesenden ein großes Stoffbanner mit Nachrichten an ihre Idole, das nach Korea geschickt wird.
Obwohl die K-Pop-Nacht nun schon eine Weile zurückliegt,
klingt sie noch nach. Die nächste ist in Planung, und insgeheim
hoffen die Fans, dass sie irgendwann nicht nur ihre Stars feiern,
sondern mit ihnen feiern können.
1
Flashmob für K-Pop: spontan wirkendes Zusammentreffen von Fans, um
z.B. durch Tanzen auf K-Pop aufmerksam zu machen.
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VERANSTALTUNG
EN
DES KOREANISCH
EN
K
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LT
U
RZ
EN
TRUMS - VORSCH
AU
Kurse
Veranstaltungsort für alle Kurse:
Koreanisches Kulturzentrum
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin
(ab 17.00 Uhr Eingang über
Erna-Berger-Str. 1)
Kontakt: Tel. 030/ 26952-0
Musikkurse
Gayageum (가야금, zwölfsaitige
Zither) für Fortgeschrittene
Dozentin: Frau Kim
Montag, 16.30-18.00 Uhr
Zeit: 10.10.-05.12.11
Derzeit ist ein Neueinstieg in den
Kurs nicht möglich, da alle Plätze
belegt sind.
Kursgebühr: 30,00 Euro pro
Quartal
Kurs für Danso (단소, kleine
Bambusflöte) und Daegeum (대
금, große Bambusflöte)
Dozent: Herr Hong Yoo
Zeit: 11.10.-06.12.11
Dienstag, 19.00-20.30 Uhr
Ein Einstieg in den Kurs ist jederzeit möglich.
Kursgebühr: 30,00 Euro pro
Quartal
Die Instrumente können im Koreanischen Kulturzentrum käuflich
erworben werden.
Danso: 5,00 Euro (aus Kunststoff)
Daegeum: ca. 15,00 Euro
Kalligrafie-Kurs
Dozent: Zen-Meister Byong Oh
Sunim
Mittwoch, 18.00-20.00 Uhr
Ein Einstieg in den Kurs ist jederzeit möglich.
Kursgebühr: 30,00 Euro pro Monat;
bei Teilnehmern, die sich für eine
dreimonatige Teilnahme am Kurs
entscheiden, reduziert sich die
Kursgebühr für drei Monate auf
80,00 Euro.
Sprachkurse Koreanisch
Grundstufe 1A (Absoluter Anfängerkurs)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Freitag, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 14.10.-16.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A
Grundstufe 1B (2. Quartal)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Montag, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 10.10.-12.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 1B
Grundstufe 1A (3. Quartal)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Dienstag, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 11.10.-13.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A
Grundstufe 1B (3. Quartal)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Mittwoch, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 12.10.-14.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 1B
Grundstufe 1B (1. Quartal)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Donnerstag, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 13.10.-15.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 1B
Grundstufe 2A (2. Quartal)
Dozentin: Frau Hyunjung Kim
Donnerstag, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 13.10.-15.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 2A
Mittelstufe 3A (2. Quartal)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Freitag, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 14.10.-16.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 3A
Grundstufe 1A (2. Quartal)
Dozentin: Frau Paek-Un Chong
Dienstag, 17.30-20.00 Uhr
Zeit: 10.10.-12.12.11
Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A
Gebühr für alle Sprachkurse: 40,00 Euro
pro Quartal
Mindestteilnehmerzahl für die einzelnen
Kurse: 6
Anmeldung direkt bei den Kursleiterinnen
per E-Mail vor Kursbeginn
Weitere Informationen zu den Kursen
erfragen Sie bitte per E-Mail bei Frau
Kim (hj_kim@web.de) bzw. Frau Chong
(paekun@gmx.de).
Die Lehrbücher können die Kursteilnehmer
bei www.koreanbook.de oder www.seoulselection.com erwerben.
Koreanisches Yoga
Dozentin: Seohee Jang
Wochentag
ZeitProgrammSprache
Montag
19.00 – 20.00 Uhr
Figur-Yoga
Mittwoch
18.00 - 19.00 Uhr
Balance-Yoga
19.20 - 20.20 Uhr
Figur-Yoga
Deutsch & Koreanisch
Samstag
Deutsch & Koreanisch
Deutsch & Koreanisch
11.00 - 12.00 Uhr
12.20 - 13.20 Uhr
Balance-Yoga
Figur-Yoga
Programm
1. Balance-Yoga: für jeden geeignet/ Ausbalancierung des Körpers
2. Figur-Yoga: figurformend/ Stärkung der Muskulatur
Kursgebühr
1 Mal/ Woche
2 Mal/ Woche
3 Mal/ Woche
1 Monat
20,00 Euro
30,00 Euro
40,00 Euro
3 Monate
50,00 Euro
70,00 Euro
90,00 Euro
Der Einstieg in alle Kurse ist jederzeit möglich.
Mitzubringen: eine Yogamatte und bequeme Kleidung
Kontakt: Tel. 030/7680-4759 (Seohee Jang)
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Deutsch & Koreanisch
Deutsch & Koreanisch
Ausstellungen
Koreanisches Kulturzentrum
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin
change/exchange (만남)
Vernissage: Donnerstag, 29.09.11 um 19.00 Uhr
Ausstellung: 30.09. - 10.10.11
Ein Deutsch-Koreanisches Ausstellungsprojekt zwischen dem Verein
Berliner Künstler und dem koreanischen Künstlerverein Yang Pyeong unter der Schirmherrschaft von Hartmut Koschyk, MdB und Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft
e.V.
후원: 하르트뭍 코식, 독한 협회 회장
Gerda Berger • Chang Dae Il • Conrad Brockstedt • Hwang Saerobom • Marianne Gielen •
Keum Dong Won • Claudia Hartwig • Kim Dong Hee • Sibylle Hoessler • Kim Ho Soon •
Ralf Kleine • Kim Sung Il • Susanne Knaack • Kim Yoon Soon • Matthias Koeppel • Ko Bong
Ok • Vera Krickhahn • Lee Bong Im • Ina Lindemann • Lee Hwa Jin • Louis • Lee Jeong Soo
• Siegrid Müller-Holtz • Lee Young Hee • Helga Ntephe • Mo Jee Sun • Michael Otto • Park
Gyeong In • Frank Rödel • Ryu Min Ja • Inge H. Schmidt • Yoo Young Nam • Sabine Schneider • Yoon Hyun Kyung • Ursula Schwirtzer • Evelyn Sommerhoff • SOOKI
Unser schönes Hangeul (아름다운 우리 한글전)
Kalligrafieausstellung
Vernissage: Donnerstag, 12.10.11 um 18.00 Uhr
Ausstellung: 13.10. - 04.11.11
Veranstalter: Koreanisches Kulturzentrum, Korea Calligraphy Association
Workshops: Kalligrafie und Darstellung von Sagunja (,,Vier anmutige
Blumen”) Mittwoch, 12.10.11 um 13.00 Uhr
Muninhwa (Malerei) Mittwoch, 12.10.11 um 18.00 Uhr
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Ah! Dokdo VI
Lee Jeong Jae Einzelausstellung
Malerei und Acrylgravur
Vernissage: Donnerstag, 06.10.11 um 18.00 Uhr
Ausstellung: 07.10. - 22.10.11
Share of Time
Gruppenausstellung
Yeongchan Byeon, Eunyoung Kim, Kwangho Shin, Martin
Fuerbringer, Peter Wendl, Phillip Moll, Andrea Sohler,
Herwig Hoffmann, Birthe Zimmermann, Daniel Bischoff
Vernissage: Freitag, 09.12.11 um 18.00 Uhr
Ausstellung: 10.12. - 29.12.11
Moon Tides - Jeju Island Grannies of the Sea
Fotoausstellung
Ausstellung: 24.10. - 28.10.11
Buchpräsentation: 27.10. um 18.00 Uhr, „Moon Tides - Jeju
Island Grannies of the Sea”
Die Autorin Brenda Sunoo ist bei der Präsentation anwesend.
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Moo Chang Han
Einzelausstellung
Vernissage: Freitag, 09.12.11 um 18.00 Uhr
Ausstellung: 10.12. - 29.12.11
Konzerte, Kino, Sonstiges
Koreanisches Kulturzentrum
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 26952-0
KONZERTE
1. NOVEMBER
Gala-Konzert „Korea meets Classic“ 2011
Kammermusiksaal, Berliner Philharmonie
Zeit: 20.00 Uhr
10. NOVEMBER
Mi-kyung Kim
Gayageum (koreanische Wölbbrettzither) und
Streichquartett
Koreanisches Kulturzentrum
Zeit: 19.00 Uhr
SONSTIGES
18. OKTOBER
Lesung
Yi Munyol: Der Dichter (Suhrkamp 2010)
Choi Seung-Ho: Autobiographie aus Eis. Gedichte (Wallstein 2011)
Bae Su-Ahn Sonntag: Sukiyaki-Restaurant
3. DEZEMBER
Hyundai Music Prizes
Audition (Probespiel)
Koreanisches Kulturzentrum
Die Uhrzeit entnehmen Sie bitte der Interseite
des Koreanischen Kulturzentrums
(www.kulturkorea.de)
Änderungen vorbehalten
8. DEZEMBER
Hyundai Music Prizes
Preisverleihung und Preisträgerkonzert
Koreanisches Kulturzentrum
Zeit: 19.00 Uhr
Änderungen vorbehalten
KINO
26. OKTOBER
Guns and Talks (킬러들의 수다, Killerdeuri suda)
Republik Korea 2001, Actionkomödie
Regie: Jang Jin
Länge: 121 Minuten
Koreanisch mit englischen Untertiteln
Zeit: 19.00 Uhr
Jang Jins Film über vier philosophierende Auftragskiller gehörte in Korea
zu den erfolgreichsten cineastischen Produktionen des Jahres 2001.
Bereits der koreanische Titel (Killerdeurui suda/wörtl. Übers.: „Das Geplauder der Killer“) lässt vermuten, dass es sich hierbei um eine abgewandelte Version des altbekannten Killer-Genres handelt.
Die Kaltherzigkeit des „Jobs“ und die allzu menschlichen Schwächen der
Vierergruppe stehen im selbstironischen Widerspruch lässt immer wieder
Raum für aberwitzige Situationen.
30. NOVEMBER
Righteous Ties (거룩한 계보, Georukhan Gyebo)
Republik Korea 2006, Drama/ Komödie
Regie: Jang Jin
Länge: 126 Minuten
Koreanisch mit englischen Untertiteln
Zeit: 19.00 Uhr
Um seinen Boss zu decken, geht der Gangster Chi-sung Dong an dessen
Stelle ins Gefängnis. Doch seine Loyalität wird nicht erwidert: Im Auftrag
des eigenen Chefs soll er innerhalb der Knastmauern ermordet werden.
Chi-sung Dong plant daraufhin seinen Ausbruch und seine Rache.
Die Männerfreundschaft, die in Korea so gern beschworen und in zahlreichen Filmen ins Heroische hochstilisiert wird, ist einmal mehr tragendes
Element einer Geschichte. Es geht um Treue, Aufopferung und Verrat.
Wobei Dramatik und Slapstick in einer überraschenden Mischung aufeinandertreffen.
28. DEZEMBER
A Day With My Son (아들, Adeul)
Republik Korea 2007, Familiendrama
Regie: Jang Jin
Länge: 109 Minuten
Koreanisch mit englischen Untertiteln
Zeit: 19.00 Uhr
Jang Jin fokussiert seine Vorliebe für ungewöhnliche Persönlichkeiten und
deren Beziehungen auf das besondere Verhältnis zwischen Vater und
Sohn. Die Situation, in der sich beide befinden, dramatisiert diese
Verbindung auf drastische Weise.
Kang-sik Lee, der Vater, ist ein verurteilter Mörder, der nach 15 Jahren
Haft zum ersten Mal die Gelegenheit erhält, seinen Sohn zu treffen. Dafür
wird ihm ein Tag in Freiheit gewährt.
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23. OKTOBER
Siegburg
Chorgemeinschaft Germania
mit dem Koreanischen Frauenchor Köln
Zeit: 17.00 Uhr
Ort: Rhein-Sieg-Halle
Bachstr. 1, 53721 Siegburg
Ticket-Hotline: Tel. 02241/
23919319
17. OKTOBER
Detmold
Soloabend Konzertexamen:
Jieun Cho (Violine)
Klasse Prof. Thomas Christian
Zeit: 19.30 Uhr
Ort: Konzerthaus der Hochschule für Musik Detmold
Mozartstr. 17, 32756 Detmold
Eintritt: EUR 7,50 (Studierende
und Schüler frei)
28. OKTOBER
Kassel
Eröffnungskonzert der Kassler
Musiktage: Hyeyoon Park
(Violine)
Zeit: 19.00 Uhr
Ort: Kongress Palais - Stadthalle, Festsaal, Holger-BörnerPlatz 1,34119 Kassel
Eintritt: EUR 15-35
Ticket-Hotline: Tel. 05613164500
22. OKTOBER
München
Liszt-Festival
Mit Sojin Kim (Klavier)
Zeit: 15.00 Uhr
Ort: Gasteig – kleiner Konzertsaal, Rosenheimer Str. 5
81667 München
Eintritt: EUR 18,00
München Ticket GmbH: Tel.
0180/ 54 81 81 81
Kontakt: Tel. 030/2612399
Zeit: bis 10.10.11
Ort: Koreanisches Kulturzentrum
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin
Kontakt: Tel. 030/26952124
SONSTIGES
13. OKTOBER
Detmold
Künstlerische Diplomprüfung:
Sumi Lee (Klavier)
Klasse Prof. Bob Versteegh
Zeit: 19.30 Uhr
Ort: Konzerthaus der Hochschule für Musik Detmold
Mozartstr. 17, 32756 Detmold
Eintritt frei
KUNST
MUSIK
BUNDESWEITE VE
RANSTALTUNGEN
OKTOBER
22. OKTOBER
Berlin
Vortrag: Der Komponist
Isang Yun – Koordinaten und
Kontexte
Vortrag 2 der Reihe „Korea
lesen“
Walter-Wolfgang Sparrer, Berlin
Mit N. N. (Flöte)
Zeit: 17.00 Uhr
Ort: Yun-Haus, Sakrower
Kirchweg 47, 14089 Berlin
Bis 09./10. OKTOBER
Berlin
Ausstellung
change/exchange (만남)
Teilung und Verbindung
Zeit: bis 09.10.11
Ort: Galerie Verein Berliner
Künstler
Schöneberger Ufer 57, 10785
Berlin
MUSIK
NOVEMBER
66
1. NOVEMBER
München
Prüfungskonzert Meisterklasse
Gitarre
Mit Mi-Yae Hwang (Klasse
Matthias Kläger)
Zeit: 18.00 Uhr
Ort: Arcisstraße, Großer Konzertsaal, Hochschule für Musik
und Theater München
Eintritt frei
13. NOVEMBER
Berlin
MusikSalon Berlin – focused IV
Mit dem AsianArt Ensemble:
Hong Yoo, Naoko Kikuchi,
Il-Ryun Chung, Matthias Leupold, Chang-Yun Yoo, Sohyun
Sung
Im Fokus: Geomungo, die koreanische Wölbbrettzither
Zeit: 15.00 - 17.00 Uhr
Ort: Museum für Asiatische
Kunst, Museen Dahlem, Lansstr. 8, 14195 Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 8301 438
17. NOVEMBER
Detmold
Soloabend Konzertexamen: Joo
Ort: LEE Galerie Berlin
Brunnenstraße 172, 10119
Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 417 179 73
Young Kang (Violine)
Klasse Prof. Koh Gabriel
Kameda
Zeit: 19.30 Uhr
Ort: Konzerthaus der Hochschule für Musik Detmold,
Mozartstr. 17, 32756 Detmold
Eintritt: EUR 7,50 (Studierende
und Schüler frei)
BIS 04. NOVEMBER
Berlin
Ausstellung: Paik Nam-Jun
Drawings and Installations
Zeit: bis 04.11.11,
Di – Sa 12.00 – 18.00 Uhr
Ort: LEE Galerie Berlin
Brunnenstraße 172, 10119
Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 417 179 73
BIS 27. NOVEMBER
Erfurt
Ausstellung: Min Oh
Zeit: bis 27.11.2011
Ort: Kunsthalle Erfurt, Fischmarkt 7, 99084 Erfurt
Kontakt: Tel. 0361/655 5660
SONSTIGES
KUNST
13. NOVEMBER
Überlingen
6. Konzert - Trio con Brio
Kopenhagen
Zeit: 20.00 Uhr
Ort: Kursaal am See, Christophstr. 2b, 88662 Überlingen
Soo-Jin Hong (Violine), SooKyung Hong (Violoncello),
ViJens Elvekjaer (Klavier)
Programm: Klaviertrio B-Dur
op.99 und Klaviertrio Es-Dur
op.100 von Schubert
Gegründet in Wien im Jahr
1999 hat sich das Trio con Brio
Kopenhagen mit den koreanischen Schwestern Soo-Jin Hong
und Soo-Kyung Hong sowie
dem dänischen Pianisten Jens
Elvekjaer in kurzer Zeit in die
Riege der namhaften internationalen Kammermusikensembles
eingeordnet.
11. NOVEMBER
Berlin
Einzelausstellung Ji Suk-Chol
Vernissage: 11.11.11, 18.00 Uhr
Zeit: 12.11. – 10.12.11,
Di – Sa 12.00 – 18.00 Uhr
19. NOVEMBER
Berlin
Vortrag: Koreanische
Paradoxien
Entfremdung und Annäherung
auf der koreanischen Halbinsel
(1953 - 2000)
Vortrag 3 der Reihe „Korea
lesen“
Dr. Rainer Werning, Bonn
Zeit: 16.00 Uhr
Ort: Yun-Haus, Sakrower
Kirchweg 47, 14089 Berlin
13. DEZEMBER
Detmold
Soloabend Konzertexamen:
Ju-Yong Lee (Klavier)
Klasse Prof. Hartmut Schneider
Zeit: 19.30 Uhr
Ort: Konzerthaus der Hochschule für Musik Detmold,
Mozartstr. 17, 32756 Detmold
Eintritt: EUR 7,50 (Studierende
und Schüler frei)
15. DEZEMBER
Detmold
Künstlerische Masterprüfungen: mit Hyeryun Park (Kammermusik Violine)
Klasse Ulrike-Anima Mathé
Zeit: 19.30 Uhr
Ort: Brahms-Saal der Hochschule für Musik Detmold,
Neustadt 22, 32756 Detmold
Eintritt frei
KUNST
MUSIK
DEZEMBER
16. DEZEMBER
Berlin
Einzelausstellung Hye-Ja
Vernissage: 16.12.11, 18 Uhr
Zeit: 16.12.11 – 21.01.12,
Di-Sa 12.00 – 18.00 Uhr
Ort: LEE Galerie Berlin
Brunnenstraße 172, 10119
Berlin
Kontakt: Tel. 030/ 417 179 73
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IMPRESSUM
HERAUSGEBER
Koreanisches Kulturzentrum
Kulturabteilung der Botschaft
der Republik Korea
Leipziger Platz 3
10117 Berlin
www.kulturkorea.de
Leiter: Gesandter-Botschaftsrat
Byung Koo Kang
REDAKTION
Gesine Stoyke
Dr. Stefanie Grote
GESTALTUNG
Setbyol Oh
Das neue Logo
des Koreanischen Kulturzentrums
Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass das Koreanische Kulturzentrum ein
neues Logo hat. Dieses wird zukünftig von allen Koreanischen Kulturzentren
weltweit verwendet.
Die drei farbigen Bestandteile des Logos sind die kalligrafische Darstellung der
Symbole
für Himmel
, Mensch
,
Erde
,
welche die Grundelemente der koreanischen Schrift Hangeul (한글) bilden.
Der Himmel symbolisiert die Originalität der koreanischen Kultur, die Erde
die Fortführung kultureller Traditionen und der Mensch die harmonische
Entwicklung der Kultur. Die Farben Rot, Blau und Gelb stehen für kulturelle
Vielfalt. Die Pinselstriche, die an traditionelle Kalligrafien erinnern, betonen
in Verbindung mit dem modernen Schriftsatz die Dynamik der koreanischen
Kultur.
MITARBEIT
Jongmin Lee
KONTAKT
Tel. (030) 269 52-0
Fax: (030) 269 52-134
E-Mail: redaktion@kulturkorea.de
Auflage: 3.500 Exemplare
DRUCK
Pinguin Druck GmbH, Berlin
VERTRIEB
Koreanisches Kulturzentrum
Kulturabteilung der Botschaft
der Republik Korea
Kultur Korea
erscheint vierteljährlich als Print-, Digital- (PDF-Datei) und Online-Ausgabe
unter http://magazin.kulturkorea.de
Bezug gratis über den Herausgeber.
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