pdf, 593 KB - Schweizer Fleisch
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FLEISCH information 2-2009 Die Schlachtausbeute als Spiegelbild von Lifestyle und globalisiertem Markt Die Schlachtkörper unserer Nutztiere Übersicht Verarbeitung ergeben eine Vielfalt an hochwertigen Produkten. Sie sind Nahrungsmittel, aber auch wichtige Rohstoffe für die Tier Verarbeitung in industriellen Prozessen. Die Bedeutung all dieser Bestandteile ist hingegen einem grossen Nebenprodukte Wertewandel unterlegen, der viel mit (Innereien, Kopf) Schlachtung Nebenprodukte (Haut, Fell, Magen, Därme, gesellschaftlichen und marktwirt- Abschnitte, Blut) schaftlichen Veränderungen zu tun hat. «Bire Bire Weggä, Schmalz und Brot» tönt die Streichmusik Alder in ihrem berühmten Lied aus dem Appenzell und Schlachtkörper Verarbeitung besingt damit drei Köstlichkeiten, welche Grobzerlegung im Bauernleben noch vor kurzer Zeit hoch Abschnitte, Knochen, Fett im Kurs standen. Denn wer draussen hart arbeitet, braucht eine energiereiche Ernährung, ganz besonders im Winter. Heute ist «Schmalz» schon fast zu einem Verarbeitungsfleisch Edelstücke Schimpfwort verkommen, denn zu viel tie- Produkte rische Fette passen nicht mehr zu unserer bewegungsarmen Lebensweise. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie sich unser Ver- Konsum Verarbeitung hältnis zur Nutzung von Schlachtkörpern verändert hat. Petfood, Energie, Heizmaterial FLEISCH INFORMATION 1 Schlachtausbeute am Beispiel eines Rindes Blut 4 Magen, Därme 25,3 Kopf, Füsse Innereien Fett 2,8 2,9 5 Fleisch ohne Knochen 35 Knochen 9 Fettabschnitte Gewichtsverlust 6 2 Schlachtabgang 8 Schlachtgewicht Haut 52% 48% % Quelle: SFF Aus für uns Menschen ungeniessbarem 1. Der Wohlstand Gras für das Vieh, aus Würmern und Körnern für das Geflügel entstehen Proteine, Vor 50 Jahren spielten im «Warenkorb» Fette, Häute, Därme, Federn usw., welche der Konsumenten die Ausgaben für das uns nicht nur ernähren, sondern auch das Essen noch eine grosse Rolle: 30% des Leben schöner und angenehmer machen. Haushaltbudgets wurden damals dafür Zu früheren Zeiten waren Nutztiere des- ausgegeben. Fleisch war ein Luxusgut halb eine in jeder Hinsicht überaus wert- und kam meist nur sonntags auf den volle Quelle für mannigfaltige Produkte Tisch. Kein Wunder, dass alles Fleisch und das ganze Tier wurde dabei verwer- verwertet wurde: Die alte Kuh wurde zum tet. Grundsätzlich hat sich daran nichts «Spatz» in der Gemüsesuppe, und Kutteln geändert, denn auch heute werden die waren auf jeder Speisekarte zu finden. Bestandteile weitgehend einer Verarbei- Heute gibt ein Schweizer Haushalt gerade tung oder Verwertung zugeführt. Sehr noch 7% für Nahrung und alkoholfreie verändert hat sich hingegen der Wert der Getränke aus. In dieser Wohlstandsgesell- einzelnen Bestandteile der Schlachtaus- schaft verkaufen sich vor allem die edlen beute. Fünf Faktoren üben einen wesent- Fleischstücke gut. Der Rest ist wenig be- lichen Einfluss aus: gehrt und wird anderweitig verwertet. 2 FLEISCH INFORMATION 2. Die Entfremdung Der Anteil an essbarem Fleisch (ohne Ganz im Gegensatz dazu steht das Ver- Knochen) beträgt beim Schwein etwa halten der Konsumenten bei ihrem Ein- 60%. Bei einer «Hausmetzgete» kommt kauf in einem Grossmarkt. Fleisch ist hier kein Bauer auf die Idee, davon nur ein eine eigenständige Ware geworden und paar ausgewählte Stücke zu brauchen der Bezug zum Lebendigen wird oft ver- und den Rest zu verschachern. Zu gross drängt. Gut die Hälfte aller Fleischesser ist der Respekt vor dem Tier, das sein will dem Tier gar nicht mehr «ins Auge Leben hat lassen müssen. Nicht nur das schauen» und könnte beispielsweise kei- Fleisch selbst, auch Blut und Innereien, ne ganze Forelle essen. die gekochte Schwarte und das ausgelassene Fett werden verarbeitet. Eine Mit der Abstraktion des Fleischbezuges «Hausmetzgete» und die dazugehörende geht auch der Verlust des Verantwortungs- «Schlachtplatte» wird heute noch von bewusstseins und der Achtung für das Tier Gastronomen in ländlichen Gegenden an- einher: Wer isoliert das Produkt «Filet» geboten und lockt mit ihrer Vielfalt an sel- kauft, dem ist verständlicherweise egal, ten gewordenen Spezialitäten Gäste von was mit dem riesigen Rest des Tieres ge- weither an. schieht. (Das Filet macht gerade mal 1,5% des Schlachtgewichtes eines Rindes aus.) Verkaufsfertiges Fleisch in % des Schlachtgewichts kalt Beim Rind Beim Schwein 8,2% Wurstfleisch 8,7% Hackfleisch 1,3% Wädli 2,0% Brustspitz 1,1% Schnörrli 17,9% Wurstspeck, Schwarten 19,4% Knochen, Fett, Verlust 1,2% Filet 32,2% Knochen, Fett, Sehnen, Verlust 8,2% Ragout 5,6% Plätzli vom Nierstück 8,4% Speck, geräuchert Siedfleisch 8,1% durchzogen 4,6% mager 10,9% Plätzli vom Stotzen 11,4% Wurstfleisch 1,5% Filet 3,6% Roastbeef 1,9% Huft 6,8% Plätzli von Eckstück und Vorschlag 3,1% Geschnetzeltes 1,8% Hohrücken 4,6% Geschnetzeltes 5,0% Stotzenbraten 4,8% Schulterbraten 4,0% Koteletts 3,8% Ragout, Haxen 4,9% Halsbraten 5,0% Schulterbraten FLEISCH INFORMATION 3 3. Der Markt Wer mit seinem Angebot auf dem Markt gebot und Nachfrage die Preise diktie- fen. Dem hat unsere kleinräumige und bestehen will, muss sich veränderten Be- ren. Ein Beispiel: Rinderrohhäute in bes- vielfältige Schweizer Landwirtschafts- dürfnissen anpassen können. Was mit ter Qualität werden in Europa zu 75% struktur oft wenig entgegenzusetzen. einem beliebigen Produkt problemlos in Italien zum wertvollen Werkstoff Leder Während Länder wie Neuseeland die funktioniert, ist mit Lebewesen (zum verarbeitet. Aus etwa 60% dieses Welt mit Schafwolle eindecken, lohnen Glück) nicht so einfach. Immerhin ist es Leders werden Schuhe fabriziert, der sich das Einsammeln, der Transport und gelungen, das Fleisch der Nutztiere deut- Rest wird für Kleider, Möbel und im die Verarbeitung hierzulande überhaupt lich fettärmer zu produzieren, dank Fort- Fahrzeugbau verwendet. Der Lederver- nicht mehr. Das führt sogar so weit, dass schritten in Zucht, Haltung und Fütterung brauch ist folglich stark den Modetrends dieser wertvolle Rohstoff zum Teil ver- sowie der in der Schweiz üblichen mage- unterworfen und die Nachfrage hat in brannt werden muss. ren Zuschnitte. So hat beispielsweise ein den letzten Jahren nachgelassen. Dies Schwein heute wesentlich weniger Fett hat seit Ende 2008 zu einem starken Für den Verzehr tierischer Fette ist die als vor 20 Jahren (ca. –10%). Preiszerfall geführt. Nachfrage ebenfalls klein geworden. Ein Andere Verwertungsprodukte der Ein weiteres Merkmal globaler Märkte ist ölen verwendet, aber ein grosser Rest Schlachtausbeute werden hingegen zum die Spezialisierung und die Massenpro- dieses hochwertigen Energieträgers wird Spielball des globalen Marktes, wo An- duktion mit durchrationalisierten Abläu- für die Energiegewinnung eingesetzt. Teil wird für die Herstellung von Speise- FLEISCH INFORMATION 4 4. Die Substitution 5. Die gesundheitliche Vorsorge In der Steinzeit war jeder Bestandteil ei- Bis in die 90er-Jahre war Tiermehl ein Zusammenfassend lässt sich sagen, nes Tierkörpers wertvoll. Nebst der Nah- wertvoller Futtermittelrohstoff und Mark dass die Wertschätzung gegenüber dem rung als Bekleidung, Werkzeug und Waf- und Hirn der Huftiere galten vielen als Tierkörper und damit die Wertschöpfung fe. Die Verwendungszwecke haben sich Delikatesse. Mit dem Auftreten der BSE im Laufe der letzten Jahrzehnte am Sin- zwar mit der zunehmenden Zivilisation sind diese Produkte über Nacht zu Son- ken war. Für einen beschränkten Anteil gewandelt, als Rohstoffe sind sie jedoch dermüll geworden, welcher aufwendig an höchstwertigem «Edelfleisch» ist ein wichtig geblieben: Das Horn wurde zu entsorgt werden muss. Nur wenig davon wachsender Berg an minderwertigen Ne- Knöpfen, die Borsten zu Bürsten und das lässt sich noch verwerten, Knochen zum benprodukten oder gar Abfällen produ- Fischbein zur Stütze im geschnürten Kor- Beispiel landen in der Leimherstellung, ziert worden. sett. Erst mit dem Aufkommen der wo sie noch eine gewisse Bedeutung Kunststoffe aus Erdöl ab der Mitte des haben. Es gehört aber zunehmend in unsere 20. Jahrhunderts sind viele tierische Roh- Zeit, dass die Menschheit begreift, dass produkte total verdrängt oder marginali- sie mit ihren kostbaren Ressourcen sorg- siert worden, denn für jedes gab es einen fältiger umgehen muss. In einem zweiten künstlichen Ersatz. So findet man heute Teil werden Entwicklungen betrachtet, in den Verkaufsregalen der Supermärkte welche dem entgegenkommen. keine einzige Zahnbürste mehr mit «Naturborsten». 5 FLEISCH INFORMATION Nose to Tail Nahrung für die besten Freunde des Menschen In der Gastronomie ist eine Tendenz auszumachen, dass alle essbaren Teile eines Nahrung ist in jedem Fall die sinnvollste Tieres verwertet werden. Es gibt dafür Art, essbare Schlachtbestandteile zu ver- zwei Gründe: werten. Der Markt für Hunde- und Katzennahrung ist gross und viele Schlachtabfäl- Zum einen ist der Respekt vor dem Tier le können so verarbeitet werden. In der gewachsen, das für uns Menschen sein Schweiz selbst ist die Produktion von Pet- Leben gelassen hat. Ethische Argumente food unbedeutend und deshalb gehen spielen heute für die Konsumenten eine diese Schlachtnebenprodukte in den Ex- immer wichtigere Rolle bei ihren Kaufent- port. scheiden. Der Genuss ist grösser, wenn man dabei auch ein gutes Gewissen ha- Nischenprodukte ben kann. Als Gegenbewegung zur Austauschbar- Weiterführende Informationen Der zweite Grund ist noch wichtiger. Auf keit und Beliebigkeit der globalisierten der Suche nach neuen geschmacklichen Warenangebote lässt sich ein Trend zu re- Erlebnissen hat vor allem die Avantgarde gionalen Nischenprodukten ausmachen. der Spitzeköche die «unedlen» Teile wie- In diesem Zusammenhang spielt bei- der entdeckt. Genauso, wie immer Weiss- spielsweise die Herkunft der Wolle für ei- brot essen auf die Dauer langweilig wird, nen Pullover die wichtigere Rolle als ihr ist eine Küche, die nur Filet und Entrecôte Preis. Proviande, «Schweizer Fleisch» verarbeitet, in die Sackgasse geraten. www.schweizerfleisch.ch Nach Experimenten wie der molekularen Küche entdecken deshalb viele kreative Tierisches Fett als hochwertiger Energieträger Centravo AG, Lyss Köche den Schatz der ganzen Teilevielfalt GZM Extraktionswerk AG, Lyss eines Schlachtkörpers und komponieren Auf der Suche nach neuen alternativen www.centravo.ch daraus eigene neue Geschmackserlebnis- Energieträgern ist man auf die tierischen se. Es ist zu hoffen, dass solche Rezepte Fette gestossen, welche den gleichen Fleisch Info 1/01: Verwendung von vermehrt in den Kochbüchern der Meister Heizwert wie Erdöl haben. Als hochwerti- Nebenprodukten der Lebensmittel- auftauchen werden und so breite Nachah- ge Brennstoffe können sie einen Beitrag industrie im Tierfutter mung finden. zur Substitution von fossilen Quellen leisten. Da die Fette ein «Abfallprodukt» sind, Fleisch Info 4/03: Ohne Entsorgung keine Versorgung Exportchance für andere Vorlieben Patronat Schweinsöhrchen und Schweinsfüsse Anbau menschliche Nahrungsquellen sind für Chinesen begehrte Delikatessen. konkurrenziert. ist ihre Verwertung jedenfalls sinnvoller als Bioethanol aus Mais und Zucker, dessen Proviande, «Schweizer Fleisch» Dank des gestiegenen Lebensstandards Postfach 8162, 3001 Bern grosser Schwellenländer öffnen sich für bestimmte Produkte neue Märkte. Verantwortlich Fleisch Information Erich Schlumpf Telefon: 031 309 41 41 E-Mail: kommunikation@proviande.ch Ausgabe Juni 2009 6 FLEISCH INFORMATION