Die Golfstaaten - Deutsches Orient
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Die Golfstaaten - Deutsches Orient
Die Golfstaaten Das „neue Herz“ des Nahen und Mittleren Ostens? Die Außenpolitik der arabischen Golfstaaten in der Analyse Eine Studie des Deutschen Orient-Instituts Oktober 2012 Jägerstrasse 63 d • D - 10117 Berlin • Tel.: +49 (0)30 - 206410-21 • Fax: +49 (0)30 - 206410-29 www.deutsche-orient-stiftung.de • www.deutsches-orient-institut.de • doi@deutsches-orient-institut.de Inhalt Inhaltsverzeichnis Einleitung ..................................................................................................................................... 3 Saudi-Arabien............................................................................................................................... 7 Katar ......................................................................................................................................... 37 Vereinigte Arabische Emirate .................................................................................................... 49 Bahrain ...................................................................................................................................... 64 Kuwait ........................................................................................................................................ 75 Oman ......................................................................................................................................... 87 Irak......................................... .................................................................................................... 98 Vorstand und Kuratorium der Deutschen Orient-Stiftung..........................................................114 Vorstand und Beirat des Nah- und Mittelost-Vereins / NUMOV................................................ 115 Impressum................................................................................................................................ 117 2 Deutsches Orient-Institut Einleitung Die Golfstaaten – Das neue Herz des Nahen und Mittleren Ostens? W o schlägt das Herz der arabischen Welt? Welche Länder, Regierungen und Gesellschaften bestimmen die politischen Geschicke in dieser Zeit des Umbruchs, in der im Zuge des so genannten „Arabischen Frühlings“ oder der „Arabellion“ die Regimes in Tunesien, Ägypten und Libyen gefallen sind, Syriens Präsident Bashar alAssad unter enormem Druck steht, während das Land im Bürgerkrieg versinkt, und der Jemen einen schmerzhaften Transformationsprozess durchläuft? Die ersten freien Wahlen in Ägypten und Tunesien sowie zuletzt in Libyen haben gezeigt, wie wichtig den heterogenen Gesellschaften demokratische Lösungen sind, aber auch, wie unberechenbar und fragil die neuen politischen Ordnungen und Systeme erscheinen. Die Wahlsiege der Islamisten in Tunesien und Ägypten sorgen bei der internationalen Gemeinschaft für Skepsis, dass durch eine neue, „islamische“ Politik das fragile Gleichgewicht des Nahen und Mittleren Ostens bedroht wird. Stabilität – dies war seit Jahrzehnten das aufrecht zu erhaltende Hauptziel der Weltgemeinschaft in der Region, um befürchtete Anarchie und Chaos zu vermeiden. Immerhin schwelen in Nordafrika, der Arabischen Halbinsel und der Levante zahlreiche Konflikte, die jederzeit zu einem Flächenbrand hätten führen können: Der Nahostkonflikt, der Hegemonialkonflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien, der Konflikt um das iranische Atomprogramm, der Einfluss der Muslimbrüder, die fragile Situation im Irak sowie der Bürgerkrieg in Syrien sind nur die explosivsten Brandherde, die von der internationalen Gemeinschaft nicht nur als Gefahren für die Tektonik der Staatengebilde im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch als Risiken für ihre eigenen Interessen in der Region gesehen werden. Die arabische Welt ist immerhin seit Jahrzehnten Tummelplatz internationaler Interessen um wirtschaftliche Marktanteile, politische Vormachtstellung und sozialen Einfluss. Allerdings haben sich spätestens mit dem Arabischen Frühling und den daraus resultierenden Transformationsprozessen die Epizentren politischer Macht verschoben. Verfügten historisch gesehen Ägypten, Syrien oder der Irak über enormen politischen, wirtschaftlichen, intellektuellen und kulturellen Einfluss, befinden sich diese Länder nun in einem zermürbenden und existenzbedrohenden Prozess der Selbstfindung, Selbstzerstörung und Selbstentdeckung: Ägypten droht nach dem Sturz Hosni Mubaraks am Konflikt zwischen Militärrat und Muslimbrüdern sowie den immensen wirtschaftlichen Problemen seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu verlieren. Syrien versinkt in einem konfessionellen Chaos, welches auch nach dem absehbaren Sturz des Diktators Bashar al-Assad anhalten oder sich gar verschärfen dürfte. Und der Irak dient Syriens Vielvölkergesellschaft als Negativbeispiel einer misslungenen Transformation. Nach dem Sturz Saddam Husseins und dem Einmarsch der US-amerikanischen Truppen versank das Land erst im Kampf gegen die Besatzer, dann in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten, Arabern und Kurden, um sich nun in einer Phase der politischen Lethargie, Korruption und wirtschaftlicher Ineffizienz zu befinden. Kurz: Die ehemaligen Großmächte der arabischen Welt sind derzeit durch ihre eigene innere Schwäche so paralysiert oder traumatisiert, dass sie keine außenpolitischen Führungskräfte sein können. Stattdessen haben sich die ehemals unbedeutenden Golfstaaten Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Katar, Oman und Kuwait zu mehr oder weniger einflussreichen außenpolitischen Akteuren entwickelt. Die jahrzehntelange Schwäche der traditionellen arabischen Führungskräfte wirkte sich dabei stärkend auf die Golfstaaten aus. Je mehr der Einfluss dieser Kräfte schwand, desto mehr stieg die Macht der arabischen Golfstaaten. Aufgrund ihres Ölreichtums und ihrer (zumindest teilweise) recht homogenen Bevölkerungsstruktur verfügten die jeweiligen Herrscherhäuser einerseits über die finanzielle Potenz, den Lebensstandard zu erhöhen und weit reichende Armut zu vermeiden, andererseits blieben ethnische Konflikte eher die Ausnahme. Innerhalb weniger Jahrzehnte transformierten sich die Golfstaaten von unbedeutenden Wüstenemiraten und ehemaligen Kolonien an der Peripherie des politischen Weltgeschehens zu wirtschaftlich prosperierenden Kräften, die vor allem im Verlauf des letzten Jahrzehnts ihren außenpolitischen Einfluss deutlich erhöhten. Deutsches Orient-Institut 3 Einleitung Hierbei gelten die monarchischen Erbdynastien, die sich im 1981 gegründeten Golfkooperationsrat (GKR)1 zusammengeschlossen haben, für internationale Akteure wie die USA, die EU, China oder Russland als verlässlich, vertrauenswürdig und berechenbar. Insbesondere Saudi-Arabien, mit knapp 28 Millionen Einwohnern das größte Land der Golfstaaten, und Katar haben sich in den letzten Jahren als aktive und einflussreiche außenpolitische Spieler bewiesen. Die Ursachen dafür sind mannigfaltig: Saudi-Arabien gelang es in den letzten Jahrzehnten aufgrund der größten Erdölreserven der Welt, sich von einer Beduinengesellschaft in eine hoch technologisierte Industrienation zu entwickeln und gilt als Rentierstaat par excellence. Das Königshaus Al Saud, bestehend aus über 22.000 Mitgliedern und mehr als 8.000 Prinzen, stützt seine Macht neben den wirtschaftlichen Ressourcen, mit denen die Bevölkerung weitgehend alimentiert wird, auf eine starke Allianz mit den wahhabitischen Religionsgelehrten, den ulama. Auch wenn es immer wieder zu innersaudischen Konflikten und Aushandlungsprozessen der fragilen Machtfrage kam, konnte sich diese Allianz bis heute bewähren, wenngleich der wahhabitische Klerus eher als „Juniorpartner“ agiert; die Entscheidungs- und Gestaltungsgewalt liegt bei der Al Saud. Ihnen ist es gelungen, ihren Machtanspruch zu bewahren, indem sie mit einer geschickten Kombination aus Repression und Teilhabe Minderheiten und Andersdenkende unterdrücken, während weite Teile der Gesellschaft vom neu errungenen Reichtum profitierten. Dies sorgte in Saudi-Arabien für eine oberflächliche Grabesruhe und eine gewisse wirtschaftliche wie gesellschaftliche Stabilität, ohne die es der Al Saud nicht möglich gewe- 1 4 sen wäre, ihren außenpolitischen Einfluss auszubauen. Als enger Verbündeter der USA und ihrer sunnitisch-wahhabitischen Ausrichtung gelten sie seit Jahrzehnten als Brückenkopf des Westens bei der Eindämmung des schiitischen Irans. Traditionell verbindet Saudi-Arabien und Iran eine tiefe Feindschaft, die nicht nur durch die konfessionellen Unterschiede und die antischiitische Polemik des Wahhabismus, sondern auch durch die geostrategischen Vormachtbestrebungen beider Länder am Golf begründet wird. Nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak und der Machtübernahme der schiitisch geprägten Regierung Nuri al-Malikis fürchteten die saudischen Herrscher eine Ausbreitung des schiitischen Einflusses innerhalb der arabischen Welt. Dies würde Iran als „Schutzmacht der Schiiten“ nützen und die Machtlegitimation der Al Saud limitieren, zumal in der saudischen Ostprovinz die saudischen Schiiten (mit einem Bevölkerungsanteil von 10-12%) eine existenzielle Bedrohung für das sunnitische Königshaus werden könnten, sollten sie von Iran vereinnahmt werden, so die Befürchtung der Al Saud. Diese Paranoia, diese traumatische Paralysierung vor einer schiitischen Druckwelle hat sich tief in das nationale Bewusstsein Saudi-Arabiens eingegraben und bestimmt die saudische Außenpolitik. Diese beruht auf drei Pfeilern: 1. Die Eindämmung Irans; 2. Die politische Nähe zum Westen und vor allem den USA, ohne ideologische Verbrüderung zu suchen; 3. Die Förderung von sunnitisch-wahhabitischen Denkstrukturen und Organisationen auf der ganzen Welt. Der Golfkooperationsrat wurde von Bahrain, Kuwait, Oman, den VAE, Katar und Saudi-Arabien mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 40 Mio. gegründet und sollte dazu beitragen, die multilaterale Kooperation in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit der Mitgliedsstaaten zu verbessern, um der damaligen Dominanz des Iraks und Irans entgegenzuwirken. Weitere Ziele waren die Schaffung einer gemeinsamen Armee, die Stärkung des Privatsektors, die wirtschaftliche Liberalisierung sowie die Einrichtung einer Freihandelszone, was 1983 realisiert werden konnte. 1998 wurde ein gemeinsames Patentbüro eröffnet, 2003 eine Zollunion und 2008 ein gemeinsamer Wirtschaftsmarkt geschaffen. Infrastrukturell sollen die Mitgliedsländer besser vernetzt werden, die gemeinsame elektrische Versorgung ebenso ausgebaut werden wie ein grenzübergreifendes Eisenbahnnetz. Ein Drittel aller GKRImporte kommt aus der Europäischen Union (EU), was auch ein 1989 eingerichtetes Handelsabkommen erwirkte. Mittlerweile ist China einer der fünf wichtigsten Handelspartner des GKR. Zwar wurden mit dem Jemen Verhandlungen über einen Beitritt geführt, dieser konnte bislang allerdings nicht realisiert werden. Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ erging an die beiden arabischen Monarchien Jordanien und Marokko die Einladung im Mai 2011, Neumitglieder des GKR zu werden. Dies wurde als Maßnahme gewertet, den Zusammenhalt zwischen den arabischen Monarchien zu stärken, um sich als geeinte „gegenrevolutionäre Kraft“ gegenüber den Transformationsländern zu behaupten. Vgl. u. a. Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Personalities in the Countries of the Gulf Cooperation Council, Berlin 2010, S. 8ff. Deutsches Orient-Institut Einleitung Mit dieser Drei-Pfeiler-Strategie gelingt es Saudi-Arabien seit Jahren, regionalen Einfluss auszubauen, eigene geostrategische Interessen zu verfolgen und gleichzeitig als verlässlicher Partner des Westens zu gelten. Dies erscheint vor allem deswegen in Teilen kaum verständlich, gilt doch Saudi-Arabien als repressives Regime, dessen politische und ideologischen Ansichten nicht im Sinne des Westens sein können: Geschlechtertrennung, Verfolgung von Oppositionellen, Todesstrafe für angebliche Häretiker, eine offen proklamierte Ablehnung von Christen, Juden und Schiiten sowie die missionarische Unterstützung von dubiosen islamistischen Gruppierungen mit Infrastruktur und Finanzmitteln von Pakistan bis in den Maghreb können keineswegs als positive Grundlagen einer westlichen Nahostpolitik gelten. Dennoch gelingt es dem saudischen Königshaus geschickt, sich außenpolitisch als pragmatischer und nüchterner Konfliktlöser zu gerieren, der ebenso mit Israel wie Iran verhandelt, ohne sich ideologisch borniert zu verhalten. SaudiArabien ist viel mehr als ein engstirniger Gottesstaat, sondern ein Akteur mit strategischer Weitsicht, dem es gelungen ist, seine religiöse, wirtschaftliche und demographische Potenz gewinnbringend für die eigenen außenpolitischen Interessen einzusetzen. Katar versucht ähnliches, allerdings stehen dem kleinen Emirat andere Ressourcen zur Verfügung. Zum einen verfügt das Land nur über einen Bruchteil der Bevölkerung SaudiArabiens, befindet sich dabei in einer sensiblen geostrategischen Situation zwischen den rivalisierenden Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien, und muss daher seine Außenpolitik den gegenwärtigen Realitäten anpassen. Unter Emir Hamad bin Khalifa Al Thani gelingt dies eindrucksvoll: Er konnte den wirtschaftlichen Fortschritt verstetigen, Katar zu einem der reichsten Länder der Welt machen und gleichzeitig das außenpolitische Image als „ehrlicher Makler“ in der Region verfestigen. Katar, aufgrund seiner Größe nie als außenpolitischer Akteur in Erscheinung getreten, ist innerhalb weniger Jahre zur zweiten Führungsmacht neben Saudi-Arabien aufgestiegen und nimmt direkten Einfluss auf die regionalen Geschicke. Auch Katars Außenpolitik beruht hierbei auf drei Säulen: 1. Die Strategie, Konflikte moderieren zu wollen und sich so als verlässlicher Partner aller Parteien zu gerieren; 2. Die Nutzung des katarischen Satellitensenders Al Jazeera, um neben einer gewissen Meinungsfreiheit auch außenpolitische Interessen zu fördern; 3. eine prowestliche Politik, mit der die eigene Sicherheit garantiert werden soll. Katar übernahm mit dieser Strategie die Vorreiterrolle als Mediator in mehreren regionalen Konflikten und gerierte sich als neutraler Berater und ausgleichende Kraft. Gleichzeitig nutzt das katarische Emirat den hauseigenen Satellitensender Al Jazeera, um einerseits eine neue Medienkultur in der arabischen Welt zu etablieren – Al Jazeera ist längst zum unumstrittenen Leitmedium für die arabische Öffentlichkeit geworden – und um andererseits befreundete Monarchien wie in Bahrain medial zu unterstützen und zum Teil sunnitisch-wahhabitische Ansichten zu verbreiten. Geschickt verknüpft so das katarische Emirat eine gesteuerte Liberalisierung und Pressefreiheit mit außenpolitischen Interessen und nutzt Al Jazeera als Marketinginstrument der eigenen Agenda. Neben diesen beiden „Schwergewichten“ der Außenpolitik unter den Golfstaaten fallen die anderen Länder deutlich zurück, konnten aber auch ihren regionalen und teilweise internationalen Einfluss zumeist im Diskreten deutlich ausbauen: Die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman oder Kuwait veranstalten zwar selten eine außenpolitische One-Man-Show, agieren jedoch im GKR als souveräne und selbstbewusste Akteure, die eigene Interessen vertreten und sich somit auch gegenüber den politischen Vorreitern Saudi-Arabien und Katar profilieren können, obwohl sie im Allgemeinen doch eher den Ansichten dieser Trendsetter folgen. Dagegen erscheint Bahrain in der näheren Vergangenheit verstärkt als wichtiges außenpolitisches Objekt, das für Anrainer und internationale Akteure zwar von entscheidender strategischer Bedeutung ist, selbst aber zu schwach und innenpolitisch zerrüttet erscheint, als dass es ihm möglich wäre, eine aktive Außenpolitik zu betreiben. Die Region der Golfstaaten hat sich aus ihrer lange Zeit andauernden Unmündigkeit befreit, agiert als unabhängiger Akteur, wobei jedes Land eigene Strategien, Interessen und Ambitionen verfolgt. Hierfür werden unterschiedliche Mittel eingesetzt und unterschiedliche Bezie- Deutsches Orient-Institut 5 Einleitung hungen aufgebaut. Partnerschaften zu den USA, Europa, China, Iran oder Russland werden nach Bedarf geschlossen und parallel gepflegt – solange es den eigenen Interessen nutzt. Auf der anderen Seite bleibt den internationalen Akteuren nichts anderes übrig, als dies zu akzeptieren und den erstarkten Golfstaaten mit Respekt gegenüber zu treten, wollen sie in der Golfregion noch über Einfluss verfügen. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen der Westen die Golfstaaten als Manövriermasse gebrauchen konnte, um wirtschaftliche und politische Ziele zu erreichen. Die derzeitigen Transformationsprozesse in Ägypten, Libyen und Tunesien zeigen ebenso wie der Bürgerkrieg in Syrien, die Transition im Jemen, die Situation im Libanon, das weitere Vorgehen im Konflikt um das iranische Atomprogramm oder der festgefahrene Nahostkonflikt, dass ohne den Einfluss der Golfstaaten nur noch schwerlich außenpolitische Erfolge in der Region zu erreichen sind. Gleiches gilt auch für die komplizierte und teilweise desaströse Situation in Afghanistan und Pakistan, zu denen einige Golfstaaten traditionell enge Beziehungen unterhalten. Dies hat der Westen, zuallererst die USA und die EU, erkannt und bemüht sich um eine stärkere Einbeziehung der Golfmonarchien auf das internationale Parkett. Ähnlich verhalten sich Russland und China. Dass es sich hierbei gerade in Zeiten des demokratischen Aufbruchs innerhalb der arabischen Welt um einen Drahtseilakt handelt, repressive und autoritäre Monarchien mit ungenügenden demokratischen Partizipationsmechanismen zu engen außenpolitischen Partnern aufzuwerten, stößt auf Kritik. Zumal ähnliche Strickmuster auch bei der jahrzehntelangen Protektion der autokratischen Regimes in 6 Ägypten, Libyen und Tunesien angewandt wurden. Die vorliegende Studie des Deutschen OrientInstituts will die außenpolitischen Entwicklungen in den Golfstaaten aufzeigen, analysieren und einordnen. Ziel ist es, das oftmals ambivalente und kaum transparente Gestrüpp an strategischen Interessen, angewandten Strategien und existierenden Ambitionen zu entwirren. Dies soll anhand von Einzelanalysen der Länder Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien, Katar, Oman, Bahrain, Kuwait und Irak erfolgen, in denen auf die außenpolitische Konzeption der einzelnen Staaten vor einem aktuellen sowie historischen Kontext eingegangen wird. Ihr Verhältnis untereinander wird hierbei ebenso beleuchtet wie die Beziehungen zum Westen, China und Russland, sowie Iran und Israel und anderen wichtigen regionalen Akteuren wie z. B. die Türkei. Deutlich soll werden, wie heterogen und ambivalent sich die außenpolitischen Interessen der einzelnen Golfstaaten darstellen, über welchen Einfluss sie verfügen, in welchem Umfang mit der EU, den USA, China und Russland kooperiert wird und wie sich in Zukunft die Außenpolitik der Golfstaaten darstellen könnte. Hierbei können nicht alle Aspekte der mannigfaltigen Außenpolitik der Golfstaaten beleuchtet werden, sodass sich landesspezifisch auf die entscheidenden Punkte beschränkt wird. Dennoch soll deutlich werden, dass die „alte“ arabische Welt, im Sinne des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld und seiner Charakterisierung des „Old Europe“, längst zugunsten der „neuen“ arabischen Welt an außenpolitischem Einfluss verloren hat. Sebastian Sons Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien S I. Einleitung – Pragmatische oder ideologische Außenpolitik? audi-Arabien hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten seine Stellung als bedeutender außenpolitischer Akteur ausgebaut und gehört als bevölkerungsreichstes Land mit knapp 28 Mio. Einwohnern zu den einflussreichsten Mitgliedern im Golfkooperationsrat (GKR). Nicht ohne Grund befindet sich der Hauptsitz des GKR in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Dabei beruht die saudi-arabische Außenpolitik traditionell auf drei Pfeilern, die nicht immer miteinander korrespondieren, sondern sich oftmals auch diametral entgegenstehen: (1) die traditionelle Konkurrenz mit Iran um die hegemoniale Vormachtstellung; (2) die strategische Allianz mit den USA; (3) die Unterstützung und Förderung von konservativen islamistischen wahhabitischsalafistischen Bewegungen und Strömungen in der ganzen Welt. Saudi-Arabiens außenpolitisches Selbstverständnis und seine strategische Ausrichtung wird von diesen drei Pfeilern bestimmt. Dabei agiert das saudische Königshaus jedoch nicht ideologisch verbrämt oder gar sprunghaft, sondern geriert sich seit Jahrzehnten als verlässlicher Partner für die USA im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und bei der Einhegung Irans. Die Al Saud, die saudische Königsfamilie, stützt demnach ihre Legitimation und Macht nicht allein auf die finanzielle Potenz durch die größten Erdölreserven der Welt und der starken Allianz mit den wahhabitischen Gelehrten, den ulama, sondern auch auf diese langfristig angelegte Konzeption ihrer Außenpolitik. Als starker prowestlicher Verbündeter der USA während des Kalten Krieges wurde das saudische Königshaus ebenso als Bollwerk gegen den Kommunismus protegiert, wie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im so genannten „Kampf gegen den Terrorismus“. Hierbei geriet das saudische Königshaus jedoch immer wieder in den Konflikt, zwischen realpolitischem Kalkül und ideologischen Konzeptionen entscheiden zu müssen, beruht doch der saudi-arabische Staat und damit die 1 2 Autorität der Al Saud auch auf der Unterstützung durch die wahhabitischen ulama. Der Wahhabismus, eine reaktionär-erzkonservative Lesart des sunnitischen Islams, wurde von Muhammad ibn Abd al-Wahhab (17031792) ins Leben gerufen, der Mitte des 18. Jahrhunderts in der heutigen saudi-arabischen Provinz Najd lebte und wirkte. Sozialisiert in einem tribalen und ruralen Umfeld empfand er seine Mitmenschen als dekadent, korrumpiert und den weltlichen Genüssen verfallen. Er predigte eine Rückkehr zu den wahren Werten des Islams, die in der „goldenen Frühzeit“ unter dem Propheten Muhammad und seinen Gefährten geherrscht hätten, und beschuldigte die Bewohner des Najd, vom rechten, gottesfürchtigen Weg abgekommen zu sein. Seine religiöse Auffassung orientierte sich an den „Frommen Altvorderen“ (arabisch: as-salaf as-salih), die für ihn als Vorbilder für eine reine, unverdorbene und gottesfürchtige Gesellschaft dienten. Hierzu gehörte für Ibn Abd al-Wahhab das Verbot von „unreinen Genüssen“ und „verbotenen Neuerungen“ (arabisch: bida) wie Tabakkonsum, Tanz oder die Verehrung von Heiligengräbern, die er als Apostasie ablehnte. Muslime, die seinen strengen Regeln nicht bedingungslos folgen wollten, wurden exkommuniziert (arabisch: takfir) und als Apostaten (arabisch: kuffar) bezeichnet, womit vor allem die Schiiten gemeint sind, deren Heiligen- und Imamverehrung Abd al-Wahhab als unverzeihlicher Frevel galt und er sowie seine Mitstreiter Gräber verbrennen und Schiiten verfolgen ließen.1 Dieser Antischiismus ist seitdem integraler Bestandteil saudi-arabischer Staatsräson und zeigt sich vor allem im Konflikt mit dem schiitischen Rivalen Iran, wie später gezeigt werden wird. Ibn Abd al-Wahhabs radikale Glaubensauslegung stieß bei seiner Umgebung zuerst auf Skepsis und offene Ablehnung. Erst, nachdem er mit dem damaligen Herrscher über die unbedeutende Oase Dariya, Muhammad Ibn Saud (1710-1765), im Jahr 1744/45 eine strategische Partnerschaft eingegangen war, gelang es ihm, seine Islaminterpretation regional zu verbreiten. Muhammad Ibn Saud, der militärisch-politische Stratege, unterstützte Ibn Saud bei dessen Missionierungskampagnen auch mit Gewalt, sodass es mithilfe dieser militärisch-politisch-religiösen Allianz gelang, den Najd zu erobern und die wahhabitische Glaubensdoktrin schrittweise zu verbreiten.2 Peskes, Esther, Muhammad b. Abdalwahhab (1703-92) im Widerstreit. Untersuchungen zur Rekonstruktion der Frühgeschichte der Wahhabiya, Stuttgart 1993. Steinberg, Guido: Religion und Staat in Saudi-Arabien. Die wahhabitischen Gelehrten 1902-1953, Würzburg 2002. Deutsches Orient-Institut 7 Saudi-Arabien Doch erst mit der Staatsgründung durch Abd al-Aziz Ibn Saud, einem Enkel von Muhammad, im Jahr 1932 gelang es der saudischen Dynastie gemeinsam mit der wahhabitischen Geistlichkeit, ihre Machtallianz zu verstetigen und in staatliche Strukturen zu überführen. Der Wahhabismus wurde zur ideologisch-religiösen Staatsdoktrin im neu gegründeten Saudi-Arabien, die wahhabitischen Gelehrten erreichten schnell den Rang eines offiziellen Klerus und die Al Saud wurden zum unumstrittenen herrschaftlichen Machtzentrum Saudi-Arabiens. Auch wenn das symbiotische Verhältnis beider Parteien in der wechselreichen und konfliktträchtigen Geschichte SaudiArabiens immer wieder herausgefordert wurde, hat es doch bis heute Bestand. Beiden Partnern ist bewusst, dass die Existenz des Staates vor allem auf der Allianz zwischen Geistlichkeit und Politik fußt, sodass eine Aufkündigung dieses Bündnisses auch das Ende der staatlichen Einheit mit sich führen könnte.3 wird, um einerseits soziale Proteste und inneren Unfrieden zu vermeiden und andererseits ihre realpolitischen, oftmals pragmatischen Entscheidungen mit religiösen Rechtsgutachten (arabisch: fatawa) zu legitimieren. Doch trotz dieser allgemeinen partnerschaftlichen Konstanz unterliegt das wahhabitischsaudische Verhältnis immensen Schwankungen. In den letzten Jahrzehnten ist es den Al Saud gelungen, die einstige Ausgewogenheit der Partnerschaft zu ihren Gunsten zu verändern, sodass die ulama mittlerweile zu einem „Juniorpartner“4 degradiert wurden: Sie werden vom Staat bezahlt, agieren weitgehend in staatlichen Organisationen und können somit als „religiöse Beamte“ bezeichnet werden, die in der Regel im Sinne des Königshauses und dessen politischen Interessen entscheiden. Dennoch können es sich die Al Saud nicht erlauben, die Allianz mit der wahhabitischen Geistlichkeit aufzukündigen, da deren gesellschaftlicher Einfluss immens bleibt. Die religiöse Elite bestimmt soziale Diskurse, verfügt weiterhin über ein enormes Mitspracherecht z. B. bei Fragen der Geschlechtertrennung, der Rolle der Frau, der Bildung, des Gesundheitssystems, der Organisation der Pilgerfahrt etc. Den ulama ihre Macht und ihren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen, wäre daher für die Al Saud schlicht undenkbar.5 Immerhin gehört der wahhabitische Islam zur nationalen Identität Saudi-Arabiens und auch die Mitglieder der Königsfamilie gerieren sich als fromme und gute Muslime, sodass die Partnerschaft mit den ulama aufrecht erhalten Dies hat insbesondere für die Außenpolitik gravierende Auswirkungen, wie vor allem das ambivalente Verhältnis zu den USA beweist. Die innenpolitische Allianz zwischen Staatsklerus und politischer Elite bestimmt daher auch die strategische Ausrichtung der Außenpolitik, bei der einzelfallabhängig die Bedeutung von ideologischen und realpolitischen Interessen abgewogen werden muss. Insbesondere durch den wirtschaftlichen Aufstieg Saudi-Arabiens in den letzten Jahrzehnten wuchs auch der außenpolitische Einfluss. Je stärker die wirtschaftliche Bedeutung SaudiArabiens zunahm, desto wichtiger wurde sein außenpolitischer Einfluss als selbsternannte Führungsmacht am Golf. 3 4 5 6 8 Die Aufrechterhaltung dieser Allianz erscheint auch deswegen als überlebensnotwendig für den saudischen Staat, da eine „nationale Identität“, ein starkes Staatsbewusstsein, bis heute nur ansatzweise existiert. Die Eroberungen der Al Saud schufen zwar ein geeintes Territorium, dennoch orientieren sich individuelle Loyalitätsverhältnisse weitgehend an den tribalen, regionalen und familiären traditionellen Bindungen. „The 20th century witnessed the emergence of a state imposed on people without a historical memory of unity or national heritage which would justify their inclusion in a single entity.”6 Saudi-Arabien geriert sich mittlerweile als sicherheitspolitischer Ordnungshüter, als Schutzmacht für die kleinen sunnitischen Golfstaaten gegen externe Bedrohungen wie Iran. Aufgrund der religiösen Vormachtstellung als „Hüter der beiden Heiligen Stätten“ Mekka und Medina und der Allianz mit den wahhabitischen ulama genießt das Königshaus nicht nur wirtschaftliche und politische Autorität, sondern gilt bei den meisten seiner Nachbarstaaten als moralisch integer und religiös akzeptiert. Dies erlaubte es Saudi-Arabien, viele Konflikte in seinem Sinne zu moderieren und zu lösen. Hierbei Vgl. al-Rasheed, Madawi: A History of Saudi Arabia, Cambridge 2002. Vgl. Steinberg, Guido: Saudi-Arabien. Politik, Geschichte, Religion, München 2004. Vgl. Fandy, Mamoun: Saudi Arabia and the Politics of Dissent, London 1999; Teitelbaum, Joshua: Holier than thou. Saudi Arabia’s Islamic Opposition, Washington 2000. Al-Rasheed, Madawi: A History of Saudi Arabia, Cambridge 2002, S. 3. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien kam es den Al Saud darauf an, außenpolitische Entscheidungen einerseits nach kalkulierten Eigeninteressen, andererseits nach ideologischen Gesichtspunkten zu treffen. Saudi-Arabien als die sunnitische Führungsmacht in der islamischen Welt kann es sich aus Gründen der Akzeptanz kaum erlauben, reine Realpolitik zu betreiben, ohne die ideologisch-religiöse Dimension zu missachten. Dies hätte nicht nur innenpolitische Kritik seitens der Religionsgelehrten und weiter Teile der konservativen Bevölkerung zur Folge, sondern könnte auch im arabisch-sunnitischen Ausland zu skeptischen Reaktionen führen. Dieser Umstand, der demnach nicht nur als strategischer Vorteil, sondern auch als Zwang verstanden werden muss, bringt Saudi-Arabiens Elite in die delikate Situation, bei jeder außenpolitischen Entscheidung neben den realpolitischen Konsequenzen auch die religiös-ideologischen Implikationen beachten zu müssen. In der folgenden Länderanalyse sollen daher die Implikationen, Auswirkungen und strategischen Ambitionen der saudi-arabischen Außenpolitik im Hinblick auf die oben genannten drei Pfeiler analysiert werden, um weiterhin die Auswirkungen des so genannten „Arabischen Frühlings“ auf die außenpolitische Konzeption zu untersuchen. Insbesondere der Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ fordert die klassische saudische Außenpolitik heraus und verändert Vorgehensweisen und Strategien, worauf ebenfalls eingegangen wird. Es folgen die Länderbeispiele zu Libyen, Ägypten und Jemen. Weiterhin soll auch das Beziehungsgeflecht zu Deutschland, Russland und Pakistan beleuchtet werden. II. Saudi-Arabien und Iran – Regionalkonflikt um die Vormachtstellung am Golf Iran und Saudi-Arabien gelten als traditionelle Rivalen um die Vormachtstellung am Golf.7 Als wichtigste, bevölkerungsstärkste und wirtschaftlich einflussreichste Akteure konnten beide Staaten ihren strategischen, politischen und ideologischen Einfluss in den letzten 7 8 9 10 11 Jahrzehnten deutlich vergrößern. Hierbei sieht Saudi-Arabien in Iran eine existenzielle Bedrohung für die eigenen geostrategischen Interessen sowie für die gesamte arabischsunnitische „Gemeinschaft der Gläubigen“ (arabisch: umma). Bei dieser Wahrnehmung Irans als hegemonialer Konkurrent sowie als ideologisch-religiöser Widerpart zeigt sich die Vermengung saudischer Realpolitik mit dem ideologischen Anspruch, die Führungsmacht des sunnitisch-arabischen Islams darzustellen und dadurch Strahlwirkung für alle anderen sunnitischen Nachbarn der Region zu besitzen. Der schiitisch-persische Iran dient somit als klassischer Antagonist, als signifikantes Feindbild und ärgste Bedrohung der antischiitischen wahhabitischen Lehre.8 Saudi-Arabiens Doktrin, Schiiten per se als Ungläubige zu diffamieren, wirkt sich auch auf das bilaterale Verhältnis zu Iran aus, was sich insbesondere nach dem Sturz des Schahs und der Gründung der Islamischen Republik durch Ayatollah Ruhollah Khomeini im Jahre 1979 deutlich verschlechterte. Der Missionierungsanspruch Khomeinis, die schiitische Revolution exportieren zu wollen, fasste das saudische Königshaus als direkten Affront auf. Es fürchtete eine schiitische Invasion Saudi-Arabiens sowie die Instrumentalisierung der saudischen Schiiten im Osten des Landes, die als „fünfte Kolonne“ Irans angesehen wurden.9 Dementsprechend begrüßte Saudi-Arabien das militärische Vorgehen des Iraks gegen Iran (1980-1988), erhofften sich die Al Saud doch eine Schwächung des schiitischen Konkurrenten.10 Die Angst vor einer schiitischen Bedrohung wuchs auch dadurch, weil es ebenfalls im Jahre 1979/1980 zu den ersten großflächigen Protesten von weiten Teilen der saudischen Schiiten gekommen war, welche Generalstreiks einberiefen und die Arbeit auf den Ölquellen in der Ostprovinz al-Ahsa verweigerten.11 Saudi-Arabiens Königshaus reagierte mit Gewalt und ließ die Aufstände niederschlagen. Dass im selben Jahr eine Gruppe von militanten Islamisten um Juhayman al-Utaibi die Große Moschee von Mekka Vgl. Fürtig, Henner: Iran's Rivalry With Saudi Arabia Between the Gulf Wars, Berkshire 2006. Vgl. Zeino-Mahmalat, Ellinor: Saudi-Arabiens und Irans Regionalpolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus, GIGA Focus Nr. 1, Hamburg 2009. Vgl. Ehteshami, Anoushiravan, Zweiri, Mahjoob: Iran’s Foreign Policy. From Khatami to Ahamdinejad, Bershire 2008. Vgl. Karsh, Efraim: The Iran-Iraq War, Impact and Implications, London 1987. Vgl. Jones, Toby: Rebellion on the Saudi Periphery: Modernity, Marginalization and the Shi’a Uprising of 1979, in: International Journal of Middle East Studies 38(Mai 2006)2, S. 213-233, Ibrahim, Fouad: The Shi’is of Saudi Arabia, London 2006. Deutsches Orient-Institut 9 Saudi-Arabien gewaltsam besetzten, Pilger als Geisel nahmen und die „Wiederkehr des Mahdis“, die im schiitischen Islam populäre Figur des endzeitlichen Erlösers, forderten12 , versetzte das Königshaus regelrecht in Panik vor einer schiitischen Unterwanderung.13 Zwar wurden die Belagerer in einem blutigen Kampf im Tunnelsystem der Moschee mithilfe von Giftgas und ausländischen Antiterroreinheiten besiegt, die Überlebenden in der Öffentlichkeit hingerichtet und die schiitischen Aufstände im Osten niedergeschlagen, dennoch sollte das Jahr 1979 als Wendepunkt der saudischen Geschichte gelten. Von nun an gaben sich die Al Saud wieder als fromme Vertreter des wahren sunnitischen Glaubens, bauten das religiöse Bildungssystem aus, stärkten die Präsenz der Religionspolizei, verschärften die antischiitische und antiiranische Propaganda und betonten die enge Allianz zu den ulama. Weiterhin wurden unliebsame islamistische Oppositionelle, die gegen das Königshaus aufbegehrt hatten, als mujahidin nach Afghanistan geschickt, um dort nach der Invasion der Sowjetunion gegen die „Ungläubigen“ an der Seite ihrer muslimischen „Glaubensbrüder“ zu kämpfen. Usama bin Ladin gehörte auch zu jenen Kräften, deren Abwesenheit im saudischen Königshaus wohlwollend bewertet wurde, deren Radikalisierung sich aber später gegen die Al Saud richten sollte. Saudi-Arabiens kritische Haltung gegenüber Iran und seinen angeblichen Ambitionen, die arabische Welt zu „schiitisieren“14, gehört mittlerweile zur nationalen Identität des wahhabitischen Saudi-Arabiens. Die Abneigung gegenüber Iran hat sich mit der Wahl des derzeitigen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad nochmals verstärkt, nachdem sich beide Staaten unter den iranischen Präsidenten Ali Akbar Hashemi Rafsanjani (1989-1997) und Muhammad Khatami (1997-2005) wieder vorsichtig angenähert hatten. Aber Ahmadinejads offensive Propaganda, den regionalen 12 13 14 15 16 17 18 10 Status Irans auszuweiten, der Konflikt um das iranische Atomprogramm und die Unterstützung von schiitischen Partnern in der arabischen Welt beunruhigen die Al Saud. So betonte im Juni 2011 Prinz Turki al-Faisal, von 1977 bis 2001 Leiter des saudischen Geheimdienstes und früherer Botschafter in Washington, dass Saudi-Arabien ebenfalls Ambitionen hegen würde, die Atombombe zu besitzen, sollte Iran sein Nuklearprogramm realisieren.15 Im Januar 2012 wiederholte alFaisal, dass bei einer Bedrohung der saudischen Sicherheitsinteressen durch Iran alle Optionen zur Verteidigung in Erwägung gezogen würden.16 Als dann noch bekannt wurde, dass im Juni 2011 Agenten der iranischen Revolutionären Garden einen Attentatsversuch auf den saudi-arabischen Botschafter Adel al-Jubair in Washington geplant hatten, drohte kurzzeitig die Eskalation17. Die offene und versteckte Parteinahme für die schiitische Hisbollah im Libanon oder die Unterstützung des alawitischen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad auch während der seit mehr als einem Jahr dauernden militärischen Auseinandersetzung dienen dem saudischen Königshaus als Beweis für die expansionistischen Bestrebungen des schiitischen Rivalen. Die pro-schiitischen Konsequenzen des Irakkrieges von 2003, die Stärkung der Hisbollah nach dem Krieg im Libanon 2006 sowie der Hamas im Gaza-Streifen bewerten die Al Saud als eine besorgniserregende Einflusszunahme Irans zuungunsten Saudi-Arabiens. „In Saudi Arabia there is not just fear that Iran wants a greater role in the region, there is alarm that Iran wants to control the region.“18 Dabei ist nicht immer klar voneinander zu trennen, wann ideologisch verbrämte Diffamierungspropaganda endet und das Streben nach realpolitischen Zielen beginnt. So existieren durchaus einige Politikfelder, in denen Vgl. Halm, Heinz: Der schiitische Islam. Von der Religion zur Revolution, München 1994. Vgl. Peil, Florian: Aufstand in Mekka, Berlin 2006; Yaroslav Trofimov: The Siege of Mecca – The Forgotten Uprising in Islam’s Holiest Shrine and the Birth of Al Qaeda, New York 2007. Vgl. Reissner, Johannes: Irans Selbstverständnis als Regionalmacht. Machtstreben im Namen antikolonialer Modernität, Berlin 2008. Vgl. Burke, Jason: Riyadh will build nuclear weapons if Iran gets them, Saudi prince warns, The Guardian, 29. Juni 2011, http://www.guardian.co.uk/world/2011/jun/29/saudi-build-nuclear-weapons-iran, abgerufen am 21.08.2012. Vgl. AFP: Saudi ex-spy chief says ‚all’ options open to Iran, 18. Januar 2012, http://www.google.com/ hostednews/afp/article/ALeqM5hmZf2d-tQzduCVQr_v3gyAh5ZEVQ?docId=CNG.071c7ffd572544 aff1187d004ab66dba.1b1, abgerufen am 15.05.2012. Vgl. BBC News: Iran agents ‚planned US terror attacks’, 11. Oktober 2011, http://www.bbc.co.uk/news/world-us-canada-15266992, abgerufen am 21.08.2012. Boucek, Christopher, Sadjadpour, Karim: Rivals – Iran vs. Saudi Arabia. Questions and Answers, Carnegie Endowment, 20. September 2011, http://www.carnegieendowment.org/2011/09/20/rivals-iran-vs.-saudiarabia/68jg, abgerufen am 16.03.2012. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien Saudi-Arabien und Iran zusammenarbeiten (müssen), um ihre eigenen Interessen zu wahren. Immerhin lud der saudische König den „Paria der islamischen Welt“ Mahmud Ahmadinejad zum Gipfel der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) nach Mekka im August 2012 ein, um vor allem im Umgang mit dem Syrien-Konflikt an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten.19 Diese Einladung sowie der erste Besuch nach 2007 kamen vor dem Hintergrund der gegenseitigen Rivalität überraschend.20 Außerdem verfolgen beide Regierungen eine diametrale Politik in Syrien. Und so einigten sich die 57 Mitglieder der OIC am Ende des Gipfels zwar auf einen Ausschluss Syriens, Iran jedoch stimmte dagegen21, sodass die Einladung Irans eher als symbolischer Akt, denn als Zeichen der gegenseitigen Annäherung gesehen werden sollte. Interessanterweise befinden sich beide Staaten zwar in einem traditionellen Wettstreit um regionale Vormacht und religiöse Deutungshoheit, unterscheiden sich in ihren Strukturen und ihrem Staatsverständnis jedoch keineswegs so gravierend, wie gern suggeriert wird. In Iran bildet die „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (Velayet-e faqih) als schiitisch legitimierte klerikale Stellvertreterherrschaft in Abwesenheit des 12. Imams die Grundlage der iranischen Staatsvorstellung seit der Islamischen Revolution 1979 und der Machtübernahme durch den schiitischen Klerus unter Ayatollah Khomeini. In der Islamischen Republik Iran liegt die Souveränität allein bei Gott, während dem Volk zwar einige demokratische Rechte zugesprochen werden, die hierarchische Autorität der Legislative, Judikative und Exekutive jedoch bei den klerikalreligiösen Institutionen wie dem Obersten Revolutionsführer (rahbar), dem Feststellungs- und dem Wächterrat liegen. Dadurch wird die Legitimität der Regierung Irans durch die religiöse Autorität wesentlich begründet, 19 20 21 22 23 auch wenn es in der Vergangenheit immer wieder zu destabilisierenden Konflikten zwischen säkularen und religiösen Akteuren der unterschiedlichen Ebenen kam.22 Experten titulieren Iran oft als Theokratie, was jedoch einerseits durch die republikanischen Staatselemente nur unzureichend zutrifft, andererseits die sich überlagernden Machtzirkel der verschiedenen religiösen und weltlichen, herrschenden und oppositionellen, verfassungsmäßig legitimierten und semi-offiziellen Eliten miteinander um Einfluss, Macht und Autorität konkurrieren, so dass eher von einem hybriden denn einem theokratischen System gesprochen werden muss. Verfassungsgeschichtlich sieht sich das System der Islamischen Republik seit seiner Entstehung mit dem Widerspruch konfrontiert, einerseits den Rechtsgelehrten quasi-göttliche Autorität zuzuweisen, andererseits die republikanischen Elemente aufrechtzuerhalten, was immer wieder zu Konflikten zwischen gesellschaftlichen Kreisen und der herrschenden Elite führte.23 Ein jüngstes Beispiel hierbei waren die anhaltenden Proteste weiter Teile der iranischen Gesellschaft nach den Präsidentschaftswahlen 2009. Demgegenüber ist Saudi-Arabien zwar eine Erbmonarchie, allerdings beruht die Herrschaft der Al Saud eben auf dem Bündnis mit den wahhabitischen Rechtsgelehrten. Die starke Stellung der Religionsgelehrten in beiden Staatsstrukturen, den ulama in SaudiArabien und den Mullahs in Iran, unterscheidet sich zwar im Detail, in der Gesamtkonzeption ähnelt sie sich allerdings, sodass die iranisch-saudische Feindschaft nicht unbedingt auf gravierend unterschiedlichen Staatskonzeptionen beruht. So finden sich in Saudi-Arabien und Iran Staatssysteme, in denen ein enger Bezug zur jeweiligen Auslegung des Islams hergestellt wird. Dabei postuliert die Islamische Republik Iran einen Vgl. The Daily Star: Ahmadinejad arrives in Saudi Arabia for Islamic summit, 13. August 2012, http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2012/Aug-13/184518-ahmadinejad-arrives-in-saudiarabia-for-islamic-summit.ashx#axzz24BzEvCmb, abgerufen am 21.08.2012. Vgl. Kinninmont, Jane: Why has the Saudi king invited Ahmadinejad to the Syria summit? The Guardian, 7. August 2012, http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/aug/07/saudi-king-ahmadinejad-syria -summit, abgerufen am 15.08.2012. Vgl. Die ZEIT: Organisation islamischer Staaten schließt Syrien aus, 16. August 2012, http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-08/syrien-oic-ausschluss, abgerufen am 21.08.2012. Vgl. Perthes, Volker: Iran. Eine politische Herausforderung, Frankfurt/Main 2008; Schirazi, Asghar: The Constitution of Iran. Politics and the State in the Islamic Republic, New York 1997. Vgl. Buchta, Wilfried: Who Rules Iran? The Structure of Power in the Islamic Republic, Washington 2001; ders.: Die iranische Schia und die islamische Einheit 1979-1996, DOI, Hamburg 1997; Meashari, David: Iran. A Decade of War and Revolution, New York, London 1990, Abrahamian, Ervand: Khomeinism. Politics and Ideology in Contemporary Iran, Princeton 1994; Bakhash, Saul: The Reign of the Ayatollahs. Iran and the Islamic Revolution, New York 1984; Naficy, Mehdy: Klerus, Basar und die iranische Revolution, Hamburg 1993. Deutsches Orient-Institut 11 Saudi-Arabien universalen Anspruch, welcher der Religion und seinen klerikalen Vertretern zugewiesen wird, während in Saudi-Arabien die Monarchie eine enge Verbindung zu den wahhabitischen ulama pflegt. Beide Systeme formulieren ihre islamisch geprägten Konzeptionen dezidiert als modernen Ansatz, um eine vom Westen unabhängige, entkolonialisierte, sozial gerechte und islamisch moralische Gesellschaft zu schaffen. Dabei müssen sie jedoch zunehmend innerer und äußerer Opposition entgegentreten. Hinzu kommen in beiden Staaten und Gesellschaften indigene Konflikte zwischen religiös-dogmatischem Anspruch seitens der Eliten (Klerus sowie Königshaus) und real-politischen Tatsachen: Die von weiten Teilen der Bevölkerung als ungerecht wahrgenommene Verteilung des Ölreichtums hat in beiden Ländern in den letzten Jahrzehnten in erster Linie die Eliten mit Reichtum bedacht und sie so zunehmend von der Gesellschaft entfernt. Außerdem stößt die religiös-fundamentalistische Auslegung angesichts der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung und den Einflüssen der Globalisierung immer öfter an Legitimationsgrenzen. Dies beeinflusst nicht nur gesellschaftliche Entwicklungstendenzen, sondern auch die Staatskonzeption im Ganzen. Beide Regime, so unterschiedlich sie auch in vielerlei Ausprägung sind, stehen vor der Herausforderung, ihre religiöse Legitimationsbasis, auf der das Staatssystem beruht, gegen systeminterne Kritiker oder exogene Faktoren verteidigen zu müssen. Verlieren sie diese Auseinandersetzung, droht den weltlichen und klerikalen Herrschereliten in Saudi-Arabien und Iran nicht nur ein Legitimationsdefizit, sondern darüber hinaus evtl. ihr eigener Untergang. Weiterhin spielt der „westliche“ Einfluss in Iran und Saudi-Arabien historisch eine wesentliche Rolle für die eigene Identität und die Herausbildung der Staatskonzeptionen. Insbesondere Iran hat Jahrhunderte lange Erfahrungen mit westlichem Einfluss (Russland, Großbritannien, USA), aus denen sich ein stark ambivalentes Verhältnis entwickelt hat. So wechselten Phasen einer westlich orientierten iranischen Gesellschaft mit Phasen einer Isolation vor ausländischem Einfluss. Das Schahregime stürzte auch wegen seiner prowestlichen Politik, die Besetzung der USamerikanischen Botschaft in Teheran oder die Verurteilung des Autors Salman Rushdie sind weitere Beispiele für die per se antiwestliche 12 ideologische Konzeption der Islamischen Republik. Andererseits existiert in Iran eine lange demokratische Tradition, die sich u. a. in der Verfassungsrevolution von 1906-1911 zeigte. Auch hierbei spielten westliche Einflüsse eine katalysierende Rolle. Das Verhältnis von Iran zum Westen ist geprägt von Abneigung und Faszination, von Anpassung und Bewahrung eigener Identität, von dem Widerstreit zwischen westlichen Konzepten und islamischer Alternative. Die Herausbildung der Islamischen Revolution ist ohne das ambivalente Verhältnis zum Westen historisch nicht zu verstehen. Saudi-Arabiens Beziehungen zum Westen sind vielleicht historisch weniger direkt, aber deshalb nicht weniger ambivalent. Auch im Umgang mit dem westlichen Einfluss zeigen sich die Besonderheiten der religiös legitimierten Herrschaft des Könighauses. In ihm spiegelt sich die widersprüchliche Sichtweise von Religion und Staatsräson wider. Politische Notwendigkeiten und religiöse Normen und Ideologien verlaufen dabei oftmals konträr. Vor allem das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zeigt diesen Widerspruch innerhalb des religiös-politischen Bündnisses (siehe 3.). Dabei schwankt auch hier die Sichtweise auf den Westen zwischen Sympathie und Faszination sowie Ablehnung und Isolation. Während die wahhabitische Lehre den Umgang mit den „dekadenten Ungläubigen“ kritisiert, sind die USA nach wie vor der wichtigste politische und wirtschaftliche Partner des saudischen Könighauses. Die transformativen Entwicklungen in der Gesellschaft und auf das durch die Religion legitimierte System können dabei ebenso wie in Iran nicht ohne den westlichen Einfluss analysiert und bewertet werden. III. Die strategische Allianz mit den USA: Politische Partner, ideologische Widerparts Lange Zeit galt Saudi-Arabien als wichtigster Verbündeter der USA im Nahen und Mittleren Osten. Dabei beruhte das Vertrauensverhältnis zum einen auf der gegenseitigen Übereinstimmung bei der Einhegung Irans, zum anderen auf der Abhängigkeit der USA vom saudi-arabischen Erdöl und zum dritten auf der langjährigen wirtschaftlichen und politischen Kooperation beider Länder. 1933 vergab der Staatsgründer Ibn Saud die erste Konzession zur Förderung der Ölvorkommen Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien in der Ostprovinz al-Ahsa an den US-amerikanischen Ölkonzern California Arabian Standard Oil Company (CASOC), der 1944 in Arabian-American Oil Company (ARAMCO) umbenannt wurde. Mit dieser Kooperation begann die wirtschaftliche Zusammenarbeit, während die (sicherheits-) politische Allianz mit dem historischen Treffen zwischen Ibn Saud und dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt an Bord des amerikanischen Kriegsschiffes USS Quincy im Jahr 1945 ihren Anfang nahm, nachdem US-amerikanische Truppen dem Hilfegesuch Ibn Sauds gefolgt waren, als italienische Kampfmaschinen während des Zweiten Weltkriegs Ölförderanlagen in Dhahran bombardiert hatten. Während des Kalten Krieges wuchs die Bedeutung der saudisch-amerikanischen Allianz, da sich Saudi-Arabien als prowestliches, antisowjetisches Bollwerk gegen den Kommunismus gerierte. So wurde 1953 das erste Ausbildungslager des US-Militärs in SaudiArabien eingerichtet.24 Obwohl sich das Verhältnis in den 1950er Jahren deutlich abkühlte, da die USA die Zusammenarbeit mit Ägypten, einer der ärgsten Rivalen SaudiArabiens, suchte und daraufhin die Militärbasis in Dhahran geschlossen wurde, näherten sich beide Regierungen nach der Suez-Krise von 1957 wieder an. König Saud hatte die Haltung von Präsident Dwight D. Eisenhower wohlwollend registriert, dass er sich während des Konflikts gegen Frankreich, Großbritannien und Israel gestellt hatte. 1963 unterstützten die USA Saudi-Arabien im Konflikt mit Ägypten während der Jemenitischen Revolution mit Kampfflugzeugen. Gleichzeitig profitierten die USA von Saudi-Arabien bei der ideologischen Auseinandersetzung mit den pan-arabischen anti-amerikanischen „Blockfreien“ unter Führung des ägyptischen Präsidenten Gamal Abd al-Nasser (1918-1970). Durch US-Präsident Richard Nixons Containment-Politik stieg Saudi-Arabien, ironischerweise neben Iran, zum Pfeiler der so genannten „twin pillars“ auf, um den Einfluss der Sowjetunion im Nahen und Mittleren Osten einzudämmen.25 Verfügten Saudi-Ara- 24 25 26 27 bien und Iran unter der Herrschaft des Schahs noch über kollegiale bis freundschaftliche Beziehungen, änderte sich dies wie gesagt mit dem „Epochenjahr“ 1979, dem Sturz des prowestlichen Schahs und der Islamischen Revolution. Während Iran nun als Verbündeter der USA und damit als ein „Pfeiler“ ausfiel, intensivierte sich das bilaterale Verhältnis zu Saudi-Arabien zusehends. Auf Grund des Öls und der geostrategischen Lage nahm Saudi-Arabien nicht mehr allein die Bedeutung als Brückenkopf gegen den sowjetischen Kommunismus, sondern mittlerweile auch gegen den iranischen Islamismus ein.26 Gestaltete sich das Verhältnis zwischen beiden Staaten dementsprechend längere Zeit als machtpolitische Konstante im Nahen und Mittleren Osten, entstanden insbesondere nach dem Iran-Irak-Krieg (1980-1988), dem Fall der Sowjetunion und vor allem der anschließenden Kuwait-Invasion des Iraks unter Führung von Saddam Hussein erste tief greifende Verwerfungen innerhalb des saudischen Establishments über die Intensität der Kooperation mit den USA. Die Entscheidung des saudischen Königshauses nach Rücksicherung bei den wahhabitischen ulama, etwa 5.000 US-amerikanische Soldaten auf saudischem Boden zur Abwehr einer möglichen irakischen Aggression stationieren zu lassen, stieß vor allem auf Seiten islamistischer Oppositioneller auf harsche Kritik. Die Kooperation der „Hüter der beiden Heiligen Stätten“ mit dem als korrupt, dekadent und moralisch verdorben wahrgenommenen „Symbol des westlichen Kapitalismus“ sei für die islamische Vorbildnation Saudi-Arabien untragbar, so der kritische Tenor. Zwar revidierte der damalige saudische König Fahd (1982-2005) seine Entscheidung nicht, die Legitimation des saudischen Königshauses als moralische Instanz der muslimischen Frömmigkeit und der Unbestechlichkeit war jedoch beschädigt worden und zeigte die realpolitische Auffassung des Königshauses sowie seine pro-amerikanische Ausrichtung. Diese „Zerreißprobe“27 bedeutete weit mehr als einen reinen Machtkampf zwischen Establishment und Opposition, sondern führte zu in- Vgl. Teitelbaum, Joshua: Saudi Arabia and the New Strategic Landscape, in: Global Research in International Affairs 14(September 2010)3, http://www.gloria-center.org/2010/09/teitelbaum-2010-09-04/, abgerufen am 21.08.2012. Vgl. u. a. Teicher, Howard: From Twin Pillars to Desert Storm: America’s Flawed Vision in the Middle East from Nixon to Bush, New York 1993. Vgl. Teitelbaum, Joshua: Saudi Arabia and the New Strategic Landscape, in: MERIA Journal 14(2010)3, abzurufen unter http://www.gloria-center.org/meria/2010/09/teitelbaum.html am 23.12.2010. Vgl. Steinberg, Guido: Saudi-Arabien. Politik. Geschichte. Religion, München 2004, S. 70: „Diese pro westliche Außenpolitik war nur schwer mit den xenophoben Grundlinien der Wahhabiya zu vereinbaren.“ Deutsches Orient-Institut 13 Saudi-Arabien tensiven Diskussionen in der saudischen Gesellschaft um die mögliche „Marionettenfunktion“ Saudi-Arabiens für US-amerikanische Interessen in der Region. Die dauerhafte Stationierung US-amerikanischer Streitkräfte in Saudi-Arabien auch nach dem Ende des Zweiten Golfkrieges aus „Gründen der internen Sicherheit“, wie die offizielle Begründung lautete, ließ die Debatten um das amerikanisch-saudische Verhältnis nicht verstummen. In weiten Teilen der wahhabitischen Geistlichkeit, der konservativen Elite sowie der islamistischen Opposition blieb die Präsenz der „Ungläubigen“ auf „heiligem Boden“ ein Frevel sowie ein Symbol für die Korrumpierbarkeit des saudischen Königshauses. Öffentlicher Protest blieb zwar aus, traditionell wurde die Kritik jedoch in Form von Petitionen zum Ausdruck gebracht, die dem König vorgelegt wurden. In dieser Phase schien es, als habe sich zum ersten Mal breitenwirksamer Antiamerikanismus in SaudiArabien gesellschaftlich etabliert. Dieser Zustand sollte sich insbesondere nach dem 11. September 2001 noch verstärken, geriet Saudi-Arabien nun unter Generalverdacht, Sponsor und Förderer von militanten islamistischen Gruppen zu sein. Immerhin waren 15 der 19 Attentäter gebürtige SaudiAraber, Usama bin Ladin ursprünglich saudischer Staatsbürger.28 Nun geriet das weitgehend intransparent agierende politische System der saudischen Elite immer stärker in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Der Rechtfertigungszwang und der steigende Druck drängten den saudischen Thronfolger Abdullah, der bereits die Amtsgeschäfte des schwerkranken Königs Fahd übernommen hatte, ehe er 2005 selbst inthronisiert wurde, zu Reformmaßnahmen und einer deutlichen Positionierung gegen den islamistischen Terrorismus. Dies geschah auch vor dem Hintergrund, dass ab 2003 immer mehr militante Gruppierungen in Saudi-Arabien agierten, die die dekadente und verwestlichte Politik der Al Saud kritisierten und es stürzen wollten – ein Plan, den ursprünglich auch Usama bin Ladin verfolgt 28 29 30 14 hatte, ehe er 1994 aus Saudi-Arabien ausgewiesen worden war.29 Allein zwischen 2003 und 2005 wurden bei Anschlägen 221 Menschen getötet. 2003 wurde ein Gesetz erlassen, das erlaubte, Finanztransaktionen zu kontrollieren und Bankkonten von Terrorverdächtigen einzufrieren.30 Das Königshaus ging vehement gegen die militanten Islamisten vor, verstärkte die Sicherheitskräfte, sodass es gelang, innerhalb weniger Jahre die terroristische Bedrohung einzudämmen. Gleichzeitig reagierte König Abdullah auf die innergesellschaftliche und US-amerikanische Kritik und forcierte schrittweise Reformen. Die Einrichtung eines „Nationalen Dialogs“, der unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen zum offenen Diskurs zusammenbringt und sogar den benachteiligten Schiiten und Frauen die Möglichkeit gibt, sich an der Debatte zu gesellschaftlichen Themen zu engagieren, gilt als eine der deutlichsten Indikatoren für ein gewisses Reformbemühen Abdullahs. Dennoch bleiben solche Liberalisierungsmaßnahmen eindeutig von oben kontrolliert und steuern vielmehr eine „genormte Pseudo-Zivilgesellschaft“, anstatt unabhängige gesellschaftliche Strömungen zu fördern. Saudische Reformpolitik ist somit in der Regel realpolitischen Erwägungen geschuldet und tariert zwischen außenpolitischem und innergesellschaftlichem Druck auf der einen Seite und dem machterhaltenden Kalkül des Königshauses auf der anderen Seite. Reformen sind gut, wenn sie das Image verbessern und die überragende Bedeutung der Al Saud nicht bedrohen. Droht jedoch Autoritätsverlust oder ein nachhaltiges Aufbrechen der konservativen religiösen Deutungshoheit der Wahhabiya, greift der König durch, dreht Reformen zurück und schränkt neue Öffnungen zunehmend ein. So scheint es, als müsse der König bei jeder Reformmaßnahme eruieren, welchen Einfluss nehmenden Akteur er zufrieden stellen möchte. Hierbei ist er einerseits auf das Wohlwollen der amerikanischen Partner, auf der anderen Seite auf die Unterstützung des konservativen wahhabitischen Establishments angewiesen, was grundsätzlich zu Konflikten führen kann Vgl. Hamzawy, Amr: The Saudi Labyrinth: Evaluating the Current Political Opening, Carnegie Papers Middle East Series (April 2006) 68, Wurm, Iris: Im Zweifel für die Monarchie. Autokratische Modernisie rung in Saudi-Arabien, in: HFSK Report 13/2007 und Steinberg, Guido: Der Nahe und der Ferne Feind. Netzwerke des islamistischen Terrorismus, München 2005: Auch die Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 sowie der Anschlag auf die USS Cole im Jemen im Jahr 2000 wurden von saudi-arabischen Attentätern initiiert und durchgeführt und dem Terrornetzwerk al-Qaida zugeschrieben. Vgl. International Crisis Group: Who are the Islamists? Middle East Report Nr. 31, Kairo, Brüssel 2004. Vgl. Glosemeyer, Iris: Terroristenjagd in Saudi-Arabien. Hintergründe und Folgen, in: SWP-Aktuell, Nr. 29, August 2003. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien und den Handlungsspielraum des saudischen Königs bisweilen deutlich einschränkt. Das Verhältnis zu den USA bleibt also bestimmt von diametral entgegenlaufenden Tendenzen und ambivalenten Strömungen zwischen realpolitischem Kalkül und ideologisch-religiöser Skepsis. Hier spiegelt sich die widersprüchliche Sichtweise von Religion und Staatsräson wider. Politische Notwendigkeiten, religiöse Normen und Ideologien verlaufen dabei oftmals konträr. Trotz der umstrittenen und zwielichtigen Rolle SaudiArabiens im Hinblick auf die ideologische, logistische und finanzielle Unterstützung von weltweit operierenden militanten Islamisten bleibt das Königshaus also ein wichtiger Partner für die USA. Dies hat sich auch während der Umsturzprozesse in der arabischen Welt seit Frühjahr 2011 und dem Sturz des Regimes von Zine el-Din Ben Ali in Tunesien nicht grundlegend geändert, wenngleich die unterstützende Haltung des saudischen Königshauses gegenüber dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak vor dessen Sturz sehr kritisch gesehen wurde und es zwischen König Abdullah und US-Präsident Barack Obama am 29. Januar 2011 zu einer heftigen Unterredung gekommen sein soll, in der Abdullah Obama aufgefordert haben soll, seinen engen Freund Mubarak nicht zu „demütigen“.31 Während die USA die Opposition unterstützte, stand Abdullah weiterhin auf Seiten Mubaraks. Er befürchtete, ein Sturz des Despoten könnte zum einen weitere regionale Instabilität sowie die Machtübernahme der Muslimbrüder zur Folge haben, was das saudische Königshaus als Bedrohung ihrer eigenen Machtlegitimation ansieht (siehe auch 5.). Obama hingegen versuchte, sich als Freund der Demokratiebewegung und des politischen Wandels darzustellen, wenngleich die USA in den Jahren zuvor vor allem militärisch und sicherheitspolitisch eng mit dem Mubarak-Regime zusammengearbeitet und jährlich 1,5 Mrd. USD an Militärhilfe überwiesen hatten. Außerdem fürchtet Abdullah eine Intensivierung der ägyptisch-iranischen Beziehungen, 31 32 33 34 was sich mit der Erlaubnis der ägyptischen Interimsregierung im Februar 2011, zwei iranische Kriegsschiffe den Suez-Kanal passieren zu lassen, ansatzweise bewahrheiten sollte.32 Weiterhin äußerte sich der neu gewählte ägyptische Präsident Muhammad Mursi wohlwollend gegenüber der iranischen Regierung und zeigte Interesse daran, die seit dem Friedensschluss Ägyptens mit Israel im Jahr 1979 unterkühlten Beziehungen zu Iran verbessern zu wollen. So fand die erste Reise eines ägyptischen Staatsoberhauptes nach Iran seit mehr als drei Jahrzehnten Ende August 2012 statt, was einerseits die USA und Israel, andererseits aber auch Saudi-Arabien beunruhigte.33 Immerhin schlug Mursi auf einem Treffen der OIC in Mekka Iran als Mitglied einer möglichen Kontaktgruppe bei der Verhandlung im Syrien-Konflikt vor.34 Ähnliche Interessenskonflikte offenbarten sich im Umgang mit anderen Transformationsländern. Während Saudi-Arabien daran Interesse zeigt, die fragile Lage in der Region nicht weiter zu destabilisieren, forcieren die USA ihre Unterstützung für oppositionelle Gruppierungen, fordern mehr Pluralismus und Demokratisierung und unterminieren damit den Stabilitätsanspruch des saudischen Königshauses. Dies belastet auch deswegen das bilaterale Verhältnis, da die USA in den vergangenen Jahrzehnten aus Gründen der Sicherheitswahrung und der Einhegung Irans repressive Präsidialdiktaturen finanziell und politisch unterstützte, um damit proamerikanische, sunnitische Herrscher an der Macht zu halten und den autoritäts- und einflussbewahrenden Status quo zu bewahren. Die „Arabellion“ in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien, Jemen oder Bahrain hat nun allerdings die geopolitischen Gegebenheiten grundlegend geändert. Darauf reagiert die USA mit einer mehr oder weniger glaubhaft artikulierten Politik zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten. Dies schadet jedoch dem Einfluss Saudi-Arabiens, sodass zwar nach wie vor beide Partner aufeinander angewiesen sind und sein werden, ihre betonierte Interessenskongruenz jedoch einzelfallabhängig neu ausgehandelt werden muss. Vgl. Fox News: Report: Saudis Warned Obama Not to 'Humiliate' Mubarak, 10. Februar 2011, h t t p : / / w w w. f o x n e w s . c o m / p o l i t i c s / 2 0 11 / 0 2 / 0 9 / s o u r c e - s a u d i s - t e l l - o b a m a - h u m i l i a t e mubarak/#ixzz24BeEHLe9, abgerufen am 21.08.2012. Vgl. BBC News: Egypt allows Iranian warships 'can use Suez Canal', 18. Februar 2011, http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-12493614, abgerufen am 21.08.2012. Vgl. BBC News: Egypt President Mursi 'to visit Iran', 18. August 2012, http://www.bbc.co.uk/news/worldmiddle-east-19307659, abgerufen am 21.08.2012. Vgl. Spiegel online: Ägyptens Präsident plant historische Iran-Reise, 19. August 2012, http://www.spie gel.de/politik/ausland/aegypten-praesident-mursi-will-blockfreien-gipfel-in-iran-besuchen-a-850836.html, abgerufen am 21.08.2012. Deutsches Orient-Institut 15 IV. „Export des Wahhabismus“ als außenpolitisches Instrument Während sich Saudi-Arabien auf der einen Seite als verlässlicher und langjähriger Partner des Westens und vor allem der USA bewährt hat, drängt der „Hüter der beiden Heiligen Stätten“ Mekka und Medina gleichzeitig auf eine Führungsrolle innerhalb der islamischen Welt. Seit Jahrzehnten forciert Saudi-Arabien so die Unterstützung konservativ-sunnitischen Gedankengutes im In- und Ausland, finanziert sunnitische Bewegungen mit ideologischer Nähe zum Wahhabismus und gilt als einer der wichtigsten Förderer radikaler islamistischer Akteure weltweit. Hierbei sieht sich Saudi-Arabien als „Leuchtturm“ der muslimischen umma und als Vorbild des sunnitisch-orthodoxen Islams. So sind Missionierungsbestrebungen des saudischen Wahhabismus längst (inoffizieller) Teil der Außenpolitik geworden. Dabei liegen die Hintergründe und das Ausmaß der „wahhabitischen Bekehrungsmaschinerie“ weitgehend im Dunkeln, tauchen die finanziellen Aufwendungen in keinen Statistiken auf und verweist das Könighaus doch immer wieder auf die autonomen Aktivitäten religiöser Stiftungen, wahhabitischer Prediger und Privatinitiativen. In der Tat stellt sich die religiöse geprägte Außenpolitik Saudi-Arabiens keineswegs als zentralisiertes Instrument dar, sondern gestaltet sich äußert heterogen und verfolgt unterschiedlichste Ziele. So eröffnen Ministerien offiziell Religionsschulen (arabisch: madaris) in arabischen und asiatischen Ländern wie Pakistan, finanzieren die infrastrukturellen Vorhaben, bilden Lehrer und Gelehrte aus, entsenden saudische Ausbilder und prägen so das Bildungssystem vieler Entwicklungsstaaten. Neben diesem oberflächlich altruistischen Prinzip der Entwicklungshilfe dienen diese Bildungsinstitutionen jedoch auch dem Zweck, wahhabitische Ideen zu verbreiten. Antischiitische, antisemitische und antiwestliche Curricula sind ebenso integraler Bestandteil des Schulalltags wie die Koranexegese. Halboffizielle oder private religiöse Stiftungen (arabisch: wuquf) agieren ähnlich indoktrinär, sind aber in ihren Aktivitäten kaum zu durchschauen. Es ist weder bekannt, in welchem Umfang diese Art der Missionierung vonstatten geht, wer sie durchführt noch wer davon konkret profitiert. Gerade deswegen bleibt der 16 „Export des Wahhabismus“ für Saudi-Arabien ein wesentliches außenpolitisches, religiös verbrämtes Instrument und fungiert gleichzeitig als größtes Indiz für die „Janusartigkeit“ der saudischen Außenpolitik, dem Westen die Hand zu reichen, um ihn hinter dem Rücken zu bekämpfen. Denn vielfach dienen die Missionierungsmaßnahmen, für die vermutlich mehrere Milliarden US-Dollar jährlich in die verschiedenen islamischen Länder fließen, nicht allein als religiöse Schulung, sondern auch als Radikalisierungszentren. Pakistans umstrittene dini madaris werden zu großen Teilen von saudischen Geldern finanziert und dienen oftmals als Rekrutierungs- und Militarisierungslager für junge muslimische Männer. Interessanterweise verfolgte Saudi-Arabien auch in den 1980er Jahren eine ähnliche Strategie, indem die saudischen mujahidin in Afghanistan gegen die Sowjets kämpften, sich dort radikalisierten und sich vor allem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Rückkehr nach Saudi-Arabien mehr und mehr gegen das eigene Königshaus wandten. Saudi-Arabien hatte gehofft, die ideologische Gesinnung der zumeist jungen, desillusionierten und orientierungslosen Muslime kontrollieren zu können, wurden aber bald eines Besseren gelehrt. Dennoch: Der Schritt von der wahhabitischen Indoktrination zur militanten Radikalisierung ist beabsichtigt, da diese Muslime dem Ziel Saudi-Arabiens dienen, das Image der islamischen Führungsmacht zu stabilisieren und sich als antiwestlicher Akteur darzustellen. So wird vermutet, dass Saudi-Arabien salafistische Gruppierungen in den Krisenländern des Nahen und Mittleren Ostens mit Ausrüstung, Waffen, Finanzen und Logistik unterstützt, um die wahhabitische Phalanx auszubauen und damit den eigenen Machtbereich zu erweitern. Angeblich soll die salafistische An-NurPartei in Ägypten während des Wahlkampfes Millionensummen von saudischen Partnern erhalten haben. Ebenso werden militante Gruppierungen in Pakistan und Afghanistan unterstützt. Saudi-Arabien gelingt es somit nicht nur, die eigene Vormachtstellung als Protektor des sunnitischen Islams zu sichern, es stellt sich auch als unkorrumpierbares Gegengewicht zum Westen dar. Gleichzeitig dienen auch diese Aktivitäten der Eindämmung Irans und dessen schiitischer Ideologie. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien V. Der „Arabische Frühling“ und SaudiArabien: Bedrohung oder Chance? Insbesondere die Umbrüche in der arabischen Welt aufgrund des so genannten „Arabischen Frühlings“ wirken sich dadurch auch auf die außenpolitische Strategie Saudi-Arabiens aus und werden die zukünftige Außenpolitik des Königreichs massiv beeinflussen. Saudi-Arabiens Könighaus bewertet die Transformationsprozesse in der arabischen Welt, die mit dem Sturz von Zine el-Din Ben Ali in Tunesien im Februar 2011 begonnen hatten und sich in Ägypten, Libyen, Bahrain, Jemen und Syrien fortsetzten, nicht als Positiventwicklung zu mehr Liberalisierung, Demokratie und wirtschaftlicher Öffnung, sondern vielmehr als Bedrohung des eigenen Machtanspruchs. Das Königreich fürchtet insbesondere die Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“ auf (1) die sicherheitspolitische Konzeption in der MENA-Region (2) die innenpolitische Stabilität (3) die Vormachtstellung des konservativorthodoxen Wahhabismus saudischer Prägung. In diesen Bereichen drohen dem Königreich massive Konsequenzen, die den eigenen Einfluss und die Machtbalance in der Region zuungunsten Saudi-Arabiens beeinflussen könnten. Hierbei muss diskutiert werden, inwieweit Saudi-Arabien als potenzieller Gewinner oder Verlierer des „Arabischen Frühlings“ bewertet werden kann. beeinträchtigen die mannigfaltigen Unruhen in der Region, insbesondere in Syrien, die Bestrebungen der saudischen Außenpolitik nach dem Erhalt des Status quo. Eine zunehmende Radikalisierung und Militarisierung der gesellschaftlichen Entwicklungen in den Transformationsstaaten könnte demnach sicherheitspolitisch der auf Stabilität ausgerichteten Politik des Königshauses schaden: Fehlende staatliche Kontrolle in den Staaten des Übergangs, der Anstieg lokaler Gewalt und die Schwächung staatlicher Machtstrukturen könnten die Region dauerhaft destabilisieren und somit die Sicherheitskonstruktion des Königshauses unterhöhlen. Während die mittlerweile gestürzten Despoten in der Regel berechenbare Risikofaktoren darstellten, mit denen sich das saudische Königshaus arrangiert hatte, steigt nun die Unkalkulierbarkeit der dortigen politischen Akteure. Dies könnte sich Saudi-Arabien zwar zunutze machen, wie später noch bei den Länderbeispielen gezeigt werden soll, doch das Streben nach Kontinuität, schrittweise politische Prozesse zu initiieren, ohne an Einfluss zu verlieren, ist durch die rasante Transitionsentwicklung kaum mehr zu realisieren. Die saudische Außenpolitik wird nun konfrontiert mit unbekannten Variablen, die nicht mehr ohne weiteres zu kontrollieren und zu berechnen sind. Dies drängt das saudische Königshaus in die passive Defensive. Sollten sich für Saudi-Arabien diese Variablen ungünstig entwickeln, hätte dies den Verlust regionaler Vormachtstellung zur Folge und könnte unter Umständen gleichzeitig den Erzfeind Iran stärken. V.1 Die sicherheitspolitische Konzeption in der MENA-Region V.2 Die innenpolitische Stabilität Der Sturz der autokratischen Regimes in Tunesien, Ägypten und Libyen sowie die Unruhen in Bahrain, der militärische Konflikt in Syrien und der Transformationsprozess im Jemen haben die fragile sicherheitspolitische Konstruktion im Nahen und Mittleren Osten nachhaltig verändert. Saudi-Arabien, aufgrund seines Hegemonialkonfliktes mit Iran und seiner eigenen regionalen Ambitionen als Führungsmacht der sunnitischen Muslime, bewertet diese Umbrüche skeptisch: Zum einen hofft die saudische Elite, außenpolitisch das Vakuum zu füllen, das einstmals einflussreiche Akteure wie Ägypten ausgefüllt hatten, zum anderen besteht die fast paranoide Furcht vor einem Erstarken Irans. Gleichzeitig Bisher gilt Saudi-Arabien als innenpolitisch ruhig, als „Insel der Stabilität“ in einem Meer der Umbrüche. Dass diese Sichtweise mehr als eindimensional ist, da insbesondere seit Februar 2011 immer wieder Demonstrationen gegen das saudische Königshaus stattfinden, zeigt deutlich die wachsende Unzufriedenheit breiter gesellschaftlicher Gruppen. Vor allem die marginalisierten und wirtschaftlich benachteiligten saudischen Schiiten in der Ostprovinz begehren gegen die jahrzehntelange Vernachlässigung auf und fordern mehr wirtschaftlichen Fortschritt, bessere Bildungsbedingungen, politisches Mitspracherecht und religiöse Anerkennung.35 Im wahhabitischen Glauben als Ungläubige denunziert, zeigten 35 Vgl. Dinkelaker, Christoph: Im Osten nichts Neues? – Zur Situation der Schia in Saudi-Arabien, in: Ulrike Freitag (Hrsg.): Saudi-Arabien – Ein Königreich im Wandel? Paderborn 2010, S. 189-220. Deutsches Orient-Institut 17 Saudi-Arabien sich viele Schiiten vom politischen Widerstand ihrer konfessionellen Brüder in Bahrain beeindruckt. Bereits seit Jahrzehnten existiert eine aktive schiitische Opposition, die sich durch die Ereignisse in Bahrain zunehmend professionalisiert und vernetzt hat. In der Hauptstadt der Ostprovinz Qatif verfügt die schiitische Opposition über enormen gesellschaftlichen Rückhalt, ist breit aufgestellt und konnte Organisationsstrukturen aufbauen, die schnell und flexibel Demonstrationen realisieren können. Insbesondere im Internet hat der Einfluss schiitischer Aktivisten deutlich zugenommen. In eigenen Blogs sowie über soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter wird zu Demonstrationen aufgerufen, sich mit Schiiten im Ausland vernetzt, und einflussreiche Prediger politisieren zunehmend ihre Anhänger. Doch neben den Schiiten formieren sich seit Jahren auch andere oppositionelle Gruppierungen, die das statische Gesellschaftssystem der Al Saud herausfordern und durch den „Arabischen Frühling“ neuen Auftrieb erhalten haben. Zu ihnen gehören traditionelle Gruppen wie die Al-Sahwa-Bewegung des einflussreichen sunnitischen Predigers Sahwa al-Awdah, liberale Reformer, die nach einer konstitutionellen Monarchie streben und Islamisten, die den Regierungsstil des Königshauses kritisieren und mehr Gottesfürchtigkeit einfordern, aber auch Frauenaktivisten oder jugendliche Blogger.36 Diese Aktivisten profitieren auch von einer zunehmenden Öffnung der saudischen Gesellschaft. Durch regelmäßige Aufenthalte im Ausland zu Arbeits- oder Studiumszwecken, einer hohen Anzahl von Internetnutzern und der Verbreitung des Satellitenfernsehens verfügt vor allem die junge saudische Generation über gewachsene Diskursmöglichkeiten, was zu einer deutlichen Politisierung der saudischen Öffentlichkeit beigetragen hat. Bereits 2009 überstieg die Anzahl der Mobiltelefone die Bevölkerung um mehr als das Doppelte, 36 37 38 39 40 41 18 im Dezember 2011 betrug die Zahl der Internetanschlüsse 13 Millionen und 4,5 Millionen nutzten Facebook .37 2010 stieg die Zahl der Twitter-User um 440%, während der weltweite Durchschnitt bei einem 95%-igen Wachstum lag.38 Hinzu kommt eine deutliche Verschlechterung der soziökonomischen Faktoren, die das saudische Königshaus vor die Herausforderung stellt, Arbeitsplätze und die Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliches Engagement zu schaffen. Konnten bislang die meisten saudischen Staatsbürger im öffentlichen Dienst beschäftigt werden und durch staatliche Alimentierung Sozialleistungen erhalten, stößt dieses System des klassischen Rentierstaates zunehmend an Grenzen: Die Bevölkerung soll von derzeit etwa 28 Millionen auf 43,7 Millionen im Jahr 2050 steigen39, das Durchschnittsalter liegt bei 25,3 Jahren und knapp ein Drittel der Bevölkerung sind unter 15 Jahren.40 Gelingt es Saudi-Arabien in naher Zukunft nicht, den Arbeitsmarkt für saudische Staatsbürger deutlich zu erweitern, die Anzahl der ausländischen Gastarbeiter zu verringern und auch Frauen am Wirtschaftsleben partizipieren zu lassen, droht die Arbeitslosigkeit und damit die soziale Frustration zu steigen. Bereits jetzt liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei etwa 30%. Da der Staat nicht mehr in der Lage ist, alle Arbeitslosen zu alimentieren, sind diese weitgehend auf familiären Rückhalt angewiesen. Hinzu kommt die soziale Stigmatisierung, als arbeitsloser Mann keine Ehefrau zu finden.41 Mit der zunehmenden Mobilisierung vieler saudischer Frauen und der wirtschaftlichen Unfähigkeit vieler Männer, den Frauen ihren Unterhalt zu finanzieren, wächst der Druck auf das Königshaus, zunehmend Frauen am Arbeitsleben teilnehmen lassen zu müssen. Hierbei besteht eine gravierende Differenz zwischen dem exzellenten Bildungsniveau vieler Frauen, die oftmals über ein vom Königreich gefördertes, abgeschlossenes Studium verfügen, und den man- Im Rahmen dieser Studie können nicht alle Gruppierungen detailliert vorgestellt werden. Verwiesen werden kann in diesem Zusammenhang unter anderem auf Sons, Sebastian: Saudi-Arabien, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling: Auslöser, Verlauf, Ausblick, September 2011, S.126-140, Preuschaft, Menno: The Arab Uprisings in Saudi Discourse – Intellectual and Religious Perspectives from the Kingdom, in: Orient IV/2012, S. 22-26, Fandy, Mamoun: Saudi Arabia and the Politics of Dissent, New York 1999. Vgl. http://www.internetworldstats.com/middle.htm, abgerufen am 24.09.2012. Vgl. Atwood, Ed: Twitter usage rockets in conservative Saudi Arabia, Arabian Business, 5. Januar 2011, http://www.arabianbusiness.com/twitter-usage-rockets-in-conservative-saudi-arabia-371485.html, abgerufen am 24.09.2012. Vgl. World Bank, Population Growth Rate, Middle East and North Africa, http://www.worldbank.org/ depweb/english/modules/social/pgr/datamide.html, abgerufen am 24.09.2012. Vgl. Population Reference Bureau, http://www.prb.org/DataFinder/Geography/Data.aspx?loc=249, abgerufen am 12.05.2012. Vgl. Thomson, Mark C: Saudi Youth: Challenges for the Future, in: Orient IV/2012, S. 35f. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien gelnden Möglichkeiten, in ihrem hoch qualifizierten Bereich eine Arbeitsstelle anzunehmen, da sie weiterhin weitgehend vom Männer dominierten Arbeitsleben exkludiert werden. dern, und Abdallah in den letzten Jahren vorsichtige Reformen implementiert hat, könnte Saudi-Arabien mittelfristig in eine ähnliche sozioökonomische Situation geraten wie andere Transformationsländer. Die Folgen könnten sich wirtschaftlich wie sozial dramatisch auf die innere Stabilität der saudischen Gesellschaft auswirken: Traditionelle Geschlechterbilder verändern sich, je mehr Frauen ins Berufsleben drängen und je mehr Männer unter finanziellen Problemen leiden. Gleichzeitig wächst das soziale Frustpotenzial, sollte es dem Staat nicht gelingen, ausreichend Arbeit für die jüngeren Generationen anzubieten, die ihrem Bildungsstandard entsprechen. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich mindestens 200.000 Arbeitsplätze geschaffen werden müssten, um alle nachdrängenden Absolventen auf dem Arbeitsmarkt zu absorbieren. Hierbei müssten allerdings die Frauen noch addiert werden, sodass vermutlich 400.000 neue Jobs entstehen müssten, was auch für das ressourcenreiche Saudi-Arabien nur schwer zu realisieren sein wird.42 Dies wäre zumal nur mit einer vollständigen „Saudisierung“ zu erreichen, was die Verdrängung der Arbeitsmigranten aus dem Serviceund Infrastruktursektor als Voraussetzung hätte. Stattdessen müssten saudische Arbeitnehmer verpönte Arbeiten im Billiglohnsektor verrichten, was bereits in der Vergangenheit vereinzelt zu Protesten führte. So scheiterte der Versuch, nur noch saudische Taxifahrer zu beschäftigen, am fehlenden Interesse. Gewöhnt an das Privileg, keine Arbeiten für andere Saudis ausführen zu müssen und der Annahme, der Staat sei verantwortlich für die finanzielle Existenzsicherung des Einzelnen, hat sich eine Kultur der Behaglichkeit und eine Mentalität der Trägheit entwickelt, die den sozioökonomischen Herausforderungen entgegensteht und dem saudischen Königshaus Reformen am Arbeitsmarkt doppelt erschweren. V.3 Die Vormachtstellung des konservativorthodoxen Wahhabismus saudischer Prägung So könnten sich soziökonomische Notwendigkeiten und gesellschaftliches Anspruchdenken zu einer explosiven Mélange für das Königshaus entwickeln, welche nicht allein durch Alimentierungsmaßnahmen in Form von Gehaltserhöhungen oder der Ausweitung der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor abgefedert werden könnten. Auch wenn SaudiArabien bislang noch über die Ressourcen verfügt, soziale Unzufriedenheit zu verhin- 42 Saudi-Arabiens herausragende Stellung als „Hüter der beiden Heiligen Stätten“ Mekka und Medina dient dem Königreich als Legitimationsbasis missionarischer Außenpolitik und zur Repression nach innen. Der Wahhabismus übernimmt daher nicht nur eine identitätsstiftende Funktion, um die Loyalität zum Königshaus aufrechtzuerhalten, sondern auch, um die Al Saud als Vorbilder des sunnitischen Glaubens zu überhöhen. So suggeriert das saudische Königshaus, dass die monarchisch-absolute Staatsform dynastischer Prägung automatisch mit der Dominanz des Wahhabismus verknüpft sei. Diese Symbiose legitimiert die Herrschaft der saudischen Königsfamilie seit 1932. Der Sturz relativ säkularer Regimes in der arabischen Welt und die Wahlsiege der Muslimbrüder in Ägypten und der Al-Nahda-Partei in Tunesien könnten langfristig diese religiös-politische Autorität der Al Saud schwächen. Sollten islamistische Parteien in Zukunft beweisen, sich einerseits demokratisch legitimieren lassen zu können und andererseits eine islamisch basierte Politik zu betreiben, könnte dies zu einem neuen Vorbild innerhalb der arabischen Welt werden. Der Ruf nach Freiheit, Bürgerrechten, Demokratie und Partizipation könnte sich so zu einer neuen Symbiose mit islamisch fundierten Werten verbinden und als Modellsystem regionale Strahlkraft entfalten. Die Muslimbrüder, Symbol für die unkorrumpierbare Opposition gegen die autokratischen Herrscher, könnten zur Konkurrenz für den saudischen Alleinstellungsanspruch als religiöse Autorität werden. Sollte sich eine solche „islamische Demokratie“ als wirtschaftlich, politisch und sozial stabil erweisen und gleichzeitig islamische Prinzipien achten sowie Realpolitik mit religiöser Legitimation betreiben, erwüchse den Al Saud und dem saudischen Wahhabismus ein bedrohlicher Widerpart. Auch deshalb zeigte sich das saudische Königshaus gegenüber dem Wahlsieg der Muslimbrüder und ihrem Präsidenten Mursi in Ägypten eher nüchtern distanziert. Vgl. Thomson, Mark C: Saudi Youth: Challenges for the Future, in: Orient IV/2012, S. 35. Deutsches Orient-Institut 19 Saudi-Arabien “The Brotherhood and Saudi Arabia share Sunni Muslim values, but Riyadh regards the movement as an ideological competitor with an aggressively activist political doctrine that might destabilize allies and foment discord inside the kingdom. (Q) The Brothers offer a religious political discourse that's in competition with the Wahhabi one.”43 So setzten sich die Muslimbrüder in ihrer Geschichte immer wieder für einen aktiven, revolutionären Islamismus ein, während der Wahhabismus als unflexibler und reformunwilliger „Bewahrer der alten Werte“ gelten kann. Dieser „Albtraum“ einer funktionierenden „islamischen Volksherrschaft“ könnte sich desaströs auf den Herrschaftsanspruch der Al Saud auswirken, da die eigene Bevölkerung am ägyptischen Beispiel sehen könnte, dass politische Freiheit, wirtschaftlicher Fortschritt und Religiosität zu vereinbaren wären, was zu Rufen nach einer konstitutionellen Monarchie und einer gleichzeitigen Schwächung der Königsfamilie führen könnte.44 VI. Saudi-Arabiens Regionalpolitik an ausgewählten Fallbeispielen: Realpolitischer Pragmatismus zur Bewahrung des Status quo? V.1 Libyen: Saudi-Arabiens Königshaus unterhielt ein sehr gestörtes Verhältnis zu Libyens ehemaligen Machthaber Muammar al-Gaddafi, der als Bedrohung für die Stabilität innerhalb der arabischen Welt gesehen und aus vielerlei Gründen verachtet wurde: Der seit 2005 amtierende saudische König Abdullah und der 2011 getötete al-Gaddafi konnten gar als Intimfeinde bezeichnet werden, immerhin hatte al-Gaddafi 2004 auf den damaligen Thronprinz Abdullah ein Attentat geplant. Abdullah selbst vermied es in der Regel, mit Gaddafi zusammenzutreffen, bezeichnete ihn als Exzentriker, paranoiden Wahnsinnigen und geächteten Außenseiter. Al-Gaddafis Habitus, sich als Vertreter einer panarabischen Union und eines missionarischen Panafrikanismus zu gerieren, wurde ihm nicht nur vom saudischen Königshaus als vermessener Größenwahn ausgelegt. 43 44 20 So wurde der Aufstand in Libyen gegen den Autokraten al-Gaddafi von offizieller saudischer Seite begrüßt. Neben den persönlichen Animositäten standen hinter der Sympathie für die Aufständischen jedoch auch handfeste wirtschaftliche und ideologische Interessen Saudi-Arabiens: Immerhin fiel mit dem Öl exportierenden Libyen zumindest kurzfristig ein Konkurrent für die saudische Ölindustrie weg, außerdem hoffte man, dass eine neue libysche Regierung berechenbarer agieren würde und damit leichter zu kontrollieren sei, wenn es um die Ausgestaltung des Ölpreises an den internationalen Märkten gehen sollte. Weiterhin galt das Zentrum des Aufstands, die östliche Cyrenaika mit Benghasi als oppositionelles Herz, als Hochburg des libyschen Islams. Der tief in der libyschen Stammesgesellschaft verwurzelte SenussiOrden, aus dessen Kreisen auch der letzte König gestammt hatte, verfügt auch heute noch über erhebliche Autorität im rural und tribal geprägten Osten des Landes. Al-Gaddafi hatte mit seinen obskuren ideologischen Vorstellungen versucht, die Rolle der Religion in Libyen zu beschneiden, sich selbst als religiöser Quasi-Führer, als Übervater der libyschen Gesellschaft und seine skurrilen Vorstellungen von einem idealen Staat und Gesellschaft als Einheitsideologie proklamiert. Niedergeschrieben in seinem berühmten „Grünen Buch“ forderte er die Schaffung eines idealtypischen Menschen, förderte die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, gerierte sich als polyglotter Vorzeigestaatsherr, dessen Phantasieuniformen und bigottes Verhalten im arabischen Ausland für Kopfschütteln sorgten. Die religiösen Vorstellungen des konservativen Ostens passten nicht in das soziale System al-Gaddafis, sodass er die Anhänger des Senussi-Ordens unterdrückte, die Cyrenaika vernachlässigte, notwendige Infrastrukturmaßnahmen nicht umsetzen ließ und die traditionelle Identität negierte. Saudi-Arabien begrüßte demnach die Aufstandsbewegung aus dem tief islamischen Osten des Landes, sah das Königshaus darin keine säkulare, verwestlichte Marionette der USA, sondern eine indigene, konservative Strömung eines sunnitischen Islams, die sich anschickte, in einem „neuen Libyen“ den Islam wieder zu einem bestimmenden Wert in der Politik zu verhelfen. McDowall, Angus: Rise of Muslim Brotherhood frays Saudi-Egypt ties, Reuters, 1. Mai 2012, http://www.reuters.com/article/2012/05/01/us-saudi-egypt-brotherhood-idUSBRE8400ZM20120501, abgerufen am 06.08.2012. Vgl. Gause III, F.G.: Saudi Arabia in the New Middle East, Council Special Report, Dezember 2011, S. 20f. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien In der nahen Zukunft wird Saudi-Arabien jedoch keine engen Beziehungen zu Libyen unterhalten, gilt das Land doch als geostrategisch unwichtig und wirtschaftlich für SaudiArabien nicht sonderlich interessant. Es bleibt auch abzuwarten, wie sich die Beziehungen zwischen der neu gewählten libyschen Regierung und dem saudischen Königshaus gestalten werden. Im Gegensatz zu den Nachbarländern Tunesien und Ägypten konnten bei den Wahlen im Juli 2012 die säkularen Kräfte die Mehrheit erzielen, sodass eine islamistische Regierung der Muslimbrüder nicht zustande kam. Trotzdem spielt der Islam auch im politischen Leben vieler Libyer eine wesentliche Rolle, zumal nach al-Gaddafis Sturz sämtliche Institutionen neu aufgebaut werden müssen, nationale Symbole der Einheit fehlen und die Gefahr besteht, dass tribale oder regionale Rivalitäten auftreten können. Bislang ist es dem Staat nicht gelungen, die Sicherheit zu garantieren. Eine nationale Polizei existiert bisher nur in Ansätzen, sodass diverse Milizen in den Städten, Gemeinden und Regionen Sicherheitsaufgaben übernehmen. Diese müssen in Zukunft in das staatliche System integriert werden, um sie einerseits kontrollieren und andererseits kooptieren zu können, sonst könnte es immer wieder zu Gewaltausbrüchen in einer Situation der fragilen Staatlichkeit kommen. Angeblich sollen sich mehr als 900.000 Waffen im Privatbesitz befinden. Das entspricht etwa 15,5 Waffen auf 100 Einwohner.45 Vermutlich könnten diese Zahlen aber noch deutlich höher liegen. Die Anschläge auf das US-amerikanische Konsulat und der daraus resultierende Tod des USBotschafters Chris Stevens und drei weiteren Mitarbeitern der Botschaft am 11. September 2012, die offenbar von al-Qaida nahe stehenden nicht-staatlichen Gewaltakteuren durchgeführt wurden, zeigt, dass Libyen droht, dauerhaft zum Rückzugsgebiet für militante Islamisten zu werden. Inwieweit auch saudische Islamisten in Libyen agieren oder zukünftig operieren könnten und ob Saudi-Arabien islamistische Gruppierungen in Libyen über dubiose Kanäle unterstützt, bleibt momentan reine Spekulation, kann aber nicht ausgeschlossen werden. 45 46 47 48 VI.2 Ägypten: Die Umstürze in Tunesien und vor allem in Ägypten überraschten und beängstigten das saudische Königshaus. Immerhin gehörten der tunesische Präsident Zine el-Din Ben Ali und sein ägyptischer Amtskollege Hosni Mubarak zu engen Partnern der Al Saud, obwohl beide mit ihrer säkularen Politik keine idealen Verbündeten des wahhabitischen Königreiches darstellten. Doch aus pragmatischen Gesichtspunkten kooperierte Saudi-Arabien mit beiden Ländern, was auch daran lag, dass insbesondere Mubarak die islamistische Muslimbruderschaft unterdrückte und vom politischen Leben ausschloss, was dem ideologischen Alleinvertretungsanspruch der saudisch-wahhabitischen Missionierung entgegen kam. Ben Ali flüchtete sich gar nach seinem Sturz ins saudische Exil in Jidda. Wie bereits angesprochen, hielt der saudische König Abdullah bis zuletzt zu Amtsinhaber Hosni Mubarak, was zu Verwerfungen im saudisch-US-amerikanischen Verhältnis führte. Immerhin galt Saudi-Arabien als einer der wichtigsten Geldgeber für das sich wirtschaftlich in der Dauerkrise befindliche Ägypten. 2011 erhielt der marode ägyptische Staat vom Königreich einen Kredit in Höhe von 4 Mrd. USD, es folgten 1 Mrd. USD an die ägyptische Zentralbank nach den Wahlen und weitere 500 Mio. USD für wirtschaftlichen Wiederaufbau.46 Im privatwirtschaftlichen Bereich gilt Saudi-Arabien seit Jahren als wichtigster innerarabischer Partner für Ägyptens Wirtschaft. Immerhin leben mehr als 1 Mio. ägyptische Gastarbeiter47 im Königreich, die neben einem wachsenden Markt bei saudischen Konsumenten ein wichtiges Klientel für ägyptische Exportprodukte darstellen. Außerdem senden sie jedes Jahr mehr als die Hälfte aller weltweiten Rücküberweisungen nach Ägypten. Im Jahr 2010 investierten saudische Unternehmer diverser Branchen in insgesamt 2.268 Projekte mit einem Wert von 15,6 Mrd. USD.48 Dieser Trend hielt auch in den Folgejahren an und ließ das Investitionsvolumen Vgl. Gunpolicy.org: Libya – Gun Facts, Figures and the Law, 13. Juli 2012, http://www.gunpolicy. org/firearms/region/libya, abgerufen am 25.09.2012. Vgl. Hope, Bradley: Egypt’s Morsi to visit Saudi Arabia in bid for aid, The National, 10. Juli 2012, http://www.thenational.ae/news/world/egypts-morsi-to-visit-saudi-arabia-in-bid-for-aid, abgerufen am 12.08.2012. Vgl. Ragab, Emam: Moussa, Abul-Fotouh and Egyptian expats, Al-Ahram Weekly, 16. Mai 2012, http://www.weekly.ahram.org.eg/2012/1097/op162.htm, abgerufen am 26.09.2012. Vgl. Business Today: Egypt-Saudi trade touch $2 billion mark in the first half of the year, http://www. businesstoday-eg.com/banking-finance/middle-east/egypt-saudi-trade-touch-2-billion-mark-in-the-first -half-of-the-year.html, abgerufen am 03.08.2012. Deutsches Orient-Institut 21 Saudi-Arabien auf 45 Mrd. USD steigen, während sich das Handelsvolumen auf 10 Mrd. USD erhöhte.49 Trotz der massiven finanziellen Unterstützung für die neue ägyptische Regierung kann das Verhältnis jedoch keineswegs als spannungsfrei bezeichnet werden. Nach der Revolution wurden einige saudisch finanzierte Projekte konfisziert oder verstaatlicht, was die saudi-arabischen Investoren verärgerte. Hinzu verschlechterte sich das politische Verhältnis zeitweise deutlich: Im April 2012 kam es in Kairo zu Protesten vor der saudischen Botschaft gegen die Verhaftung des ägyptischen Rechtsanwaltes Ahmed el-Gezawi durch saudische Sicherheitskräfte. Angeblich solle er versucht haben, Drogen bei seiner Einreise nach Saudi-Arabien über die Grenze geschmuggelt zu haben, während Menschenrechtler den wahren Grund für el-Gezawis Verhaftung in dessen Kritik an der Inhaftierung von ägyptischen Aktivisten sahen.50 El-Gezawi habe sich während seiner Verhaftung auf dem Weg nach Mekka befunden, um die Pilgerfahrt zu unternehmen. Saudi-Arabien zog daraufhin seinen Botschafter Ahmed Qattan aus Kairo ab und ließ die Botschaft sowie die Konsulate schließen, was den ägyptisch-saudischen Konflikt weiter verschärfte, ehe es dem damaligen Vorsitzenden des Obersten Militärrates, Feldmarschall Muhammad Hussein Tantawi, gelang, die Situation in Telefonaten mit König Abdullah zu entschärfen. Als Ägyptens neu gewählter Präsident Muhammad Mursi ankündigte, seine erste Auslandsreise nach Saudi-Arabien zu unternehmen, konnten diese Verwerfungen erstmals überwunden werden. So bezeichnete der ägyptische Industrieminister Mahmud Issa die Reise Mursis als „wichtigen Meilenstein in der Geschichte des besonderen Verhältnisses“ beider Länder.51 Auch in Zukunft wird das Verhältnis beider Länder jedoch von 49 50 51 52 53 54 55 22 einem gewissen Misstrauen und einer gleichzeitigen Abhängigkeit geprägt sein. “Even if the diplomatic quarrel is smoothed over, it reflects the new fragility of a once-solid alliance between the most populous Arab nation and the richest.”52 Während Ägypten die finanzielle Unterstützung und das wirtschaftliche Engagement Saudi-Arabiens benötigt, kann Saudi-Arabien dauerhaft nicht an einer pragmatischen Politik der ausgewogenen Kooperation mit den Muslimbrüdern gelegen sein, um die regionale Stabilität nicht langfristig zu gefährden. Außerdem wird Saudi-Arabien versuchen, Ägyptens neue Regierung an den arabischen Anti-IranBlock zu binden, zumal im Februar 2011 Ägypten Iran zum ersten Mal seit 1979 gestattete, zwei Kriegsschiffe durch den Suezkanal zu entsenden.53 Dies vergrößerte in Saudi-Arabien die Sorgen, die neue ägyptische Führung könne sich nun Iran annähern. Trotz dieser politischen Verstimmungen soll insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit intensiviert werden: So soll ein Stromverteilungsnetz zwischen Ägypten und Saudi-Arabien entstehen, was insgesamt 3.000 MW Elektrizität transportieren könnte.54 Der Bau einer 32-Kilometer-langen Brücke am Golf von Aqaba soll Saudi-Arabien und Ägypten verbinden, da pro Jahr immerhin 1,5 Mio. ägyptische Besucher nach Saudi-Arabien im Jahr und 750.000 Saudis nach Ägypten kommen.55 VI.3 Jemen Die Republik Jemen und das Königreich Saudi-Arabien unterhalten traditionell enge, aber oftmals ambivalente Beziehungen. Dabei spielte der Jemen für Saudi-Arabien in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart die Rolle eines strategischen Partners, der je- Vgl. Abdel-Razek, Sherine: Economic ruptures, Al-Ahram Weekly, 9. Mai 2012, http://www.weekly.ahram.org.eg/2012/1096/ec1.htm, abgerufen am 08.08.2012. Vgl. The Guardian: Saudi Arabia recalls Egypt ambassador and closes consulates, 28. April 2012, http://www.guardian.co.uk/world/2012/apr/28/saudi-arabia-recalls-egypt-ambassador, abgerufen am 13.07.2012. Vgl. Paraszczuk, Joanna: Mursi hails 'fruitful' talks with Saudi king, Jerusalem Post, 12. Juli 2012, http://www.jpost.com/MiddleEast/Article.aspx?id=277300, abgerufen am 25.09.2012. McDowall, Angus: Rise of Muslim Brotherhood frays Saudi-Egypt ties, Reuters, 1. Mai 2012, http://www.reuters.com/article/2012/05/01/us-saudi-egypt-brotherhood-idUSBRE8400ZM20120501, abgerufen am 06.08.2012. Vgl. Al-Arabiya News: Conflicting reports as Egypt denies barring Iran ships, 17. Februar 2011, http://www.alarabiya.net/articles/2011/02/17/138015.html, abgerufen am 15.03.2012. Vgl. Abu al-Khair, Waleed: Egypt, Saudi power grid study proceeds to final stages, Al-Shorfa, 23. Juni 2012, http://www.al-shorfa.com/en_GB/articles/meii/features/main/2012/06/23/feature-01, abgerufen am 06.08.2012. Vgl. Bikyamasr: Egypt-Saudi Arabian bridge back on drawing board, 2. März 2012, http://www.bikya masr.com/60105/egypt-saudi-arabian-bridge-back-on-drawing-board/, abgerufen am 06.08.2012. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien doch oftmals aus realpolitischen Erwägungen instrumentalisiert wurde. Dies zeigte sich insbesondere im Verlauf des „Jemenitischen Frühlings“, der sich seit Beginn des Jahres 2011 in Massendemonstrationen für politische Reformen und Partizipation, wirtschaftlichen Fortschritt sowie gegen Korruption, Zensur, Patronage- und Klientelnetzwerke zeigte. Hierbei präsentierte sich die jemenitische Protestbewegung als breit aufgestellte Bewegung aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten. Junge Akademiker demonstrierten ebenso gegen die verkrustete und intransparente Herrschaft des damaligen Präsident Ali Abdallah Salihs wie Stammesführer, Militärs und feministische Aktivistinnen.56 Hatten die Demonstranten zu Beginn der Proteste allein politische Reformen angemahnt, wandte sich der Wut der Straße schnell gegen Salih, der seit 1978 den Nordjemen und nach der Wiedervereinigung die Republik Jemen als Präsident regierte. Seine Entscheidung, für die kommenden Präsidentschaftswahlen seinen Sohn Ahmad Ali als Präsidentschaftskandidat vorzuschlagen, um so eine familiendynastische Herrschaft zu garantieren, ließ die Unzufriedenheit ansteigen. Trotz kosmetischer Korrekturen seiner autoritativen Politik gelang es Salih jedoch nicht, seine Position zu stabilisieren. Immer mehr Unterstützer und ehemals loyal ergebene Getreue wandten sich von ihm ab, Teile des Militärs und einflussreiche Stammesführer opponierten und erhöhten den Druck auf Salih.57 Nachdem Salih am 3. Juni 2011 bei einem Raketenangriff auf den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Sana’a schwer verletzt wurde, begab er sich ins saudi-arabische Riad zur medizinischen Behandlung, um sich dort acht Operationen zu unterziehen. In seiner Abwesenheit übernahm der damalige Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi die Amtsgeschäfte. Saudi-Arabien als Führungsmacht im GKR beobachtete diese Entwicklung äußerst skeptisch, fürchtete es doch eine zunehmende Destabilisierung und Fragmentierung des Jemens. Ali Abdallah Salih war für das saudische Königshaus ein ebenso wichtiger wie relativ berechenbarer Partner gewesen, der nun drohte, auszufallen. Der Jemen besitzt für 56 57 58 59 die saudi-arabische Sicherheitskonzeption fundamentale Bedeutung, sodass eine ähnliche Entwicklung wie in den Transformationsländern Ägypten und Tunesien für Saudi-Arabien nicht akzeptabel gewesen wären. “Yemen is not about foreign policy, it’s about national security – it’s about intelligence, security, tribalism and informal contact.”58 Als direkter Nachbar verfügt Saudi-Arabien seit Jahrzehnten über enormen wirtschaftlichen, politischen, militärischen und religiösen Einfluss im Jemen und behandelt den armen südlichen Nachbarn eher als „Objekt“ denn als gleichberechtigten Partner. Demzufolge besaß eine pro-saudische, auf Stabilität orientierte jemenitische Regierung für das saudische Königshaus oberste Priorität. Als abzusehen war, dass dies mit Salih nicht mehr realisiert werden konnte, ergriff der GKR unter Führung von Saudi-Arabien die Initiative, einen friedlichen Transitionsprozess im Jemen einzuleiten und zu forcieren.59 Dieser mündete darin, dass auf saudische Initiative ein politischer Kompromiss gefunden wurde, welcher einerseits Salihs Rückzug aus der aktiven Politik und andererseits einen „sanften Übergang“ ohne Chaos garantieren sollte. Aufgrund der engen Kontakte zwischen saudischen und jemenitischen Akteuren gelang es, Salih zum Rücktritt zu bewegen, seinen Vizepräsidenten als Übergangspräsidenten einzusetzen, ehe am 21. Februar 2012 Wahlen abgehalten wurden, bei denen allerdings nur Hadi als einziger Präsidentschaftsanwärter kandidierte. Salih wurde bis zu diesem Zeitpunkt der Titel des „Ehrenpräsidenten“ verliehen. Erst beim vierten Versuch erklärte sich Salih bereit, der so genannten „Golfinitiative“ zuzustimmen und in Saudi-Arabien seinen Rücktritt zu unterschreiben. Realisiert werden konnte dieser Transformationsprozess hauptsächlich durch das saudische Vermittlungsengagement und stellt sich demnach auch als eine den saudischen Interessen dienende Lösung dar. Es gelang zwar, den Anschein einer Demokratisierung zu erwecken und Salih aus seinen Ämtern zu ent- Vgl. Philips, Sarah: Eveluating Political Reform in Yemen, Carnegie Papers, http://www.carnegieendowment.org/files/cp_80_phillips_yemen_final.pdf, abgerufen am 28.08.2011. Vgl. International Crisis Group: Popular Protest in North Africa and the Middle East (II): Yemen between Reform and Revolution, 10. Mai 2011. Hill, G., Nonneman, G: Yemen, Saudi Arabia and the Gulf States: Elite Politics, Street Protests and Regional Diplomacy, Mai 2011, S. 9. Vgl. Hill, G., Nonneman, G: Yemen, Saudi Arabia and the Gulf States: Elite Politics, Street Protests and Regional Diplomacy, Mai 2011, S. 2ff. Deutsches Orient-Institut 23 Saudi-Arabien fernen, womit die Kernforderungen der Demonstranten erfüllt wurden. Doch eine grundlegende Änderung des politischen Systems ließ Saudi-Arabien keineswegs zu. Die „Scheinwahl“ mit einem Kandidaten der alten Elite, Salih von Strafverfolgung zu befreien sowie den Transformationsprozesses in die Hände traditionell etablierter jemenitischer Akteure zu übergeben, bedeutete für die ambitionierte Protestbewegung eine herbe Enttäuschung. Statt Demokratie, Transparenz und politischem Pluralismus scheint anderthalb Jahre seit Beginn des „Jemenitischen Frühlings“ das alte System zwar geschwächt zu sein, genießt aber weiterhin über enormen Einfluss und konkurriert mit neuen Kräften, die jedoch weder als Reformer noch Modernisierer, sondern vielmehr als Vertreter althergebrachter Nepotismuspolitik in neuem Gewand gelten können. Anstatt Akteure der „Straßenopposition“ am neuen politischen Gestaltungsprozess partizipieren zu lassen, wird die Transformation durch die Regierungspartei Salihs, dem Allgemeinen Volkskongress, dessen Vorsitzender er nach wie vor ist, und dem traditionellen Bündnis der Oppositionsparteien bestimmt.60 Hadi versucht zwar, eigene Vorstellungen und Ziele durchzusetzen, wird aber von Vertretern der alten Machtclique immer wieder beeinträchtigt. Den Plänen der Golfinitiative, die Armee und Sicherheitseinheiten neu zu strukturieren, versucht Hadi zwar nachzukommen, stößt aber auf massiven Widerstand. So kontrollieren Salihs Sohn Ahmad Ali und dessen Neffen noch immer militärische Einheiten und auch ihr Vater hat längst nicht all seine politischen Ambitionen aufgegeben. Dies äußert sich in blutigen Machtkämpfen: Nachdem Hadi im April 2012 den Luftwaffenchef Muhammad Salih Al-Ahmer, einen Halbbruder des ehemaligen Präsidenten, sowie Tariq Muhammad Salih, den Neffen Salihs und Kommandierender der Präsidentengarde, abgesetzt hatte, widersetzten sich beide dem Befehl. Ebenso unpopulär wenn auch mutig war die Entscheidung Hadis im August 2012, Ali Ahmar und dem einflussreichen General Ali Mohsen das Kommando über einige Divisionen zu entziehen, um diese zu einer neuen Präsidentengarde zu fusionieren. Die Folge waren blutige Auseinandersetzungen innerhalb des Militärapparates und die weitere Destabilisierung der Staatsmacht. So griffen 60 61 24 Truppen der Republikanischen Garde unter Führung von Ali Ahmar das Verteidigungsministerium an, um die Entscheidung mit Gewalt zu verhindern. Neben dem fragilen Übergangsprozess, den der Jemen derzeit durchläuft, fordern weitere Konflikte die innere Stabilität heraus. Mittlerweile gilt das Land als „Armenhaus“ der Arabischen Halbinsel, mehr als 70% der Bevölkerung leben von weniger als 2 USD am Tag, die Einnahmen aus der Erdölproduktion sinken dramatisch, die Bevölkerung wächst, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit steigt. In den großen Städten wie Sana’a herrscht akuter Wassermangel, das Land leidet unter einer jahrelangen Wirtschaftskrise, erodiert von innen und litt Jahrzehnte unter der korrupten und intransparenten „Selbstbedienungspolitik“ Ali Abdallah Salihs. Das Durchschnittsalter beträgt 18,1 Jahre, weniger als die Hälfte der Bevölkerung kann lesen und schreiben, beim Korruptionsindex von Transparency International liegt der Jemen auf einem desaströsen 146. Rang (von 176). Neben dieser soziökonomischen Dauerkrise, den fehlenden Perspektiven für die Jugend und dem akuten Mangel in fast allen Lebensbereichen leidet das Land unter dem rapiden Anstieg des militanten Islamismus. Der Jemen ist zu einem „sicheren Hafen“ für militante Islamisten von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) geworden. US-amerikanische Drohneneinsätze versuchen, die militante Bedrohung zu bekämpfen, töten aber immer wieder Zivilisten und sorgen für einen breiten Anti-Amerikanismus in der jemenitischen Bevölkerung. Weiterhin tobt im Süden ein jahrelanger Unabhängigkeitskampf der Hirak-Bewegung, die die Sezession vom Norden anstrebe. In der nördlichen Region Sa’ada ringt die schiitisch-zaidistische HuthiBewegung ebenfalls um stärkeren Einfluss, lieferte sich blutige Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung und gewann während des „Arabischen Frühlings“ weitgehende regionale Autonomie. Während der ehemalige jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih das Vorgehen gegen die „Rebellen“ als Kampf gegen den islamistischen Terrorismus legitimierte und die Huthis als „Agenten Irans“ denunzierte, forderten diese mehr politische Partizipation und wirtschaftliche Unterstützung. 61 Vgl. auch Glosemeyer, Iris: Politische Akteure in der Republik Jemen. Wahlen, Parteien und Parlamente, Hamburg 2001. Vgl. Schmitz, Peter: Jemen, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling: Auslöser, Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, S. 141-150. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien Diese innenpolitischen Entwicklungen beobachtet Saudi-Arabien mit aufmerksamem Interesse und großer Sorge, die lokalen Konflikte könnten sich nach Saudi-Arabien ausweiten. So unterstützte das Königreich seit Herbst 2009 die jemenitische Regierung im Kampf gegen die Aufständischen im Norden, weiterhin kooperierte es mit der Salih-Regierung im Anti-Terror-Kampf sowie in entwicklungspolitischen Bereichen. Mittlerweile verfügt Saudi-Arabien über eigenes Informantennetz im Jemen, um terroristische Aktivitäten bekämpfen zu können. Eine Verschärfung der Konflikte im Norden könnte sich zu einem massiven Flüchtlingsproblem für Saudi-Arabien ausweiten. Bereits jetzt befinden sich etwa 150.000 Jemeniten auf der Flucht. Außerdem bedrohten die Huthis in der Vergangenheit zunehmend auch saudisches Territorium. Es gab bereits Übergriffe von Aufständischen auf saudische Dörfer, sodass Saudi-Arabien seit Herbst 2009 aktiv in die Kämpfe eingegriffen hatte und die jemenitische Armee unterstützt. Luftschläge und Offensiven sollten dazu führen, den Widerstand der Huthis zu brechen und die umkämpften Gebiete zu befrieden. Dass hierbei zivile Opfer und Kämpfer nur noch selten unterschieden werden können und das gebirgige Hochland des Nordjemens für gezielte Luftschläge ungeeignet ist, erschwerte das konzertierte Vorgehen gegen die Huthis.62 Bereits in den 1960er Jahren, während des jahrelangen Bürgerkriegs im Jemen, hatte sich Saudi-Arabien auf die Seite der gestürzten Royalisten geschlagen, während Ägypten die republikanische Bewegung unterstützte. Zu dieser Zeit befürchtete Saudi-Arabien eine geostrategische Vormachtstellung des regionalen Konkurrenten Ägypten, sodass das Engagement beider Länder im Jemen eher der Durchsetzung eigener Interessen als der Stabilisierung des Jemens galt.63 Im Jemen spielt auch der traditionelle Konflikt der beiden „Erzfeinde“ Iran und Saudi-Arabien eine wesentliche Rolle: Der Vorwurf, Iran unterstütze die schiitischen Huthis gegen die jemenitische Regierung, richtet sich demnach auch gegen das saudische Hegemonialstreben in der Golfregion. So wird der Konflikt im Nordjemen bereits als „Stellvertreterkrieg“ 62 63 64 zwischen Iran und Saudi-Arabien umschrieben, obwohl ein direktes Eingreifen der Islamischen Republik auf Seiten der Huthis bisher nicht nachgewiesen werden konnte.64 Erneut agiert Saudi-Arabien in diesem Konflikt aus sicherheitspolitischem und ideologischem Kalkül: Einerseits soll Irans Einfluss minimiert werden, andererseits werden die schiitisch-zaiditischen Huthis aufgrund der wahhabitischen Ideologie als „Häretiker“ abgelehnt. Insgesamt ist der Einfluss des Wahhabismus im Jemen in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Jemenitische Gastarbeiter wurden in Saudi-Arabien durch wahhabitische Geistliche mit der Lehre konfrontiert und teilweise indoktriniert. Nach ihrer Rückkehr verbreiteten viele dieser ehemaligen Gastarbeiter wahhabitisches Gedankengut im Jemen, gründeten oder besuchten Religionsschulen (arabisch: Pl. madaris) und nahmen so Einfluss auf Teile der jemenitischen Gesellschaft. In der Vergangenheit wurde seitens des saudischen Königshauses immer wieder auch politischer Druck auf die jemenitische Regierung ausgeübt, um eigene politische Ziele zu erreichen. Nachdem sich der Jemen während der Kuwait-Invasion des Iraks Anfang der 1990er Jahre unter Saddam Hussein auf die Seite des Diktators gestellt hatte, wurden im Zuge der internationalen Sanktionen gegen den Jemen auch etwa eine Million jemenitische Gastarbeiter aus Saudi-Arabien ausgewiesen. Dies hatte gravierende wirtschaftliche Auswirkungen: Durch den Wegfall der Rückzahlungen der Gastarbeiter in ihre Heimat wurde die wirtschaftliche Rezession im Zuge der Sanktionen verstärkt; der Jemen befindet sich seitdem in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Die besorgniserregenden Entwicklungen im Jemen und der Anstieg der terroristischen Gefahr durch militante Islamisten aus dem Jemen bedeuten auch für Saudi-Arabien eine massive innen- wie außenpolitische Gefahr: Saudi-Arabien fürchtet Anschläge im Inland von jemenitischen Militanten. Dass diese Befürchtung konkrete Anlässe hat, zeigt vor allem der Selbstmordanschlag auf den saudischen Vize-Innenminister Prinz Muhammad bin Naif im Jahr 2009. Der Attentäter soll in je- Vgl. Sons, Sebastian: Die Beziehungen Saudi-Arabien – Jemen. Ein kompliziertes Verhältnis, Berlin 2010 (unveröffentlichtes Arbeitspapier). Vgl. Hill, G., Nonneman, G: Yemen, Saudi Arabia and the Gulf States: Elite Politics, Street Protests and Regional Diplomacy, Mai 2011, S. 7. Vgl. Al-Harithi, Zuhair: Understanding Yemen’s Troubles: A Saudi Perspective, http://www.arabin sight.org/aiarticles/228.pdf, abgerufen am 26.06.2012. Deutsches Orient-Institut 25 Saudi-Arabien menitischen Lagern ausgebildet worden sein. Hinzu kommen in der Vergangenheit Anschläge auf saudische Ölraffinerien. Um solche Risiken zu reduzieren, baute Saudi-Arabien seit 2003 die Sicherungsanlagen an der 1.800 Kilometer langen gemeinsamen Grenze aus. Schmuggel, Waffenhandel und die verhältnismäßig problemlose grenzübergreifende Bewegungsfreiheit militanter Islamisten sollen dadurch verhindert werden. Auch kommt es immer wieder zu Kinderhandel nach Saudi-Arabien. Jemen wird auch zukünftig ein wesentliches Feld der saudischen Außenpolitik bleiben. Aus historischen, religiösen und regionalpolitischen Erwägungen spielt der arme südliche Nachbar für die Sicherheitskonzeption des Königshauses eine entscheidende Rolle. Dementsprechend engagiert zeigte sich Saudi-Arabien auch beim Transformationsprozess von Salih zu Hadi, initiierte die Golfinitiative und wird auch zukünftig ein indigenes Interesse daran haben, die Transition nach eigenen Vorstellungen voranzutreiben. Oberste Prämisse der saudischen Jemen-Politik bleibt die dauerhafte Stabilisierung des Landes. Neben der terroristischen und der separatistischen Bedrohung muss dies aus saudischer Sicht vor allem gelingen, um den Erzrivalen Iran einzudämmen und dessen Einfluss auf die jemenitischen Zaiditen auf ein Minimum zu reduzieren. Dass dieses Kalkül eher einer grundlegenden antischiitischen Paranoia und nicht der Realität geschuldet ist, verwundert nicht, sondern zeigt erneut die antiiranische Ausrichtung der saudischen Außenpolitik als grundlegenden Pfeiler. Demokratisierungsbestrebungen werden nicht unterstützt, da ein echter Systemwechsel im Jemen auch antisaudische Kräfte an die Macht bringen könnte. Immerhin regt sich schon seit vielen Jahren Widerstand gegen den saudischen Einfluss im Jemen, der insbesondere von der jüngeren Generation und liberal-säkularen Aktivisten sowie Frauen geäußert wird. Saudi-Arabien wird deswegen daran gelegen sein, eine oberflächliche Machttransformation zu unterstützen, die „Opposition der Straße“ jedoch von der Machtelite zu exkludieren, um weder antisaudische Strömungen noch unvorhersehbare politische Entwicklungen im 65 66 26 Jemen sich entwickeln zu lassen. VI.5 Pakistan Pakistan und Saudi-Arabien unterhalten seit vielen Jahrzehnten ein enges, aber auch nicht immer spannungsfreies Verhältnis. Hierbei übernimmt Saudi-Arabien seit mehreren Jahrzehnten gegenüber Pakistan eine Rolle als „Beschützer“, als „geistiger und moralischer Mentor“ und versucht, aufgrund seiner Ausnahmestellung innerhalb des sunnitischen Islams eine Vorbildfunktion bei den sunnitischen Muslimen Pakistans einzunehmen. Dabei verfolgt Saudi-Arabien wie in der arabischen Welt auch hier eine eindeutig interessensund sicherheitsorientierte Außenpolitik. Nach der Islamischen Revolution 1979 drängte das saudische Königshaus auf mehr Einfluss in Pakistan, um das Hegemonialstreben Irans einzudämmen. Immerhin lebt mit 20% die größte schiitische Gemeinschaft in dem multikonfessionellen südasiatischen Staat nach Iran. Die Islamisierungspolitik Zia ul-Haqqs (1977-1988) in Pakistan bot SaudiArabien hierbei eine optimale Gelegenheit, ihre religionspolitische Präsenz in Südasien auszubauen. Demzufolge begann mit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan nicht nur die Unterstützung der afghanischen mujahidin durch Saudi-Arabien, sondern auch der Ausbau „strategischer Tiefe“ in Pakistan.65 In Kooperation mir den USA sowie in enger Absprache mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI und dem pakistanischen Militär wurden sukzessive sunnitische, antischiitische Strömungen wie die radikale DeobandiSchule gefördert, das System der islamischen Religionsschulen (dini madaris) ausgebaut und über intransparente Netzwerke militante Gruppierungen mit Finanzmitteln, Logistik und auch Waffen unterstützt.66 Während SaudiArabien so den Einfluss Irans eindämmen wollte, instrumentalisierte Pakistan diese Gruppen als „nichtstaatliche Agenten“ gegen den Erzfeind Indien und im Kaschmirkonflikt. Während des sowjetisch-afghanischen Krieges in den 1980er Jahren gingen etwa 30.000 saudische mujahidin nach Afghanistan, viele von ihnen ließen sich in Pakistan ausbilden. Hierbei bleiben die Drahtzieher dieser „Saudisierung“ der pakistanischen Religionslandschaft weitgehend dubios. Es ist weder Vgl. Wagner, Christian: Brennpunkt Pakistan. Islamische Atommacht im 21. Jahrhundert, Bonn 2012. Vgl. Hardy, Roger: Ambivalent Ally: Saudi Arabia and the ‘war on terror’, in: al-Rasheed, Madawi (Hrsg.): Kingdom without Borders. Saudi political, religious and media frontiers, London 2008, S. 99-112. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien eindeutig bekannt noch belegt, ob diese Missionierungstätigkeiten vom saudischen Könighaus direkt gefördert und unterstützt wurden, noch welche saudischen Institutionen und Personen involviert waren. Allerdings existieren Hinweise, die auf eine direkte Beteiligung einiger einflussreicher saudischer Prinzen hindeuten, darunter der ehemalige Geheimdienstchef Turki al-Faisal, der jahrelange enge Kontakte zu Usama bin Ladin unterhalten haben soll.67 Wichtigste Akteure in diesem undurchsichtigen Netzwerk waren und sind die religiösen Stiftungen und karitativen Einrichtungen, die in Saudi-Arabien über enorme Popularität und immensen Einfluss verfügen. Viele von ihnen werden direkt vom Königshaus mit „Spenden“ oder „Almosen“ (arabisch: zakat) mitunterstützt, der König sowie viele andere Mitglieder des saudischen Königshauses übernehmen in der Regel Führungspositionen innerhalb dieser Stiftungen. Insbesondere die Al Saud zeigt sich in der Öffentlichkeit gern als besonders gottesfürchtige und fromme Muslime, um ihren Ruf als „Hüter der Beiden Heiligen Stätten“ und Vorbild der sunnitischen umma zu manifestieren. Ihr Engagement in karitativen Einrichtungen zur Unterstützung armer Muslime in aller Welt dient daher der Imagepflege und ist eine gesellschaftlich geforderte Notwendigkeit. Viele dieser Stiftungen wurden bereits vor Jahrzehnten gegründet und dienen neben ihren wohltätigen Aktivitäten auch als außenpolitisches Engagement: Durch die Gründung von Religionsschulen in der ganzen Welt und besonders in Südasien, die Produktion religiöser Erziehungsliteratur, Korandruck, die Entsendung von Missionaren und die infrastrukturelle Unterstützung benachteiligter islamischer Länder sind viele dieser Stiftungen mittlerweile ein indigener Bestandteil muslimischer Gesellschaften.68 Dies gilt insbesondere für Pakistan. Seit den 1980er Jahren hat sich die Zahl der dini madaris vor allem in den strukturschwachen Regionen wie Khyber Pakhtunwa (früher Federal Administered Tribal Areas, FATA) oder Balutschistan mehr als vervierfacht. Existierten im Gründungsjahr Pakistans in Gesamtpakistan nur 250 madaris, soll die Zahl heute zwischen 10.000 und 67 68 69 45.000 mit 1-1,7 Mio. Schülern liegen. Für viele auf dem Land lebende Familien bietet eine saudisch finanzierte Madrasa die einzige Möglichkeit, ihren Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen, da das staatliche Erziehungssystem nicht nur unzureichend ausgestattet, sondern auch in den ruralen Gebieten häufig nicht präsent ist. Man sollte sich daher zurückhalten, die Religionsschulen grundsätzlich als Kaderschmiede für militante Islamisten zu beurteilen, da sie häufig die einzige Option für eine gewisse Schulbildung darstellen. Dennoch bleibt ihre Rolle umstritten. Vor allem nach dem 11. September 2001 wurden die tief greifenden Verflechtungen zwischen militanten islamistischen Gruppen, Religionsschulen und saudischen Akteuren als Förderer thematisiert und kritisiert. Das saudische Königshaus geriet verstärkt unter Druck von den USA, die forderten, die Unterstützung für dubiose Bildungs- und Erziehungseinrichtungen einzustellen. Erfolgten die ersten Maßnahmen nur widerwillig, änderte sich dies, nachdem 2003 die ersten Rückkehrer aus Afghanistan und Pakistan Anschläge in SaudiArabien verübten und die innere Stabilität bedroht wurde. Das saudische Königshaus reagierte kompromisslos, indem Hunderte Terrorverdächtige festgenommen, Reformen im Bildungssystem implementiert und regimekritische Geistliche von ihren Aufgaben entbunden wurden.69 Mittlerweile distanziert sich die saudische Regierung offiziell von den sunnitischen Religionsschulen und Stiftungen, die unter Terrorverdacht stehen. Doch auch hier gerät die Al Saud immer wieder in ein Dilemma: Da die Zakat-Gabe zu den „fünf Säulen“ des Islams gehört und damit obligatorisch ist, kann die finanzielle Unterstützung für religiöse Einrichtungen nicht unterbunden werden, ohne dafür in der Öffentlichkeit harsch kritisiert zu werden. Da die meisten Stiftungen und karitativen Einrichtungen ihren Aufgaben nachkommen und die dubiosen Aktivitäten nicht von den legalen Projekten differenziert werden können, bleibt der Einfluss dieser Institutionen auch heute noch massiv. Nach wie vor erfolgt die Förderung von dini madaris in Pakistan über intransparente Kanäle, werden die Religionsschulen von Prinzen, Geistlichen, Stiftungen und Privatleuten Vgl. u.a. al-Rasheed, Madawi: Circles of Power: Royals and Society in Saudi Arabia, in: Aarts, Paul, Nonneman, Gerd (Hrsg.): Saudi Arabia in the Balance. Political Economy, Society, Foreign Affairs, London 2005, S. 185-213. Vgl. Burr, J. Millard, Collins, Robert O.: Alms for Jihad. Charity and Terrorism in the Islamic World, Cambridge 2006. Vgl. Hegghammer, Thomas: Jihad in Saudi Arabia. Violence and Pan-Islamism since 1979, Cambridge 2010. Deutsches Orient-Institut 27 Saudi-Arabien unterstützt. Hierbei kann die Aussage des neuen Thronprinzen Salman aus dem Jahr 2002 als exemplarisch dienen, wies er doch darauf hin, dass Spenden an karitative Einrichtungen für jeden „guten Muslim“ obligatorisch seien, die Verwendung dieser Mittel aber nicht mehr in der Verantwortung des Gebers lägen.70 Doch die Nähe zwischen Pakistan und SaudiArabien beschränkt sich nicht allein auf die missionarische Tätigkeit über Religionsschulen. Seit den 1960er Jahren unterstützt Pakistan die saudische Armee bei Ausbildung und in Kampfeinsätzen. Gleichzeitig soll SaudiArabien Pakistan bei der Entwicklung ihrer Nuklearwaffen unterstützt haben. So wird vermutet, dass im Falle einer iranischen Aggression Pakistan als „atomarer Schutzschirm“ für Saudi-Arabien dienen könne. Entsprechende Geheimabsprachen sollen seit Jahren existieren. Dass hierbei diese Absprachen auf persönlichen Netzwerken und nicht auf institutionalisierten Kooperationen beruhen, wird von externen Akteuren wie den USA immer wieder kritisiert, ist aber eine der Grundkonstanten der pakistanisch-saudischen Beziehungen. Dennoch drohen Spannungen, die sich in Zukunft verschärfen könnten. Zum einen hat das saudische Königshaus seine einstmals sympathisierende Haltung zu militanten Islamisten weitgehend beendet, nachdem die eigene Stabilität von al-Qaida-nahen Rückkehrern zwischen 2003 und 2005 gefährdet worden war. Diese Einsicht existiert bei den verantwortlichen Akteuren Pakistans nur in Teilen. Zwar existiert mittlerweile eine öffentliche Rhetorik, die sich gegen die militante Bedrohung von al-Qaida und anderer Gruppen im eigenen Land richtet. Auch kann nicht von einer generellen Radikalisierung der pakistanischen Bevölkerung gesprochen werden. Doch die zivile Regierung unter dem angeschlagenen und hart kritisierten Präsidenten Ali Asif Zardari verfügt nur über eingeschränkte Machtbefugnisse, handelt es sich bei Pakistan doch eher um eine „Kasernendemokratie“, da die Obrigkeit über die Sicherheitspolitik beim Geheimdienst und dem Militär liegt. So wird die pakistanische Armee, mit mehr als einer Million Soldaten eine der 70 71 28 größten der Welt, auch als „Staat im Staate“ beschrieben. Sie kontrolliert die Atomwaffen, sie sieht sich als einziger Akteur, der den fragilen Staat zusammenhalten kann und setzt die Traditionen der britischen Kolonialherrschaft weitgehend fort. Insgesamt vier Militärputsche seit der Gründung Pakistans 1947 verdeutlichen die Omnipräsenz der Militärs in der politischen Geschichte des Landes. Dabei grassiert die Angst vor Indien mittlerweile als paranoides Trauma in den Reihen des Militärs. Noch immer sehen sie in ihrem Nachbarn eine natürliche Bedrohung für die staatliche Einheit, worüber die innere Bedrohung durch militante Islamisten weithin vernachlässigt wird. Gelang es ISI und Militär, in den 1980er Jahren diese Gruppen noch als Instrumente pakistanischer Außenpolitik einzusetzen, richten sich die ehemals loyalen Verbündeten gegen den einstmaligen Förderer. Während sich diese Realität nur schrittweise im strategischen Denken des Militärs durchsetzt und viele bereits von einer schleichenden Islamisierung der Armee gesprochen haben, beobachtet Saudi-Arabien diese halbseidene Haltung gegenüber den militanten Islamisten mit Sorge. Auf der anderen Seite hat Saudi-Arabien in den letzten Jahren die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Pakistans Erzfeind Indien ausgebaut. Die Ölexporte sollen sich verdoppeln, der Besuch Abdullahs 2005 in Indien war der erste eines saudischen Königs seit 60 Jahren. Im Sicherheitsbereich und in der Kriminalitätsbekämpfung wurde die Kooperation ausgebaut. Dies betrachtet Pakistan aufmerksam. Die Ermordung des saudischen Diplomaten Hassan al-Qahtani im Mai 2011 in Karachi belastete kurzzeitig das bilaterale Verhältnis.71 Denn neben der politischen und militärischen Nähe ist die pakistanische Wirtschaft existenziell von den Beziehungen zu Saudi-Arabien abhängig. Etwa 1,5 Mio. pakistanische Gastarbeiter leben und arbeiten im Königreich. So stiegen die Rücküberweisungen von 510 Mio. USD im Jahr 2004/05 auf 1,6 Mrd. USD im Jahr 2008/09, was einem Gesamtanteil von etwa 4,8% am pakistanischen BIP entspricht. Dieser Wert stieg in den letzten Jahren nochmals deutlich an: Allein zwischen Juli und Au- Zit. nach Burr, J. Millard, Collins, Robert O.: Alms for Jihad. Charity and Terrorism in the Islamic World, Cambridge 2006, S. 26. Vgl. al-Obeid, Faisal: Saudi Arabia asks Pakistan to increase security for its diplomats, Al-Shorfa, 18. Mai 2011, http://www.al-shorfa.com/en_GB/articles/meii/features/main/2011/05/18/feature-02, abgerufen am 22.10.2012. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien gust 2012 wurden insgesamt 657,78 Mio. USD nach Pakistan überwiesen.72 Sollte sich aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen das Volumen der Rücküberweisungen in Zukunft reduzieren, droht dem krisengeschüttelten Pakistan der wirtschaftliche Kollaps. Dementsprechend werden die Maßnahmen der saudischen Regierung, durch unterschiedliche „Saudisierungskampagnen“ den Anteil einheimischer Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt auf Kosten der asiatischen Migranten zu erhöhen, in Pakistan mit Sorge betrachtet. Trotz dieser Spannungsfelder wird die Allianz zwischen Saudi-Arabien und Pakistan auch zukünftig für beide Länder von fundamentaler Bedeutung bleiben. Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass beide Länder über ähnliche Probleme bei der Findung einer nationalen Identität verfügen. Saudi-Arabien definiert sich über die Omnipräsenz der Al Saud und ihres Bündnisses mit den ulama, während Pakistan als Nation der asiatischen Muslime gegründet wurde, es aber seitdem nicht gelungen ist, diese Vision mit Leben zu erfüllen. Ähnlich wie in Pakistan geben auch in Saudi-Arabien die regionalen Unterschiede, der Umgang mit konfessionellen ethnischen Minderheiten sowie die Überideologisierung der Alltagspolitik Anlass zu steigendem sozialem Protest. Auch wenn beide Länder aufgrund ihrer unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation nicht gleichgesetzt werden dürfen, bilden diese strukturellen Hemmnisse doch eine Parallele, die die bilaterale Partnerschaft auf einer staatskonzeptionellen Ebene ebenfalls erklären könnte. VII. Beziehungen zu internationalen Partnern – Quo Vadis? VII.1 Deutschland Saudi-Arabiens gewachsener Einfluss als außenpolitischer Akteur in der Region fordert auch die Bundesrepublik Deutschland heraus, ihre Beziehungen zum Königreich zu intensivieren. Generell wird Saudi-Arabien als pro-westlicher, eng mit den USA assoziierter und verlässlicher Partner gesehen, der aufgrund seines regionalen Einflusses auch für Deutschland und die EU aus mehreren Aspekten von besonderem Interesse ist.73 Hierbei befindet sich die bundesrepublikanische Nahostpolitik in der Situation, einerseits 72 73 die „historische Verantwortung“ gegenüber Israel aufrecht zu erhalten, andererseits den geänderten Rahmenbedingungen im Nahen und Mittleren Osten aufgrund des „Arabischen Frühlings“ Rechnung zu tragen. Die Unterstützung der arabischen Transformationsländer versucht die Bundesrepublik mithilfe der so genannten „Transformationspartnerschaften“ und im Rahmen der bereits bestehenden EU-Instrumente voran zu treiben und hat dafür mehrere Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Hierbei sollen der Aufbau einer Zivilgesellschaft, demokratisch-pluralistischer Strukturen, eines nachhaltigen Rechtssystems und die Förderung von staatlichen Institutionen sowie der Kampf gegen die Korruption gefördert werden. Deutschland bemüht sich somit, die einstige Unterstützung für autoritäre Regime in eine weitgehend wertorientierte Nahostpolitik zu modifizieren, ohne die anderen Pfeiler deutscher Außenpolitik in der Region zu vernachlässigen: (1) Wahrung der Interessen Israels und Unterstützung des Nahost-Friedenprozesses; (2) Sicherheit und Stabilität; (3) Förderung von wirtschaftspolitischen Kooperationen. Dass sich dadurch in der realpolitischen Praxis häufig Widersprüche in der Wahrung pragmatischer Interessen und der öffentlichen Wahrnehmung ergeben, zeigt vor allem die deutsche Saudi-Arabien-Politik. Unter der Prämisse einer werteorientierten Nahostpolitik und auch im Hinblick auf die Wahrung der israelischen Sicherheit müsste Saudi-Arabien deutlich kritischer bewertet werden. Doch der Fokus liegt derzeit auf der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit und der Allianz bei der Eindämmung Irans. Wirtschaftlich hat Saudi-Arabien in den letzten Jahren für deutsche Unternehmen einen enormen Bedeutungsanstieg erfahren. Mittlerweile beginnen auch deutsche KMU, in unterschiedlichen Sektoren im Königreich tätig zu werden. Dabei wird nicht mehr ausschließlich aus den benachbarten Vereinigten Arabischen Emiraten operiert, sondern auch eigene Niederlassungen in den saudischen Zentren Riad oder Jidda eröffnet. Deutsche Produkte genießen in Saudi-Arabien über immense Wertschätzung. Auch wenn viele saudische Unternehmer vom verhältnismäßig hohen Preisniveau Vgl. Raza, Anaam: Saudi Arabia becomes largest remittance provider to Pakistan, The News, 15. September 2012, http://www.thenews.com.pk/Todays-News-3-131948-Saudi-Arabia-becomeslargest-remittance-provider-to-Pakistan, abgerufen am 13.10.2012. Vgl. Steinberg, Guido: Saudi-Arabien als Partner deutscher Nahostpolitik, SWP-Studie, Dezember 2008. Deutsches Orient-Institut 29 Saudi-Arabien deutscher Waren abgeschreckt reagieren und sich nicht selten günstigeren Anbietern aus China oder der Türkei zuwenden, führen negative Erfahrungen mit dem Qualitätsstandard häufig später zum Erwerb deutscher Produkte. Deutschland ist mit 7,7% Saudi-Arabiens drittwichtigster Wirtschaftspartner nach den USA (13,2%) und China (11,7%). Dabei stieg das deutsche Exportvolumen von 4,89 Mrd. EUR im Jahr 2009 auf 6,87 Mrd. EUR im Jahr 2011. Wichtigste Exportgüter sind Maschinen (21,1%), Kraftfahrzeuge und KfZ-Teile (14,9%) sowie chemische Erzeugnisse mit 14,1%.74 Die steigende Präsenz von deutschen Unternehmen auf regionalen Fachmessen wie der Baumesse Saudi Build ist ein weiteres Merkmal für den Bedeutungsgewinn des saudischen Marktes. Dies wird durch die politische Flankierung unterstützt. Hochrangige deutsche Politiker wie Wirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler im Juni 2012 in Riad betonen die Attraktivität des saudischen Marktes, die erfolgreich implementierten Reform- und Liberalisierungsmaßnahmen sowie die engen historischen Beziehungen beider Länder. Gleichzeitig wird Saudi-Arabien als verlässlicher politischer Partner in einer Region des Umbruchs wahrgenommen. Die Wahlerfolge von islamistischen Parteien in Ägypten und Tunesien, die fragile politische Situation in Libyen sowie der blutige Konflikt in Syrien beunruhigen deutsche Außenpolitiker, sodass die Suche nach Stabilität wieder höhere Priorität besitzt. Saudi-Arabien gilt in der deutschen Analyse als weitgehend stabil und gleichzeitig als einflussreicher Akteur in den Transformationsstaaten. Dennoch muss Deutschland zukünftig abwägen, ob und inwieweit eine intensive Kooperation mit dem repressiv gegen Minderheiten agierenden Königshaus gewollt ist und argumentativ vertreten werden kann. Mit Sicherheit sollte Saudi-Arabien in der deutschen Nahostpolitik eine bedeutendere Rolle einnehmen als in der Vergangenheit, allerdings sollte dieses Verhältnis nicht allein nach dem realpolitischen Nutzen, sondern auch auf der Basis einer „werteorientierten Außenpolitik“ bewertet werden. Hierbei dienen die Spekulationen um die Lieferung von deutschen Panzern an das saudische Königshaus als aussagekräftiges Beispiel. Immerhin gilt 74 75 30 Saudi-Arabien als gegenrevolutionäre Regional-macht, die brutal gegen ethnische und religiöse Minderheiten vorgeht, die bahrainische Herrscherfamilie gegen die Aufständischen unterstützte, Geschlechtertrennung und religiöse Intoleranz proklamiert und nur rudimentäre Ansätze von demokratischen Strukturen zulässt. Diese innersaudische Realität muss die deutsche Saudi-ArabienPolitik berücksichtigen, um für die durchaus selbstbewusste Al Saud nicht zu einer willfährigen Marionette saudischer (Wirtschafts)Interessen zu werden, sondern eigenständig, kritisch und möglichst unvoreingenommen mit Saudi-Arabien umzugehen. Gelingt dies, kann Deutschland einerseits seinen strategischen Einfluss in der Region ausbauen und andererseits mittelfristig den Reformwillen Saudi-Arabiens unterstützen. VII.2 Russland Das Verhältnis Saudi-Arabiens zu Russland ist seit vielen Jahrzehnten durch immer wiederkehrende Phasen der Spannungen und der Annäherung bestimmt. Momentan befinden sich die bilateralen Beziehungen auf einem historischen Tiefststand, was sich vor allem an der unterschiedlichen Perzeption der Syrien-Krise festmachen lässt.75 Während Saudi-Arabien dem alawitischen Regime von Bashar al-Assad bereits aus ideologischen Faktoren stets kritisch gegenüberstand und dessen Nähe zu Iran als Bedrohung der eigenen Sicherheitsinteressen wahrnahm, unterstützen Akteure in Saudi-Arabien seit Monaten die sunnitischen Oppositionsgruppen mit Geld und Waffen. In welchem Umfang sich das saudische Königshaus bei dieser Unterstützung engagiert, bleibt zwar umstritten, doch wird in saudischen Medien und in Moscheen offen dazu aufgerufen, für die sunnitischen „Brüder“ in Syrien zu spenden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass saudische Jihadisten mittlerweile gegen das syrische Regime kämpfen. Ob dies vom Königshaus nur geduldet oder gar initiiert ist, kann nicht beurteilt werden. Russland hingegen gilt nach wie vor als vehementer Befürworter des Assad-Regimes. Gemeinsam mit China verhinderte Russland immer wieder Syrien-Resolutionen im UN-Sicherheitsrat, die ein energisches Einschreiten Vgl. Germany Trade and Invest: Saudi-Arabien – Wirtschaftsdaten kompakt, Mai 2012, http://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Fachdaten/PUB/2012/05/pub201205298035_159740.pdf, abgerufen am 22.10.2012. Vgl. Al Tamamy, Saud Mousaed: Hegemonic or Defensive? Patterns of Saudi Foreign Policy in the Era of the Arab Spring, in: Orient IV/2012, S. 14-21. Deutsches Orient-Institut Saudi-Arabien der internationalen Gemeinschaft in Syrien legitimiert hätten. Russlands strategisches Interesse gilt nicht allein dem eigenen Militärhafen in Tartus, sondern auch der generellen Prämisse, dass ein Sturz des antiamerikanischen Regimes von Bashar al-Assad auch die Stellung Russlands in der Region zugunsten der USA schwächen würde. Der diametrale Gegensatz zwischen SaudiArabien und Russland in der außenpolitischen Konzeption beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Syrien-Frage, sondern erlangt regionale Bedeutung, da Russlands Nähe zu Assad auch gleichzeitig als Nähe zu Iran bewertet wird, welches neben Russland als engster Verbündeter des syrischen Präsidenten gilt. So verfolgt Russland in Syrien nicht nur seine eigenen Interessen, sondern beeinflusst auch den iranisch-saudischen Hegemonialkonflikt, der mittlerweile in Syrien als Stellvertreterkrieg ausgefochten wird. Während Saudi-Arabien den Sturz des alawitischschiitischen Regimes forciert, um Iran zu schwächen und seine sunnitisch-wahhabitische Missionierungsagenda durchzusetzen, richtet sich Russland gegen diese Ambitionen, was das Verhältnis nochmals verschlechtert hat. Historisch befand sich Saudi-Arabien auch während des Kalten Krieges im antisowjetischen Block, versuchte als enger Verbündeter der USA, die Sowjetunion zu schwächen und unterstützte die mujahidin in ihrem Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan. Weil sich die Sowjetunion gleichzeitig weigerte, in die OPEC einzutreten und die Ölexporte erhöhte, wurden sie auch zu einem wirtschaftlichen Konkurrenten Saudi-Arabiens. Während der 1990er Jahre blieben diese Spannungen weitgehend bestehen, zumal sich Russland nun mehr und mehr Iran und Syrien annäherte. Gleichzeitig wurde Saudi-Arabien beschuldigt, im tschetschenischen Bürgerkrieg auf Seiten der Rebellen eingegriffen zu haben. Auch wenn sich das Verhältnis aufgrund der hohen Ölpreise nach der Jahrtausendwende verbesserte, blieb es doch immer fragil, ehe die Krise in Syrien wieder zu verhärteten Fronten führte. Russland wirft Saudi-Arabien (nicht zu Unrecht) vor, weltweit sunnitischwahhabitische Gruppierungen zu unterstützen, was sich auch auf die innerrussische Stabilität auswirken könnte, wenn die saudische Hilfe auch Muslime im Nordkaukasus er- 76 reichen würde. Saudi-Arabien hingegen kann die russische Haltung in Syrien aus Eigeninteressen weder akzeptieren noch respektieren, sodass eine schnelle Entspannung des Verhältnisses nicht zu erwarten sein dürfte. Sollte sich Russland jedoch mit der neuen syrischen Regierung arrangieren und Iran mitisolieren, würden sich auch die russisch-saudischen Verhältnisse rapide verbessern.76 VIII. Perspektiven Saudi-Arabiens Außenpolitik in Zeiten des „Arabischen Frühlings“ als ausschließlich „konterrevolutionär“ zu bewerten, wäre zu einseitig. Ohne Zweifel verfolgt das Königreich eine Bewahrung des Status quo, zeigt aber im Umgang mit Syrien und Bahrain, dass es gewillt ist, die Ereignisse nach eigenem Willen voranzutreiben. Hierbei werden Demokratisierungsbestrebungen dann unterstützt, wenn sie den eigenen Interessen entsprechen (Libyen), während sicherheitsgefährdende Entwicklungen unterdrückt werden (Bahrain, Jemen). Dabei wird die saudische Außenpolitik durch den Konflikt mit Iran bestimmt: Alles, was den Konkurrenten schwächt, nutzt der innersaudischen Stabilität, so das Credo. Vor diesem Hintergrund muss insbesondere die Syrien-, Jemen- und Bahrain-Politik bewertet werden. Dabei ist momentan noch nicht abzusehen, ob Saudi-Arabien als monarchischer Gewinner oder Verlierer des „Arabischen Frühlings“ gesehen werden kann. Derzeit wirkt das Königshaus zwar stabil, doch innere Herausforderungen wie die angespannte sozioökonomische Lage, die wachsende Armut sowie die ungeregelte Nachfolgefrage und die fortschrittshemmende Überalterung der Al Saud sind nur einige Faktoren, die sich auch kontraproduktiv auf die Außenpolitik auswirken. Grundsätzlich basiert diese neben dem Konflikt mit Iran auf der Partnerschaft mit den USA sowie der Unterstützung wahhabitisch-sunnitischer Strömungen in der ganzen Welt. Beide Grundpfeiler sehen sich durch die Entwicklungen seit 9/11 zunehmenden Herausforderungen gegenübergestellt. Mittlerweile ist das saudisch-US-amerikanische Verhältnis keineswegs mehr symbiotisch, sondern muss in Einzelfragen immer wieder neu ausgehandelt werden. Der „Kampf gegen den Terrorismus“ und die unrühmliche Rolle Saudi-Arabiens im Vgl. Katz, Mark N.: The Impact of the Arab Spring on Saudi-Russian Relations, in: Orient IV/2012, S. 27-31. Deutsches Orient-Institut 31 Saudi-Arabien Vorfeld der Attentate vom 11. September 2001 seit der Unterstützung der mujahidin in Afghanistan haben zu tief greifenden Verwerfungen zwischen Riad und Washington geführt, die nur langsam ausgeräumt werden konnten. Sollte Saudi-Arabien in Zukunft weiterhin Demokratisierungsbestrebungen in der direkten Umgebung unterdrücken und im eigenen Land keine fundamentalen Reformen implementieren, könnte dies zu US-amerikanischer Kritik führen. Gleichzeitig könnte ein drohender Krieg gegen Iran jedoch beide Partner wieder enger zusammenführen. Saudi-Arabien bleibt aufgrund seiner religiösen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung in Zukunft einer der wichtigsten außenpolitischen Akteure im Nahen und Mittleren Osten. Längst hat das Königreich zusammen mit Katar den einstmals einflussreichen arabischen Führungsmächten Ägypten oder Syrien den Rang abgelaufen und sieht sich an der Spitze der sunnitischen umma. Hierbei gelang es den diversen außenpolitischen Akteuren in Saudi-Arabien in der Vergangenheit geschickt, realpolitisches und ideologisches Interesse zu kombinieren, um die Bewahrung der eigenen Machtposition zu erreichen. Dabei übernahm auch der aktuelle König Abdullah eine entscheidende Funktion: Als Reformer gefeiert, als Versöhner gerühmt, als Hardliner gegen innere Feinde akzeptiert wird er von der großen Mehrheit in der arabisch-sunnitischen Welt geachtet und verleiht damit der autoritären Herrschaft mehr Legitimation als den gestürzten Führern der Präsidialsysteme in Tunesien oder Ägypten. Dennoch: Abdullah, mittlerweile 87 Jahre alt, verliert aufgrund seines hohen Alters und seiner Krankheiten immer mehr an Tatkraft. Zwar wurde nach dem Tod der beiden eigentlichen Thronfolger Sultan und Naif innerhalb eines Jahres der langjährige Gouverneur von Riad Salman zum neuen Prätendenten ernannt, doch auch er ist gesundheitlich angeschlagen und mit 78 Jahren keineswegs ein Vertreter der jüngeren Generation. Sollte die Nachfolgeregelung nicht grundsätzlich neu gelöst werden, indem auch Enkel des Staatsgründers Ibn Saud den Thron besteigen dürfen, droht dem Königreich ein Machtkampf um die immer kürzer werdenden Herrschaftsperioden.77 Dies hätte unweigerlich Auswirkungen auf die Außenpolitik, die stark personalisiert und von der Entscheidungskraft des Königs abhängig ist. Durch ein sich abzeichnendes Machtvakuum an der Spitze der Al Saud könnte sich die Konzentration der Prinzenelite auf die Innenpolitik fokussieren, was zu einer Vernachlässigung außenpolitischer Themen führen könnte. Dies zu verhindern, muss das Ziel der Al Saud sein, um einerseits die innere Machtposition zu bewahren und andererseits die neu gewonnene außenpolitische Autorität auszubauen. IX. Quellenangaben ABDEL-RAZEK, SHERINE: Economic ruptures, Al-Ahram Weekly, 9. Mai 2012, http://www.weekly.ahram.org.eg/2012/1096/ec1.htm, abgerufen am 08.08.2012. ABRAHAMIAN, ERVAND: Khomeinism. 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Die über lange Jahre von der internationalen Gemeinschaft stets geschätzte Rolle als Mediator des Zwergstaates, besonders zwischen sunnitischen und schiitisch geprägten Ländern, schwenkte im Zuge des Syrien-Konfliktes in eine klare Parteinahme der oppositionellen Position, nachdem man schon im Libyen-Krieg klar Stellung für die Rebellen und die UN-Resolution bezogen hatte. Die Auswirkungen für den Staat selbst und die Region in Zukunft sind kaum abzuschätzen, gleichwohl diese Haltung die ohnehin schwierige politische Situation in der Region des Nahen und Mittleren Ostens sicher nicht einfacher gestalten wird. Das Machtgefüge im Nahen und Mittleren Osten könnte sich mit der Umorientierung von Katar zu einer offensiveren außenpolitischen Strategie ändern. Der Mikro-Staat1, mit einer Fläche von 11.437 km² etwa 7-mal kleiner als die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), ist in den vergangenen Jahren sukzessive zum „global player“ geworden. Wirtschaftlich war dies durch die großen Öl-, aber vor allem Gasvorkommen nördlich des Landes schon lange der Fall. Mit dem Reichtum des Landes, das nunmehr fast zwei Millionen Einwohner zählt, wobei die einheimische Bevölkerung mit ca. 250.000 einen sehr geringen Teil ausmacht, kam auch ein neuer eigener außenpolitischer Anspruch auf, der vor allem durch den Emir von Katar, Hamad bin Khalifa Al Thani, vorangetrieben wurde und wird. Katar hat wie auch die Vereinigten Arabischen Emirate schnell bemerkt, dass nur durch die endlichen Ressourcen wie Gas oder Öl auf Dauer keine zukunftsfähige Wirtschaft bestehen kann und man diese möglichst exklusiv diversifizieren muss. Exklusiv bedeutet in diesem Zusammenhang eine bestimmte wirtschaftliche Nische zu finden. Die VAE setzen beispielsweise auf den Immobiliensektor, Katar hingegen konzentriert sich auf Konferenz- 1 und Eventaustragung, auf den Finanz- und kommerziellen, sowie auf den Bildungssektor. Die außenpolitische Profilierung des Staates gelang zudem besonders durch die Mitwirkung in internationalen Organisationen, Verbänden, Gremien und Staaten- bzw. Wirtschaftsbündnissen. So ist Katar Mitglied der UN, Gründungsmitglied der Arabischen Liga, als auch Mitglied der OAPEC, OPEC und des Golf-Kooperationsrates (GKR). Die bereits erwähnte Rolle Katars als Mediator führte in der Vergangenheit zu mehreren Erfolgen. Zu nennen wären die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien im Libanon 2008, mehrere zumindest kurzzeitig erfolgreiche Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der Regierung des Jemen und den Huthi-Rebellen, zuletzt im August 2010, aber vor allem die Vermittlerrolle zwischen Iran, den sunnitischen Staaten, wie beispielsweise Saudi-Arabien, dem großen Nachbarn Katars, und dem „Westen“. Diese Rolle als Vermittler und „Wogenglätter“ änderte sich jedoch auch schon während des „Arabischen Frühlings“, als Katar beispielsweise im Libyen-Konflikt 2011 die Rebellen mit Geldmitteln unterstützte oder ihnen half, gelagertes Erdöl zu verkaufen. Es scheint derzeit so, als sei das Emirat davon abgekommen, den Balanceakt eines Vermittlers weiter zu verfolgen. Dies wird mit hoher Wahrscheinlichkeit direkte Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den beiden großen Nachbarn Saudi-Arabien und Iran zu Katar haben. Dieses Kapitel soll versuchen, die aktuellen Entwicklungen in der Außenpolitik Katars zu analysieren; dies besonders vor dem Hintergrund der großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in der Region im Zuge des „Arabischen Frühlings“. Damit verbunden soll die Rolle des Landes in der Region in der nahen Vergangenheit und der Gegenwart umrissen werden. Dazu gehören auch eine Analyse der Beziehungen ausgewählter Staaten der Region mit Katar. Abschließend sollen unter Berücksichtigung dieser Analysen Perspektiven für die Außenpolitik des Landes gegeben werden. II. Die Rolle Katars in der Region II.1 Historische und geopolitische Voraussetzungen Um die gegenwärtige außenpolitische Strategie Katars und damit die Rolle des Landes in Vgl. Auswärtiges Amt: Länderinfos Katar, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/ Laenderinfos/01Laender/Katar.html, abgerufen am 02.08.2012. Deutsches Orient-Institut 37 Katar und für die Region vertiefend analysieren zu können, sollte man einen kurzen Exkurs in die Geschichte Katars wagen. Viele Beziehungsgeflechte, die auch heute noch relevant sind, begründen sich auf historische, geographische und teils auch religiöse Gegebenheiten, die hier kurz umrissen werden sollen. Katar besitzt traditionell eine geotrategisch wichtige Position. Die kleine Halbinsel ragt von Saudi-Arabien aus nördlich in den Golf, was sie zu einem wichtigen maritimen, kommerziellen und auch militärischen Stützpunkt macht. Die Geschichte Katars bis zur Entdeckung des Erdöls und später des Erdgases verlief wellenartig und wurde von diversen kulturellen und traditionellen Eigenheiten bestimmt. Immer wieder geriet die Halbinsel unter den Einfluss ausländischer Mächte wie den Abbasiden, Portugiesen, Osmanen oder Großbritannien2. Nachdem die Osmanen 1913 die Kontrolle über Katar verloren hatten, geriet es schnell unter den Einfluss des Vereinigten Königreichs und war damit in das britische System eingebunden. Drei Jahre später übernahm die Familie Al Thani die Herrschaft, welche das Land auch heute noch regiert. Im Jahre 1939 wurden die ersten Ölvorkommen entdeckt, was wenig später zu ersten territorialen Streitigkeiten mit dem Nachbarn Bahrain führte. Ähnliche Konflikte entflammten traditionell auch stets mit dem südlichen Nachbarn Saudi-Arabien, die weniger aufgrund von Streitigkeiten um Ressourcen als aufgrund von Herrschaftsansprüchen des saudischen Königreichs geführt wurden. Lange Zeit betrachtete die saudische Herrscherfamilie Al Saud die Halbinsel als ihren Einflussbereich, was bei den katarischen Machthabern zur Sorge vor einer saudischen Annexion führte3. Mit der Entdeckung des Erdöls machte Katar ab Mitte der 1960er Jahre bis Mitte der 1980er Jahre, nachdem sich die Briten 1971 aus der Region zurückzogen, eine Transformation von einem armen britischen Protektorat zu einem unabhängigen, modernen und wohlhabenden Staat durch. Die Infrastruktur, Industrie und der Dienstleistungssektor 2 3 4 5 6 38 wurden finanziert mit Gewinnen aus der Erdölproduktion, jedoch vor allem von ausländischen Arbeitskräften und Know-how getragen - eine Praxis, die sich in Katar bis heute bewährt hat. Bis in die 1990er Jahre war Katar sehr abhängig vom internationalen Ölmarkt, bis man enorme Gasvorkommen nördlich der Halbinsel im Golf im so genannten „North Field“ fand. Sogleich begann man, die Industrie von Öl- zu Gasförderung umzustrukturieren. Der Fund des drittgrößten bisher entdeckten Gasvorkommens der Welt brachte aber auch politisch einen Einschnitt. Denn der Iran erhob Anspruch auf den nördlichen Teil des Feldes, was in erster Linie zunächst zur Notwendigkeit engerer Beziehungen und Kommunikation zwischen beiden Staaten führte. Diese Eckpunkte der geschichtlichen Entwicklung Katars im 20. Jahrhundert verdeutlichen, dass Katars Stellung in der Region und in der Welt von einigen Zwängen und Problemen geprägt ist, denen üblicherweise viele so genannte „Mikro-Staaten“ unterworfen sind. Die mit fast zwei Millionen Einwohnern (davon nur 250.000 mit katarischer Staatsbürgerschaft) geringe, wenn auch deutlich gestiegene Bevölkerungszahl4, zwingt das Land dazu, Bündnisse mit potenteren Partnern einzugehen, um Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Handlungsfreiheit zu erreichen. Dadurch zeigt sich das Land bei externem Druck in der Regel viel verletzlicher als beispielsweise der bevölkerungsstärkere Nachbar Saudi-Arabien. Der große Ressourcenreichtum birgt die Gefahr, dass bevölkerungsreichere aber ressourcenarme Länder mit Missgunst auf Katar blicken könnten, was beispielsweise beim fragilen bilateralen Verhältnis zwischen Katar und Kuwait deutlich wird. Zudem kämpft das bevölkerungsarme Katar mit Korruption, Klientelismus und Patronagenetzwerken5, wenngleich in den letzten Jahren vermehrt Anstrengungen unternommen wurden, insbesondere die Korruption in staatlichen Institutionen zu senken, sodass Katar im Korruptionsindex des Jahres 2011 von Transparency International auf Rang 22 von 178 gelistet wurde6. Zur Geschichte Katars: Fromherz, Allen J.: Qatar. A Modern History, London 2012, S. 44 ff. Vgl.: Toth, Anthony: Qatar. Historical Background, in LOC (1993). So betrug das jährliche Bevölkerungswachstum im Jahr 2000 noch 3,3%, ehe es bis 2007 auf 2,4% sank. Im Jahr 2011 lag es nur noch bei 0,8%. Vgl.: Peterson, J. E. : Qatar and the World. Branding for a Micro-State, in: MEJ, Bd. 60, Nr. 4 (2006), S. 748. Vgl. Transparency International: Corruption Perception Index 2011, http://www.cpi.transparency.org/cpi2011/results/, abgerufen am 25.07.2012. Deutsches Orient-Institut Katar II.2 Innenpolitische Reformen und Reaktionen Katars auf internationale Herausforderungen Auf die oben genannten Voraussetzungen musste das Emirat auch innenpolitisch reagieren. Die heutige Stellung Katars als wichtiger prowestlicher außenpolitischer Partner und wirtschaftliche Macht in der Region konnte nur durch eine spezielle innenpolitische Strategie erreicht werden. Diese führte letztlich zu einer dezidierten Außenwirkung auf die internationale Gemeinschaft, die die jeweilige Beziehung Katars zu den unterschiedlichen Ländern der Region oder auch dem Westen determiniert. Das Ende des Ölbooms verlangte im Grunde von jedem GKR-Staat, so auch von Katar, die schrittweise Integration in die globalisierte Wirtschaft. Dies und starke demographische Veränderungen brachten gewisse innenpolitische Zwänge mit sich, sodass das bisher funktionierende System eines Rentierstaates unter dem Motto „representation without taxation“ (keine Repräsentation ohne Besteuerung) mittlerweile an seine Grenzen stößt. Daraus resultierte die Entstehung einer Vielzahl von „Pseudo-Demokratien“ in der Region. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine Verbindung zwischen sozio-ökonomischen Veränderungen und einem graduellen Übergang zu einer breiteren (scheinbaren) politischen Mitbestimmung in den autokratischen Herrschaftssystemen der Golfstaaten geben könnte. Katar stellt hier einen Sonderfall dar, weil die innenpolitischen Veränderungen im Land nicht aufgrund von wirtschaftlichen und demographischen Zwängen oder sozialen Druck seitens der Bevölkerung ausgingen. Vielmehr waren es Zugeständnisse des Emirs, die unaufgefordert und bewusst in die Wege geleitet wurden. Nach der Transformation Katars hin zu einer modernen Marktwirtschaft und wegen der wenigen gesellschaftlichen Spannungen, lagen die internationalen Herausforderungen für den Emir besonders in der internationalen öffentlichen Kenntnisnahme des Landes. Die innenpolitischen Reformen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten angestoßen und realisiert wurden, waren also sicherlich eine wirtschaftliche, aber nur in Teilen eine politische Notwendigkeit. Katar blieb bisher aufgrund des existierenden Gesellschaftsvertrages zwischen Königshaus und Bevölke- 7 rung von breiter politischer Opposition verschont: Solange das Könighaus wirtschaftliche und politische Stabilität garantiert, erhält es im Gegenzug politische Loyalität. Das Emirat ist aufgrund seiner geringen Bevölkerungszahl, der Sicherung von Arbeitsplätzen in einem großen bürokratischen Apparat und seinm kostenlosem Bildungs- und Gesundheitssystem ein untypisches Umfeld für innenpolitische Veränderungen. Bei den Reformen ist erkennbar, dass diese nicht zuletzt der Mehrzahl der Bevölkerung, also den ausländischen Arbeitern, sowie den jungen Einheimischen das Bild eines liberalen und großzügigen Staates vermitteln sollen. Die Reformen in Katar bedeuten eine limitierte Liberalisierung unter dem Eindruck einer gewissen Pluralisierung der Macht- und Einflusszentren. Sie beinhalten vor allem die Stärkung des Privatsektors und eine formelle Demokratisierung, wie beispielsweise die Einrichtung von Kommunalwahlen. Die wirtschaftliche Liberalisierung stärkte in den letzten Jahren den Einfluss und die Autonomie der Handelskammern oder anderen Handelsorganisationen, während die Gründung des Satellitensenders Al Jazeera und der Beschluss, ab 1999 kommunale Vertreter wählen zu dürfen, als Zeichen für eine gewisse Demokratisierung gesehen werden können. Ab 2011 dürfen auch Frauen ihre Stimme abgeben. Bei den Kommunalwahlen werden insgesamt 29 Ratsmitglieder aus zehn Verwaltungsbezirken gewählt. Daneben existiert die Ratsversammlung Majlis al-Shura7 , deren Erweiterung 2005 mit der neuen Verfassung beschlossen wurde. Der Rat soll aus 45 Mitgliedern bestehen, von denen 30 direkt gewählt werden könnten. Bisher wurden jedoch alle Mitglieder persönlich vom Emir ernannt. In diesem Jahre kündigte nun der Emir Wahlen für 2013 an. Die wirtschaftliche Liberalisierung und die Stärkung des Privatsektors hat aber auch eine klare Grenze: die Nichtunterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Geldern des Staates. So ist als ein Bedingungsfaktor von Machtbeteiligung die finanzpolitische Kontrolle und nicht realdemokratische Strukturen anzusehen. Alle Entscheidungen zu Großprojekten oder politischen Personalfragen laufen über den Emir. Die autokratische Herrschaft ist durch die Reformen nicht angetastet worden. Katar ist also im klassischen Sinne noch ein Rentier-Staat, hat aber seinen Bundeszentrale für Politische Bildung: Innerstaatliche Konflikte. Jemen, http://www.bpb.de/internationa les/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54611/jemen, abgerufen am 08.08.2012. Deutsches Orient-Institut 39 Katar Markt der Privatwirtschaft geöffnet, die bislang nur zur Unterstützung der Großprojekte dient. Zusammenfassend ergeben sich aus den innenpolitischen Reformen folgende Schlüsse: Die politische Elite hat eine bewusste politische Entscheidung für Reformen getroffen, besonders um Unterstützung aus der jungen Generation der Kataris, den ausländischen Arbeitern im Land und dem Westen zu erhalten. Außerdem, und das ist der wichtigste Punkt, erfolgte eine Demokratisierung des Landes nicht, um die politischen Partizipationsmechanismen zu erweitern, sondern um Katar eine exponierte Position in der Region als Reformer zukommen zu lassen.8 Das Machtgefüge zwischen Herrscherfamilie und Gesellschaft hat sich durch die Reformen nicht grundlegend geändert.9 II. 3 Al Jazeera – Politisches Instrument oder medialer Revolutionär? Die arabische Medienlandschaft, bis dahin vor allem von Saudi-Arabien getragen, änderte sich grundlegend mit der Gründung von Al Jazeera im Jahr 1996 in Katars Hauptstadt Doha. Finanziert wird der Satellitensender von Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani, was zuerst einmal dafür sprach, dass ein weiterer staatlich getragener Nachrichtensender gegen das bis dahin vorherrschende saudische Presse- und Informationsmonopol angehen wollte, ohne jedoch freie unzensierte Berichterstattung zuzulassen. Doch die Etablierung von Al Jazeera kann stattdessen als wesentlicher Teil der innenpolitischen Reformen bewertet werden und sollte nach außen ein Zeichen für die Liberalisierung des Landes setzen. Die rasante Entwicklung zum wichtigsten Leitmedium der arabischen Welt, die Al Jazeera innerhalb kürzester Zeit durchlief, war dennoch sicherlich nicht vom katarischen Herrscherhaus vorherzusehen gewesen. Zwar wurde die Gründung des Senders maßgeblich durch das Herrscherhaus initiiert, die Berichterstattung erfolgt jedoch bei vielen Themenschwerpunkten unabhängig und kritisch. Dies mag zum einen daran liegen, dass einige der Journalisten von dem kurz vor der Gründung geschlossenen BBC-Nachrichtenstudio in Doha zu Al Jazeera wechselten. Dadurch orientierte sich der Sender bei 8 9 10 40 journalistischen Methoden, Aufmachung, Themenfindung und Recherche am angloamerikanischen Nachrichtenformat. Ob dies aus rein pragmatischen Gründen, da alle Ressourcen noch vor Ort waren, geschah, oder bewusst entschieden wurde, ist kaum zu beantworten. Ein Novum war aber sicherlich zunächst der Standort in Katar, denn die von Saudi-Arabien getragenen arabischen Nachrichtensender hatten ihre Hauptsitze zunächst in Europa. Al Jazeera war und ist jedoch in erster Linie ein arabischer Sender, vertritt die oftmals sehr diffizile und heterogene Auffassung einer mediatisierten arabischen Öffentlichkeit und hat sich durch die Wucht der Bilder, die Offenheit der Berichterstattung und die pro-oppositionelle Positionierung während der Aufstände in Tunesien, Ägypten und Libyen längst zu dem wichtigsten Leitmedium im Nahen und Mittleren Osten entwickelt. Allerdings verfolgt man inhaltlich keine klare politische Linie. Die Positionierung scheint immer themenspezifisch, mal liberal, mal mit eher konservativer Stoßrichtung, die sich auch gegenüber den USA kritisch äußert. Der offene Umgang mit kritischen, oftmals tabuisierten Themen sowie der bis dahin wenig praktizierte investigative Journalismus, brachte schnellen Erfolg in Form von Einschaltquoten besonders bei den jüngeren Generationen. Tabus, die der Sender brach, sind vor allem politischer Natur. Zum einen gab man verhassten politischen Figuren und Extremisten, auch Mitgliedern von Al Qaida wie Usama bin Ladin, Sendezeit. Zum anderen war Al Jazeera das erste arabische Programm, welches Israelis erlaubte, ihre Ansichten in eigenen Worten im Fernsehen darzustellen. Themen, die Israel betreffen, werden nicht stigmatisiert, sondern oftmals journalistisch objektiv angegangen – auch das ein Novum in der vielfach anti-israelischen, zensierten und propaganda-lastigen Medienlandschaft des Nahen und Mittleren Ostens. Daneben werden arabische Regierungen ebenso hart kritisiert wie internationale Politik im Nahen und Mittleren Osten und sogar der Financier und Gründer Katar wird in Einzelfragen skeptisch analysiert, wenngleich aber die Kritik am Herrscherhaus Al Thani als weitgehendes Tabu gilt, was den Mythos der „Oase der Pressefreiheit“ im Nahen und Mittleren Osten deutlich trübt.10 Ebd., S. 60. Ebd. Vgl.: Miles, Hugh: Al Jazeera, in: Foreign Policy, Nr. 155 (2006), S. 20-24. Deutsches Orient-Institut Katar So konnte auch durch Al Jazeera in den letzten Jahren ein panarabischer, transnationaler öffentlicher Raum entstehen. Umso erstaunlicher scheint es, dass solch eine weitgehend liberale Berichterstattung neben autoritären politischen Regimes existieren kann.11 Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob auch die durch Al Jazeera ausgelöste „mediale Revolution“ die politisch-sozialen Umwälzungen des „Arabischen Frühlings“ mit ausgelöst haben. Harsche Kritik am Sender wird indes auch mannigfaltig geäußert, ob inner- oder außerhalb der arabischen Welt. Umstritten ist vor allem die Haltung gegenüber Israel und die teilweise Nähe zu islamistischen Positionen. Besonders misstrauisch zeigen sich die Kritiker jedoch gegenüber der Berichterstattung über die Herrscherfamilie Katars, die als Hauptinvestor des Nachrichtennetzwerkes selten als Gegenstand von kritischer Berichterstattung dient. Viele Skeptiker behaupten, die Berichterstattung des Senders folge ausschließlich den diplomatischen Vorgaben und geostrategischen Interessen Katars, sodass die liberale Ausrichtung nur als Fassade diene und in Wahrheit als politisches Instrument eingesetzt wird. Zwar kann eine direkte Beeinflussung der Programmgestaltung des Senders durch die politische Elite Katars nicht attestiert werden, allerdings spielt Al Jazeera der gewünschten Außenwirkung des Landes zu. II.4 Katars Rolle als Mediator Zunächst bietet es sich an, die diplomatischen Beziehungen, die Katar als so genannter „Mediator“ pflegt, genauer zu untersuchen. Dabei ist es wichtig, genau zu unterscheiden, welche Akteure in der jeweiligen Situation eine Rolle spielten und welche Beziehung Katar zu diesen hatte. Auch die Frage, warum sich das Emirat in einen bestimmten Konflikt einschaltete und sich aus anderen heraushielt, soll diskutiert werden. Hierbei soll im Folgenden auf einige exemplarische Konflikte eingegangen werden, in denen sich Katar bemühte, als Vermittler oder „ehrlicher Makler“ aufzutreten, um gleichzeitig de-eskalierend und imagefördernd Einfluss zu nehmen. Im weitesten Sinne bedeutet der Begriff „Mediator“ Vermittler in bestimmten Kommunikationsprozessen. Das setzt voraus, dass Katar nicht aktiv Vorschläge unterbreitet, sondern versucht, die Verhandlungsparteien auf eine gleiche Ge11 sprächsbasis zu bringen und diese Gespräche möglichst neutral zu moderieren. Insbesondere die Neutralität Katars muss jedoch in vielen Fällen in Frage gestellt werden, da es dem Herrscherhaus vielmehr auch darum ging, die angebliche Neutralität für eigene Interessen zu nutzen. Mit dem wirtschaftlichen Boom in Katar, der den Kleinstaat zunächst finanziell und später auch infrastrukturell auf eine Ebene mit anderen erdölproduzierenden Ländern der Region brachte oder diese gar überholte, erhöhte sich zum einen die internationale Aufmerksamkeit des bis dahin weitgehend unbeachteten Landes, zum anderen erstarkte seitens des Regimes der Anspruch, auch außenpolitisch eine größere Rolle zu spielen. So suchte Katar bereits vor einigen Jahrzehnten die engere Kooperation mit arabischen Nachbarn. Vor diesem Hintergrund trat Katar 1971 in die Arabische Liga ein, die die wirtschaftliche, kulturelle und politische Zusammenarbeit der einzelnen Mitgliedsstaaten fördern, sowie die Souveränität ihrer Mitglieder garantieren will und dafür im Streitfall schlichtende Funktionen übernehmen soll. So nutzte Katar seitdem die Arabische Liga oft, um seiner Vermittlerrolle den nötigen Nachdruck zu verleihen und um sich in deren Gemeinschaft hervorzuheben. Exemplarisch kann man Katars Rolle als Mediator an seinen Beziehungen in der Vergangenheit zu den Ländern Libanon, Jemen, Iran und Israel festmachen. Die Beziehung zu Israel stellt eine fragile Besonderheit für alle arabischen Staaten dar. Kurz nach der Machtübernahme des heutigen Emirs 1996 richtete man gegenseitige Vertretungen ein, die zwar offiziell als Handelsvertretungen gelten, aber praktisch als Botschaften fungieren und seitdem mit Unterbrechungen, wie z.B. im GazaKrieg 2008/2009, den Austausch in Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft zwischen beiden Ländern vorantreiben. Hierbei basiert das Verhältnis Katars zu Israel weniger auf ideologischen, denn vielmehr pragmatischen Grundlagen, womit sich Katar von anderen arabischen Staaten und deren anti-israelischer Haltung deutlich abhebt. Katar will sich so als außenpolitische Größe profilieren, die in der Lage ist, dem komplexen und verfahrenen Prozess des Nahostkonflikts neutral entgegentreten zu können, um als neuer politischer Akteur Kanäle auf beiden Seiten nutzen zu können. Offizielle religiös-ideologi- El Oifi, Mohammed: Der Al-Dschasira-Effekt. Globale politische Plattform und öffentlicher Raum für die arabische Welt, in: Le Monde diplomatique „Arabische Welt. Ölscheichs, Blogger, Muslimbrüder“, Nr. 4 (2012), S. 60. Deutsches Orient-Institut 41 Katar sche Stellungnahmen zu Israel werden von Seiten Katars nicht proklamiert, was wiederum am guten katarischen Verhältnis zu den USA liegt, mit denen 1992 ein bilateraler Verteidigungspakt geschlossen wurde und die seit 1998 ihren zentralen militärischen Standort im Nahen und Mittleren Osten nach Katar verlegten. Die im Allgemeinen kollegialen Beziehungen zu Israel sollte man aber keineswegs als Selbstverständlichkeit abtun. So äußerte sich der katarische Emir immer wieder kritisch zu Israels Vorgehen, wie beispielweise nach den israelischen Angriffen auf den Libanon 2006. Trotzdem versuchte Katar, nach dem Krieg zwischen beiden Parteien zu vermitteln. Hierbei versuchte Katar stets, eine gewisse Neutralität zu bewahren und stellte sich im Libanon-Krieg 2006 weder auf die israelische, noch auf die Seite der Hizbullah. Auch 2008 versuchte Katar, zwischen Hamas und Israel zu vermitteln, was aber nur unzureichend gelang. Die Beziehungen zu den Palästinensern sind von dem Wunsch Katars nach einem souveränen Staat Palästina geprägt. Katar unterstützt die Hamas finanziell, beispielsweise wurden 2006 50 Mio. USD für die Regierung der Palästinenserbehörde bereit gestellt. Weiterhin wurden mehrere Gespräche in Doha mit Hamas-Funktionären geführt. Der Emir von Katar hat mehrmals versucht, Hamas und Israel zu direkten Gesprächen zu überreden, was bisher aber fehlschlug. Bis heute ist Katar bemüht, die Gespräche am Laufen zu lassen, um den Dialog zwischen Fatah und Hamas zu stärken. Es ist unklar, ob Katar heute Hamas-Mitgliedern, im Angesicht des Syrien-Konflikts, Unterschlupf bieten würde. Mit Israel pflegt Katar demnach eine neutrale, auf wirtschaftliche Zusammenarbeit basierende Beziehung. Daneben unterstützt der Emir von Katar aber eine Zwei-StaatenLösung und bietet den Palästinensern finanzielle Hilfe an.12 Auch mit Iran bemüht sich Katar um eine eher ausgleichende Position, obwohl beide Länder eine konfliktträchtige und ambivalente Geschichte verbindet. Auf der einen Seite teilt sich Katar das Gasfeld „North Field“ mit Iran und bemühte sich deshalb auch immer um gute Beziehungen. Andererseits fürchtet 12 13 14 42 Katar verständlicherweise auch den Konflikt zwischen Israel und Iran, da das Land bei einer militärischen Eskalation unweigerlich von dem Konflikt betroffen wäre. Auch vor diesem Hintergrund ist die militärische Präsenz der USA in Katar durchaus willkommen. Für das Land war deswegen klar, dass Katar in seinen Beziehungen zu Iran einen anderen Weg einschlagen müsse. Neben einem maritimen Abkommen zur Sicherung des „North Fields“ gab es bisher einen regen Besuchsaustausch von hochrangigen politischen und wirtschaftlichen Akteuren beider Länder. Auch für Iran sind gute Beziehungen zu Katar von wesentlicher Bedeutung. Zum einen fungiert das Emirat als Ansprechpartner zu den anderen GKR-Ländern, zum anderen aber auch als eine indirekte kommunikative sowie handelspolitische Verbindung zum Westen. Dennoch erscheint es erstaunlich, dass Katar sich bis jetzt – vielleicht sollte man vorwegnehmen bis vor kurzem – direkt aus dem interkonfessionellen schiitisch-sunnitischen Konflikt heraushalten konnte und eher als Vermittler denn als „Spalter” auftrat. Dennoch stieß Katars Mediatorenfunktion an seine Grenzen, wie die katarischen Bemühungen für eine dauerhafte Stabilisierung des Jemens zeigen. Zwar gelang es der katarischen Regierung zuletzt ím Sommer 2010, einen Waffenstillstand zwischen der Regierung des Jemen und den im Norden agierenden schiitisch-zaiditischen Huthi-Rebellen zu vermitteln. Schon 2008 wurde ein ähnliches Resultat erzielt. Trotzdem hielten die innenpolitischen Spannungen im Land an und weiteten sich im Verlauf des Jahres 2011 aus. Ähnlich wie in Tunesien und Ägypten führten katastrophale sozioökonomische Faktoren zu einem gesellschaftlich breit verankerten Aufstand gegen die korrupte und repressive Regierung um Präsident Ali Abdallah Salih, der 43 Jahre über das Land herrschte. Gründe für die Aufstände 2011 waren neben wirtschaftlichen – Jemen ist mit einem für 2012 prognostizierten Pro-Kopf-Einkommen von 1.517 USD das ärmste Land auf der Arabischen Halbinsel13 – vor allem demographische Faktoren: laut UN World Population Prospects wird sich die Bevölkerung bis 2050 bis auf 80 Millionen Menschen14 mehr als verdoppeln. Salih schaffte es nicht, effizient auf diese Her- Blanchard, Christopher M: Qatar: Background and U.S. Relations, in: CRS Report for Congress, Mai 2011, S. 3-4. Vgl. GTAI: Wirtschaftsdaten kompakt: Jemen, http://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Fachdaten/PUB/2011/11/pub201111248004_16510.pdf, abgerufen am 07.08.2012. Vgl. UN World Population Prospects 2002 Revision, http://www.pdwb.de/kurz_jem.htm#2002, abgerufen am 08.08.2012. Deutsches Orient-Institut Katar ausforderungen politisch zu reagieren. Ein weiterer Konfliktherd ist die noch immer nicht überwundene Teilung des Landes. Neben der anhaltenden Feindschaft zwischen Nord- und Südjemen gibt es einen anhaltenden Konflikt zwischen der Regierung und den Huthi-Rebellen im Nordjemen, die ihrerseits schiitische Zaiditen sind, wobei die Mehrzahl der Jemeniten dem sunnitischen Islam angehören. Nachdem im Januar 2011 mehr als 16.000 Menschen auf den Straßen der Hauptstadt Sanaa protestierten, kündigte Salih an sich nicht erneut zur Wahl zu stellen, seinen Sohn nicht als Nachfolger einzusetzen und mehr Arbeit schaffen zu wollen. Im Juni 2011 traf eine Rakete die Moschee des Präsidentenpalastes. Salih wurde bei diesem Angriff schwer verletzt und der bisherige Vizepräsident Abd al-Rab Hadi übernahm sein Amt.15 Der GKR hatte zuvor einen Transformationsplan erstellt, der die Ablösung Salihs und Wahlen im Frühjahr 2012 vorsah. Der GKR hatte bereits 2006 beschlossen, Jemen schrittweise in den Rat aufzunehmen. Die sicherheitspolitische Lage im Land sorgt aber bis heute für Skepsis unter den Ratsmitgliedern und der Arabischen Liga. Katar war von Beginn an aktiv darum bemüht, Jemens Probleme zu lösen. Zwischen 2007 und 2008 konnten katarische Diplomaten einen Waffenstillstand zwischen der Regierung Jemens und den Rebellen im Norden durchsetzen. Dieser wurde im Juli 2009 wieder gebrochen. Auch aufgrund dessen wollte Katar bei den Spannungen 2011 bilateral nicht eingreifen. Trotzdem unterstützte Katar im GKR den Plan Salih abzusetzen.16 In den Reihen katarischer Politiker fürchtet man zu Recht die destabilisierende Wirkung Jemens auf die Sicherheitslage am Golf. Letztlich zog sich Katar 2011 als Mediator im Jemen zurück – indirekt ein Eingeständnis der eigenen Machtgrenzen. Denn soviel Einfluss man als Vermittler in außenpolitischen Belangen seither erreicht hatte, so wenig konnte Katar bei konkreten innenpolitischen Konflikten, wie im Jemen, allein erreichen.17 Katars bisherige außenpolitische Strategie der Mediation lässt sich folgendermaßen zu15 16 17 sammenfassen: Das Emirat musste aufgrund von eigenen geostrategischen defizitären Voraussetzungen bei gleichzeitiger wirtschaftlicher und finanzieller Potenz ein politisches Alleinstellungsmerkmal finden, um sich international als nicht zu vernachlässigender Faktor in der Region zu profilieren. Dies gelang durch den Aufbau von Kommunikationskanälen zu den jeweiligen Konfliktparteien und durch eine gewisse Neutralität. Dadurch schuf man eine bilaterale Vertrauensbildung der verschiedenen regionalen Parteien zum eigenen Land. Gleichzeitig muss man aber festhalten, dass Katar weder die nötigen Mittel noch das politische Durchsetzungsvermögen besitzt, um auch bei innenpolitischen Konflikten, die nach außen wirken, grundlegend intervenierend und vermittelnd einzugreifen. Das Image als neutraler regionaler Vermittler führte zur außenpolitischen Wahrnehmung als vertrauenswürdiger und ernst zunehmender Akteur. Fraglich bleibt jedoch, inwieweit diese Rolle weiter ausgebaut werden kann, wenn Konflikte geographisch und politisch einmal näher an das Land rücken als bisher. Der Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ in vielen arabischen Ländern und die direkten und indirekten Auswirkungen auf die Golfregion und damit auch auf Katar sollten in den vergangenen Monaten die limitierten Mittel der katarischen Außenpolitik aufzeigen. II.5 Katars Außenpolitik im und nach dem „Arabischen Frühling“ – Vom Vermittler zum Interessenvertreter? Im Frühling 2011 fanden Massendemonstrationen in vielen arabischen Ländern, anfangs in Nordafrika, später auch auf der Arabischen Halbinsel, vor allem in Bahrain und Jemen, statt. Gründe für die Proteste, die besonders von der Jugend getragen wurden, waren soziale und wirtschaftliche Missstände, wie Arbeitslosigkeit und Korruption, aber auch der Wille nach politischer Partizipation. Katars Gesellschaft zeigte sich jedoch weitgehend oberflächlich immun gegen die regionalen Umwälzungen, politischer Protest und Demonstrationen blieben aus, Kritik an der Regierung und am bestehenden politischen System wurde kaum geäußert. Ursachen dafür lagen zum einen an den seit Jahren andauernden innenpolitischen Reformanstren- Bundeszentrale für Politische Bildung: Innerstaatliche Konflikte. Jemen, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54611/jemen, abgerufen am 08.08.2012. Vgl. Burke, Edward, ‚One blood and one destiny’? Yemen’s relations with the Gulf Cooperation Council, in: Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf States, Bd. 23, Juni 2012, S.1; S. 16-17. Niethammer, Katja: Katar als arabischer Konfliktmediator. Neuer Hoffnungsträger oder Gernegroß?, in: GIGA Focus, Nr. 8 (2010). S. 4ff. Deutsches Orient-Institut 43 Katar gungen des Emirs, zum anderen an der positiven Finanz- und Wirtschaftslage sowie an Katars liberalen Medien. Wegen seiner immensen finanziellen Gewinne konnte und kann es sich Katar leisten, seinen Reichtum an die Bevölkerung weiterzugeben. Katars Pro-Kopf-Einkommen beträgt etwa 98.300 USD, was einen Anstieg von 14,25% im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Damit rangiert Katar weltweit auf Platz 2 nach Luxemburg mit 113.000 USD (2011). Hinzu wuchs die Wirtschaft im vergangenen Jahr um 18,7%, zwischen 1974 und 2011 stieg das BIP von etwa 4 Mrd. USD auf etwa 178 Mrd. USD. Kurz: Die katarische Wirtschaft gehört zu den am stärksten prosperierenden im weltweiten Vergleich, während der Lebensstandard für die katarische Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten rapide angestiegen ist. Dennoch drohen Katar aufgrund der unproportionalen Reichtumsverteilung mittelfristig soziale Probleme: Während der kleinen einheimischen Bevölkerung die Privilegien der Modernisierung und des wirtschaftlichen Wohlstands zugute kommen, profitiert der deutlich höhere Anteil an ausländischen Arbeitskräften nur teilweise von den gestiegenen Einnahmen. Immerhin kommen auf einen katarischen Staatsbürger drei Ausländer. auf die Ereignisse und Auswirkungen der “Arabellion“ im Jahr 2011. Zwar agierte die Regierung vor allem zu Beginn noch in der bekannten Funktion als Mediator, zeigte aber bereits deutlicher seine strategischen außenpolitischen Absichten. So sprach sich Katar im Golfkooperationsrat eindeutig für die von den Vereinten Nationen verhandelte Flugverbotszone in Libyen aus. In diesem Konflikt beteiligte man sich nunmehr auch aktiv durch die Bereitstellung von katarischen Flugzeugen. Daneben erkannte Katar als eines der ersten Länder den Nationalen Übergangsrat der Rebellen in Benghazi an und boten diesem an, Öl zu vermarkten. Hintergrund der doch eindeutigen Parteinahme für die Rebellen war die anti-monarchische Einstellung Muammar al-Gaddafis, die unter den Golfstaaten für Misstrauen sorgte19. Al-Gaddafi galt bereits seit Jahren als unliebsamer Außenseiter, der mit einem von ihm initiierten Attentatsversuch im Jahr 2003 auf den jetzigen saudischen König und damaligen Kronprinzen Abdullah die Abneigung der Golfstaaten noch gesteigert hatte20. Er galt als irrer, verrückter und paranoider Exzentriker, der sich als Bewahrer des Panarabismus und Panafrikanismus gerierte, ohne bei den arabischen „Brüdern“ über Respekt und Vertrauen zu verfügen. Die angestrebte „Katarisierung“, die der Emir in den nächsten Jahren durchsetzen möchte, wird dabei vermutlich an dieser Situation kaum etwas ändern, denn die meisten Führungsposten sind jetzt schon von Einheimischen besetzt, die zwar über eine exzellente Ausbildung verfügen, aber allein aufgrund ihrer geringen Anzahl dauerhaft auf qualifizierte oder geringer qualifizierte ausländische Arbeiter angewiesen sein werden. Trotz dieser weit reichenden Stabilität aufgrund der soziökonomischen Situation, beeinflusste der „Arabische Frühling“ das Land auf andere Weise. Manche sprechen sogar davon, dass Katar Profit im Sinne eines Ausbaus seiner Legitimation, seines Einflusses und Machtbereichs aus den Aufständen ziehen konnte18. Durch diesen für Katar bis dahin eher untypischen außenpolitischen Schritt der Parteinahme erzeugte man zum einen eine Annährung an den Westen, zum anderen aber gelang es, den Golfkooperationsrat mehr in den Fokus der internationalen Außenpolitik zu drängen und ihn damit als ernstzunehmende, einflussreiche Institution auf dem internationalen Parkett zu etablieren, nachdem er zuvor als zerstrittener, eher „zahnloser Papiertiger“ ohne Wirkmacht wahrgenommen worden war. Die Intervention in Bahrain im März 2011 zeigte jedoch deutlich, dass der GKR nicht grundsätzlich die Unterstützung von oppositionellen Bewegungen gegen repressive Bewegungen, sondern vielmehr geostrategische Eigeninteressen verfolgt21. Gesichert werden sollen die monarchischen Systeme, um das fragile Mächteverhältnis am Golf im Status quo zu erhalten. Katar sieht sich hier gemeinsam mit Saudi- Neben diesem indirekten Einfluss, der noch zu erörtern sein wird, reagierte man in Katar auch als Mitglied des Golfkooperationsrats 18 19 20 21 44 Mambrey, Alina: Katar, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, September 2011, S. 161. Steinberg, Guido: Qatar and the Arab Spring. Support for Islamists and New Anti-Syrian Policy, in: SWP Comments, Nr. 7 (2012), S. 4f. Vgl. Tyler, Patrick E.: Two Said to Tell Of Libyan Plot Against Saudi, New York Times, 10. Juni 2004, http://www.nytimes.com/2004/06/10/world/two-said-to-tell-of-libyan-plot-against-saudi.html, abgerufen am 30.07.2012. In Bahrain jedoch waren es neben den wirtschaftlichen und sozialen Missständen auch die Forderung nach mehr Mitsprache, besonders für die Schiiten im Land, die zwar zahlenmäßig in der Mehrheit sind, jedoch von der sunnitischen Herrscherfamilie Al-Khalifa regiert werden. Deutsches Orient-Institut Katar Arabien in der Verantwortung, eine Führungsrolle bei der reaktionären Politik als „Gegenrevolutionär“ einzunehmen. Eines der Ziele ist es, die sunnitische Vormachtstellung zu sichern. Aufgrund der Ereignisse in Bahrain befürchtete auch die katarische Regierung einen möglichen „Spill-Over-Effekt“, der zu sozialen und konfessionellen Unruhen im eigenen Land führen könnte und unterstützte daher die militärische Aktion des GKR, Truppen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Bahrain senden. Auch Katar beteiligte sich mit einer militärisch zu vernachlässigenden, aber symbolischen Truppeneinheit an dem Einmarsch. Der Bahrain-Konflikt kann auch im Hinblick auf das ambivalente Verhältnis zu Saudi-Arabien als Kehrtwende für Katar bezeichnet werden, indem beide Länder die Bereitschaft zeigten, eng zusammenzuarbeiten, um eine mögliche Bedrohung der eigenen Herrschaft abzuwenden. Katar verfolgte hiermit nicht nur eine außenpolitische Stabilisierungsstrategie, sondern setzte auch ein innenpolitisches Signal, bereits präventiv zu verdeutlichen, innere Unruhen nicht zu dulden. Dies stärkte Katars Rolle als Stabilisator, zeigte aber auch, dass die angesprochenen Reform- und Liberalisierungsmaßnahmen nur in bestimmten Grenzen realisiert werden und die Machtlegitimation des Herrscherhauses nicht beeinträchtigen dürfen. Die immanenten Probleme in Bahrain wurden dadurch jedoch nicht gelöst22. Dieser Umgang mit den konfliktreichen Transformationsprozessen verdeutlicht, inwieweit sich die katarische Außenpolitik verändert hat. Möglicherweise ergab sich für die Herrscherfamilie aus der Notwendigkeit des Machterhalts auch das Erfordernis, sich außenpolitisch klarer zu positionieren. Der außenpolitische Fokus verschob sich nunmehr in Richtung sicherheitspolitischer Fragen, besonders in Zusammenarbeit mit dem Golfkooperationsrat. Für den Westen rückte Katar nun in die Position eines verlässlichen Partners. Andererseits bleibt abzuwarten, wie man sich von schiitischer Seite zum Emirat verhalten wird. Kritik gab es indes auch an der neuen außenpolitischen Strategie Katars. Besonders die klare Unterstützung von islamistischen Gruppierungen für die möglichen zukünftigen politischen Systeme in Tunesien oder Libyen erzeugte gespaltene Meinungen innerhalb 22 23 der internationalen Gemeinschaft. Beispielsweise unterstützte Katar im prärevolutionären Libyen hochrangige islamistische Akteure. Dieser politischen Unterstützung folgten sogleich wirtschaftliche Investitionen, wie der Ankauf von 49% der Anteile an der libyschen Handels- und Entwicklungsbank. Gerade dieser Eingriff in die Wirtschafts- und Finanzsektoren schürte die Angst in Libyen und anderen arabischen nordafrikanischen Staaten, Katar könnte seinen Einflussbereich in zu starkem Maße nach Nordafrika ausweiten. Auch in Tunesien knüpfte man Verbindung zur islamistischen Ennahda-Partei, die dort als Sieger aus den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung im Oktober 2011 hervorging. Als Konsequenz unterzeichnete man im Februar 2012 gegenseitige Absichtserklärungen für gemeinsame Investitionen und Zusammenarbeit in Tunesiens Mineralsektor. Fraglich bleibt, wie stark Katars Einfluss in Nordafrika besonders bei politischen Fragen zukünftig sein wird23. Nach dem Libyenkonflikt deutete sich schon an, dass Katar verstärkt die Nähe zum Westen und den anderen Golfkooperationsrats-Staaten, vor allem zu Saudi-Arabien, suchte. Was dieser Schwenk in der Außenpolitik allerdings für die Beziehung zu Iran bedeutet, lässt sich bislang noch kaum absehen. Katar versuchte bisher, sich nicht zu eindeutig gegen Iran zu positionieren. Allerdings scheint es, als könne Katar weder im Bahrainnoch im Syrien-Konflikt diese Neutralität aufrechterhalten. Die deutliche Verschärfung der Situation in Syrien zwingt auch Katar, sich eindeutig zu positionieren. Blieb zu Beginn der Aufstände, als eine Eskalation der Gewalt noch nicht drohte, die katarische Haltung eher moderat, indem im Rahmen des GKR Reformen vom syrischen Präsidenten Bashar al-Assad gefordert wurden, proklamierte Katar gemeinsam mit Saudi-Arabien schnell den Sturz des Regimes, nachdem sich die Gewalt verschärft hatte. Katar hatte auch in Syrien mehrere Milliarden insbesondere in den Immobiliensektor investiert, sodass zumindest die wirtschaftlichen Beziehungen als verhältnismäßig kooperativ bewertet werden konnten. Syrien wiederum hatte es vor allem Katar zu verdanken, dass sich die arabische Welt wieder dem Land zuwendete, als man im LibanonKonflikt mitvermittelte. Im Juli 2011 aber schloss Katar, als erster Golfstaat, seine Bot- Vgl. Mambrey, Alina: Katar, in: Deutsches-Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, September 2011, S. 165. Gavin, James: Mediation strategy under scrutiny, in: MEED, Bd. 56, Nr. 20 (2012). S.32-33. Deutsches Orient-Institut 45 Katar schaft in Damaskus. Zum einen setzte man dadurch ein Zeichen gegen die Gewalt, zum anderen gab es wohl Unstimmigkeiten zwischen der katarischen Herrscherfamilie und dem Assad-Regime aufgrund der negativen medialen Berichterstattung.24 Weiterhin fürchtete Katar ein Erstarken der schiitischen Bewegung in der Region, was neben Bahrain auch Katar selbst destabilisieren könnte. Im November 2011 suspendierte man Syrien dann schließlich, hauptsächlich aufgrund saudisch-katarischer Forderungen, aus der Arabischen Liga. Spätestens seit diesem Zeitpunkt trat Katar als entschiedener Gegner al-Assads auf und bildet eine der wichtigsten Kräfte der Anti-Syrien-Allianz innerhalb der Arabischen Liga. Die Tragweite dieses außenpolitischen Schrittes kann derzeit noch nicht abgesehen werden. Zwar unterstützte Katar schon die Protestbewegungen in diversen Transformationsländern, im Syrienkonflikt aber tritt die Regierung als entschiedener Gegner des Regimes und als Unterstützer der Opposition auf. Im Gegensatz zum Vorgehen in Libyen erfolgt dies nicht mehr über diskrete Kanäle oder indirekte Unterstützung, sondern offiziell, medienwirksam und sehr konkret, wie die Forderung des Emirs von Katar bereits im Januar 2012 nach einem militärischen Eingriff in Syrien deutlich machte25. Auch die zukünftigen Beziehungen zu Iran könnten sich durch diese Entwicklungen dauerhaft verändern, da dieser als engster Verbündeter des Assad-Regimes gilt. Das harsche rhetorische Vorgehen Katars gegen Bashar al-Assad sowie unbestätigte Vermutungen, Katar könne Waffen an syrische Oppositionelle liefern, verstärkt den Eindruck, dass sich das einst kühle aber zumindest kollegiale Verhältnis zu Iran deutlich verschlechtern wird. Dies könnte insbesondere im Falle einer drohenden Eskalation um das iranische Atomprogramm und der verhärteten Fronten in der Syrienpolitik Katar gefährden. Geriete die gesamte Region in einen militärischen Konflikt, würde das kleine, geostrategisch wichtige Katar zum ersten Frontstaat gegen Iran. Zumindest zeigen die regionale Dimension des Syrienkonflikts und die Reaktion 24 25 26 27 28 46 Katars, unter welchen Druck das Emirat geraten ist. Besonders die Forderung nach einem militärischen Eingreifen in Syrien verändert die Position des kleinen Emirats grundlegend von einem relativ neutralen Vermittler zum Interessenvertreter, der sich eindeutig positioniert und seine Mediatorenfunktion (auch gezwungenermaßen) aufgibt. Die bewusste Entscheidung, sich auf die anti-iranische Seite zu stellen, schafft zwar eine gewisse Einheit unter den Golfstaaten und schützt möglicherweise die monarchischen Herrschaftssysteme, im Umkehrschluss könnten daraus jedoch neue Probleme im großen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten entstehen, die sich bereits im konfessionellen Bürgerkrieg in Syrien abzeichnen. II.6 Beziehungen zu Deutschland und der EU Mit der EU und gerade mit Deutschland pflegt Katar sehr gute auf gegenseitiger wirtschaftlicher Zusammenarbeit beruhende Beziehungen. Politische und ideologische Fragen treten zumeist in den Hintergrund. Die Beziehungen gestalten sich größtenteils als Besuche deutscher Politiker und hochrangiger Unternehmer in Doha. Deutsche Produkte sind in Katar sehr beliebt. Deutschland ist neben den USA zweitgrößter Exporteur nach Katar mit 9,2% der Gesamteinfuhren 2010. Ein Investitionsförderungsvertrag zwischen Deutschland und Katar ist 1999 in Kraft getreten. Über ein Doppelbesteuerungsabkommen wird noch verhandelt.26 Geschätzt wird seitens Katar besonders die Qualität deutscher Produkte, was zu mehreren Investitionen in deutsche Firmen führte. So hält der Emir beispielsweise große Anteile an VW und Porsche.27 Mittlerweile leben und arbeiten viele Deutsche in Katar, meist in der Hauptstadt Doha. Seit 2008 gibt es eine deutsche Privatschule in Doha.28 Besonders starke Zusammenarbeit gibt es in den Sektoren Maschinenbau, medizinische Gerätschaften und Infrastruktur. Angesichts der großen infrastrukturellen Herausforderungen, die die Austragung der WM 2022 mit sich bringen wird, setzt Katar vermehrt auf das Know-how deutscher Firmen, darunter Siemens, DB International und HOCHTIEF. Vgl.: Steinberg, Guido: Katars neue Syrien-Politik. Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für Deutschland, in: In Führung gehen. Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen? (=Internationale Politik Bd. 67, Nr. 3 (2012)), S.82-88. Siehe Al Jazeera: Qatar's emir suggests sending troops to Syria, 14. Januar 2012, http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2012/01/20121146422954697.html, abgerufen am 30.07.2012. GTAI: Wirtschaftsdaten kompakt: Katar, Mai 2012, http://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Fachdaten/MKT/2007/10/mkt20071022100317_12895.pdf, abgerufen am 08.08.2012. Siehe Spiegel Online: Einstieg von Katar bei VW ist perfekt, 14. August 2009, http://www.spiegel.de/wirt schaft/investionen-einstieg-von-katar-bei-vw-ist-perfekt-a-642533.html, abgerufen am 08.08.2012. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Doha, Vorstellung der Deutschen Internationalen Schule Doha, http://www.doha.diplo.de/Vertretung/doha/de/DISD-Steckbrief-dt.html, abgerufen am 08.08.2012. Deutsches Orient-Institut Katar III. Katars neue Rolle in der internationalen Gemeinschaft – Chancen und Probleme Gerade durch die wirtschaftliche Stärke der Golfstaaten und dem starken Bevölkerungszuwachs der letzten Jahre kristallisiert sich eine im Vergleich zur Vergangenheit sehr unterschiedliche Machtkonstellation im Nahen und Mittleren Osten heraus. Die Golfstaaten gerieren sich zwar in ihrer politischen Ausrichtung zumeist prowestlich und pflegen gute außenpolitische Beziehungen zu den USA, sind aber keineswegs als „prowestlicher Block“ gegen Russland und China zu begreifen. So erlangen die Wirtschaftsbeziehungen zu beiden Globalmächten immer wichtigere Bedeutung und setzen sich über ideologische und religiöse Grenzen oder Animositäten hinweg, ohne die inneren arabischen Heterogenitäten aufzuheben, was viele bereits etwas martialisch als neuen „Kalten Krieg“ bezeichnen.29 Am Beispiel von Katar sieht man, dass eine direkte Parteinahme erst dann erfolgte, wenn die Herrscherfamilie ihre Machtbasis ernsthaft bedroht sieht. Oberstes Ziel wird es auch in Zukunft für das Land sein, durch wirtschaftliche Stabilität auch politische Stabilität zu schaffen. Falls jungen Demokratien wie in Tunesien oder Ägypten der Weg aus der fragilen Transitionsphase in einen stabilen, wirtschaftlichen Aufschwung gelingt, sich die islamistischen Wahlsieger von ihren sunnitisch-wahhabitischen Gönnern aus der Golfregion emanzipieren und sich eine stärkere Zivilgesellschaft herausbildet, könnte dies weit reichende soziale Probleme für die dynastischen Herrschaften der Golfstaaten und ihre Legitimation mit sich führen. Katar könnte hier in Zukunft eine Transmitterrolle innerhalb der arabischen Welt übernehmen und als „ehrlicher Makler“ zwischen „neuen Demokratien“ und reaktionären Monarchien verhandeln, wenn es dazu bereit ist. Katar könnte so möglicherweise auch 29 30 Saudi-Arabien von punktuellen Reformen überzeugen. Auch aufgrund wirtschaftlicher Zwänge muss dem Emirat daran gelegen sein, zukünftige Konflikte innerhalb der Region zu entschärfen. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Katar und Europa könnte auch zu einem steigenden Einfluss auf die saudische Außenpolitik führen, was vor allem die iranisch-saudischen Spannungen entschärfen könnte. Die rasante Entwicklung Katars in den letzten Jahren kann man für das Land selbst als eine Erfolgsgeschichte bezeichnen. Ihm ist es gelungen, als eigenständiger außenpolitischer Akteur aufzutreten und somit ein weiteres Alleinstellungsmerkmal in der Golfregion zu entwickeln. Das Land hat sich im Zuge des „Arabischen Frühlings“ als wichtiger politischer Faktor der Region herauskristallisiert. Aber gerade die Parteinahme für einen militärischen Einsatz in Syrien und damit die Abwendung von ihrer „Neutralität“ und ihrer Zurückhaltung muss dazu führen, die geostrategischen Interessen Katars differenzierter zu analysieren und zu hinterfragen. Katar agiert keineswegs als selbstloser Akteur zugunsten einer ausgleichenden Stabilitätspolitik, sondern verfolgt mit gewachsenem Selbstbewusstsein eigene Interessen, um einerseits den außenpolitischen Einfluss auszubauen und andererseits die innenpolitische Situation zu stabilisieren. Diese geänderte Selbstwahrnehmung müssen auch internationale Akteure wie Europa oder Deutschland berücksichtigen, wenn sie in Zukunft Einfluss auf die geopolitische Gestaltung des Nahen und Mittleren Ostens nehmen wollen. Hierfür bleibt Katar ein wichtiger, aber zusehends schwieriger Partner.30 Durch immer größeren wirtschaftlichen und politischen Einfluss kommt auf das Land auch größere Verantwortung zu. Wie man damit umgeht, werden auch die kommenden Ereignisse um den Syrienkonflikt zeigen. Edgar Zedler Dazu, u. a.: Bank, Andre / Mohns, Erik: The New Arab Cold War: rediscovering the Arab dimension of Middle East regional politics, in: Review of International Studies, Bd. 38, Nr. 1, S. 3-24., 2011. Steinberg, Guido: Katars neue Syrien-Politik. Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für Deutschland, in: In Führung gehen. Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen? (=Internationale Politik Bd. 67, Nr. 3 (2012)), S. 88. Deutsches Orient-Institut 47 Katar IV. Quellenangaben FROMHERZ, ALLEN J.: Qatar. A Modern History, London 2012. PETERSON, J. E. : Qatar and the World. Branding for a Micro-State, in: MEJ,, Bd. 60, Nr. 4 (2006). RATHMELL, ANDREW / SCHULZE, KIRSTEN: Political Reform in the Gulf. The Case of Qatar, in: MES, Bd. 36, Nr. 4 (2000), S. 47-62. MILES, HUGH: Al Jazeera, in: Foreign Policy, Nr. 155 (2006), S. 20-24. EL OIFI, MOHAMMED: Der Al-Dschasira-Effekt. Globale politische Plattform und öffentlicher Raum für die arabische Welt, in: Le Monde diplomatique „Arabische Welt. Ölscheichs, Blogger, Muslimbrüder“, Nr. 4 (2012). BLANCHARD, CHRISTOPHER M: Qatar: Background and U.S. Relations, in: CRS Report for Congress, Mai 2011. BURKE, EDWARD: ‚One blood and one destiny’? Yemen’s relations with the Gulf Cooperation Council, in Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf States, Bd. 23, Juni 2012. NIETHAMMER, KATJA: Katar als arabischer Konfliktmediator. Neuer Hoffnungsträger oder Gernegroß?, in: GIGA Focus, Nr. 8 (2010). MAMBREY, ALINA: Katar, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.:): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, September 2011. STEINBERG, GUIDO: Qatar and the Arab Spring. Support for Islamists and New Anti-Syrian Policy, in: SWP Comments, Nr. 7 (2012) GAVIN, JAMES: Mediation strategy under scrutiny, in: MEED, Bd. 56, Nr. 20 (2012). S.32-33. STEINBERG, GUIDO: Katars neue Syrien-Politik. Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für Deutschland, in: In Führung gehen. Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen? (=Internationale Politik Bd. 67, Nr. 3 (2012)), S.82-88. 48 Deutsches Orient-Institut Vereinigte Arabische Emirate A I. Außenpolitische Prioritäten rtikel 10 der Verfassung erläutert das oberste Ziel der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die Sicherheit, Unabhängigkeit und Souveränität der Föderation zu schützen und gegen jegliche Vereinnahmung von außen zu bewahren: “The aims of the Union shall be the maintenance of its independence and sovereignty. The safeguard of its security and stability. The defence against any aggression upon its existence or the existence of its member states. The protection of the rights and liabilities of the people of the Union. The achievement of close co-operation between the Emirates for their common benefit in realising these aims and in promoting their prosperity and progress in all fields. The provision of a better life for all citizens together with respect by each Emirate for the independence and sovereignty of the other Emirates in their internal affairs within the framework of this Constitution.”1 Die Außenpolitik der VAE wird von drei Faktoren beeinflusst: I.1 Bevölkerungsstruktur Die Staatsangehörigen der VAE selbst bilden eine verschwindend geringe Minderheit in ihrem eigenen Land. Derzeitige Schätzungen geben den Anteil emiratischer Staatsangehöriger an der Gesamtbevölkerung mit 1015% an, Tendenz sinkend2. Die große Mehrheit der Bevölkerung bilden Arbeitsmigranten aus über 100 Nationen, die Mehrzahl von ihnen stammt aus Indien und Pakistan. Aufgrund dessen haben die VAE einen außenpolitischen Kurs eingenommen, der darauf ausgelegt ist, sich mit den „großen Nachbarn“ friedlich zu arrangieren. Seit der Unabhängigkeit sind die VAE in ihrer Außenpolitik neben wirtschaftlichen vor allem auf sicherheitspolitische Interessen fokussiert. Die Gründung der Föderation war nicht ohne Spannungen vonstatten gegangen: SaudiArabien weigerte sich, die neue Föderation anzuerkennen, da es ungeklärte Grenzstrei- 1 2 3 4 5 tigkeiten mit Abu Dhabi über die Al-BuraymiOase gab. Auch Iran und Oman machten den VAE einige Territorien streitig. Da die VAE ein relativ kleiner, aber wirtschaftlich einflussreicher Staat sind, haben sie früh erkannt, dass sie ihre diplomatischen Beziehungen vor allem mit den großen, einflussreichen Staaten friedlich ausrichten müssen. Daher waren die VAE in regionalen Krisen immer darauf bedacht, einen Übergriff des Konfliktes auf das eigene Territorium zu verhindern3. I.2 Geographische Lage Im Südosten der Arabischen Halbinsel, liegen die VAE an der strategisch wichtigen Straße von Hormuz, dem Hauptlieferweg der weltweiten Öllieferungen. Diese geostrategische Schlüssellage macht die VAE zu einem Haupttransitpunkt für den Import und Re-Export von Gütern und zu einem Knotenpunkt der Weltwirtschaft zwischen der arabischen Halbinsel, Asien und Afrika. Diese Lage hat den VAE, neben dem Ressourcenreichtum, erheblichen wirtschaftlichen Einfluss verschafft. Doch die geostrategische Lage hat auch dazu geführt, dass besonders Dubai zur Zielscheibe krimineller Geschäfte, darunter Drogenschmuggel, Menschenhandel und Geldwäsche, geworden ist. I.3 Ressourcenreichtum Die VAE belegen weltweit den dritten Platz der größten Ölvorkommen. Mit 97 Millionen Barrel entspricht dies etwa 10% der weltweiten Ölreserven. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug im Jahr 2010 56.485 USD4. Damit sind sie nach Saudi-Arabien die größte Volkswirtschaft in der arabischen Welt. Öl- und Gaseinnahmen tragen aber nur zu 30-35% zum BIP bei. Die restlichen Einnahmen stammen aus dem Industrie- und Dienstleistungssektor und dem Re-Export. Innerhalb der Emirate gibt es jedoch gravierende Verteilungsunterschiede: Abu Dhabi nimmt nicht nur 85% der Gesamtfläche der VAE ein, das Emirat besitzt auch knapp 90% der Ölreserven des Staates. Dubai besitzt kaum Öl- und Gasvorkommen und hat daher früh seine geostrategische Lage als Wirtschaftsstandort klug ausgespielt. Seit der Finanzkrise 2008/2009 lässt sich eine generelle Machtverschiebung zugunsten Abu Dhabis beobachten5. Diese Verschiebung http://www.unhcr.org/refworld/category,LEGAL,,,ARE,48eca8132,0.html, abgerufen am 13.08.2012. BelkaÏd, Akram: Die importierte Mehrheit. In den Emiraten fürchten die Scheichs eine Überfremdung durch Gastarbeiter, in: Edition Le Monde diplomatique, N° 11/2012, S. 71. http://countrystudies.us/persian-gulf-states/91.htm, abgerufen am 10.08.2012. http://hdrstats.undp.org/en/indicators/62006.html. Dubai war damals auf Milliardenkredite aus Abu Dhabi angewiesen. Deutsches Orient-Institut 49 VAE hatte beispielsweise direkten Einfluss auf die Haltung der VAE zum Handelsgeschäft mit Iran, worauf im späteren Verlauf noch näher eingegangen wird. sorgte. 1994 weigerten sich die VAE, aus Solidarität für die Palästinenser, den Boykott auf das Handelsgeschäft mit Israel aufzuheben und traten damit Katar und Bahrain entgegen. Neben sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen ist die Außenpolitik der VAE zudem von einem hohen humanitären Engagement geprägt. Mit Artikel 12 der Verfassung verschreiben sich die VAE der Unterstützung arabischer und islamischer Interessen. Weiterhin erklären sie sich allen Nationen der Welt als freundschaftlich zugetan und den Prinzipien der UN-Charta verpflichtet: Der außenpolitische Kurs der VAE, der in der Literatur auch als “constructive engagement“ bezeichnet wird8, ist stark beeinflusst vom Regierungsstil des “Gründungsvaters der Nation”, Sheikh Zayed bin Sultan Al Nahyan. Bei der Gründung der Föderation hatten sich die einzelnen Herrscher darauf geeinigt, dass Sheikh Zayed die Verantwortung für die gemeinsame Außenpolitik tragen sollte, was er bis zu seinem Tod im Jahre 2004 auch tat. Dadurch wies die außenpolitische Strategie über einen langen Zeitraum eine bemerkenswerte Kontinuität auf9. Das Bemühen Sheikh Zayeds um kontinuierlichen Austausch und Konsensfindung lässt sich dabei auch auf die Debattenkultur der Beduinen zurückführen10. “The foreign policy of the Union shall be directed towards support for Arab and Islamic causes and interests and towards the consolidation of the bonds of friendship and cooperation with all nations and peoples on the basis of the principles of the charter of the United Nations and ideal international standards.”6 Die VAE investieren hohe Summen aus den Einnahmen des Öl- und Gasgeschäfts in Entwicklungshilfe und Katastrophenschutz für arabische und/oder muslimische Völker, teils aus Solidaritätsbekundung, teils aus wirtschaftlichen Interessen, um neue Partnerschaften aufzubauen. Ihr humanitäres Engagement hat den VAE in vielen Ländern ein hohes Ansehen verschafft. Außenpolitisch pflegen die VAE die engsten Beziehungen zu den anderen Golfstaaten. Die VAE sind Mitglied des Golfkooperationsrates (GKR)7 und sind den anderen Mitgliedsstaaten aufgrund ihrer kulturellen, sprachlichen, religiösen und politischen Gemeinsamkeiten freundlich zugetan. Dennoch haben sich die VAE bei politischen Entscheidungen wiederholt vom allgemeinen Kurs des GKR abgewandt, was teilweise zu Spannungen mit den anderen Mitgliedern führte. Ein Beispiel hierfür war die Kritik der VAE an den Sanktionen gegen den Irak in den 1990er Jahren, was bei Kuwait für Unverständnis 6 7 8 9 10 11 50 Die VAE genossen in der Vergangenheit international Anerkennung aufgrund ihrer um Ausgleich bemühten Politik und ihrem hohen humanitären Engagement. Ihr zweischneidiges Verhalten während des „Arabischen Frühlings” brachte ihnen jedoch international Kritik ein: Die VAE hatten 500 eigene Polizeikräfte zur Unterstützung der 1.000-Mann-starken saudi-arabischen Truppen nach Bahrain gesandt, um die Aufstände gegen die sunnitische bahrainische Regierung niederzuschlagen und das Regime an der Macht zu halten. In Libyen beteiligten sie sich jedoch neben Katar als einziger arabischer Staat aktiv am Sturz Muammar al-Gaddafis und leisteten umfangreiche humanitäre Hilfe. Hier ließen sich die VAE von ihrer sicherheitspolitischen Prämisse leiten: Hätten die Aufständischen in Bahrain einen Systemwechsel hervorgerufen, wären die anderen Golfstaaten mit hoher Wahrscheinlichkeit mit ähnlichen Aufständen konfrontiert worden. Das Potential dazu ist in den VAE durchaus vorhanden: Die Gastarbeiter werden allenfalls geduldet und arbeiten unter teils unmenschlichen Bedingungen11. Emiratische Bürger http://www.unhcr.org/refworld/category,LEGAL,,,ARE,48eca8132,0.html, abgerufen am 13.08.2012. Der Golfkooperationsrat (GKR) wurde 1981 in Abu Dhabi durch Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman gegründet. Die Schaffung des GKR war eine direkte Folge der Islamischen Revolution in Iran 1979 und dem Ausbruch des Iran-Irak-Krieges 1980-1988. Die arabischen Golfmonarchien sollten ein Gegengewicht zum schiitischen Iran bilden. Al-Mashat, Abdul Monem: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United Arab Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab States: The Challenge of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010, S. 457. Ebd., S. 458. Hermann, Rainer: Die Golfstaaten. Wohin geht das neue Arabien?, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 2011, S. 39. Penquitt, Denise: Vereinigte Arabische Emirate, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, S. 154. Deutsches Orient-Institut VAE beklagen die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten. Inspiriert von den Aufständen in Tunesien und Ägypten und dem damit einhergehenden hohen Mobilisierungsgrad versuchten auch in den VAE Bürger ihre Rechte einzufordern: 133 Unterzeichner einer Onlinepetition forderten im März 2011, den Bundesnationalrat aus freien und direkten Wahlen hervorgehen zu lassen und seinen Einfluss zu stärken. Die Zahl von 133 Menschen wurde anfänglich zwar etwas belächelt, aber diese Petition war die wahrscheinlich erste politische Bewegung in der Geschichte des Landes – und das in Abu Dhabi, dem reichsten Emirat. Vielleicht sollte man deswegen auch von immerhin 133 Menschen sprechen. Bei den Unterzeichnern handelte es sich um emiratische Intellektuelle und Menschenrechtsaktivisten, die, trotz oder gerade wegen ihres hohen Lebensstandards, auch politische Mitbestimmung forderten. Weil aber viele emiratische Staatsbürger Konsequenzen in Form von repressiven Maßnahmen fürchteten, verweigerten sie ihre Unterschrift. Insgesamt gesehen kann aber von keiner Bewegung oder gar Revolution gesprochen werden. Es gibt weder einen konkreten Auslöser, der zu einer Revolution geführt hätte, noch eine Führungspersönlichkeit, die sich in dieser besonders hervorgetan hätte. Wenn überhaupt, so muss von einer marginalen Protestbewegung gesprochen werden, die vielmehr durch Einzelaktionen als durch organisierte und zielgerichtete Massenproteste geprägt war. Nicht unterschätzt werden sollte auch das Konfliktpotenzial durch die schiitische Minderheit, deren Anteil etwa 19% beträgt12. II. Die Beziehungen zum Irak Seit der Gründung der Föderation im Jahr 1971 hat sich die Irakpolitik der VAE entschieden gewandelt. Zunächst waren sie darum bemüht, freundschaftliche Beziehungen mit dem Irak aufzubauen. Der Irak, ebenfalls ein Mitglied der OPEC-Staaten und ein einflussreicher arabischer Staat am Golf, stellte ein wichtiges Gegengewicht zum wachsenden Einfluss der iranisch-schiitischen Einflusssphäre am Golf dar. Die bilateralen 12 13 14 15 Beziehungen wurden jedoch nie so eng wie mit den anderen Golfstaaten, vornehmlich aufgrund des grundlegend verschiedenen politischen Systems des Iraks. Bei Ausbruch des Iran-Irak-Krieges 1980 blieben die VAE zunächst formell neutral, als Mitglied des GKR schlugen sie sich jedoch auf die Seite Iraks, da sie eine Erstarkung der schiitischen Macht in der Golfregion fürchteten. Sheikh Zayed versuchte sogar, zwischen den beiden Parteien zu vermitteln, um eine schnelle Befriedung und damit die Stabilität der Golfregion insgesamt wieder herzustellen. Im Verlauf des Iran-Irak-Krieges kam es zu Spannungen innerhalb der VAE, da Dubai zunehmend seine Sympathie für Iran bekundete13. Nach dem Ende des Krieges 1988 blieben die Beziehungen zum Irak zunächst freundschaftlich, wenngleich die Anschuldigungen Saddam Husseins, die VAE würden die von der OPEC festgelegten Förderquoten für Rohöl überschreiten und damit den Weltmarktpreis drücken, mit Besorgnis aufgenommen wurden. Hintergrund für diese Vorwürfe war die hohe Verschuldung des Iraks bei seinen arabischen Nachbarstaaten während des Ersten Golfkrieges. Die irakische Wirtschaft war auf den Verkauf von Erdöl zu hohen Preisen angewiesen, da der Staat nicht in der Lage war, die Fördermenge kurzfristig zu steigern14. Die freundschaftlichen Beziehungen der VAE zum Irak änderten sich schlagartig mit dem Ausbruch des Zweiten Golfkrieges 1990. Die irakische Invasion Kuwaits nahmen die VAE als Angriff auf die regionale Sicherheit und Stabilität und damit als Bedrohung ihrer obersten Prämisse. Zudem befürchteten sie aufgrund der vorherigen Anschuldigungen, dass der Irak auch versuchen würde, die VAE zu besetzen. Dieses Bedrohungsszenario hat zu einer generellen Umorientierung der Außenpolitik geführt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die VAE immer ausdrücklich gegen eine ausländische Militärpräsenz in der Golfregion ausgesprochen. Bei der Zerschlagung der irakischen Truppen waren sie nun jedoch auf internationale Unterstützung angewiesen, da sie über keine starke nationale Armee verfügten15. Die VAE gehörten infolgedessen zu den Al-Mashat, Abdul Monem: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United Arab Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab States: The Challenge of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010, S. 460. http://countrystudies.us/persian-gulf-states/91.htm, abgerufen am 10.08.2012. Trautner, Bernhard J.: Der Konflikt um Kuwait, in: Pfetsch, Frank R. (Hrsg.): Konflikte seit 1945. Daten – Fakten – Hintergründe. Die Arabisch – Islamische Welt, Freiburg – Würzburg 1991, S. 90 ff. Die Armee besteht lediglich aus etwa 60.000 Personen und setzt sich größtenteils aus Nicht-Einheimi schen zusammen, eine Vielzahl von ihnen stammt aus dem Oman. Siehe hierzu Davidson, Christopher M.: The United Arab Emirates, in: Ders. (Hrsg.) Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 23 ff. Deutsches Orient-Institut 51 VAE ersten Staaten, die sich für eine militärische Aktion gegen den Irak einsetzten und beteiligten sich an der UN-gestützten Mission. Mit dem Zweiten Golfkrieg begann aber auch die Abhängigkeit der VAE von ausländischer Militärpräsenz, insbesondere der USA. Nach der Zerschlagung der irakischen Truppen befürworteten die VAE die regionale Integrität Iraks. Die Sanktionen, die dem Irak in den 1990er Jahren auferlegt wurde, kritisierten die VAE als ineffektiv. Die VAE waren sich der zukünftig wichtigen Rolle des Iraks in der Region sicher und befürchteten dessen zunehmende Isolierung. In den 1990er Jahren wichen die VAE weiter von dem Irakkurs des GKR ab und handelten sich dafür zunehmende Kritik von Kuwait ein. Davon überzeugt, dass vor allem die irakische Bevölkerung unter den Sanktionen zu leiden habe, stellten die VAE durch die Gesellschaft Roter Halbmond Hilfsgelder für den Irak bereit. Auch die diplomatischen Beziehungen beider Länder wurden mit der Eröffnung von Botschaften in Bagdad und Abu Dhabi Anfang 2000 wieder aufgenommen. Die VAE setzten sich auch in den Folgejahren für die Integration des Iraks in die arabische und internationale Gemeinschaft ein. Im März 2003, kurz vor der US-amerikanischen Invasion des Irak, versuchten die VAE auf dem Irak-Gipfel der Arabischen Liga im ägyptischen Sharm el-Sheikh vergebens, eine militärische Intervention abzuwenden. Sie hatten Saddam Hussein das Exil und der irakischen Führung Straffreiheit angeboten, wenn diese innerhalb von zwei Wochen das Land verlassen und den Weg für die Bildung einer Übergangsregierung unter Aufsicht der UN und der Arabischen Liga frei machen würden. Der Vorschlag wurde jedoch von der irakischen Delegation und der Mehrzahl der anwesenden arabischen Regierungsführer abgelehnt16. Der Sturz Saddam Husseins durch die Amerikaner im Mai 2003 wurde von den VAE ambivalent beurteilt. Zum einen befürchteten die VAE eine erneute Destabilisierung der gesamten Region, zum anderen erhoffte sich die Regierung der VAE nun die Etablierung eines „kooperativeren“ politischen Systems im Irak und eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen unter der zukünftigen irakischen Führung. 16 17 18 52 Die VAE haben die USA finanziell erheblich bei der Stabilisierung des Irak in den Folgejahren unterstützt: So stellten sie allein für die Ausbildung von Polizeikräften 215 Mio. USD bereit. 2008 erklärten die VAE anlässlich eines Besuches des irakischen Premierministers Nuri al-Malki, dass dem Irak sämtliche Schulden in Höhe von 4 Mrd. USD erlassen werden17, um den politischen Prozess zu stützen und den Wiederaufbau des Landes zu erleichtern. Im selben Jahr erklärte die Regierung der VAE, dass die Botschaft in Bagdad wieder eröffnet werden soll. Die VAE wollen in Zukunft ihre Handelsbeziehungen vor allem im Nordirak weiter intensivieren. Irak ist mittlerweile der achtgrößte Handelspartner Dubais18. Das Handelsgeschäft Dubais mit dem Irak außerhalb des Ölsektors stieg zwischen 2008 und 2010 um 32,6% an. III. Die Beziehungen zu Iran Die meisten GKR-Staaten sind der Meinung, dass die militärische Kooperation mit westlichen Staaten für die regionale Stabilität der Golfregion erforderlich ist. Die ausländische Militärpräsenz und damit Einflussnahme der westlichen Staaten wird aber von der iranischen Führung angeprangert und hat zum Teil zu einer wachsenden Ausbreitung pro-iranischer Ideologien im Mittleren Osten geführt. Nichtsdestotrotz sind die bilateralen Beziehungen weiterhin gut, was vor allem daran liegt, dass die VAE bewusst zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen unterscheiden. In Bezug auf Iran stoßen in den VAE oft die Positionen Abu Dhabis (sicherheitsorientiert) und Dubais (handelsorientiert) aufeinander. Die sicherheitspolitische Stimme Abu Dhabis setzte sich in den letzten Jahren durch. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der VAE zu Iran reichen mehrere Jahrtausende zurück. Beide Völker betrieben in der Geschichte einen regen Austausch und Handel. Dubai ist die Heimat der zweitgrößten iranischen Diasporagemeinde weltweit, welche das wirtschaftliche und kulturelle Leben Dubais entscheidend mitprägt. Dubais Verbindung zu Iran geht zurück auf den Anfang des 19. Jahrhunderts, als iranische Händler aus Frust über die Zentralisierung in Teheran und die politische Verfolgung von http://www.spiegel.de/politik/ausland/arabische-liga-saddams-exil-und-der-gaddafi-eklat-a-238404.html, abgerufen am 07.08.2012. http://www.mofa.gov.ae/mofa_english/portal/b074766a-5507-43c7-9beb-3155a52e25b5.aspx, abgerufen am 07.08.2012. http://www.khaleejtimes.com/DisplayArticle.asp?xfile=data/business/2011/November/business_November587.xml§ion=business&col=, abgerufen am 25.09.2012. Deutsches Orient-Institut VAE Sunniten nach Dubai emigrierten. Sie bilden heute das Rückgrat von Dubais Handels- und politischer Klasse. Die VAE verfolgen insgesamt keine stringente Politik gegenüber Iran, die bilateralen Beziehungen können als eine Mischung aus Engagement und versuchter Eingrenzung bezeichnet werden19. So stehen die VAE vor dem Konflikt, den Handel mit Iran weiter ausbauen zu wollen und sich gleichzeitig an den UN-Sanktionen gegen Iran beteiligen zu müssen. Trotz ihrer engen bilateralen Beziehungen zu den USA ließen sich die VAE lange Zeit nicht in die Sanktionspolitik gegen Iran integrieren. Aufgrund steigenden Drucks durch die Amerikaner und einer Machtverschiebung innerhalb der VAE zugunsten Abu Dhabis20 hat die Einhaltung der Sanktionen in den letzten Jahren jedoch stärker an Gewicht gewonnen. Die Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Geschäften bereitet in der alltäglichen Umsetzung jedoch oftmals Schwierigkeiten21. Die VAE vertreten allgemein die Auffassung, dass Sanktionen allein es nicht vermögen, Iran zum Einlenken im Streit um das Atomprogramm zu bewegen.22 Unter den einzelnen Emiraten herrscht keineswegs Einigkeit über die Umsetzung der dem Irangeschäft auferlegten Sanktionen. Gerade Dubai ist sehr kritisch gegenüber den Sanktionen. Die iranische Gemeinschaft in Dubai ist von immenser wirtschaftlicher Bedeutung: 2006 investierten ansässige Iraner dort etwa 200 Mrd. USD. Die Umsetzung der Sanktionen hat vor allem die Finanztransaktionen im Emirat Dubai erheblich erschwert. Das Emirat Dubai ist zudem Angelpunkt für iranische Importe und ein zentraler Transitpunkt für legale und illegale Waren, die nach 19 20 21 22 23 24 25 Iran geliefert werden. Abu Dhabi äußerte sich in der Vergangenheit weitaus kritischer gegenüber Iran und fühlte sich durch das teils provokante Verhalten Irans bedroht. In Abu Dhabi wurden seit längerem Stimmen laut, die die große iranische Gemeinde in Dubai als sicherheitspolitische Bedrohung wahrnehmen.23 Als Reaktion auf die zunehmend aggressive Haltung Irans bauten die VAE ihre strategische Allianz mit den USA weiter aus. Die Sicherheitsausgaben der VAE stiegen zwischen 2001 und 2009 von 1,4 Mrd. EUR auf 11,7 Mrd. EUR an. Die VAE sind mittlerweile einer der größten Abnehmer von USamerikanischen Waffen. Zwischen 2007 und 2010 erwarben die VAE US-amerikanische Waffen im Gesamtwert von 10,4 Mrd. USD, einzig Saudi-Arabien konnte dies noch übertrumpfen24. Größter Streitpunkt mit Iran sind neben den nuklearen Ambitionen Irans einige kleinere Inseln im Golf. Die Besetzung der drei Inseln Kleine Tunb, Große Tunb und Abu Musa durch Iran 1971 trübt die bilateralen Beziehungen bis heute. Mit dem Rückzug der Briten aus der Golfregion 1971 ergaben sich Fragen hinsichtlich der Souveränität mehrerer Territorien. Die drei umstrittenen Inseln liegen an strategisch wichtiger Stelle vor der Meerenge, der Straße von Hormuz im Golf. Zwei Tage vor Inkrafttreten des Föderationsvertrages besetzten iranische Truppen diese Inseln. Der Schah kündigte an, jegliche Besitzansprüche der VAE an den Inseln wenn nötig mit Gewalt zu verteidigen. Iran berief sich bei seinen Besitzansprüchen darauf, dass die Inseln vor der Zeit der Briten zu Iran gehört hatten.25 Der Streit um die drei Inseln eskalierte ein weiteres Mal 1992, als Iran ägyptischen Lehrern die Einreise auf Abu Musa verweigerte, da sie kein iranisches Visa vorweisen konnten. Die VAE bestanden wei- Hesseling, Bart: The Prospects of Security Cooperation in the Gulf, siehe: http://www.iss.europa.eu/ uploads/media/SecurityCooperationPersianGulf.pdf, abgerufen am 13.08.2012. Die Machtverschiebung innerhalb der Föderation zugunsten Abu Dhabis ist ein generelles Phänomen und mit dem wirtschaftlichen Einbruch Dubais durch die internationale Finanzkrise 2008/2009 zu erklären. Sadjadpour, Karim: The Battle of Dubai: The United Arab Emirates and the US-Iran Cold War, Carnegie Paper, July 2011, siehe: http://www.carnegieendowment.org/2011/07/27/battle-of-dubai-unitedarab-emirates-and-us-iran-cold-war/8kiw, abgerufen am 13.08.2012. Die VAE sind seit 1995 Mitglied des Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT) und haben aus sicherheitspolitischen Erwägungen ihre Besorgnis über das iranische Atomprogramm geäußert. Die VAE setzen zukünftig vermehrt auf Atomstrom, um ihren steigenden Energiebedarf zu decken: Bis 2020 sollen 25% des Stroms mit Atomenergie hergestellt werden. Das Außenministerium sprach sich offiziell für eine transparente Aromenergiepolitik aller Staaten aus und forderte die Abschaffung sämtlicher Atomwaffen in der Region des Mittleren Ostens. Vgl. http://www.mofa.gov.ae/mofa_ english/portal/cd1c53f8-0310-44a6-bea7-6f680723a0de.aspx, abgerufen am 07.08.2012. Katzman, Kenneth: The United Arab Emirates (UAE): Issues for U.S. Policy, Washington 2011, S. 11. Katzman, Kenneth: The United Arab Emirates (UAE): Issues for U.S. Policy, S. 13, siehe: http://www.fas.org/sgp/crs/mideast/RS21852.pdf, abgerufen am 25.09.2012. Trautner, Bernhard J.: Die Auseinandersetzungen zwischen Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten um die Souveränität über Inseln im Persischen Golf, in: Pfetsch, Frank R. (Hrsg.): Konflikte seit 1945. Daten – Fakten – Hintergründe. Die Arabisch – Islamische Welt, Freiburg – Würzburg 1991, S. 124 ff. Deutsches Orient-Institut 53 VAE terhin auf ihren Ansprüchen und erklärten sich bereit, mit der iranischen Führung zu verhandeln. Dabei erhielten sie international Rückhalt vom GKR, der Arabischen Liga und anderen internationalen Organisationen. Der Inselstreit ist nach wie vor ungelöst, beide Staaten bekräftigen ihre Besitzansprüche. Unlängst besuchte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad im April 2012 Abu Musa, die einzig bewohnte Insel unter den dreien.26 Mit den revolutionären Umbrüchen im Zuge des „Arabischen Frühlings“ Anfang des Jahres 2011 entstanden neue Spannungen, da Iran für die Schiiten unter den Aufständischen in Bahrain offen Partei ergriff. Der GKR hatte, unter Beteiligung der VAE, Truppen entsandt, um die Aufstände niederzuschlagen, einen Machtwechsel in Bahrain zu unterbinden und einen „Spill-over-Effekt“ der Aufstände in die anderen Golfstaaten zu verhindern. Iran verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte als unrechtmäßiges Vorgehen gegen eine „friedliche Erhebung“27. IV. Beziehungen zu arabischen und/oder islamischen Staaten Wie anfangs bereits erwähnt, erklären sich die VAE in ihrer Verfassung solidarisch mit allen arabischen und/oder islamischen Völkern und unterstützen diese Gemeinschaften dabei, sich politisch und wirtschaftlich weiter zu entwickeln. Dabei geht es vornehmlich um den Wunsch nach einer generellen Befriedung des gesamten arabisch-islamischen Kulturraumes als auch um eine verstärkte Zusammenarbeit der islamischen Gemeinschaft (arabisch: umma). Nach dem Zerfall der Sowjetunion begannen die VAE, intensive Beziehungen zu den muslimischen Gemeinschaften in Zentralasien vornehmlich durch Handelsbeziehungen und Investitionen aufzubauen. Aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten überlegen die VAE derzeit, verstärkt in Agrarland in Zentralasien zu investieren28. An26 27 28 29 30 31 32 54 fang der 1990er Jahre ergriffen die VAE im Tschetschenienkrieg offen Partei für die Unabhängigkeit des vorwiegend muslimischen Tschetscheniens. In den letzten Jahren haben sich die Beziehungen mit der islamischen Führung Tschetscheniens freundschaftlich entwickelt. 2011 haben die VAE mit der tschetschenischen Führung Gespräche über mögliche Investitionen im Infrastrukturbereich geführt. Im Mai 2012 sorgte eine islamische Modenschau der First Lady Tschetscheniens in Dubai für Aufsehen29. Das wachsende Engagement der VAE in Tschetschenien und zentralasiatischen Republiken wird von Russland – vor dem Hintergrund des Anstiegs islamistischer Strömungen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion – mit Misstrauen beobachtet30. IV.1 Der Nahostkonflikt In den VAE lebt eine große palästinensische Minderheit. Allein in Dubai zählte man im Jahr 2009 etwa 100.000 Personen palästinensischer Abstammung. Der überwiegende Teil von ihnen ist bereits seit mehreren Jahrzehnten dort ansässig. Gut ausgebildet, arbeiten sie in den Emiraten überwiegend als Ingenieure und in anderen technischen Bereichen. Die regelmäßigen Geldüberweisungen an Familienmitglieder in den Palästinensischen Autonomiegebieten bilden für letztere eine wichtige Einnahmequelle. Im Zuge der internationalen Finanzkrise verloren viele Palästinenser in Dubai ihre Arbeit, einige wanderten daraufhin nach Katar aus31. Auch deshalb sehen die VAE die Lösung des Nahostkonfliktes als essentiell für die Stabilisierung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens. Die Regierung zeigt sich solidarisch mit den Palästinensern und als direkt von den Auswirkungen des Konfliktes betroffen32. Die VAE unterhalten keine formalen Beziehungen mit Israel und weigern sich, den Staat anzuerkennen. Auf internationaler Bühne haben die VAE wiederholt betont, dass die Vertreibung der Palästinenser völkerrechtswidrig und ein Fall von unrechtmäßiger Be- http://www.english.alarabiya.net/articles/2012/04/17/208389.html, abgerufen am 07.08.2012. Sadjadpour, Karim: The Battle of Dubai: The United Arab Emirates and the US-Iran Cold War, Carnegie Paper, July 2011, S. 13. Die zentralasiatischen Staaten hätten den Vorteil, dass sie politisch stabiler sind als afrikanische Staaten, in denen die VAE derzeit Agrarland pachten, wie beispielsweise Sudan und Ägypten. Siehe http://www.the national.ae/news/uae-news/arab-states-must-invest-in-central-asian-farmland, abgerufen am 09.08.2012. http://www.alarabiya.net/articles/2012/03/25/203115.html, abgerufen am 09.08.2012. Tertertov, Marat: Russian Relations to the Gulf Region, siehe: http://www.gpfeurope.com/upload/iblock/906/russian_relations_to_the_gulf_region.pdf, Zugriff 13.08.2012. http://www.haaretz.com/print-edition/news/thousands-of-palestinians-may-lose-jobs-in-dubai-crash1.3219, abgerufen am 09.08.2012. Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives on the United Arab Emirates, London 1997, S. 172. Deutsches Orient-Institut VAE setzung sei33 und fordern den Rückzug Israels aus allen 1967 besetzten Gebieten. Nicht direkt am Arabisch-Israelischen Krieg 1973 beteiligt, übten die VAE jedoch mittels eines Ölembargos erheblichen Druck auf die Staaten aus, die sich auf die Seite Israels stellten. Sheikh Zayed erklärte die Solidaritätsbekundungen der VAE wie folgt: „(..) Arab oil is not dearer than Arab blood. (Q) A loss of oil revenues was a small price to pay when other Arab countries were suffering heavy human losses.“34 Neben den arabischen Staaten Ägypten, Syrien und Jordanien waren die Palästinenser in den letzten Jahrzehnten die Hauptempfänger von Hilfsgeldern aus den VAE. Insgesamt stellten die VAE zwischen 1971 und 2001 etwa 20 Mrd. USD bereit. Diese wurden teils durch den Abu Dhabi Fund für Development (ADFD) und teils durch bilaterale Regierungsabkommen bereitgestellt. Die Unterzeichnung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages 1979 unter Präsident Anwar as-Sadat führte dazu, dass die VAE ihre diplomatischen Beziehungen zu Ägypten für beinahe ein Jahrzehnt einfroren. Die Regierung der VAE war davon überzeugt, dass bilaterale Friedensabkommen mit Israel keinen dauerhaften Frieden herbeiführen würden und kritisierte die einseitige pro-israelische Perspektive der US-amerikanischen Nahostpolitik. Ebenso beklagten sie die Ignoranz der israelischen Regierung und forderten den UN-Sicherheitsrat dazu auf, mehr Druck auf Israel auszuüben. Die VAE beteiligten sich an jeglichen Friedensverhandlungen auf arabischer und internationaler Initiative, so geschehen bei der Madridkonferenz 1991, der Damaskusdeklaration 1991, dem Oslo-Abkommen 1993 und dem Plan von König Abdullah von Saudi-Arabien 2003. Dabei verharrten sie auf der Schaffung eines palästinensischen Staates. Bei der Klärung des rechtlichen Status’ der Stadt Jerusalem in einem zukünftigen Zweistaatengebilde hoben sich die VAE von den anderen arabischen Staaten ab und betonten die religiöse Bedeutung der Stadt für alle Weltreligionen. Die VAE waren Teil einer Kampagne im Jahre 1994, 33 34 35 36 37 die den Boykott von israelischen Produkten durch die Arabische Liga eingrenzen wollten. Die VAE verweigerten jedoch die Aufhebung des Boykotts von direkten Geschäften mit Israel und stellten sich damit Katar und Oman entgegen.35 IV.2 Beteiligung an Friedensmissionen Die als Angriff auf die eigene Sicherheit empfundene irakische Invasion Kuwaits führte nicht nur dazu, dass die VAE fortan auf ausländische Militärpräsenz setzten. Die Föderation begann ebenfalls, sich mit kleineren Truppenstärken an internationalen Friedensmissionen in Konfliktregionen der Welt zu beteiligen, beispielsweise während des Bürgerkrieges in Somalia 1993 und zur Minenräumung im Südlibanon 2007. Im Kosovokonflikt unterstützten die VAE die Albaner und beteiligten sich 1999 als erster und einziger muslimischer Staat an der NATO-Mission. 2008 erkannten die VAE den Kosovo als unabhängigen Staat an. IV.3. Bereitstellung von Entwicklungshilfe Die VAE haben seit Gründung der Föderation bereits mehr als 70 Mrd. USD an Entwicklungshilfe weltweit bereitgestellt. Offiziell wird dieses Engagement begründet mit der religiösen Überzeugung, Bedürftigen zu helfen und den eigenen Reichtum zu teilen. Daneben spielen aber auch ideologische Gründe eine zentrale Rolle: so sind die Empfänger der Entwicklungshilfe fast ausschließlich arabische und muslimische Gesellschaften in Asien und Afrika, mit denen sich die Regierung der VAE solidarisch gibt. Umstritten ist, inwieweit die VAE den Taliban und anderen radikal-islamischen Gruppierungen weltweit Gelder zur Verfügung stellen, Statistiken zu den Geldleistungen bleiben oftmals lückenhaft36. Die finanzielle und humanitäre Hilfe umfasst die Beteiligung der VAE an Entwicklungshilfeprojekten – oftmals in Kooperation mit internationalen Organisationen und Initiativen37 – und Infrastrukturprojekten. Des Weiteren leisten die VAE finanzielle Unterstützung bei militärischen Auseinandersetzungen oder Naturkatastrophen, auch hier in überwiegendem Al-Mashat, Abdul Monem: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United Arab Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab States: The Challenge of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010, S. 471 ff. Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives on the United Arab Emirates, London 1997, S. 173. Ebd. http://www.thebeaveronline.co.uk/2012/01/30/aid-ineffective-in-the-arab-world/, abgerufen am 25.09.2012. Siehe hierzu: Deutsches Orient-Institut: Opportunities for increased German – Gulf Cooperation in Support of Security and Stability in Pakistan, Berlin 2009. Deutsches Orient-Institut 55 VAE Maße für arabisch-muslimische Völker. Diese Katastrophenhilfe wird entweder direkt zwischen den jeweiligen Landesregierungen oder indirekt über die Beteiligung der VAE an UN-Programmen geleistet. Die VAE haben als einer der Hauptbeitragsleistenden rund 27 Mrd. USD durch den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank bereitgestellt. Zur Koordinierung des weltweiten humanitären Engagements hat die Regierung der VAE das UAE Foreign Aid Coordination Office (FACO) in Zusammenarbeit mit dem UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs gegründet. Von dieser Zusammenarbeit erhofft sich die Regierung einen zukünftig stärkeren Fokus auf Beteiligung an multilateralen Hilfsleistungen. Die VAE haben zudem eine Vielzahl an Stiftungen gegründet, die sich in verschiedenen humanitären Bereichen engagieren. Dazu zählen vor allem der Abu Dhabi Development Fund, die Khalifa Charity Foundation, die Rotkreuz-Gesellschaft, die Mohammad bin Rashid Al Maktoum Charity and Humanitarian Foundation und die Noor Dubai Initiative38. V. Die Beziehungen zu Pakistan und Afghanistan Die VAE unterhalten mit der Region Südasien seit Jahrtausenden historische Handelsbeziehungen. Indien und Pakistan kommt aufgrund ihres hohen Bevölkerungsanteils in den Emiraten (insgesamt 3 Mio. Menschen) besondere Bedeutung zu. Vor der Entdeckung des Öls waren Indien und Pakistan gar die Haupthandelspartner der VAE. Die Länder Pakistan, Afghanistan und VAE verbinden weiterhin gemeinsame religiöse und kulturelle Werte. Die bilateralen Beziehungen werden jedoch zunehmend durch kriminelle Geschäfte mit Drogen und Menschenhandel belastet. Innerhalb der VAE ist besonders Dubai, als geopolitisch günstig gelegener Knotenpunkt des Welthandels, Zielscheibe von Drogenschmuggel. Die Drogen werden von 38 39 40 41 42 43 56 Afghanistan über Pakistan und Iran in die VAE transportiert. Die emiratischen Behörden gehen sehr hart gegen jeglichen Drogenbesitz vor: Schon der Besitz von winzigen Mengen Drogen wird mit einer Haftstrafe von mindestens vier Jahren bestraft39. Im Kampf gegen illegale Drogengeschäfte haben Pakistan und die VAE 1995 ein Memorandum of Understanding (MoU) und 2004 ein Auslieferungsabkommen unterzeichnet. V.1 Pakistan Pakistan war das erste Land, welches die VAE nach ihrer Unabhängigkeit 1971 offiziell anerkannte. Die Regierungen beider Länder sind eng miteinander verbunden und sich freundschaftlich zugetan. So hatte Sheikh Zayed den Flughafen in Rahim Yar Khan in der Provinz Punjab, der auch nach ihm benannt wurde, der pakistanischen Regierung gespendet. Die Herrscherfamilien der VAE besitzen mehrere Häuser in Balutschistan und im Punjab und reisen regelmäßig nach Pakistan, um Jagden zu veranstalten oder ihren Urlaub zu verbringen40. Pakistan und die VAE verbinden auch enge wirtschaftliche Beziehungen. Die VAE sind nach den USA der zweitgrößte Abnehmer von pakistanischen Exporten. Von Juli 2011 bis Mai 2012 wurden insgesamt Waren im Wert von 1,8 Mrd. USD in die VAE exportiert. Im selben Zeitraum belief sich das Importgeschäft auf 6,3 Mrd. USD41. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen haben sich seit 2006 noch einmal erheblich gesteigert: Mittlerweile existieren 27 Joint Ventures mit einem Gesamtvolumen von 21 Mrd. USD. Die Investitionen der VAE sind in fast allen Bereichen anzutreffen, darunter Telekommunikation, IT, Luftfahrt, im Banken- und im Energiesektor42. In den VAE wiederum sind mehr als 6.000 pakistanische Firmen registriert. Die VAE sind einer der Hauptgeber von Entwicklungshilfen in Pakistan. 2009 gab es insgesamt 58 Schulund Hochschulprojekte, die von den VAE mitfinanziert wurden43. Auch im Katastrophenschutz leisteten die VAE großen Anteil: 2005 stellten sie 100 Mio. USD für die Erdbeben- Letztere hat sich zum Ziel gesetzt, eine Million Menschen mit Augenleiden in Afrika und Asien zu behandeln. http://gulfnews.com/news/gulf/uae/crime/man-gets-4-years-in-dubai-jail-for-testing-positive-for-drugs1.812016, abgerufen am 13.08.2012. Deutsches Orient-Institut: Opportunities for increased German – Gulf Cooperation in Support of Security and Stability in Pakistan, Berlin 2009, S. 37. http://www.pakistanembassyuae.org/view/bilateral-trade--investment-relations.aspx, Zugriff 09.08.2012. http://www.khaleejtimes.com/DisplayArticle08.asp?xfile=data/business/2012/January/business_ January465.xml§ion=business, abgerufen am 09.08.2012. Deutsches Orient-Institut: Opportunities for increased German – Gulf Cooperation in Support of Security and Stability in Pakistan, Berlin 2009, S. 41. Deutsches Orient-Institut VAE opfer bereit. Die VAE investieren weltweit zunehmend in landwirtschaftliche Projekte, um die inländische Versorgung mit Lebensmitteln zu gewährleisten. Die stetig steigende Bevölkerung mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von über 3% und der Wassermangel im eigenen Land zwingen die VAE, wie auch Saudi-Arabien und Katar, in landwirtschaftliche Flächen in Partnerländern wie Pakistan zu investieren. 2009 gab es Pläne der Regierung, insgesamt zwischen 40.000 und 80.000 ha Farmland in den Provinzen Sindh und Punjab zu pachten44. Soldaten in Südafghanistan stationiert. Auch Afghanistan ist Empfänger umfangreicher finanzieller Aufbauhilfen der VAE: Die Rotkreuzgesellschaft stellte seit 2003 19 Mio. USD für lokale Projekte bereit, weitere 30 Mio. USD investierte die Regierung, 22 Mio. USD wurden von privaten Investoren aus den VAE bereit gestellt. Mit diesen Geldern wurde der Bau von elf Schulen, sechs Kliniken, einer öffentlichen Bibliothek und mehreren Moscheen finanziert48. Ebenso beteiligten sich die VAE an einem islamischen Fonds gemeinsam mit Saudi-Arabien, Katar und Oman. In den VAE leben heute etwa 1,25 Mio. Menschen pakistanischer Herkunft. Damit bilden die Pakistanis die zweitgrößte ethnische Minderheit hinter den Indern (1,75 Mio.). Die pakistanischen Gastarbeiter üben in den VAE oft die körperlich schwersten Arbeiten im Bauund Infrastruktursektor aus. Mehrmals wurden die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisiert45. Die VAE sind aufgrund ihrer geostrategischen Schlüssellage zunehmend zur Zielscheibe krimineller Geschäfte geworden. Über Dubai wird in großem Maße Geldwäsche betrieben. Afghanistan, eines der korruptesten Länder weltweit49, soll in den letzten Jahren mehr als 3 Mrd. USD außer Landes gebracht haben. Das Geld stammt teils aus westlichen Hilfsund Wiederaufbauprojekten, teils aus dem Drogengeschäft und wird in Kisten mit Flugzeugen nach Dubai gebracht, wo wohlhabende Afghanen Immobilien besitzen.50 Die Pakistanis waren von der Entlassungswelle während der Finanzkrise 2008/2009 massiv betroffen: Damals wurden täglich bis zu 1.500 Arbeiter entlassen. Sie mussten daraufhin in ihr Heimatland zurückkehren und verloren die Existenzgrundlage für ihre Familien in der Heimat.46 V.2 Afghanistan Die VAE waren mit Pakistan und Saudi-Arabien der einzige Staat, welcher die Herrschaft der Taliban offiziell anerkannte. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 brachen die VAE ihre diplomatischen Beziehungen zur Taliban-Regierung ab.47 Als einziges arabisches Land beteiligten sich die VAE an dem ISAF-Einsatz. 2011 waren 250 44 45 46 47 48 49 50 51 Auch islamistischen Gruppierungen wird vorgeworfen, von Dubai aus Gelder an ihre Netzwerke in Asien und Afrika zu transferieren. Offiziell hat die Regierung jegliche Form von Terrorismus verurteilt und sich davon distanziert.51 Der derzeitige Außenminister Sheikh Abdullah erklärte bei seiner Rede vor der UNGeneralversammlung im Jahr 2008: “(Q) the UAE is effectively cooperating with all efforts aiming at eradicating terrorism in all its forms, including money laundering (Q) the UAE will continue its efforts in this regard to eliminate terrorism in all its forms and diminish all its resources, reiterating our commit- Ebd., S. 9. http://www.spiegel.de/wirtschaft/gastarbeiter-in-dubai-luxuswelt-aus-sklavenhand-a-447509.html, abgerufen am 09.08.2012. Penquitt, Denise: Vereinigte Arabische Emirate, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.) Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, S. 155. http://www.faz.net/aktuell/politik/diplomatie-pakistan-ja-emirate-nein-131327.html, abgerufen am 09.08.2012. http://www.thenational.ae/news/uae-news/uae-to-send-250m-for-afghanistan-development-projects, abgerufen am 13.08.2012. Transparency International erteilte Afghanistan 2011 einen Korruptionsindex von 1,5 (0 = höchste Rate, 10 = niedrigste Rate). Damit liegt das Land auf Rang 180 von 182 Ländern weltweit. http://www.spiegel.de/politik/ausland/korruption-afghanen-verschieben-hilfsmilliarden-ins-auslanda-703233.html, abgerufen am 09.08.2012. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 hatten die VAE in den Fokus des internationalen AntiTerror-Kampfes gebracht, nachdem enthüllt wurde, dass unter den Al-Kaida-Terroristen zwei emiratische Staatsbürger waren. Auch eine Verbindung zu Dubais Banken wurde nachgewiesen. Deutsches Orient-Institut 57 VAE ment towards supporting all efforts made to enhance dialogue and tolerance among religions.” 52 VI. Die Beziehungen zu China / Indien / Ostasien Im Jahr 2010 und 2011 haben die VAE erstmals mehr Waren aus Indien (9,6%) und China (9,9%) importiert als aus den USA (7%). Insgesamt betragen die Importe aus Asien mittlerweile 48%, gefolgt von Europa (25,3%). Dies zeigt, dass sich die VAE wirtschaftlich zunehmend Richtung Asien orientieren. Asien ist mittlerweile auch Hauptabnehmer des Öls: Japan erhält über 50%, große Mengen gehen nach Korea, Thailand, Indien, Singapur und China.53 Seit der internationalen Finanzkrise hatten sich die Golfstaaten mit ihrem Ölexport vermehrt an China gewandt. Bis 2014, so Schätzungen54, wird die Hälfte des weltweiten Ölbedarfs nach Asien gehen. China verfolgt in den VAE fast ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Das Land hat einen immensen Bedarf an Energie für die stetig wachsende Volkswirtschaft, und die VAE sind willens, diesen Bedarf im Austausch gegen Dienstleistungen vor allem im Baugewerbe zu quittieren.55 Zurzeit wird ein Freihandelsabkommen zwischen dem GKR und China erarbeitet. Politisch tritt China in den VAE jedoch nicht in Erscheinung. China hat erhebliches Interesse daran, die politische Lage der Region stabil zu halten, um ungehinderten Zugang zu den Rohstoffen zu ermöglichen. Ein Vorteil Chinas und anderer asiatischer Staaten mag sein, dass sie, ähnlich den VAE selbst, eine Strategie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verfolgen. Der Einfluss Chinas und Indiens in der Golfregion wird demzufolge in den nächsten zehn Jahren weiter massiv steigen56. Auch die VAE werden ihr Interesse zukünftig stärker als Ausdruck einer vielseitig ausgerichteten Außenpolitik auf China richten. Die wirtschaftlich enge Verflechtung der VAE 52 53 54 55 56 57 58 mit China und Indien zeigt sich auch an den großen Bevölkerungsanteilen beider Länder in den Emiraten. In Dubai sind fast 200.000 Chinesen beheimatet, dies stellt die größte chinesische Gemeinschaft außerhalb Chinas dar. In der „Jebel Ali Free Zone“ in Dubai sind mehr als 500 chinesische Firmen ansässig, in der „Dragon Mart“ im Stadtteil Dubai International City finden sich über 3.000 chinesische Geschäfte. In den VAE leben auch mehr als 1,75 Mio. indischstämmige Migranten, die damit die größte ethnische Gruppe in den Emiraten bilden, gefolgt von den Pakistanis mit ca. 1,25 Mio. Menschen. VII. Die Beziehungen zu westlichen Staaten Die außenpolitischen Beziehungen zu den westlichen Staaten sind für die VAE insgesamt weniger bedeutend als die Beziehungen zu den anderen Golfstaaten, haben sich jedoch seit den 1990er Jahren stetig weiter entwickelt. Die Beteiligung am US-geführten Befreiungskrieg Kuwaits war der Beginn einer sicherheitspolitisch engen Zusammenarbeit mit den USA. Ein weiterer enger Kooperationspartner im Sicherheitsbereich ist Frankreich. Auch Großbritannien kommt aufgrund der historischen Verbindung als ehemalige Schutzmacht eine besondere Rolle zu. Sein Einfluss sank jedoch in den 1990er Jahren zunehmend, als die großen Industriemächte USA, Frankreich und Japan an Einfluss in der Region gewannen57. Mit Frankreich wurde 2008 ein Abkommen unterzeichnet, das eine militärische Präsenz der Franzosen in den VAE vorsieht. VII.1 USA Die Beziehungen der VAE zu den USA sind vor allem sicherheitspolitisch geleitet und gehen zurück auf den Zweiten Golfkrieg. Mit der Beteiligung an dem US-geführten Befreiungskrieg Kuwaits wurden die VAE de facto Teil des strategischen Schirms der USA in der Golfregion. Das Unvermögen der arabischen Staaten, die Sicherheit der Region in dieser Krise allein wieder herzustellen, kann als http://www.mofa.gov.ae/mofa_english/portal/b074766a-5507-43c7-9beb-3155a52e25b5.aspx, abgerufen am 09.08.2012 Von Schoepff, Nikolai: United Arab Emirates, in: Near and Middle East Economic Handbook 2012, Berlin 2012, S. 205. The Nixon Center and the Gulf Research Center: China’s Growing Role in the Middle East: Implications for the Region and Beyond, Washington 2010, S. 3. Müller, Nora: Handel ja, Wandel nein. Auch in Arabien ist Chinas Politik von wirtschaftlichen Interessen bestimmt, in: Internationale Politik, Ausgabe November/Dezember 2011, S. 89 ff. Hesseling, Bart: The Prospects of Security Cooperation in the Gulf, siehe: http://www.iss.europa.eu/ uploads/media/SecurityCooperationPersianGulf.pdf, abgerufen am 13.08.2012. Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives on the United Arab Emirates, London 1997, S. 175 ff. Deutsches Orient-Institut VAE Trauma für die VAE bezeichnet werden, die als kleiner ressourcenreicher Staat eine Einverleibung durch die größeren Nachbarstaaten fürchteten. Hatten sie zuvor noch jegliche ausländische Militärpräsenz auf eigenem Boden abgelehnt, unterzeichneten die VAE 1996 ein Verteidigungsabkommen mit den USA. Die USA sind, neben Frankreich, heute auch einer der Hauptwaffenlieferanten. Trotz Bemühungen um Ausbau und „Emiratisierung“ der nationalen Armee58 werden die VAE demnach auch in naher Zukunft abhängig von der ausländischen Militärpräsenz bleiben. Die Regierung der VAE war sich durchaus bewusst, dass die USA in dieser neuen Allianz ihre eigenen Interessen in der Region verfolgten.59 Trotz der sicherheitspolitisch engen Zusammenarbeit sind die VAE daher nicht unkritisch gegenüber den USA: So kritisierten sie mehrmals die Einseitigkeit der amerikanischen Nahostpolitik. Auch dem Irakkrieg 2003 stellten sie sich vehement entgegen und versuchten bis zuletzt, ein militärisches Vorgehen abzuwenden. Dennoch erlaubten sie damals einer kleinen Zahl an US-Streitkräften, von deren Militärstützpunkt Al Dhafra und Jebel Ali aus zu operieren. Die VAE unterzeichneten mit den USA ein Nuklearabkommen, um selber Nukleartechnologie entwickeln zu können, erklärten sich jedoch ausdrücklich zur friedlichen Anreicherung von Atomenergie. Stimmen aus den USA äußerten Befürchtungen, dass sich Iran über Kanäle in Dubai dieses Wissen aneignen und für eigene Zwecke missbrauchen könnte60. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA sind eng, die VAE sind der größte Abnehmer von US-amerikanischen Exporten im Nahen und Mittleren Osten. Die intensive ökonomische Zusammenarbeit wird dadurch getrübt, dass immer wieder über Arbeitsmarktspannungen zwischen den beiden Staaten berichtet wird. Die USA übten bereits mehrmals öffentlich Kritik an der teils menschenrechtswidrigen Behandlung der Gastarbeiter in den VAE.61 58 59 60 61 62 63 64 Auch im Kultur- und Bildungsbereich existieren zahlreiche gemeinsame Initiativen; auf der Insel Saadiyat entsteht derzeit ein Guggenheim-Museum, die American University unterhält mehrere Standorte in den VAE. Die VAE gerieten nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den Blickpunkt der internationalen Ermittlungen gegen den Terrorismus. Neben der direkten Verwicklung zweier emiratischer Staatsbürger in die Anschläge gab es immer wieder Vorwürfe, dass die VAE Al-Kaida-Mitgliedern Unterschlupf gewähren würde. In den letzten Monaten wurden mehr als 50 Personen mit islamistischem Hintergrund in den VAE festgenommen, die in Verdacht standen, Terroranschläge in den Emiraten geplant zu haben. Die USA zeigten sich davon jedoch kaum berührt: Durch die zunehmenden Spannungen um das iranische Atomprogramm sind die USA auf ihren sicherheitspolitischen Partner in der Golfregion angewiesen.62 VII.2 Großbritannien 1819 und 1820 schlossen die Briten mit den Scheichtümern an der Golfküste Verträge zur gemeinsamen Bekämpfung der Piraterie im Golf. Die Briten erkannten auch die kleineren Emirate wie Ajman, Umm al-Qaiwan und Fujairah an.63 Es entstand eine Art britisches Protektorat (trucial states). Der Vertrag führte zur Befriedung des Seehandels, 1853 wurde ein „unbefristeter Friedensvertrag“ mit Großbritannien unterzeichnet. Mit dem Abkommen von 1892 überließen die Emirate Großbritannien die volle Souveränität in außenpolitischen Fragen als Gegenleistung für Sicherheitsgarantien seitens der Schutzmacht. 1922 verpflichteten sich die Emirate, Ölkonzessionen nur an Firmen zu vergeben, die von der britischen Krone unterstützt wurden.64 Auch der britische Rechtskorpus verbreitete sich in den Emiraten, außerdem initiierte Großbritannien eine Vielzahl an Infrastrukturprojekten. Der angekündigte Rückzug der Briten aus der Region führte Ende der 1960er Jahre zur Be- Mittlerweile sollen 40.000 Emiratis in der nationalen Armee dienen (Stand: Mai 2011). Siehe: http://www.khaleejtimes.com/DisplayArticleNew.asp?xfile=/data/theuae/2011/May/theuae_May480.xml& section=theuae, abgerufen am 13.08.2012. Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives on the United Arab Emirates, London 1997, S. 176. 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Sie kooperieren weiterhin eng in der Bekämpfung der Seepiraterie. Die VAE und Großbritannien unterhalten darüber hinaus eine enge militärische Zusammenarbeit und unterzeichneten 1996 ein gemeinsames Verteidigungsabkommen. Die Royal Navy ist seit den 1980er Jahren am Golf präsent.65 Viele ranghohe Mitglieder der nationalen Armee wurden an britischen Militärakademien ausgebildet.66 Auch im schulischen und universitären Bereich findet ein reger Austausch statt. Heute leben 100.000 Briten in den VAE, etwa 4.000 britische Unternehmen sind in den VAE ansässig. Fast eine Million Touristen aus Großbritannien reisen jährlich in die Emirate.67 VII.3 Deutschland Deutschland unterhält seit 1972 diplomatische Beziehungen mit den Emiraten, und beide Staaten einigten sich 2004 auf eine strategische Partnerschaft. Ziel ist die Intensivierung der bilateralen Beziehungen auch im politischen, kulturellen und im Bildungsbereich. Beide Staaten unterzeichneten 2010 ein neues Doppelbesteuerungsabkommen, daneben besteht ein Investitionsförderungsund Investitionsschutzabkommen. Für Deutschland sind die VAE der wichtigste Handelspartner in der arabischen Welt. 2010 stiegen die deutschen Exporte in die VAE um 23% auf 7,58 Mrd. EUR68. Die deutschen Importe betrugen 2010 insgesamt 519 Mio. EUR. Deutschland und die VAE haben in den vergangenen Jahren bei der Ausbildung von irakischen Polizisten und Soldaten zusammen gearbeitet. Deutsche Firmen sind an vielen großen Projekten im Infrastruktur- und 65 66 67 68 69 60 Energiebereich in den VAE aktiv. Was die politische Situation in den VAE belangt, so ist Deutschland wenig daran interessiert, Reformen anzustoßen, vielmehr sollen die wirtschaftlichen Beziehungen ungetrübt weiter fortgesetzt werden. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und das Goethe-Institut (GI) unterhalten seit Mai 2006 ein regionales Gemeinschaftsbüro für die Golfstaaten in Abu Dhabi. Darüber hinaus wurde im Dezember 2007 in Dubai ein GI-Sprachlernzentrum errichtet. Zudem bestehen Kooperationsprojekte zwischen deutschen und emiratischen Hochschul- und Bildungseinrichtungen. Ende 2011 nahm in Abu Dhabi eine deutsch-emiratische Logistikfachhochschule den Lehrbetrieb auf. Anerkannte deutsche Auslandsschulen existieren in Abu Dhabi, Sharjah und Dubai. An der Deutschen Internationalen Schule Abu Dhabi haben Schüler im Mai 2011 das erste Mal das „Deutsche Internationale Abitur“ ablegen können; in Dubai findet dies erstmals im Schuljahr 2012 statt69. VIII. Fazit Die außenpolitischen Prioritäten der VAE – die Sicherung der eigenen Integrität, Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen und arabisch-islamische Solidarität – sind seit der Gründung der Föderation 1971 bis heute die selben geblieben. Innerhalb der letzten 40 Jahre gelang es der Regierung, trotz zahlreicher regionaler Krisen und Konflikte relativ unbeschadet und unabhängig zu bleiben. Dies ist zum großen Teil des auf Befriedung und Verständigung beruhenden außenpolitischen Kurs’ von Sheikh Zayed, der die Außenpolitik der VAE bis zu seinem Tod 2004 steuerte, zu verdanken. Auf globale Veränderungen wie das neue Kräfteverhältnis nach dem Zerfall der Sowjetunion haben die VAE reagiert und sich neu orientiert. Ein Wendepunkt in der Außenpolitik stellte die irakische Invasion Kuwaits dar, die die sicherheitspolitische Allianz der VAE mit westlichen Staaten zur Folge hatte. Außenpolitisch haben sich die VAE seit den 1990er Jahren zunehmend offener und regional flexibler gezeigt. Ihr Fokus http://www.gulfnews.com/news/gulf/uae/government/uae-uk-seek-to-boost-defence-cooperation-1.993565, abgerufen am 10.08.2012. http://www.thenational.ae/thenationalconversation/comment/uk-uae-relations-based-on-sharedsecurity-interests#page1, abgerufen am 10.08.2012. Ebd. Von Schoepff, Nikolai: United Arab Emirates, in: Near and Middle East Economic Handbook 2012, Berlin 2012, S. 205. Informationen des Auswärtigen Amtes, siehe: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/VereinigteArabischeEmirate/Bilateral_node.html#doc337452bodyText3, abgerufen am 25.09.2012. Deutsches Orient-Institut VAE lag dabei auf der Unterstützung arabischer und/oder muslimischer Gesellschaften in Asien, Afrika und Europa. Die VAE sind international anerkannt für ihre stabilisierende Rolle in der Region und ihre Friedensbemühungen in internationalen und arabischen Organisationen. Als kleiner ressourcenreicher Staat sind die VAE immer darum bemüht, sich mit allen Nachbarstaaten friedlich zu arrangieren. Das außenpolitische humanitäre Engagement der VAE steht jedoch in zunehmendem Kontrast zum vielmals kritisierten Umgang mit den Gastarbeitern innerhalb des Landes. Seit der Jahrtausendwende haben die asiatischen Staaten in der Golfregion rasant an Einfluss gewonnen. Die EU-Staaten sollten sich daher darum bemühen, möglichst schnell die seit 1990 andauernden Verhandlungen zur Schaffung einer Freihandelszone voranzutreiben, um wirtschaftlich nicht den Anschluss zu verlieren. Samira Akrach IX. Quellenangaben ALIBONI, ROBERTO: The Mediterranean Opportunities to Develop the EU-GCC Relationship, Rom 2010. AL-MASHAT, ABDUL MONEM: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United Arab Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab States:The Challenge of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010. BELKAÏD, AKRAM: Die importierte Mehrheit. In den Emiraten fürchten die Scheichs eine Überfrem dung durch Gastarbeiter, in: Edition Le Monde diplomatique, N° 11/2012, S. 70-75. CENTER STRATEGIC AND INTERNATIONAL STUDIES (CSIS): What Does the Arab Spring Mean for Russia, Central Asia and the Caucasus, CSIS 2011. FOR DAVIDSON, CHRISTOPHER M.: The United Arab Emirates, in: Ders. 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So verfügt Bahrain im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten nur über geringe natürliche Ressourcen und war daher, bzw. auch allein schon wegen seiner geringer Größe (760 km2)2 im Laufe seiner Geschichte wirtschaftlich sowie sicherheitspolitisch von verschiedenen externen Akteuren und Einflüssen abhängig. Das Verhältnis zu den USA, Iran und zu Saudi-Arabien prägt seit Jahrzehnten die bahrainische Außenpolitik maßgeblich. Die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung Bahrains mit seiner schiitischen Mehrheit bietet ferner eine Angriffsfläche für eine Einflussnahme von außen – wie sich auch insbesondere an der Konfessionalisierung der Debatte um sicherheitspolitische Fragen beobachten lässt.3 Ziel des Kapitels ist es, anhand historischer wie auch aktueller Beispiele das komplexe Beziehungsgeflecht, in das Bahrain global eingebettet ist, aufzuzeigen und somit ein tieferes mehrdimensionales Verständnis der gegenwärtigen politischen Entwicklungen zu ermöglichen. Bis zum Frühjahr 2011 galt die Golfregion – im Gegensatz zu den nordafrikanischen Staaten, die seit längerem schon mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen 1 2 3 64 hatten – als politisch relativ stabil. Die Volkswirtschaften der Golfstaaten verzeichneten ein stetiges Wachstum und auch die Bevölkerung konnte weitestgehend mit einer großzügigen Subventions- und Alimentierungspolitik aus den Öl- und Gasexporten zufrieden gestellt werden. Dies änderte sich jedoch mit dem 14. Februar 2011, als es in Bahrain zu ersten Massenprotesten kam. Tausende von Menschen strömten auf die Straßen Manamas, der Hauptstadt Bahrains, um gegen die politischen und wirtschaftlichen Missstände im Land aufzubegehren und politische Partizipation einzufordern. Um der Situation, die immer mehr zu eskalieren drohte, Herr zu werden, rief die Regierung Bahrains noch im Februar den Ausnahmezustand aus, um im März 2011 schließlich mit der Unterstützung der Schutzschild-Truppe der Golfstaaten massiv gegen die Protestler vorzugehen und die Bewegung niederzuschlagen. Die Intervention forderte einige Tote, zahlreiche Menschen wurden verhaftet und/oder verloren ihre Arbeitsplätze. Diese Reaktion löste nicht nur eine innenpolitische Krise aus, sie hatte ferner drastische außenpolitische Auswirkungen für das strategisch so wichtige Bahrain. Die Proteste rückten die innenpolitische Situation Bahrains ins internationale Rampenlicht. Insbesondere im Rahmen des diesjährigen Formel 1-Rennens, das im März 2012, kurz nachdem sich die Proteste ein erstes Mal jährten, stattfand, zeigte sich die Regierung bemüht, den internationalen Gästen ein Bild der relativen Normalität und Stabilität zu vermitteln. Dazu hob sie vor allem den einenden nationalen Charakter des Rennsports hervor. Dies sorgte vor allem auf der Seite der Oppositionellen für Unmut. Die Regierung hatte im Juni des Jahres 2011 den Ausnahmezustand zwar wieder aufgehoben, einen Großteil der Inhaftierten freigelassen, wie auch einige zuvor entlassene Arbeitnehmer wiedereingestellt, diese Ansätze gingen der Opposition jedoch nicht weit genug. Nach wie vor sitzen zahlreiche Aktivisten im Gefängnis, ist die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt und auch auf die friedliche Demonstration am 14. Februar 2012 reagierte die Regierung erneut mit brutaler Gewalt. Darüber hinaus finden die Forderungen der Opposition nach einem gewählten Parlament, einer gewählten Regie- Encyclopedia Iranica: Bahrain, http://www.iranicaonline.org/articles/bahrain-all, abgerufen am 05.06.2012. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ba.html, abgerufen am 02.07.2012 Zeino-Mahmalat, Ellinor: Saudi- Arabiens und Irans Regionalpolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus, Hamburg 2009, Faath, Sigrid (Hrsg.): Rivalitäten und Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten in Nahost. Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Berlin 2010. Deutsches Orient-Institut Bahrain rung sowie einem gewählten Ministerpräsidenten in dem von der Regierung im Juni eröffneten Nationalen Dialog kaum Gehör. Eine mit der Überprüfung der Ereignisse des vergangen Jahres betraute unabhängige Untersuchungskommission hat unterdessen einen Bericht vorgelegt, der der bahrainschen Regierung massive Menschenrechtsverletzungen nachweist, sowie Empfehlungen für eine Lösung der innenpolitischen Krise formuliert. Diese Empfehlungen werden nach Auffassung der Opposition bisher jedoch kaum umgesetzt und auch ein Großteil der Anklagen gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte wurde bislang gerichtlich nicht weiter verfolgt. Die anhaltende innenpolitische Krise beeinflusst direkt Bahrains Wirtschaft, was aufgrund der politischen Instabilität negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung zeigte. Zwischen 2010 und 2011 sank das BIP-Wachstum von 4,8% auf 1,8%. In diesem Jahr soll es auf 2,0% steigen4, da seit Beginn des Jahres 2012 erste Positiventwicklungen zu verzeichnen sind. So stieg die Auslastungsrate der Hotels in Manama um 112% im Vergleich zum Vorjahr auf immerhin 45% Gesamtauslastung und die Hotelpreise erhöhten sich im selben Zeitraum um 14,6%5. II. Bahrains Rolle in der Region Um das komplexe Beziehungsgeflecht Bahrains gegenwärtiger außenpolitischer Beziehungen in der Region, aber auch zu Staaten außerhalb seiner unmittelbaren Nachbarschaft, zu verstehen bzw. zu analysieren, ist ein kurzer Abriss der historischen, wie auch der aktuellen Entwicklungen unumgänglich. II.1 Historische und geopolitische Vorraussetzungen Nachdem seit 1502 die Insel Bahrain von den Portugiesen besetzt gehalten worden war, wurde sie im Jahr 1622 von den Persern erobert. Seither geriet Bahrain immer wieder abwechselnd unter die Kontrolle arabischer bzw. persischer Stämme, bis der Al-KhalifaStamm 1797 die Insel schließlich eroberte. Die Al-Khalifa-Familie ist die heute in Bahrain herrschende Königsfamilie. Bei ihr handelt es sich um eine sunnitische Händlerfamilie, die ursprünglich aus Kuwait stammte und Ende 4 5 des 18. Jahrhunderts nach Bahrain übersiedelte. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gelang es den Briten, die aufgrund Bahrains Lage entlang einer der wichtigsten Handelsrouten nach Indien zunehmend ein strategisches Interesse in der Region verfolgten, mehrere Abkommen mit der Al-Khalifa-Familie zu vereinbaren und auf diese Weise auf der Insel Fuß zu fassen. So wurde Bahrain 1867 britisches Protektorat. Ein gutes Jahrhundert später erlangte Bahrain 1971 unter Scheikh Isa Ibn Salman Al-Khalifa die Unabhängigkeit. Gemäß der Verfassung von 2002 ist Bahrain eine konstitutionelle Monarchie mit dem König (Hamad Ibn Isa Al-Khalifa) als Staatsoberhaupt. Dieser ernennt und erlässt die Regierung und hat ferner die Befugnis, das Abgeordnetenhaus aufzulösen und Neuwahlen zu veranlassen. Das Parlament besteht aus dem Abgeordnetenhaus, das direkt vom Volk gewählt wird und dem vom König ernannten Konsultativrat, dem Majlis ashShura. Die politische Entscheidungsmacht liegt also im Grunde beim König. Diese Tatsache sorgte nicht erst seit dem vergangenen Jahr für Aufruhr bei Teilen der bahrainischen Bevölkerung. Proteste und Forderungen nach politischer Mitbestimmung und wirtschaftlicher Teilhabe lassen sich in Bahrain bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen. In diesem Kontext ist es wichtig, auf diein Bahrain seit seiner Eroberung durch die heute regierende Herrscherfamilie bestimmende konfessionelle Dynamik zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen einzugehen. Wie bereits erwähnt, erlebte Bahrain mehrere historische Perioden unter persischer Kontrolle, die Gesellschaft ist seitdem vor allem schiitisch geprägt. Wenn auch die Schiiten mit 70% die deutliche Bevölkerungsmehrheit bilden, zentriert sich die Macht bis heute um die sunnitische Herrscherfamilie Al-Khalifa. Schiiten werden nach wie vor größtenteils aus politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und zudem ökonomisch ungenügend in das bahrainische Wirtschaftsleben und den Arbeitsmarkt integriert. Die Forderungen der schiitischen Mehrheit nach politischer Beteiligung haben in der Vergangenheit daher immer wieder zu Konflikten geführt. Tatsächlich hat die Regierung jedoch wenig unternommen, die Schiiten stärker einzubin- Vgl. Internationaler Währungsfonds: World Economic Outlook April 2012, S. 196, http://www.imf.org/ external/pubs/ft/weo/2012/01/pdf/text.pdf, abgerufen am 17.07.2012. Vgl. Sambidge, Andy: Bahrain's tourism industry rebounds after unrest, 24. April 2012, http://www.arabianbusiness.com/bahrain-s-tourism-industry-rebounds-after-unrest-455177.html, abgerufen am 17.07.2012. Deutsches Orient-Institut 65 Bahrain den. Die systematische Einbürgerung Hunderter sunnitischer Muslime aus anderen arabischen Staaten, um das demographische Gleichgewicht zu Gunsten der Sunniten zu verändern, hat darüber hinaus eher zu einer Verhärtung der Fronten geführt. Diese Politik der Ausgrenzung hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen, dass vor allem Teile der schiitischen Bevölkerung im Februar des vergangen Jahres aufbegehrten, sie kann diese jedoch nicht ausschließlich erklären. So wäre es verkürzt, die Krise allein auf die konfessionelle Problematik zu reduzieren. Die Unzufriedenheit mit der autoritären Herrschaft, der grassierenden Korruption und der wirtschaftlichen Stagnation zeigt sich vielmehr bei weiten Teilen der Gesellschaft und verläuft nicht ausschließlich entlang konfessioneller Trennlinien. So können neben dem konfessionellen Konflikt auch sozioökonomische und politische Unzufriedenheit als Auslöser der Proteste gesehen werden, die bereits seit mehreren Jahrzehnten in der bahrainischen Gesellschaft gären. Gingen die Bewohner des Inselstaates in den 1950er Jahren im Zuge der Erdölförderung noch in erster Linie auf die Straße, um höhere Löhne zu fordern, wurden seit den 1970er Jahren mit der Unabhängigkeit von Großbritannien zunehmend Stimmen nach politischer Teilhabe laut. Die Auflösung des Parlaments 1973, nur zwei Jahre nach seiner Einführung mit der Unabhängigkeit, führte zu zahlreichen Demonstrationen innerhalb der nächsten 25 Jahre, in denen die Opposition ihr Recht auf politische Mitbestimmung, die Etablierung eines Parlaments sowie die Einführung einer konstitutionellen Monarchie einforderte. Den auch mit „Intifada der 1990er Jahre“ bezeichneten Aufständen begegnete die Regierung auch damals schon mit dem Einsatz von Gewalt. Um die Kontrolle über die zunehmend eskalierende Situation wieder zu erlangen, versprach die Regierung, umfangreiche Reformen durchzuführen. Doch die Forderungen der Opposition wurden nur unzureichend erfüllt. Stattdessen konzentrierte sich die Macht noch stärker auf die Herrscherfamilie, wodurch die konfessionelle Ausgrenzung und die sozioökonomische Isolation der Schiiten noch verstärkt wurden. 6 7 8 66 Die zwei wichtigsten oppositionellen Gruppierungen, der größte schiitische Block Wifaq und die linkssäkulare Waad, fühlten sich marginalisiert und um ihren politischen Einfluss betrogen und beschlossen daraufhin den Boykott der Wahlen von 2002, beendeten aber zu den Wahlen vier Jahre später ihren wenig erfolgreichen Boykott und folgten nun der Strategie, durch politische Partizipation das Regierungssystem „von innen“ zu reformieren6. Die angedeuteten politischen Entwicklungen machen demnach deutlich, dass die Proteste von 2011 verschiedene Ursachen haben, deren Wurzeln zum Teil sehr weit in der Geschichte zurückliegen und es sich bei den jüngsten Protesten keineswegs um ein eindimensionales Ursache-Wirkungsgeflecht handelt, das sich ausschließlich auf konfessionelle Unterschiede innerhalb der bahrainischen Bevölkerung zurückführen lässt. Dieser in erster Linie sozialpolitische Charakter der Protestbewegung spiegelt sich auch in ihrem Slogan "Wir sind alle Bahrainis – keine Sunna, keine Schia!"7 wider, der die Einheit aller bahrainischen Staatsbürger hervorhebt, auch wenn die Regierung systematisch versuchte, die Gesellschaft zu spalten, um die Proteste somit als iranischen Plot darzustellen. II.2 Wirtschaftliche Entwicklungen In dem traditionell vom Fischfang und der Perlenfischerei geprägten Bahrain löste die Entdeckung des Erdöls im Jahre 1932 einen rasanten wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozess aus. Ähnlich wie in anderen Golfstaaten auch äußerte sich dies in Bahrain, trotz bestehenden traditionell-sozialen Strukturen, in drastischen Veränderungen. Durch die Erlöse aus dem Ölgeschäft entwickelte sich Bahrain innerhalb kurzer Zeit zu einem wichtigen wirtschaftlichen Akteur in der Region. Mit dem Wohlstand einher gingen ein rasches Bevölkerungswachstum8, zunehmende Urbanisierung und ein steigendes Bildungsniveau der einheimischen Bevölkerung. Das Verhältnis zu den anderen Herrscherfamilien innerhalb der Region des Golfes ist zunehmend ein von Konkurrenz geprägtes, auch die internationalen Ölkonzerne versuchen ihren Einfluss immer mehr auszubauen, um ihre nationalstaatlichen Interessen in der Vgl. auch Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, http://www.deutsches-orient-institut.de/content/view/32/36/lang,de. Damir-Geilsdorf, Sabine: „Wir sind alle Bahrainis – keine Sunna, keine Schia“, 23. Februar 2011 http://www.de.qantara.de/Wir-sind-alle-Bahrainis-keine-Sunna-keine-Schia/2988c3082i1p83/index.html, abgerufen am 03.06.2012. Beispielhaft dafür ist der Vergleich der Population von 1941 (90.000) mit der von 2012 (1.336.000). Deutsches Orient-Institut Bahrain Region zu sichern. Bahrain gerät dabei zusehends zwischen die Fronten miteinander divergierender Interessen. Mit etwa 125 Mio. Barrel Erdöl- und 92 Mrd. Kubikmeter Erdgasressourcen sind die Erdölund Erdgasvorkommen in Bahrain im Vergleich mit anderen Staaten des Golfkooperationsrates (GKR) jedoch eher gering; bis 2025 könnten sie erschöpft sein. Dies hat zur Folge, dass Bahrain mit als erster Golfstaat früh damit begann, seine Wirtschaft zu diversifizieren und zu modernisieren, um nicht allein auf die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft angewiesen sein zu müssen. So stellt Bahrains internationaler Flughafen beispielsweise einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt für den Transitverkehr von Europa in die Nahostregion bzw. nach Asien dar. Mit der Entwicklung eines ausgebauten Finanz- und Bankwesens hat Bahrain ferner das libanesische Beirut mit über 400 Finanzinstituten als regional wichtiges Finanzdienstleitungszentrum abgelöst. Weitere bedeutende Zweige der bahrainischen Wirtschaft bilden die Aluminiumherstellung, der Schiffbau, die Textilindustrie, die Landwirtschaft und der Tourismus. So gilt Bahrain heute als attraktiver Wirtschaftsstandort mit gut ausgebauter Infrastruktur und Telekommunikation sowie ausgezeichneten Gesundheits- und Bildungssystemen. III. Internationale Perspektive Auf internationaler Ebene ist Bahrain in eine Reihe von internationalen Organisationen, wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), sowie der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien eingebunden. Darüber hinaus pflegt Bahrain Beziehungen zu einzelnen Staaten, die im Folgenden nun näher beleuchtet werden sollen. III.1 Beziehung zu Iran und Irans Rolle anlässlich der aktuellen Krise Bis die kleine Insel im Golf Ende des 18. Jahrhunderts endgültig unter die Kontrolle der AlKhalifa-Dynastie geriet, erlebte sie immer wieder Perioden unter persischer Herrschaft. Diese historische Tatsache hat Iran wiederholt dazu veranlasst, Ansprüche auf das Ar9 10 chipel zu stellen und Bahrain als zur Islamischen Republik dazugehörige 14. Provinz zu bezeichnen – selbst nachdem Bahrain 1971 offiziell unabhängig geworden war. Das Verhältnis zu Iran des sonst auf eine neutrale Beziehung zu seinen Nachbarstaaten bedachten Bahrains ist daher von einer gewissen Ambivalenz geprägt. Mit der Islamischen Revolution in Iran von 1979 erfuhr der Export der schiitischen Religion einen außenpolitischen Bedeutungszuwachs. So war bis 1989 der Revolutionsexport in die arabischen Staaten, darunter Saudi-Arabien, Bahrain, Irak und Libanon, eine der wesentlichen Grundlagen der iranischen Regionalpolitik9. Mit der damit verbundenen Intensivierung schiitischer Netzwerke über die eigenen nationalstaatlichen Grenzen hinaus kam ein weiteres außenpolitisches Politikinstrument hinzu, welches seither dem sunnitischen Herrscherhaus Bahrains Sorgen bereitet. In den 1990er Jahren, als viele Mitglieder der schiitisch orientierten Wefaq-Partei im iranischen Exil waren, wurden besonders unter den schiitischen Klerikern enge Beziehungen geknüpft, die auch nach der Rückkehr der Parteianhänger nach Bahrain 2001 über die Landesgrenzen hinweg bestehen. So übt Iran auch auf gesellschaftlicher Ebene einen gewissen Einfluss auf Bahrains Bevölkerung aus. So war die Furcht der bahrainischen Regierung vor einer – aufgrund des regionalkonfessionellen Führungsanspruchs des 1979 neu etablierten iranischen Regimes – politischen Mobilisierung der Schiiten in Bahrain nicht unbegründet. Ende der 1980er Jahre wurde die Außenpolitik Irans mit dem Ende des Irak-Iran-Kriegs und dem Tod Ayatollah Khomeinis 1989 zusehends pragmatischer. Dies führte zu einer maßgeblichen Verbesserung der außenpolitischen Beziehung Irans allgemein und insbesondere zu seinen arabischen Nachbarn wie Bahrain. Mit den verbesserten politischen Beziehungen erholte sich auch der bilaterale Austausch zwischen Iran und Bahrain. So haben sich die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Staaten bis ins Jahr 2011 stark intensiviert. Das Handelsvolumen beträgt jährlich etwa 5 Mrd. USD10. Insbesondere im Energiesektor wurden zahlreiche gemeinsame Projekte mit Iran geplant und teilweise auch umgesetzt. So bezieht Bahrain einen Großteil seiner Gasimporte aus Iran und bemüht sich daher – Faath, Sigrid (Hrsg.): Rivalitäten und Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten in Nahost. Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Berlin 2010. Vgl. Singh Grewal, Sandeep: Boycott Iranian products, Gulf Daily News, 1. Mai 2011, http://www.gulfdaily-news.com/NewsDetails.aspx?storyid=305087, abgerufen am 18.07.2012. Deutsches Orient-Institut 67 Bahrain insbesondere auch im Kontext der gegen Iran verhängten internationalen Sanktionspolitik – um eine neutrale Haltung. So teilte der iranische Botschafter in Bahrain im August 2010 mit, dass die UN-Sanktionen gegen Iran keinerlei Auswirkungen auf das Gasgeschäft mit Bahrain hätten und auch der bahrainische Außenminister Sheikh Khalid bin Ahmed bin Mohamed Al-Khalifa äußerte sich im Dezember 2010 auf dem regionalen Sicherheitsgipfel in Manama noch sehr positiv zu dem iranischen Atomprogramm und sprach sich für das Recht Irans auf eine friedliche Nutzung der Kernenergie aus11. Auch im privaten Sektor entwickelt sich der Handel zwischen den beiden Staaten positiv, wie zahlreiche iranische Investitionen in Bahrains Wirtschaft – insbesondere in den Finanzsektor – zeigen. Die vorwiegend schiitisch geprägten Proteste im Königreich Bahrain im Frühjahr 2011 verstärkten jedoch die Sorge des sunnitischen Königshauses hinsichtlich einer zunehmenden schiitischen Einflussnahme durch Iran wieder. So hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten seit der innenpolitischen Krise in Bahrain stark abgekühlt. Während die bahrainische Königsfamilie Iran vorwirft, massiven Einfluss auf die protestierende Opposition genommen zu haben, stellte sich Iran offiziell auf die Seite der Demonstranten und kritisierte vor allem die militärische Intervention der Golfstaaten im Rahmen des Sicherheitspakts des Golfkooperationsrats scharf. So warnte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad vor einer „Besatzung Bahrains durch Saudi-Arabien“, der iranische Parlamentssprecher Mostafa Kavakebian sprach gar von einem „Massaker an den Schiiten“12. Die gegenseitigen Anschuldigungen lösten zusätzliche Spannungen aus, die am 23. Mai 2011 dazu führten, dass Bahrain verkündete, seine Erdgasimporte aus Iran vorerst einzustellen. Dem Aufkündigen wirtschaftlicher Beziehungen folgten diplomatische Konsequenzen, die letztendlich in der Ausweisung einiger Diplomaten gipfelten. Die politischen 11 12 13 68 und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Bahrain und Iran sind somit bis heute auf offizieller Ebene erkaltet. III. 2 Beziehung zu Saudi-Arabien Bahrain pflegt traditionell sehr enge Beziehungen zu Saudi-Arabien. Diese Beziehungen gewannen nach der Islamischen Revolution 1979 in Iran eine neue Bedeutung, als mit dem Sturz des Schahs Saudi-Arabien zum wichtigsten Verbündeten der USA in der Region wurde und zu einer regionalen Macht aufstieg. Das sehr enge Verhältnis zwischen dem Inselstaat Bahrain und seinem großen Nachbarn lässt sich in erster Linie durch die, für kleine Staaten wie Bahrain charakteristische, wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von wirtschaftlich potenteren Nachbarstaaten erklären. So ist Bahrain, wie die meisten der anderen Golfstaaten auch, auf den freien Handels-, Kapital- und Personenverkehr und somit stark auf eine stabile Sicherheitslage im Golf angewiesen. Seit 1986 verbindet die beiden Länder jedoch nicht nur der 26 Kilometer lange König-FahdDamm. Beide Staaten sind Mitglieder im Golfkooperationsrat und arbeiten wirtschaftlich sehr intensiv zusammen. Saudi-Arabien ist Bahrains wichtigster Handelspartner und neben Indien einer der wichtigsten Importeure bahrainischer Exportwaren, während sich das wirtschaftlich sehr liberale Bahrain ideal für saudische Investitionen anbietet. Das bilaterale Handelsvolumen stieg zwischen 1999 und 2008 von 1,8 Mrd. USD auf 10,5 Mrd. USD, Saudi-Arabien liefert jeden Tag 220.000 Barrel Öl an seinen Nachbarn. Darüber hinaus gilt das recht offene Bahrain als beliebtes Reiseziel für viele Saudis. So kommen mehr als 4 Millionen Saudis jährlich auf die kleine Insel, allein 3.500 saudische Staatsangehörige verfügten 2010 über Immobilien in Bahrain13. Auch die beiden Königsfamilien Al Saud und Al Khalifa stehen sich sehr nah. Sie verbinden vor allem gemeinsame sicherheitspolitische Interessen sowie die Tatsache, sich als sunnitische Monarchien in Ländern mit einem bedeutenden Schiiten-Anteil behaup- Fulton, Will, Farrar-Wellmann, Ariel: Bahrain-Iran Foreign Relations, 14. Juli 2011, http://www.irantracker.org/foreign-relations/bahrain-iran-foreign-relations, abgerufen am 18.07.2012. Fulton, Will, Farrar-Wellmann, Ariel: Bahrain-Iran Foreign Relations, 14. Juli 2011, http://www.irantracker.org/foreign-relations/bahrain-iran-foreign-relations, abgerufen am 18.07.2012. Vgl. Toumi, Habib: Saudi King Abdullah given rapturous welcome in Bahrain, 18. April 2010, http://www.habibtoumi.com/2010/04/18/saudi-king-abdullah-given-rapturous-welcome-in-bahrain/, abgerufen am 18.07.2012. Deutsches Orient-Institut Bahrain ten zu müssen. Ebenso wie das bahrainische Königshaus fürchtet auch die Al Saud die iranische Einflussnahme in der Region, die ihre eigene Macht und Legitimation untergraben könnte.14 Saudi-Arabiens prägender Einfluss auf seinen kleinen, geopolitisch dennoch sehr wichtigen Nachbarn Bahrain wird unterdessen insbesondere auch im Kontext der jüngsten Entwicklungen deutlich. So fand die Intervention der Peninsula Shield Forces, der gemeinsamen Militärtruppe aller GKR-Mitglieder, in Bahrain am 15. März 2011 unter saudischer Führung statt, um die ausgebrochenen Aufstände niederzuschlagen und dem sunnitischen Partner der Al Khalifa in der stabilitätsgefährdenden Krise beizustehen.15 Das harte Durchgreifen der Truppe wurde mit anti-schiitischer Propaganda untermauert, die in erster Linie Iran für die Unruhen verantwortlich machte. Das militärische Eingreifen Saudi-Arabiens hat sicherlich sicherheitspolitische und damit Macht erhaltende Gründe, die Intervention lässt sich ferner jedoch auch als Machtdemonstration Saudi-Arabiens gegenüber den hegemonialen Ambitionen Irans werten. Sowohl Saudi-Arabien, als auch Iran betrachten den Golf traditionell als ihr Einflussgebiet16 und befinden sich darüber hinaus seit den 1980er Jahren in einer Art kaltem Religionskrieg zwischen saudisch-wahhabitischen Sunniten auf der einen und iranischer Schia auf der anderen Seite. Bahrain wird im Kontext dieser bestehenden Rivalitäten zum Spielball machtpolitischer, aber auch religiösideologischer Interessen. III.3 Beziehung zu den restlichen GKR-Staaten Bahrain unterhält intensive Beziehungen zu all seinen Nachbarstaaten und stimmt sich in außenpolitischen Fragen die Region betreffend weitgehend mit ihnen ab. Seit 1982 existiert ein Freihandelsabkommen unter den Ländern des GKR, auch eine Einheitswährung ist geplant, konnte bislang aber nicht re14 15 16 alisiert werden. Im Juli 2009 beschlossen Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain und Katar die Einrichtung eines gemeinsamen Stromnetzes zur Förderung des Energiehandels. Als kleinster Mitgliedstaat im GKR spielt Bahrain so eine konstruktive Rolle. Seit April 2011 stellt es beispielsweise mit Abdul Latif Raschid AlZayani den Generalsekretär des GKR. Anlässlich der Proteste im Frühjahr 2011 unterstützten die einzelnen Staaten des Bündnisses weitgehend die Regierung Bahrains. Nur Kuwait versuchte anfangs noch, zwischen dem Königshaus der Al Khalifa auf der einen und der demonstrierenden Bevölkerung auf der anderen Seite zu vermitteln, gab diesen Versuch jedoch recht bald wieder auf, um sich der Position der anderen Golfstaaten anzuschließen, die zu Gunsten der bahrainischen Regierung für eine Intervention stimmten. Bevor es jedoch zu einer militärischen Intervention der GKR-Truppe kam, vereinbarten die Golfstaaten am 5. März 2011 gemeinsam den so genannten „GCC-Marshall-Plan“. Mit diesem mehrere Milliarden umfassenden Hilfspaket sollte in den beiden Mitgliedsstaaten Oman und Bahrain die Sicherheitslage im Sinne der anderen GKR-Mitglieder wieder stabilisiert werden. Ohne auf die politischen Forderungen der Demonstranten weiter einzugehen, zielte der Plan darauf ab, mittels finanzieller Mittel und Versprechen den Protesten ihren Druck zu nehmen und somit für Stabilität zu sorgen. Mittlerweile hat sich das in der Vergangenheit doch eher hinsichtlich bestimmter Sicherheitsinteressen bestehende Zwecksbündnis der Golfstaaten insbesondere im Kontext der bahrainischen Proteste als eine Partnerschaft mit ähnlichen außenpolitischen Interessen erwiesen und zeigte eine Einigkeit, die vor einigen Jahren auch aufgrund der familiären Rivalitäten der einzelnen Herrscherhäuser eher als unwahrscheinlich bezeichnet worden wäre. Gleichzeitig beweist der GKR so auch eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der mächtigsten internationalen Macht am Golf, den Vereinigten Staaten. So wird bereits von Dieses im Prinzip allen Golfstaaten gemeinsame Interesse nach regionaler Stabilität gilt als einer der Hauptgründe, den Golfkooperationsrat im Jahr 1981 zu gründen. Dieses Bündnis verfolgt neben sicherheitspolitischen auch wirtschaftliche Ziele nach mehr Kooperation, engerer politischer Unterstützung und erleichterten Handelsregularien. So zahlen die erdölreicheren Staaten beispielsweise den weniger wohlhabenden Nachbarn Transferleistungen aus ihren Öleinnahmen. Dieser Ansatz der Stabilitätssicherung durch großzügige Subventionen an die Bevölkerung gerät mit den Protesten in Bahrain im Februar 2011 zunehmend in Bedrängnis. Selbst das am 5. März 2012 geschnürte, 20 Milliarden umfassende Hilfspaket an Bahrain und den Oman konnte so die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nur bedingt eindämmen. Vgl. BBC News: Gulf states send forces to Bahrain following protests, 14. März 2011, http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-12729786, abgerufen am 18.07.2012. Beispielhaft dafür sind schon die unterschiedlichen Termini für die Meerenge, die von Saudi-Arabien als „Arabischer Golf“ bezeichnet wird, während der Iran auf der Bezeichnung „Persischer Gold“ besteht. Deutsches Orient-Institut 69 Bahrain einer „Regionalisierung der Sicherheitspolitik“ gesprochen, d.h. einer Außenpolitik, die immer selbständigere Züge aufweist und von eigenen Interessen gelenkt ist17 und sich damit zunehmend von den USA als einzigem Sicherheitsgaranten im Golf ablöst. Hierbei übernimmt Bahrain aufgrund seiner geostrategischen Lage, seiner konfessionellen Struktur, des ambivalenten Verhältnisses zu Iran und den engen Bindungen an Saudi-Arabien eine Schlüsselfunktion, ohne sich jedoch als handelnder Akteur präsentieren zu können. III.4 Beziehungen zu den USA Als sich die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr aus Bahrain zurückzogen, übernahmen die USA verstärkt die Rolle des Sicherheitsgaranten im Golf. Mittlerweile haben die USA seit Jahrzehnten die 5. Flotte ihrer Marine in Bahrain stationiert. Dieser Militärstützpunkt im Golf bringt die strategisch wichtige Stellung Bahrains im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten zum Ausdruck. Den US-Amerikanern ist es dadurch nicht nur möglich, unmittelbare Einblicke in die Erdölverschiffungen im Golf zu erhalten, ebenso können sie so dem iranischen Einfluss in der Region besser entgegen wirken. Seit 1991 verbindet Bahrain und die USA ein zunächst auf zehn Jahre angelegter Verteidigungspakt, der dem kleinen Inselstaat eine Sicherheit in Anbetracht des übermächtigen Nachbarn Irak bot, der mit der Invasion in Kuwait die Angst vor einem Angriff geschürt hatte. Auch aus diesem Grund war Bahrain während des Ersten Golfkrieges Teil der anti-irakischen Koalition und unterstützte die USA bei Luftangriffen auf irakisches Gebiet. Der Verteidigungspakt wurde im Jahr 2001 um zehn weitere Jahre und 2011 in einem geheimen Abkommen um fünf Jahre verlängert. Als einer ihrer wichtigsten Verbündeten außerhalb der NATO unterhalten die USA eine umfangreiche militärische Kooperation mit Bahrain, die nach der Entmachtung des irakischen Regimes vor allem der Abwehr gegen den Iran dient. So wurden nach Angaben der „Defense Security Cooperation Agency“ allein in den Jahren von 2007 bis 2010 Rüstungsgeschäfte im Wert von 600 Millionen USD umgesetzt. Neben dem Handel mit Rüstungsgütern verdeutlicht das 2004 unterzeichnete und seit 2006 geltende Freihandelsabkommen mit den USA ebenfalls 17 18 70 die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Aufgrund ihrer regierungsfreundlichen Haltung im Zuge der Proteste in Bahrain gerieten die USA weltweit in die Kritik. Schuld daran war in erster Linie ihre verhaltene und zögerliche Reaktion bezüglich des Eingreifens der GKR-Truppe in Bahrain. So verurteilten sie zwar offiziell die Anwendung von Gewalt und forderten die Regierung auf, in einen Dialog mit den Oppositionellen zu treten und umfangreiche Reformen durchzuführen, hielten sich mit weiteren Maßnahmen jedoch weitgehend zurück, was vor allem auf die Interessenspolitik der USA in der Region zurückzuführen ist, die aufgrund des Konflikts mit Iran auf Stabilitätssicherung der arabischen Golfmonarchien ausgerichtet bleiben wird. III.5 Die Beziehungen zur Europäischen Union und zu Deutschland Die bilateralen Beziehungen Bahrains zur Europäischen Union werden über die multilaterale Kooperation im Rahmen des GKR realisiert. Seit 1989 existiert ein Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem GKR, dessen Ziel es ist, die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Regionen weiter auszubauen. Seither wird über ein Freihandelsabkommen verhandelt, wobei besonders politische Divergenzen einem erfolgreichen Abschluss entgegen stehen. So steht Bahrain für sein Demokratiedefizit und die Nichtbeachtung von Menschenrechten bei den europäischen Wirtschaftsmächten in der Kritik. Dies scheint auch ein Indiz für die Tatsache zu sein, dass sich die GKR-Staaten immer mehr in Richtung Asien wenden. Für Bahrain ist deshalb besonders Japan neben seinen arabischen Nachbarstaaten zu einem wichtigen Außenhandelspartner geworden. Nichtsdestotrotz sind die GKR-Staaten sechstgrößter Exportmarkt der EU. So betrugen die Exporte in die GKR-Staaten im Jahr 2011 72,2 Mrd. EUR und stiegen damit im Vergleich zum Vorjahr um 11,1%, während sich die Importe von 35 Mrd. EUR im Jahr 2010 auf 56,4 Mrd. EUR im letzten Jahr erhöhten. Mittlerweile beträgt der Exportanteil aller EU-Staaten in die Mitgliedsländer des GKR 4,7%, der Importanteil liegt bei 3,3%18. Während die Staaten des GKR vorwiegend Vgl. Zeino-Mahmalat, Ellinor: Saudi- Arabiens und Irans Regionalpolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus, Hamburg 2009. Vgl. European Commission: Gulf Cooperration Council (GCC) – Trade Statistics, 27. März 2012, http://www.trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/september/tradoc_113482.pdf, abgerufen am 18.07.2012. Deutsches Orient-Institut Bahrain Maschinen, wie Anlagen zur Energieerzeugung, Eisenbahnen, Flugzeuge und diverse technische Geräte aus den Ländern der EU importieren, macht das Erdöl zwei Drittel der Importe aus den GKR-Staaten in die EU aus. Seit 2008 hat Bahrain eine Vertretung bei der EU. Trotz dieser wirtschaftlich guten Beziehungen kritisierte die EU immer wieder Menschrechtsverletzungen in Bahrain, so auch im April 201119. Bahrain bemüht sich seitdem, seine Beziehungen zu den europäischen Staaten auszubauen, auch zu Deutschland. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten kann als weitgehend freundschaftlich und unbelastet bezeichnet werden. So besuchte der bahrainische Kronprinz Salman bin Hamad bin Isa Al Khalifa im November 2011 Berlin, um sowohl mit dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle20, als auch mit dem deutschen Wirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler zusammen zu treffen und den Ausbau bilateraler Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu diskutieren. Hierbei betonte vor allem Rösler die Bedeutung eines nationalen Aussöhnungsprozesses in Bahrain und forderte den Kronprinzen auf, sich für eine Stabilisierung der Situation einzusetzen21. Konsequenzen in Form von diplomatischen Maßnahmen blieben jedoch aus; Deutschland zeigte sich ebenso wie die meisten EU-Vertreter beim Umgang mit den bahrainischen Unruhen eher regimefreundlich und moderat. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel stattete Bahrain im Jahr 2010, anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, einen Besuch ab. Während Deutschland insbesondere als bedeutender Wirtschaftspartner geschätzt wird, ist Deutschland an einem Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit insbesondere im Energiebereich sowie einer langfristigen Stabilisierung der Sicherheitslage am Golf interessiert. IV. Fazit und Perspektive Bahrains Außenpolitik wird vor allem durch das sensible Verhältnis zu den stärksten Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran be- 19 20 21 stimmt. Beide Staaten verfolgen bestimmte Eigeninteressen in Bahrain und sind interessiert daran, ihren Einfluss auszuweiten, um den anderen damit schwächen zu können. Wie vielleicht kein anderes Land am Golf kann Bahrain demnach als Spielball SaudiArabiens und Irans im „Kalten Krieg am Golf“ um Vormachtstellung, Einflusssphären und konfessionelle Dominanz gesehen werden, wenngleich der historische Konflikt zwischen saudischen Sunniten und iranischen Schiiten neben den Hegemonialinteressen nicht überschätzt werden sollte und der direkte iranische Einfluss auf bahrainische Schiiten bislang nicht belegt werden konnte. Doch das diffuse Bedrohungsszenario eines missionarischen „Feindbildes“ Iran bestimmt zum einen die Außenpolitik der Al Khalifa, zum anderen auch den öffentlichen Diskurs in Bahrain. Bahrain als kleiner Inselstaat mit schwacher außenpolitischer Reputation war, ist und bleibt auf ausländische „Schutzmächte“ angewiesen. Als enger Verbündeter der USA und Saudi-Arabiens geriert sich das sunnitische Königshaus der Al Khalifa als vertrauenswürdiger Alliierter der prowestlichen Mächte in der Golfregion. Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ versucht jedoch der GKR, sich verstärkt als eigenmächtiger regionaler außenpolitischer Akteur zu etablieren, um die Abhängigkeit von den strategischen Zielen der USA zu reduzieren und eine zunehmend eigene Agenda zu verfolgen. Bahrain spielt hierbei als „Frontstaat“ bei der versuchten Eindämmung des Rivalen Iran eine bedeutende Rolle, so dass auch von einer „Regionalisierung der Sicherheitspolitik“ gesprochen werden kann. Hierbei strebt das bahrainische Königshaus nach der Bewahrung des Status quo und sieht neben der konfessionellen Affinität auch in der Deckungsgleichheit der Stabilitätsinteressen im saudischen Königshaus einen idealen Partner und Schutzpatron, wie die auf saudische Initiative betriebene Invasion Bahrains zum Schutz der Al Khalifa im März 2011 bewies. Demnach zeigen sich die Al Khalifa weitgehend als reformresistente „Gegenrevo- So kritisierte der Sprecher der Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der EU Németh die Anwendung von Gewalt von Seiten der bahrainischen Regierung als Reaktion auf friedliche Demonstrationen und sprach sich für den friedlichen Dialog zur Lösung der Probleme aus. Vgl. Auswärtiges Amt: Pressemitteilung - Bundesminister Westerwelle trifft Kronprinz von Bahrain, 28. November 2011, Bundesminister Westerwelle trifft Kronprinz von Bahrain, abgerufen am 18.07.2012. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Rösler: Erfolgreicher Versöhnungsprozess in Bahrain ist Basis für vertiefte Wirtschaftsbeziehungen, 29. November 2011, http://www.bmwi.de/DE/Presse/tagesnachrichten,did=459060.html#458974, abgerufen am 18.07.2012. Deutsches Orient-Institut 71 Bahrain lutionäre“, um ihre eigene Machtbasis nicht zu schwächen und der diffusen Einflussnahme Irans entgegen zu treten. Hierbei bleibt umstritten, über welchen tatsächlichen Einfluss Iran bei den Schiiten Bahrains verfügt. Zwar werden sie zumeist als „fünfte Kolonne“ des Irans dargestellt, verfolgen allerdings auch eigene Agenden und können nicht als von Iran kontrollierter Agent einer neuen „Islamischen Revolution“ bezeichnet werden. Stattdessen vermischt sich die konfessionelle Dimension der innerbahrainischen Proteste mit einer sozialen Unzufriedenheit, die nicht ausschließlich Schiiten, sondern genauso arbeits- und perspektivlose Sunniten umfasst. In Zukunft wird die außenpolitische Situation Bahrains zum einen von der Lösung der inneren Probleme, zum anderen von der Entwicklung des saudisch-iranisch-USamerikanischen Konflikts abhängen. Sollte sich das Verhältnis der drei Mächte dramatisch verschärfen und es vielleicht zu militärischen Auseinandersetzungen kommen, befände sich Bahrain im „Auge des Sturms“: Als Stützpunkt für US-amerikanische Marineeinheiten sowie als „Brückenkopf“ für die saudischen Hegemonialbestrebungen könnte Bahrain schnell zum passiven Objekt werden, ohne über eine starke internationale Lobby und eine gewisse innenpolitische Einheit zu verfügen. Das Land scheint gespalten, innerlich an wirtschaftlichen und konfessionellen Linien zerrissen, sodass bei einer militärischen Auseinandersetzung mit Iran die endgültige Destabilisierung und vielleicht der Sturz der Al Khalifa droht. Bislang scheint es sich hierbei um ein unrealistisches Szenario zu handeln, doch die verstärkten US-amerikanischen Initiativen in der Straße von Hormuz und die verschärfte Rhetorik gegenüber Iran lassen einen von Saudi-Arabien und Israel unterstützten Militärschlag gegen Iran nicht mehr als ausgeschlossen erscheinen. Dem bahrainischen Königshaus wird also auch in Zukunft daran gelegen sein, die Proteste der Schiiten abzumildern, ohne ihnen weitgehende Freiheiten zuzugestehen. Hierfür wird es auch zukünftig auf eine „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Politik setzen, die Ali- 72 mentierung, Kooption und Repression umfasst, um einerseits die eigene Machtbasis zu stabilisieren und andererseits die Opposition zu schwächen. Im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten, in denen diese Strategie scheiterte, kann sich das bahrainische Königshaus der internationalen Unterstützung weitgehend sicher sein. Zwar rückten innenpolitische Querelen aufgrund der abgesagten Formel-Eins-Grand-Prix’s kurzzeitig in den Mittelpunkt des Medieninteresses, konkrete Forderungen, Ultimaten oder gar die Androhung von Sanktionen seitens der internationalen Gemeinschaft blieben allerdings aus. Akteure wie die EU oder die USA benötigen ein stabiles Bahrain als sicheren Anker gegen einen erstarkenden Iran. Die Unterstützung des bahrainischen Königshauses trotz einer aus menschenrechtlicher Perspektive besorgniserregenden Situation stößt bei vielen Beobachtern in der arabischen Welt bereits auf Kritik. Diese pragmatische, wertedistanzierte Interessenspolitik wird weitgehend als heuchlerische Doppelmoral kritisiert und schadet dem Ansehen der internationalen Gemeinschaft in weiten Teilen der Region. Dennoch bleiben die Einflussmöglichkeiten externer, nicht-arabischer Akteure auf einen möglichen Reformprozess in Bahrain gering. Zwar ist sich das bahrainische Königshaus bewusst, dass eine weitere Eskalation der Situation für die eigene Machtbasis kontraproduktiv wäre und wird daher die wirtschaftliche Verteilungspolitik weiterführen, dennoch werden grundlegende politische Reformen zu mehr Liberalisierung und Demokratisierung weder im Sinne der Al Khalifa noch im Interesse der Al Saud liegen. Außenpolitisch wird es Bahrain daher in Zukunft nicht gelingen, sich als eigenständiger Akteur zu profilieren, wie das teilweise Katar in der Vergangenheit gelungen ist. Die fragile innenpolitische Lage, die sensible geostrategische Lage, sowie der Machtkampf Irans und Saudi-Arabiens wird Bahrain nur geringfügig befähigen, außerhalb der GKR-Interessen eine unabhängige nationale Außenpolitik zu betreiben, und Bahrain zeigt daran auch nur wenig Interesse. Marie Pfister Deutsches Orient-Institut Bahrain V. Quellenangaben ABDULLA, MOSTAFA: Bahrain: Change of the Regime or Changes Within the Regime? In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Perspectives. Political analysis and commentary from the Middle East, Berlin 2011. ALSIS, PETER, ALLISON, MARISSA, CORDESMAN, ANTHONY H.: U.S. and Iranian Strategic Competition in the Gulf States and Yemen. 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Einleitung as Emirat Kuwait ist mit 17.818 km2 und ca. 3,44 Millionen Einwohnern (davon sind nur 1,09 Millionen kuwaitische Staatsbürger) das klassische Beispiel eines ölreichen, aber sicherheitspolitisch schwachen Staates. Seine enormen Erdölvorräte1 von rund 104 Mrd. Barrel (7% der weltweiten bekannten Erölreserven) wecken Begehrlichkeiten, insbesondere beim ummittelbaren Nachbarn Irak, dessen Invasion 1990 das einschneidendste Erlebnis in der Geschichte Kuwaits seit der Unabhängigkeit 1961 war. Die Außenpolitik Kuwaits beruht auf drei Grundpfeilern: 1. Bemühung um gute nachbarschaftliche Beziehungen zu den drei großen Nachbarn Saudi-Arabien, Iran und Irak; 2. Einbindung in die regionalen Organisationen des Golfkooperationsrats (GKR) und der Arabischen Liga; 3. Aufrechterhaltung der engen Sicherheitspartnerschaft mit den USA zur Wahrung der eigenen Souveränität. Die Existenz als Kleinstaat definiert somit Kuwaits außenpolitische Ziele. Die unmittelbare Nachbarschaft zu drei konkurrierenden Regionalmächten in der geostrategisch wichtigen Region des Golfs verlangt einen beständigen politischen Balanceakt vom kleinen Kuwait. Gute nachbarschaftliche Beziehungen sollen möglichen Zerwürfnissen zuvorkommen. Die Zusammenarbeit in regionalen Organisationen sorgt ebenso für gute nachbarschaftliche Beziehungen und gibt Kuwait die Möglichkeit, seiner Politik größeres Gewicht zu verleihen. Die Notwendigkeit des dritten Pfeilers wurde insbesondere nach der irakischen Invasion 1990 deutlich. Während das außenpolitische Beziehungsgeflecht Kuwaits nach dem Kalten Krieg lange vom Trauma der irakischen Invasion geprägt war, ist zurzeit Iran das zentrale außenpoliti1 2 3 sche Thema im Land. Die Proteste des „Arabischen Frühlings“ 2011 waren in Kuwait hingegen nur bedingt zu spüren. Im liberalsten der Golfstaaten bieten die Nationalversammlung und die relativ freie Presse einen anerkannten öffentlichen Rahmen zur politischen Diskussion. Dieses Kapitel beabsichtigt das außenpolitische Beziehungsgeflecht Kuwaits unter besonderer Berücksichtigung der jüngeren Vergangenheit darzustellen. Im zweiten Teil werden zunächst die historischen und innenpolitischen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Entstehung des unabhängigen Emirat Kuwaits und seines politischen Systems anhand der Nationalversammlung beleuchtet. Anschließend wendet sich die Arbeit der regionalen Perspektive des außenpolitischen Beziehungsgeflecht Kuwaits zu. Hierbei werden die Beziehungen zu den anderen Golfstaaten im Rahmen des GKR, insbesondere zu Saudi-Arabien, zum Irak und zu Iran analysiert. Auf internationaler Ebene werden die Beziehungen zur Europäischen Union (EU) und Deutschland sowie zu China und den USA beleuchtet. Dabei zeigt sich die herausragende Rolle der USA als Schutzmacht Kuwaits im Golf. Im abschließenden Fazit wird prognostiziert, dass die kuwaitische Politik kurz- und mittelfristig weiterhin auf die innenpolitische Entwicklungen und die unmittelbare Nachbarschaft Iraks und Irans gerichtet sein wird. II. Historische und innenpolitische Voraussetzungen Um das außenpolitische Beziehungsgeflecht Kuwaits analysieren zu können, wird zunächst ein Blick auf die Entstehung und die innenpolitischen Zwänge des Landes geworfen. Vor diesem Hintergrund werden in den nächsten beiden Teilen die Außenbeziehungen Kuwaits auf regionaler und internationaler Ebene analysiert. II.1 Entstehung des Staates Kuwait Die Geschichte Kuwaits wird seit Jahrhunderten von der Familie Al Sabah bestimmt. Seit 1752 stellt sie die herrschende Familie2. Die Al Sabah schlossen einen „traditional ruling bargain“3 mit den führenden Kaufleuten der Vgl. Auswärtiges Amt: Wirtschaftspolitik Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertigesamt.de/sid_60F99ED966AF7C99C0DE462698AD165B/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/ Kuwait/Wirtschaft_node.html, abgerufen am 27.07.2012. Vgl. Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 89. Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 92. Deutsches Orient-Institut 75 Kuwait Region, worin sie in beratender Funktion zwischen den Kaufleuten vermittelte. Wegen seiner Randlage wurde das Gebiet des heutigen Kuwait lange Zeit wenig von den wechselnden Großmächten der Region (Kalifate der Umayyaden und Abbasiden, Mongolen und Osmanisches Reich) beachtet. Die Al Sabah-Familie sicherte sich 1899 mit dem Abschluss eines exklusiven Vertrags mit den Briten eine relative Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich und von der lokalen Kaufmannselite, indem sie sich in den Schutzbereich der Briten stellten. Die vielfältigen Versuche der Kaufleute, politischen Einfluss zu gewinnen, mündeten in den 1950er Jahren im Versprechen wirtschaftlicher Privilegien. Im Gegenzug wurden politische Entscheidungen allein den Al Sabah überlassen. Die wirtschaftliche Entwicklung Kuwaits änderte sich mit dem Beginn der Erdölförderung 1946 entscheidend. Mit den Einnahmen aus der Erdölförderung bauten die Al Sabah einen Rentierstaat auf, wie es für die erdölfördernden Staaten der Arabischen Halbinsel typisch ist. Die Einwohner Kuwaits kamen in den Genuss eines umfangreichen Leistungskatalogs, der ein kostenloses Gesundheitswesen, kostenlose Bildungsangebote und eine Reihe von Subventionen und Jobgarantien vor allem im öffentlichen Sektor umfasste. Im Gegenzug wurde von den Staatsangehörigen die politische Passivität verlangt („no taxation without representation“). Dieses System, dieser „Gesellschaftsvertrag“, kann als ein Grund für die mangelnde politische Partizipation und demokratische Tradition in den ressourcenreichen Golfstaaten gesehen werden. Kuwait hingegen besitzt eine lange Tradition der politischen Partizipation, die sich von der traditionellen diwaniya4 zur Nationalversammlung entwickelte, weshalb Sean L. Yom Kuwaits Variante des politischen Systems als „popular rentierism“5 bezeichnet. Am 19. Juni 1961 wurde Kuwait als erstes Land der kleinen Golfstaaten von Großbritannien unabhängig. Der Irak erkannte die Unabhängigkeit Kuwaits jedoch nie an und erhob 4 5 6 7 76 Gebietsansprüche auf kuwaitisches Territorium. Als Reaktion darauf schloss Kuwait ein Militärabkommen mit Großbritannien ab und führte 1963 eine Nationalversammlung (arabisch: majlis al-umma) ein, um die Legitimität der eigenen Herrschaft zu betonen. Das Militärabkommen war notwendig, da Kuwait als Kleinstaat seine Sicherheit nach außen nicht gewährleisten konnte und somit vom Schutz größerer Staaten abhängig blieb. In Kuwait lebt mit 30% der einheimischen Bevölkerung ein großer Anteil an Schiiten. Diese sind aber, im Gegensatz zu Bahrain, politisch und wirtschaftlich gut integriert. Die Ausbürgerung eines schiitischen Klerikers 20106 bleibt ein Einzelfall. Konfessionelle Streitigkeiten „wurden nie stark politisiert.“7 Schiiten und Sunniten profitieren beide gleichermaßen von der großzügigen Subventionspolitik des Rentierstaats. Ganz anderes als die „Bidoon“, die „ohne“ (arab. bidun) Nationalität und ohne die gleichen Rechte im Land leben. II.2 Politisches System und gesellschaftliche Entwicklungen Das politische System Kuwaits ist eine konstitutionelle Erbmonarchie. Der Staat Kuwait wird vom Emir aus der Familie Al Sabah regiert. Er ernennt unter Mitwirkung des Parlaments den Thronfolger. Normalerweise wird hierbei zwischen den Nachkommen der Söhne Mubaraks (reg. 1896-1915), Jaber und Salem, abgewechselt. Allerdings kamen die letzten beiden Emire aus dem Zweig der Jaber. 1963 wurde die Nationalversammlung eingeführt. Sie besteht auf 50 Mitgliedern, die alle vier Jahre gewählt werden. Da in Kuwait die Bildung politischer Parteien verboten ist, sind die Wahlen personalisiert, sodass sich die Parlamentsabgeordneten zu Adhoc-Koalitionen zusammenschließen. Obwohl eine künstliche Einordnung immer mit Gefahren verbunden ist, wird häufig zwischen liberalen und islamistischen Gruppierungen unterschieden. Daneben bilden die Stämme eine bedeutende Gruppe. Seit Mai 2005 besitzen kuwaitische Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Diwanija ist im Treffen in Privathäusern zur politischen Diskussion und zum Ideenaustausch. In anderen arabischen Staaten existiert ein ähnliches Konzept, des so genannte majlis. Vgl. http://www.e.gov.kw/sites/kgoenglish/portal/Pages/Visitors/AboutKuwait/CultureAndHeritage_ CustomsAndTraditions.aspx. Vgl. Yom, Sean L.: Oil, Coalitions, and Regime Durability: the Origins and Persistence of Popular Rentierism in Kuwait, in: Studies in Comparative International Studies, 46 (2011), S. 217-241. Vgl. Imam aus Kuwait ausgebürgert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.September 2010, Politik, S. 6. Stephenson, Lindsey: Ahistorial Kuwaiti sectarianism, in: Foreign Policy, 29.April 2012, www.mideast. foreignpolicy.com/posts/2011/04/29/ahistorical_kuwaiti_sectarianism, abgerufen am 16.07.2012. Deutsches Orient-Institut Kuwait Ein tiefer Einschnitt in das politische System Kuwaits geschah mit dem Tod des langjährigen Emirs Jabir Ahmad al-Jabir Al Sabah im Januar 2006 (reg. 1977-2006). Die angeschlagene Gesundheit des Thronfolgers veranlasste jedoch die Nationalversammlung, seine Absetzung mitzuforcieren, was als ein Novum in der Geschichte der Arabischen Golfstaaten gilt. Außerdem wurde 2006 nach heftigen Protesten der Jugend die Anzahl der Wahlkreise von 25 auf fünf gesenkt. Ebenso zwang die Nationalversammlung in der Vergangenheit Minister zum Rücktritt und erklärte Erlässe des Emirs für ungültig.8 Seitdem wurden mehrmals Neuwahlen vom jetzigen Emir Sabah Al-Ahmad Al-Jaber Al Sabah (geb. 1929) ausgerufen und das Kabinett umgebildet, um die Regierungsfähigkeit zu erhalten. Dies blieb allerdings ohne Erfolg, sodass sich Kuwait seit Jahren in einer fundamentalen Krise der politischen Handlungsunfähigkeit aufgrund des Konfliktes zwischen Emir und Parlament befindet. Kurz: “Kuwait has lurched from one political crisis to the next”.9 Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Abgeordneten kaum Gestaltungsmacht besitzen und somit umso mehr von ihrer Blockademacht Gebrauch machen, um ihrer Unzufriedenheit und ihrer politischen Machtlosigkeit zumindest im Protest Ausdruck zu verleihen. Die mehrmaligen Neuwahlen zeigen den Versuch des Emirs, sowohl Regierbarkeit als auch die Regierungshoheit zu erhalten. Der Nationalversammlung gelang es, anders als vom Emir antizipiert, das Befragungsrecht zu ihrem mächtigsten Instrument auszubauen und so ihre eingeschränkte legislative Gewalt 8 9 10 11 12 (der Emir hat das Initiativ- und suspensive Vetorecht) zu kompensieren. So gelang es der Nationalversammlung, sich zu einer dynamischen Diskussionsplattform zu entwickeln, die in der relativ freien Medienlandschaft10 des Landes ihre Fortsetzung findet. Innenpolitisch kam es auch während des Arabischen Frühlings 2011 zu Protesten von zwei unterschiedlichen Seiten. Die „Bidoon“, staatenlose Einwohner Kuwaits, protestierten gegen ihre Rechtlosigkeit. Die sicherlich vom „Arabischen Frühling“ inspirierten Proteste im Februar und März 2011 blieben jedoch aus Sicht der Bidoons erfolglos. Weiterhin protestierten kuwaitische Staatsbürger gegen den Premierminister und die korrupte kuwaitische Verwaltung.11 Die Protestler waren meist junge Leute, die schon 2006 für die Verringerung der Wahlbezirke demonstriert hatten. Daran – und an der dynamischen Entwicklung der Nationalversammlung – kann man erkennen, dass Proteste gegen die Regierung in Kuwait nicht erst seit dem Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ zu beobachten sind, eine indirekte Inspiration konkreter Demonstrationen durch den „Arabischen Frühling“ kann aber nicht verneint werden. Insgesamt blieben die Auswirkungen der Transformationsprozesse in anderen arabischen Staaten auf Kuwait selbst jedoch gering.12 III. Regionale Perspektive Kuwaits regionale Perspektive ist entscheidend durch die einflussreichen Nachbarn Irak, Iran und Saudi-Arabien bestimmt. Als Kleinstaat strebt Kuwait danach, den Status Quo zu erhalten, um zwischen den Regionalmächten nicht zerrieben zu werden und versucht jedwede Instabilität in der Region zu vermeiden. Vgl. Niethammer, Katja: Chancen und Grenzen politischer Reformen in den GKR-Staaten, in: Gerhard Wahlers (Hrsg.): Im Fadenkreuz der Großmächte. Die Geopolitik der Golfregion, Im Plenum (KonradAdenauer-Stiftung), Berlin, Juni 2008, http://www.kas.de/wf/doc/kas_13928-544-1-30.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 12. Kathman, Kenneth: Kuwait: Post-Saddam Issues and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 29.Juni 2005, http://www.fpc.state.gov/documents/organization/50259.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 1. Verboten sind Kritik an der Person des Emirs und der herrschenden Familie, die Beleidigung der Grund werte monotheistischer Religionen sowie die Verletzung der öffentlichen Moral. Ebenso bleibt die Kritik an der saudischen Herrscherfamilie untersagt. „Reporter ohne Grenzen“ bezeichnen die kuwaitischen Medien als „zweifelsohne die freiesten in der Region“. Im Press Freedom Index rangiert Kuwait auf Rang 78 von 179. Damit liegt Kuwait vor allen anderen arabischen Staaten. Als nächster Golfstaat folgen die Vereinigten Arabischen Emirate erst auf Platz 112, Katar auf Platz 114. Saudi-Arabien liegt auf Platz 158. Vgl. Reporters Without Borders: Press Freedom Index 2011-2012, 25. Januar 2012, http://www.en.rsf.org/IMG/CLASSEMENT_2012/ C_GENERAL_ANG.pdf, abgerufen am 07.08.2012. Im Corruption Perception Index von Transpareny International 2011 rangiert Kuwait auf Platz 54 von 184 und ist damit der Golfstaat mit der zweithöchsten Korruption nach Saudi-Arabien auf Rang 57. Vgl. Arab Times: Kuwait ‘54th’ on corruption index, 6. August 2012, http://www.arabtimesonline.com/NewsDe tails/tabid/96/smid/414/ArticleID/176778/reftab/36/Default.aspx, abgerufen am 07.08.2012. Vgl. für weitere Informationen: Mambrey, Alina: Kuwait, in: Deutschen Orient-Instituts (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick , September 2011, S. 187-193. Deutsches Orient-Institut 77 Kuwait III.1. Saudi-Arabien, die anderen Golfstaaten und der Golfkooperationsrat Innerhalb der Golfstaaten orientiert sich Kuwait stark am Königreich Saudi-Arabien, dem mit knapp 28 Millionen Einwohnern größten Staat auf der Arabischen Halbinsel. Die gemeinsame Erfahrung der irakischen Invasion 1990 (auch in saudisches Territorium marschierten irakische Truppen ein) schweißte die beiden Staaten noch enger zusammen, sodass sich die traditionell vertrauenswürdigen Beziehungen noch intensivierten. Auch sicherheitspolitisch besitzt Kuwait ein Interesse an guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien, ebenso wie zu den anderen beiden Regionalmächten Irak und Iran, was als diplomatische Gratwanderung bezeichnet werden kann, stehen doch diese drei Länder mehr oder weniger in regionaler Konkurrenz miteinander oder pflegen offen artikulierte Abneigung wie das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran. Ebenfalls überlebensnotwendig für einen Kleinstaat wie Kuwait ist die Einbindung in regionale Organisationen. Zum Schutz vor der expansiven Propaganda Irans nach der Islamischen Revolution wurde am 25. Mai 1981 der Golfkooperationsrat (GKR) von Kuwait, Bahrain, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman und Saudi-Arabien gegründet. Als stärkste Macht dominiert Saudi-Arabien die offizielle Linie des GKR, an die sich die meisten anderen Golfstaaten bis heute stark anlehnen. In einem weiteren Schritt zur Verbesserung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit wurde im Rahmen des GKR „die weitgehend symbolischen ‚Peninsula Shield’ Koalitionstruppen“13 von den sechs Mitgliedsstaaten gegründet. Zwar blieben diese Truppen lange Zeit rein symbolisch, erlangten aber im März 2011 im Zusammenhang mit den zivilen Protesten in Bahrain weltweite Bekanntheit. Offiziell wurden sie zur Unterstützung der bahrainischen Sicherheitskräfte eingesetzt, dessen Kräfte durch die Demonstrationen gebunden waren. Kuwait schickte keine 13 14 15 16 78 Bodentruppen, sondern unterstützte die Operation durch die Marine.14 Diese zurückhaltende Kooperation ist ein Pfeiler der kuwaitischen Politik: Weder mochte man den mächtigen Partner Saudi-Arabien (der Bahrain als sein Einflussgebiet ansieht) durch Passivität verärgern, noch wollte man negative Reaktionen unter der eigenen schiitischen Bevölkerung riskieren. Dieser Balanceakt wurde durch die Marine gelöst. Obwohl die Schiiten in Kuwait generell gut in das politische und wirtschaftliche Leben integriert sind, haben konfessionelle Spannungen in der Region für zusätzlichen Zündstoff gesorgt15. In gleicher Weise streben die Staaten des GKR eine gemeinsame Strategie gegenüber dem iranischen Nuklearprogramm an. Statt einer gemeinsamen Linie, argumentieren Cronin und Masalha hingegen, dass die Golfstaaten bilaterale Beziehungen zu Iran aufrechterhalten, die ihren jeweils eigenen Interessen und Besonderheiten gerecht werden. Ihnen ist hierbei jedoch allen gemein, dass sie weitere Unruhen in der Region verhindern wollen.16 Die kuwaitische Politik zum iranischen Nuklearprogramm wird im Kapitel „Iran“ näher beleuchtet. III.2 Das Trauma der irakischen Invasion und dessen Nachwirkungen Die Beziehungen zum großen Nachbarn Irak waren seit der Unabhängigkeit Kuwaits 1961 angespannt. Mit der irakischen Invasion Kuwaits am 1. August 1990 brachen sich die Spannungen dann in der Kuwait-Invasion durch Irak, dem so genannten „Zweiten Golfkrieg“, bahn. Bis zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein durch die Amerikaner 2003 wurde Kuwaits regionale Außenpolitik durch die potentielle irakische Bedrohung bestimmt. Jedoch sind die Beziehungen zum Irak nach dem Sturz Husseins ebenfalls nicht ohne Spannungen. Die Ursachen dieser fragilen bilateralen Beziehung lassen sich zu großen Teilen auf die vom Irak erhobenen Gebietsansprüche in Ku- Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monar chies, London 2011, S. 91. Vgl. Kuwait naval units join Bahrain mission ... ‘Plot foiled’, in: Arab Times, 21.März 2011, http://www.arabtimesonline.com/NewsDetails/tabid/96/smid/414/ArticleID/167038/reftab/73/Default.aspx, abgerufen am 01.08.2012. Stephenson, Lindsey: Ahistorial Kuwaiti sectarianism, in: Foreign Policy, 29.04.2012, http:// www.mide ast.foreignpolicy.com/posts/2011/04/29/ahistorical_kuwaiti_sectarianism, abgerufen am 16.07.2012. Vgl. Cronin, Stephanie; Masalha, Nur: The Islamic Republic of Iran and the GCC states: Revolution to realpolitik?, in: Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf States (London School of Economics), August 2011, http://www2.lse.ac.uk/government/research/resgroups/ kuwait/documents/Cronin%20and%20Masalha.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 5. Deutsches Orient-Institut Kuwait wait zurückführen. Der Irak hat bis heute die Unabhängigkeit Kuwaits nie anerkannt. Das kleine Kuwait sah sich somit seit seiner Unabhängigkeit Drohgebärden seines unmittelbaren Nachbarn ausgesetzt, weshalb es auf militärischen Schutz von außen, erst von den Briten, dann von den US-Amerikanern, angewiesen war. Am 1. August 1990 marschierte die irakische Armee in Kuwait ein und annektierte das Land völkerrechtswidrig. Die Regierung und die Familie der Al Sabah flohen nach Saudi-Arabien. Die darauf folgende Befreiung durch eine „Koalition der Willigen“ geschah unter Führung der USA, die seit dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion eine unumstrittene Führungsrolle innerhalb einer unilateralen Weltordnung eingenommen hatten. Es wurde weiterhin befürchtet, dass der Irak versuchen würde, die erdölreiche östliche Provinz Saudi-Arabiens zu erobern. Dies hätte eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA bedeutet, die von saudi-arabischem Erdöl abhängig waren. Daneben galt es, weitere Eroberungen des Iraks wegen seiner Völkerrechtswidrigkeit abzuwehren. Innerhalb von nur fünf Tagen startete die Operation „Desert Shield“ zum Schutz Saudi-Arabiens. In den nächsten Monaten verhandelte die internationale Staatengemeinschaft im UN-Sicherheitsrat unter Federführung der USA mit dem Irak über die Bedingungen eines Rückzugs. Kuwait selbst war nicht direkt in die Verhandlungen eingebunden. Mit der UN-Resolution 678 stellte der UN-Sicherheitsrat dem Irak ein Rückzugsultimatum, bei deren Nichteinhaltung „alle notwendigen Mittel“, also auch militärische Gewalt, völkerrechtlich legitimiert wurden. Anfang 1991 begann die Operation „Desert Storm“ zur Rückeroberung Kuwaits unter UN-Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. Mit dem Ende des Zweiten Golfkriegs (als Erster Golfkrieg gilt der Iran-Irak-Krieg zwischen 1980 und 1988) etablierten sich die USA als Schutzmacht Kuwaits.17 Die Invasion wirkte als traumatischer Schock für die kuwaitische 17 18 19 Regierung und Bevölkerung. Ihre Beziehungen zum Irak sind bis heute durch diese negative Erfahrung geprägt und in den Jahren danach prägte das Freund-Feind-Denken auch die Beziehungen zu anderen Staaten. So verschlechterte sich das Verhältnis zur PLO in den Palästinensischen Gebieten dramatisch, da sich deren Präsident Jassir Arafat während des Krieges auf die Seite des Iraks gestellt hatte. Erst nach dessen Tod 2004 sollten sich die Beziehungen wieder verbessern. Ähnliches galt für das Verhältnis zu Jordanien, dem Sudan, Jemen und Kuba. Die Beziehungen zu Jordanien normalisierten sich mit dem Besuch König Abdullahs in Kuwait im September 1999. Der Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein 2003 durch die Amerikaner wurde demnach von der kuwaitischen Regierung begrüßt. Trotz seiner Schwächung durch die internationalen Sanktionen stellte Husseins Irak nach dem Ende der Invasion 1991 weiterhin eine Gefahr für die äußere Sicherheit Kuwaits dar. Während des Irak-Kriegs 2003 unterstützte Kuwait die US-amerikanischen Truppen bei ihrer Invasion in den Irak intensiv. Während in Saudi-Arabien die meisten Truppenverbände aufgrund gesellschaftlicher Proteste nach dem 11. September 2001 abgezogen worden waren, wurde die Truppenpräsenz in den kleinen Golfstaaten im Zuge des Irak-Kriegs 2003 und der iranischen Bedrohung massiv aufgestockt. Der direkte Nachbar Kuwait stellte den Amerikanern „bis zu 60% seines Territoriums“18 zur logistischen und infrastrukturellen Verfügung. Die Beziehungen zum Irak sind auch nach dem Sturz von Saddam Hussein von Misstrauen auf beiden Seiten gekennzeichnet. Offiziell werden jedoch die verbesserten Beziehungen betont und die mittlerweile kollegiale Kooperation gelobt, was vor allem auch am außenpolitischen Druck der USA, sowie der Erkenntnis der Golfstaaten liegen könnte, sich nicht isolieren zu dürfen, sondern mit dem bevölkerungs- und ölreichen Nachbarn Ebenen der Zusammenarbeit suchen zu müssen.19 2008 wurde wieder ein kuwaitischer Bot- Zu den US-kuwaitischen Beziehungen siehe Kapitel IV.4. Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 92. Vgl. Cronin, Stephanie; Masalha, Nur: The Islamic Republic of Iran and the GCC states: Revolution to realpolitik?, in: Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf States (London School of Economics), August 2011,http://www2.lse.ac.uk/government/research/resgroups/ kuwait/documents/Cronin%20and%20Masalha.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 10. Deutsches Orient-Institut 79 Kuwait schafter nach Bagdad entsandt20 und 2011 erklärte der Sprecher der kuwaitischen Nationalversammlung, dass „wir [Kuwait und Irak, LB] hervorragende Beziehungen anstreben, die auf gegenseitigem Respekt der jeweiligen territorialen Souveränität beruhen.“21 Jedoch zeigt sich an den Taten und der Stimmung in Gesellschaft und Medien, wie groß das gegenseitige Misstrauen noch verankert ist. So wird die Frage der Reparationen für die Invasionsschäden nach wie vor intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert. Weder die Nationalversammlung noch die Bürger in Kuwait sind gewillt, auf die ausstehenden Reparationen in Höhe von 14,7 Milliarden USD22 zu verzichten, obwohl Kuwait heute zu einem der reichsten Länder der Welt gehört, während der Irak von den Jahren der Wirtschaftssanktionen und des Bürgerkriegs geprägt ist und nach wie vor unter Instabilität, regionalen Diskrepanzen, Arbeitslosigkeit und politischer Instabilität leidet. Dies zeigt, wie stark die Erfahrung der Invasion die kuwaitische Mentalität und Identität bis heute prägt. Außerdem stehen aus dem Golfkrieg 1990/1991 noch die Fragen nach Kriegsgefangenen und der Rückkehr gestohlener Kunstgegenstände, darunter ein 234-karätiger Smaragd, offen. Solange diese Themen nicht vollständig geklärt sind, wird sich auf beiden Seiten das Misstrauen nicht maßgeblich reduzieren. In der jüngeren Vergangenheit symbolisierte das ambitionierte Infrastrukturprojekt um den kuwaitischen Hafen Mubarak das weiterhin angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern. So wurde von Seiten des Iraks im August 2011 Kritik laut, der Großhafen würde den Seehandel des Iraks und dessen Planungen für den eigenen Großhafen Grand Faw mit einem Kostenvolumen von etwa 6,1 Mrd. USD und einer geschätzten Kapazität von 99 Mio. Tonnen im Jahr erheblich beeinträchtigen.23 Eine einvernehmliche Lösung wurde durch die Parlamente beider Länder er- 20 21 22 23 24 25 26 27 80 schwert, da „Fragen des Nationalstolzes und der Geschichtserfahrung sich als unwiderstehlich für ambitionierte Politiker herausstellten.“24 Ein Jahr später legten die beiden Länder den Streit bei und einigten sich auf die gemeinsame Nutzung der Wasserwege und eine gemeinsame Verwaltung zur Überwachung der Vereinbarung.25 Trotz dieses Erfolgs und weiterer Vereinbarungen zur Nutzung von grenznahen Ölfeldern, müssen diese Einigungen immer hart erkämpft werden, sodass bereits von einer entstehenden „Pathologie des Hasses“ gesprochen wird.26 III.3 Iran Historisch wurden die Beziehungen beider Länder von der Islamischen Revolution 1979 geprägt. Unter Ayatollah Chomeini betrieb Iran eine konfrontative Außenpolitik mit dem Ziel des Revolutionsexportes. Als Reaktion auf diese Bedrohung der inneren Sicherheit der Golfmonarchien, die für Chomeini eine „ungerechte Herrschaft“ darstellten, gründeten diese 1981 den GKR. Mit Beginn des Iran-Irak-Kriegs 1980 verschlechterten sich die Beziehungen weiter, da Kuwait den Irak mit großzügigen finanziellen Hilfen unterstützte und die USA kuwaitische Öltanker im so genannten „Tankerkrieg“ neu beflaggte. Die USA wollten die Erdöllieferungen sichern und zeigten zum ersten Mal militärische Präsenz am Golf.27 Erst nach 1991 verbesserten sich die Beziehungen zu Iran als regionalen Gegenpol zum Irak. Die Bedrohung durch den Irak wurde akuter als die durch Iran angesehen, der unter dem Nachfolger Chomeinis, Ayatollah Chamenei, den Revolutionsexport aufgab. Mit dem Ende der irakischen Bedrohung durch Saddam Hussein rückte die Bedrohung durch Iran erneut ins Augenmerk der kuwaitischen Führung. Hierbei sind zwei Aspekte von Bedeutung: Erstens der nach dem Sturz Vgl. Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 108. Kuwait keen on good neighborliness with Iraq: Al-Kharafi, in: Kuwait News Agency, 01.August 2011, http://www.kuna.net.kw/ArticleDetails.aspx?language=en&id=2183173, abgerufen am 16.07.2012. Vgl. http://www.uncc.ch/status.htm. Vgl. Iraq Business News: Basra Forms Group to Invest in Faw Port, 23. Mai 2012, http://www.iraqbusinessnews.com/tag/al-faw-grand-port/, abgerufen am 07.08.2012. Roberts, David: Kuwait’s war of words with Iraq: Foreign Policy, 20. Juli 2011, http://www.mideast. foreignpolicy.com/posts/2011/07/20/kuwatis_war_of_words_with_iraq, abgerufen am 16.07.2012. Vgl. Iraq committed to resolving problems with Kuwait – roundup, in: BBC Monitoring Middle East, 01.Mai 2012 Roberts, David: Kuwait’s war of words with Iraq, in: Foreign Policy, 20.Juli 2011, http://www.mideast. foreign-policy.com/posts/2011/07/20/kuwatis_war_of_words_with_iraq, abgerufen am 16.07.2012. Vgl. Wachenfeld, Margaret G.: Reflagging Kuwaiti Tankers: A U.S. Response in the Persian Gulf, in: Duke Law Journal, 174 (1988), S. 174-202. Deutsches Orient-Institut Kuwait von Hussein stark gewachsene iranische Einfluss im Irak und zweitens das iranische Nuklearprogramm. Während der Ära Saddam Husseins versuchte Kuwait, sich stärker an Iran zu binden, um die regionale Heterogenität beider Länder zu seinen Gunsten zu nutzen und den Irak zu schwächen. So wurde noch 2002 im Rahmen eines Besuchs des iranischen Verteidigungsministers Ali Shamkhani in Kuwait eine engere Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Militär angestrebt.28 Mit der ersten unabhängigen Regierung nach dem Sturz Saddam Husseins wuchsen das Selbstbewusstsein und der Einfluss der irakischen Schiiten, die von Iran unterstützt werden. Dies läuft dem kuwaitischen Wunsch nach einer internationalen Eindämmungspolitik sowohl gegenüber dem Irak als auch Iran zuwider. Diese Komponente belastet die angespannten Beziehungen zum neuen Irak noch weiter. Des Weiteren zeigt sich Kuwait, allein aufgrund seiner geographischen Nähe Iran, nicht an einer Eskalation der Situation um das iranische Atomprogramm interessiert. Kuwait sieht die umstrittenen Ambitionen der Islamischen Republik überaus kritisch, befürchtet es doch, ein nuklear aufgerüsteter Iran könnte die innere Sicherheit Kuwaits bedrohen. So könnte ein atomarer Unfall in dem direkt auf der anderen Seite des Golfs gelegenen Reaktor Buschehr mindestens 90% der kuwaitischen Bevölkerung betreffen.29 Mit seinen Bemühungen um Entspannung folgt Kuwait der offiziellen Linie des GKR. Der GKR betont zwar das Recht Irans auf friedliche Nutzung der Kernenergie, wie sie im Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NPT) garantiert ist, bemängelt aber die mangelnde iranische Transparenz hinsichtlich seines Nuklearprogramms. Kuwait unterstützt im Rahmen des GKRs die wirtschaftlichen Sanktionen der Vereinten Nationen, da die eigenen Handlungskapazitäten eingeschränkt sind. Offiziell lehnt der GKR eine militärische Aktion ab, da gute nachbarschaftliche Beziehungen von Vorrang seien. Durch jedwede militärische Operation im Golf wäre die Si- 28 29 30 cherheit aller Golfstaaten, einschließlich Kuwait, gefährdet. Dennoch hat sich in den letzten Jahren und Monaten die antiiranische Haltung einiger Golfstaaten deutlich verstärkt. IV. Internationale Perspektive Auf internationaler Ebene sind die Beziehungen zur Schutzmacht USA bestimmend. Mit Ausnahme der Beziehungen zu den USA finden die meisten politischen Beziehungen auf internationaler Ebene über den GKR statt. Daneben engagiert sich Kuwait in einer Reihe von Internationalen Organisationen (UN, WTO, Organisation der islamischen Zusammenarbeit, Arabische Liga, OPEC). Solange es nicht den eigenen Interessen schadet, versucht Kuwait multilaterale politische Beziehungen zu wahren, da die Ressourcenbündelung in multilateralen Organisationen für kleine Staaten wie Kuwait sehr große Vorteile mit sich bringt. Da es in multilateraler Beziehung jedoch keine selbstständige Politik betreibt, sondern sich an der gemeinsamen Linie des GKR orientiert, wird diese Komponente bei der Analyse außer Acht gelassen. IV.1 Deutschland und die EU Laut offizieller Auskunft des Auswärtigen Amts sind die Beziehungen „freundschaftlich und gut.“30 Die politischen sind gegenüber den wirtschaftlichen Beziehungen zweitrangig. Deutschland ist nach den USA und China der drittgrößte Exporteur nach Kuwait. Hierbei werden vor allem hochwertige Kraftfahrzeuge, Maschinen, Anlagen (insbesondere Kraftwerke), elektronische und chemische Erzeugnisse, Eisenwaren und Lebensmittel von Deutschland nach Kuwait importiert. Mit 1,05 Milliarden EUR im Jahr 2011 sanken zwar die deutschen Exporte nach Kuwait um 11,7% im Vergleich zum Vorjahr, die Importe aus Kuwait nach Deutschland stiegen jedoch im gleichen Zeitraum um 69,23% auf 101,35 Millionen EUR im Jahr 2011. Kuwait engagiert sich vor allem in Form von ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland. Seit 1987 Vgl. Xinhua News Agency: Kuwaiti, Iranian Defense Ministers Meet Over Military Cooperation, 21. Mai 2002, http://www.news.xinhuanet.com/english/2002-05/21/content_401527.htm, abgerufen am 07.08.2012, Alsis, Peter, Allison, Marissa, Cordesman, Anthony H.: U.S. and Iranian Strategic Competi tion in the Gulf States and Yemen, Center for Strategic & International Studies, März 2012.S. 26. Vgl. Bushehr plant damage risks 90% radiation in Kuwait, in: Kuwait Times, http://www.news.kuwaittimes.net/2012/01/10/bushehr-plant-damage-risks-90-radiation-in-kuwait/, abgerufen am 01.08.2012. Auswärtiges Amt: Beziehungen zu Deutschland, Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertigesamt.de/sid_52C3BC891E11F83B577347A133B51FA3/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kuwait/Bilateral_node.html, abgerufen am 01.08.2012. Deutsches Orient-Institut 81 Kuwait existiert ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen beiden Ländern. „Deutschland genießt [insgesamt] großes Ansehen.“ 31 Auch die Beziehungen des GKR und somit Kuwaits zur Europäischen Union werden von intensiven wirtschaftlichen Beziehungen dominiert. Gespräche bezüglich eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem GKR ziehen sich jedoch seit Jahren hin. Die Golfstaaten werfen der EU vor, dass sie Menschenrechtsfragen benutze, um die Handelsbedingungen zu beeinflussen.32 Im Gegensatz dazu zeigen die Gespräche um ein Freihandelsabkommen mit China große Fortschritte. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, insbesondere Deutschland, versuchen die Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen mit Forderungen nach einer Liberalisierung der Region zu verknüpfen. Mit dem aufstrebenden China bekam die EU jedoch auf wirtschaftlicher Ebene große Konkurrenz. Dennoch sind beide Seiten an guten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen interessiert, da ähnliche politische Interessen im Nahen Osten bestehen. Auf politischer Ebene werden die ähnlichen Interessen in Bezug auf die Wahrung der Stabilität in der unruhigen Golfregion hervorgehoben. Beide regionale Organisationen wollen eine schnelle und friedliche Lösung des Israelisch-Palästinensischen Konflikts auf Basis der Zwei-Staaten-Lösung und eine diplomatische Lösung des iranischen Nuklearprogramms. Aktuell wünschen sich beide eine Fortführung des friedlichen Wechsels in Tunesien und Ägypten.33 IV.2 China Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu China haben erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Zwar pflegen beide Staaten seit Kuwaits Unabhän31 32 33 34 35 82 gigkeit 1961 generell freundschaftliche Beziehungen, diese bewegten sich aber auf einem niedrigen politischen und diplomatischen Level. Die Wirtschaft spielte ebenfalls kaum eine Rolle. Der Grund für die schwachen Beziehungen lag in der Isolierungspolitik der chinesischen Führung aufgrund der rigiden maoistischen Ideologie im frühen 20. Jahrhundert. Erst in den 1970er und 1980er Jahren wurde die Isolierung aufgeweicht. Die chinesische Führung erklärte nun die wirtschaftliche Modernisierung und die politische Stabilität zu neuen nationalen Zielen. Die Supermacht China richtet ihre Außenpolitik im Golf nicht nach den Bedürfnissen des kleinen Kuwaits aus. Jedoch ist Chinas Außenpolitik nicht konfrontativ ausgelegt. China verurteilte die irakische Invasion 1990 „on principle“34, da einer der wichtigsten Eckpfeiler seiner Außenpolitik das Prinzip der Nichteinmischung und somit die Wahrung der nationalen Souveränität und der territorialen Unversehrtheit eines Landes ist, was sich derzeit auch wieder in der Syrienpolitik Chinas zeigt. Aufgrund der gleichen Prinzipien unterstützt Kuwait China im Streit um Taiwan.35 Nach der Rückeroberung Kuwaits schloss das Emirat Verteidigungs- und Sicherheitspakte mit allen fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, einschließlich Chinas, was vor allem auf britischer und amerikanischer Seite für Irritationen sorgte. Für Kuwait war jedoch die Garantie der eigenen Sicherheit wichtiger, außerdem blieben die USA die wichtigste Schutzmacht. Im Bezug auf den Irak-Krieg 2003 und den Umgang mit dem iranischen Nuklearprogramm setzen die Chinesen andere Akzente. So lehnten die Chinesen, im Gegensatz zu Kuwait, einen Krieg 2003 ab, allerdings war ihre Ablehnung moderater als Frankreichs oder Russlands. Im Streit um das iranische Atomprogramm spricht sich China gegen eine Verschärfung der UN-Wirtschaftssanktionen Auswärtiges Amt: Beziehungen zu Deutschland, Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertigesamt.de/sid_52C3BC891E11F83B577347A133B51FA3/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kuwait/Bilateral_node.html, abgerufen am 01.08.2012. Niazi, Khizar: Kuwait Looks Towards the East: Relations with China, in: Eurasia Review, 19. Dezember 2009, http://www.eurasiareview.com/19122009-kuwait-looks-towards-the-east-relations-with-china/, abgerufen am16.07.2012. Vgl. EU High Representative Catherine Ashton visits the Gulf, 17-20 April, in: Press Release A 156/11 (European Union), 17. April 2012, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/EN/fo raff/121571.pdf, abgerufen am 01.08.2012. Chinese Embassy Kuwait: China and Kuwait, http://www.kw.chineseembassy.org/eng/sbgx/t580302.htm, abgerufen am 16.07.2012. Vgl. Niazi, Khizar: Kuwait Looks Towards the East: Relations with China, in: Eurasia Review, 19. Dezember.2009, http://www.eurasiareview.com/19122009-kuwait-looks-towards-the-east-relations-withchina/, abgerufen am 16.07.2012. Deutsches Orient-Institut Kuwait aus, da dies seine Wirtschafsbeziehungen zu Iran negativ beeinflussen würde. Um seiner wachsenden Bevölkerung Wohlstand garantieren zu können, ist China auf den Außenhandel angewiesen. Immerhin stieg die Bevölkerung von 630 Millionen im Jahr 1960 auf 1,35 Milliarden im letzten Jahr. Seit 1993 kann China seinen Bedarf an Erdöl nicht mehr selbst decken und ist auf Importe angewiesen. Mit 5,5 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2011 ist China nach den USA mit 8,7 Millionen Barrel pro Tag der größte Importeur von Erdöl.36 Das Interesse an der Golfregion als möglicher Erdöllieferant war geweckt. Mittlerweile ist Kuwait unter den wichtigsten zehn Exporteuren von Öl an China. gen zwischen Kuwait und den USA von herausragender Bedeutung für Kuwait. Mit dem Bedeutungsverlust der Briten in der Region übernahmen die USA die Rolle der Schutzmacht für Kuwait in einer geopolitisch hochsensiblen Region. Mit 191.000 Barrel pro Tag liegt Kuwait jedoch hinter den GKR-Mitgliedsstaaten Saudi-Arabien mit 1 Million Barrel pro Tag und Oman mit 363.000 Barrel pro Tag.37 Im Gegenzug investiert der kuwaitische Staatsfonds, der eine eigene Repräsentanz im Land hat, zum Beispiel in die Agriculture Bank of China. Chinas wirtschaftliches Engagement knüpft sich keineswegs an politische Forderungen nach Liberalisierung oder einer Verbesserung der Menschenrechtssituation, sondern wird allein aus realpragmatischen, ökonomischen Interessen verfolgt. Im Gegensatz zu den USA hat China kein Interesse an einer militärischen Präsenz in der Region. Sein Fokus liegt auf der Diplomatie, auf Handel (insbesondere Waffen) und Auslandsdirektinvestitionen. Mit der wachsenden Abhängigkeit Chinas vom Erdöl aus der Region wird Chinas Rolle in der Region zunehmen und als Konsequenz daraus können „gravierende und gefährliche Spannungen“38 zwischen den Supermächten China und USA entstehen. Dies könnte zur Folge haben, dass sich Kuwait dann für einen Sicherheits- und Wirtschaftspartner entscheiden müsste. In der nahen Zukunft wird sich China jedoch auf seine Innenpolitik und somit auf die Wirtschafts- und Energiepolitik im Ausland konzentrieren. Die chinesisch-kuwaitischen Beziehungen werden davon noch weiter profitieren. Während der militärischen Operationen zur Befreiung Kuwaits 1990/91 war Kuwait selbst nicht direkt eingebunden. Die Entscheidungen fielen vor allem im UN-Sicherheitsrat auf Initiative der USA, die sich freien Zugang zum arabischen Öl sichern wollten. Kuwaits Regierung war in dieser Zeit praktisch handlungsunfähig und konnte sich aufgrund seiner begrenzten militärischen Mittel nur geringe direkte Unterstützung bei den Militäroperationen leisten. Finanzielle Hilfe leistete Kuwait (und Saudi-Arabien) stattdessen bei den Militäroperationen und der späteren UN-Mission UNIKOM zur Überwachung der entmilitarisierten Zone an der Grenze von Irak und Kuwait. IV.3 USA Neben den Golfstaaten sind die USA der wichtigste Verbündete Kuwaits. Auf internationaler Ebene sind die bilateralen Beziehun36 37 38 39 Diese engen Beziehungen sind eher neueren Datums. Während der 1960er und 1970er Jahre pflegte Kuwait im Sinne der blockfreien Staaten gute Beziehungen zur UdSSR und lehnte die amerikanische Unterstützung Israels weitgehend ab. Enge Beziehungen entwickelten sich erst aus der dominanten amerikanischen Rolle bei der Befreiung Kuwaits nach der irakischen Invasion 1990. Der Irak-Krieg der USA 2003 zeigte, wie sehr das Trauma der irakischen Invasion und die Furcht vor einer möglichen Wiederholung die kuwaitische Gesellschaft prägt. Entgegen der offiziellen Linie der Golfstaaten, einschließlich Saudi-Arabiens, die ebenfalls eine enge sicherheitsstrategische Partnerschaft mit den USA unterhalten, gewährte Kuwait dem US-Militär großzügige Nutzungsrechte seines Territoriums. Die Stärke der amerikanischkuwaitischen Beziehungen lässt sich ebenso daran erkennen, dass die Regierung unter George W. Bush 2004 Kuwait, neben Bahrain, zum einzigen „major non-NATO ally“ der Golfregion bestimmte39. Die USA planen auch nach dem Rückzug aus dem Irak, eine hohe Zahl von US-Soldaten in Kuwait zu stationieren, vor allem um für alle Eventualitäten Iran betreffend vorbereitet zu sein. Als weitere Maßnahme zum Schutz sei- Vgl. U.S. Energy Information Administration: China, http://www.eia.gov/countries/cab.cfm?fips=CH, abgerufen am 16.07.2012. Ebd. Yetiv, Steve A., Lu, Chunlong: China, Global Energy, and the Middle East, in: Middle East Journal, 61:2 (Spring, 2007), S. 216. Kathman, Kenneth: Kuwait: Post-Saddam Issues and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 29. Juni 2005, http://www.fpc.state.gov/documents/organization/50259.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 2. Deutsches Orient-Institut 83 Kuwait nes Territoriums ist Kuwait als erstes Mitglied des GKR der Istanbul-Initiative der NATO beigetreten,40 die engere bilaterale Beziehungen zwischen Kuwait und der NATO vor allem in den sicherheitspolitischen Bereichen Terrorismusbekämpfung und zur Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ermöglicht.41 Neben den militärischen und strategischen Beziehungen, die von herausragender Bedeutung für Kuwait sind, bestehen gute wirtschaftliche Kontakte zu den USA. Mit seiner Neuorientierung zu den USA und der Verschlechterung der Beziehungen zur PLO nach dem Golfkrieg 1991 gab Kuwait den Boykott aller Güter auf, die nicht direkt in Israel hergestellt wurden. Davon profitierten amerikanische Firmen im besonderen Maße. So sind die USA heute Kuwaits größtes Lieferland mit einem Volumen von 2,7 Milliarden USD im Jahr 2011.42 Daneben ist Kuwait ein wichtiger Abnehmer amerikanischer Rüstungsgüter, wie dem PATRIOT Abwehrsystem, wobei im März 2012 Rüstungsgeschäfte mit einem Volumen von 9,8 Milliarden USD noch nicht abgeschlossen waren.43 V. Fazit und Ausblick Die Außenpolitik Kuwaits wird von seinen großen Nachbarn Saudi-Arabien, Irak und Iran bestimmt. Dieses Schicksal teilt es sich mit den meisten anderen kleinen Staaten am Golf. Jedoch ist Kuwait das einzige Land, welches in seiner Geschichte von einem seiner großen Nachbarn, dem Irak, angegriffen wurde. Diese Erfahrung der eigenen Verwundbarkeit prägt bis heute seine Außenpolitik entscheidend. Als kleiner und außenpolitisch schwacher Staat kann Kuwait, wie es am eigenen Leib erfahren musste, nicht für seine eigene Sicherheit und territoriale Unversehrtheit sor- 40 41 42 43 84 gen. Es ist daher auf den Schutz mächtiger externer Akteure angewiesen. In diesem Sinne orientiert sich Kuwait an Saudi-Arabien und hat sich unter den Schutz der Vereinigten Staaten gestellt. Mehr noch als Saudi-Arabien und Katar, die teilweise offiziell von der USLinie abweichen, orientiert sich Kuwait hingegen deutlich an den USA. Die starke Orientierung an den USA kann auf die Erfahrung der irakischen Invasion zurückgeführt werden. Momentan bestehen enge militärische und sicherheitspolitische Bindungen mit den Vereinigten Staaten. Die amerikanische Armee hat einen Großteil ihrer Streitkräfte im kleinen Emirat stationiert. Auch die Nähe zum Militärbündnis der NATO sucht Kuwait aktiv. Die Beziehungen zum Irak verbessern sich langsam aber stetig. War die kuwaitische Regierung, wie auch die anderen Golfstaaten, zunächst kaum an einer Normalisierung der Beziehungen zum Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein interessiert, vollzieht sich momentan eine vorsichtige Annäherung. Kuwait musste erkennen, dass es seinen eigenen Interessen schadete, die schiitische Regierung im Irak zu marginalisieren. Druck der USA, die eine nachbarschaftliche Anbindung des Iraks wünschten, spielte sicherlich ebenfalls eine Rolle. Doch die Beziehungen sind noch immer angespannt. Kuwait erfährt bei anderen internationalen Akteuren vor allem aufgrund seiner Erdölressourcen gestiegene Aufmerksamkeit. Insbesondere die Beziehungen zu China beruhen auf kuwaitischen Öllieferungen nach China und dem Export chinesischer Konsumgüter nach Kuwait. Mittelfristig scheint China kein Interesse an einer größeren politischen oder gar militärischen Rolle in der Region zu haben. Linda Berger Vgl. Auswärtiges Amt: Außenpolitik, Kuwait, Mai 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kuwait/Aussenpolitik_node.html, abgerufen am 01.08.2012. Vgl. The White House: Fact Sheet: The Istanbul Cooperation Initiative, 28.Juni 2004, www.georgewbush whitehouse.archives.gov/news/releases/2004/06/20040628-2.html, abgerufen am 01.08.2012. Vgl. United States Census Bureau: Trade in Goods with Kuwait, http://www.census.gov/foreign-trade/ balance/c5130.html, abgerufen am 01.08.2012. Vgl. U.S. Department of State: BackgroundNote: Kuwait,13.03.2012, http://www.state.gov/r/pa/ei/bgn/ 35876.htm, abgerufen am 01.08.2012. Deutsches Orient-Institut Kuwait VI. Quellenangaben ALSIS, PETER; Allison, Marissa; Cordesman, Anthony H.: U.S. and Iranian Strategic Competition in the Gulf States and Yemen, Center for Strategic & International Studies, März 2012. AUSWÄRTIGES AMT: Außenpolitik, Kuwait, Mai 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussen politik/Laender/Laenderinfos/Kuwait/Aussenpolitik_node.html, abgerufen am 01.08.2012. AUSWÄRTIGES AMT: Beziehungen zu Deutschland, Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertigesamt.de/sid_52C3BC891E11F83B577347A133B51FA3/DE/Aussenpolitik/Laender/ Laenderinfos/Kuwait/Bilateral_node.html, abgerufen am 01.08.2012. AUSWÄRTIGES AMT: Wirtschaftspolitik Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_ 60F99ED966AF7C99C0DE462698AD165B/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/ Kuwait/Wirtschaft_node.html, abgerufen am 27.07.2012. ARAB TIMES: Kuwait ‘54th’ on corruption index, 6. August 2012, http://www.arabtimesonline.com/ NewsDetails/tabid/96/smid/414/ArticleID/176778/reftab/36/Default.aspx, abgerufen am 07.08.2012. BUSHEHR PLANT DAMAGE RISKS 90% RADIATION IN KUWAIT, IN: Kuwait Times, http://www.news.kuwait times.net/2012/01/10/bushehr-plant-damage-risks-90-radiation-in-kuwait/, abgerufen am 01.08.2012. 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Für diese These gibt es diverse Argumente, wie beispielsweise den nur im Oman praktizierten ibaditischen Islam oder das, im Vergleich zu anderen Golfstaaten wie den Vereinigte Arabische Emirate (VAE) oder Katar, relativ große Land1, was nur über geringe Öl- und Gasvorkommen verfügt2 und im Vergleich zu den anderen Ländern des Golfkooperationsrats (GKR) arm ist.3 Auch die geografische Lage am nord-westlichen Rand der Arabischen Halbinsel beeinflusste die omanische Sonderrolle. So ist das Sultanat für Jeffrey A. Lefebvre „much more of an Indian Ocean state than a Persian Gulf state.“4 Die Palastrevolution des Sohnes Qabus gegen seinen Vater 1970 war das einschneidendste Ereignis der jüngeren omanischen Geschichte. Während dieser Zeit drohte eine Rebellion in der südlichen Dhofar-Region sich nach Norden auszudehnen, weshalb die Briten, die eine historische Vorrangstellung in der Golfregion hatten, die Abdankung des alten Sultans zugunsten seines Sohnes Qabus erzwangen. Der neue Sultan leitete die „omanische Renaissance“ ein. Die Isolation unter dem alten Sultan wurde beendet und das Sultanat schloss sich einer Reihe von multilateralen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga an.5 Sultan Qabus legitimierte seine „paternalistic authority“6 durch den Prozess der Nationenbildung und einer umfangreichen Modernisierung des Landes. Diese gesellschaftlichen und innenpolitischen Unterschiede bilden – neben den Sachzwängen einer instabilen Region – wichtige Faktoren, welche die Rolle Omans in der Region 1 2 3 4 5 6 7 1. gute nachbarschaftliche Beziehungen 2. nach außen gerichtete, internationalistische Anschauung 3. Pragmatismus 4. Kooperation und Frieden zur Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität.7 Als Konsequenz aus diesen Prinzipien und der relativen militärischen Schwäche in einer unruhigen Region betreibt Oman eine zurückhaltende Außenpolitik, die durch multilaterale Zusammenarbeit zur Mäßigung und Entspannung zwischen Konfliktparteien beitragen möchte. Im Zentrum dieses Kapitels sollen die auf der Arabischen Halbinsel einzigartige außenpolitische Strategie des Sultanats und sein außenpolitisches Beziehungsgeflecht auf regionaler und internationaler Ebene stehen. Zum tieferen Verständnis wird der Analyse des Beziehungsgeflechts im nächsten Kapitel eine Übersicht über die historischen und innenpolitischen Voraussetzungen vorangestellt. II. Historische und innenpolitische Voraussetzungen Die Gesellschaft des Omans weist große kulturelle und soziale Unterschiede zu den anderen Staaten des Golfkooperationsrats (GKR) auf. Diese lassen sich auf zwei Faktoren zurückführen, die sich gegenseitig bedingen. Durch seine geografische Lage am nord-östlichen Rand der arabischen Halbinsel war Oman historisch vom Rest der Arabischen Welt getrennt und orientierte sich Richtung Indien und Ostafrika, womit es regen Seehandel betrieb und in letzterem im 19. Jahrhundert eine Vormachtstellung inne hatte. Omanische Gebiete im heutigen Pakistan und Oman ist mit 309.500 km2 fast so groß wie Deutschland, während die VAE 83.600 km2, Katar 11.400 km2 und Kuwait 17.800 km2 groß sind. Oman verfügt über Erdöl- und Gasreserven von 5.500 Millionen Barrels, die VAE über 97.800 Millionen Barrel, Kuwait über 101.500 Millionen Barrels und Saudi-Arabien über 264.063 Millionen Barrels (Zahlen sind dem Survey of Energy Resources 2010 entnommen). Das kaufkraftbereinigte BIP von 2011 beträgt für Oman 26.519 und für Saudi-Arabien 24.237, während die anderen kleinen Golfstaaten eine hohe Kaufkraft aufweisen können: Kuwait mit 41.690, die VAE mit 48.157 und Katar mit 102.943 (die Angaben des Internationalen Währungsfonds beziehen sich auf Internationale Dollar). Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 106. Vgl. ebd., S. 99. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 140. Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Foreign Policy, http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=1, abgerufen am 29.08.2012. Deutsches Orient-Institut 87 Oman auf Sansibar führten zu großen Migrationsbewegungen.8 Daraus entwickelten die Omanis Pragmatismus und Toleranz gegenüber fremden Kulturen, der sich auch im zweiten Faktor, dem ibaditischen Islam widerspiegelt. Nur im Oman stellen die Ibaditen mit 75% die Mehrheit. Im achten Jahrhundert entstanden, werden sie weder den Sunniten noch den Schiiten zugerechnet. Konsens (arab. ijma) und die Gemeinschaft (arab. umma) sind von zentraler Bedeutung. Politische Gewalt wird ebenso abgelehnt wie extreme Meinungen. Ibaditen weisen sich durch ihren Konservatismus und ihre Toleranz aus.9 Diese beiden Faktoren bestimmen die innen- und außenpolitische Sonderrolle Omans in der Arabischen Welt. Obwohl das Sultanat Oman – wie die anderen Golfstaaten – eine Monarchie ist, so zeigt sich auch hier seine Sonderrolle. Oman wird nicht von einem Stamm oder einer Familie regiert, sondern von einem Sultan, der sich mit der Kaufmannselite des Landes verbündete. Der Sultan bündelt alle Macht in seiner Person. Gesetze werden in Form von „royal decrees“ (dt. königliche Erlässe) erlassen. Allerdings kennt auch die omanische Monarchie die Tradition der majlis, so reist der Sultan jeden Herbst selbst durch das Land, um vor Ort diese Versammlungen abzuhalten, bei denen sich die Bürger direkt an den Sultan mit Wünschen und Beschwerden wenden können.10 Seit 1996 gibt es eine vom Sultan erlassende verfassungsmäßige Ordnung (engl. Basic Law of the State), die die Vorrangstellung des Sultans bestätigt und gleichzeitig Bürger- und Freiheitsrechte stärkt. Eine Beratende Versammlung (arab. Majlis al-Shura) existiert seit 1991, besitzt allerdings keine gesetzgebende 8 9 10 11 12 13 14 88 Gewalt. Alle Omanis, Männer und Frauen, besitzen das aktive und passive Wahlrecht. Als Gegengewicht zur Beratenden Versammlung wurde 1997 der Staatsrat (arab. Majlis alDaula) geschaffen, deren Mitglieder vom Sultan ernannt werden.11 In den letzten Jahren gab es auch im Oman aufgrund von Korruption und anderen sozialen Missständen Unzufriedenheit in der Bevölkerung. So kam es zur Zeit des „Arabischen Frühlings“ zu vergleichsweise kleineren Protestmärschen, vor allem getragen durch junge Omanis, die eine Anhebung der Löhne und Senkung der Lebenshaltungskosten forderten. Neben den oben genannten Forderungen, waren staatliche Jobbeschaffung und die Bekämpfung von Korruption wichtige Themen. Ein Regimewechsel war allerdings nicht Ziel der Proteste. Im Gegenteil: Der Großteil der Bevölkerung stand loyal hinter Sultan Qabus. Auf einige Forderungen der Demonstranten ging der Sultan ein. Unter anderem erweiterte er die Befugnisse der Beratenden Versammlung erheblich.12 Oman versucht sowohl die Wirtschaft zu diversifizieren als auch die Erdölfördermenge, die in den letzten Jahren zurückging, durch Investitionen zu erhöhen.13 Wie auch in den anderen Golfstaaten wurden die Erdöleinnahmen zur Finanzierung eines umfangreichen Leistungs- und Subventionskatalogs genutzt. Die Erfolge des Sultanats seit 1970 sind weitreichend. So stieg die Lebenserwartung aufgrund der generellen Verbesserung der Lebensbedingungen von 40 Jahren in den 1960er Jahren auf 72 Jahre im Jahr 2008. Ebenso sind 96% der Omanis heute ans Elektrizitätsund/oder Gasnetzwerk angeschlossen.14 Genau Zahlen zur ethnischen Verteilung der Omanis liegen nicht vor. Dennoch kann man sagen, dass die Baluchis von der Makran-Küste im heutigen Iran und Pakistan die größte Gruppierung bilden. Schätzungen gehen von einem Anteil von ca. 12% an der Gesamtbevölkerung aus. Weitere kleinere Gruppie rungen indischer Herkunft lassen sich auf die historischen Handelsbeziehungen zurückführen. Die Kho jas aus dem Irak und Iran sind vor allem Schiiten. Ebenfalls auf historische Handelsbeziehungen lässt sich die Vielzahl von ostafrikanischen Omanis erklären, die Ex-Sklaven sind oder aus Sansibar, einem ehemaligen Gebiet Omans, in das Sultanat eingewandert sind. Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 110. Vgl. Hermann, Rainer: Die Golfstaaten, Wohin geht das neue Arabien?, München 2011, S. 308. Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 144. Vgl. Auswärtiges Amt: Innenpolitik Oman, März 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/ Laender/Laenderinfos/Oman/Innenpolitik_node.html, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 146. Im Oman ist die Ölförderung aufgrund der vielen kleinen Felder vergleichs weise aufwendig. Für weitere Zahlen siehe Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 145. Deutsches Orient-Institut Oman III. Rolle in der Region Das Sultanat misst seiner unmittelbaren Nachbarschaft im Golf eine große Bedeutung zu. In einer unstabilen Region mit konkurrierenden Regionalmächten und vielfältigen gesellschaftlichen und konfessionellen Spannungen gelingt es Oman, seine Sicherheit und Stabilität zu erhalten, indem es seine Außenpolitik nach dem Prinzip des Pragmatismus und der Mäßigung ausrichtet. Sowohl zu den Staaten des GKR, Jemen, der VAE, Irak und Iran lässt sich dies beobachten. III.1 GKR und Saudi-Arabien Obwohl die Beziehungen Omans zu den anderen Staaten des GKR als eng gelten15, so liegt dies nicht so sehr an den gleichen Interessen der Länder, sondern an den Grundpfeilern der omanischen Außenpolitik. So nennt das omanische Außenministerium gute nachbarschaftliche Beziehungen und Pragmatismus als zwei der vier Prinzipien der omanischen Außenpolitik.16 Meistens werden die Beschlüsse des GKR mitgetragen beziehungsweise nicht abgelehnt. Oman drängt sich generell in multilateralen Organisationen nicht in den Vordergrund. Die Rolle des Wortführers wird anderen Staaten wie Saudi-Arabien und Katar überlassen. Oman unterscheidet sich in einer Reihe von Themen von den anderen Mitgliedern des GKR. So sieht Oman seine schiitische Minderheit nicht als ein „Iranian Trojan House“17 an. Außerdem wünscht sich Oman eine Mitgliedschaft Irans und des Iraks neben Jemen, um im Sinne von Kooperation in einer multilateralen Organisation für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Dies widerspricht den saudischen Ambitionen, die den GKR als Gegengewicht zu Iran aufbauen wollen und die schiitische Regierung im Irak mit großem Misstrauen beobachten. Laut Valeri erklärt Omans Sorge vor externer Einmischung in seine inneren Angelegenheiten, warum Oman sich teilweise gegen seinen mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien stellt.18 Dazu gehört auch 15 16 17 18 19 20 21 die Sorge um eine Radikalisierung der Sunniten durch den wahhabitischen Islam, der in Saudi-Arabien Staatsreligion ist. Die Nichtmitgliedschaft in der OPEC und der Beginn des Ramadan im Oman einen Tag später als in Saudi-Arabien sind weitere Beispiele. Jedoch scheint Saudi-Arabien diese eigenständige Politik Omans zu tolerieren – und Oman im Sinne des Pragmatismus bedacht darauf zu sein, Saudi-Arabien nicht unnötig zu provozieren – da es bis heute keine größeren Unstimmigkeiten zwischen beiden Staaten gab.19 Die Einigung über die gemeinsame Grenze 1999 und die großzügigen finanziellen Hilfen von Saudi-Arabien zeugen von den guten Beziehungen. Zu diesen finanziellen Hilfen gehören die 20 Milliarden USD, die Oman zusammen mit Bahrain erhielt, um die Monarchen bei sozialen Konzessionen an die Protestler zu unterstützen. Obwohl offiziell vom GKR, war Saudi-Arabien der größte Beitragszahler. Im Zuge der Umbruchprozesse in einigen arabischen Ländern erhielt Oman vom GKR ein Hilfspaket von über 20 Milliarden USD. Sultan Qabus reagierte jedoch auch mit Zugeständnissen an die Demonstranten in Form einer Ausweitung der Kompetenzen der Beratenden Versammlung. Wie in den anderen arabischen Golfstaaten gingen diese Zugeständnisse jedoch nicht so weit, die Gesetzgebungsgewalt des Herrschers einzuschränken. Im Gegensatz zu anderen Golfstaaten spielte Oman keine aktive Rolle bei der Unterstützung der Rebellen in Lybien. Weder wurden Waffen oder Informationen an die Rebellen geliefert, noch erkannte man den neuen Nationalen Übergangsrat vor dem Fall von Tripolis am 21. August 2011 als legitime Regierung Libyens an.20 Im Vergleich zu den anderen Golfstaaten wie Katar oder den VAE verhielt sich Oman außerordentlich vorsichtig und abwartend. Auch sandte man keine Truppen, um die Aufstände in Bahrain zu beruhigen.21 Im Syrienkonflikt teilt Oman die Meinung und Pläne der Arabischen Liga und Vgl. Auswärtiges Amt: Außenpolitik Oman, März 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/ Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Oman/Aussenpolitik_node.html, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Foreign Policy, http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=1, abgerufen am 29.08.2012. Die anderen beiden Prinzipien sind eine internationalistische Einstellung und die Erreichung von Sicher heit und Stabilität durch Kooperation und Frieden anstatt durch Konflikte. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 152. Vgl. ebd., S. 151. Vgl. ebd. Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13.Januar 2012, S. 15. Vgl. ebd., S. 15. Deutsches Orient-Institut 89 Oman tritt nicht als eigenständiger Wortführer hervor. Die Außenpolitik des Omans veränderte sich nicht grundlegend im Zuge des „Arabischen Frühlings“. Im Allgemeinen haben die Umbruchprozesse zu einem Schulterschluss unter den Staaten des Golfkooperationsrats geführt, was durchaus im Sinne Omans ist. Jedoch werden nach omanischer Meinung wichtige Akteure innerhalb der Region ausgeschlossen, deren Einbindung aber essential für Frieden und Sicherheit in der Region sind. Nur gegenseitiges Vertrauen und ein Machtausgleich zwischen den Golfstaaten auf der einen und den regionalen Mächte auf der anderen Seite22 können langfristig zur Sicherheit in der Region beitragen. III.2 Jemen Die Beziehungen zum Jemen waren und sind von Pragmatismus gekennzeichnet, obwohl das Verhältnis in der Vergangenheit schwierig war. Bis 1990 war der Jemen in einen marxistisch-prosowjetischen Südjemen und einen Nordjemen, der von Saudi-Arabien und westlichen Staaten unterstützt wurde, geteilt. Der Südjemen unterstützte die Rebellen der Dhofar Liberation Front in ihrer Rebellion gegen das Sultanat Oman von 1962 bis 1976. In den 1980er Jahren führten Gespräche zwischen dem Südjemen und Oman unter Vermittlung von Kuwait zu einer diplomatischen und wirtschaftlichen Annäherung der beiden früheren Konfliktparteien. Mit der Vereinigung zur Republik Jemen 1990 verbesserten sich die Beziehungen entscheidend. Im September 2008 wurden Diskussionen über den Aufbau eines gemeinsamen Zentrums zur Pirateriebekämpfung begonnen, da beide Länder unter Überfallen von Piraten leiden.23 Die Aufstände 2011 im Jemen betrachtete Oman mit Sorge, da man destabilisierende Auswirkungen seines südlichen Nachbarn auf die Region befürchtete. Eine Destabilisierung 22 23 24 25 26 27 90 des Jemens, wo sunnitische Extremisten relativ frei operieren können,24 läuft der omanischen Außenpolitik, die auf Stabilität und Sicherheit in der Region ruht, zuwider. Jedoch verfolgte Oman weder eine eigene Linie, noch exponierte es sich in den Verhandlungen für einen friedlichen politischen Wechsel. Ersteres war nicht nötig, da sich Omans außenpolitische Ziele mit denen der anderen Staaten des GKR deckte. Letzteres hätte dem zurückhaltenden Auftreten Omans widersprochen. III.3 VAE Obwohl sich Oman mit den Emiraten (und Saudi-Arabien) in den 1950er Jahren einen erbitterten Kampf um die Buraimi-Oase geliefert hatte,25 sind die Beziehungen heute relativ gut. Die guten Beziehungen beruhen vor allem auf der besseren persönlichen Beziehung zwischen Sultan Qabus und Sheikh Zayed bin Sultan Al-Nahyan, dem Präsidenten der Föderation und Emir von Abu Dhabi, in den 1980er Jahren.26 Diese führten auch im Mai 1999 zur endgültigen Festlegung der gemeinsamen Grenze und einem Ende der drei Jahrzehnte schwelenden Grenzdispute. Nach Abschluss des Vertrags verbesserten sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Oman und der VAE exponentiell. So wuchs das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern allein zwischen 2007 und 2008 um 120% auf 2,4 Milliarden USD. Im Jahr 2004 betrug es nur 286 Millionen USD.27 Der Tod des Präsidenten der VAE 2004 jedoch führte zu wachsenden politischen Spannungen. Die Konflikte um die Buraimi-Oase mit der Stadt Al-Ain, die zu den Emiraten gehört, flammten wieder auf. Außerdem kritisieren die VAE die nachlässigen omanischen Grenzkontrollen, wodurch viele Immigranten aus Südostasien illegal aus Oman in die Emirate einwandern. Die engen Beziehungen der Einwohner im Nord-Westen Omans zur VAE nähren omanische Befürchtungen vor einer Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Oman’s Regional and Global Priorities, http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=2, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar 2012, S. 15. Die größte und bekannteste Gruppierung sind al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und Ansar al-Sha ria, die bis Mai 2012 große Teile der Provinz Abyan im Südjemen kontrollierten. Vgl. Al-Sayegh, Fatma: The UAE and Oman: Opportunities and Challenges in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 9, Nr. 3 (2002), S. 124. Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 154. Vgl. United Arab Emirates, Ministry of Foreign Trade: Features of UAE Foreign Trade with Gulf Cooperation Council States, Juni 2009, S. 6. Deutsches Orient-Institut Oman Abspaltung dieser Regionen. Viele Omanis arbeiten in den VAE28 und viele der lokalen omanischen Eliten sind mit Familien in Sharjah und Dubai durch Heirat und Geschäftsbeziehungen verbunden. Wie besorgt der Sultan darüber ist, zeigen die jährlichen Reisen des Sultans durch sein Land, welche sich 2005 und 2007 auf den Nord-Westen konzentrierten.29 Allerdings sind auch hier keine großen und offenen Konflikte zu erwarten, da die omanische Außenpolitik nicht offensiv, sondern defensiv ausgerichtet ist. III.4 Irak Auch die Beziehungen zum Irak zeigen den gleichen Pragmatismus und Zurückhaltung wie zu den anderen Staaten. Zwar schloss sich der Oman der internationalen Verurteilung des irakischen Einmarschs in Kuwait 1990 als einen Bruch des Völkerrechts an, brach aber nicht seine Beziehungen zum Irak ab.30 Im Sinne einer multilateralen Zusammenarbeit unterstützte Oman ebenso die US-Militäroffensive gegen den Irak und das spätere Sanktionsregime gegen den Irak, gleichzeitig verbesserte das Sultanat aber seine Beziehungen zum internationalen Außenseiter Irak.31 Dieser vermeintliche Widerspruch liegt im Glauben begründet, dass nur bi- und multilaterale Zusammenarbeit langfristig zu Sicherheit und Stabilität führen werden. Diese Linie verfolgt Oman konsequent, unabhängig davon, ob wichtige Partner eine andere Politik betreiben. Die gleiche Strategie war auch im Irak-Krieg 2003 zu beobachten. Obwohl sich Oman der offiziellen Linie der arabischen Staaten anschloss und den US-Einmarsch ablehnte, leistete Oman stillschweigend logistische Unterstützung des US-Militärs.32 Die gleiche Strategie verfolgte auch der große Nachbar Saudi-Arabien. 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 In der Einschätzung der aktuellen politischen Lage im Irak schließt sich Oman der offiziellen Linie des Golfkooperationsrats an. Man zeigt sich bestürzt über die schiitisch-islamistische Vorherrschaft im neuen Irak.33 Ebenso werden die engen irakischen Beziehungen zum Iran mit Sorge betrachtet. Im Vergleich zu anderen Golfstaaten stellte das Sultanat mit 3 Mio. USD eine relativ kleine Summe zum irakischen Wiederaufbau bereit.34 Allerdings ist der Oman auch das ärmste Land der Golfstaaten und fürchtet eine iranische Unterwanderung der eigenen Bevölkerung am Wenigsten. Generell steht Oman dem Irak nicht so nahe wie die anderen Staaten des GKR, was allein schon in der geografischen Distanz begründet liegt. III.5. Iran Im Vergleich zu den anderen Golfstaaten wird dem Oman nachgesagt, Iran politisch am nächsten zu stehen.35 Die traditionell enge Bindung resultiert vor allem auf dem regen Handel zwischen beiden Staaten. Bis heute, insbesondere in Zeiten der Sanktionen gegen Iran, stellt die Route Oman-Iran eine wichtige Schmuggelroute dar.36 Jedoch fußen die guten Beziehungen nicht nur auf der Wirtschaft, sondern auch auf gegenseitiger Unterstützung. Der iranische Schah unterstützte Oman 1975 militärisch bei der Niederschlagung der Dhofar-Rebellion, die vom marxistischen Südjemen unterstützt wurde.37 Vor dem Hintergrund dieser wichtigen militärischen Unterstützung Irans brach Oman höchstwahrscheinlich seine Beziehungen zu Iran nach der Islamischen Revolution 1979 und während des Irak-Iran-Kriegs in den 1980er Jahren nicht ab. Die Sorgen der anderen Golfstaaten und der westlichen Staaten hinsichtlich des iranischen So stellen Omanis die Mehrzahl der Polizeikräfte in den VAE (vgl. Peterson, J.E.: The Future of Federalism in the United Arab Emirates, http://www.jepeterson.net/sitebuildercontent/sitebuilderfiles/ Future_of_ Federalism_in_UAE.pdf, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 155. Vgl. ebd., S. 152. Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 101. Vgl. ebd. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar 2012, S. 13. Vgl. ebd., S. 14. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 101. Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar 2012, S. 13. Deutsches Orient-Institut 91 Oman Atomprogramms und einer neuen schiitischen Dominanz in der Region teilt Oman nicht uneingeschränkt. Zwar würden ein Iran mit Atomwaffen und ein arabisches Wettrüsten den Grundsätzen der omanischen Außenpolitik zur Gewährung von Sicherheit und Stabilität zuwiderlaufen, jedoch betont Oman gleichzeitig das Recht eines jeden Staates auf friedliche Nutzung der Kernenergie. In diesem Sinne lehnt Oman es ab, sich dem Druck der anderen Golfstaaten zu beugen und sich öffentlich von Iran zu distanzieren. Erneut zeigt der Oman seine Unabhängigkeit in der Außenpolitik. Diese zeigte sich ebenfalls, als Sultan Qabus Iran im August 2009 zum ersten Mal nach der Islamischen Revolution besuchte. Dieser Besuch wurde von Beobachtern als Signal verstanden, dass die Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad die omanisch-iranischen Beziehungen nicht negativ beeinflusste.38 Ein Jahr später folgte ein Sicherheitsabkommen zwischen beiden Staaten. Die Gründe für die guten Beziehungen zu Iran – während die anderen arabischen Staaten Iran mit großem Misstrauen begegnen – sind vielfältig. Zunächst lebt im Oman keine nennenswerte schiitische Gemeinde, sodass Oman keine Unterwanderung durch Iran befürchtet, wie es zum Beispiel Bahrain und Saudi-Arabien tun. Weiterhin gehen einige Beobachter davon aus, dass eine mögliche Ausbreitung des wahhabitischen Islam aus Saudi-Arabien im Oman dem Sultan größere Sorgen bereitet, weshalb Oman Iran als regionales Gegengewicht zu Saudi-Arabien sieht. Obwohl dies sicher auch eine Rolle spielt, so ist doch davon auszugehen, dass Omans “more accommodating approach“39 ein Resultat seiner defensiven Außenpolitik ist. Insbesondere, da Oman sich die Straße von Hormuz mit Iran teilt.40 Pragmatismus und Zuvorkommenheit bedingen für Oman hier Sicherheit nach außen. Aufgrund seiner guten Beziehungen zu Iran stellt sich Oman den USA immer wieder als Vermittler zwischen Iran und den USA zur Verfügung. Mit omanischer Hilfe wurden so Freilassungen von Gefangenen aus Iran veranlasst. IV. Internationale Perspektive Auf internationaler Ebene bestimmen wirtschaftliche und sicherheitspolitische Überle38 39 40 92 gungen das außenpolitische Handeln Omans. Ersteres ist bei den Beziehungen zu China, letzteres bei denen zu den USA in Reinform zu beobachten. Deutschland spielt insofern eine Sonderrolle, als dass die Beziehungen, neben wirtschaftlichen, ebenfalls auf wissenschaftlich-technischer Ebene sehr intensiv sind. IV.1 Deutschland und die EU Auf bilateraler Ebene sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Oman sehr gut. Insbesondere auf wissenschaftlich-technischer Ebene besteht eine enge Zusammenarbeit, die weiter ausgebaut wird. Deutsche Firmen sind seit den 1960er Jahren im Land aktiv. Dieses lange Engagement sorgte für ein beachtliches Vertrauen. Für Oman ist Deutschland einer der wichtigsten Handelspartner. 2011 beliefen sich die deutschen Exporte auf 83,12 Mio. EUR, obwohl anzunehmen ist, dass der tatsächliche Wert höher ist, da ein Teil der deutschen Exporte über die VAE abgewickelt wird. Die deutschen Importe aus dem Oman waren 2011 mit 36,7 Mio. EUR geringer. Dies liegt auch daran, dass Deutschland bisher kein omanisches Öl und Gas direkt importiert. Seit 1978 existiert eine gemeinsame deutsch-omanische Wirtschaftskommission und am 4. April 2010 trat ein bilaterales Investitionsförderungs- und schutzabkommen in Kraft. Sowohl als Messeplatz als auch für medizinische Behandlungen wird Deutschland immer beliebter und wichtiger für Omanis. Obwohl noch kein Kulturabkommen zwischen Deutschland und Oman besteht, ist die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit von großer Bedeutung. Deutschland unterstützt Oman in vielfältiger Hinsicht bei der Weiterentwicklung des Bildungssektors, dem vom Sultan eine Schlüsselfunktion für die weitere Entwicklung des Landes zugeschrieben wird. So eröffnete im Oktober 2007 die German University of Technology mit dem deutschen Partner RWTH Aachen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH beriet das omanische Arbeitsministerium beim Ausbau des Berufsbildungssektors. Des Weiteren soll in der Sekundarstufe ab 2012 Deutsch als Fremdsprache im Rahmen eines Pilotprojekts Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar 2012, S. 13. Alsis, Peter, Allison, Marissa, Cordesman, Anthony H.: U.S. and Iranian Strategic Competition in the Gulf States and Yemen, Center for Strategic & International Studies, März 2012, S. 39. 40% der weltweiten Erdölproduktion gelangen durch die Straße von Hormuz, deren Fahrrouten hauptsächlich in omanischen Gewässern liegen. Deutsches Orient-Institut Oman eingeführt werden. Ein Ende der engen wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit ist nicht in Sicht.41 Die Beziehungen zur EU bestehen vor allem auf multilateraler Ebene zwischen dem GKR und der EU. Sie sind generell freundlich und bestehen vor allem aus gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen. Seit 1990 ist ein Kooperationsabkommen zwischen beiden Parteien in Kraft. Die Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehungen und der baldige Abschluss eines Freihandelsabkommens zeigen sich ebenfalls darin, dass das omanische Außenministerium nur diese Themen auf seiner Homepage anspricht.42 Ebenso wie Oman befürwortet die EU eine stabilisierende Politik in der Region, wobei jedoch die EU Iran gegenüber einen deutlich kritischeren Ton anschlägt. Durch die Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Iran blüht der Schmuggel zwischen Iran und Oman, der von omanischer Seite nicht geahndet wird. IV.2 USA Das Sultanat Oman ist Langzeitverbündeter der USA am Golf. Seit 1980 ein Militärabkommen abgeschlossen wurde, gestattete Oman den USA für bislang jeden militärischen Einsatz am Golf Zugang zu omanischen militärischen Einrichtungen.43 Formal begannen die Beziehungen schon 1833 mit dem Abschluss eines Freundschaftsvertrags zwischen Oman und den USA.44 Nach der Thronbesteigung Sultan Qabus’ im Jahr 1970 und dem Ende der isolationistischen Außenpolitik, eröffneten die USA 1972 eine Botschaft in Muskat, der Hauptstadt des Omans, ein Jahr später folgte die Eröffnung der omanischen Botschaft in Washington D.C. Die Beziehungen beider Länder beruhen vor allem auf dem großen Sicherheitsbedürfnis des Omans in einer unstabilen Region und den amerikanischen geo-strategischen Interessen am Golf. Obwohl Oman eine der am besten ausgebildeten Soldaten des GKR 41 42 43 44 45 46 47 48 hat,45 ist auch Oman, neben den anderen kleinen Golfstaaten, auf Schutz durch einen mächtigen Partner angewiesen. In diesem Sinne schloss Oman nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 sehr schnell ein Verteidigungsabkommen mit den USA. Die anderen Staaten des Golfkooperationsrats mieden zu enge offizielle Kontakte zu den USA so kurz nach dem, durch die USA vermittelten, Ägyptisch-Israelischen Friedensvertrag von 1979.46 Ein weiteres Indiz für die unabhängige Außenpolitik Omans, die oftmals pragmatische Entscheidungen vor ideologische stellte. Während des Irak-Iran-Kriegs lehnte Oman den „Tankerkrieg“, in dem US-Militärschiffe kuwaitischen Öltankern Geleit gaben, ab, da das Sultanat einen möglicherweise daraus resultierenden Krieg zwischen den USA und Iran befürchtete. Dennoch wurden die Beziehungen zu keinem der Konfliktparteien abgebrochen. Oman unterstützte einerseits die USA logistisch und vermittelte andererseits die Freilassung von Iranern, die von der USMarine gefangengenommen wurden.47 Auch hier zeigt sich die auf Pragmatismus und Zurückhaltung beruhende omanische Außenpolitik. Die US-Militärpräsenz verringerte sich nach dem Ende des Kalten Krieges proportional mit dem Rückgang des Bedrohungspotenzials in der Region. Nach dem 11. September 2001 schloss sich Oman „schnell und öffentlich“48 dem amerikanischen „Kampf gegen den Terror“ an und gewährte den Amerikanern die Nutzung omanischer Luftwaffenstützpunkte für militärische Operationen in Afghanistan. Ebenso wie die USA, befürchtet der Sultan den destabilisierenden Faktor islamistischer Extremisten im In- und Ausland. Während die Operation in Afghanistan vorbehaltlos vom Sultanat unterstützt wurde, warnte Oman die USA vor den destabilisierenden Folgen eines Krieges gegen den Irak in der Region. Mit dieser Warnung war Oman in der Region So weit nicht anders angegeben beziehen sich die Angaben auf: Auswärtiges Amt: Beziehungen zwischen dem Sultanat Oman und Deutschland, März 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Oman/Bilateral_node.html, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Gulf & Europe Forum, http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=3, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Alsis, Peter; Allison, Marissa; Cordesman, Anthony H.: U.S. and Iranian Strategic Competition in the Gulf States and Yemen, Center for Strategic & International Studies, März 2012, S. 40. Vgl. ebd., S. 39. Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar 2012, S. 9. Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 101. Vgl. ebd., S. 100. Ebd., S. 104. Deutsches Orient-Institut 93 Oman nicht alleine. Nach einhelliger Meinung von Beobachtern ist die Militärpräsenz der Amerikaner im Oman in den letzten Jahren erneut gesunken, da Oman eine zu einseitige Ausrichtung seiner Politik auf die USA und eine Verärgerung von Islamisten und Iran befürchtet.49 Laut Jeffrey A. Lefebvre sind die Beziehungen dadurch und durch die geringeren Finanzhilfen der USA „gesünder“50 geworden, da keine einseitige Abhängigkeit Omans gegenüber den USA festzustellen sei. Ein möglicher Militärschlag der USA gegen Iran wird vom Oman abgelehnt. Es würde einer defensiven, auf guten nachbarschaftlichen Beziehungen beruhenden Außenpolitik zuwiderlaufen. Die USA kritisieren die guten Beziehungen des Omans zu Iran bisher kaum, auch weil sie von den daraus resultierenden Freilassungen von Gefangenen, wie zuletzt im September 2010,51 profitieren. Auf die Unruhen 2011 im Oman reagierte die US-Regierung verhalten, da die Unruhen als relativ unbedeutend erachtet wurden. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften ging Sultan Qabus schnell auf einige der Forderungen der Protestler ein, was die USA mit veranlasste, keine Kritik am Vorgehen der omanischen Regierung zu äußern. Nicht nur auf militärisch-politischer Ebene bestehen enge Beziehungen, sondern auch im wirtschaftlicher Bereich. Zwischen beiden Ländern besteht ein bilaterales Freihandelsabkommen, welches im September 2009 von den USA ratifiziert wurde.52 Die USA sind für Oman der viertgrößte Handelspartner.53 Oman exportierte 2010 und 2011 jeweils Waren im Wert von 773 Mio. und 2,2 Mrd. USD und importierte im gleichen Zeitraum Waren im Wert von 1,1 Mrd. und 1,4 Mrd. USD.54 Oman importiert aus den USA hauptsächlich Maschinen, Fluggeräte, landwirtschaftliche Produkte und optische und medizinische Instrumente und exportiert 49 50 51 52 53 54 55 56 57 94 Erdöl, Plastik und Eisen- und Stahl-Produkte.55 IV.3 China und der asiatische Raum Die Beziehungen zwischen Oman und dem asiatischen Raum gehen auf historische wirtschaftliche Bindungen zwischen den Anrainern des Indischen Ozeans zurück. Auch die Erneuerung der historischen Beziehungen seit 1970 ist wirtschaftlich begründet. Für den Fernen Osten war Oman aufgrund seiner geografischen Lage das Tor zur Arabischen Halbinsel. Daran angeknüpft kam Oman eine strategische Bedeutung bei der Sicherung der Straße von Hormuz zu. Nach der Machtübernahme Maos betrieb China eine isolationistische Außenpolitik und distanzierte sich auch ideologisch von den konservativen Golfmonarchien. Während der Dhofar-Rebellion, die vom marxistischen Südjemen unterstützt wurde, unterstützte China die Rebellen verbal und materiell mit Waffen. Die Unterstützung der Rebellen endete aber schon 197256, vier Jahre bevor die Rebellion von omanischen und iranischen Truppen niedergeschlagen wurde, da China eine weitere Unterstützung für nicht mehr opportun hielt. Nur drei Jahre nach dem Ende der DhofarRebellion nahm Oman wieder diplomatische Beziehungen zu China auf. Dies liegt in dem Ende der isolationistischen Außenpolitik unter dem neuen Sultan Qabus begründet, der sich aktiv um gute Beziehungen zu anderen Staaten bemühte. Auf erste vertrauensbildende Kontakte folgten dann bald engere wirtschaftliche und politische Kontakte. Zu dieser Zeit hatten die anderen Golfstaaten Bahrain, Katar, die VAE und Saudi-Arabien noch keinerlei diplomatische Kontakte mit China.57 Mit dem Ende der chinesischen Autarkie in der Erdölproduktion erlangten nicht nur die Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar 2012, S. 9. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 104. Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar 2012, S. 12. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd. Vgl. United States Census Bureau: Trade in Goods with Oman, http://www.census.gov/foreign-trade/ balance/c5230.html, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. U.S. Department of State: U.S. Relations with Oman, 17. August 2012, http://www.state.gov/r/pa/ei/bgn/35834.htm, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Kechichian, Joseph A.: Oman and the World, The Emergence of an Independent Foreign Policy, Santa Monica 1995, S. 190. Vgl. ebd., S. 190f. Eine Ausnahme stellt Kuwait dar. Deutsches Orient-Institut Oman erdölreichen Länder der Golfstaaten chinesische Aufmerksamkeit, sondern auch Oman. Bis heute liefert Oman Erdöl und -gas an China, was den größten Teil des bilateralen Handels ausmacht.58 Insgesamt exportierte Oman 2011 Waren im Wert von 14,2 Mrd. USD nach China und importierte Waren im Wert von 1,1 Mrd. USD.59 Ebenso kam es zu einer Kooperation von klein- und mittelständischen Unternehmen aus China und dem Oman.60 Auf politischer Ebene werden von chinesischer Seite vor allem die enge Anbindung Omans an die USA kritisiert. Obwohl die anderen Golfstaaten regelmäßig sowohl amerikanische als auch chinesische Waffen und Militärausrüstung kaufen, lehnt Oman eine Änderung seiner Waffenpolitik ab und bezieht seine militärische Ausrüstung weiterhin nur aus westlichen Ländern. Doch die militärischen Kontakte, die zwischen beiden Ländern bestanden, nutzte Oman geschickt, um sich vor allem während des Iran-Irak-Kriegs als Vermittler zur Entspannung der Situation zu bewähren. Auch im restlichen asiatischen Raum sind die omanischen Beziehungen vor allem wirtschaftlicher Art. Neben China ist auch Indien ein wichtiger Handelspartner für Oman. Insbesondere als aktives Gründungsmitglied der Indian Ocean Rim Association for Regional Cooperation 1997 tat sich Oman in der Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Anrainerstaaten des Indischen Ozeans hervor. Weitere Gründungsmitglieder waren Mauritius, Indien, Südafrika, Australien, Singapur und Kenia.61 Auch in anderen asiatischen Wirtschaftsorganisationen wie ASEAN und dem Asia Cooperation Dialogue62 engagiert sich Oman, da es glaubt, nur durch multilaterale Kooperation und Frieden die Sicherheit und Stabilität im Golf und weltweit erreichen zu können. V. Fazit Trotz seiner Mitgliedschaft im GKR unterscheidet sich die omanische Außenpolitik signifikant von der der anderen Mitgliedsstaaten. 58 59 60 61 62 Eine defensive Haltung, die sich in Pragmatismus und Mäßigung ausdrückt, ist das Grundprinzip der omanischen Außenpolitik, die konsequent auf bi- und multilateraler Ebene durchgezogen wird. Diese Sonderrolle ist vor allem historisch und geografisch bedingt. Durch seine geografische Lage am nord-westlichen Rand der Arabischen Halbinsel und durch die große Sandwüste Rub alKhali von den anderen Staaten der Halbinsel abgeschnitten, orientierte sich die Fernhandelsmacht Oman insbesondere Richtung Asien und Ostafrika, wo bedeutende Besitzungen lagen. Der ibaditische Islam gab den Omanis ein anderes Selbstverständnis, welches auf Toleranz und Konservativismus beruhte. In der heutigen Zeit bedeutet die Lage am Golf jedoch auch ein permanentes Sicherheitsrisiko, welches durch die Straße von Hormuz und deren Bedeutung für den weltweiten Ölhandel noch verstärkt wird. Diese besondere Stellung Omans wird in der engen Sicherheitspartnerschaft mit den USA deutlich. Jedoch ist Oman bestrebt, eine Machtbalance in der Region zu erhalten, um somit Konfliktpotenzialen entgegenwirken zu können. In diesem Sinne sind die Nähe zu Iran und die Ferne zu Saudi-Arabien zu verstehen. Diese Rolle ermöglicht es, Oman ebenfalls als Vermittler für Entspannung in einer unruhigen Region einen Beitrag zu leisten. Im Gegensatz zu den anderen Golfstaaten und den USA fühlt sich Oman nicht direkt von Iran bedroht. Die Beziehungen außerhalb der näheren Umgebung konzentrieren sich vor allem auf den asiatischen Raum, wo sich Oman im Rahmen von multilateralen Organisationen wie der Ocean Rim States Association for Regional Cooperation für einen stärkeren wirtschaftlicheren Austausch in der Region engagiert. Vor diesem Hintergrund sind die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu China zu verstehen, die vor allem auf dem Erdölexport des Omans nach China beruhen. Mit Deutschland verbindet Oman eine besondere Beziehung, die auf deutscher Hilfe beim Auf- Vgl. Chinese Embassy in the Sultanate of Oman: Bilateral Relations, 28. November 2004, http://www.0m2.mofcom.gov.cn/aarticle/bilateralcooperation/inbrief/200411/20041100004112.html, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of National Economy: Trade Exchange between the Sultanate of Oman and China, http://www.moneoman.gov.om/PublicationAttachment/Sultanate%20of%20Oman&%20china.pdf, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Kechichian, Joseph A.: Oman and the World, The Emergence of an Independent Foreign Policy, Santa Monica 1995, S. 197f. Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Indian Ocean Rim Association for Regional Cooperation, www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=4, abgerufen am 29.08.2012. Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Information: Foreign Affairs, http://www.omanet.om/english/government/foreign.asp?cat=gov, abgerufen am 29.08.2012. Deutsches Orient-Institut 95 Oman bau des Bildungssektors und langjährigem wirtschaftlichem Engagement deutscher Firmen im Oman beruht. Die Eröffnung einer Deutschen Universität und die deutsche Unterstützung beim Aufbau des Berufsbildungssektors zeugen davon. Linda Berger VI. Quellenangaben AL-SAYEGH, FATMA: The UAE and Oman: Opportunities and Challenges in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 9, Nr. 3 (2002), S. 124-137. 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Die moderne Geschichte des Iraks ist geprägt durch die repressive Herrschaft von Saddam Hussein. Von 1968 bis 2003 beherrschte die Arabische Sozialistische Ba’ath-Partei, seit 1979 unter der Führung von Saddam Hussein, das Land. Das Regime Husseins brachte der irakischen Bevölkerung zwei Golfkriege, jahrelange UN-Sanktionen und eine jahrzehntelange Verletzung der Menschenrechte. Nach einer Invasion, geleitet von amerikanischen und britischen Streitkräften, kam der Irak unter militärische Besatzung durch eine multinationale Koalition. Im Juni 2004 wurde der irakischen Übergangsregierung die Souveränität übertragen und einer Übergangsverfassung wurde per Referendum zugestimmt. Aufgrund von Aufständen, die sich kurz nach der Invasion entwickelten, blieben die ausländischen Truppen auch nach der Errichtung einer neuen Regierung im Irak. Diverse militante Akteure erklärten den offensiven Widerstand gegen die Besatzungsmächte. Insbesondere al-Qaida machte sich einen vollständigen Zusammenbruch des Staates zum Ziel. Im Jahr 2005 riefen sie zum Krieg gegen die Schiiten des Landes auf. Die gewaltsamen Aktivitäten der Extremisten führten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Land. Nachdem die Sicherheitstruppen das Gewaltmonopol wieder herstellen konnte, wurden die Truppen der verschiedenen Koalitionsmitglieder nach und nach abgezogen, bis dann die zuletzt übrig gebliebenen US-Truppen am 31. Dezember 2011 das Land verließen. Dennoch bleiben die USA mit 17.000 Mitarbeitern, darunter vor allem Militärpersonal und private Sicherheitskräfte, die das diplomatische Personal beschützen und irakische Streit1 2 3 98 kräfte ausbilden sollen, im Irak präsent. Geopolitisch betrachtet hat der Irak eine wichtige Position in der Region. Das Territorium der Republik Irak umfasst eine Fläche von 437.072 km2 mit einer strategisch wichtigen 58 Kilometer langen Küstenlinie am Golf. Der Irak grenzt an sechs Staaten: Jordanien im Westen (Grenze 181 km), Syrien im Nordwesten (605 km), Türkei im Norden (352 km), Iran im Osten (1,458 km), Kuwait (222 km) und Saudi-Arabien (814 km) im Süden. Die beiden großen Flüsse, Euphrat und Tigris, fließen vom Nordwesten in den Südosten des Landes und versorgen den Irak mit landwirtschaftlich fruchtbarem Boden, im Kontrast zu der Wüsten- und Berglandschaft. Irak ist auch deshalb als Mesopotamien, das Land zwischen den zwei Flüssen, bekannt. Mesopotamien wird oft als Wiege der Zivilisation und Geburtsort der Schrift, des Rechts und des Rads bezeichnet. Der heutige moderne Staat Irak war die Heimat vieler Zivilisationen und das Zentrum der indigenen akkadischen, assyrischen, abbasiden, babylonischen und sumerischen Reiche. Im Juli 2011 wurden 30,4 Millionen Bürger im Irak gezählt. Die ethnischen Gruppierungen teilen sich auf in 75-80% Araber, 15-20% Kurden und 5% Turkomanen, Assyrer/Aramäer und andere. Offiziell ist der Irak ein islamischer Staat, mit 60-65% Schiiten und 32-27% Sunniten, Christen und andere religiöse Gruppen repräsentieren 3%1. Seit dem Fall von Saddam Hussein im Jahr 2003 sollen 50% der Christen nach Syrien, Jordanien und Libanon geflohen sein.2 Die natürlichen Ressourcen des Iraks bestehen hauptsächlich aus Erdöl, Erdgas, Phosphat und Schwefel. In der Menge der Erdölreserven liegt der Irak weltweit auf Platz 2 nach Saudi-Arabien (der Irak hat 143,1 Milliarden Barrel an Erdölreserven), allerdings sind bis zu 90% des Landes noch unerforscht.3 Der natürliche Reichtum des Landes ist ein Grund für die Bedeutsamkeit des Iraks, nicht nur für die Region, sondern für die gesamte Welt. Im Jahr 2005 fanden zum ersten Mal freie Wahlen im Irak statt. Im selben Jahr wurde von der neuen irakischen Regierung die neue Verfassung verkündet. Diese steht seitdem als Grundstein für den „neuen Irak“. Die letzten Wahlen fanden am 7. März 2010 statt. Für Vgl. CIA World Factbook: Iraq: People and Society. 20. Dezember 2011, abgerufen am 30.08.2012. Vgl. Radio Vatikan: Irak: Ringen um Religionsfreiheit, 1. Januar 2007, abgerufen am 30.08.2012. Vgl. OPEC: Annual Statistical Bulletin 2010/2011, http://www.opec.org/opec_web/static_files_ project/media/downloads/publications/ASB2010_2011.pdf, abgerufen am 30.08.2012. Deutsches Orient-Institut Irak die Wahlen schloss sich eine Reihe von kleinen Parteien in großen Koalitionen zusammen. Der Gewinner der Wahl war die Irakische Nationalbewegung, ein nationalsäkulares Bündnis unter der Führung Iyad Allawis, mit 91 Sitzen im Parlament, allerdings konnte aufgrund von Streitigkeiten zunächst keine Regierungskoalition gebildet werden. Erst nach zehn Monaten war das Parlament regierungsfähig. Die Irakische Nationalbewegung benannte Jalal Talabani, Vorsitzender der Patriotischen Union Kurdistans (PuK), als irakischen Präsidenten. Zum Premierminister wurde Nuri al-Maliki von der Islamischen Dawa Partei ernannt.4 Trotz der Missstände während der Besatzung des Iraks entwickelte sich das Autonomiegebiet Kurdistan mit einer stabilen Wirtschaftsund Sicherheitslage verhältnismäßig positiv. Die seit 1991 autonome kurdische Regierung implementierte nach dem Sturz Husseins relativ schnell rechtliche Rahmenbedingungen zum Investitions- und Handelsschutz, wodurch viele ausländische Unternehmen motiviert wurden, in der Region zu investieren. Auch die Aussöhnung der beiden dominierenden kurdischen Parteien Kurdistan Democratic Party (KDP) und Patriotic Union of Kurdistan (PUK), förderte die Stabilisierung in der Region. Seitdem im Mai 2006 eine gemeinsame kurdische Regierung gebildet wurde, entwickelte sich vor allem um die kurdische Hauptstadt Erbil/Hawler ein stetig wachsender Wirtschaftsboom. Allerdings steht die Autonome Region Kurdistan mit der Zentralregierung in Bagdad in einem Konflikt, über Machtansprüche über umstrittene Territorien, wie Kirkuk, und Ressourcen, wie Öl und Gas. Unter dem Regime von Saddam Hussein wurde der Irak, aufgrund seiner eklatanten Missachtung der Menschenrechte und des Völkerrechts und die Nichteinhaltung von UNResolutionen, vor allem in westlichen Welt als „Schurkenstaat" betrachtet. Durch die Invasion des Iraks im Jahr 2003 und die anschließende Neugestaltung des politischen Systems wurde eine neue Ära in der irakischen Außenpolitik eingeleitet. Der irakischen 4 5 6 7 Konstitution zufolge stellen jetzt die Prinzipien der guten Nachbarschaft und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten die Prioritäten für die irakische Außenpolitik dar. Der „neue Irak“ erkennt die Bedeutung der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit zu weiteren globalen Normen und Werten an und verpflichtet sich zur Einhaltung der Menschenrechte und der Nichtverbreitung der Atomwaffen, so die irakische Verfassung.5 Historisch betrachtet hatte der Irak sehr vielfältige Beziehungen zu den arabischen Ländern, welche von Krieg (mit Iran und Kuwait) bis zu engen Beziehungen mit Ländern wie dem Libanon reichten. Seit 2003 verpflichtet sich der Irak, ein aktives Mitglied in der Arabischen Liga zu sein und setzt sich für die Verbesserung ihrer Beziehungen zu den Staaten in dieser Region ein. Zu der Zeit der US-Invasion im Jahr 2003 lag die irakische Wirtschaft in Trümmern. Jahrzehntelange Misswirtschaft, gekoppelt mit lähmenden ökonomischen Sanktionen, die von dem UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden, hatten die wirtschaftliche Aktivität dramatisch reduziert. Im Jahr 2000 erreichte im Irak das BIP einen Tiefstand von 12 Milliarden USD. In den letzten Jahren erlebte die irakische Wirtschaft drastische Verbesserungen. Iraks BIP erhöhte sich auf 108,6 Milliarden USD im Jahr 2011, eine geschätzte Verzehnfachung in nur etwas mehr als zehn Jahren.6 Im Wealth Report 2012 wird der Irak auf Platz 3 der Länder mit dem höchsten wirtschaflichten Wachstum von 2010-2050 gelistet (7,7%).7 Die Zukunft des Iraks nach dem Abzug der letzten Besatzungstruppen ist stark abhängig von der Lockerung der Spannungen zwischen politischen, religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Fraktionen. Zurzeit ist das Land noch geplagt von einem konfessionsgebundenem Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, der große Probleme in der inneren Sicherheit mit sich bringt. Zudem entstehen immer größere Spannungen zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Autono- Vgl. Spiegel Online: Opposition gewinnt knapp Parlamentswahl im Irak, 26. März 2010 http://www.spiegel.de/politik/ausland/vorlaeufiges-endergebnis-opposition-gewinnt-knappparlamentswahl-im-irak-a-685931.html, abgerufen am 30.08.2012. Vgl. Iraqi Constitution, http://www.iraqinationality.gov.iq/attach/iraqi_constitution.pdf, abgerufen am 30.08.2012. Vgl. IMF: World Economic Outlook Database 2011, http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2011/01/ weodata/index.aspx, abgerufen am 16.10.2012. Vgl. Knight Frank Research: The Wealth Report 2012, http://www.thewealthreport.net/The-WealthReport-2012.pdf, abgerufen am 16.10.2012. Deutsches Orient-Institut 99 Irak men Region Kurdistan im Norden, ausgelöst vor allem durch den Streit um die Stadt Kirkuk, die von beiden Seiten beansprucht wird. Zeitgleich wird der irakische Premierminister immer mehr von innenpolitischen Akteuren kritisiert und der Korruption und Intransparenz beschuldigt. Trotz der immensen wirtschaftlichen Erfolge fehlt es in der Infrastruktur an vielem, wie zum Beispiel bei der Wasser- und Stromversorgung. II. Rolle in der Region Mit dem Irakkrieg im Jahr 2003 und der darauf folgenden Besetzung des Landes durch vorrangig US-amerikanische Truppen und deren Verbündeten bis Ende 2011 wurde zum ersten Mal seit dem Ende der Kolonial- und Mandatszeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „ein arabischer Staat durch eine externe Macht erobert und besetzt, wobei die umliegenden Staaten hierbei keine nennenswerte Rolle spielten“8. Der Abzug der letzten US-amerikanischen Truppen aus dem Irak im Dezember 2011 markierte nicht nur das offizielle Ende der Besatzung, sondern leitete auch eine neue politische Ära für den „neuen Staat“ ein. Die Prioritäten der zum ersten Mal gewählten irakischen Regierung (2005 und darauf folgend 2010) beruhten während der Besatzungszeit auf innenpolitischen Aspekten wie Rekonstruktion, Sicherheit und politische Stabilisierung. Dabei wurde die Etablierung zu einer neuen Außenpolitik nach dem Saddam-Regime in der Agenda weitgehend ausgelassen. Zu Anfang der Besatzung war der Irak von seinen Nachbarstaaten zum größten Teil politisch isoliert. Auch die Nachbarstaaten des Iraks selbst, vor allem Iran und Syrien, betrachteten die US-amerikanische Präsenz als Besatzungsmacht mit großer Sorge und so blieb der Einfluss dieser Staaten auf die irakische Politik zunächst sehr gering. Durch das Ende der Besatzung, eingeleitet durch den US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama und dem irakischen Premierminister Nouri al-Maliki im Dezember 2011, ist die irakische Regierung nun weitestgehend politisch aktionsfähig und steht vor der Aufgabe, sich als souveräner politischer Akteur wieder in der Region zu integrieren. Die Bemühungen und gleichzeitig auch die Befürch8 9 10 11 100 tung der Nachbarstaaten des Iraks, auf die im Folgenden näher eingegangen wird, lauten, dass der „neue Irak“ sich zu einem wichtigen und maßgebenden Staaten in der Region entwickeln wird. Nach zwei Jahrzehnten der Isolation geprägt von Konflikten und Kriegen, beginnt der Irak eine neue Außenpolitik zu etablieren. Deshalb ist es für die ganze Region von großer Bedeutung, wie sich die irakische Außenpolitik entwickelt und was für eine Rolle sie übernehmen wird. Nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 hat sich die regionale Ordnung im Mittleren Osten gewandelt. Grund dafür ist das entstandene politische Vakuum und nicht der von der Bush-Regierung erhoffte demokratische Dominoeffekt auf die Nachbarstaaten9. Dieses Vakuum gilt es, jetzt von der neuen irakischen Regierung auszufüllen. Die Wahl jener Regierung hat die Machtverhältnisse innenpolitisch wesentlich verändert. Nach jahrzehntelanger politischer Unterdrückung durch das Hussein-Regime, dominiert die schiitische Mehrheit des Landes die Innen- und Außenpolitik. Dieser Machtwandel ist besonders für die sunnitisch-dominierten GCC-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, besorgniserregend. Dies begründet sich in dem konfessionsgebundenen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Unter der Ba'ath-Regierung präsentierte sich der Irak trotz schiitischen Mehrheit als ein säkularer Staat mit Tendenz zu einer sunnitisch geprägten pan-arabischen Außenpolitik und stellte somit ein Gegenpol zur der von schiitischen Geistlichen geführten Islamischen Republik Iran dar. Nach dem Irakkrieg 2003 nahmen die Konfrontationen zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien ein neues Ausmaß an. In den Augen der Golfstaaten besteht die Gefahr, dass sich der Irak mit Iran verbündet und sich ein schiitisch-dominiertes Dreiecksgespann (Iran, Irak, Syrien) herausbildet10. Der jordanische König Abdullah verlieh der Angst vor einer iranischen Vorherrschaft in der Region Ausdruck, indem er vor einer Entstehung eines „schiitischen Halbmonds“ warnte11. Abgesehen vom Irak und Iran selbst teilen alle Golfstaaten diese Sorge. Grund Vgl. Volker Perthes, Bewegung im Mittleren Osten. Internationale Politik und regionale Dynamiken nach dem IrakKrieg, SWP-Studie ,Berlin, 2004, S.7 Vgl. Reynolds, Paul: The ‚Democratic Domino’ Theory, in: BBC News, 10. April 2003, http://www.news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/2935969.stm, abgerufen am 16.10.2012 Vgl. Husain, Ed: Iran Versus Saudi Arabia: Cold War In The Middle East, in: CFR, 20.04.2012, http://www.blogs.cfr.org/husain/2012/04/20/iran-versus-saudi-arabia-cold-war-in-the-middle-east/, abgerufen am 16.10.2012. Vgl. Black, Ian: Fear of a Shia full moon, in: The Guardian, 26.02.2007, http://www.guardian.co.uk/world/2007/jan/26/worlddispatch.ianblack, abgerufen am 16.10.12. Deutsches Orient-Institut Irak dafür ist die enge Verbindung zwischen Nouri al-Maliki und der iranischen Regierung. Allerdings standen die beiden Nachbarstaaten stets in einer engen Verbindung zueinander, die allerdings geprägt ist von Konflikten und einem desaströsen Krieg (1980-1988). II.1 Iran Im Bezug auf Kultur und Sprache sind sich der Irak und sein Nachbarland, mit dem sie eine 1.500 Kilometer lange Grenze teilen, sehr verschieden. Dennoch besteht durch die schiitische Mehrheit in beiden Ländern eine konfessionsgebundene Verbindung. Der Südirak ist das religiöse Zentrum der schiitischen Welt mit den Schreinstädten Nadjaf und Kerbala. Seit Jahrhunderten ist diese Region das Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit und theologischer Ausbildung. Viele Führer aus der aktuellen religiösen und politischen Elite Irans haben in diesen historisch-religiös bedeutsamen Städten in theologischen Seminaren studiert. Zudem werden die heiligen Schreine im Südirak jährlich von tausenden iranischen Pilgern besucht. Allerdings war die Beziehung der Nachbarländer auf politischer Ebene jahrzehntelang geprägt von Spannungen. Die Islamische Revolution in Iran (1979) und der Aufstieg Saddam Husseins in der Ba'ath-Partei im Irak im gleichen Jahr änderten die Region maßgeblich. Das säkulare Ba'ath-Regime und die neue islamische Führung in Iran standen im Konflikt zueinander, wobei die Ba'athisten einen „spill-over“-Effekt der Islamischen Revolution auf den Irak befürchteten. Dies war einer der vielen Gründe für den Iran-IrakKrieg, auch bekannt als Erster Golfkrieg, der vom 22. September 1980 bis zum 20. August 1988 andauerte. Dieser Krieg, initiiert durch Saddam Hussein, forderte auf beiden Seiten insgesamt eine Million Todesopfer und war eine humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe für beide Parteien. Die Auseinandersetzungen wurden mit Hilfe der UN Resolution 59812 (verabschiedet durch den Sicherheitsrat am 20. Juli 1987) mit einem Waffenstillstand beendet, allerdings wurde nie ein Friedensvertrag geschlossen. Die Beziehungen der beiden Staaten ab diesem Moment bis zum Sturz Saddam Husseins im Jahr 12 13 14 15 2003 können als „kalter Frieden“ bezeichnet werden, denn bis dato galt der Irak weiterhin als die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit Irans. Die US-Invasion im März 2003 in den Irak wurde von iranischer Seite mit großer Ambivalenz betrachtet. Einerseits war die iranische Regierung zufrieden mit dem Ende der Herrschaft von Saddam Hussein, andererseits wurde die militärische Präsenz der USA an der eigenen Grenze mit großer Sorge betrachtet. Offiziell wurde die Invasion von der iranischen Seite aus stark kritisiert. Gleichzeitig aber ünterstützte Teheran US-amerikanische Operationen gegen die Al-Qaida im Irak.13 Über die Absichten des Irans im Irak herrscht bei den meisten europäischen und US-amerikanischen Forschungsinstituten ein gewisser Konsens: die Sicherstellung einer Iran-freundlichen Nachbarschaftspolitik.14 Bei der politischen Zusammensetzung der irakischen Regierung wird von iranischer Seite dementsprechend eine von Schiiten dominierende Regierung bevorzugt. Wie alle Nachbarstaaten des Iraks möchte Iran einen möglichen Zerfall des Landes, in Folge von Aufständen und/oder Sezessionen, um jeden Preis verhindern. Die Sorge vor territorialer Instabilität ist zum einen in der Angst vor einer grenzüberschreitenden kurdischen Allianz gegen die iranische Regierung sowie der Beeinflussung der iranischen Kurden durch die Autonomie ihrer Nachbarn verwurzelt. Zum anderen befürchtet Iran Auswirkungen auf die eigene Sicherheitslage im Falle eines möglichen irakischen Bürgerkrieges. Das iranische Interesse an der Neuordnung ihres Nachbarstaates nach der Invasion durch die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreiches und der „Koalition der Willigen“ zeigte sich relativ früh. Am 1. Dezember 2004 fand ein Treffen der Innenminister der Nachbarstaaten des zu dieser Zeit besetzten Iraks in Teheran statt15. Dabei stimmten alle Beteiligten, paradoxerweise auch die iranischen und US-amerikanischen Vertreter, darin überein, dass freie Wahlen die chaotische Situation des Politik-Vakuums im Irak lösen könnten. Allerdings schien Iran vor Vgl. http://www.unhcr.org/refworld/docid/3b00f20e64.html Vgl. International Crisis Group: Iran in Iraq: How much influence?, ,Middle East Report N°38 – 21. März 2005; The Washington Institute for Near East Policy: “Iran’s Influence in Iraq”,Michael Eisenstadt, Michael Knights, and Ahmed Ali, Policy Focus #111 | April 2011 Vgl. Payvan Iran News: Conference of Interior Ministers of Iraq Neighbors wraps up in Tehran, 2. Dezember 2004, http://www.payvand.com/news/04/dec/1021.html, abgerufen am 16.10.2012 Deutsches Orient-Institut 101 Irak den ersten freien Wahlen im Jahr 2005 eine Politik des „gelenkten Chaos“ im Irak durchgeführt zu haben, um eigene Interessen durchzusetzen. Die von der iranischen Regierung befürworteten freien Wahlen sollen allerdings von ihr mit verschiedenen Methoden beeinflusst worden sein. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2005 und 2010 sowie den Wahlen in den einzelnen Provinzen im Jahr 2009 sollen bevorzugte Kandidaten von der iranischen Regierung beraten und finanziert worden sein. So sollen sie auch versucht haben, ihre traditionell guten Beziehungen zu den zwei größten und wichtigsten kurdischen Parteien PUK und DPK aufrechtzuerhalten, um den Einfluss im nördlichen Teil des Landes zu sichern.16 Zu Teherans engen Verbündeten im Irak zählen der Islamic Supreme Council of Iraq (ISCI), die Badr Organisation, die islamische Dawa-Partei von Nouri al-Maliki und seit neuestem auch die Sadristen. Diese schiitischen Parteien versucht der Iran zu einer gemeinsamen Politik zu motivieren, um sich vereinigt an der Politik des Landes zu beteiligen und diese mit zu gestalten. Der Einfluss auf diese Parteien soll durch die Botschaft in Bagdad und die Konsulate in Basra, Karbala, Erbil und Sulaymaniah ausgeübt werden.17 Die iranisch-irakischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den letzten fünf Jahren intensiviert. Somit übt Iran auch einen großen finanziellen Einfluss auf seinen Nachbarn aus. Das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten belief sich im Jahr 2011 auf 11 Mrd. USD18. Unter anderem hilft Iran seinem Nachbarn bei der Bekämpfung der Stromknappheit und liefert 10% des Bedarfs. Die iranische Regierung hat auch angeboten dem Irak eine Summe von über 1 Mrd. USD für Kredite zur Verfügung zu stellen, die für Projekte im Irak mit Beteiligung von iranischen Arbeitnehmern und iranischer Ware ausgestellt werden sollen. Iranische Firmen sind vor allem im Bereich des Wohnungs- und Häuserbaus im Süden des Iraks stark präsent. Dieser Markt soll im kommenden Jahrzehnt alleine in der Provinz Basra einen Wert von 16 Mrd. USD und ein Investitionsvolumen von 150 Mrd. USD landesweit umfassen.19 Einige politische Ereignisse in jüngster Zeit lassen die irakische Position im Bezug auf die Beziehung zu Iran erahnen. Eine wichtige politische Problematik in der irakisch-iranischen Beziehung ist das Camp Ashraf. Das Camp Ashraf ist eine Ansiedlung oppositioneller Iraner, die seit 1986 im Irak im Gouvernement Diyala besteht. Das Camp wird von ca. 3.400 „Volksmudschahedin“ bewohnt.20 Vor der IrakInvasion 2003 wurde den iranischen militanten Oppositionellen ein exterritorialer Status erteilt. Im Zuge der Besatzung wurde das Camp Ashraf von US-Truppen entwaffnet. Seit dem 1. Januar 2009 steht das Lager unter Kontrolle des irakischen Militärs, ausdrücklich veranlasst durch den Report des UN-Sicherheitsrates zur Resolution 1883 (14. Mai 2010)21. Anders als das Ba'ath-Regime, welches die „Volksmudschahedin“ als ein Partner gegen die iranische Regierung willkommen hieß, stellen diese für die von Schiiten dominierte Maliki-Regierung ein Hindernis für die Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Irak und Iran dar. Der irakische Ministerpräsident Nouri al-Maliki veranlasste die Umsiedlung der iranischen Oppositionellen, um das Camp Ashraf zu schließen22. Allerdings verweigert ein großer Teil der „Volksmudschahedin“ die Verlegung in andere Camps und fordert eine humanitäre Behandlung. Die Situation ist derzeit sehr kompliziert, da die irakische Regierung zum einen von den Vereinten Nationen und zum anderen von der iranischen Regierung unter Druck gesetzt wird, korrekt zu handeln. Allerdings zeigt der feste Entschluss Malikis das Camp Ashraf zu schließen, dass der derzeitigen irakischen Regierung viel daran gelegen ist, alle Hindernisse, die zwischen den Nachbarländern noch bestehen, zu beseitigen, um eine politische Annäherung zu erleichtern. Des Weiteren fanden die Verhandlungen der P5+1, die Gruppe der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland, die sich zusammengeschlossen haben um mit Vgl. http://www.washingtoninstitute.org/uploads/Documents/pubs/PolicyFocus111.pdf. Vgl. http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/Middle%20East%20North%20Africa/Iran%20Gulf/Iran /Iran%20in %20Iraq%20How%20Much%20Influence. 18 Vgl. PressTV: Iran-Iraq trade transactions stood at over $11bn last year: Envoy, 23. März 2012. . http:/www./presstv.com/detail/2012/05/23/242636/iraniraq-trade-volume-at-over-11bn/, abgerufen am 16.10.2012 19 Vgl. The Washington Institute for Near East Policy: “Iran’s Influence in Iraq”,Michael Eisenstadt, Michael Knights, and Ahmed Ali, Policy Focus #11, April 2011, S. 26. 20 Siehe Informationen zum Camp Ashraf: http:/www./campashraf.org/camp-ashraf/. 21 Vgl. UN Security Council Resolution SC/9725, 7. August 2009, http://www.un.org/News/Press/docs/2009/sc9725.doc.htm, abgerufen am 16.10.2012. 22 Vgl. Al-Jazeera English: Iran exiles moved to 'transit site' in Iraq, 18. Februar 2012 http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2012/02/201221864347708593.html, abgerufen am 16.10.2012. 16 17 102 Deutsches Orient-Institut Irak der iranischen Regierung über deren Atomprogramm zu verhandeln, am 24. März 2012 in Bagdad statt. Die Bereitschaft, diese Konferenz in Bagdad durchzuführen, wurde von den P5+1 und Iran als positiv bewertet 23. Dieser Schritt signalisiert die Bestrebung des Iraks, eine Rolle als Mediator zwischen den westlichen Staaten und dem Iran übernehmen zu wollen, auch wenn die iranische Regierung auf eine zusätzliche Unterstützung von einem Verbündeten für das Atomprogramm gehofft hatte. Zusammenfassend kann man sagen, dass ein stabiler Irak, frei von ethnischen Konflikten, im Einklang mit den nationalen Interessen Irans stehen sollte. Ein zerfallener Nachbarstaat mit einer Welle von ethnischen und religiösen Auseinandersetzungen und einer Verwüstung des Landes, welche die territoriale Integrität des Iraks gefährden und einen Flüchtlingsstrom erzeugen würde, ist in keiner Hinsicht im Interesse der iranischen Regierung. Der iranische Einfluss auf den Irak ist allein aufgrund der historischen, ethnischen und geographischen Bedingungen sehr stark. Obwohl ein schiitisch dominiertes Bagdad, wie unter Malikis islamischer DawaPartei, strategisch sehr günstig ist für Teheran, muss die iranische Regierung auch Akteure entgegen der religiösen Spaltung erreichen, um die Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur und Sicherheit vertiefen zu können. II.2 Saudi-Arabien Die aktuelle irakische Außenpolitik ist zusätzlich geprägt von dem Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien. Die Beziehung des vom Wahabbismus geprägten Königreiches und dem bis dato einzigen Gottesstaat mit schiitischer Staatsreligion wird von einigen Politikwissenschaftlern mittlerweile schon als „Kalter Krieg“ zwischen Sunniten und Schiiten bezeichnet. Inmitten dieses Konfliktes steht der „neue Irak“. Allerdings ist die irakische Beziehung zu Saudi-Arabien mindestens genauso von Konflikten übersät, wie die eben geschilderte Beziehung zu Iran. Wenngleich Saudi-Arabien am Anfang des Iran-IrakKrieges 1980 seine Neutralität erklärte, unterstützte es die Regierung in Bagdad auf nicht-militärischem Wege mit finanziellen Mit23 24 25 teln. Das gemeinsame Interesse den Aufstieg des islamischen Regimes in Iran zu verhindern, führte zwischen den beiden Staaten eher zu einer Zweckbeziehung denn einr tiefen politischen Partnerschaft. Dies zeigte sich bei Ausbruch des Zweiten Golfkrieges 1990/1991, bei dem Saudi-Arabien direkt in der Koalition gegen den Irak involviert war. Trotz der jahrelangen Feindschaft zwischen den beiden Nachbarstaaten hatte sich der saudische König gegen die Pläne der USA, in den Irak einzufallen, ausgesprochen und lehnte sogar eine Stationierung der US-Truppen in Saudi-Arabien kategorisch ab, wenn diese für einen Angriff im Irak vorhergesehen werden sollten. Im Jahr 2009 ernannte das irakische Außenministerium den ersten Botschafter seit dem Zweiten Golfkrieg für die irakische Vertretung in Saudi-Arabien. Im Januar 2012 erklärte der irakische Außenminister Hoshyar Zebari, dass Saudi-Arabien den ersten Botschafter seit 1990 ernannt habe: Fahd Abdul Mohsen Al-Zaid, der saudische Botschafter in Jordanien, werde als nicht ansässiger Botschafter regelmäßig zwischen Amman und Irak verkehren24. Diese Ernennungen seien erste Schritte für die Wiederbelebung der diplomatischen Beziehungen. Allerdings stehen auf dem Weg zu einer Normalisierung noch einige Hürden bevor. In den Augen Saudi-Arabiens bleibt die irakische Regierung ein enger Alliierter Irans. Katar und Saudi-Arabien haben ihre Sorge um die sunnitischen Interessen im Irak unter der Regierung von al-Maliki ausgesprochen25. Das Ausmaß dieser Sorge bleibt groß: SaudiArabien weigert sich, unter dem Premierminister Nouri al-Maliki eine Botschaft in Bagdad zu eröffnen. Allerdings sollte es nicht im Interesse des Königreiches sein einen konfessionsgebundenen Konflikt zu fördern, da ein ethnischer Aufstand im Irak als eine gefährliche Bedrohung für die nationale Sicherheit gesehen wird. Die landesweite schiitische Minderheit bildet eine Mehrheit in der östlichen ölreichen Ostprovinz – ein Grund von großer Besorgnis für Riad. II.3 Kuwait Bis zum Jahr 2004 waren die irakisch-kuwaitischen Beziehungen geprägt vom Widerwillen der irakischen Regierung, Kuwait als Vgl. http://www.presstv.ir/detail/2012/05/22/242555/baghdad-talks-coop-iran Vgl. Healy, Jack: Saudis Pick First Envoy to Baghdad in 20 Years, New York Times, 21. Februar 2012, http://www.nytimes.com/2012/02/22/world/middleeast/saudi-arabia-names-ambassador-to-iraq.html, abgerufen am 16.10.2012 Vgl. Shoamanesh, Sam: Neighbours eye Iraq elections, Al-Jazeera English, 8. März 2010, http://www.aljazeera.com/FOCUS/IRAQELECTION2010/2010/03/201037123914357815.html, abgerufen am 16.10.2012 Deutsches Orient-Institut 103 Irak einen eigenen Staaten anzuerkennen. Diese Haltung begründet sich in der Aufteilung Iraks durch die Briten im Jahr 1922, wobei Kuwait, das zu dem Zeitpunkt noch zu der irakischen Region Basra gehörte, getrennt wurde. Die Briten haben durch diese Teilung den irakischen Zugang zum Persische Golf und zu den natürlichen Bodenschätzen der Region, vor allem Erdöl, blockiert. Diese Teilung wurde von keinem irakischen Führer, von König Faisal bis Saddam Hussein, akzeptiert und somit gab es lange Zeit keine diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern.26 Nach der Machtübernahme Saddam Husseins erhöhten sich die Spannungen zwischen den beiden Golfstaaten immer mehr und erreichten ihren negativen Höhepunkt am 2. August 1990 mit der Invasion des irakischen Militärs auf Kuwait. Die für den Irak militärisch erfolgreiche Operation führte zu der Annexion Kuwaits und Saddam Hussein rief die Region als die 19. Provinz des Iraks aus. Allerdings werden auch von kuwaitischer Seite einige destabilisierende Szenarien im Irak befürchtet. Eine Teilung des Landes wird von Kuwait, wie von den anderen Nachbarstaaten, nicht befürwortet und das Interesse liegt an einem vereinigten und souveränen Irak. Ein möglicher Bürgerkrieg oder gewaltsame Ausschreitungen zwischen den Mitgliedern verschiedener Konfessionen werden auch in Kuwait mit großer Sorge betrachtet. Bei diesen möglichen Szenarien befürchtet die kuwaitische Regierung grenzübergreifende Konflikte, womit durch die Intervention anderer Nachbarstaaten in den Irak eine neue Machtkonstellation in der Region entstünde. Aus diesen Gründen ist ein stabiler Irak für Kuwait von großem Interesse29. Während des Zweiten Golfkrieges wurde Kuwait schnell von den Koalitionstruppen unter US-amerikanischer Führung befreit. Die Folge der aggressiven Expansionspolitik Husseins war eine Verhängung von Sanktionen durch die Vereinten Nationen, die in vollem Maße bis zur US-Invasion 2003 galten und erst Ende 2010 fast vollständig, bis auf die Reparationszahlungen an Kuwait aufgehoben wurden27. Die Sanktionen, die seit dem 6. August 1990 galten, hatten eine zerstörerische Auswirkung auf die irakische Bevölkerung. Der Irak war ökonomisch vollständig isoliert, und es herrschten strikte Regeln für den Import von Lebensmitteln, Medikamenten und vielen weiteren lebensnotwendigen Gütern. Die Zahl von Todesfällen, bedingt durch Krankheiten als direkte Auswirkung von Unterernährung und dem Mangel von sauberem Wasser, stiegen in dieser Zeit rapide. Die Konsequenzen dieser Sanktionen waren so fatal, dass das Sanktionierungssystem der Vereinten Nationen überarbeitet wurde und die sogenannten „Smart Sanctions“ eingeführt wurden.28 Trotz der ungewissen Situation im Irak ist der Nach- Die 222-kilometer-lange Grenze mit dem Irak ist derzeit die einzige große Grenze, die effektiv kontrolliert wird. Deshalb stellt das Eindringen von Extremisten über die kuwaitische Grenze, im Gegensatz zur syrischen Grenze, kein Problem dar. Auf der anderen Seite befinden sich nur wenige irakische Flüchtlinge in Kuwait. Von großen Flüchtlingswellen wie nach Syrien und Jordanien, die jeweils 1 Million Flüchtlinge aufnahmen, blieb Kuwait verschont. Auch bei Einreisen von Einzelpersonen aus der irakischen Regierung nach Kuwait gibt es strikte Sicherheitsbestimmungen für die Visavergabe. Am 22. Oktober 2008 erreichten die irakisch-kuwaitischen Beziehungen einen neuen Höhepunkt: nach 19 Jahren wurde die kuwaitische Botschaft in Bagdad wiedereröffnet. Bereits im Jahr 2005 hatte das irakische Außenministerium einen Botschafter nach Kuwait gesandt und zum ersten Mal seit der Invasion 1990 ihre Botschaft in Kuwait eröffnet.30 Den bisher größten Schritt in der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen war der erste Besuch seit 21 Jahren des kuwaitischen Premierministers 26 27 28 29 30 104 barstaat weniger eine Bedrohung für die innere Sicherheit Kuwaits als zu Zeiten Saddam Husseins. Nach Jahrzehnten ohne diplomatische Beziehungen entwickelt sich seit 2007 die größte Annäherung in der modernen Geschichte zwischen den beiden Ländern. Vgl. Klein, David: Mechanisms of Western Domination: A Short History of Iraq and Kuwait, 2003, http://www.csun.edu/~vcmth00m/iraqkuwait.html, abgerufen am 16.10.2012 Vgl. UN Security Council Resolution SC/1483, 22. Mai 2003, http://www.cfr.org/un/un-security-council-resolution1483-iraq/p8471, abgerufen am 16.10.2012. Vgl. UNICEF: 2003 IRQ: Iraq Watching Briefs — Overview Report, July 2003, http://www.unicef.org/evaldatabase/index_29697.html, abgerufen am 16.10.2012 Vgl. The Washington Institute for Near East Policy: “With Neighbors Like These – Iraq And The Arab States on Ist Borders, David Pollock, Policy Focus #70, June 2007, S. 14ff. Vgl. Al Arabiya News: Kuwait to open an embassy in Baghdad, 20. April 2008 http://www.alarabiya.net/ articles/2008/04/20/48623.html, abgerufen am 16.10.12. Deutsches Orient-Institut Irak im Irak am 14. Juni 2011. Nach dem Treffen bestätigten beide Staaten, dass sie einen Ausschuss bilden würden, um die Beziehungen zu verbessern und die Probleme aus der Vergangenheit zu lösen31. Der United Nations Compensation Commission (UNCC) zu Folge, schuldet Irak der kuwaitischen Regierung etwa 2,7 Mrd. USD Kriegsreparationen32. Die UNCC beaufsichtigt einen Fond, in den 5% der irakischen Öleinnahmen eingezahlt werden, die an die kuwaitische Regierung als Reparationen ausgezahlt werden. Der Irak steht eigentlich mit weiteren Milliarden Dollar, die an Saddam Hussein für den Irak-Iran-Krieg gezahlt wurden, in der Schuld Kuwaits, allerdings erließ Sheikh Mohammed diese und forderte im Gegenzug Sicherheit und gute Beziehungen33. Die Zahlung dieser Reparationen ist die letzte Bedingung, die der Irak erfüllen muss, um sich den verbleibenden Sanktionen, die nach Kapitel 7 der UN-Charta verhängt wurden, zu entledigen. Weitere Bedingungen sind die Kooperation bei der Suche nach kuwaitischen Staatsbürgern, die seit der irakischen Invasion in Kuwait verschollen sind, und die Rückgabe gestohlener kuwaitischer Artefakte. In den jüngsten Treffen zwischen irakischen und kuwaitischen Entscheidungsträgern haben die Nachbarstaaten beschlossen, gemeinsame Projekte in Landwirtschaft und Industrie aufzubauen, wobei kuwaitisches Geld investiert werden soll, um mehr Arbeitsplätze im Irak zu schaffen34. II.4 Syrien Obwohl zu Zeiten Saddam Husseins Syrien und Irak von einem Ba'ath-Regime regiert wurden, war die Beziehung der beiden Nach- 31 32 33 34 35 36 barstaaten zueinander sehr problematisch. Als Saddam Hussein 1979 an die Macht kam, wurde die syrische Botschaft in Bagdad aus Protest geschlossen. Die syrische Regierung unter Hafez al-Assad beteiligte sich auch an der Anti-Saddam-Koalition im Zweiten Golfkrieg 1991. Auch Syrien sprach sich gegen eine Invasion in den Irak aus. Die Folgen des Dritten Golfkrieges waren vor allem in Syrien stark zu spüren: mit einer Flüchtlingswelle kamen ca. 1,5 Millionen irakische Flüchtlinge im Zeitraum von 2003 bis 201135. In den letzten Jahren erlebten die syrisch-irakischen Beziehungen positive Entwicklungen. Die gegenseitigen Besuche von Entscheidungsträgern zwischen den beiden Staaten haben zu einer Reihe von Vereinbarungen zur wirtschaftlichen Kooperation geführt, einschließlich einer Vereinbarung zur Wiederaufnahme der Ölförderung durch das syrische Territorium, welche im Jahr 1982 eingestellt wurde. Mit dem Besuch des syrischen Außenministers Walid Muallem in Bagdad im Jahr 2006 wurde die Entfremdung zwischen Syrien und Irak nach 20 Jahren offiziell beendet. Beide Regierungen verpflichteten sich gegenseitig in allen Bereichen mit gemeinsamem Interesse - Sicherheit, Politik und Wirtschaft zusammenzuarbeiten.36 Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die versprochenen Verpflichtungen nicht eingehalten wurden und sich immer mehr Sicherheitsprobleme herausstellten. Im Februar 2007 erklärte ein irakischer Regierungssprecher, dass die irakische Regierung davon ausgehe, dass 50% der Morde und Bombenanschläge im Irak von Extremisten ausgeführt würden, die über die syrische Grenze in das irakische Gebiet eingedrungen seien. Der damalige Koordinator der Irak-Mission, US-Botschafter David Satterfield, bestätigte, dass 80% der Selbstmordattentäter im Irak über die syrische Grenze Vgl. BBC News: Kuwaiti PM in first visit to Iraq since Gulf War, 12. Januar 2011, http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-12173206, abgerufen am 16.10.2012. Vgl. www.un.org/.../p3%20mojtaba%20kazazi.ppt. Vgl. McClenaghan, Gregor: Iraq's $7bn debt written off, in: The National, 6. Juli 2008, http://www.thenational.ae/news/uae-news/iraqs-7bn-debt-written-off, abgerufen am 16.10.2012. Calderwood, James: Kuwait and Iraq work to repair relations, in: The National, 14. Januar 2011, http://www.thenational.ae/news/world/middle-east/kuwait-and-iraq-work-to-repair-relations, abgerufen am 16.10.2011. Vgl. Spiegel Online: Irakische Flüchtlinge in Syrien,02.10.2007 http://www.spiegel.de/politik/ausland/ irakische-fluechtlinge-in-syrien-der-druck-uebersteigt-unsere-kraefte-a-508973.html, abgerufen am 16.10.12. Vgl. AG Friedensforschung: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Irak/syrien.html, abgerufen am 16.10.2012. Deutsches Orient-Institut 105 Irak gekommen seien.37 Die syrische Regierung unter Bashar al-Assad hatte die Kontrolle der irakischen Grenze zunächst stark vernachlässigt. Da das Versagen der Grenzkontrolle fraglos nicht durch mangelnde Kapazitäten des syrischen Militärs verursacht wurde, gibt dieses Verhalten Hinweise darauf, dass die Stabilisierung des Iraks zu Beginn nicht im Interesse der syrischen Regierung lag. Allerdings ging die syrische Regierung zu Anfang der Besatzung im Irak davon aus, dass ein stabiler, demokratischer und US-orientierter Irak eine größere Bedrohung darstellt als ein instabiler Irak geprägt von konfessionsgebundenen Konflikten. Mit dem ersten Wahlsieg der Maliki-Regierung hat sich Syriens Position allerdings geändert. Der neue schiitische Partner wird in Syrien gerne gesehen und so wurden die wirtschaftlichen Vereinbarungen vertieft und versucht, die Kooperation der schiitischen Achse (Syrien-Irak-Iran) auszubauen. Ein Beispiel für dieses Vorhaben ist ein 10-Mrd.-USD-Deal für eine Gas-Pipeline, der zwischen den drei Staaten im Juli 2011 beschlossen wurde.38 Die seit dem Frühling 2011 andauernden Aufstände in Syrien und das mögliche Ende des Assad-Regimes stellen demnach eine große Zerreißprobe für die irakische Regierung dar. Bei der Abstimmung der Arabischen Liga am 12. November 2011 über den Ausschluss Syriens aus der Organisation enthielt sich der Irak.39 Zuvor hatte der irakische Premierminister Nouri al-Maliki dem syrischen Präsidenten die Unterstützung gegen die angeblichen Verschwörungen gegen die syrische Regierung zugesagt. Als die Gewalt weiter anhielt, hatte der irakische Rat der Repräsentanten am 9. August 2011 in einer Stellungnahme zu der Gewalt in Syrien Reformen und ein sofortiges Ende der Gewalt gefordert. Noch in derselben Woche sagte Nouri al-Maliki entgegen dieser Aussage seine weitere Unterstützung des Assad-Regimes zu und beschuldigte die Demonstranten der Sabotage und forderte diese auf, ihre Unzufriedenheit in dem demokratischen Prozess nicht durch Proteste auszudrücken. Am 25. August erklärte der irakische Botschafter in 37 38 39 40 106 Syrien Samir Sumaida’ie, dass Assads Regime kontinuierlich an Macht, Verbündeten und Glaubwürdigkeit verliere und eventuell zusammenbrechen werde, was das Gleichgewicht in der Region verschieben und eventuell Iran schwächen würde. Sumaida’ie erklärte, dass Bagdad sich vor einer potentiellen Instabilität nach Assad nicht sorgen werde. Die unterschiedlichen Meinungen und Äußerungen der irakischen Vertreter zeigen unverkennbar die Unstimmigkeit in der irakischen Außenpolitik unter den verschiedenen Akteuren.40 Lang hielt die irakische Regierung in diesem Konflikt an der Hoffnung fest, das syrische Regime würde die Krise mit Hilfe von internen Reformen lösen. Doch seit der Veröffentlichung des Friedensplanes von Kofi Annan, dem ehemaligen Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, schwenkte die Regierung um und sicherte ihre Unterstützung zu, den Plan zu unterstützen. Im Zuge dieser Krise verhielt sich die MalikiRegierung widersprüchlich. Die Maliki-Regierung befürwortete zuvor die Proteste in Ägypten, Libyen, Tunesien und Bahrain, wobei sie sich immer wieder auf die Erfahrung der jahrzehntelangen Unterdrückung durch Saddam Hussein berief und zu Demokratie aufrief. Die Haltung zu Syrien allerdings zeigt die Bemühungen der Maliki-Regierung, die schiitische Partnerschaft und Solidarität zwischen Syrien, Irak und Iran aufrechtzuerhalten. Allerdings hat sich auch durch die Ereignisse im „Arabischen Frühling“ eine neue Art des Pan-Arabismus und der arabischen Solidarität etabliert. Diese wird auch von der irakischen Bevölkerung wahrgenommen und zeigte sich durch Solidaritätsproteste im Frühling 2011 mit den tunesischen und ägyptischen Demonstranten. Ein anderer Ausdruck dieses Prozesses ist der Bedeutungsgewinn der Arabischen Liga. Um dem Irak wieder eine wichtigere Rolle in der arabischen Staatengemeinschaft zu geben, bestand die Maliki-Regierung darauf, eine Konferenz der Arabischen Liga zum Thema Vgl. U.S. News: Most Suicide Bombers in Iraq Come Through Syria, State Department Says, 27. März 2012, http://www.usnews.com/news/blogs/news-desk/2007/03/27/most-suicide-bombers-in-iraq-comethrough-syria, abgerufen am 16.10.2012. Vgl. Iraq-Business News: Iraq, Iran, Syria Sign $10 billion Gas Deal, 25. Juli 2011, http://www.iraq-busi nessnews.com/2011/07/25/iraq-iran-syria-sign-10-billion-gas-deal/, abgerufen am 16.10.2012. Vgl. BBC News: Arab League Sanctions for Syria, 12. November 2011, http://www.bbc.co.uk/news/worldmiddle-east-15706851, abgerufen am 16.10.2012. Vgl. Markey, Patrick: Analysis: Iraq juggles interests over Syria crisis, in: Reuters, 18. August 2011, http://www.reuters.com/article/2011/08/18/us-iraq-syria-diplomacy-idUSTRE77H3DG20110818, abgerufen am 16.10.2012. Deutsches Orient-Institut Irak Syrien in Bagdad durchzuführen. Sie war die erste Konferenz der Arabischen Liga im Irak seit zwei Jahrzehnten. Nach jahrelangem Kriegszustand hatte die irakische Regierung gehofft, dass die Konferenz die Stabilität und die neue Rolle des Iraks als Mediator zwischen dem schiitischen Iran und den arabischen Staaten, vor allem den sunnitischen Golfstaaten, hervorheben könnte. Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht: Trotz dieser Bemühungen bleiben die Golfstaaten misstrauisch gegenüber der irakischen Verbindung zu Iran. Als ranghohe Persönlichkeiten aus den Golfstaaten kam nur der Emir Kuwaits, was den ersten Besuch eines ranghohen Vertreters eines GCC-Staates im Irak seit 1990 markierte. Die katarische Regierung entsandte eine Delegation auf „niedriger Ebene“, um ihre Unzufriedenheit über den Umgang der Maliki-Regierung mit der sunnitischen Minderheit zum Ausdruck zu bringen. Im Vorfeld wurde die Konferenz zweimal wegen Auseinandersetzungen zwischen dem Irak und den GCC-Staaten verlegt. Grund war der Unmut der irakischen Regierung über die Unterdrückung der schiitischen Demonstranten in Bahrain. II.5 Türkei Nach 2003 orientieren sich die irakisch-türkischen Beziehungen neu. Dabei sind die Integrität des Iraks und die Auseinandersetzung mit der PKK zentrale Aspekte der türkisch-irakischen Beziehungen. Der Status von Kirkuk und die Rechte der turkmenischen Bevölkerung im Irak sind weitere wichtige Punkte. Vor der US-Invasion wurde die türkische Regierung von den USA dazu aufgerufen, sich an der Koalition zu beteiligen, doch das türkische Parlament stimmte gegen eine aktive Beteiligung an der Irak-Invasion. Die Beziehungen der Türkei zur irakischen Zentralregierung und zu den beiden großen Parteien der Autonomen Kurdischen Regierung waren vor dem Irak-Krieg 2003 sehr kühl, und so hatte die Türkei kaum Einfluss auf ihr südliches Nachbarland. Seit 2008 setzt die Türkei Kommunikation mit allen Akteuren im Irak als neue Strategie an. Für Sunniten sowie auch für Schiiten, die einen vereinigten Irak beibehalten wollen, ist die Türkei ein essenzieller Partner. 41 42 Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan war der erste türkische Regierende, der Bagdad 2008 nach fast 20 Jahren besuchte. Durch diesen Besuch versuchte Erdogan, die durch die Angriffe der Türkei auf PKK-Rebellen im Nordirak angespannte Beziehung wieder zu verbessern. Die angespannte Situation zwischen der kurdischen Regionalregierung und der Türkei hat sich durch den Konflikt zwischen der Türkei und der PKK weiter intensiviert. Ein weiterer Grund für diese prekäre Situation ist auch die Haltung der türkischen Regierung zu den Bestrebungen der kurdischen Parteien im Irak, einen souveränen kurdischen Staat zu errichten. Zu der Beziehung zum Irak äußerte sich Erdogan am 3. April 2009 wie folgt: “We defend establishment of an Iraqi state on the basis of Iraq nationality. Common ground is being an Iraqi national. If you set up a Kurdish state, then others will try to set up a Shia state and others an Arab state. There, you divide Iraq into three. This can lead Iraq into a civil war."41 Die Errichtung eines kurdischen Nationalstaates steht nicht im Interesse der türkischen Regierung, da solch ein Aufstreben die türkischen Kurden motivieren würde, ebenfalls einen kurdischen Großstaat zu etablieren. Der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und Autonomie wird schon seit Jahrzehnten von der kurdischen Minderheit gegenüber der türkischen Regierung geäußert; ohne Erfolg. Aus diesen Gründen unterstützt die Regierung Erdogan alle Bewegungen im Irak, die das Ziel haben, einen einheitlichen irakischen Nationalstaat zu wahren. Im Mai 2009 erklärte das irakische Ölministerium, dass die kurdische Regierung befähigt sei, Öl aus der kurdischen Region in die Türkei zu exportieren42. Diese und weitere wirtschaftliche Entwicklungen waren ein großer Schritt, die Beziehungen zwischen der Türkei und den irakischen Kurden zu stärken. Die wirtschaftlichen Aspekte machen die Türkei für den Irak zu einem wichtigen Partner mit großem Zukunftspotential. Der türkische Handelsminister schätzte, dass das Handelsvolumen zwischen der Türkei und dem Irak im Vgl. http://www.thefreelibrary.com/%28DIP%29+PREMIER+ERDOGAN+SAYS+TURKEY+DE FENDS+FORMATION+OF+AN+IRAQI+STATE...-a0197068466, abgerufen am 16.10.12. Vgl. CNN: Iraqi Kurds begin exporting oi“, 1. Juli 2009, http://www.articles.cnn.com/2009-0601/world/iraq.kurds.oil_1_iraqi-kurds-kurdish-foreign-oil-companies?_s=PM:WORLD, abgerufen am 16.10.2012. Deutsches Orient-Institut 107 Irak Jahr 2010 6 Mrd. USD erreichte, im Jahr 2003 waren es nur 940 Mio. USD43. Durch diesen Zuwachs hat sich der Irak vom zehntgrößten Handelspartner zum fünftgrößten Handelspartner für die Türkei entwickelt. Mit über 100 Unternehmen in den Bereichen Energie, Landwirtschaft und Industrie ist die Türkei nach China unter den Top-Playern in der irakischen Wirtschaft. Die Türkei dominiert vor allem die Autonome Region Kurdistan (KRG), wo geschätzte 80% der verkauften Ware aus der Türkei importiert werden. 55% der registrierten ausländischen Unternehmen in der KRG Region stammen aus der Türkei. Neuere Zahlen aus dem Jahr 2011 zeigen einen weiteren Anstieg: Der Irak ist nach Deutschland der zweitgrößte Handelspartner der Türkei mit einem Handelsvolumen von bis zu 12 Mio. USD, von denen mehr als die Hälfte aus dem Handel mit der KRG stammen44. Trotz dieser positiven wirtschaftlichen Entwicklung entstanden in den letzten Monaten große Spannungen zwischen dem türkischen Premierminister Erdogan und seinem irakischen Kollegen al-Maliki. Zum einen kritisierte die Türkei die irakische Haltung zu der Krise in Syrien und zum anderen befürchtet Erdogan eine Verschlimmerung der innenpolitischen Konflikte im Irak nach dem Truppenabzug der USA und warnt vor der immer größer werdenden Gefahr eines Bürgerkrieges. Des Weiteren beschuldigt Erdogan Nouri al-Maliki, dass er gegen diese Situation keine Maßnahmen ergreife und somit zu dem Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten maßgeblich beitrage. Solange die starke Verbindung zu Iran bestehen bleibt, kann der Irak in der Region keine neue Rolle als eigene politische Macht übernehmen, da die arabischen Nachbarstaaten, abgesehen von Syrien45, den Irak weiterhin als einen schiitischen Satellitenstaaten Irans betrachten werden. Bleibt dies der Fall, sind politische Kooperationen zwischen dem Irak und den Golfstaaten geprägt von dem bereits erwähnten „Kalten Krieg“ zwischen Saudi-Arabien und Iran. Eine vollständige Hinwendung des Iraks in Richtung Iran ist aus mehreren Gründen jedoch kaum vorstellbar: 43 44 45 46 108 1. Die sunnitische Minderheit von ca. 3237% ist relativ groß und politisch gut organisiert. 2. Die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch immer einflussreichere autonome Region Kurdistan steht einer politischen Verbrüderung mit Iran trotz guter wirtschaftlicher Beziehungen entgegen. 3. Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten spiegelt keineswegs vollständig die Verhältnisse innerhalb der irakischen Gesellschaft wider. So stehen Schiiten im Irak primär zu ihrer irakischen und arabischen Identität. Ein weiterer Indikator sind die steigenden Zahlen in den Eheschließungen zwischen Paaren verschiedener Religionen, Konfessionen und Ethnien.46 4. Der Irak verfügt über eine sehr reiche Geschichte, Tradition und Kultur. Trotz aller Komplikationen berufen sich Schiiten, Sunniten und andere religiöse Gruppen wie zum Beispiel Christen auf dieselben Wurzeln und dieselbe Historie, was entgegen aller Feindschaften eine starke irakische Identität schafft. 5. Nicht zuletzt ist der sogenannte „neue Irak“ eine Demokratie. Auch wenn diese Demokratie viele Mängel aufweist und Korruption und Intransparenz immer noch an der politischen Tagesordnung stehen, ist es Nouri al-Maliki nicht möglich, einen Alleingang zu wagen. III. Internationale Perspektive III.1 Deutschland Nach 22 Jahren war Frank-Walter Steinmeier der erste deutsche Außenminister, der den Irak im Jahr 2009 besucht hat. Nach dem Irak-Krieg im Jahr 2003 hat Deutschland relativ schnell enge bilaterale Beziehungen aufgebaut. Seit 2003 belief sich die deutsche Unterstützung für den Irak auf 400 Mio. EUR, eingeschlossen EU-Hilfen und Beitragszahlungen über die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds. Auch erließ Vgl. Turnuc, Hasan: Turkey and Iraq, 7. Juli 2011, http://www2.lse.ac.uk/IDEAS/publications/reports/pdf/SR007/iraq.pdf, abgerufen am 16.10.2012. Ebd. Allerdings weitet sich der Konflikt in Syrien immer weiter aus und Assad hat jede politische Legitimation verspielt. In diesem Jahr haben irakische Behörden 14.000 Eheschließungen zwischen Paaren verschiedener Religionen, Konfessionen und Ethnien registriert. Das sind mehr als vier Mal so viel wie noch im Jahr 2010. Deutsches Orient-Institut Irak Deutschland dem Irak Schulden in Höhe von 4,8 Mrd. EUR im Rahmen des Pariser Abkommens. Für die deutsche Regierung ist ein zentraler Baustein für die Festigung demokratischer Strukturen die Konsolidierung der rechtstaatlichen Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund konzentriert sich die deutsche Unterstützung auf die Rechtsstaatförderung, im Sinne von Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Mitarbeitern der irakischen Menschenrechtsinstitutionen sowie Beratungsleistungen zu verfassungsrechtlichen Fragen und den Aufbau juristischer Ausbildungseinrichtungen. Um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Beschäftigungsförderung zu vertiefen, wurde im Februar 2009 in Bagdad ein deutsches Wirtschaftsbüro mit Außenstellen in Erbil und in Basra eröffnet. Deutsche Ausfuhren in den Irak sind im Jahr 2010 um 54,2% auf ca. 925,9 Mio. EUR gestiegen. Deutsche Warenexporte umfassen vor allem Maschinen und Fahrzeuge. Irakische Exporte nach Deutschland stiegen im Jahr 2010 um 89,7% (159,7 Mio. EUR) und umfassen fast ausschließlich Rohöl. In diesem Zusammenhang hat Guido Westerwelle, der erste europäische Außenminister, der den Irak nach den Parlamentswahlen am 7. März 2010 besuchte, am 4. Dezember 2010 ein Investittionsschutzabkommen mit dem Irak unterzeichnet. Das Abkommen soll eine geeignete Basis für zukünftige Kooperationen und Investitionen deutscher Unternehmen im Irak sein. Im selben Jahr haben deutsche Unternehmen erstmals nach vielen Jahren an der Messe „Baghdad International Fair“ teilgenommen. Ein weiterer wichtiger Aufschwung für die deutsch-irakischen Wirtschaftsbeziehungen war der Besuch des Vize-Kanzlers und Wirtschaftsministers Philipp Rösler im November 2011 im Irak. Rösler eröffnete dort den „German Day“ auf der „Baghdad International Fair“ und leitete eine Wirtschaftskommission, die Arbeitsgruppen für eine engere Zusammenarbeit in den folgenden Bereichen etabliert hat: Infrastruktur, Gesundheit, Elektrizität und Transport. Deutschland unterstützt den Wiederaufbau im Irak vor allem mit Hilfe der Europäischen Union. In einer engen Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, Italien und Schweden hat die EU ein erstes Strategiepapier für die Zusammenarbeit mit dem Irak für 2011-2013 47 48 49 ausgearbeitet. Mit Hilfe dieses Programms soll die Zusammenarbeit in den Bereichen verantwortungsvolle Regierungsführung, soziökonomische Erholung durch Bildung und Ausbau der institutionellen Kapazitäten, Wasserbewirtschaftung und Landwirtschaft stattfinden. Die EU-Kommission ist seit Mitte 2006 mit einer Delegation in Bagdad vertreten. Der Hauptarbeitsbereich hierbei ist die Unterstützung der irakischen Wahlkommission, der Aufbau des Rechtsstaates und Hilfe für irakische Flüchtlinge. Die deutsch-irakischen Beziehungen beruhen somit weitgehend auf wirtschaftlicher Kooperation und Unterstützung im Wiederaufbau der Infrastruktur. Die direkte Entwicklungszusammenarbeit mit dem Irak wird über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ausgeführt. Die deutschen Projekte im Irak fördern zum Beispiel die Ausbildung von technischen Facharbeitern und Führungskräften47. Eine weitere Kooperation zwischen den beiden Staaten besteht im Bereich der Bildung. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat, gefördert vom Auswärtigen Amt, ein Programm des akademischen Austausches (Tabadul) zwischen dem Irak und Deutschland aufgebaut48. Des Weiteren unterstützt die Bundesregierung die Förderung der deutschen Sprache durch das Goethe-Institut und der Deutschen Schule in Erbil. Die Kooperation im Gesundheitswesen ist ein weiteres Ziel der deutschen Regierung im Irak. Im März 2012 haben der Gesundheitsminister der Bundesrepublik Dieter Bahr und der irakische Minister für Gesundheit Majeed Mohamed Amin eine „Gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit im Gesundheitswesen“ unterzeichnet. Die Zusammenarbeit soll unter anderem die Ausbildung von medizinischem Personal im Irak beinhalten 49. III.2 Europäische Union Am 11. Mai 2012 haben Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Hoshyar Zebari, Außenminister der Republik Irak, das EU-IrakPartnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) in Brüssel unterzeichnet. Die Vereinbarung soll eine weitere Ebene zur Erleichte- Vgl. Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, http://www.giz.de/themen/de/22795.htm, abgerufen am 10.10.12. Vgl. http://www.tabadul.de/. Vgl. Bundesministerium für Gesundheit, 6. März 2012, http://www.bmg.bund.de/ministerium/presse/ pressemitteilungen/2012-01/deutsch-irakische-zusammenarbeit.html, aberufen am 10.10.12. Deutsches Orient-Institut 109 Irak rung der Beziehungen und der Zusammenarbeit bieten. Das Abkommen ist ein Ausdruck der EU, zu einem wichtigen Partner für den Irak geworden zu sein. Ziele der Vereinbarung sind es, wichtige Investitionen zwischen dem Irak und der EU zu fördern und den Irak in die internationale Wirtschaft zu integrieren. Auch wird in dem Vertrag der Rahmen für die aktuelle Zusammenarbeit in diversen Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Umwelt und Energie, festgelegt. Die EU ist ein wichtiger Handelspartner für den Irak. Die Unterstützung der Europäischen Kommission zu grundlegenden Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Wasser beläuft sich seit 2004 auf einen Betrag in einer Höhe von 372 Mio. EUR. Im Jahr 2011 erreichte der gesamte bilaterale Handel zwischen der EU und dem Irak ein Volumen von über 13 Mrd. EUR. Die EU-Importe aus dem Irak bestehen zu 99,7% aus Öllieferungen. EU-Exporte in den Irak bestehen vor allem aus Maschinen und Fahrzeugen (60%), Chemikalien (9,5%), Nahrungsmitteln und lebenden Tieren (4,5%). In den Jahren 2008-2010 gab es eine erhöhte Anzahl von bilateralen Treffen zwischen der EU und Irak, was zu einer Reihe von langfristigen Entwicklungsplänen führte. Im Jahr 2008 wurde ein Hilfsprogramm mit einer Kapazität von 72,6 Mio. EUR ins Leben gerufen. Mit dem Programm sollen irakische Institutionen gestärkt und die Lebensqualität der Bevölkerung durch die Bereitstellung von grundlegenden Dienstleistungen verbessert werden. Ein Jahr später wurde das erste bilaterale Projekt zwischen der Europäischen Kommission und der irakischen Regierung eingeleitet. Das Projekt beinhaltet einen Betrag von 10,6 Mio. EUR, vorgesehen für technische Hilfe für bestimmte irakische Institutionen und angedacht als Ergänzung zu dem Hilfspaket von 2008. Ein „Memorandum of Understanding (MoU)“ wurde 2010 von der Europäischen Union und der Republik Irak unterzeichnet. Das MoU soll politische Rahmenbedingungen für die Stärkung der energiepolitischen Beziehungen schaffen. Unter den langfristigen Entwicklungsplänen der EU für den Irak ist der „National Development Plan“ (NDP) für 2010-2014. Der NDP soll mit einem Budget 50 110 von 200 Mrd. USD dem Irak dazu verhelfen, die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Somit ist der NDP einer der wichtigsten Referenzen für die irakische Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft. Ein weiteres Projekt der EU im Irak ist die EUJUST Lex, die erste „integrierte“ Rechtsstaatsmission der EU. Sie konzentriert sich auf das Justizsystem, Strafverfolgungsbehörden und Strafvollzug und hat eine beratende Funktion. Diese Mission ist die erste gehaltvolle Maßnahme in der Irakfrage nach der Invasion, die aus einer gemeinsamen EU-Außenpolitik entstanden ist. Das Mandat wurde im Ratsbeschluss vom 7. März 2005 festgelegt und begann am 1. Juli 2005. Bis dato hat die EU im Rahmen dieser Mission über 3.000 irakische Polizisten, Richter und Strafvollzugsbeamte ausgebildet. Seit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak Ende 2011 wurden die politischen Beziehungen zwischen der EU und dem Irak nicht umfangreich ausgebaut. Die Staatsschuldenkrise im Euroraum und die internationale Krise in Syrien lassen zurzeit kaum Freiraum für politische Kooperation. Premierminister al-Maliki hat allerdings den Wunsch geäußert, die Beziehungen zu der EU auszubauen und von der europäischen Expertise, vor allem in dem Bereich Bildung und Wiederaufbau, zu profitieren50. III.3 Russland Am 12. April 2009 besuchte al-Maliki Russland, was den ersten staatshohen Besuch aus dem Irak seit 1981 darstellte. Der Besuch wurde in den internationalen Medien als neuer Weg des Iraks dargestellt, um die Abhängigkeit von den USA zu relativieren und neue Partner zu gewinnen. Während dieses Treffens sprach sich die russische Führung strikt gegen die kurdischen separatistischen Ambitionen aus und versprach eine Unterstützung der territorialen Integrität des Iraks. Am 1. August 2012 besuchte der stellvertretende russische Außenminister und Sondergesandte für den Nahen Osten, Mikhail Bogdanov, Bagdad. Bei den Treffen zwischen irakischen und russischen Entscheidungsträgern wurden sowohl die Zusammenarbeit der beiden Länder sowie die aktuelle Situation in Syrien besprochen. Die irakischen Vertreter Vgl. MENAFN, 11. Juli 2011, http://www.menafn.com/menafn/1093427637/Iraq-wants-to-expandrelations-with-EU--Maliki, abgerufen am 10.10.12. Deutsches Orient-Institut Irak lobten die Beziehungen zwischen dem Irak und Russland in allen Bereichen, vor allem aber wurde die Kooperation im Gas- und ÖlSektor als sehr positiv bewertet. Zudem wurde betont, dass weitere Investitionen von russischen Unternehmen im Irak sehr wünschenswert seien. Beide Seiten waren sich einig, dass eine intensive Zusammenarbeit bei der Stromerzeugung, dem Ausbau der Militärs und im Bildungsbereich notwendig ist. Die russischen Vertreter haben auch ihre Bereitschaft angekündigt, mit der Autonomen Region Kurdistan zusammenzuarbeiten und dieses als ein wichtiges Element der russischirakischen Beziehungen bezeichnet. In der Syrien-Frage sind sich beide Staaten einig: eine mögliche Intervention von Außen wird stark abgelehnt. Abgesehen davon gibt es kaum Kooperationen im politischen Bereich. Die Zusammenarbeit beläuft sich bisher auf die Förderung von Öl durch die russischen Firmen Lukoil und Gazprom, die die Lizenzen zu Ölfeldern im Irak besitzen. III.4 China Der Besuch al-Malikis in Peking im Juli 2011 sollte die chinesisch-irakischen Beziehungen vorantreiben. Nouri al-Maliki ist nach 50 Jahren der erste irakische Premierminister, der China besuchte. Die chinesische Regierung ist daran interessiert, Unternehmen im Irak dazu zu verhelfen, eine langfristige und stabile Beziehung in den Bereichen Erdöl und Erdgas aufzubauen. Das Ziel der chinesischen Politik im Irak ist es, das Erdöl für den künftigen Verbrauch zu sichern. Maliki hofft auf mehr Investitionen im Irak von chinesischen Unternehmen und rief beide Seiten dazu auf, die Kooperation auf die Bereiche Elektrizität Transport, Wohnbau, Telekommunikation und Landwirtschaft auszuweiten. Um dieses Vorhaben zu erreichen, hat Nouri al-Maliki angekündigt weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit der chinesischen Staatsbürger im Irak zu schützen. Im Jahr 2012 hat China die ersten Ölförderungen im Irak begonnen. Chinas National Petroleum Corporation (CNPC) startete am 19. Juli 2012 die Arbeit in einem Ölfeld in der südirakischen Provinz Maysan. Auf diesem 51 Ölfeld werden 70.000 Barrel Öl an einem Tag gefördert, was einer Summe von 5 Millionen Tonnen im Jahr entspricht. Irak wird somit zu einer der Haupthandelspartner der Auslandskooperation der CNPC im Zeitraum 20112015 werden. Die Volksrepublik China hat sich vom größten Kritiker der US-geführten Invasion des Iraks im Jahr 2003, zum größten wirtschaftlichen Gewinner des Krieges entwickelt. Während das Interesse der westlichen Unternehmen an den irakischen Öl-Aktionen durch die prekäre Sicherheitslage und Streitigkeiten zwischen der Zentralregierung al-Malikis und der Autonomen Region Kurdistan zunehmend sinkt, bleibt China der größte Kooperationspartner bei den irakischen Öl-Auktionen51. III.5 USA Die Geschichte der amerikanisch-irakischen Beziehungen ist sehr umfangreich und deshalb werden in diesem Rahmen nur die Entwicklungen seit der Amtseinführung des US-Präsidenten Barack Obama im Januar 2009 betrachtet. Ein nicht unerheblicher Faktor für den Wahlsieg Obamas in den USA war die Irak-Frage. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger George W. Bush, der die Initiative zur Invasion des Iraks im Jahr 2003 ergriff, sprach sich Obama für einen schnellen Abzug der US-Truppen im Irak aus. Dieser erfolgte in mehreren Etappen, bis am 31. Dezember 2011 die letzten US-Truppen den Irak verließen. Der Abzug aus dem Irak fand unter den Rahmenbedingungen des USIraq Security Agreements statt. Das US-Militär hat den Irak zwar verlassen, aber es ist klar, dass sich die USA nicht in absehbarer Zeit aus dem Irak gänzlich zurück ziehen können. Die USA wird weiterhin mit großem Engagement um die Normalisierung der bilateralen Beziehungen bemüht sein. Das US State Department übernimmt seit dem Truppenabzug am 31. Dezember 2011 die Verantwortung für die amerikanisch-irakischen Beziehungen und stellt ein Personal von 16.000 Beamten, davon 5.000 aus Sicherheitsfirmen, die im Irak agieren. Das Budget beträgt 6 Mrd. USD und die USA ist mit drei Hauptvertretungen präsent. Der Irak befürwortet die Bereitstellung von mehreren Tausend US-amerikanischen Ausbildern für Vgl. Salaheddin, Sinan: China reaps benefits of Iraq war, in: NBC News, 08. Juni 2010, http://www.msnbc.msn.com/id/37577656/ns/business-oil_and_energy/t/china-reaps-benefits-iraqwar/#.UHVBKq5m7s0, abgerufen am 10.10.2012. Deutsches Orient-Institut 111 Irak das irakische Militär, welches in diesem Bereich noch stark von der amerikanischen Hilfe abhängig ist. In Fragen der Sicherheit ist der Irak weiterhin darauf angewiesen, dass die USA dabei helfen, irakische Sicherheitskräfte aufzubauen. Das State Department hatte bereits für das Trainingsprogramm der irakischen Polizei die Verantwortung übernommen. Somit bedeutet der Abzug des US-Militärs aus dem Irak nicht das Ende der irakisch-amerikanischen Militärbeziehungen. Die Beziehungen zwischen den amerikanischen und irakischen Streitkräften werden sich tendenziell vergleichbar mit den Beziehungen der Amerikaner zu den Golfstaaten entwickeln. Die USA spielt eine komplizierte Rolle in der irakischen Politik. Washington hat eindeutig al-Maliki bei dem langwierigen Regierungsbildungsprozess im Jahr 2010 unterstützt. In den Streitigkeiten zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung im Norden des Landes setzt die US-Regierung ihre Rolle als Vermittler fort. Ein Ziel der Obama-Administration ist es, den Irak an seine Nachbarn, die Golfstaaten, anzunähern. In diesem Zusammenhang motivierte die US-Regierung den Militär-Stabschef der VAE, in den Irak zu reisen und Gespräche im Rahmen einer Militär-Kooperation zu führen. Aktuell arbeiten die Amerikaner an einem Plan, die irakischen Streitkräfte in die regionalen Militärübungen einzubeziehen. Nach dem endgültigen Truppenabzug bleibt auch eine große Beratermission der Amerikaner im Irak. Im Jahr 2008 wurde unter Obama und al-Maliki das „Strategic Framework Agreement“ (SFA) von beiden Staaten unterzeichnet. Das Abkommen deckt den Bereich der bilateralen Fragen, einschließlich Diplomatie, Sicherheit, Wirtschaft, Energie, Justiz und Strafverfolgung, Dienstleistungen, Wissenschaft, Kultur, Bildung und Umwelt ab und bietet die Grundlage für die bilateralen Beziehungen. Die USA müssen sicherstellen, dass der Irak keine Ursache für Instabilität am Golf bildet, die den Ölfluss aus der Region behindern könnte. Der Irak muss aus der US-amerikanischen Sicht stabilisiert werden, um ein Überschwappen bürgerkriegsänhlicher Zustände 52 112 auf die Nachbarstaaten zu verhindern und die Gefahr eines Staates mit aggressiver Expansionspolitik zu verhindern. Dies sind die minimalen Anforderungen der USA an den Irak. Ein starker, wohlhabender und pluralistischer Staat, der sich mit den USA verbündet, wäre die Maxime der amerikanischen Hoffnungen für die Zukunft. Der Schlüssel zum Erfolg dieser Ziele ist die irakische Innenpolitik. Deshalb konzentrieren sich die USA auf die Beratung der irakischen Regierung im Bereich der inneren Angelegenheiten. Ein Bürgerkrieg wäre eine starke Zerreißprobe für die irakische Innenpolitik. Dennoch bleibt der Einfluss der USA auf die irakische Innenpolitik marginal. Ein Beispiel dafür ist die Haltung der irakischen Regierung zu der Krise in Syrien, wobei al-Maliki trotz Gesprächen mit amerikanischen Offiziellen von seiner pro-Assad Haltung nicht abrückt.52 IV. Fazit Die irakische Außenpolitik steht noch in ihrer Anfangsphase. Aufgrund großer innenpolitischer Probleme ist es der irakischen Regierung noch nicht gelungen, eine klare außenpolitische Konzeption zu entwickeln. Allerdings lässt sich schon feststellen, dass der Irak wirtschaftliche Kooperation mit allen Partnern sucht und diese in der Außenpolitik als Priorität gilt. Es lässt sich auch beobachten, dass Premierminister Nouri al-Maliki und Außenminister Hoshyar Zebari mit großen Bemühungen versuchen, die Beziehungen zu ihren Nachbarstaaten auszubauen. Dabei wollen sie jedoch nicht von ihrer Nähe zu Iran abrücken, durch das die irakischen Beziehungen zu den arabischen Golfstaaten weiterhin behindert werden. Die Annäherung des Iraks an seine Nachbarstaaten lässt sich nach Jahrzehnten der Isolation als positiv bewerten. Die irakische Regierung will in der Region als ein wichtiger Kooperationspartner im Bereich der Wirtschaft gelten. Durch das steigende Wirtschaftswachstum und den Erfolgen im Ölsektor könnte sich der Irak zu einem wichtigen wirtschaftlichen Planer in der Region katapultieren. Ein großes Hindernis für eine florierende irakische Wirtschaft mit großem Investmentpotential für externe Unternehmen und Staaten Vgl Juul, Peter: U.S.-Iraq Relations Enter a New Era, in: Center for American Progress, 13. Dezember 2011,.http://www.americanprogress.org/issues/military/news/2011/12/13/10834/u-s-iraq-relations-entera-new-era/, abgerufen am 10.10.12. Deutsches Orient-Institut Irak ist nicht nur die anhaltende prekäre Sicherheitslage, die viele Investoren abschreckt, sondern auch die anhaltenden Spannungen zwischen der Zentralregierung al-Malikis in Bagdad und der Autonomen Region Kurdistan. Sollte nicht bald ein nachhaltiges Abkommen geschlossen werden, könnte dieses innenpolitische Problem die Beziehungen des Iraks zu anderen Staaten beeinträchtigen. Solange keine Lösungen für die innenpolitischen Probleme gefunden werden, wird sich der Irak weiterhin in seiner außenpolitischen Starre befinden. Für eine starke politische und wirtschaftliche Rolle im Nahen und Mittleren Osten, vor allem in der Golfregion, ist der Irak nicht zuletzt durch seine geographische Lage, dem Reichtum an Rohstoffen, sowie historisch und kulturell prädestiniert. Die außenpolitischen Beziehungen des Iraks werden zukünftig davon abhängen, wie sich die irakische Regierung innnerhalb der heutigen komplexen Welt der arabischen Region orientieren wird. Reem Al-Abali V. Ausgewählte Quellenangaben JUUL, PETER: U.S.-Iraq Relations Enter a New Era, in: Center for American Progress, 13. Dezember 2011, http://www.americanprogress.org/issues/military/news/2011/12/13/10834/ u-s-iraq-relations-enter-a-new-era/, abgerufen am 10.10.12. INTERNATIONAL CRISIS GROUP: Iran in Iraq: How much influence?, Middle East Report N°38, 21. März 2005. THE WASHINGTON INSTITUTE FOR NEAR EAST POLICY: Iran’s Influence in Iraq, Policy Focus #111, April 2011. THE WASHINGTON INSTITUTE FOR NEAR EAST POLICY: With Neighbors Like These – Iraq And The Arab States on Ist Borders, Policy Focus #70, Juni 2007. PERTHES, VOLKER: Bewerbung im Mittleren Osten. Internationale Politik und regionale Dynamiken nach dem Irak-Krieg, SWP-Studie,Berlin 2004. Deutsches Orient-Institut 113 Vorstand und Kuratorium der Deutschen Orient-Stiftung Vorstand Deutsche Orient- Stiftung/Deutsches Orient-Institut Dr. Gerald Bumharter General Manager and Representative of ABC International Bank plc designierter Vorsitzender Stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes Henry Hasselbarth Vice President North & Central Europe (a. D.) Emirates Airlines Dr. Michael Lüders Islamwissenschaftler Mitglied des Beirates im NUMOV Michael Lüders Nahostberatung Helene Rang Geschäftsführender Vorstand des NUMOV Helene Rang & Partner Weitere Mitglieder des Vorstandes His Excellency Ali Bin Harmal Al Dhaheri Chairman of the Executive Board of Governors, Abu Dhabi University Martin Bay Deutsche Bahn International (ret.) Vice Chairman Qatar Railways Development Co. Prof. Dr. Christina von Braun Vorsitzende des Lehrstuhls für Kulturgeschichte und Gender Studies Humboldt Universität zu Berlin Kulturwissenschaftliches Seminar Elke Hoff, MdB Mitglied des Deutschen Bundestags Philipp Lührs Vice President Middle East deugro GmbH Katar Saffet Molvali Eren Holding A.S. Dr. Gunter Mulack Direktor und Mitglied des Vorstandes Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Bernd Romanski Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes im NUMOV, Mitglied des Vorstands HOCHTIEF Solutions AG 114 Dr. Gerhard Schäfer Leiter Wirtschaft und Politik (a. D.) Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG Prof. Dr. Susanne Schröter Institut für Anthropologie / ExzellenzCluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ Goethe-Universität Frankfurt Prof. Dr. Rainer Schwarz Sprecher der Geschäftsführung Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH Kuratorium Deutsche Orient- Stiftung/Deutsches Orient-Institut Präsident Günter Gloser, MdB Mitglied des Deutschen Bundestags Stellvertretender Präsident Prof. Dr. Mathias Rohe Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Juristische Fakultät weitere Mitglieder des Kuratoriums Prof. Dr. Abdul Ghaffar Yousef Präsident der Kingdom University in Bahrain Sheikha Abdulla Al Misnad, Ph.D. Präsident der Qatar University Oliver Berben Geschäftsführer MOOVIE - the art of entertainment GmbH Dr. Ralf Brauksiepe Parlamentarischer Staatssekretär Mitglied des Deutschen Bundestages Peter Brinkmann Journalist Jürgen Chrobog Staatsssekretär a.D. Vorsitzender des Vorstandes BMW Stiftung Herbert Quandt Mitglied im Vorstand NUMOV Thomas Ellerbeck Mitglied des Beirates im NUMOV Direktor Unternehmenskommunikation und Politik Prof. Dr. Friedhelm Gehrmann Steinbeis Universität Berlin Institut “Global Consulting and Government” Stephan Hallmann ZDF Zweites Deutsches Fernsehen HR Politik und Zeitgeschehen Aussenpolitik Burkhardt Müller-Sönksen, MdB Mitglied des Deutschen Bundestags Prof. Detlef Prinz Inhaber PrinzMedien Dr. Nicolas Christian Raabe Vorstand NUMOV Juniorenkreis Gerold Reichle Leiter der Abteilung Luft- und Raumfahrt im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Dr. Gerhard Sabathil Director East Asia, Australia, Pacific, European External Service Member of the Advisory Board of NUMOV Prof. Dr. jur. Dr. phil. Peter Scholz Vizepräsident Amtsgericht Tiergarten Honorarprofessor der Freien Universität Berlin Oltmann Siemens Repräsentant der Weltbank a.D. Dr. Max Stadler, MdB Parlamentarischer Staatssekretär Wilhelm Staudacher Staatssekretär a.D. Dr. Willi Steul Intendant des Deutschlandradio Juergen Stotz Deutsches Nationales Komitee des Weltenergierates (DNK) RA Rainer Wietstock PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deutsches Orient-Institut Vorstand und Beirat des Nah- und Mittelost-Vereins / NUMOV Vorstand des Nahund Mittelost-Vereins NUMOV Ehrenvorsitzender Dr. Gerhard Schröder Bundeskanzler a.D. Geschäftsführender Vorstand Helene Rang Inhaberin Helene Rang & Partner Vorsitzender Bernd Romanski Member of the Board Hochtief Solutions AG Stellvertretende Vorsitzende Martin Bay Deutsche Bahn AG ret. Burkhard Dahmen Chairman of the Board SMS Siemag AG Dr. Martin Herrenknecht Vorsitzender des Vorstandes Herrenknecht AG Dr. Norbert Kloppenburg Mitglied des Vorstandes KfW Bankengruppe Jens-Ove R. Stier Geschäftsführer Winterstein-Kontor GmbH Mitglieder des Vorstandes Ralf to Baben Mitglied des Vorstandes RWE DEA AG Martin Bachmann Mitglied des Vorstands Wintershall Holding AG Dr. Christoph Beier Stv. Vorsitzender der Geschäftsführung GIZ GmbH, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Hubert Bock Managing Director Misr Bank Europe GmbH Jürgen Chrobog Staatssekretär a. D. Vorsitzender des Vorstandes BMW Stiftung Herbert Quandt Hartmut Mehdorn Vorsitzender des Vorstandes Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG Klaus Eberhardt Vorsitzender des Vorstandes Rheinmetall AG Matthias Müller Vorsitzender des Vorstandes Porsche AG Joachim Enenkel Mitglied des Vorstandes Bilfinger Berger SE Günther Mull Proprietor Dermalog Identification Systems Dieter Ernst IStaatssekretär a.D. IWC Innovation and Water Consult Marc Neumann Managing Director Ferrostaal Industrieanlagen GmbH Jürgen Fitschen Co-Vorsitzender des Vorstandes Deutsche Bank AG Dr. Thomas Rupprich Managing Director Bayerngas GmbH Hans-Peter Floren Mitglied des Vorstandes OMV AG Jürgen Sander Geschäftsführer VEM Motors GmbH Michael Glos, MdB Bundesminister für Wirtschaft und Technologie a.D. Mitglied des Deutschen Bundestags Maria-Elisabeth Schaeffler Gesellschafterin Ina-Holding Schaeffler KG Gareth Griffiths Mitglied des Vorstandes E-ON Ruhrgas AG Marc Hall Mitglied des Vorstandes Wiener Stadtwerke Holding AG Joachim Hörster, MdB Mitglied des Deutschen Bundestages Elke Hoff, MdB Mitglied des Deutschen Bundestags Walter Lamparter CEO SH+E Group Michael Ludwig Mitglied des Vorstandes Verbundnetz Gas AG Martin Marsmann Head of International Business UniCredit Bank AG Paul Schockemöhle Pferdehaltung GmbH Paul Schockemöhle Inhaber Werner Schoeltzke ENTRACON AG Prof. Dr. Rainer Schwarz Sprecher der Geschäftsführung Berliner Flughäfen Erich Staake Vorsitzender des Vorstandes Duisport AG Niko Warbanoff Vorsitzender der Geschäftsführung Deutsche Bahn International GmbH Ehrenvorstandsmitglied, 1998 2005 Hans-Jürgen Wischnewski † Bundesminister / Staatsminister a.D. Deutsches Orient-Institut 115 Vorstand und Beirat des Nah- und Mittelost-Vereins / NUMOV Beirat des Nah- und Mittelost-Vereins / NUMOV Peter Dingens Botschafter a.D. Rudolf Dreßler Botschafter a.D. Thomas Ellerbeck Direktor Unternehmenskommunikation und Politik Vodafone D2 GmbH Dr. Henryk Frystacki Siemens AG, a.D. Wilfried H. Graf Arab Bank AG, a.D. Dr. Gabriela Guellil, Botschafterin Islamwissenschaftlerin Dr. Jürgen Hellner Botschafter a.D. Near and Middle East Consultant Herbert Honsowitz Botschafter a.D. Wolfgang Kenntemich Chefredakteur MDR Dr. Hubert Lang Botschafter a.D. Dr. Michael Lüders, Islamwissechaftler Michael Lüders Nahostberatung Dr. Gunter Mulack Botschafter a.D. Direktor Deutsches Orient-Institut 116 Bernd Mützelburg Botschafter a.D. AAIN – Ambassadors Associates Interntional Networking GmbH Dr. Jürgen K. Nehls Giesecke & Devrient a.D. Dietmar Ossenberg Auslandschef der ZDF Redaktion Zweites Deutsches Fernsehen Bernhard von der Planitz Chef des Protokolls a.D. Auswärtiges Amt Klaus Rollenhagen Hauptgeschäftsführer Verband Beratender Ingenieure Dr. Gerhard Sabathil Director East Asia Australia, Pacific, Eruopean Extgernal Service Andreas von Stechow Botschafter a.D. Arbeitsstab Außenwirtschaftsberatung Dr. Rainald Steck Botschafter a.D. Folkmar Stöcker Botschafter a.D. Knut Witschel Managing Director & Head Near & Middle East/Africa a.D. Deutsche Bank AG Karl Heinz Wittek Botschaftsrat a.D. Deutsches Orient-Institut Impressum IMPRESSUM Studie des Deutschen Orient-Instituts Die Golfstaaten Das „neue Herz“ des Nahen und Mittleren Ostens? Die Außenpolitik der arabischen Golfstaaten in der Analyse Herausgeber: Deutsches Orient-Institut Gesamtverantwortlicher Projektleiter und Chefredakteur: Sebastian Sons Redaktionelle Unterstützung: Samira Akrach Autoren der Analysen Einleitung: Sebastian Sons Saudi-Arabien: Sebastian Sons Katar: Edgar Zedler Vereinigte Arabische Emirate: Samira Akrach Bahrain: Marie Pfister Kuwait: Linda Berger Oman: Linda Berger Irak: Reem Al-Abali doi@deutsches-orient-institut.de www.deutsches-orient-institut.de Jägerstraße 63 D - 10117 Berlin Tel.: +49 (0)30-20 64 10 21 - Fax: +49 (0)30-30 64 10 29 Copyright: Deutsches Orient-Institut Alle Rechte vorbehalten. Es wurden keine Abbildungen, Kopien oder Übertragungen gemacht ohne Erlaubnis der Autoren. Erscheinungsdatum: Oktober 2012 Layout und Graphiken: Nicole Scott Deutsches Orient-Institut 117