Ein Europäer in Amerika
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Ein Europäer in Amerika
Ein Europäer in Amerika Michalis Meyer August 2002 abzusägen um einen Adapter zu verwenden schien mir für einen zweijährigen Aufenthalt doch zu provisorisch. Leider hat DELL ihr eigenes System (meinem PC-Supporter Thomas ist dass natürlich klar). Nach 4 Geschäften, tückischerweise alle an der University Avenue, haben wir unsere Füsse wund gelaufen und gaben unsere Suche ziemlich frustriert auf. Vermeintliches Kabel bestellen wir dann, ganz amerikanisch, zuhause per Telefon. Jeder Verkäufer den wir nach einem Geschäft fragten sagte mit ziemlich gutem Gewissen “...just a few blocks away...” Natürlich ging jeder davon aus dass wir selbstverständlich mit dem Auto unterwegs sind. Ich bin mir nun den Distanzen bewusst, aber immer noch Fussgänger! Nun ist es also soweit. Nach zwei Jahren Vorbereitung, Gesprächen, Informationen sammeln, Tests, Papierkram und einer Reise bin ich also hier in den Twin Cities Minneapolis/St. Paul; an der University of Minnesota (www.umn.edu). Ich werde Graduate School in Mechanical Engineering absolvieren und damit mein Masters of Science in Mechanical Engineering erhalten! Ich habe bereits meine ersten Eindrücke gesammelt und meine ersten kleinen Lektionen gelernt. Von denen möchte ich hier berichten. Lektion 1 Kontrolliere alle Dokumente Man hat schon viel über Einreise-Prozeduren in die Staaten gehört. Ich möchte hier noch eine kleine Anekdote anfügen: Ein Visum wird naturgemäss in der Botschaft im Heimatland beantragt, in den Pass eingeklebt ist und muss bei Einreise dem Beamten vorgezeigt wird. Hat man das Studentenvisum den Mühlen des Staates abgerungen, kontrolliert man Name der Universität, Einreisedatum, Gültigkeit etc. Nun, ich komme also nach neun Stunden Flug zu diesem bewaffneten Beamten und zeige ihm nicht ohne Stolz mein Visum. Nach einem kurzen Blick sagt der mir mit trockener Stimme: “We gotta a problem, Sir!”Problem? Solche Fragen können einem klein, glänzende Schweissperlen auf die Stirn treiben. “According to this visa you are a woman!” Ein kleiner Buchstaben zeigt das Geschlecht des Inhabers des Visa an (m/f). Wahrscheinlich ist der Name Michael in Bern (dort ist die Botschaft) ein Frauenname. In meinem Visa stand auf jeden Fall f für female. “Did you have any kind of plastic surgery?”. Nach ein Paar ernsten Worten und anschliessenden Scherzen habe ich es dann noch innert nützlicher Frist ins Land geschafft. Ich muss also bei meinem nächsten Aufenthalt in der Schweiz nach Bern mein Visum korrigieren. Lektion 2 Amerika, nichts für Fussgänger Am nächsten Tag haben wir uns dann auch gleich von der Weite der Prärie des mittleren Westens überzeugen können. Wir wollten eigentlich nur ein Stromkabel für mein Notebooks finden. Die Erdung Abbildung 1: Downtown Minneapolis Lektion 3 Studentenwohnungen Die Universität (locker “U” genannt) unterhält eine Internet-Seite in der Studenten nach Wohnungen und Zimmern suchen können. Nach langem Suchen habe ich dann auch ein Zimmer gefunden dass mir zusagte. Während unserer Wanderung in und 1 um die “Twin Area” haben wir uns auch gleich vermeintliches Zimmer angeschaut. Und ehrlich, als wir an das nette Haus kamen mit all diesen Bäumen und Grün dachte ich “Volltreffer”. Wir läuteten, man machte uns auf, führte uns über eine steile, dunkle, Treppe durch ein schmutzigesschmudeliges altes Wohnzimmer und präsentierte uns ein kleines, dunkles, muffiges Zimmer, spärlich möbliert mit einer ziemlich alten Matratze. Die Küche war noch schlimmer. Wir waren keine fnf Minuten in diesem Haus. Diese Lektion hat mich ziemlich schnell auf den Boden gebracht und ich war wirklich sehr, sehr, sehr froh war Daniela da. Auf der selben Internet-Seite habe ich aber auch jenes Zimmer gefunden in dem Daniela und ich für zwei Wochen wohnten. Ein super-schönes Zimmer mit Fensterfronten auf drei Seiten (Licht hoch drei!), Blick ins Grüne, eigenem Bad. Die Besitzerin, sehr nett, hilfs-bereit und umgänglich, ist ziemlich stolz dass dieses Haus vom Stararchitekten F.L. Wright gebaut wurde. Da ich ja nun potenzieller Obdachloser war, hat Sie mir auch gleich ein Zimmer vermittelt. So sitze ich nun also hier im Haus ihrer Tochter Sarah und derer vierjähriger Tochter. Sarah ist mindestens so nett und umgänglich wie ihre Mutter. Ich habe ein schönes Zimmer mit eigenem Bad, kann mit ihr zum Einkaufen fahren, darf ihr Büro benutzen und surfe über den High-Speed-Internetanschluss (definitiv ein Argument). Lektion 4 Registrieren in den USA Im Gegensatz zur Wohnungssuche lief das Registrieren an der U wesentlich reibungsloser ab. Meine Dokumente wurden geprüft, ich musste einen Tuberkulose-Test machen, in hundert verschiedene Gebäude gehen, alle auf einer Fläche der Altstadt Winterthur verteilt, und mind. 10’000 Dokumente ausfüllen. Nach einer Woche war ich mit dem Gröbsten durch und konnte mich für Kurse einschreiben! Sich am Tech einzuschreiben dauert nicht länger als zwei Stunden. Lektion 5 Die U und das Internet Alles, aber wirklich alles was man wissen muss, wissen sollte und noch viel mehr ist auf irgend einer der mindestens 10’000 Internetseiten der U publiziert. Man kann sich übers Netz einschreiben, die offizielle Kursbeschreibung oder die Internetseite des entsprechenden Kurses anschauen, den Stundenplan oder die noch offnen Sitze des Kurses abfragen etc. Gewisse Richtlinien werden nur im Internet publiziert und kommuniziert wird sowieso nur per E-Mail. Das heisst dann “shot me a mail”. Aber bei 45’000 Studenten (davon 4’000 Internationals) ist das notwendig. Abbildung 2: 10’000 Lakes Lektion 6 Vorurteile Ich wurde bereits vor meiner Abreise ausgiebig über gewisse Eigenheiten von Land und Leuten aufgeklärt. Bei den folgenden Aussagen handelt es sich jedoch vor allem um Vorurteile eines New Yorkers Schöngeistes (thank you Roy, everthing is true) denen ich aber soweit nur zustimmen kann. Auf den Nummernschilder des Bundesstaates Minnesota steht “10’000 lakes”, womit die Vielzahl Seen gemeint ist. Leider hat es um jeden See (und sonst überall) mindestens so viele, daumengrosse Mücken (in der Landessprache ironischerweise Moskitos genannt!) die sich nur so auf Europäer stürzen. Der Sommer ist sehr heiss und feucht. Das Wetter kann innert einer halben Stunde von praller Sonne in dicke, graue Wolken umschlagen und dann richtig runtergiessen. So, dass alles was nicht im trockenen ist bis auf die Haut nass wird (wie zum Beispiel zwei Europäer die nur mit einem Regenschirm ausgerüstet sind). Eigenartig ist die ausgeprägte Neigung alle Räume auf min. −32◦ F runter zu kühlen. Dies betrifft nicht nur Wohnungen sondern vor allem U-Bibliotheken u.ä.. Um Energie zu sparen verdunkelt man dann nach Möglichkeit alle Fenster. Für Europäer wie mich ist dies ziemlich gewöhnungsbedürftig. Viele Leute sind wirklich unglaublich dick. So dick, dass man sich fragen muss: “Wie konnte das je geschehen?”. Einige amerikanische Oberschenkel sind so dick wie zwei bis zwei ein halb europäische. Für Distanzen über 50m ist das Auto das wichtigste Fortbewegungsmittel. Man kommt mit dem Auto auch an alles so nah ran was von Interesse ist. Ist man mal auf dem Highway, ist Autofahren so schwer wie im Sofa zu sitzen und fern zu sehen. Vergesst also nie den Fahrausweis wenn ihr nach Amerika reist. Busse benutzen nur Studenten, einige Büroangestellte die in der Rushhour nach Downtown fahren sowie Randgruppen. Je nach Quartier trifft man im Bus auf ziemlich komische Gestalten. Nichts desto trotz kann Minneapolis als Sicher bezeichnet werden. Es 2 hat mir aber niemand von diesem Drang nach Effektivität erzählt der oft zu spühren ist. Das beginnt mit all den Schildern und Regeln und reicht bis optimierten Abläufen in den Spitälern sowie digitalisierten Abläufen an der U. Zum Beispiel ist ganz klar das ich selbst Adressänderungen via Internet nachtrage. Lektion 7 Die Natur . . . Überwältigend Für zwei Tage haben wir ein Auto gemietet und Tagesausflüge ins Grüne gemacht. Am ersten Tag fuhren wir in nah gelegene Nationalparks. Die sind gut gepflegte, überdimensionale Erholungszentren in denen ziemlich viel gesehen und erleben werden kann: picknicken, spazieren, baden, kanuen, klettern, campen, etc. Am zweiten Tag fuhren wir, also eigentlich ich (ich war der einzige mit einen Fahrausweis), drei Stunden nach Duluth. Von dort gings weiter auf einem sehr schönen Scenic Drive entlang der Nordküste des Lake Superiors bis zu einem alten Leuchtturm, der touristischen Hauptattraktion der Umgebung. Ein kurzer Spatziergang durch den Wald brachte uns an einen beinahe menschenleeren Steinstrand mit einer kleinen Insel in der Bucht(Abbildung 3). Im Rücken endloser, dicker Wald und vor uns die unendliche Weite des Lake Superiors. Meine ersten Eindrücke meiner neuen Heimat sind also, bis auf wenige Ausnahmen, durchwegs positiv. Zudem empfinde ich es sehr inspirierend so viele Menschen aus anderen Kulturen zu treffen. Insgesamt studieren 4000 internationale Studenten an der U of M, wovon viele Chinesen und Japaner sind. Ich habe nette Leute aus Frankreich, Nepal und Süd Korea getroffen. Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals bei meinen Arbeitskollegen für den Dictionary bedanken. Dieser Dictionary ist der einzige seiner Art für Non-Native Speaker auf graduate Level und wird empfohlen (Danke Thomas, kann ihn gut gebrauchen) Bitte erwartet jetzt nicht jeden Monat einen solchen Text. Aus einem kleinen E-Mail ist ein Artikel gewachsen. Hat das Studium erst begonnen, werde ich schon beschäftigt sein. Abbildung 3: Split Rock Lighthouse 3