Liebermann und Van Gogh
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Liebermann und Van Gogh
Liebermann und Van Gogh Eine Ausstellung der Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin Herausgegeben für die Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin von Martin Faass Mit Beiträgen von Martin Faass, Julia Klarmann, Margreet Nouwen, Laura Prins, Dietrich Schubert und John Sillevis Wienand I n h a lt 6 GrußwortMoniquevanDaalenBotschafterindesKönigreichsderNiederlande 8 VorwortRolfBudde 10 AufderSuchenachdemGeistvonBarbizonMartinFaass 22 SympathieundEmpathie–MaxLiebermannundVincentvanGogh inderWebstubeJuliaKlarmann 34 PrioritätderLinie?OderTriumphderFarbe?–imHinblickauf VanGoghundLiebermannDietrichSchubert 48 Katalogteil 90 LobderKartoffel–VanGoghsKartoffelesserund LiebermannsTischgebetMargreetNouwen 104 MaxLiebermann,dieHaagerSchuleundVincentvanGoghJohnSillevis 116 VincentvanGoghinDrentheundseinInteressefürLiebermannLauraPrins Anhang 132 VerzeichnisderausgestelltenWerke 136 Personenregister 138 AusgewählteLiteratur 140 Dank 143 Bild-undFotonachweis 4 max liebermann: Kind unter Bäumen – Studie zu den »Spielenden Kindern«, 1882, Kunstkreis berlin Gbr 52 5 max liebermann: Junge Mutter unter Bäumen – Studie, 1882, Kunstkreis berlin Gbr 53 31 max liebermann: Die Rückkehr auf das Land, 1892, remagen, arp museum bahnhof rolandseck / sammlung rau für unIcef 32 Vincent van Gogh: Rückenfigur eines alten Mannes, 1882, Privatbesitz 78 79 33 Vincent van Gogh: Kartoffelgrabende Bäuerin, 1885, Koninklijk museum voor schone Kunsten, antwerpen 34 max liebermann: Kartoffelsammlerin, 1874, Klassik stiftung weimar 80 81 maX lIebermann, dIe haaGer schule und V I n c e n t Va n G o G h John Sillevis Max Liebermann liebte Holland. Doch damit war er nicht der einzige deutsche Künstler. Die Liebe der Schriftsteller und Maler zur holländischen Landschaft war geprägt von der Begeisterung für die Meister der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Johann Wolfgang Goethe bewunderte in Dresden die Werke Jacob van Ruysdaels in der Kunstsammlung Friedrich Augusts II., des Kurfürsten von Sachsen. Und auch Maximilian I. Herzog von Bayern war ein begeisterter Sammler Alter Meister, wie zum Beispiel Paulus Potter, der damals als einer der größten Maler der Niederlande galt. Besonders an der Düsseldorfer Kunstakademie begeisterte man sich für die holländische Kunst. Friedrich Wilhelm von Schadow und Johann Wilhelm Schirmer regten die Schüler ihrer Landschafterklasse dazu an, die Landschaften Jacob van Ruysdaels und Meindert Hobbema zu studieren und dies mit einer Reise nach Holland abzuschließen. Andreas Achenbach, ein Schüler dieser Landschafterklasse, machte 1835 seine erste Reise in die Niederlande. Nach seiner Rückkehr erntete er viel Erfolg mit seinen holländischen Küstenlandschaften. Seine großen Vorbilder waren Adriaan van de Velde und Ludolf Bakhuyzen. Rudolf Jordan, ein Meisterschüler der Kunstakademie Düsseldorf, gehörte zu den Vorläufern des Fischergenres; seine Inspiration dazu fand er vor allem in Scheveningen, Zandvoort und auf der Insel Marken – berühmt wegen der traditionellen Trachten.1 Als Max Liebermann 1871 anschließend an seine Ausbildung in Weimar nach Düsseldorf kam, war Holland noch immer das große Thema. Dort lernte er das Fischergenre und den Realismus kennen. Mihály Munkácsy hatte gerade mit seinen Charpiezupferinnen Furore gemacht, einem Werk, das Liebermann zu den Gänserupferinnen2 und Gemüseputzerinnen3 (Abb. 1) inspirierte. Letzteres entstand 1871 während seiner ersten Studienreise nach Amsterdam, wo er Rembrandts Nachtwache im Treppenhaus des palastartigen Handelshauses der Metall- und Waffenhändler Trip sah. Hier waren bis zur Eröffnung des Rijksmuseums 105 1 max liebermann: Die Gemüseputzerinnen, 1872, Privatsammlung V I n c e n t Va n G o G h I n d r e n t h e u n d seIn Interesse an lIebermann Laura Prins Es war die bloße Beschreibung von Liebermanns Gemälde Rasenbleiche, Zweeloo, die Van Goghs Phantasie anregte (Abb. 1). Das Bild selbst würde er nie sehen.1 In Drenthe, wo er sich zu der Zeit aufhielt, bekam er Kenntnis von dem Bild lediglich durch die Worte seines Bruders, der das Gemälde im Salon de Paris gesehen hatte.2 Theo wird Frauen beschrieben haben, die ihre gebleichten Laken auf einer Wiese unter Apfelbäumen ausbreiteten, dahinter ein Bauernhaus. Vielleicht hat er dabei erwähnt, dass die gebückte Gestalt im Hintergrund und die Frau mit dem schweren Wäschekorb, die hinter dem Baum erscheint, an Millets Figuren erinnern.3 Er wird davon berichtet haben, wie der markante Apfelbaum, nach hinten gebeugt, der Komposition Tiefe verleiht. Sehr wahrscheinlich hat sich Theo bei 1 max liebermann: Die Rasenbleiche, 1882, wallraf-richartz-museum & fondation corboud, Köln der abgebildeten ländlichen Szene an die Motive erinnert gefühlt, die sein Bruder Vincent in Zweeloo malen wollte. Jedenfalls hat er, so gut er konnte, die Farben beschrieben, den Kontrast von Weiß zu den Grüntönen, und das Licht, das spielerisch durchs Laubdach fällt. Das Werk eines Künstlers, das er noch nie gesehen hatte, begann vor Van Goghs innerem Auge lebendig zu werden. »… Deine Beschreibung, vor allem seiner Malweise, gibt mir mehr Klarheit über ihn. Seine Farbe muss unendlich viel besser als die von Henkes sein (du sagst es sehr gut: ›schieferfarben mit Übergängen ins Graugelbe und Graubraune‹.) Ich begreife es vollkommen.«4 Er würde noch mehrmals in seinen Briefen darauf zurückkommen. Theo beschrieb dem Bruder immer wieder Gemälde, die er in Pariser Ausstellungen sah, meistens Werke der BarbizonKünstler, die Van Gogh noch aus seiner Zeit als Angestellter im Kunsthandel kannte. So schrieb Van Gogh ihm: »Deine Beschreibung von Troyon & Rousseau ist so kernig, dass ich mich nur daran zu halten brauche, um einigermaßen zu wissen, in welcher Art sie gemacht sind.«5 Anhand solcher Beschreibungen von Theo, seinem eigenen Gedächtnis und den Reproduktionen erweiterte Van Gogh sein Wissen über Kunst. Liebermann dagegen war ihm unbekannt: »Du schriebst mir von Liebermann […] Ich habe niemals etwas von ihm gesehen, nun 117 2 max liebermann: Reproduktion der Rasenbleiche im Strichätzverfahren, 1883, im Katalog des Pariser salon