„Big Data in der Automotive IT“

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„Big Data in der Automotive IT“
www.automotiveIT.eu
01 2015
CRM automotive
Eine Sonderedition von automotiveIT
Kundenbeziehung: Aufbruch ins digitale Zeitalter
Systemwandel
•
Kundenmanagement – isolierte Datentöpfe, hierarchisches Denken, geringe Agilität
•
Kundenbindung – der ewige Kampf um die Datenhoheit
•
Kundenbedürfnisse – die Prioritäten und das Mobilitätsverhalten ändern sich
Exklusiv: Interview mit Marc Lampe, CIO Daimler Greater China
data for :
the future
© Biblioteca Apostolica Vaticana
Daten sind von unschätzbarem Wert. Sie zu erhalten
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Inhalt · CRM automotive 3
Inhalt
Fotos: Daimler Illustration: Sabine Werner
Titel: Audi Illustrationen: Sabina Vogel, Sabine Werner, iStockphoto/Teneresa
CRM automotive
Eine Sonderedition von automotiveIT
Big Data. Auf die Branche rollt künftig eine
große Menge von Kundendaten zu – eine echte
Herausforderung 14
_Kundenbindung. Das vernetzte
Fahrzeug spült deutlich mehr kundenbezogene Daten in die CRM-Systeme
– die Chance für die Hersteller an den
Kunden heranzurücken. 4
_Statements. Hersteller, Zulieferer
und Handel müssen dringend den
Sprung ins digitale Zeitalter schaffen.
Daraus leiten sich auch Aufgaben für
die CIOs ab. 9
_Interview. Marc Lampe, CIO Daimler
Greater China, über die wachsenden
Datenmengen und die damit verbundene Anforderung, die richtigen Fragen zu stellen und letztlich auch dem
Kunden spezielle Lösungen anbieten
zu können. 6
_Kundendatenmanagement.
Wer Kundenloyalität haben möchte,
muss künftig umdenken. Weg von
der reinen Produktdenke hin zu einer
intelligenten Kundendenke. Das hat
auch nachhaltige Auswirkungen auf
die IT. 10
Interview. Marc Lampe, CIO Daimler
Greater China, über das Kundenmanagement im Reich der Mitte 6
_Big Data. Die Analyse großer Datenmengen stellt die Automobilhersteller
vor neue Herausforderungen. Auf der
einen Seite lockt der Nutzen, auf der
anderen Seite sind die Hersteller der
Privatsphäre verpflichtet. 14
_Expertise. Wie lässt sich die Erfolgsgeschichte des Automobils fortschreiben? Sven Henkel, Inhaber des Lehrstuhls Käuferverhalten und Verkauf
an der EBS Business School, hat dazu
vier Kernthesen aufgestellt. 16
Sonderedition 01 · 2015
4 CRM automotive · Kundenbindung
Quantensprung
Das vernetzte Fahrzeug spült deutlich mehr kundenbezogene
Daten in die CRM-Systeme der OEMS, die so eine Chance
bekommen, näher an ihre Kunden heranzurücken. Doch dafür
braucht es konzertierte Systeme und die Zeit drängt.
KW
Sonderedition 01 · 2015
Kundenbindung · CRM automotive 5
Fotos: Audi, Continental Illustrationen: Sabina Vogel, Sabine Werner, iStockphoto/Teneresa
D
ie wohl gravierendste Änderung im CRM-Umfeld besteht
darin, dass sehr viel mehr Profildaten durch die Vernetzung der Fahrzeuge in die Systeme kommen. „Das bisherige
Datensammeln mit Callcentern und beim Händler wird nicht
ersetzt, aber es gibt eine deutlich bessere Datenqualität, die
neue Möglichkeiten für CRM eröffnet“, sagt Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft. Der Erstkontakt findet zudem immer häufiger über Konfigurationstools auf der
Website des Herstellers statt – das stärkt die Position der OEMs.
Doch gut vorbereitet sind die Unternehmen bisher nicht: „Bisher überwiegen bei den Herstellern und auch im Handel eher
einfache, One-to-All-Mails, die nicht an Kundenansprüche und
differenziert an aktuelle Probleme angepasst sind“, stellt Stefan
Bratzel fest, Direktor am Center of Automotive Management
(CAM). „Ziel der Hersteller ist es, sehr viel stärker direkt an
den Kunden heranzutreten“, ist sich Bratzel sicher. Spätestens
mit dem vernetzten Fahrzeug würden die OEMs die entscheidenden Akteure, sie müssten es hinbekommen, kundenbezogene Daten auszuwerten und an Handel und Werkstätten weiterzuleiten, meint Bratzel. Hier gebe es bisher eine große Lücke.
Ohne die Anlaufpunkte im Verkauf und Service geht es nicht:
„Man kann das Thema nicht so spielen, dass die OEMs ihre Daten ‚in den Tresor‘ schließen“, sagt auch Diez. Dennoch bleibt
die Frage, wie die Daten fair auf den Handel verteilt werden
können, wenn die Hersteller künftig mehr Informationen über
den Kunden haben. Vor allem für die Werkstätten, von denen
rund 80 Prozent frei sind, dürfte sich einiges ändern. Eine übergreifende CRM-Strategie könnte zumindest dem Handelsnetz
aber auch nützen. „Der Handel braucht zwingend die Erträge
aus dem Service, da im Neu- und Gebrauchtwagengeschäft wenig Geld zu verdienen ist. Entscheidend ist also, dass ein Kunde
drei bis fünf Jahre im Service bleibt“, sagt Diez. Ohne Service
wären 80 Prozent der Händler pleite. „Man muss es jetzt endlich schaffen, aus den ‚Big-Data-Schätzen‘ Kundenmehrwerte
zu generieren, das ist die zentrale Herausforderung“, erklärt
Bratzel. Ein Quantensprung, der in der Praxis noch kaum angekommen sei. Auf die Hersteller komme hier Konkurrenz aus
Richtung von Unternehmen wie Google und Apple oder chinesischen Playern wie Alibaba zu, die bereits viel Erfahrung mit
der Datenanalyse hätten. „Es geht darum, den Sprung aus der
klassischen Autowelt hin in den Mobilitätsbereich zu vollziehen, wo den Kunden an ihre Bedürfnisse angepasste Zusatzangebote und Services zur Verfügung gestellt werden“, so Bratzel.
Den bisherigen Kompetenzschwerpunkt auf der Produktion
von Fahrzeugen in gleicher Weise auf Mobilität zu legen, sei
ein harter und schwerer Prozess. Zwar gebe es momentan eine
„Coopetition“, eine Mischung aus Konkurrenz und Kooperation, zwischen OEMs und Playern wie Google, doch noch sei
nicht absehbar, wer hier mit welchen Services künftig die Nase
vorn hat. Als klaren Vorteil der OEMs sieht Bratzel den direkten
Zugriff auf die Fahrzeugdaten – die Frage sei, ob sie es schaffen,
Mehrwerte zu entwickeln. Aus IT-Sicht gibt es nach Meinung
von Stefan Bratzel noch einiges zu tun.
Neue Player halten aber auch in der ureigenen Domäne der
Hersteller Einzug: Erst kürzlich verkündete das Internetunternehmen Baidu, noch 2015 ein selbstfahrendes Auto auf Basis
einer Google-Blaupause zeigen zu wollen. Auch Google, Apple
und andere Player sind dran. Neue Unternehmen wie Tesla
schleppen nicht am Ballast aus vielen Jahrzehnten und haben
vor allem von vornherein ihren Sales- und Serviceprozess stark
digitalisiert. „Von dieser Digitalisierung können traditionelle
Automotive-Unternehmen lernen – beispielsweise bei der besseren Integration von Finanzdienstleistern und deren Daten in
den Kundenwertschöpfungsprozess“, so Willi Diez. Bei einer
Finanzierungsquote von über 60 Prozent lasse sich viel über
das Nutzungs- und Kaufverhalten lernen, wenn eine Kreditkarte über die Financial Services eines Herstellers genutzt wird.
„Die große Herausforderung liegt in der Datenintegration und
dem Schaffen zentraler Datenbanken mit 360-Grad-Sicht auf
die Kunden. Es wird vor allem derjenige erfolgreich sein, der
die Algorithmen hat, um die entsprechenden Lead-Indikatoren
zu identifizieren, mit denen prospektiv auf bestimmte Bedarfe
und Angebote hingewiesen werden kann“, stellt Diez fest. Noch
kaum im Visier der Autohersteller sind die Gebrauchtwagenkäufer. Sie könnten heute bereits zum Beispiel via BluetoothAdapter für OBD2 (Onboard-Diagnose-System) einbezogen
und mit Services wie Fahrstilanalysen versorgt werden. Schon
in naher Zukunft müssen die Hersteller sich an neuen Maßstäben messen lassen. „Der Kunde erwartet Mehrwert, nicht
nur Werbung. Deshalb müssen die Kundenkontakte künftig
stärker unter dem Gesichtspunkt konstruiert werden, was für
den Kunden wichtig ist“, stellt Willi Diez fest. Predictive Analytics für Maintenance-Aufgaben ist hier eine der wichtigsten
Chancen. Beispielsweise, indem der Kunde per SMS oder über
das Display gewarnt wird, wenn eine Rückrufaktion durchgeführt wird oder Wartungen anstehen. Auch vorausschauende
Infos, die aus dem typischen Verhalten des Kunden abgeleitet
werden, gehören dazu: Vorschläge mit besonderen Angeboten
auf seinem Weg. „Entscheidend bleibt dabei jedoch, dass der
Kunde jederzeit aus den Informationsflüssen aussteigen kann
und er auf Knopfdruck hin in Ruhe gelassen wird, Stichwort
‚permissive Marketing‘“, erklärt Diez. Die Hersteller seien auch
deshalb zurückhaltend, um die Kunden nicht „zu belagern“.
Autorin: Daniela Hoffmann
Sonderedition 01 · 2015
6 CRM automotive · Interview
»Mobile first
ist nirgends so wichtig wie in China«
Im Interview spricht Daimler-CIO
Greater China, Marc Lampe,
über das Kundenmanagement
im Reich der Mitte, wie sich die
Erwartungen der Käufer ändern
und wie sich die Beziehungen
zum Kunden künftig generell
verbessern lassen.
Herr Lampe, welche spezifischen Herausforderungen
gibt es für Daimler im chinesischen Markt? Müssen
nicht nur die Ausstattungen der Fahrzeuge – Stichwort
Chauffeur und besonders weiche Sitze –, sondern auch
das Kundenbeziehungsmanagement wegen besonderer Erwartungshaltungen anders ausgerichtet sein?
Wir sind hier im derzeit größten und dynamischsten Markt
der Welt unterwegs, vor allem ist unsere Zielgruppe um 17
bis 20 Jahre jünger als in den traditionellen Märkten. Das verlangt eine ganz andere Herangehensweise, insbesondere bei
kulturellen Themen, die sich nicht nur in Ausstattung und Geschmack niederschlagen, sondern auch darin, wie der Kunde
angesprochen werden will. Daimler hat in diesem Markt große
Wachstumspläne – das geht nur mit hoher Performanz und einer auf den Kunden ausgelegten IT-Architektur mit User Interfaces, die den Erwartungen entsprechen. Hier unterliegt die
IT ganz anderen Anforderungen: Beispielsweise funktioniert
der Dealer Locator nicht mit Google Maps, sondern mit Baidu
Maps. Das Internetökosystem ist durch drei große Anbieter
geprägt, darunter Baidu, Alibaba und Tencent. Allein 500 Millionen Nutzer sind auf WeChat, dem asiatischen WhatsApp,
unterwegs, das aber zum Beispiel mit Micropayments und
Taxibestellung eine größere funktionale Breite hat. Hier sind
enge Partnerschaften mit den Anbietern und die Entwicklung
immer neuer Apps wichtige IT-Aufgabe.
Sonderedition 01 · 2015
Interview · CRM automotive 7
Was bedeutet es für die IT, sich auf deutlich jüngere
Kundengruppen zu fokussieren?
Es gibt einige technische Herausforderungen und andere Ansprüche an das Look-and-feel. Wir haben es mit einer Generation zu tun, die das Thema Desktop und Laptop komplett
übersprungen und stattdessen eine hohe Affinität zu mobilen
Geräten hat. Diese Nutzer sind gar nicht mehr vertraut mit
klassischen Webseiten. Wenn wir diesen Markt adressieren,
dann stehen mobile Devices an erster Stelle, statt traditionelle
Medien wie in anderen Märkten. Für die IT heißt das: Es sind
deutlich kürzere Releasezyklen zu stemmen – nämlich die von
Smartphone-Betriebssystemen und nicht die von Laptops. In
der direkten Kommunikation zum Beispiel über Callcenter
erwarten chinesische Kunden eine deutlich schnellere Rückmeldung.
Fotos: Daimler
Daimler verfügt seit Ende letzten Jahres über ein
eigenes Entwicklungszentrum in Peking. Welche Rolle
spielt das R&D-Center im CRM-Zusammenhang?
Die enge Kooperation zwischen R&D und der IT im digitalen
Umfeld ist ein ganz wichtiges Erfolgsmodell für uns. Mit der
Eröffnung des neuen Mercedes-Benz R&D-Centers im vergangenen November in Peking wurden die lokalen R&D-Aktivitäten nochmal vertieft. Dadurch geben wir den Meinungen
unserer chinesischen Kunden deutlich mehr Gewicht, das sich
auch im globalen R&D-Netzwerk und der Produktentwicklung
der Zukunft widerspiegeln wird. Das Center ist für die IT eine
ganz entscheidende Datenquelle, weil wir von dort Studien zu
China Insights and Concepts bekommen, die uns über Kundenverhalten und Veränderungen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen informieren, die wir dann wiederum frühzeitig
ins CRM aufnehmen können.
Wie wichtig ist CRM in diesem Markt? Sie haben ein
Salesforce-System aus der Cloud eingeführt: Welche
Bereiche deckt das System ab und welche Datenquellen sind damit integriert?
Der Kunde ist König, und das gilt insbesondere auch hier in
China, dabei ist die Ansprache von entscheidender Bedeutung. CRM ist deshalb besonders wichtig. Die Anzahl der Informationen, die wir aus dem CRM-System generieren müssen, ist aufgrund unserer Wachstumssituation zudem deutlich
höher als in Europa oder in den USA. Die Skalierbarkeit war
deshalb sehr wichtig, um flexibel zu wachsen, ohne immer
Hardware nachschieben zu müssen – auch deshalb fiel zum
ersten Mal im Unternehmen die Wahl auf eine Cloud-Anwendung als regionale Lösung. Unser Salesforce-System ist
im November 2013 live gegangen und liegt in der Cloud. Neben dem Wholesale sind auch Retail und Callcenter darüber
angebunden, wir nutzen Salesforce für Vertrags-, Lead- und
Beschwerde-Management sowie für Callcenter-Applikationen
wie Dokumentation und Annahme. Wir machen seit der Einführung sehr gute Erfahrungen damit und wollen das System
weiterentwickeln und integrieren. Weil es eine Vielzahl von
Aktionen mit Retailern gibt und wir auch versuchen, Telematic Devices und Rückmeldungen aus dem Produktionsumfeld
einzubinden, haben wir es mit einer stetig wachsenden Menge unterschiedlicher Datenquellen zu tun. Das stellt uns vor
die Herausforderung, im Salesforce-Umfeld sicherzustellen,
dass die im Retail genutzten Shared-Lizenz-Modelle künftige Datenvolumen hergeben, hier sind wir im Gespräch mit
Salesforce.
In Deutschland greift Daimler im CRM-Umfeld beispielsweise auf hunderte unterschiedliche Datentöpfe
zu. Wie ist es um die Vielzahl der Datenquellen heute
bestellt? Ist eine Homogenisierung nicht überfällig?
Die Vielzahl der Datenquellen ist der Schatz, den wir heben
müssen. Im Sinne von IT-Effizienz wäre es vielleicht sinnvoll,
die CRM-Landschaft zu homogenisieren. Aus meiner Sicht ist
es jetzt aber erst einmal Zeit, herauszufinden, wie man die zunehmende Menge an potenziell neuen Daten zum Beispiel aus
Social Media und Telematik so intelligent verknüpft, dass für
den Kunden echter Nutzen entsteht. In den nächsten 24 Monaten beschäftigt uns deshalb vor allem die Einführung einer
Middleware, mit der die Datenversorgung des CRM-Systems
flexibler aus unterschiedlichsten Quellen – zum Beispiel auch
aus dem Bereich Financial Services erfolgen soll. Um die CRMProzesse zu vereinheitlichen, läuft aktuell das Projekt MBC
POS, also Mercedes Benz Cars Point of Sales, dessen Pilotierung in China im dritten Quartal startet. Damit integrieren wir
sämtliche Customer-fähigen Retailsysteme in einer Plattform,
auf der alle CRM-Prozesse konsistent und kundenorientiert
abgebildet sind, um ein einheitliches Bild gegenüber dem
Kunden abgeben zu können.
Wie werden sich die Erwartungen der Kunden an Autohersteller in den nächsten Jahren verändern?
Auf Veranstaltungen wie dem „Digital China Day“ oder dem
„Open Space Event China“ mit Fokus auf DigitalLife@Daim-
Sonderedition 01 · 2015
8 CRM automotive · Interview
»Mit einem Customer-SatisfactionIndex soll die Kundenorientierung
nach vorn gebracht werden«
Marc Lampe, CIO Daimler Greater China
ler diskutieren wir sehr intensiv über dieses Thema und sind
dabei, erste Ansätze einer digitalen Strategie für die Weiterentwicklung der Infrastruktur und Applikationslandschaft zu
verfeinern. Dafür haben wir das Innovations-Lab iTec ins Leben gerufen, das China-spezifische Trendanalysen macht, die
dann in Prototypen münden. Weitere Beispiele im CRM-Umfeld sind die Telematikservices Mercedes-Benz Connect und
das Mercedes-me-Portal für den direkten Kundenkontakt, das
wir in schon bald auch in China einführen werden. Darüber hinaus werden wir den ersten Mercedes City Store im Zentrum
von Peking eröffnen. Grundsätzlich erwarten die Kunden hier
eine durchgängige und einheitliche digitale Ansprache über
alle neuen Medien hinweg.
Welche Daten brauchen Sie als OEM, um eine bessere Sicht auf die Kunden zu bekommen? Welche Rolle
spielt der Handel dabei? Und ist der bereit, mit Ihnen
Kundendaten zu teilen?
Bei der besseren Sicht geht es schlicht um Kundenzufriedenheit. Indem der Retail über das CRM-System in das Lead
Management einbezogen ist, bekommen wir heute schon die
Möglichkeit, Daten aus Quellen wie Online-Portalen oder Dialogformaten wie Kundenforen zu nutzen. Es ist aber nicht immer allein eine technische Frage, sondern auch ein prozessuales Thema. Damit wir als Hersteller den Kontakt zu unseren
Kunden halten können, ist die enge Kommunikation und Abstimmung mit den Dealerships eine Voraussetzung. Mit einem
Customer-Satisfaction-Index und landesspezifischen Aktions­
plänen soll die Kundenorientierung weiter vorangebracht
werden.
Welche Rolle spielt das Thema Big Data für Daimler
im CRM-Bereich? Es gibt ein Center of Excellence Big
Data, das die Anforderungen der Fachabteilungen
aufgreift: Können Sie uns erklären, wie das aufgebaut
ist und funktioniert?
Sonderedition 01 · 2015
Big Data ist ein extrem wichtiges Thema und hat bei uns im
Haus höchste Management-Aufmerksamkeit. Angesichts der
wachsenden Datenmengen wächst auch die Anforderung, die
richtigen Fragen zu stellen – hier haben wir viele Lösungen
ausgearbeitet, die derzeit pilotiert werden. Das Center of Excellence Big Data in Stuttgart hat auf Basis von Hadoop und
SPSS von IBM eine Referenzarchitektur für den europäischen
Markt aufgebaut mit Services, die die Fachabteilungen dort
abrufen können. So schaffen wir es, dass sich die Geschäftsbereiche auf die Lösungen, statt auf die Technik konzentrieren. Eine ähnliche Struktur bauen wir in engstem Kontakt zu
den Kollegen in Stuttgart jetzt in China auf, die uns bei der
Definition von Anwendungsszenarien und Shared Services
unterstützen. Ziel ist dabei, die regionalen Märkte mit kompletten Lösungen in Form von Templates zu versorgen.
Damit Kunden künftig bereit sind, die Auswertung
ihrer Daten zu erlauben, braucht es Vertrauen und
die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was mit den
eigenen Daten passiert. Was muss die IT bei der Umsetzung des Themas Datenschutz leisten und welche
Werkzeuge werden dafür eingesetzt?
Daimler legt allergrößten Wert auf Datenschutz, Kundendaten sind uns heilig, in China wie auch im Rest der Welt: Wir
tragen für Datenschutz proaktiv Sorge: Der Kunde entscheidet, ob seine Daten personalisiert verwendet werden. Dafür
kann es nur einen globalen Weg geben, zum Beispiel können
Kunden im Mercedes-me-Portal die Services sowie detaillierte
Informationen zur Datenverarbeitung einsehen und explizit
zustimmen oder ablehnen. Maßstab für diese globale Lösung
ist die weltweit strengste Gesetzesvorgabe. Neben den einheimischen und internationalen Gesetzen hat Daimler noch den
internen Verhaltenskodex „Data Protection and Privacy“, an
den sich unsere Experten strikt halten.
Das Interview führte: Daniela Hoffmann
Statements · CRM automotive 9
Digitales Zeitalter
Zugang zum Kunden CRM wird für Hersteller – und Zulieferer – zu
einem zentralen Erfolgsthema. Wer zögert, verliert.
»CRM bildet einen wesentlichen Beitrag zum Strategieziel der Porsche AG, allen
Kunden ein begeisterndes Kauf- und Besitzerlebnis zu bieten. Dafür werden
kontinuierlich Prozesse entlang der Customer Journey an den Bedürfnissen der
Kunden ausgerichtet. Mit der Plattform CRM@Porsche on Hana wurden innovative
Echtzeitprozesse mit analytischen Verfahren zur Optimierung von
Marketingkampagnen sowie die Einbindung von prädiktiven Verfahren in die
Kundensegmentierung etabliert«
Sven Lorenz, CIO Porsche AG
»Im Rahmen seiner internen digitalen Agenda macht sich Toyota auf den Weg ins
digitale Zeitalter. Der Bereich CRM nimmt in diesem europaweiten Projekt eine
zentrale Rolle ein. Ziel ist maximaler Kundenservice für eine maximale
Kundenzufriedenheit. Wir werden unseren Kunden zukünftig einen Zugang zu
unserem zentralen Kundenportal offerieren, über den sie alle Händler-, Finanz- und
Versicherungsdienstleistungen einfach abrufen können«
Klaus Wilke, General Manager IS, Toyota Deutschland GmbH
»CRM ist eine Strategie, mit der Ford in der digitalen und realen Welt noch
kundenorientierter agiert. Die Art, in der Kunden kommunizieren und interagieren
möchten, unterliegt einem Wandel: Die Zahl der Händlerbesuche hat sich in den
vergangenen Jahren reduziert; Kunden erwarten eine auf das Wesentliche
beschränkte Interaktion. Wir verfolgen eine Initiative, die es ermöglicht, dass
Kunden zu jedem Thema mit allen Bereichen direkt in Kontakt treten können und
zeitnah Informationen erhalten«
Roopak Verma, Regional CIO Ford of Europe, Middle, East & Africa
»Kundenorientierung steht bei Hella an oberster Stelle. Das von uns eingesetzte
CRM-System ist ein wichtiger Baustein für die Betreuung unseres globalen Kundennetzwerks: Es verbessert die Zusammenarbeit unserer Mitarbeiter weltweit und
ermög­licht eine kombinierte Sicht auf bestehende Informationen, in Echtzeit, 24
Stunden am Tag, sieben Tage die Woche«
Gerd Niehage, CIO Hella
Sonderedition 01 · 2015
10 CRM automotive · Kundendatenmanagement
Großbaustelle
Damit die Ausrichtung auf den Kunden funktioniert, gilt es, mit
Daten und ihren Strukturen aufzuräumen. Wer mehr als 50
Prozent Kundenloyalität haben will, muss umdenken und sich
verändern: weg von der Produktdenke, hin zur Kundendenke.
Sonderedition 01 · 2015
Kundendatenmanagement · CRM automotive 11
Fotos: BMW Illustration: Sabina Vogel
D
ass der Autohersteller seinen Endkunden ein Stück näher
rückt, ist eine vergleichsweise neue Entwicklung. Kein
Wunder, dass das in den meisten Unternehmen den Datenstrukturen und der Datenqualität im CRM anzumerken ist. In
der Praxis sind unkorrekte Adressdaten von bis zu 30 Prozent
der Bestände keine Seltenheit. „Die IT wird nach wie vor gerne
ausschließlich als ‚Enabler‘ von CRM betrachtet. Dabei macht
sie heute weit mehr als die Hälfte einer erfolgreichen Marketingstrategie aus: Von 26 Touchpoints zum Kunden sind heute
21 digital“, sagt Reinhard Vanhöfen, Geschäftsführer des auf
Automotive spezialisierten Beratungsunternehmens Vancore
Group. Die IT ist das Business: Diese Sicht sei noch nicht bei den
OEMs angekommen. „Es herrscht noch immer die hierarchische
Organisation nach Funktionen vor. Diese fördert isoliertes Arbeiten und ist noch immer weit entfernt von heute geforderter
Agilität“, so Vanhöfen. Hier sei ein tiefgreifender Change-Prozess notwendig. „Die Großbaustelle ist das Kundendatenmanagement – nicht die klassischen CRM-Tools. Eine echte Differenzierung vom Wettbewerb findet nämlich an anderen Stellen
statt: zum Beispiel dabei, dass ich einen Kunden erkenne, wenn
er auf einer Social-Media-Kampagne ankommt“, ist sich Robert
Horndasch, Vice President Customer Management beim ITDienstleister NTT Data, sicher. Doch das sei heute in der Branche nicht möglich, weil es an einer einheitlichen Datensicht auf
den Kunden fehle. Alltag sei ein mehrstufiger Vertriebsprozess,
der von einer klassischen Denkweise mit unterschiedlichen Datentöpfen und Abteilungen überlagert ist. Die Herausforderung
bestehe jedoch darin, den Kunden über alle Kanäle auf seiner
„Customer Journey“ zu begleiten. Damit jedoch überhaupt eine
Sicht über alle Kundendaten hinweg entstehen kann, muss aus
Sicht von Oliver Köth, Executive Architect bei NTT Data, ein
regulatorisches Framework etabliert werden, um unterschiedliche Entitäten wie OEMs, Händler oder Werkstätten, die noch
dazu aus unterschiedlichen Ländern kommen können, in einer
gemeinsamen Anstrengung zusammenzubringen: eine gewaltige Herausforderung. „Eine ,Incentivierung‘ der Händler
könnte darin bestehen, dass es für jede Datennutzung Geld
oder den Benefit durch ein ganzheitliches Betreuungskonzept
gibt“, so Horndasch. Erst so würden Themen wie Cross Selling
innerhalb einer Marke möglich. Eine Einigung sei auch notwen-
dig, weil kein Kunde mehrere Datenschutzerklärungen mehrerer Unternehmen ausfüllen möchte. Doch gleichzeitig müssen
die Einzelinteressen und die Eigenständigkeit der Stakeholder
gewahrt bleiben. „Der Händler muss sich zum Beispiel sicher
sein können, dass die hochwertige private Handynummer des
Kunden nicht beim Datenabgleich an eine zentrale Plattform
geht und er neben gemeinsamen Aktivitäten trotzdem auch
eigene Kampagnen fahren kann, ohne dass Daten vom System
überschrieben werden“, erläutert der Spezialist.
Die Experten schlagen dafür eine Herangehensweise vor,
wie man sie auch schon aus anderen IT-Bereichen kennt. „Im
CRM-Umfeld wird die Trennung von Prozessen und Stammdaten von entscheidender Bedeutung sein, doch das ist in der
Praxis noch nicht angekommen“, sagt Oliver Köth. Es gebe viele
dezentrale Aktivitäten wie zum Beispiel eine Servicepostkarte,
die auf Basis von Excel im Rahmen von Aftersales-Kampagnen
verschickt wird. Solche in der Praxis üblichen Lösungen hätten jeweils einen eigenen, redundanten Kundendatenbestand.
Bei einem zentralen Kundendatenmanagement müssten die
Stammdaten herausgelöst werden, die Prozesswelt und die
Systeme könnten hingegen weitgehend unangetastet bleiben.
Ähnlich wie beim Zwiebelprinzip ließen sich die Kundendaten
in einer konzertierten Sicht mit einer ID und den typischen Informationen des Kundenstammdatensatzes als Kern ergänzen:
beispielsweise um Kontaktsichten von Händlern, Beziehungen
zum Fahrzeug oder Referenzen auf Serviceverträge. So könnte
auch ein Kunde auf einer Social-Media-Plattform erkannt werden. Ein Aufräumen der CRM-Systeme selbst mache hingegen
nur bedingt Sinn. „Es ist perspektivisch schwierig, die vielen
unterschiedlichen Systeme in naher Zukunft zu konsolidieren.
Zudem ist fraglich, ob Riesenprojekte, um zum Beispiel ein umfassendes zentrales Kampagnen-Management zu etablieren,
überhaupt etwas bringen“, erläutert der IT-Experte.
Neben diesen strukturellen Anstrengungen geht es jedoch nicht
ohne einen Paradigmenwechsel. „Ein Wandel kann nur dann
gelingen, wenn das Thema Kunde wahrhaftig im Mittelpunkt
steht und die Unternehmen den Kunden ‚im Herzen tragen‘.
Bisher sind die Hersteller aber produktorientiert ausgerichtet“,
sagt Reinhard Vanhöfen – dabei ähnelten sich die Produktfea-
Sonderedition 01 · 2015
12 CRM automotive · Kundendatenmanagement
tures jedoch immer mehr und taugten nicht mehr als Differenziator. Beim CRM, und das haben viele Branchen außerhalb der
Automobilindustrie schon schmerzlich erfahren, funktioniert
ein Schema F eben leider nicht. „Die Kundenorientierung muss
ein übergreifendes Kernthema sein. Allein Geld in IT-Systeme
zu investieren und Stäbe für Big Data und Digitalisierung zu
beauftragen, reicht nicht aus“, ist sich Vanhöfen sicher, denn
CRM-Themen ließen sich nicht in Silos abbilden. Als Positivbeispiel nennt der Experte die Entwicklung des BMW i3 und des
i8, die in einer Startup-ähnlichen Einheit bewusst außerhalb
der Konzernstrukturen stattgefunden habe. „Financial Services, Marketing, Vertrieb, Entwicklung und Produktion müssen auf einen Nenner kommen und auch physisch zusammensitzen“, so Vanhöfen. Dass die Wiederverkaufsrate der OEMs
noch immer nicht über 50 Prozent liegt, lasse sich nur ändern,
wenn der Faktor Mensch in den Mittelpunkt rutscht und damit
die „weichen Faktoren“ einen neuen Stellenwert bekommen.
„Kunden merken, ob sich das Geschäft tatsächlich an ihnen
ausrichtet oder nur etwaige Maßnahmen dieses Gefühl suggerieren sollen“, so Vanhöfen. Wiedererkennung in unterschiedlichen Kontexten, wie beispielsweise Meinungsumfragen, die
den Kunden tatsächlich einbeziehen und seine Kritik berücksichtigen, oder Angebote, die zu seinen Bedürfnissen passen:
Über derartige Aspekte könnten sich OEMs differenzieren und
sich die Loyalität der Kunden jenseits des Produkts erarbeiten.
Das verbesserte Datenmanagement ist auch dafür der
Schlüssel. „Bei der Frage, wie ich als Kunde vom Hersteller
wahrgenommen werde, lässt sich mit geringem Aufwand ein
Sonderedition
01 · 2015
großes Verbesserungspotenzial erzielen, wenn die Verlinkung
von Stammdaten gelingt“, ist sich Horndasch sicher. Größer
wird die Herausforderung im Flottenbereich. Wie lässt sich im
CRM zum Beispiel erkennen, dass der Fahrer eines Firmenwagens auch Privatkunde ist? „Die Antwort sind Referenzen und
flache Kundenhierarchien. Heute ist der Ansprechpartner nur
der Flottenmanager, der einzelne Mitarbeiter wird nicht angesprochen, sein Name ist im Aftersales nicht bekannt. Diese
Verzahnung sollten die Hersteller dringend angehen“, sagt der
Datenmanagement-Spezialist. Schließlich können sich viele
Mitarbeiter aussuchen, welches Fahrzeug sie wählen – eine
direkte Ansprache erhöht die Chancen, sie für eine bestimmte
Marke zu begeistern. Um die Standardisierung der bisher in
den einzelnen Silos gelagerten Daten voranzutreiben, sollten
im Vorfeld alle Stakeholder an einen Tisch geholt werden. Es
sei wichtig, dass die Fachbereiche selbst das Thema treiben,
die IT allein könne sich leicht die Zähne an dieser Aufgabe
ausbeißen. Anstatt ein Big-Bang-Projekt aufzuziehen, gehe es
um sinnvolle Schritte. „Das Konzept richtig zu schneiden, ist
die Aufgabe von IT und Enterprise-Architekten. Eine Roadmap könnte typischerweise im digitalen Bereich beginnen,
Fahrzeug-ID und Portal-ID des Kunden sind dort vorhanden“,
schlägt Oliver Köth vor. Dann stehe eine Verzahnung mit den
Daten aus dem Bereich Financial Services an und als komplexester Schritt die Einbeziehung des Retailbereichs – besonders
schwierig bei autonomen Touchpoints zum Kunden, meint der
Datenmanagement-Spezialist.
Autorin: Daniela Hoffmann
NTT DATA – Your Innovation
Partner in the Automotive Industry
Die Automobilindustrie im digitalen Zeitalter
Die Automobilindustrie steht an der Schwelle zum digitalen Zeitalter. Technologische und gesellschaftliche Trends treiben den strukturellen Wandel in der Branche. Neue Teilnehmer drängen in
den Markt und fordern Automobilhersteller und Zulieferer heraus. Der Wechsel von Analog zu Digital
stellt die Automobilindustrie vor große Herausforderungen, nicht nur neue Produkte, sondern auch
Geschäftsmodelle sind gefragt.
Mehr zu Automobilindustrie im digitalen Zeitalter finden Sie in unserer neuen
Veröffentlichung „The Automotive Industry as a Digital Business“. Für weitere
Informationen scannen Sie bitte den QR Code.
5 Gründe, mit uns zusammenzuarbeiten
Wussten Sie, dass NTT DATA
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und der Gestaltung leistungsfähiger Prozesse
bis hin zur IT-Implementierung und dem Betrieb von IT-Systemen
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Wertschöpfungs- & Prozesskette
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von Standardsoftware und der Software-Individualentwicklung
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und flexible Nearshore und Offshore Delivery
• Seit mehr als 40 Jahren Projekte in der
Automobilindustrie und Fertigungsindustrie
in Deutschland, Europa, Asien sowie Nordund Südamerika
• einen OEM bei der Einführung seiner Elektrofahrzeuge begleitet hat?
• Customer Interaction Center aufbaut, die ein
24/7 Serviceerlebnis über alle Kontaktpunkte
und Kommunikationskanäle bieten?
• über eine App Vertriebsmitarbeiter unterstützt, das CRM-System im Auto zu bedienen, ohne den Blick von der Straße nehmen
zu müssen?
• die Fertigungssteuerung mit Hilfe von Big
Data Technologie und Predictive Analytics
verbessert hat?
• große deutsche Unternehmen bei der Standardisierung und Kostensenkung im Application Management unterstützt?
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14 CRM automotive · Big Data
Welcher Kunde?
Die Analyse großer Mengen an Kundendaten wird für die
Verantwortlichen zur Herausforderung. „Privacy by Design“
heißt der Spagat, den die Unternehmen dabei hinbekommen
müssen: zwischen Nutzen und Privatsphäre.
K
lar ist: „Big Data wird zur Grundlage des kompletten
Kommunikations- und Produktionsprozesses. PredictiveAnalytics-Software zieht in fast alle Prozessketten ein“, ist sich
Trendforscher Sven Gábor Jánszky sicher. Zu den Fragen gehören Prognosen, wer wann und wo welches Ersatzteil braucht
oder wo voraussichtlich welches Modell mit welcher Spezifikation verkauft wird. Eine der wichtigsten Aufgaben im modernen CRM wird deshalb darin bestehen, Echtzeitdaten über das
Mobilitätsverhalten der Kunden zu sammeln. „Bisher lagern
hauptsächlich statische Informationen in den Datenbanken,
Sonderedition 01 · 2015
und die ‚Marketingkrücken‘ der Vergangenheit, wie zum Beispiel geografische Segmentierung, reichen nicht mehr aus. Jetzt
ist es Zeit, CRM mit Predictive Analytics besser zu machen“,
stellt der Trendforscher fest. Das sei nicht mal eben so nebenbei
zu lösen und koste auch ein bisschen Geld. Die Branche muss
sich in Bezug auf Big Data mit mehreren Ebenen auseinandersetzen: „Dazu gehört zum einen die Frage, welche Daten überhaupt gesammelt werden sollen und wie das passieren soll.
Zum anderen ist offen, wie die Security für die Übertragung
zwischen Auto und Gesamtspeicher aussehen soll und wel-
Fotos: BMW, Daimler Illustration: Sabine Werner, Sabina Vogel
Big Data · CRM automotive 15
che Plattform hier verwendet wird“, sagt Silke Burchardt, Salesforce Alliance Manager beim Beratungsunternehmen Ec4u
Expert Consulting. Zudem gehe es darum, welche Ergebnisse
der Analysen dem Kunden wie angezeigt werden. Als wichtiges
Einsatzgebiet sieht Burchardt die Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Device. Neben dem großen Feld von Fehleranalyse
und Predictive Maintenance steht auch die Vernetzung von
Fahrzeugdaten auf der Big-Data-Agenda – Umfeldinformationen sollen dabei im Navi oder im Device des Kunden landen.
„Es muss klar vermittelt werden, dass die Daten auch bei der
Echtzeitübertragung sicher sind. Das ist beim Senden von so
vielen unterschiedlichen Standorten aus technisch noch nicht
geklärt und hier müssen noch Anstrengungen unternommen
werden“, stellt Burchardt fest. Auch in puncto Marketing Automation bietet Big Data Analytics aus Burchardts Sicht Potenzial. Die analytischen Methoden könnten dazu beitragen, dass
Kunden und Interessenten deutlich zielgerichteter zu Aktionen
und Events eingeladen werden als vorher. Die vielen Touchpoints seien bisher kaum vernetzt, die Infos aus vielen Aktionen
vor Ort lägen bisher nur beim Händler – hier seien gemeinsame
Plattformen gefragt. „Die Kunden werden in Bezug auf individuelle und passende Ansprache auch an ihren Autohändler und
Hersteller die Messlatte anlegen, die sie zunehmend von Unternehmen aus anderen Branchen gewohnt sind. Da gibt es im Automobilumfeld noch viel Luft nach oben“, so Silke Burchardt.
„Bei deutschen OEMs wird viel darüber nachgedacht, wie sich
Kundenwünsche verändern und Zukunftsmodelle aussehen,
aber das Handeln ist im Vergleich zu anderen Branchen und
Unternehmen in anderen Teilen der Welt relativ langsam“,
mahnt Jánszky. Er ist sicher: Diejenigen werden gewinnen, die
die Macht über die Daten, Algorithmen und Betriebssysteme
haben, über die die Mobilität läuft. „Wenn sich die deutschen
Hersteller nicht als Software-Unternehmen erfinden – denn
das bedeutet Big Data –, dann besteht die Gefahr, abgehängt
zu werden“, konstatiert Jánszky. Im Umkehrschluss heißt das,
dass IT zum Kernprozess im Automotive-Umfeld werden muss.
Die spannende Frage wird künftig lauten: Wem gebe ich meine
Mobilitätsdaten, um sie in Echtzeit zu analysieren? Da werde
es neben den Autoherstellern auch andere Anbieter entsprechender Apps geben. „Wenn ein Hersteller sich nur seiner eigenen App gegenüber öffnet, ist das ein strategischer Fehler, dann
könnte der nächste Kauf dieser Marke bei vielen Menschen in
Frage stehen, die hier selbst entscheiden wollen“, so Jánszky.
Es werde bisher seitens der Hersteller nicht viel über Big Data
gesprochen, obwohl sich schon viele mit innovativen Projekten
beschäftigen, meint Burchardt. „Das liegt auch daran, was in
der Öffentlichkeit aus dem Thema gemacht wird: Beim Stichwort Datensammeln wird sofort das Sammeln von persönlichen
Daten assoziiert, obwohl es bei vielen Anwendungsgebieten um
anonymisierte Massendaten geht“, erklärt die Expertin. Gerade
weil das Thema Datenschutz in der Wahrnehmung eher emotional aufgeladen sei, gehe es darum, transparent zu sagen, was
mit den Daten der Kunden genau passiert. Der Fantasie seien
keine Grenzen gesetzt, welche Daten die Hersteller sammeln
könnten. Schon jetzt sei standardmäßig möglich, über DoubleOpt-in- und klassische „Ich möchte mich abmelden“-Knöpfe,
die Verarbeitung der Daten abzulehnen. Doch hier könnten
ausführlichere Konzepte helfen, bei denen dem Kunden jeweils
erläutert wird, welchen Nutzen er aus der jeweiligen Datenfreigabe erzielt, und die jederzeit leicht zugänglich sind. „Die
freie Mitbestimmung über die Daten könnte dazu beitragen,
dass sich die Kunden damit wohler fühlen, und vor allem für
die große Gruppe derer entscheidungsrelevant sein, die genau
überlegen und selbst entscheiden wollen, was mit ihren Daten
passiert“, so Silke Burchardt.
Viele Menschen seien bereit, ihre Daten preiszugeben,
wenn sich ihr Auto dadurch an neue Nutzungssituationen anpasst, andere würden ihre Daten aus Prinzip nicht freigeben,
meint Sven Jánszky. Entscheidend sei es deshalb, eine Kundensegmentpyramide mit unterschiedlichen Privatsphäre-Levels
zu entwickeln. „Die Herausforderung besteht darin, dass die
Hersteller die Anforderungen an ganz verschiedene PrivacyLevel erkennen und nicht eine One-fits-All-Lösung der Datennutzung wählen“, erklärt der Trendforscher. Jemand, der seine
Daten nicht freigibt, wird damit ein ganz anderes Produkt bekommen. In der Konsequenz könne es aber auch keine einheitliche Privacy-Richtlinie für alle geben, wie es Datenschützer
fordern. Damit die Kunden selbst über ihre Daten bestimmen
können, müssten die IT-Systeme entsprechend überarbeitet
werden. „Die Technologie ist bei Big Data noch die kleinste
Hürde. Der OEM muss vor allem die Grundlage schaffen, wie
die Daten aus dem Connected Car gelagert werden sollen –
dabei reden wir zukünftig von riesigen Datenmengen“, meint
die Expertin. In den nächsten fünf Jahren sollen 90 Millionen
Autos mit entsprechender Ausstattung auf den Markt kommen.
Die nötige Technologie aufzubauen, sei zwar eine Herausforderung, aber machbar.
Autorin: Daniela Hoffmann
Sonderedition 01 · 2015
16 CRM automotive · Expertise
Statussymbol?
So tickt der Kunde Die Automobilindustrie befindet sich in einem
Transformationsprozess. Welches Verständnis hat der Kunde künftig
von der Mobilität und dem Auto? Wie kann das Auto morgen immer
noch erfolgreich sein? Vier Kernthesen.
D
ie Autoindustrie befindet sich im Transformationsprozess. Neue Antriebssysteme, Connected Car, autonomes
Fahren, Modellexplosion, digitaler Vertrieb. Es dreht sich einiges im wichtigsten deutschen Wirtschaftssektor. Fakt ist: Die
Automotive-Diskussion ist nach wie vor technikgetrieben. Es
geht um Materialien, Motorenleistung mit oder ohne Sauger,
um Sensortechnologien und viele andere Dinge, die am Ende
des Tages nur ganz wenige Kunden und Mitarbeiter noch wirklich verstehen. Die nachfolgenden Thesen wurden auf Basis
von Tiefeninterviews mit Vielnutzern von Mobilitätsangeboten
entwickelt. Sie geben Hinweise darauf, was das Auto braucht,
um auch morgen noch erfolgreich zu sein.
Kids wollen das iPhone auf Rädern: Bei 17-Jährigen hat
das Smartphone dem Auto lange den Rang als wichtigstes Statussymbol abgelaufen. Zeit am Steuer ist verlorene FacebookZeit. „In der Tram kann ich viel besser chillen und chatten“,
erzählt ein Stadtbewohner. Für Landbewohner ist das Auto
wichtiger, aber auch hier wird dem Smartphone das höchste
Budget zuteil. „Moms Auto auf Leihbasis plus iPhone“ ist besser als „Eigenes Auto plus Papa-finanziertes Prepaid-Handy“.
Wenn die Bahn durchgehend fahren würde, wäre auch das eine
Alternative. Mobilität schlägt Automobilität. Das Auto ist Teil
der Lösung, aber nicht Alleinlösung. Weiterhin wichtig: Wenn
das Budget ein Auto zulässt, ist die Marke zweitrangig. Am
wichtigsten sind eine funktionierende Smartphone-Schnittstelle sowie technische Features wie Größe des Displays oder
LED-Beleuchtung. Hier liegt die große Chance für OEMs: Gegenüber hochinnovativen Lösungen wie E-Mobilität und autonomes Fahren ist die Generation Y sehr offen. Aufgewachsen
mit kurzen Innovationszyklen ist man es gewohnt, sich ständig mit Neuem auseinanderzusetzen. Die Skepsis gegenüber
Neuartigkeit ist deutlich geringer ausgeprägt als bei älteren
Semestern. Kurzum: kleines Budget, hohes Innovationsinteresse. Bleibt die Frage, warum neue Technologien in der Regel in
teuren Topmodellen eingeführt werden, die von deutlich weniger technikaffinen älteren Kunden gefahren werden?
Sonderedition 01 · 2015
Der Firmenwagen ist das Kaminzimmer unserer Zeit:
Im Durchschnitt steht der Deutsche 36 Stunden pro Jahr im
Stau, weitere hundert Stunden verbringt er mit Parkplatzsuche.
Unzählige weitere Stunden rollt es, aber wirklich arbeiten kann
man auch dann nicht (bereits das Telefonieren mit Freisprechanlage reduziert die Konzentration auf den Verkehr dramatisch). Dass viele Manager dennoch auf einen Dienstwagen
bestehen, hat wenig mit Effizienz zu tun. Vielmehr bietet das
Auto den einzigen Raum, den man voll und ganz nach eigenen
Vorstellungen und Bedürfnissen gestalten kann. Cognacfarbene Ledersitze und Wurzelholz, es läuft Oasis und nicht „Benjamin Blümchen“, das Klima ist angenehm und nicht zu warm.
Das Auto stellt für viele den einzigen individuellen Rückzugsort dar. Stau erwünscht, weil er die Fahrt länger macht. Zeit,
um runterzukommen und nachzudenken. Business- und FirstClass-Fluggäste wie der weltberühmte Dirigent Kent Nagano
lieben Langstreckenflüge, weil sie während der Flugzeit nicht
online sind. Das ist Qualitätszeit, um Ideen zu entwickeln. Vor
diesem Hintergrund stellt sich die Frage des Grenznutzens von
Connectivity: Derzeit denkt man über das Auto als mobilem
Arbeitsplatz nach. Was, wenn Automobilität genutzt wird, um
dem Informationswahnsinn zu entfliehen? Mobilität, um zu
verharren. Wenn das ein Kernbedürfnis ist, gäbe es für einen
„Connectivity off“-Schalter eine Preisbereitschaft.
Verkäufer, die weniger reden, verkaufen mehr: 70
Prozent aller Autokunden beziehen digitale Medien in ihre
Entscheidungsfindung ein. Besser informiert sind sie deshalb
noch lange nicht. Wer Google fragt, ob ein Benziner oder Diesel besser ist, erhält 639 000 Antworten. Die Frage nach dem
fünftürigen Familien-Van liefert je nach Schreibweise zehn- bis
hundertzehntausend Meinungen. Unstrukturierte Informationen verwirren Kunden. Der Verkäufer, der das erkennt und
Informationen auf das Minimum reduziert, verkauft mehr. Die
Ursache hierfür liegt im Selbstbewusstsein des Kunden. Hat der
die Wahl zwischen zwei Angeboten, trifft er zu 50 Prozent die
richtige Entscheidung. Bei zehn Optionen sinkt seine Erfolgs-
Expertise · CRM automotive 17
Foto: EBS Business School
wahrscheinlichkeit auf zehn Prozent. Hier besteht Potenzial für
den Mitarbeiter, echten Mehrwert zu liefern: Wer den Mut zur
Informationsverdichtung hat, bringt den Kunden aus der Defensive in den Driver Seat. Das schafft Selbstbewusstsein und
Entscheidungswillen. Für Händler und OEMs ist es deshalb
essenziell, CRM-Systeme so zu optimieren, dass nach Eingabe
weniger Kundeninformationen Angebotscluster konfigurieren,
die auf tatsächlich relevanten Entscheidungsparametern basieren. Der Firmenwagenkäufer benötigt Informationen über
Komfort und geldwerten Vorteil, der Familienvater über Isofix
und Verbrauch. Zylinder und Motorentechnik sind für beide
weitestgehend irrelevant. Nur ein verschwindend geringer Anteil von Autokunden schaut beim Kauf unter die Motorhaube.
Und noch weniger verstehen, was sie dort sehen.
Wer sich binden will, muss teilen: Die Bedeutung von Besitz im Sinne von Status geht zurück. Smart ist, wer sich nicht
bindet, sondern sich bei Bedarf an dem Besten aus allen (Mobilitäts-)Welten bedient. Wozu sich ein Auto in München halten,
wenn man jedes Wochenende auf City-Trip in Europa unterwegs ist? Das wachsende Mobilitätsangebot und erstarkte Mitbewerber um das Haushaltsbudget (Beispiel: Smart-Telefonie)
senken die Bereitschaft des Kunden, Kapital dauerhaft zu binden. Ist das Blech in der Garage wirklich nötig oder tut es Leihen nicht auch? Die Chance für OEMs: Auf Status und vertraute
Technologien möchte der Kunde ungern verzichten. Leihen ja,
aber nur, wenn ich bekomme, was ich gebucht habe, und mit
Leuten teile, die meinem „Niveau entsprechen“. Eine aktuelle
EBS-Studie zum Peer-to-Peer-Carsharing (Nutzer vermieten an
Nutzer) zeigt: Kunden teilen gerne, wenn sie wissen, was sie
bekommen und mit wem sie teilen. Es geht dem Carsharer keinesfalls nur ums Geld. Der Gedanke, sich für eine nachhaltige
und effizientere Autonutzung einzusetzen, ist vielen wichtig.
Zudem finden sich gerade im Premiumsegment Fahrer, die so
stolz auf ihr Auto sind, dass sie der Welt gerne zeigen, was sie
haben, indem sie teilen. Diese Erkenntnisse vor Augen, macht
es Sinn, über neue Geschäftsmodelle nachzudenken, die es für
den Kunden attraktiv machen, sein eigenes Fahrzeug der Markencommunity zur Verfügung zu stellen. Keiner weiß mehr
über den Kunden, seine Präferenzen und Fahrgewohnheiten
als der OEM. Warum nicht diese Informationen zur Verfügung
stellen (teilen) und damit Geld verdienen?
Sven Henkel
Sven Henkel ist Inhaber des Lehrstuhls für Käuferverhalten und Verkauf der EBS Business School. Er promovierte an der Universität St. Gallen, wo er zuletzt
als Vizedirektor des Centers for Customer Insight tätig
war. Ausgehend von Forschungsprojekten zum Themenfeld Behavioural Branding hat Sven Henkel seinen
Forschungsschwerpunkt in der jüngeren Vergangenheit um die Aspekte Verkaufspsychologie und Vertrieb
innovativer Produkte erweitert. Seinen Branchenschwerpunkt hat er in der Automotive-Industrie. Neben seiner Forschungstätigkeit ist Henkel Dozent (unter anderem EBS-Universität, Universität St. Gallen,
RWTH Aachen) und international beratend tätig.
Buchhinweis: Henkel/Tomczak/Henkel/Hauner (2015):
„Mobilität aus Kundensicht – Wie Kunden ihren Mobilitätsbedarf decken und über das Mobilitätsangebot
denken“, Springer-Gabler, Wiesbaden
Sonderedition 01 · 2015
18 CRM automotive · Impressum
FORTSCHRT
Ohne IT ist FORTSCHRITT
nicht dasselbe
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Business. Strategie. Technologie.
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