Kunst auf dem Baguette
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Kunst auf dem Baguette
sonntagszeitung.ch | 31. Januar 2016 Der Internaut Im Tausch-Rausch So hat man sich das Flugerlebnis nicht vorgestellt. Der Sitznachbar von rechts fährt seinen Ellenbogen frech aus, einer Dusche ist er wohl seit Tagen nicht mehr begegnet. Weil sich der liebe Mensch in der Vorderreihe gegen hinten lehnt, füllt ein fremder Scheitel das Blickfeld. Schon vor Start schmerzen die Knie höllisch, weil es den Erbsenzählern der Airline gefiel, den Sitzabstand in der Economy-Class zu reduzieren. Wenn dann noch der Blick frei wird durch den Vorhang in die Business-Class, wo perlendes Nass gereicht wird, ist die Verlockung gross: weg an einen anderen Sitz! Aber das geht natürlich nicht. Das System der zivilen Luftfahrt gebietet nun mal, dass man seinen Sitz im Jet nur wechseln kann, wenn irgendwo Plätze frei bleiben oder ein netter Mitreisender seine Sitzgelegenheit zum Tausch anbietet. Das könnte sich ändern. Junge wilde Internet-Firmen wollen das System neu erfinden. Die Idee: Passagiere können sich ihre Plätze untereinander verkaufen. Ein Tausch – oder «Swap», der von Handy zu Handy stattfindet. Einem Passagier, der sehr unglücklich in der Holzklasse sitzt, könnte es viel Geld wert sein, in die Business-Class zu wechseln – wenn er dort einen Menschen findet, der um eine kurzfristige Aufbesserung der Ferienkasse froh ist. Natürlich wird das nur funktionieren, wenn eine grosse Zahl von Usern mitmacht. Und es ist zu erwarten, dass es den Airlines nicht unbedingt gefallen wird, wenn ein schwungvoller und klassenübergreifender Platzhandel in ihren Flugzeugen stattfindet. Nichtsdestotrotz: Start-ups wie www.seatswappr.com oder www.seateroo.com haben den Echtzeit-SitzBasar im Flugzeug eröffnet. Wenn das Schule macht, ist die Bahn frei für den endlosen Tauschrausch. Denken wir wild und jenseits aller Konventionen: die Müllers bieten den Meiers beim Frühstück ihr Meerblickhotelzimmer an, Frau Grüter verkauft Herrn Gonzalez ihr Halbpensionspaket, Murat tauscht seinen Mietwagen mit Martin per Handyclick. Alles Deals, die bargeldlos im sogenannten Peer-to-PeerSystem per Smartphone laufen. Die Krönung des Systems wäre es dann wohl, wenn man länderübergreifend das wertvollste aller Reisegüter swappen könnte: Ferientage. Andreas Güntert, der Reise-Autor lotet das Internet aus internaut@sonntagszeitung.ch Plaza de la Constitución in der Altstadt von San Sebastián Surfparadies: Das Wasser ist saukalt Kunst auf dem Baguette In San Sebastián dreht sich alles ums Essen. Na ja, fast: Ganz viel Film gibt es auch. Und: Surfen! Ein Besuch in der europäischen Kulturhauptstadt 2016 Schweizer Starkoch im Emirates Palace Stefanie Rigutto In Abu Dhabi steht neu ein Bündner am Herd Eines der luxuriösesten Hotels der Welt, das Emirates Palace in Abu Dhabi, setzt neu auf einen Schweizer Chefkoch. Der Bündner Stefan Trepp, 2014 von «Gault Millau» zum Schweizer Star im Ausland erkoren, hat die Leitung der Küchen der 14 Restaurants im 5-Stern-Haus übernommen. Zuvor arbeitete Trepp sechs Jahre lang im legendären Mandarin Oriental in Bangkok, die letzten vier Jahre als Chefkoch. «Ich überlegte mir lange, was nach dem Mandarin Oriental kommen könnte, denn für mich war klar: Ich wollte das Level mindestens Darf in Abu Dhabi den Luxus halten oder gar stei- zelebrieren: Stefan Trepp, 36 gern», sagt der 36-Jährige. Den Aufstieg hat er seiner Ansicht nach geschafft. Im Emirates Palace spielen beim Kochen die Kosten kaum mehr eine Rolle, dort gilt es, den Luxus zu zelebrieren. In Bangkok hatte er 320 Leute unter sich, in Abu Dhabi sind es für die über 20 Restaurant- und 136 Anrichtküchen nur noch etwa die Hälfte. Für ihn ist das kein Problem: An seinem neuen Arbeitsort werde eher mit einer europäischen Mentalität gearbeitet. Die sei effizienter als die südostasiatische. (zet) Das Problem mit den Pintxos ist die Selbstdisziplin. Ich meine, da steht man vor dem allerschönsten Buffet mit den leckersten Kleinigkeiten, der Tresen quillt über ob all der Minikreationen – und man soll nur eine davon probieren dürfen? Oder maximal zwei? Die mit Krabbenfleisch gefüllten Pimientos, die uns so verführerisch anlachen, müssen wir ebenso liegen lassen wie die Txistorra, die scharfe Wurst mit Wachtelei. Dabei möchten wir den ganzen Teller füllen mit Pintxos! «Wenn du das tust», sagt der Kellner im Gandarías und hebt mahnend den Zeigefinger, «hast du von Pintxos nichts verstanden.» «Vámonos de pintxos» – das sei eine Philosophie, meint der Kellner weiter und klärt erst mal den Begriff: Pintxos stammt vom Verb «pinchar», einstechen. Der traditionelle Pintxo besteht aus einem Stück knusprigem Baguette, das belegt und mit einem Zahnstocher zusammengehalten wird. «Jede Bar hat ihre Spezialität», sagt der Kellner. Man stachelt sich gegenseitig an, jedes Jahr findet ein Wettbewerb statt. Es gibt Bars, die haben sich auf Pintxos mit marinierten Sardellen spezialisiert, andere sind berühmt für ihre Molekular-Pintxos. Deshalb wechselt man nach zwei Pintxos die Bar. «Verstehst du jetzt», fragt der Kellner, «warum es doof wäre, sich gleich in der ersten Bar den Magen vollzuschlagen?» Verstanden! Die Geschichte digital aufbereitet dok.sonntagszeitung.ch Wir sind in San Sebastián im Baskenland. Jedes Jahr kommen 450 000 Reisende hierher, die Hälfte davon aus dem Inland. Sie wollen nur eins: essen. San Sebastián nennt sich selbstbewusst «Food-Hauptstadt», ja sogar die «Wiege der baskischen Küche». Das ist nicht einmal übertrieben: 16 Michelin-Sterne zählt die spanische Stadt mit ihren 185 000 Einwohnern – kein anderer Ort der Welt hat mehr Sterne pro Kopf. Doch das Herz von San Sebastián schlägt nicht nur fürs Essen. Viele kommen hierher zum Surfen, andere wegen des Filmfestivals. Dieses Jahr steht ganz im Zeichen der Kultur: Man ist europäische Kulturhauptstadt, eine Auszeichnung der EU, die seit Mitte der 80er vergeben wird. Auf der einstündigen Fahrt vom Flughafen Bilbao nach San Sebastián sieht es aus wie in der Schweiz. Die Autobahn kurvt durch grüne Hügel, auf den Weiden grasen Kühe, dazwischen erspähen wir Bauernhöfe. Spanien? Das hatten wir anders in Erinnerung. Angekommen in San Sebastián – das sagt hier keiner: Donostia heisst die Stadt auf Baskisch – wähnen wir uns in Frankreich. Die Leute spazieren mit dem Baguette unterm Arm über den Paseo de Francia, überall Belle-ÉpoqueArchitektur und Alleen wie in Paris. Die französische Grenze ist nur 19 Kilometer entfernt, Biarritz näher als Bilbao. Aushängeschild der Kulturhauptstadt ist die Tabakalera, ein Ort zur Förderung visueller Kultur. Das macht Sinn: Die Donostiarras, so nennt man die Einwohner, sind verrückt nach Filmen. 63 Jahre Filmfestival haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Mittlerweile gibt es für alles ein Filmfestival, vom Surffilm-Festival bis zum Bergfilm-Festival. Die Ta- bakalera wurde im September eröffnet und liegt – daher der Name – in einer alten Tabakfabrik. Bei unserem Besuch sind überall noch Arbeiter am Werk. Immerhin, die Terrasse im 5. Stock ist offen, mit Blick über die Stadt. Von oben wird klar: San Sebastián, das sind drei Hügel, zwei Buchten, ein Meer. Ebenfalls fertig sind die Kinosäle. «Night on Earth» von Jim Jarmusch wird gezeigt. Der Eintritt kostet 3.50 Euro, der Saal ist rammelvoll. San Sebastián ist eine gemütliche Stadt: Alles ist zu Fuss erreichbar. Von der Tabakalera spazieren wir den Fluss entlang zum Viertel Gros. Ruderer gleiten übers Wasser, der Trainer auf der Promenade brüllt Kommandi. Gros wurde erst im 20. Jahrhundert urbanisiert, nachdem man den Fluss kanalisiert hatte. Es ist das Viertel der Surfer. Hier radeln Jungs im Neoprenanzug, das Surfbrett unterm Arm, durch die Gassen. Barfuss, versteht sich. Vor der Surfschule macht sich eine Schulklasse bereit für den Kurs. Und plötzlich steht man am Strand. Diese Weite! Ältere Männer marschieren mit Walking-Stöcken die Promenade entlang, atmen tief die gute Meeresluft ein. 73 Reisen Jedes Lokal hat seine eigene Pintxos-Spezialität: Bar Gandarías in San Sebastián San Sebastián – Küche, Kunst und Kino 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Museum San Telmo La Viña La Cepa Gandarías A Fuego negro Maria Cristina Hotel Narru Tabakalera Hotel Zenit F P SP ATLANTIK 1 2 5 3 4 6 RIO URUMEA BAHIA DE LA CHONCA 7 9 SoZ mav Anreise Swiss fliegt direkt von Zürich nach Bilbao. Von dort aus fährt stündlich ein Bus in 70 Minuten nach San Sebastián. Kulturhauptstadt Bis zum 31. Dezember 2016 sind in San Sebastián eine Reihe von kreativen, fantasievollen Veranstaltungen geplant, von Installationen bis Workshops, www.dss2016.eu Unterkunft – Hotel Zenit: Topmodernes Haus, ca. eine Viertelstunde zu Fuss vom Zentrum entfernt. Gutes, sehr beliebtes Restaurant. DZ ab 80 Euro, www.zenithoteles.com – Maria Cristina: Einziges 5-SternHaus der Stadt und Unterkunft der Stars während des Filmfestivals. DZ ab 200 Euro, www.hotel-mariacristina.com Essen & Trinken – Narru: Iñigo Peña Mari Arzak kocht ohne Firlefanz, hier stimmt alles. Er gilt als einer der besten Jungköche der Welt. Werktags Menü für 30 Euro inkl. Wein, www.narru.es – Arzak: Elena Mari Arzak hat drei Michelin-Sterne und gilt als beste Köchin der Welt, www.arzak.info 250 m 8 – La Cepa: Der Klassiker unter den Pintxo-Bars, www.barlacepa.com. Ähnlich vom Stil her ist das Gandarías: www.restaurantegandarias.com – A Fuego Negro: Modern und unkonventionell. Statt Pintxos bestellt man etwa mit Vermouth gefüllte Oliven, www.afuegonegro.com – La Viña: Cheesecake! www.lavinarestaurante.com – Bar des Museum San Telmo: Einst ein dominikanisches Kloster, heute ergänzt mit einem topmodernen Bau. Hier isst man Pantxokolate, Toast gefüllt mit Schokolade. Ein Gedicht! www.bokadogrupo.com Kochkurs Wer San Sebastián besucht, ohne selber zum Kochlöffel zu greifen, verpasst die Hälfte. In der modernen Kochschule des Hotels Maria Cristina lernt man etwa, Pintxos zuzubereiten oder Tintenfische zu säubern. Dazu trinkt man Txakoli und hört Jazzmusik, www.sansebastianfood.com Beste Reisezeit In San Sebastián regnet es oft. Im Sommer beträgt die Temperatur im Schnitt 22 Grad Celsius, im Winter 9 Grad. Allgemeine Informationen www.sansebastianturismo.com Fotos: Laif Dutzende von Hunden tummeln sich im Sand (keine Sorge, sie sind nur in der Nebensaison erlaubt). Es ist ein ganz normaler Mittwochmorgen, doch das Meer ist voller Surfer. «Wie ist das Wasser?», wollen wir von einem Wellenreiter wissen, der gerade rauskommt. «Saukalt», knurrt er mit blauen Lippen. Auch im Sommer wird hier das Meer nicht wärmer als 21 Grad Celsius. San Sebastián ist eine Stadt voller Überraschungen. Da ist etwa das moderne Kunstwerk an der Fassade der altehrwürdigen Basilika (der Priester liebt zeitgenössische Kunst). Oder aber der Markt, von dem die Zutaten für die Pintxos stammen: Er ist unterirdisch, topmodern und fast klinisch sauber. An den Ständen werden würziger Schafskäse, Stockfisch, weisse Bohnen verkauft. Ein guter Baske kocht die Bohnen mit einer Tomate und einem grünen Pimiento, den Farben des Baskenlandes. «Wir sind sehr nationalistisch», sagt die Gemüseverkäuferin. Gruppen von Japanern werden durch den Markt geschleust. Am Schluss kaufen alle Jamón ibérico, der – Ironie des Schicksals – gar nicht aus dem Baskenland stammt. San Sebastiáns Altstadt ist nicht gross. Aber sie zählt über 140 Bars, die Pintxos anbieten. Das tönt zwar einseitig, aber wie heisst es doch: Never change a winning horse. Noch in den 70ern schauten die Köche von San Sebastián sehnsüchtig nach Frankreich: Man beneidete den Nachbarn für die Haute Cuisine. Also brütete man so lange über den Töpfen, bis die «Nueva Cocina Vasca» geboren war: traditionelle baskische Zutaten, modern inszeniert als kleine Kunstwerke. Gerade angesagt sind Pintxos mit Schweinsöhrchen, Rindszunge und Magen. Das Baskenland macht sich auf, die Innereien neu zu erfinden: #businessidea. Salzig, ölig, pikant, sauer – sexy wie Rita Hayworth eben Zurück ins Gandarías. Der Kellner führt uns immer noch mit väterlichem Ton in die Geheimnisse von «Vámonos de Pintxos» ein (etwa: Lasst uns Pintxos essen). Jeder Abend, sagt er, beginne mit dem Ur-Pintxo der Stadt. Dieser ist – claro que sí! – nach einem Film benannt: «Gilda» mit Rita Hayworth von 1946. «Das ganze Baskenland war damals verliebt in die Schauspielerin», sagt er. Das Kapital die- ses Pintxos ist seine Einfachheit: eine Sardelle, zwei Oliven, drei grüne in Essig eingelegte Chilis, und das alles an einem Zahnstocher. Salzig, ölig, pikant, sauer – eine Explosion im Mund, so sexy wie Rita Hayworth. «Vámonos de pintxos» geht am besten in der Strasse 31 de Agosto. Die «New York Times» findet, es sei eine der zwölf schönsten Strassen Europas. Darüber lässt sich streiten – auf jeden Fall ist es die einzige Strasse der Stadt, die den Brand von 1813 überlebt hat. Heute besteht sie eigentlich nur aus Pintxo-Bars. Sie sind alle winzig, aber irgendwie findet man immer Platz. Egal, wo die Pintxo-Tour beginnt, sie endet immer im La Viña. Hier gibts die beste Tarta de queso, einen wunderbar cremigen Cheesecake. Kommt man zwei Abende nacheinander, wird man wie ein alter Freund begrüsst. Wers hierher geschafft hat, braucht keine Selbstdisziplin mehr: Vom Dessert-Pintxo darf man so viel bestellen, wie man will. Zumindest sagte das der Kellner im Gandarías. Oder haben wir da was falsch verstanden? Die Reise wurde vom Spanischen Fremdenverkehrsamt unterstützt