Journal Club - BIOspektrum
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725_787_BIOsp_0711 780 04.11.2011 8:40 Uhr Seite 780 WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB ÿ Ligninspaltung durch Nickelkatalyse ÿ Genetik der Schizophrenie – hohe de novo-Mutationsrate ÿ Salmonellen: die dunkle Seite des Salats? ÿ Agrobakterien-analoges DNA-Transfersystem beim Menschen Lothar Jaenicke1 Jochen Graw2 Nadine Hertrich3 Ligninspaltung durch Nickelkatalyse Lignine sind Polymere auf Basis von hydroxy(methy)lierten Zimtalkoholen, aber so dreidimensional vernetzt, dass sie praktisch unlöslich und unspaltbar sind. Nur einige holzzerstörende Pilze haben ligninolytische Mangan(III)-Peroxidasen entwickelt, die mithilfe von Wasserstoff- und Mn-Peroxid-Radikal langsam in die Netzmaschen eingreifen und sie als Oxalat oder Malat dem Stoffwechsel zugänglich machen. Man sucht nach Verfahren, diese Vorratsquelle an potenzieller Bioenergie technisch anzuzapfen. Als praktikabler Vorschlag erscheint die selektive katalytische Hydrogenolyse der Arylether-Strukturen mittels Nickelkomplex-Katalysatoren unter milden Bedingungen (120 °C/1 bar H2) von A. G. Ser- geev und J. F. Hartwig (Science (2011) 332:439–443). ó Das Grundkonzept ist, in homogener Lösung einen löslichen Komplex aus einem billigen Übergangsmetall (bis-1,5-CyclooctadienylNickel, Ni(COD)2) mit einem gut zugänglichen Carbenliganden-Vorläufer (N,N’-2,5-Diisopropyl-imidazoliumchlorid) in die aromatische CO-Bindung einzusetzen und die entstehende Zwischenverbindung mit H2 zu Aren und Alkohol zu spalten. Verwendet werden 20 Molprozent des Ni-Komplexes. Unter diesen milden homogenen Bedingungen ist die konkurrierende Hydrierung der aromatischen Systeme zu Cycloalkanen und -alkanolen sehr langsam. Im obigen Versuchsansatz werden (substituierte) Diphenylether quantitativ, Alkylarylether ebenfalls, aber signifikant langsamer, zu mehr als 90 Prozent in Aren und Alkohol hydrogenolysiert. Zusatz von nachhelfenden Lewissäuren, wie Al(CH3)3, ist überflüssig. Hg2+ konkurriert nicht. Das weist bestätigend auf eine homogene Katalysereaktion des Ni-Komplexes hin. Y Da alle Arten von intermonomeren Bindungen in Lignin in guter Ausbeute mit ausreichender und ähnlicher Geschwindigkeit gespalten werden, scheint sich das Verfahren grundsätzlich zum reduktiv-chemisch-katalytischen Aufschluss von Lignin anzubieten. Nun sind die Chemie- und Verfahrensingenieure aufgerufen, den Mechanismus zu optimieren, die Biotechnologen, Organismen schöpferisch-kombinatorisch zu kreieren oder von Grund auf synthobiologisch zu inventieren, die mit dieser Nahrung fertigwerden. Lothar Jaenicke ó Genetik der Schizophrenie – hohe de novo-Mutationsrate Schizophrenie ist eine komplexe psychiatrische Erkrankung mit einem weiten Spektrum klinischer Manifestationen. Die Erblichkeit wird mit 80 Prozent angegeben, wobei die klassische Mendel’sche Genetik kaum Antworten geben kann, sondern eher ein komplexer genetischer Ansatz mit einer Reihe von Anfälligkeitsgenen: Die Online-Datenbank menschlicher Erbkrankheiten listet heute 26 Gene auf, die mit Schizophrenie verbunden sind (OMIM 181500; http://www. ncbi.nlm.nih.gov/omim). Simon Girard aus Montreal hat nun mit 21 Ko-Autoren einen neuen Ansatz gewählt: In 14 kleinen Familien („Trios“: Vater, Mutter, Kind mit Schizophrenie) haben sie alle Exons sequenziert (Exom-Sequenzierung) und dabei 15 Mutationen gefunden, die zwar in den Probanden, nicht aber in den Eltern vorkamen (Girard SL et al., Nat Genet (2011) 43:860–863). ó Einige der Probanden wiesen dabei drei neue Mutationen auf, andere gar keine; vier von diesen de novo-Mutationen führen zu vorzeitigen Stopp-Codons. Die Autoren betonen, dass diese Zahlen jeweils signifikant über dem Erwartungswert liegen. Allerdings ist unter den Genen, die von diesen Neumutationen betroffen sind, keines, das bisher zu den Kandidatengenen für Schizophrenie gezählt worden wäre. Insgesamt ist über die betroffenen Gene wenig bekannt und es gibt nur in einem Fall Mausmutanten dazu – aber die Kpna1-Knockout-Mutanten zeigen keinerlei Auffälligkeiten, auch nicht in Verhaltenstests. Diese Studie zeigt einen Weg, wie in sporadischen Fällen genetische Aspekte berücksichtigt werden können. Y Die Exom-Sequenzierung ermöglicht relativ kostengünstig die komplette Sequenzierung aller codierenden Regionen, da diese nur etwa ein Prozent des Genoms ausmachen. Man nimmt aber an, dass man dadurch etwa 85 Prozent aller krankheitsrelevanten Mutationen finden kann. Die obige Arbeit zeigt die Stärke dieser Methode: die Identifikation neuer Mutationen. Was aber offenbleibt, ist ihr Beitrag zu der jeweiligen Krankheit: Das Gen muss in neuen Mausmodellen getestet und Funktionsanalysen müssen durchgeführt werden – und man kann Wechselwirkungen untersuchen, z. B. eine Dreifachmutante herstellen, um die Kombinationen der drei Neumutationen zu untersuchen, die man in einigen Patienten gefunden hat. Jochen Graw ó 1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln 2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg, graw@helmholtz-muenchen.de 3 Department für Infektiologie, Parasitologie, Universitätsklinikum Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 324, D-69120 Heidelberg, Nadine.Hertrich@med.uni-heidelberg.de 4 Falkenstraße 87, D-58553 Halver, jtmsander@gmx.de 5 Lehrstuhl für Ökologische Mikrobiologie, Universität Bayreuth, Dr.-Hans-Frisch-Straße 1–3, D-95440 Bayreuth, katharina.palmer@uni-bayreuth.de 6 Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung, Abteilung Mikrobiologie, Weihenstephaner Berg 3, D-85350 Freising, thilo.fuchs@wzw.tum.de 7 Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, D-30625 Hannover, seifert.roland@mh-hannover.de 8 MPI für terrestrische Mikrobiologie, Karl-von-Frisch-Straße 10, D-35043 Marburg, liesack@mpi-marburg.mpg.de BIOspektrum | 07.11 | 17. Jahrgang 725_787_BIOsp_0711 04.11.2011 8:40 Uhr Seite 781 781 Johannes Sander4 Katharina Palmer5 Thilo M. Fuchs6 Roland Seifert7 Werner Liesack8 Salmonellen: die dunkle Seite des Salats? EHEC in Gurken? Listerien in der Melone? Salmonellen im Salat? Pathogene Bakterien können sich durchaus in kritischer Zahl auf Gemüse und Früchten befinden, innerhalb derselben sind diese Krankheitserreger in aller Regel jedoch nicht zu finden. Denn anders als phytopathogene Mikroben, so die herrschende Lehrmeinung, infizieren sie keine Pflanzen und vermehren sich nicht innerhalb des pflanzlichen Gewebes. ó Die gute Nachricht lautet deshalb: Verbraucher können sich durch Beachtung der üblichen Küchenhygiene vor Infektionen schützen. Die schlechte Nachricht: Dieses Dogma wird in den letzten Jahren zunehmend durch Studien herausgefordert, die die Infektion von Arabidopsis thaliana, Salat oder Sprossen durch humanpathogene Bakterien beschreiben und beispielsweise die Induktion und Überwindung des pflanzlichen Immunsystems und einen intrazellulären Lebenszyklus der Bakterien postulieren. Teilnehmer einer fran- zösisch-österreichischen Kooperation glauben, weitere Details aufgedeckt zu haben (Schikora A et al., PloS One (2011) DOI:10.1371/journal.pone.0024112): Das Typ-3-Sekretionssystem von S. enterica Serovar Typhimurium spiele bei Tieren wie bei Pflanzen eine gleich wichtige Rolle und aus pflanzlichen Zellen isolierte Salmonellen behielten ihre Virulenz gegenüber Tieren bei. Y Hätten die Autoren recht, kämen beträchtliche Konsequenzen auf die Lebensmittelsicherheit, das Risikomanagement und die Etablierung von Nachweisverfahren zu. Allerdings zeigen diese und andere Publikationen erhebliche Schwächen: Das methodische Vorgehen ist artifiziell und die Statistik lückenhaft, wichtige Kontrollen fehlen und alternative Hypothesen werden nicht geprüft. Eine Infektion von Pflanzen durch humanpathogene Bakterien unter natürlichen Bedingungen wurde bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Thilo M. Fuchs ó Agrobakterien-analoges DNA-Transfersystem beim Menschen Typ-IV-Sekretionssysteme (T4SS) wurden ursprünglich für den konjugativen Transfer der DNA zwischen Bakterien entwickelt. Im Lauf der Evolution erwarben sie auch die Fähigkeit für den Proteintransport in Bakterien- und Eukaryotenzellen. Das Paradebeispiel für ein T4SS ist das VirB/VirD4-System, mit dem Agrobacterium tumefaciens seine T-DNA sogar in Pflanzenzellen einschleusen kann. ó G. Schröder et al. (Proc Natl Acad Sci USA (2011) 108:14643–14648) wiesen bei Bartonella henselae, einem Erreger der Katzenkratzkrankheit beim Menschen, nach, dass dessen T4SS in der Lage ist, ein um ein Reportergen erweitertes Bartonella-spezifisches, kryptisches Plasmid (pBGR1) in die menschliche Endothelzelllinie Ea.hy926 zu übertragen. Wurde an die plasmidcodierte Relaxase zudem das Sekretionssignal des normalerweise von dem T4SS transferierten BepD-Protein fusioniert, so führte dies zu einer 100fachen Transfereffizienzsteigerung. Southern Blots und ein BIOspektrum | 07.11 | 17. Jahrgang Neomycin-Resistenzgen zeigten, dass das Plasmid teilweise oder vollständig in das Genom der Wirtszelle integrieren kann. In den Zellkern gelangt die Plasmid-RNA wahrscheinlich, wenn sich bei der Mitose die Kernmembran auflöst, denn ein Kernimportsignal wie die VirD2-Relaxase von Agrobacterium tumefaciens besitzt die Relaxase des pBGR1-Plasmids nicht. Y Es ist möglich, dass auch bei einer Infektion mit Bartonella henselae DNA in Wirtszellen übertragen wird und dieses System so den zweiten bekannten Fall eines natürlichen Reichübergreifenden DNA-Transfers repräsentiert. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um ein evolutionäres Relikt. Dafür spricht, dass das pBGR1-Plasmid nur für seine eigene Replikation und Mobilisation codiert sowie das Fehlen von Kernimportsignalen für die Relaxase. Doch selbst in diesem Fall besitzt das bei Humanzellen anwendbare Bartonella-System großes Potenzial für Gentherapie, Impfung und Forschung. Johannes Sander ó Kurz gefasst ó Kristallstruktur des β2-Adrenozeptors im Komplex mit dem G-Protein Gsαα Der β2-Adrenozeptor (β2AR) ist der Prototyp eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors. Die Bindung eines Agonisten an den β2AR stabilisiert einen aktiven Zustand R*, der es dem Rezeptor ermöglicht, die GDP-Dissoziation von Gsα zu katalysieren. Die strukturelle Grundlage für die Rezeptor-vermittelte G-Protein-Aktivierung war bislang unbekannt. Die Gruppe von Brian Kobilka hat die Kristallstruktur des aktivierten β2AR im Komplex mit Gsα aufgelöst (Rasmussen SGF et al., Nature (2011) 477:549– 555). Überraschend ist vor allem die große Rotation der konservierten ras-ähnlichen Domäne des G-Proteins gegenüber der weniger gut konservierten α-helikalen Domäne. Roland Seifert ó Casparystreifen sind die tight junctions der Pflanzenwurzelendodermis Die Wurzeln der Landpflanzen haben mit dem Casparystreifen (CS) eine spezifische Struktur entwickelt, die als extrazelluläre Diffusionsschranke zur Kontrolle von Nährstoffaufnahme und Stressbelastung dient (Roppolo D et al., Nature (2011) 473:380–383). Die Arbeitsgruppe identifizierte bei Arabidopsis thaliana eine Familie von Transmembrandomänenproteinen, die die Ausbildung der CS zwischen den Endodermiszellen koordinieren und in der Membran fixiert werden. Das von Wurzelhaaren aufgenommene Wasser fließt durch die Interzellularen bis zur Endodermis. Dort hindert die Barriere der CS den weiteren Fluss, der nun durch die Endodermzellen gezwungen wird, wo Schadstoffe eliminiert werden können. Lothar Jaenicke ó Isolierung von Mikroorganismen aus der Umwelt Im Zeitalter der molekularen Mikrobenökologie sind Ansätze zur Isolierung von Mikroorganismen aus der Umwelt in Vergessenheit geraten, da mit klassischen Verfahren allenfalls 5 bis 10 % der Mikroflora aus Proben zu kultivieren sind. Allerdings lässt sich die (Öko)physiologie von Organismen nicht ausschließlich anhand von Genomsequenzen beschreiben. Daher werden (meta)genomische Daten nur dann verwertbar sein, wenn wir in der Lage sind, verbesserte Verfahren zu entwickeln, Mikroorganismen aus der Umwelt zu isolieren. In einem Reviewartikel hat Dedysh die wenigen Ansätze, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, um schwer kultivierbare Mikroorganismen aus Boden zu isolieren, zusammengefasst und interessante Forschungsperspektiven abgeleitet (Front Microbiol (2011) 2:184). Michael Schloter 725_787_BIOsp_0711 782 04.11.2011 8:40 Uhr Seite 782 WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB ÿ Toleranzmechanismen des Sichelzell-Hämoglobins gegenüber Malaria ÿ Dynamische Methylierungslandschaft – genomweite Übersicht über Methylierungen von CpG-Inseln in Oozyten ÿ Reverse Metagenomik – ein neues Werkzeug zur gezielten Isolierung nicht-kultivierter Mikroorganismen ÿ Aufklärung der Struktur des Histamin H1-Rezeptors, einer wichtigen pharmakologischen Zielstruktur für Antiallergika Toleranzmechanismen des Sichelzell-Hämoglobins gegenüber Malaria Die Erbkrankheit Sichelzellenanämie wird durch verschiedene Mutationen im Gen der β-Kette von Hämoglobin, dem Farbstoff der roten Blutkörperchen, verursacht. Die Erythrozyten der Betroffenen verformen sich zu sichelförmigen Gebilden und können kleine Blutgefäße verstopfen. Während homozygote Träger kaum das Erwachsenenalter erreichen, verschafft diese Mutation heterozygoten Trägern einen Vorteil im Kampf gegen Malaria. Die molekularen Mechanismen dieses Schutzes gegen die schwerwiegenden Folgen einer Infektion mit dem Malariaerreger Plasmodium wurden nun von einem Forscherteam der Universitäten in Oeiras (Portugal), Leipzig und Paris aufge- klärt (Ferreira A et al., Cell (2011) 145: 398–409). ó Vor allem Kleinkinder in den (Sub-)Tropen sterben an den Folgen von Malaria, meist durch die cerebrale Malaria (CM), bei der die Plasmodium-infizierten Erythrozyten ins Gehirn gelangen. In C57BL/6-Mäusen kann dieses Szenario durch die Infektion mit Plasmodium berghei ANKA künstlich induziert werden (experimental cerebral malaria, ECM). Dieses Modell nutzte das Forscherteam, um die genauen Mechanismen des Schutzes der Sichelzellenanämie gegen CM aufzuklären. Plasmodien replizieren in roten Blutkörperchen und bringen diese zum Platzen. Dadurch gelangt toxisches Häm in den Blutkreislauf und löst die für Malaria typischen Fieberschübe und Entzün- dungsreaktionen aus. Bei Mäusen mit Sichelzell-Hämoglobin bewirkt das mutierte Hämoglobin über die Aktivierung des Transkriptionsfaktors Nrf2 eine kontinuierliche Produktion des Enzyms Hämoxidase 1 in hämatopoetischen Zellen. Dieses baut das toxische Häm zu Biliverdin und Kohlenmonoxid (CO) ab. CO verhindert durch Bindung an Hämoglobin die Freisetzung von neuem Häm und reduziert somit die Entzündungsreaktion, sodass ECM nicht auftritt. Y Diese Erkenntnisse wollen die Wissenschaftler nun nutzen und den natürlichen Gewebeschutzmechanismus durch CO künstlich nachahmen, um so Malaria-Erkrankten, insbesondere Kindern, das Leben zu retten. Nadine Hertrich ó Dynamische Methylierungslandschaft – genomweite Übersicht über Methylierungen von CpG-Inseln in Oozyten Methylierung von DNA-Abschnitten ist ein wichtiges globales epigenetisches Steuerungsinstrument zum Abschalten von Genen. Es unterliegt mannigfaltigen Veränderungen im Lauf der Entwicklung eines Organismus, aber auch während der Differenzierung einzelner Gewebe. Von besonderem Interesse ist dabei die unterschiedliche Methylierung des Genoms in den Keimzellen, die dazu beiträgt, dass nach der Befruchtung mütterliches und väterliches Erbmaterial von der Zelle unterschieden werden kann („Kampf der Geschlechter im Genom“). Sébastian Smallwood und seine Kolleginnen und Kollegen aus Cambridge und Tokio haben nun bei der Maus Methylierungsmuster in den CpG-Inseln von Oozyten und Spermien bestimmt (Smallwood SA et al., Nat Genet (2011) 43:811– 814). ó Sie identifizierten 1.062 methylierte CpGs in reifen Oozyten, aber nur 185 in Spermien – davon sind 58 ausschließlich in Spermien methyliert. Die Methylierung ist zu 92 bis 96 Prozent von den beiden DNA-Methyltransferasen DNMTA3 und DNMT3L abhängig, wie die Untersuchung der Methylierungsmuster in den entsprechenden Knockout-Mutanten gezeigt hat. Trotz detaillierter Untersuchungen konnten die Autoren keine Sequenzabhängigkeit des Methylierungsmusters in den Keimzellen feststellen; sie sahen vielmehr einen Zusammenhang zwischen Methylierungsgrad und aktiver Transkription der jeweiligen Gene (zumindest in Oozyten am Tag E10–E15) und ei- nem geringen Anteil an trimethyliertem Histon H3 (Position Lys4–H3K4me3), einem Marker für aktives Chromatin. Y Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, ein genomweites Muster der Methylierungsgrade in Keimzellen darzustellen, um so die Frage nach den „geprägten Genen“ (imprinting) präziser beantworten zu können. Zumindest bei einigen maternalen Genen geht die Methylierung während der Löschungsphase (zwischen der Befruchtung und der Morulaphase) nur auf etwa 50 Prozent herunter. Es gibt also deutliche Hinweise, dass keine vollständige Löschung des Methylierungsmusters erfolgt. Es wird deshalb noch mehrerer Experimente bedürfen, bis der Mechanismus des imprinting genau verstanden ist. Jochen Graw ó BIOspektrum | 07.11 | 17. Jahrgang 725_787_BIOsp_0711 04.11.2011 8:40 Uhr Seite 783 783 Reverse Metagenomik – ein neues Werkzeug zur gezielten Isolierung nicht-kultivierter Mikroorganismen Kängurus und Wallabys besitzen ähnlich dem Pansen der Wiederkäuer eine Fermentationskammer, in der Pflanzennahrung durch ein zuvor wenig erforschtes Mikrobiom fermentiert wird. Pope et al. (Science (2011) 333:646–648) konnten einen Schlüsselorganismus dieses Mikrobioms vom Tammar Wallaby gezielt isolieren. Das Isolat WG-1 gehört zu den Succinivibrionaceae. Sein Stoffwechsel könnte erklären, warum Kängurus und Wallabys deutlich weniger Methan produzieren als Wiederkäuer. Entscheidend für die erfolgreiche Kultivierung von WG-1 war reverse Metagenomik. ó Phylogenetische Analysen und die Hochdurchsatz-Sequenzierung metagenomischer Fragmente identifizierten eine WG-1-Population als wichtige Komponente des untersuchten Mikrobioms. PhyloPythia ist ein BinningAlgorithmus, der Metagenom-Fragmente unterschiedlicher Länge auf Basis ihrer Oligonukleotidmuster taxonomisch zuordnet. Dieser Algorithmus erlaubte die Rekonstruktion großer Genomabschnitte der WG-1-Population und somit die Vorhersage spezifischer Stoffwechseleigenschaften. Ein davon abgeleitetes Nährmedium mit Stärke und Harnstoff als einzige C- bzw. N-Quelle führte unter Zugabe des Antibiotikums Bacitracin zur selektiven Anreicherung und mittels dieses, als reverse Metagenomik bezeichneten Ansatzes letztendlich zur Isolierung von Stamm WG-1. Das Isolat zeigte, wie vorhergesagt, typische Eigen- schaften der Succinivibrionaceae, insbesondere Wachstum durch CO2-abhängige Fermentation pflanzlicher Kohlenhydrate mit Succinat als wesentlichem Endprodukt. Y Reverse Metagenomik ist ein vielversprechender Ansatz zur gerichteten Isolierung nichtkultivierter Mikroorganismen, vorausgesetzt, genomische Fragmente der Zielgruppe können zweifelsfrei identifiziert werden und diese enthalten Informationen, welche eine selektive Kultivierung möglich machen. Detaillierte Kenntniss zur Ökophysiologie von WG-1 könnte Strategien eröffnen, die mikrobielle Aktivität im Pansen der Wiederkäuer gezielt in Richtung geringere Methanproduktion zu lenken. Werner Liesack ó Aufklärung der Struktur des Histamin H1-Rezeptors, einer wichtigen pharmakologischen Zielstruktur für Antiallergika Histamin ist ein wichtiger Entzündungsmediator bei der allergischen Rhinitis (Entzündung der Nasenschleimhaut) und Konjunktivitis (Augenbindehautentzündung). Histamin entfaltet dabei einen großen Teil seiner Wirkungen über den Histamin H1-Rezeptor (H1R). Dementsprechend stellen H1R-Antagonisten effektive Pharmaka zur Behandlung der allergischen Rhinitis und Konjunktivitis dar. Man unterscheidet H1R-Antagonisten der ersten Generation, die ins ZNS penetrieren und zahlreiche andere Rezeptoren beeinflussen, von H1R-Antagonisten der zweiten Generation, die spezifischer den H1R blockieren und weniger stark ins ZNS penetrieren. BIOspektrum | 07.11 | 17. Jahrgang ó Shimamura et al. (Nature (2011) 475:6570) klärten die Kristallstruktur des humanen H1R im Komplex mit einem H1R-Antagonisten der ersten Generation (Doxepin) auf. Doxepin taucht tief in die Ligandbindungstasche des H1R ein und interagiert über hydrophobe Wechselwirkungen mit einer in G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs) hochkonservierten Aminosäure, dem Trp428 in der sechsten Transmembrandomäne. Dieses Tryptophan ist Bestandteil des toggle switch, über den GPCRs im inaktiven (R) oder aktiven (R*) Zustand stabilisiert werden. H1R-Antagonisten der zweiten Generation unterscheiden sich von H1R-Antagonisten der ersten Generation durch eine zusätzliche Carboxylgruppe. Die Carboxylgruppe geht Ionenpaarbindungen mit Lys191 in der fünften Transmembrandomäne und/oder Lys179 in der zweiten extrazellulären Schleife ein. Dies erklärt die höhere H1RSelektivität der H1R-Antagonisten der zweiten Generation. Y Die Arbeit von Shimamura et al. leistet fundamentale Beiträge zum Verständnis der Mechanismen der GPCR-Aktivierung sowie zur differenziellen Interaktion verschiedener Ligandenklassen mit einem GPCR. Die Publikation reiht sich in eine Serie exzellenter Arbeiten über die Aufklärung der Struktur des β1- und β2-Adrenorezeptors, Adenosin A2A-Rezeptors, Dopamin D3-Rezeptors und Chemokinrezeptors CXCR4 ein. Die Aufklärung von GPCR-Kristallstrukturen verbessert die Entwicklung von therapeutisch wichtigen Agonisten und Antagonisten. Roland Seifert ó 725_787_BIOsp_0711 784 04.11.2011 8:40 Uhr Seite 784 WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB ÿ Antibiotikaresistenz – ein alter Hut? ÿ Der pH-abhängige Formiat-(Im/Trans)porter FocA arbeitet normostatisch ausgleichend ÿ Guanabenz hemmt GADD34, PPP1-Anlagerung und Proteinmissfaltung ÿ Kinetik der Lyse einer Einzelzelle Antibiotikaresistenz – ein alter Hut? Mit steigender Verwendung von Antibiotika nimmt auch die Zahl der resistenztragenden Bakterien in der heutigen Zeit beständig zu. Da die Antibiotika-Produktion ein natürliches Phänomen und als solches schon sehr alt ist, stellt sich die Frage, wie alt Resistenzen gegen diese Antibiotika sind. Denn obwohl das Auftreten resistenter Bakterienstämme vermehrt beobachtet wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Resistenzen ähnlich alt sind wie die Antibiotika selbst. ó V. M. D’Costa et al. (Nature (2011) 477:457–461) untersuchten Bohrkerne aus dem Permafrostboden des kanadischen YukonGebiets. Der Boden der untersuchten Tiefe wurde auf ca. 30.000 Jahre datiert. In DNA- Extrakten konnten sie Sequenzen von Vertebraten und Pflanzen des späten Pleistozäns, jedoch keine Sequenzen häufiger rezenter Arten nachweisen. Den Forschern gelang die Amplifikation von Genen, die für diverse Antibiotika-Resistenzen codieren. So wurden u. a. Gene für Beta-Laktamasen (Penicillin-inaktivierend) und das Ribosom-schützende Protein TetM detektiert. Im besonderen Fokus der Studie standen die Gene, die für VancomycinResistenz codieren (vanHAX). Die Sequenzen der vanHAX-Gene aus dem Permafrost waren mit Genen rezenter Aktinobakterien verwandt. Untersuchungen der Enzymaktivität nach Expression in E. coli und röntgenkristallografische Analyse der erhaltenen Proteine bestätigten große Ähnlichkeiten zwischen prähis- torischen und modernen VanA. Kleinere Abweichungen in der Proteinstruktur hatten keinen Einfluss auf die Enzymfunktion. Y Die Autoren der Studie konnten eindrucksvoll zeigen, dass Antibiotika-Resistenzen keine Erfindung der Neuzeit sind, jedoch überrascht diese Erkenntnis nicht. Wieso auch sollten Antibiotika-Produzenten über Jahrtausende einen Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz erhalten können, ohne dass diese die entsprechenden Abwehrmechanismen entwickelt? Was wir heutzutage beobachten können, ist allerdings die rasche Verteilung der Resistenzen über alle Arten von Bakterien – und das ist das wirklich Besorgniserregende. Katharina Palmer ó Der pH-abhängige Formiat-(Im/Trans)porter FocA arbeitet normostatisch ausgleichend Enterobakterien haben sich ihrem anaeroben, an Abbauprodukten von Energieträgern (zu Pyruvat) reichen Darmmilieu angepasst. Statt das Pyruvat zu CO2 zu oxidieren, haben sie die Pyruvat:Formiatlyase (PFL) entwickelt, die das Pyruvat zu Formiat und Acetyl-CoA spaltet. Formiat (HCO2– = F–) ist eines der stärksten organischen Anionen. Seine Anhäufung würde das Zytoplama tödlich ansäuern. Es muss daher unschädlich gemacht werden. Der Export von F– geht über den F-Kanal FocA. Oberhalb pH 6,8 arbeitet er als Exporter, darunter als Importer, der an einen zytoplasmatischen Formiat/Wasserstoff-Lyase-Komplex angeschlossen ist. Mit dessen Hilfe disproportioniert F– zu CO2 und H2. F-Verschiebung durch FocA bei hohem pH ist ein passiver Vorgang, bei niedrigem ein aktiver F–/H+-Symport. Das Protein muss also funktionell umschalten. ó Diesem Problem sind W. Lü et al. (Science (2011) 332:352–354) durch Strukturuntersuchung mit 2,8 Å-Auflösung an kristallisiertem FocA nachgegangen. Es ist ein dichtes Pentamer-Aggregat mit engem zentralen Durchlass. Die Kettenenden liegen auf der zytoplasmatischen Seite der Membran. Die N-Termini der Monomeren im Fünferaggregat sind bei pH 4,0 wohlgeordnet, weisen aber eine Asymmetrie und Flexibilität bis zu einer Helixbildung auf, die in den Trichter ragt, also einen Schleusenmechanismus nahelegt. Bei pH 7,5 sind sie ungeordnet. Die C-Enden zeigen ähnliches Muster vom offenen zum Zwischen- und geschlossenen Zustand, wobei jeweils eine vom N-Ter- minus-abhängige omega-Schlinge der fluktuierenden Ordnung folgt. FocA bildet, konzertierend über die N-Enden der Untereinheiten und in pH-Abhängigkeit, unterhalb von pH 7,5 einen spezifischen Kanal für F–. Y Ein möglicher Mechanismus für die aktive Aufnahme von F– bei niedrigem pH kann ein konzertiert-kooperativer Kreislauf zwischen den drei Konformationszuständen der Protomeren – offen/neutral/geschlossen – sein. F– im Periplasma durchtritt die Membran und erreicht die Öffnung des Kanals, die nur durch die N-terminale Helix verschlossen ist. Vorübergehendes Öffnen des Zytoplasmatrichters entlässt das F–. Den passiven Export bei hohem Außen-pH kontrolliert die geschwindigkeitsbegrenzende Selektivität des Trichters. Lothar Jaenicke ó BIOspektrum | 07.11 | 17. Jahrgang 725_787_BIOsp_0711 04.11.2011 8:40 Uhr Seite 785 785 Guanabenz hemmt GADD34, PPP1-Anlagerung und Proteinmissfaltung Der Stressantwort-Signalweg unfolded protein response (UPR) hält die Proteostase von Sekretionsproteinen im ER-Lumen aufrecht: Proteinkinase PERK, eines der Transmembran-Stressfühlerproteine, vermindert durch Phosphorylierung des α die Eukaryonten-Initiationsfaktors eIF2α Gesamtsynthese von globulären Proteinen im ER-Lumen, verstärkt aber die Translation des Transkriptionsfaktors ATF4, der spezifisch auf Stress-empfindliche Gene wie den Transkriptionsfaktor CHOP gerichtet ist. Letzterer induziert die Transkription der PPP1R15A-KontrollUntereinheit der Proteinphosphatase1 (= GADD34). Ein Heterodimer aus der katalysierenden Untereinheit von PPP1 und der Kontrolleinheit GADD34 dephosα-P und führt phoryliert selektiv eIF2α dadurch eine negative Rückkopplungsschleife ein. Mit ihr kann die PERK-Signalkaskade abgeschaltet und die ribosomale Translation nach einem Stress wiederhergestellt werden. UPR-Versagen ist Ursache vieler pathologischer (Stress-)Zustände. Liganden aus der Chemotherapie-Apotheke können diese durch entsprechende Verstärkung des auslösenden Reizes korrigieren. ó P. Tsaytler et al. (Science (2011) 332:91– 94) durchstöberten den Akronymensalat nach Bindestellen für einen solchen niedermolekularen Binder an GADD34 und fanden ihn in dem α2-adrenergen Rezeptoragonisten Guanabenz, das zur Behandlung von Hypertonie bewährte Acetat der Schiffbase aus 2,6-Dichlorbenzaldehyd mit Aminoguanidin, von dem neuerdings auch Antiprionen-Aktivität gezeigt wur- de. Tatsächlich schützt Guanabenz auch gegen andere sich anhäufende Proteinmissfaltungen, z. B. von InsulinAkita in Langerhans-β-Pankreasoder zytotoxischen ER-Faltungen in HeLa-Zellen. Guanabenz bindet nicht an die konstitutiv exprimierte Kontrolluntereinheit CReP (=PPP1R15B) von eIF2α und ist per se, im Gegensatz zu Calyculin A, nicht zytotoxisch. Y Die von mehreren Aspekten inspirierte systematische Suche nach Ligandenzielen im UPR hat hier durch Per- und Transpiration zu einem eleganten Erfolg geführt: Guanabenz moduliert die Translation als Antwort auf einen ER-Stress, indem es das Verhältnis Chaperone/Proteinsubstrat erhöht. Dadurch sorgt es für korrekte Proteinfaltungen im ER-Lumen. Lothar Jaenicke ó Kinetik der Lyse einer Einzelzelle Die instant-Sequenzierung von Nukleinsäuren und die höchstauflösende Immunfluoreszenzmikroskopie sind aktuelle Beispiele für kombinatorische Probleme aus den Biowissenschaften, in denen molekulare Wechselwirkungen höherer Ordnung hergestellt und ausgenutzt werden, um Zeit- und Ortauflösungen zu dokumentieren. Eindrucksvoll ist hier die ingeniöse Kombination von makromolekularen Bindern und Liganden zur sukzessiven Sichtbarmachung von (Protein)bestandteilen bei der Lyse einer einzelnen Zelle, die A. Jain et al. vorschlagen (Nature (2011) 473:484–488). ó Während man standardweise ein Antigen nach dem anderen durch spezifische Antikörper aus einem Lysat fischt, Westernblot- BIOspektrum | 07.11 | 17. Jahrgang reinigt und MS-analysiert, werden hier Trennund Reinigungsschritte überflüssig: Bei der Immunfluoreszenzmikroskopie fließen die Proteinkomponenten eines (Einzel)zelllysats durch eine Art feuchter Kammer zwischen mit Methoxypropylenglykol (mPEG) passiviertem, aber mit Biotinyl-PEG/Streptavidin aktiviertem Objektträger und Deckglas, die „Beutefische“ gehen darin ins Biotinnetz. Man fixiert mit biotinyliertem, jeweils selektiv-spezifischem Antikörper, wäscht und analysiert die gesuchten Makromoleküle modo Immunfluoreszenzmikroskopie und ihren technischen Details. Bei Multiprotein-Komplexen werden Mehrfarbenfluoreszenzen genutzt. Zur Quantifizierung zählt man die Fluoreszenzflecke auf dem Träger. Diese elegante en miniature-Abkürzungsmethode erspart die anfälligen und mühsamen Stufen von Westernblot und Massenanalyse. Y Mithilfe dieser single molecule pulldown(SiMPull)-Methodik ließen sich nacheinander Organellen, endogene Protein/Proteinkomplexe, markierte Einzelproteine unterschiedlicher – aber bekannter – Binde(Kinase!)aktivitäten sowie Enzyme des Makromolekül(DNA)-processings nicht nur routinemäßig und rascher nachweisen als bisher, sondern bei ingeniöser Nutzung von spezifischen Techniken auch in ihrer Dynamik analysieren, aber nicht neue Aktivitäten entdecken. Vermutlich wird die Methodik die exakte Aussagekraft der MS nicht aushebeln können, aber in die kombinatorische Serienanalytik eingehen. Lothar Jaenicke ó