Beilackierung – der Casus knacksus

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Beilackierung – der Casus knacksus
0 .1.5 Technische Kurzmitteilungen für die Schadenpraxis
Beilackierung – der Casus knacksus
Von Pierre Kramer *
Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Beilackierung soll nach aktueller Ansicht des AZT der Lackierer fällen. Versuche des ifu Westfalen haben
gezeigt, dass bei identischer Lackanmischung allein über die Applikationstechnik des Lackierers sehr unterschiedliche Ergebnisse resultieren und der Farbton auf keinem einzigen Musterblech identisch mit der Serienlackierung war.
1 Einleitung
Häufig wird der Sachverständige im
Zuge seiner gerichtlichen Gutachtenerstattung mit der Frage konfrontiert, ob eine Farbanpassung erforderlich sei. Hintergrund der Fragestellung
ist in der Regel immer derselbe. Der
Geschädigte will seinen Schaden fiktiv abrechnen. Die Assekuranz reicht
das Schadensgutachten oder den
Kostenvoranschlag zur Überprüfung
ein. Neben Kürzungen der Stundenverrechnungssätze, UPE-Aufschläge
etc. werden standardmäßig die Beilackierungskosten gestrichen. In den
sogenannten Prüfberichten heißt
es dann meist wie folgt: „Die Erforderlichkeit einer Lackierung angrenzender Bauteile zur Vermeidung von
Farbtondifferenzen zeigt sich erst im
Lackierprozess.“
des Wissens seiner handwerklichen
Fähigkeiten und nach Anfertigung
von Farbmusterblechen sei dieser in
der Lage eine Entscheidung zu treffen. Weiter heißt es, dass es durch
den Sachverständigen, der nicht gelernter Lackierer ist, nicht möglich
ist, eine sachgerechte Entscheidung
zu treffen.
Man muss sich dabei die Frage
stellen, ob der Sachverständige auch
nicht in der Lage ist, zu entscheiden,
ob ein Schaden instand gesetzt werden kann und wie viel Zeit hierzu
erforderlich ist. In der Regel ist der
Sachverständige auch kein gelernter
Karosseriebauer.
3 Eigene Versuche
mit Farbmustern
Um aufzuzeigen, wie leichtsinnig
Farbtonanpassungen von Versicherungen gestrichen werden und auf
die Entscheidung des Lackierers nach
dem Anfertigen von Musterblechen
verwiesen wird, wurde eigens ein Versuch durchgeführt. Die Idee war es
damit zu verdeutlichen, wie sich der
Einfluss des Lackierers auf Nuancenabweichungen auswirkt.
An einem blau lackierten (Innocent
Blue metallic, Farbcode: 20P) Mazda
MX5 wurde unter Zuhilfenahme eines elektronischen Farbtonmessgerätes zunächst der Lackton ausgelesen, BILD 1 bis BILD 3 . Der Lackierer,
welcher den Farbton ausgelesen hat,
mischte anhand des Ausleseergebnisses den Lack an. Es handelt sich bei
diesem Betrieb um einen Identica Karosserie- und Lackierfachbetrieb.
2 Aktuelle Diskussion
Die Brisanz dieses Themas im Konflikt zwischen dem Sachverständigen und den Assekuranzen zeigt sich
jüngst in der Stellungnahme des
Allianz Zentrum für Technik (AZT)
zum Thema „Beilackierung im Schadensfall“. Der Kernaussage dieser
Stellungnahme zufolge sei der Lackierfachmann vor Ort der Einzige,
der die Entscheidung, ob eine Beilackierung in angrenzende Bauteile
notwendig ist, im Rahmen der Farbtonfindung treffen kann. Aufgrund
Oktober 2014 |
BILD 1: Testfahrzeug Mazda MX5 von vorn
FIGURE 1: The front of the Mazda MX5 test car
Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 357
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BILD 2: Testfahrzeug Mazda MX5 von hinten
BILD 3: Anwendung des Farbtonlesegeräts am Mazda MX5
FIGURE 2: The rear of the Mazda MX5 test car
FIGURE 3: Using the spectrometer on the Mazda MX5
Dem Lackierer wurde zudem aufgetragen, fünf Stahlbleche in einer Größe von etwa 30 x 20 cm zu grundieren
beziehungsweise lackiertechnisch
vorzubereiten.
Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten
drei Lackierer in diesem Betrieb. Jeder Lackierer hat anschließend mit
der angemischten Farbe und derselben Lackierapparatur in derselben
Lackier- und Trockenkabine jeweils
ein Musterblech angefertigt. Die übrigen beiden Stahlbleche wurden, samt
dem angemischten Lack, zu einem
weiteren freien Lackierbetrieb gegeben. Auch dort wurden durch zwei
Lackierer unter identischen Bedingungen die Bleche lackiert.
Es zeigte sich anschließend, dass
durch das Auftragen ein und desselben
Lacks durch fünf unterschiedliche Lackierer vier unterschiedliche Ergebnisse im Farbton erzielt wurden, die bei
normalen Sichtverhältnissen durch
das menschliche Auge erkannt werden konnten, BILD 4 . Zwei Farbmusterbleche waren relativ ähnlich und
unterschieden sich nur kaum sichtbar.
Dies kann darin begründet liegen, dass
der Lackierer im zweiten Betrieb auch
seine Ausbildung in diesem absolviert
hatte und sich die Lackiertechnik des
Lackiermeisters angeeignet hat, welcher das zweite Blech lackierte.
4 Auswertung der Musterbleche
Gravierender zeigt sich das Ergebnis,
hält man die Farbmusterbleche dem
Fahrzeug gegenüber, von welchem
der aufgetragene Lackton ausgelesen
wurde. Es lässt sich feststellen, dass
keines der fünf Musterbleche vollumfänglich identisch mit dem am
Fahrzeug vorhandenen Serienlack ist,
BILD 5 . Das heißt, wäre der vordere
linke Kotflügel erneuert worden, hätte zur Vermeidung eines optischen
Farbtonunterschieds die linke Tür
beilackiert werden müssen.
Der Versuch zeigt somit, dass trotz
größtmöglicher Sorgfalt nicht davon
ausgegangen werden kann, dass der
Reparaturlack genau in dem Ton ausfällt, in welchem auch die angrenzenden Karosseriezonen lackiert sind.
Aus technischer Sicht beeinflussen
zu viele Faktoren, wie beispielsweise die Lackierapparatur, die Lackiertechnik des Lackierers oder aber auch
BILD 4: Die lackierten Farbmusterbleche nebeneinander
FIGURE 4: The painted sample panels next to one another
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Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik | Oktober 2014
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BILD 5: Vergleich der Farbmusterbleche mit
dem Originallack des Fahrzeugs
FIGURE 5: Comparison of the sample panels
with the car’s original paintwork
TABELLE: Unterschiede zwischen Werks- und Nachlackierung
Produktschwankungen beim Lackhersteller das Ergebnis. Bereits unterschiedliche Distanzen des Lackierers
zum lackierenden Objekt können zu
differierenden Ergebnissen führen.
Im Merkblatt des Dipl.-Ing. Hans-Peter Müller1 wurde bereits aufgezeigt,
unter welchen unterschiedlichen Bedingungen Werkslackierungen und
Reparaturlackierungen angefertigt
werden, TABELLE . Folglich kann es
selbst bei Verwendung eines identischen Farbtons zu Farbtonunterschieden kommen. Würde man dennoch
zunächst nur die reparierten Karosseriezonen lackieren, so wäre es bei
einer zu erwartenden Farbtonabweichung erforderlich, nach dem ersten
1
Quelle: Dipl.-Ing. Hans-Peter Müller.
Merkblatt. Unterschiede zwischen Serien- und Reparaturlackierung. Bonn/
Bad Vilbel. März 2013. http://www.
zkf.de/Aktuelle-Downloads.588.0.html
TABLE: Differences between factory paintwork and resprays
WERKSLACKIERUNG
(SERIENLACKIERUNG)
REPARATURLACKIERUNG
ROBOTER, ELEKTROSTATISCH
VON HAND,
PNEUMATISCH
EXAKT GLEICHBLEIBEND, ± 5 % DER
GEWÜNSCHTEN SCHICHTDICKE FÜR
JEDES KAROSSERIESEGMENT
GEFÜHLSMÄSSIG,
± 50 % DER
GEWÜNSCHTEN
RELATIVE LUFTFEUCHTE
<±5%
ZWISCHEN 15 – 19 %
TEMPERATUR BEI DER
APPLIKATION GLEICHBLEIBEND IN DER
20 ±1 °C
ZWISCHEN 15 – 35 °C
140 °C
< 60 °C
APPLIKATION
SCHICHTDICKEN
TROCKNUNG
OBJEKTTEMPERATUR
Lackierversuch im nächsten Schritt
auch die angrenzenden Bauteile und
erneut (!) die reparierten Karosseriezonen zu lackieren. Aufgrund dieses
wirtschaftlich nicht sinnvollen Reparaturweges muss bereits im Vorfeld
der Sachverständige, welcher letztendlich den Schaden an einem Fahr-
Spot repairs – a tricky case
In the view of the AZT (the Allianz Centre for Technology, which specialises in damage analysis), the decision on the need for spot repairs should lie with the painter.
Tests carried out by the ifu Westfalen (a specialist road accident analysis organisation) have shown that even using an identical paint mix the painters’ differing
application techniques can produce widely varying results. None of the sample
painted panels was identical in colour to the factory paintwork.
Oktober 2014 |
Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik zeug kalkuliert, entscheiden können,
ob und welche angrenzenden Karosseriezonen eine Oberflächenlackierung (Beilackierung) erhalten sollen.
Der eigene Versuch bestätigt, dass allein die Art der Lackauftragung durch
das menschliche Auge erkennbare
Lackton­unterschiede aufweisen kann.
* Autor
Dipl.-Ing. Pierre Kramer ist Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle,
Kraftfahrzeugschäden und -bewertung beim ifu Westfalen.
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