Reader / Handout zu den Vorträgen

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Reader / Handout zu den Vorträgen
Reader zum ISA-Workshop „Virtuelle Welten – Fluch oder Segen?“
auf der 5. Herbstakademie zur Bildungsförderung in der Ganztagsschule, Münster
Referent: Horst Pohlmann, Fachhochschule Köln, Institut Spielraum
Der Markt der Computer- und Videospiele ist sehr vielfältig und die Anforderungen an die
Fähigkeiten der Spieler unterschiedlich – sowohl in positiver, als auch negativer Hinsicht.
Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die unterschiedlichen Spiele-Genres
und ihre Spielinhalte.
Den größten Bereich der Spiele-Landschaft bilden Programme, bei denen Spaß und
Unterhaltung im Vordergrund stehen – die so genannten Entertainment-Programme. Wie
auch bei Brettspielen oder Fernsehsendungen kann vieles unterhaltsam sein: Von Action
bis zu Rätseln, von Drama bis zu Komödie, von Sport bis zu Politik wird auch hier nach
den Inhalten unterschieden – zahlreiche Mischformen eingeschlossen. Die wichtigsten
Genres sind:
Action-Adventure
Der Spieler sieht seine Spielfigur meist von hinten auf dem Bildschirm und steuert sie
innerhalb einer Abenteuergeschichte; Zeitdruck, kleinere Rätselaufgaben, Geschicklichkeit
und Kämpfe gegen computergesteuerte Spielfiguren stehen im Mittelpunkt; die Anteile
kämpferischer Auseinandersetzungen variieren stark, z.B. überwiegen in „Tomb Raider“
Geschicklichkeit und Rätsel, wo hingegen in „Grand Theft Auto“ (GTA) die Palette von
möglichen Gewalthandlungen wesentlich größer ist.
Adventure
Auch hier wird eine Abenteuergeschichte durchgespielt; zahlreiche Rätsel und
Logikpuzzles warten darauf ohne Zeitdruck gelöst zu werden, indem Gegenstände
miteinander kombiniert und andere Spielfiguren befragt werden; Phantasie und Kreativität
sind gefordert; Beispiele: „Myst“ oder „Ankh“.
Arcade
Diese Spiele-Gattung ist von den Spielhallen-Automaten bekannt; Geschick und
Reaktionsschnelligkeit sind Hauptanforderungen; von Rennspiel-Varianten bis zum
Prügelspiel ist das Angebot recht breit gefächert; die Aufmachung (Grafik, Spieltiefe) ist
meistens schlicht; Beispiele: „Pong“, „Pacman“ oder „Mortal Combat“.
Denkspiele
Hier geht es um das Lösen unterschiedlich komplexer Rätsel, Hintergrundgeschichte oder
Aufmachung sind nebensächlich; Nachdenken und Knobeln sowie manchmal
Geschicklichkeit bei der Steuerung bilden die Herausforderungen für die Spieler; Klassiker
sind „Minesweeper“ oder „Tetris“, neuere Vertreter „Crazy Machines“ oder „Bridge
Builder“.
Gesellschaftsspiele
Zunächst sind hier Computerumsetzungen klassischer Brett- oder Kartenspiele zu nennen;
gespielt werden kann mit mehreren Personen oder alleine gegen computergesteuerte
Spielfiguren; „Monopoly“ oder „Solitär“ sind die bekanntesten Beispiele. In jüngster Zeit
kommen so genannte Partyspiele hinzu, bei denen die Geselligkeit – also das
gemeinsame Spielen mit mehreren im Mittelpunkt steht; bei „Singstar“ wird gemeinsam
Karaoke gesungen oder bei „Buzz“ eine Fernsehquizshow nachgespielt.
Jump&Run-Spiele
Die Spielfigur wird von Spielabschnitt zu Spielabschnitt (Level) durch eine virtuelle
Landschaft mit zahlreichen Hindernissen gesteuert; Hüpfen, Rennen, Gegnern
ausweichen, sie behindern oder ausschalten verlangt Steuerungsgeschick und
Reaktionsschnelligkeit; Klassiker wie „Super Mario“ oder „Donkey Kong“ präsentieren eine
auf Spielwitz ausgelegte Comicwelt, neuere Vertreter wie „Prince of Persia“ sind deutlich
kampflastiger.
Management
Als Leiter eines Unternehmens, einer Stadt oder eines Staates kommt es hier vor allem
darauf an, ein komplexes, der Realität nachempfundenes Wirtschaftssystem mit
unterschiedlich hohen Anforderungen beherrschen zu können; der Erfolg der eigenen
Firma in Konkurrenz zu Computer- oder Mitspieler-gesteuerten Kontrahenten steht an
erster Stelle; bei „Rollercoaster-Tycoon“ ist das Szenario z. B. ein Freizeitpark, beim
„Fußball-Manager“ ein Fußballverein oder bei „Simcity“ eine Stadt.
Rollenspiele
In einer Phantasie-Welt mit meist mittelalterlichen Anmutungen steuert der Spieler einen
Helden mit individuellen Fähigkeiten und erlebt zahlreiche kleine Abenteuer in einer
umfangreichen Spielgeschichte; die Ausbildung der Fertigkeiten steht für den Spieler an
erster Stelle, um dies zu erreichen und im Spiel weiter zu kommen, muss er in Kämpfen
mit Schwert oder Magie sein Können unter Beweis stellen; in klassischen Beispielen wie
„Diablo“ oder „Ultima“ wird gegen den Computer gespielt; die Variante der OnlineRollenspiele, wie „World of Warcraft“, ermöglicht via Internet das Spielen mit unzähligen
Mitspielern weltweit, die oft nur gemeinsam in Teams bestimmte Aufgaben lösen können,
wovon eine besondere Faszinationskraft ausgeht.
Shooter
Der Spieler blickt meist aus der Sichtperspektive (Ego-Perspektive) der Spielfigur auf das
Geschehen und hat die Aufgabe einen bestimmten Ort der Spielwelt zu erreichen; trifft er
auf gegnerische Figuren bzw. Mitspieler, muss er sie mit unterschiedlichsten (Schuss-)
Waffen besiegen, um im Spiel voran zu kommen; eine Variante sind die so genannten
Taktik-Shooter, in denen Teams von Spielern im Netzwerk oder Internet gegeneinander
antreten; Reaktionsschnelligkeit und Orientierungsvermögen sind die
Hauptanforderungen; typische Beispiele sind „Counterstrike“ als Taktik-Shooter mit
militärischer Einkleidung oder „Doom“ mit Horror-/Science-Fiction-Hintergrund.
Simulationen
Diese Gattung versucht modellhaft die Realität spielbar abzubilden; Fahr- und
Flugsimulationen (z. B. „Microsoft Flugsimulator“), aber auch die Steuerung komplexer
technischer Anlagen oder gesellschaftlicher Strukturen (z. B. „Die Sims“) sind typische
Genre-Vertreter; klassische Simulationen haben ihren Ursprung in professionellen
Schulungsumgebungen (z. B. Pilotentraining), andere finden auch im Schulunterricht
Verwendung, um spielerisch komplexe Zusammenhänge vereinfacht darzustellen.
Sportspiele
Hier werden möglichst realitätsnah diverse Sportarten nachgespielt; vom klassischen
Fußballspiel (z. B. „FIFA“) über die olympischen Disziplinen oder Formel-Eins-Rennen bis
hin zu Skateboard-Rennen (z. B. „Tony Hawks“) ist die Palette groß; wie auch beim realen
Vorbild wird versucht, das gemeinsame Spiel mehrerer Spieler in den Vordergrund zu
rücken.
Strategie
Sich gegen andere mit einer überlegenen Strategie durchzusetzen ist Ziel dieses Genres;
Vorbilder sind Brettspiele wie Schach oder Risiko; neuere Strategiespiele beinhalten wie
auch die Management-Spiele die Komponente des Aufbaus eines funktionierenden
Wirtschaftssystems; letztendlich wird der Wettstreit jedoch kriegerisch entschieden; als
allmächtiger Herrscher lenkt der Spieler die Geschicke einer Nation durch strategisches
Denken, Planen weiterer Spielzüge und Einstellen auf die Taktik der Gegenspieler;
Beispiele sind „Age of Empires“ oder „Civilization“.
Edutainment / Serious Games
Neben reinen Spielen bietet der Markt auch (schulbezogene) Lern- oder Infosoftware, die
Lerninhalte spielerisch vermitteln möchte. Trainingsprogramme für Schulfächer sind hier
ebenso vertreten, wie kindgerecht gestaltete Lexika, Schreib-, Mal- und Musikprogramme
oder Simulationen als vereinfachte Abbildungen komplexer Zusammenhänge (z. B. des
menschlichen Körpers oder eines Staatengebildes). Es wird versucht, die Spiel-Motivation
und spielerische Neugier von Kindern und Jugendlichen aufzugreifen und so ein
motiviertes Lernen „nebenher“ zu ermöglichen. Sofern diese Programme eine
angemessene Balance zwischen Spiel- und Lerninhalt herstellen, kann ihr Nutzwert für
den Schulunterricht oder die außerschulische Wissensvermittlung recht hoch sein. (Eine
Übersicht über Edutainment-Software bietet der Artikel „Der Computer als Lehrer“ [Link:
http://www.bpb.de/themen/J2QMAW,0,0,Der_Computer_als_Lehrer.html] aus der
Publikation „Computerspiele – Virtuelle Spiel- und Lernwelten“ der Bundeszentrale für
politische Bildung.)
Warum Computerspiele faszinieren
Auch für Computer- und Videospiele gilt: Spielen macht Spaß. Die Hauptgründe für die
Faszination dieser Spielform sind klar zu benennen: Interaktivität und die Wechselwirkungsprozesse zwischen Spieler und Spiel.
Interaktivität – Ohne den Spieler steht die virtuelle Welt still
Die Besonderheit von Computer- und Videospielen liegt im Vergleich mit anderen Medien
darin, dass der Nutzer dieses Mediums aktiv gefordert wird. Eine Geschichte in einem
Buch ist unveränderlich niedergeschrieben, in einem Film wird sie in einer
gleichbleibenden Abfolge von Bildern erzählt. Beide Formen haben einen linearen Verlauf.
Der Leser oder Zuschauer hat durchaus die Freiheit, den vorgegebenen Pfad zu
verlassen, sich das Ende beispielsweise zuerst anzuschauen, kann aber an der
vorgegebenen Erzählstruktur nichts ändern. Den Computer- und Videospielen liegt
ebenfalls eine Erzählstruktur zugrunde, es gibt hier (in der Regel) einen festen Rahmen für
die Geschichte, doch wie diese erzählt wird, hängt vom Spieler selber ab. Egal ob ein
Spieler ganze Heere befehligt, eine einzelne Figur, ein Fahrzeug oder einfache Objekte
steuert – die „Pixel“ warten darauf, von ihm bewegt zu werden. Ohne die Spieler würde die
virtuelle Welt still stehen. Und durch aktives Einwirken bestimmen sie den Verlauf der
Geschichte mit.
Macht, Herrschaft und Kontrolle
In einem Großteil der Spiele stehen dem Spieler ein oder mehrere „elektronische Stellvertreter“ zur Verfügung, die er mittels Tastatur, Maus oder Joystick durch die virtuelle
Welt steuert. Unsichtbar mit ihm verbunden erleben sie „gemeinsam“ Abenteuer, überwinden Hindernisse, meistern Probleme. Hier von einer Beziehung im herkömmlichen
Sinne oder von einem wirklichen Verschmelzen zu reden wäre falsch. Es sind spezifische Fähigkeiten des Spielers, die in der Steuerung seines Stellvertreters sichtbar
werden. Schnelle Reaktionen, präzise Bewegungen oder vorrausschauendes Handeln
– all dies entspringt dem Können des „Marionettenspielers“. Ein Spieler muss sich die
Regeln aneignen, die seiner Spielwelt zugrunde liegen. Aber viele Spieler lesen bewusst keine Spielanleitung mehr, für sie stellt das Ausprobieren und Erforschen der
Spielwelt gleichermaßen Reiz und Herausforderung dar. Unabhängig davon: Regelverständnis und Steuerungskontrolle schaffen erst die Voraussetzungen, um in einem
Computer- und Videospiel handlungsmächtig agieren zu können.
Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene werden im Alltag unentwegt gefordert und
kennen das Gefühl, ständig agieren zu müssen. In vielen Situationen, ob in Schule, Beruf
oder Familie, müssen sie sich bewähren – und nicht immer zählen sie zu den Siegern. Oft
genug erleben sie Misserfolge und stoßen an ihre Grenzen. Anders als im „wahren“ Leben
kann ein Spieler frei wählen, wann er sich welcher Herausforderung stellt. Die Art und
Weise, wie (erfolgreich) ein Spieler die an ihn gestellten Herausforderungen meistert,
hängt von seinen mitgebrachten Fähigkeiten (Reaktionsschnelligkeit,
Problemlösungsstrategien etc.) ab und davon, wie viel er aufwendet, diese zu verbessern,
um so seinen Aufenthalt in der Spielwelt zu sichern.
Computer- und Videospiele geben dem Spieler meist ein unmittelbares Feedback. Auf
eine Aktion folgt sogleich eine Reaktion. Der Spieler erfährt zeitnah die Auswirkungen
seines Handelns, kann daraus Schlüsse ziehen, seine Aktionen anpassen. Dies versetzt
ihn in eine „machtvolle“ Position. Wenn es dem Spieler somit gelingt, ein Spiel zu
kontrollieren, handlungsmächtig zu sein, so wird er an diesem Erfolg auch Spaß haben.
Wer spielt was?
Das Angebot an Computer- und Videospielen ist vielfältig. Mittlerweile gibt es eigene
Abteilungen in Elektromärkten, die sich darauf eingestellt haben. Ob ein Spieler nun
Autorennen fahren, eine Welt erobern oder Detektiv spielen möchte – er wird ein Spiel
suchen, dass zu ihm passt. Ein Star-Wars-Fan greift vielleicht zum entsprechenden Spiel,
um seine Helden selber einmal durch die Geschichte zu führen, um bei diesem Abenteuer
dabei zu sein. Einen Fußballfan reizt es wohlmöglich, den Lieblingsverein zu managen
oder seine Vorbilder erfolgreich über den Rasen zu steuern.
Bei der Entscheidung für ein bestimmtes Spiel, können den Spieler neben seinen
individuellen Vorlieben und bisher gesammelte Erfahrungen, auch Neugier, die Werbung
für ein neues Spiel, Berichte in Spielemagazinen, ein attraktiver Kaufpreis, Freunde und
vieles mehr beeinflussen.
Mit- und gegeneinander spielen
Einen besonderen Reiz stellt das Spielen gegen menschliche Mitspieler dar, da ihre
Handlungen schwieriger einzuschätzen sind, als die der programmierten Maschine.
Freunde verabreden sich zum gemeinsamen Spielen und treten alleine oder in einem
Team gegen andere an. Die Möglichkeiten gemeinsam mit oder gegen andere zu spielen
sind vielfältig: Vor einem Gerät, im lokalen Netzwerk (LAN), bis hin zu Online-Welten, in
denen gleichzeitig Hunderte oder Tausende von Spielern aus der ganzen Welt in einer
Spielwelt agieren. Dabei ist das Spielen stets mit einer kommunikativen und
gesellschaftlichen Komponente verknüpft. Und eigentlich ist es immer das Spielen und
nicht das Spiel, was Spaß macht.
Flow – Abtauchen in die Spielwelt
Nicht nur die fantastischen Welten sind ein Faszinationsmoment in Computerspielen. Die
Spiele selbst begründen mit permanenten Anforderungen an den Spieler einen ganz
eigenen Kreislauf. Ein Spiel muss eine Herausforderung darstellen, welche vom Spieler
auch gemeistert werden kann. Ist ein Spiel zu leicht, wird der Spieler unterfordert, ist es zu
schwer, dann stellt sich Frust ein und das Spiel wird beiseite gelegt. Die Balance zwischen
Unter- und Überforderung muss also ausgewogen sein. Im Idealfall fordert das Spiel den
Spieler so, dass sich ein „Flow-Erlebnis“ einstellt, d.h. der Spieler ist so sehr in das
Spielgeschehen eingebunden, dass er die wirkliche Welt um ihn herum vergisst. Das
gelingt z. B. indem der Spieler ständig etwas zu tun hat, damit keine Langeweile
aufkommt: Sobald sich der Spieler mit der Lösung der Aufgabe beschäftigt, erhält er
bereits erste Hinweise auf die nächste Spielaufgabe. Hat er die erste Aufgabe gelöst, kann
er sich gleich der nächsten Problemlage oder Aufgabe zuwenden. Oft verlaufen
Spielaufgaben zudem parallel zueinander und bedingen sich gegenseitig. In komplexen
Strategie- oder Wirtschaftssimulationen sind das oft hunderte kleiner „Baustellen“, deren
Wechselwirkungsprozesse der Spieler durchschauen, miteinander in Beziehung setzen
und permanent regulieren muss, um einen möglichst guten Spielausgang zu erzielen. Der
Spieler kommt oft kaum noch hinterher. Es gibt also immer etwas zu tun und Zeit und
Raum um den Spieler herum geraten in Vergessenheit. Die „Einarbeitung“ in ein
komplexes Gefüge gestaltet sich recht mühsam. Hat der Spieler gerade während der
Spielphase noch alle Baustellen, die er bearbeiten muss, im Blick, ist es oft sehr schwer,
sich am nächsten Tag wieder alles in Erinnerung zu rufen und dort weiterzumachen, wo er
aufgehört hat. Das Resultat ist, dass der Spieler „nur noch schnell“ das eine Problem
lösen möchte und „nur noch 10 Minuten“ spielen möchte, aber dann oft gleich wieder auf
die nächsten Baustellen und Wirkungsketten trifft, die dann auch ganz schnell gelöst
werden wollen und den Spieler wieder stundenlang beschäftigen.
Sonderfall Onlinespiele
Online-Rollen-Spiele (sog. MMORPG = Massive Multiplayer Online Role Playing Games)
weisen einige Besonderheiten im Gegensatz zu normalen Spielen auf, die lediglich
zuhause alleine am Computer gespielt werden. Einer der Hauptunterschiede ist das
Spielen mit anderen Spielern in Teams bzw. Spielergemeinschaften. Um das Spiel
erfolgreich meistern zu können, müssen Spieler ab einem bestimmten Punkt miteinander
kooperieren. Die Teams werden sorgfältig zusammen gestellt, damit sich die
unterschiedlichen Spielfiguren ideal ergänzen. Beispielsweise kämpfen Krieger in
vorderster Linie, während Bogenschützen aus sicherer Entfernung angreifen oder Heiler
und Zauberer die anderen Figuren versorgen und unterstützen. Fehlt eine der Spielfiguren
bei einer Spielaufgabe, so ist das Team u. U. nicht mehr spielfähig und kann die Aufgaben
nicht erfüllen. So kann ein sozialer Gruppendruck entstehen, die anderen nicht im Stich zu
lassen. Dies wird oft von Spielern als einer der Hauptgründe für exzessive Spielzeiten
angeführt. Die meisten Spielergemeinschaften handhaben Fehlen oder Nichtkönnen
relativ locker und vereinbaren Spielzeiten gemeinsam, es gibt aber auch Teams, in denen
Spielen zur Pflicht wird und Sanktionen drohen, wenn ein Spieler häufig und/oder
unentschuldigt fehlt.
Schaut man sich die Online-Spielwelten ein bischen genauer an, fällt auf, dass sie kein
Spielende haben. In einem normalen Spiel sind irgendwann der letzte Gegner besiegt
oder das letzte Rätsel gelöst. In den Online-Spielen hingegen werden permanent neue
Orte, Aufgaben, Geschichten und Handlungsstränge hinzu gefügt, die dazu beitragen
sollen, dass die Spieler weitere Zeit mit dem Spiel verbringen. Die Attraktivität wird so auf
lange Sicht aufrecht erhalten - schließlich ist jeder registrierte Spieler bares Geld wert.
Die Spieler - bzw. korrekter Weise die Spielfiguren - sind in den Spielen zudem viel
leichter erfolgreich und anerkannt, als es im realen Leben möglich erscheint. Die virtuelle
Welt ist also nicht nur bunter und ihre Aufgaben spannender, sondern auch attraktiver als
die Hausaufgaben, die Probleme mit den Eltern oder auf der Arbeitsstelle in der realen
Welt. Es handelt sich im Grunde um eine „bessere“ Parallelwelt, in die der Spieler
abtauchen und seine Freizeit verbringen möchte.
Nicht nur die grafisch opulenten Fantasy-Welten der Online-Rollenspiele werden gerne,
viel und lange gespielt, sondern inzwischen immer häufiger auch sog. „Browser-Spiele“.
Hierzu wird lediglich ein Internetbrowser benötigt und es fallen keine Spielgebühren an.
Der Spieler steuert die Geschicke eines Volkes oder eines aufstrebenden
Wirtschaftsunternehmens. Allerdings macht er dies, im Gegensatz zu schnell ablaufenden
herkömmlichen Spielen, in „Echtzeit“: Er schickt so z. B. am Morgen seine
Raumschiffflotte zu einem Angriff los, überwacht am Mittag dessen Verlauf und wartet am
Abend auf die Rückkehr seiner Schiffe und der Beute. Das Spiel wird in den Tagesablauf
integriert. Im Idealfall bestimmt der Tagesablauf, wann der Spieler spielt, im schlechtesten
Fall bestimmt das Spiel den Tagesablauf des Spielers. Der Trend geht dabei zu BrowserSpielen, die man auch von unterwegs z. B. mit dem Handy weiterspielen kann und die es
dem Spieler ermöglichen, permanent mit der Spielwelt in Kontakt zu stehen. Die Grenze
zwischen virtueller und realer Welt verschwimmt bei diesen neuen Spielformen immer
mehr.
Zwei aktuelle Untersuchungen deutscher Hochschulen befassen sich mit den Spielertypen
und ihren Spielnutzungszeiten:
- „Merkmale pathologischer Computerspielnutzung im Kindes- und Jugendalter“,
Zentrum für empirische pädagogische Forschung (zepf) der Universität KoblenzLandau, 2008, [Link: http://www.zepf.uni-landau.de/
fileadmin/user_upload/Bericht_Computerspielnutzung.pdf]
- „Mit dem Rücken zur Welt oder virtuelle Welten der Zukunft? Onlinespieler und ihr
Hobby“, Goethe-Universität Frankfurt, FB Gesellschaftswissenschaften, Prof. Klaus
Allerbeck, 2008, [Link: http://www.gesellschaftswissenschaften.uni-frankfurt.de/]
Konsequenzen für die Pädagogik
Nicht jeder Computerspieler läuft Gefahr, sich in den virtuellen Welten zu verlieren. Zur
Faszination der Spielwelten gehört auch einmal exzessiv zu spielen und Flow zu erleben,
ohne dabei gleich die reale Welt zu vernachlässigen. Eltern und Pädagogen sollten daher
die Spiele und das Spielverhalten der Kinder im Blick haben und ggf. steuernd eingreifen.
Durch das Spielverhalten lässt sich erkennen, ob es noch ein gesundes Maß oder zuviel
des Guten ist.
Eine klare Computerspielsucht-Definition festzulegen, fällt hingegen schwer. Welche
Kriterien zum Erkennen von süchtigem Verhalten bei der Computerspielnutzung eine Rolle
spielen, hat Dr. Sabine M. Grüsser-Sinopoli an der Charité in Berlin mit ihrem Team
erarbeitet. Neben den Kriterien zur Verhaltenssucht kommen noch einige hinzu, die
Berücksichtigung finden müssen. Entsprechende Diagnose- bzw. Fragebögen sind auf der
Internetseite der Berliner Forschungsgruppe (http://www.verhaltenssucht.de/) als
Download erhältlich.
In der Familie und der Pädagogik ist es zunächst entscheidend, Kinder und Jugendliche
„dort abzuholen, wo sie stehen“, sich für ihr Hobby ernsthaft zu interessieren und sich mit
den Spielgewohnheiten gemeinsam auseinander zu setzen. Ein wichtiger Lernschritt ist
die Entwicklung von Rahmungskompetenz, also virtuelle und reale Welten voneinander
trennen und unterscheiden zu können.
Oft können Spielkontakte gut in gruppendynamische Prozesse umgewandelt werden, um
einen direkten Kontakt zu Mitspielern mit direkter Kommunikation zu ermöglichen und
einen Raum zum Erlernen von Sozialkompetenz innerhalb und außerhalb der Spielwelt
zur Verfügung zu stellen. Wie ein solches Projekt aussehen kann, beschreibt ein Projekt
des Vereins „ComputerProjekt Köln“ und des Jugendamtes der Stadt Köln. Hier trafen sich
über einen Zeitraum von 2 Jahren einmal wöchentlich exzessive jugendliche WoW-Spieler
zum gemeinsamen Spielen. Unter Einbindung der Eltern wurde der Verlauf des Angebotes
von einem Medienpädagogen begleitet und ausgewertet. Innerhalb kurzer Zeit stand nicht
mehr nur das Spiel im Vordergrund, sondern gemeinsame andere Gruppenaktivitäten. Das
Alleine-Spielen vor dem heimischen Computer erschien vielen wesentlich unattraktiver, als
die anderen zu treffen und gemeinsam dem Hobby nachzugehen. Auch die Eltern
berichteten von positiven Beobachtungen und Entwicklungen ihrer Kinder. Ein detaillierter
Projektbericht ist auf dem „Spieleratgeber NRW“ in der Rubrik Pädagogik/Projekte
veröffentlicht (http://www.spieleratgeber-nrw.de/).
Ein mögliches Alternativangebot zu Computer- und Videospielen stellen
medienpädagogische Projekte dar, die die Faszination für digitale Spiele mit
Erlebnispädagogik und/oder Theaterpädagogik kombinieren. Ein solches Angebot mit dem
Namen „Quest in Mittelmülheim“ für Jugendliche ab zwölf Jahren wurde in den
Herbstferien 2009 vom Amt für Kinder, Jugend und Schule der Stadt Mülheim an der Ruhr
in Kooperation mit den Vereinen Waldritter (http://www.waldritter.de/), ComputerProjekt
Köln (http://www.spieleratgeber-nrw.de/) und dem Institut Spielraum umgesetzt.
Ausgangspunkt war das Spielen und die Inhaltsanalyse des Computer-Rollenspiels
„Gothic II“, die Entwicklung einer eigenen Heldenfigur, gefolgt von Kostüm-Design,
Theaterproben und der Umsetzung des Computerspiels in ein Live-Rollenspiel mit
erlebnispädagogischen Aufgaben. Ein Vorläufer-Projekt „Vom Computerspiel in den Wald“
ist auf der Internetseite des Spieleratgebers-NRW dokumentiert [Link:
http://www.spieleratgeber-nrw.de/index.php?siteid=2149].
Kommende Spielformen, die mobile Telekommunikationstechnologie mit altbekannten
Spielformen kombinieren, verstehen hier auch spannende Projekte (nicht nur) für Kinder
und Jugendliche. Bspw. werden die Spieler von „MisterX to go“ zu Agenten, die wie bei
„Scotland Yard“ die Aufgabe haben, den MisterX zu jagen – in diesem Fall jedoch mit Hilfe
eines GPS-fähigen Mobiltelefons und z.B. in der Innenstadt oder im Gelände. Das Spiel
wurde von Informatiker der Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn umgesetzt [Link:
http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/299-2009].
Ein Konzept, das sich mehrfach bewährt hat, ist die Schulung von SchülerInnen,
LehrerInnen und Eltern an einem Tag: Der „Tag der Medienkompetenz“ verfolgt das Ziel,
alle am Erziehungsprozess Beteiligten zu den Themen Jugendmedienschutz,
Mediennutzungszeiten und Spielinhalten zu schulen und so eine Kommunikationsbrücke
zwischen den Generationen zu schließen. Die Veranstaltungsreihe des Instituts Spielraum
richtet sich dabei an Schulklassen der Jahrgangsstufen sechs und sieben. [Link:
http://www1.fh-koeln.de/spielraum/level3/schulische_medienpaedagogik/00678/index.html]
Eine Weiterentwicklung des Konzepts ist die Ausbildung von OberstufenschülerInnen zu
„Schüler-Medien-Trainern: Games“. In einer ein-wöchigen Schulungsphase durch
MitarbeiterInnen des Instituts Spielraum (z.B. Projektwoche) erlernen die TeilnehmerInnen
grundlegende Kenntnisse der Medienpädagogik und erarbeiten sie in Form von Peer-toPeer-Education mit den Unterstufenklassen der jeweiligen Schule. Sie stehen darüber
hinaus Lehrern und Eltern beratend zur Verfügung. Das Pilotprojekt wurde mit drei
Schulen zwischen Frühjahr und Winter 2009 erprobt und befindet sich zur Zeit in der
Auswertungsphase. Es ist anzunehmen, dass der „Schüler-Medien-Trainer: Games“ vom
nordrhein-westfälischen Generationenministerium als best-practice-Projekt empfohlen
wird, um eine nachhaltige Medienkompetenz-Vermittlung in den weiterführenden Schulen
zu verankern.
Es muss aber nicht gleich ein großes medienpädagogisches Projekt sein, wenn Eltern ein
unliebsames Spielverhalten ihrer Kinder feststellen. Das Miteinander in gemeinsamen
Aktivitäten sollte im Vordergrund des Familienlebens stehen und Alternativen zur
Bildschirmnutzung angeboten werden. Ohne feste Regeln zu Spielzeiten, die Eltern aber
nicht einfach bestimmen, sondern gemeinsam mit den Kindern unter Berücksichtigung der
Spielforderungen und Faszinationsmomente festlegen sollten, geht es in der Regel nicht.
Manche Online-Spiele (z. B. WoW) bieten die Möglichkeit einer technischen
Elternkontrolle, durch die bestimmte Spielzeiten festgelegt werden können.
Ein letzter Punkt, der oft vergessen wird: Eltern sind die wichtigsten Vorbilder für ihre
Kinder. Der kritische Blick auf die eigenen Mediennutzungs-Gewohnheiten (Fernsehen,
Internet) kann sicher nicht schaden.
Fachhochschule Köln
- Spielraum Institut zur Förderung von Medienkompetenz
Mainzer Str. 5
50678 Köln
Tel: 0221-8275-3563
Internet: http://www.fh-koeln.de/spielraum