MANUEL LADAS: Brutale Spiele(r)?
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MANUEL LADAS: Brutale Spiele(r)?
MANUEL LADAS: Brutale Spiele(r)? Wirkung und Nutzung von Gewalt in Computerspielen. – Frankfurt/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien: Verlag Peter Lang. Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2002. – 357 S. – ISBN 3 – 631 – 50231 - 1 Während ich diese Rezension schreibe, wird im Fernsehen laufend über den Krieg im Irak berichtet: Panzer fahren durch die Wüste und durch Orte im Irak, Blitze und Rauchwolken von explodierenden Bomben und Raketen sind zu sehen. Zwischendurch tritt ein Befehlshaber oder Pressesprecher vor die Kameras und kommentiert das Geschehen. Wir erleben den Krieg als Zuschauende medial vermittelt und aufbereitet als Unterhaltung vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Im Kinderzimmer erleben Kinder und Jugendliche zur selben Zeit den Krieg als Kampf zwischen USA, China und einer globalen Allianz von Terroristen, den sie per Mouse und Tastatur selber führen. Das kürzlich von der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzte Spiel „Command & Conquer: Generals“ versetzt die Spieler in die Rolle der Generäle, die ihre Truppen siegreich steuern müssen. Amerikanische Panzer fahren im Spiel durch Wüsten und Dörfer, auch mitten durch die Menschenmenge auf einem Marktplatz; amerikanische und chinesische Raketen, Bomben und Granaten treffen Terroristen und Zivilisten gleichermaßen. Während hier tote Zivilisten und zerstörte Wohnhäuser nur Kollateralschäden sind, erhalten die Terroristen sogar noch Geld dafür. Spiel und Fernsehen haben etwas gemeinsam: Sie versuchen, die Aufmerksamkeit (die Gunst?) des Publikums und damit letztlich Geld für die jeweilige Firmenkasse durch möglichst spektakuläre Bilder zu erringen. In dieser Situation liest sich die zentrale These von Manuel Ladas wie eine Provokation: „Sowohl Jugendschutz als auch Wirkungsforschung müssen sich von der Vorstellung lösen, dass Gewalt in Computerspielen mit ‚realer’ Gewalt oder filmischer Gewalt vergleichbar sei. Denn als Quintessenz der Arbeit (von M. Ladas – JM) lässt sich festhalten, dass Gewalt in Computerspielen zwar ein wesentliches und vielgenutztes Element ist, welches jedoch einen von filmischer oder ‚realer’ Gewalt vollkommen verschiedenen Sinn für die Nutzer hat. Virtuelle Gewalt wird wettbewerbsähnlich sowie zumeist empathiefrei und rein funktionalistisch wahrgenommen und genutzt, nicht als Mittel der Schädigung im Sinne eines Täter-Opfer-Verhältnisses.“ (S. 25) Die Dissertation, die zu dieser Quintessenz führte, umfasst zwei große Teile, einen theoretischen zur Wirkungsforschung aus der Sicht eines psychologisch – konstruktivistischen Ansatzes und einen, in dem über eine recht umfangreiche empirische Untersuchung berichtet wird, eine Onlineumfrage unter SpielerInnen. Der Schlüssel zum Verständnis der These von M. Ladas liegt in der konstruktivistischen Theorie, nach der das menschliche Gehirn aus den von den Sinnen übertragenen Reizen ein differenziertes individuelles Weltbild konstruiert. Sehr früh in der Entwicklung lernt das Kind, dass es einen Unterschied zwischen ICH und WELT gibt, später unterscheidet sein Gehirn zwischen ‚realer’ Welt, Traumwelt, mentaler Welt, Spielwelt, medialer Welt und virtueller Welt. Das Gehirn lernt rasch, dass in den verschiedenen Welten verschiedene Spielregeln gelten: Im Traum kann man fliegen, in der ‚realen’ Welt nur mit technischen Hilfsmitteln. In der mentalen Welt der Vorstellungen und Planungen geht manches leichter als in der ‚realen’ Welt, Liebe ist im Film oft ganz anders als im Leben, Spiele sind nur dadurch erlebenswert, dass man sich an Spielregeln hält (wer im Schachspiel die feindliche Dame einfach so vom Brett nimmt, verdirbt letztlich sich selbst die Freude am Spiel) und in der virtuellen Welt kann niemand wirklich verletzt oder getötet werden – bei jedem Neustart des Spiel sind alle „Guten“ und „Bösen“ wieder da. Negative Wirkung auf die Entwicklung von Heranwachsenden durch „schlechte“ - im Sinn von jugendgefährdend etwa nach Entscheidung der deutschen Bundesprüfstelle - Medien kann nur dann entstehen, wenn die Grenzen zwischen den Welten überschritten werden, wenn ein Transfer von Handlungsschemata stattfindet (vgl. S. 81 ff.) . Damit solch ein Transfer erfolgreich stattfinden kann, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, nicht zuletzt muss das transferierte Schema in der ‚Realität’ funktionieren und Sinn machen. Das scheint aber nicht oder nur höchst selten bzw. nur indirekt zu geschehen: Wer in einer Autorennsimulation am Computer lernt, das Fahrzeug möglichst schnell durch alle Kurven zu steuern und versucht, das auch mit seinem privaten PKW zu tun, wird sehr wahrscheinlich (wie im Spiel) bald im Straßengraben landen – und dort vergeblich den RESET – Knopf suchen, mit dem er die Situation vor dem Unfall wiederherstellen kann. Viele Diskussionsbeiträge nach den Geschehnissen von Erfurt im April 2002 haben übrigens auch darauf hingewiesen, dass der reale Umgang mit einem Gewehr nicht durch virtuelle Übungen in einem Spiel wie Counterstrike gelernt werden kann. Etwas anders steht es mit der indirekten Beeinflussung, einem emotionalen Transfer (Stimmungsänderung durch das Spielen), einem ethisch – moralischen Transfer (Beeinflussung von moralischen Einschätzungen und Urteilen), einem realitätsstrukturierenden Transfer, einem informationellen Transfer (Informationen aus dem Computerspiel dienen dem Verständnis anderer Wirklichkeiten) oder schließlich einem phantasiebezogenen Transfer: Gedankliches Weiterspinnen der virtuellen Spieleindrücke in der mentalen Welt (vgl. S. 87ff.). Als Zwischenergebnis lässt sich zusammenfassend festhalten, dass nach Ladas Computerspiele nicht unmittelbares Vorbild oder Training für Handlungsschemata im ‚realen’ Leben sein können. Erst nach einer bewussten und teilweise sehr schweren oder unmöglichen Adaption können Handlungsschemata aus Spielen übertragen werden. Es bleibt die Frage, ob Spiele das Weltbild negativ beeinflussen können. Wenn etwa in einem Spiel (oder gar in fast allen Spielen) Konflikte nur gewaltsam und nach dem Motto der Stärkere hat Recht „gelöst“ werden können, bildet sich dann bei VielspielerInnen die Meinung, dies sei auch im realen Leben so? Schließlich kann das ja auch als Lehre aus dem Krieg im Irak, also von der ‚Realität’ selbst gelernt werden. Im Hinblick auf das Spielen am Computer argumentiert Ladas hier mit dem Hinweis auf die Rahmungskompetenz des Menschen, die es ihm erst möglich macht, das jeweils passende Wahrnehmungs- und Handlungsschema für eine Situation zu wählen. Dieselbe Handlung kann in unterschiedlichen Situationen nützlich oder sinnlos sein. Deshalb muss sich das Gehirn dafür entscheiden, welcher Rahmen auf die jeweilige Situation passt, bevor es ein Schema auswählt. Wegen der großen strukturellen Differenz zwischen ‚realen’ und virtuellen Situationen sind deshalb starke Wirkungen des Computerspielens im Sinne eines unangepassten Transfers komplexer Wahrnehmungs- und Handlungsschemata aus dem Spiel in die ‚reale’ Welt nicht zu erwarten (S. 101). Woher kommt die große Differenz? Nach Ladas wird Gewalt im Computerspiel hauptsächlich funktional wahrgenommen: gegnerische Einheiten aller Art werden getötet oder vernichtet, um bestimmte Spielziele zu erreichen: „Bei einem Vergleich mit Gewalt in anderen Medien lässt sich vor allem eine geringere emotionale Beeinflussung der Nutzer durch die kontextarme, rein funktionalistisch dem Vorankommen dienende Gewalt in Computerspielen gegenüber der oftmals opferzentrierten und kontextuell eingebundenen Gewalt z.B. in Spielfilmen feststellen. Die Wahrnehmung der Gewalt erfolgt bei Spielen meist ‚ästhetisch’ statt moralisch, eine Identifikation mit den Spielfiguren findet kaum statt, sie sind nur ‚Inventar’. Daher ist auch Empathie im Computerspiel fast immer unangemessen: Die Spielfiguren sind nicht empathisch besetzt, sondern erfüllen lediglich Funktionen.“ (S. 111). Emotionalität, etwa ausgelöst durch Empathie, kann einen Transfer von einer Welt in die andere erleichtern oder anregen, Funktionalität in einer Welt gerade nicht. Anders ausgedrückt: In einer besonderen emotionalen Situation kann ein Mensch geneigt sein, einen Transfer auch mit dem Risiko des Scheiterns oder mit der intellektuellen Gewissheit der Sinnlosigkeit durchzuführen, eben weil die intellektuelle Aktivität zurücktritt. Vor dem hier skizzierten Theoriehintergrund betrachtet Ladas vorliegende empirische Wirkungsforschungsstudien und berichtet über seine eigene Studie. Diese bringt eine Fülle von Detailergebnissen, die im Wesentlichen den Erwartungen aufgrund bisheriger Forschungen entsprechen, auf deren Wiedergabe ich jedoch im Rahmen dieser Rezension aus Platzgründen verzichte. Jürgen Maaß