Die Golfstaaten - Deutsches Orient

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Die Golfstaaten - Deutsches Orient
Die Golfstaaten
Das „neue Herz“ des Nahen und Mittleren Ostens?
Die Außenpolitik der arabischen Golfstaaten in der Analyse
Eine Studie des Deutschen Orient-Instituts
Oktober 2012
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Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ..................................................................................................................................... 3
Saudi-Arabien............................................................................................................................... 7
Katar ......................................................................................................................................... 37
Vereinigte Arabische Emirate .................................................................................................... 49
Bahrain ...................................................................................................................................... 64
Kuwait ........................................................................................................................................ 75
Oman ......................................................................................................................................... 87
Irak......................................... .................................................................................................... 98
Vorstand und Kuratorium der Deutschen Orient-Stiftung..........................................................114
Vorstand und Beirat des Nah- und Mittelost-Vereins / NUMOV................................................ 115
Impressum................................................................................................................................ 117
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Deutsches Orient-Institut
Einleitung
Die Golfstaaten – Das neue
Herz des Nahen und Mittleren
Ostens?
W
o schlägt das Herz der arabischen
Welt? Welche Länder, Regierungen
und Gesellschaften bestimmen die
politischen Geschicke in dieser Zeit des Umbruchs, in der im Zuge des so genannten
„Arabischen Frühlings“ oder der „Arabellion“
die Regimes in Tunesien, Ägypten und Libyen
gefallen sind, Syriens Präsident Bashar alAssad unter enormem Druck steht, während
das Land im Bürgerkrieg versinkt, und der
Jemen einen schmerzhaften Transformationsprozess durchläuft?
Die ersten freien Wahlen in Ägypten und Tunesien sowie zuletzt in Libyen haben gezeigt,
wie wichtig den heterogenen Gesellschaften
demokratische Lösungen sind, aber auch, wie
unberechenbar und fragil die neuen politischen Ordnungen und Systeme erscheinen.
Die Wahlsiege der Islamisten in Tunesien und
Ägypten sorgen bei der internationalen Gemeinschaft für Skepsis, dass durch eine neue,
„islamische“ Politik das fragile Gleichgewicht
des Nahen und Mittleren Ostens bedroht wird.
Stabilität – dies war seit Jahrzehnten das aufrecht zu erhaltende Hauptziel der Weltgemeinschaft in der Region, um befürchtete
Anarchie und Chaos zu vermeiden. Immerhin
schwelen in Nordafrika, der Arabischen Halbinsel und der Levante zahlreiche Konflikte, die
jederzeit zu einem Flächenbrand hätten führen können: Der Nahostkonflikt, der Hegemonialkonflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien,
der Konflikt um das iranische Atomprogramm,
der Einfluss der Muslimbrüder, die fragile Situation im Irak sowie der Bürgerkrieg in Syrien sind nur die explosivsten Brandherde, die
von der internationalen Gemeinschaft nicht
nur als Gefahren für die Tektonik der Staatengebilde im Nahen und Mittleren Osten,
sondern auch als Risiken für ihre eigenen
Interessen in der Region gesehen werden.
Die arabische Welt ist immerhin seit Jahrzehnten Tummelplatz internationaler Interessen um wirtschaftliche Marktanteile, politische
Vormachtstellung und sozialen Einfluss.
Allerdings haben sich spätestens mit dem
Arabischen Frühling und den daraus resultierenden Transformationsprozessen die Epizentren politischer Macht verschoben.
Verfügten historisch gesehen Ägypten, Syrien
oder der Irak über enormen politischen, wirtschaftlichen, intellektuellen und kulturellen
Einfluss, befinden sich diese Länder nun in
einem zermürbenden und existenzbedrohenden Prozess der Selbstfindung, Selbstzerstörung und Selbstentdeckung: Ägypten droht
nach dem Sturz Hosni Mubaraks am Konflikt
zwischen Militärrat und Muslimbrüdern sowie
den immensen wirtschaftlichen Problemen
seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu
verlieren. Syrien versinkt in einem konfessionellen Chaos, welches auch nach dem absehbaren Sturz des Diktators Bashar
al-Assad anhalten oder sich gar verschärfen
dürfte. Und der Irak dient Syriens Vielvölkergesellschaft als Negativbeispiel einer misslungenen Transformation. Nach dem Sturz
Saddam Husseins und dem Einmarsch der
US-amerikanischen Truppen versank das
Land erst im Kampf gegen die Besatzer, dann
in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten, Arabern und Kurden, um
sich nun in einer Phase der politischen Lethargie, Korruption und wirtschaftlicher Ineffizienz zu befinden. Kurz: Die ehemaligen
Großmächte der arabischen Welt sind derzeit
durch ihre eigene innere Schwäche so paralysiert oder traumatisiert, dass sie keine
außenpolitischen Führungskräfte sein können.
Stattdessen haben sich die ehemals unbedeutenden Golfstaaten Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emiraten
(VAE), Katar, Oman und Kuwait zu mehr oder
weniger einflussreichen außenpolitischen Akteuren entwickelt. Die jahrzehntelange
Schwäche der traditionellen arabischen Führungskräfte wirkte sich dabei stärkend auf die
Golfstaaten aus. Je mehr der Einfluss dieser
Kräfte schwand, desto mehr stieg die Macht
der arabischen Golfstaaten. Aufgrund ihres
Ölreichtums und ihrer (zumindest teilweise)
recht homogenen Bevölkerungsstruktur verfügten die jeweiligen Herrscherhäuser einerseits über die finanzielle Potenz, den
Lebensstandard zu erhöhen und weit reichende Armut zu vermeiden, andererseits
blieben ethnische Konflikte eher die Ausnahme. Innerhalb weniger Jahrzehnte transformierten sich die Golfstaaten von
unbedeutenden Wüstenemiraten und ehemaligen Kolonien an der Peripherie des politischen Weltgeschehens zu wirtschaftlich
prosperierenden Kräften, die vor allem im Verlauf des letzten Jahrzehnts ihren außenpolitischen Einfluss deutlich erhöhten.
Deutsches Orient-Institut
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Einleitung
Hierbei gelten die monarchischen Erbdynastien, die sich im 1981 gegründeten Golfkooperationsrat (GKR)1 zusammengeschlossen
haben, für internationale Akteure wie die USA,
die EU, China oder Russland als verlässlich,
vertrauenswürdig und berechenbar. Insbesondere Saudi-Arabien, mit knapp 28 Millionen Einwohnern das größte Land der
Golfstaaten, und Katar haben sich in den
letzten Jahren als aktive und einflussreiche
außenpolitische Spieler bewiesen. Die Ursachen dafür sind mannigfaltig:
Saudi-Arabien gelang es in den letzten Jahrzehnten aufgrund der größten Erdölreserven
der Welt, sich von einer Beduinengesellschaft
in eine hoch technologisierte Industrienation
zu entwickeln und gilt als Rentierstaat
par excellence. Das Königshaus Al Saud, bestehend aus über 22.000 Mitgliedern und
mehr als 8.000 Prinzen, stützt seine Macht
neben den wirtschaftlichen Ressourcen, mit
denen die Bevölkerung weitgehend alimentiert wird, auf eine starke Allianz mit den wahhabitischen Religionsgelehrten, den ulama.
Auch wenn es immer wieder zu innersaudischen Konflikten und Aushandlungsprozessen der fragilen Machtfrage kam, konnte sich
diese Allianz bis heute bewähren, wenngleich
der wahhabitische Klerus eher als „Juniorpartner“ agiert; die Entscheidungs- und Gestaltungsgewalt liegt bei der Al Saud. Ihnen ist
es gelungen, ihren Machtanspruch zu bewahren, indem sie mit einer geschickten Kombination aus Repression und Teilhabe
Minderheiten und Andersdenkende unterdrücken, während weite Teile der Gesellschaft
vom neu errungenen Reichtum profitierten.
Dies sorgte in Saudi-Arabien für eine oberflächliche Grabesruhe und eine gewisse wirtschaftliche wie gesellschaftliche Stabilität,
ohne die es der Al Saud nicht möglich gewe-
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sen wäre, ihren außenpolitischen Einfluss
auszubauen. Als enger Verbündeter der USA
und ihrer sunnitisch-wahhabitischen Ausrichtung gelten sie seit Jahrzehnten als Brückenkopf des Westens bei der Eindämmung des
schiitischen Irans. Traditionell verbindet
Saudi-Arabien und Iran eine tiefe Feindschaft,
die nicht nur durch die konfessionellen Unterschiede und die antischiitische Polemik des
Wahhabismus, sondern auch durch die geostrategischen Vormachtbestrebungen beider
Länder am Golf begründet wird. Nach dem
Sturz Saddam Husseins im Irak und der
Machtübernahme der schiitisch geprägten
Regierung Nuri al-Malikis fürchteten die saudischen Herrscher eine Ausbreitung des schiitischen Einflusses innerhalb der arabischen
Welt. Dies würde Iran als „Schutzmacht der
Schiiten“ nützen und die Machtlegitimation
der Al Saud limitieren, zumal in der saudischen Ostprovinz die saudischen Schiiten
(mit einem Bevölkerungsanteil von 10-12%)
eine existenzielle Bedrohung für das sunnitische Königshaus werden könnten, sollten sie
von Iran vereinnahmt werden, so die Befürchtung der Al Saud. Diese Paranoia, diese
traumatische Paralysierung vor einer schiitischen Druckwelle hat sich tief in das nationale
Bewusstsein Saudi-Arabiens eingegraben
und bestimmt die saudische Außenpolitik.
Diese beruht auf drei Pfeilern:
1. Die Eindämmung Irans;
2. Die politische Nähe zum Westen und vor
allem den USA, ohne ideologische Verbrüderung zu suchen;
3. Die Förderung von sunnitisch-wahhabitischen Denkstrukturen und Organisationen
auf der ganzen Welt.
Der Golfkooperationsrat wurde von Bahrain, Kuwait, Oman, den VAE, Katar und Saudi-Arabien mit einer
Gesamtbevölkerung von etwa 40 Mio. gegründet und sollte dazu beitragen, die multilaterale Kooperation
in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit der Mitgliedsstaaten zu verbessern, um der damaligen
Dominanz des Iraks und Irans entgegenzuwirken. Weitere Ziele waren die Schaffung einer
gemeinsamen Armee, die Stärkung des Privatsektors, die wirtschaftliche Liberalisierung sowie die
Einrichtung einer Freihandelszone, was 1983 realisiert werden konnte. 1998 wurde ein gemeinsames
Patentbüro eröffnet, 2003 eine Zollunion und 2008 ein gemeinsamer Wirtschaftsmarkt geschaffen.
Infrastrukturell sollen die Mitgliedsländer besser vernetzt werden, die gemeinsame elektrische
Versorgung ebenso ausgebaut werden wie ein grenzübergreifendes Eisenbahnnetz. Ein Drittel aller GKRImporte kommt aus der Europäischen Union (EU), was auch ein 1989 eingerichtetes Handelsabkommen
erwirkte. Mittlerweile ist China einer der fünf wichtigsten Handelspartner des GKR. Zwar wurden mit dem
Jemen Verhandlungen über einen Beitritt geführt, dieser konnte bislang allerdings nicht realisiert werden.
Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ erging an die beiden arabischen Monarchien Jordanien und Marokko
die Einladung im Mai 2011, Neumitglieder des GKR zu werden. Dies wurde als Maßnahme gewertet, den
Zusammenhalt zwischen den arabischen Monarchien zu stärken, um sich als geeinte „gegenrevolutionäre
Kraft“ gegenüber den Transformationsländern zu behaupten. Vgl. u. a. Deutsches Orient-Institut (Hrsg.):
Personalities in the Countries of the Gulf Cooperation Council, Berlin 2010, S. 8ff.
Deutsches Orient-Institut
Einleitung
Mit dieser Drei-Pfeiler-Strategie gelingt es
Saudi-Arabien seit Jahren, regionalen Einfluss auszubauen, eigene geostrategische
Interessen zu verfolgen und gleichzeitig als
verlässlicher Partner des Westens zu gelten.
Dies erscheint vor allem deswegen in Teilen
kaum verständlich, gilt doch Saudi-Arabien
als repressives Regime, dessen politische
und ideologischen Ansichten nicht im Sinne
des Westens sein können: Geschlechtertrennung, Verfolgung von Oppositionellen, Todesstrafe für angebliche Häretiker, eine offen
proklamierte Ablehnung von Christen, Juden
und Schiiten sowie die missionarische Unterstützung von dubiosen islamistischen Gruppierungen mit Infrastruktur und Finanzmitteln
von Pakistan bis in den Maghreb können keineswegs als positive Grundlagen einer westlichen Nahostpolitik gelten. Dennoch gelingt
es dem saudischen Königshaus geschickt,
sich außenpolitisch als pragmatischer und
nüchterner Konfliktlöser zu gerieren, der
ebenso mit Israel wie Iran verhandelt, ohne
sich ideologisch borniert zu verhalten. SaudiArabien ist viel mehr als ein engstirniger Gottesstaat, sondern ein Akteur mit strategischer
Weitsicht, dem es gelungen ist, seine religiöse, wirtschaftliche und demographische Potenz gewinnbringend für die eigenen
außenpolitischen Interessen einzusetzen.
Katar versucht ähnliches, allerdings stehen
dem kleinen Emirat andere Ressourcen zur
Verfügung. Zum einen verfügt das Land nur
über einen Bruchteil der Bevölkerung SaudiArabiens, befindet sich dabei in einer sensiblen geostrategischen Situation zwischen den
rivalisierenden Regionalmächten Iran und
Saudi-Arabien, und muss daher seine Außenpolitik den gegenwärtigen Realitäten anpassen. Unter Emir Hamad bin Khalifa Al Thani
gelingt dies eindrucksvoll: Er konnte den wirtschaftlichen Fortschritt verstetigen, Katar zu
einem der reichsten Länder der Welt machen
und gleichzeitig das außenpolitische Image
als „ehrlicher Makler“ in der Region verfestigen. Katar, aufgrund seiner Größe nie als
außenpolitischer Akteur in Erscheinung getreten, ist innerhalb weniger Jahre zur zweiten Führungsmacht neben Saudi-Arabien
aufgestiegen und nimmt direkten Einfluss auf
die regionalen Geschicke. Auch Katars
Außenpolitik beruht hierbei auf drei Säulen:
1. Die Strategie, Konflikte moderieren zu
wollen und sich so als verlässlicher Partner
aller Parteien zu gerieren;
2. Die Nutzung des katarischen Satellitensenders Al Jazeera, um neben einer gewissen Meinungsfreiheit auch außenpolitische
Interessen zu fördern;
3. eine prowestliche Politik, mit der die eigene Sicherheit garantiert werden soll.
Katar übernahm mit dieser Strategie die Vorreiterrolle als Mediator in mehreren regionalen Konflikten und gerierte sich als neutraler
Berater und ausgleichende Kraft. Gleichzeitig
nutzt das katarische Emirat den hauseigenen
Satellitensender Al Jazeera, um einerseits
eine neue Medienkultur in der arabischen
Welt zu etablieren – Al Jazeera ist längst zum
unumstrittenen Leitmedium für die arabische
Öffentlichkeit geworden – und um andererseits befreundete Monarchien wie in Bahrain
medial zu unterstützen und zum Teil sunnitisch-wahhabitische Ansichten zu verbreiten.
Geschickt verknüpft so das katarische Emirat
eine gesteuerte Liberalisierung und Pressefreiheit mit außenpolitischen Interessen und
nutzt Al Jazeera als Marketinginstrument der
eigenen Agenda.
Neben diesen beiden „Schwergewichten“ der
Außenpolitik unter den Golfstaaten fallen die
anderen Länder deutlich zurück, konnten aber
auch ihren regionalen und teilweise internationalen Einfluss zumeist im Diskreten deutlich ausbauen: Die Vereinigten Arabischen
Emirate, Oman oder Kuwait veranstalten zwar
selten eine außenpolitische One-Man-Show,
agieren jedoch im GKR als souveräne und
selbstbewusste Akteure, die eigene Interessen vertreten und sich somit auch gegenüber
den politischen Vorreitern Saudi-Arabien und
Katar profilieren können, obwohl sie im Allgemeinen doch eher den Ansichten dieser
Trendsetter folgen.
Dagegen erscheint Bahrain in der näheren
Vergangenheit verstärkt als wichtiges außenpolitisches Objekt, das für Anrainer und internationale Akteure zwar von entscheidender
strategischer Bedeutung ist, selbst aber zu
schwach und innenpolitisch zerrüttet erscheint, als dass es ihm möglich wäre, eine
aktive Außenpolitik zu betreiben. Die Region
der Golfstaaten hat sich aus ihrer lange Zeit
andauernden Unmündigkeit befreit, agiert als
unabhängiger Akteur, wobei jedes Land eigene Strategien, Interessen und Ambitionen
verfolgt. Hierfür werden unterschiedliche
Mittel eingesetzt und unterschiedliche Bezie-
Deutsches Orient-Institut
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Einleitung
hungen aufgebaut. Partnerschaften zu den
USA, Europa, China, Iran oder Russland werden nach Bedarf geschlossen und parallel gepflegt – solange es den eigenen Interessen
nutzt. Auf der anderen Seite bleibt den internationalen Akteuren nichts anderes übrig, als
dies zu akzeptieren und den erstarkten Golfstaaten mit Respekt gegenüber zu treten, wollen sie in der Golfregion noch über Einfluss
verfügen. Längst sind die Zeiten vorbei, in
denen der Westen die Golfstaaten als Manövriermasse gebrauchen konnte, um wirtschaftliche und politische Ziele zu erreichen.
Die derzeitigen Transformationsprozesse in
Ägypten, Libyen und Tunesien zeigen ebenso
wie der Bürgerkrieg in Syrien, die Transition
im Jemen, die Situation im Libanon, das weitere Vorgehen im Konflikt um das iranische
Atomprogramm oder der festgefahrene Nahostkonflikt, dass ohne den Einfluss der Golfstaaten nur noch schwerlich außenpolitische
Erfolge in der Region zu erreichen sind. Gleiches gilt auch für die komplizierte und teilweise desaströse Situation in Afghanistan und
Pakistan, zu denen einige Golfstaaten traditionell enge Beziehungen unterhalten.
Dies hat der Westen, zuallererst die USA und
die EU, erkannt und bemüht sich um eine
stärkere Einbeziehung der Golfmonarchien
auf das internationale Parkett. Ähnlich verhalten sich Russland und China. Dass es sich
hierbei gerade in Zeiten des demokratischen
Aufbruchs innerhalb der arabischen Welt um
einen Drahtseilakt handelt, repressive und
autoritäre Monarchien mit ungenügenden demokratischen Partizipationsmechanismen zu
engen außenpolitischen Partnern aufzuwerten, stößt auf Kritik. Zumal ähnliche Strickmuster auch bei der jahrzehntelangen
Protektion der autokratischen Regimes in
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Ägypten, Libyen und Tunesien angewandt
wurden.
Die vorliegende Studie des Deutschen OrientInstituts will die außenpolitischen Entwicklungen in den Golfstaaten aufzeigen, analysieren
und einordnen. Ziel ist es, das oftmals ambivalente und kaum transparente Gestrüpp an
strategischen Interessen, angewandten Strategien und existierenden Ambitionen zu entwirren. Dies soll anhand von Einzelanalysen
der Länder Vereinigte Arabische Emirate,
Saudi-Arabien, Katar, Oman, Bahrain, Kuwait
und Irak erfolgen, in denen auf die außenpolitische Konzeption der einzelnen Staaten vor
einem aktuellen sowie historischen Kontext
eingegangen wird. Ihr Verhältnis untereinander wird hierbei ebenso beleuchtet wie die Beziehungen zum Westen, China und Russland,
sowie Iran und Israel und anderen wichtigen
regionalen Akteuren wie z. B. die Türkei.
Deutlich soll werden, wie heterogen und ambivalent sich die außenpolitischen Interessen
der einzelnen Golfstaaten darstellen, über
welchen Einfluss sie verfügen, in welchem
Umfang mit der EU, den USA, China und
Russland kooperiert wird und wie sich in Zukunft die Außenpolitik der Golfstaaten darstellen könnte. Hierbei können nicht alle
Aspekte der mannigfaltigen Außenpolitik der
Golfstaaten beleuchtet werden, sodass sich
landesspezifisch auf die entscheidenden
Punkte beschränkt wird. Dennoch soll deutlich werden, dass die „alte“ arabische Welt, im
Sinne des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld und seiner Charakterisierung des „Old Europe“, längst
zugunsten der „neuen“ arabischen Welt an
außenpolitischem Einfluss verloren hat.
Sebastian Sons
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
S
I. Einleitung – Pragmatische oder ideologische Außenpolitik?
audi-Arabien hat in den letzten Jahren
und Jahrzehnten seine Stellung als bedeutender außenpolitischer Akteur
ausgebaut und gehört als bevölkerungsreichstes Land mit knapp 28 Mio. Einwohnern zu
den einflussreichsten Mitgliedern im Golfkooperationsrat (GKR). Nicht ohne Grund befindet sich der Hauptsitz des GKR in der
saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Dabei beruht die saudi-arabische Außenpolitik traditionell auf drei Pfeilern, die nicht immer
miteinander korrespondieren, sondern sich
oftmals auch diametral entgegenstehen:
(1) die traditionelle Konkurrenz mit Iran um
die hegemoniale Vormachtstellung;
(2) die strategische Allianz mit den USA;
(3) die Unterstützung und Förderung von
konservativen islamistischen wahhabitischsalafistischen Bewegungen und Strömungen in der ganzen Welt.
Saudi-Arabiens außenpolitisches Selbstverständnis und seine strategische Ausrichtung
wird von diesen drei Pfeilern bestimmt. Dabei
agiert das saudische Königshaus jedoch nicht
ideologisch verbrämt oder gar sprunghaft,
sondern geriert sich seit Jahrzehnten als verlässlicher Partner für die USA im Kampf
gegen den islamistischen Terrorismus und bei
der Einhegung Irans. Die Al Saud, die saudische Königsfamilie, stützt demnach ihre Legitimation und Macht nicht allein auf die
finanzielle Potenz durch die größten Erdölreserven der Welt und der starken Allianz mit
den wahhabitischen Gelehrten, den ulama,
sondern auch auf diese langfristig angelegte
Konzeption ihrer Außenpolitik. Als starker prowestlicher Verbündeter der USA während des
Kalten Krieges wurde das saudische Königshaus ebenso als Bollwerk gegen den Kommunismus protegiert, wie nach den
Terroranschlägen vom 11. September 2001
im so genannten „Kampf gegen den Terrorismus“.
Hierbei geriet das saudische Königshaus jedoch immer wieder in den Konflikt, zwischen
realpolitischem Kalkül und ideologischen Konzeptionen entscheiden zu müssen, beruht
doch der saudi-arabische Staat und damit die
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Autorität der Al Saud auch auf der Unterstützung durch die wahhabitischen ulama. Der
Wahhabismus, eine reaktionär-erzkonservative Lesart des sunnitischen Islams, wurde
von Muhammad ibn Abd al-Wahhab (17031792) ins Leben gerufen, der Mitte des 18.
Jahrhunderts in der heutigen saudi-arabischen Provinz Najd lebte und wirkte. Sozialisiert in einem tribalen und ruralen Umfeld
empfand er seine Mitmenschen als dekadent,
korrumpiert und den weltlichen Genüssen
verfallen. Er predigte eine Rückkehr zu den
wahren Werten des Islams, die in der „goldenen Frühzeit“ unter dem Propheten Muhammad und seinen Gefährten geherrscht hätten,
und beschuldigte die Bewohner des Najd,
vom rechten, gottesfürchtigen Weg abgekommen zu sein. Seine religiöse Auffassung
orientierte sich an den „Frommen Altvorderen“
(arabisch: as-salaf as-salih), die für ihn als
Vorbilder für eine reine, unverdorbene und
gottesfürchtige Gesellschaft dienten. Hierzu
gehörte für Ibn Abd al-Wahhab das Verbot
von „unreinen Genüssen“ und „verbotenen
Neuerungen“ (arabisch: bida) wie Tabakkonsum, Tanz oder die Verehrung von Heiligengräbern, die er als Apostasie ablehnte.
Muslime, die seinen strengen Regeln nicht
bedingungslos folgen wollten, wurden exkommuniziert (arabisch: takfir) und als Apostaten (arabisch: kuffar) bezeichnet, womit vor
allem die Schiiten gemeint sind, deren Heiligen- und Imamverehrung Abd al-Wahhab als
unverzeihlicher Frevel galt und er sowie seine
Mitstreiter Gräber verbrennen und Schiiten
verfolgen ließen.1 Dieser Antischiismus ist
seitdem integraler Bestandteil saudi-arabischer Staatsräson und zeigt sich vor allem im
Konflikt mit dem schiitischen Rivalen Iran, wie
später gezeigt werden wird.
Ibn Abd al-Wahhabs radikale Glaubensauslegung stieß bei seiner Umgebung zuerst auf
Skepsis und offene Ablehnung. Erst, nachdem er mit dem damaligen Herrscher über die
unbedeutende Oase Dariya, Muhammad Ibn
Saud (1710-1765), im Jahr 1744/45 eine strategische Partnerschaft eingegangen war, gelang es ihm, seine Islaminterpretation regional
zu verbreiten. Muhammad Ibn Saud, der militärisch-politische Stratege, unterstützte Ibn
Saud bei dessen Missionierungskampagnen
auch mit Gewalt, sodass es mithilfe dieser militärisch-politisch-religiösen Allianz gelang,
den Najd zu erobern und die wahhabitische
Glaubensdoktrin schrittweise zu verbreiten.2
Peskes, Esther, Muhammad b. Abdalwahhab (1703-92) im Widerstreit. Untersuchungen zur
Rekonstruktion der Frühgeschichte der Wahhabiya, Stuttgart 1993.
Steinberg, Guido: Religion und Staat in Saudi-Arabien. Die wahhabitischen Gelehrten 1902-1953,
Würzburg 2002.
Deutsches Orient-Institut
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Saudi-Arabien
Doch erst mit der Staatsgründung durch Abd
al-Aziz Ibn Saud, einem Enkel von Muhammad, im Jahr 1932 gelang es der saudischen
Dynastie gemeinsam mit der wahhabitischen
Geistlichkeit, ihre Machtallianz zu verstetigen
und in staatliche Strukturen zu überführen.
Der Wahhabismus wurde zur ideologisch-religiösen Staatsdoktrin im neu gegründeten
Saudi-Arabien, die wahhabitischen Gelehrten
erreichten schnell den Rang eines offiziellen
Klerus und die Al Saud wurden zum unumstrittenen herrschaftlichen Machtzentrum
Saudi-Arabiens. Auch wenn das symbiotische
Verhältnis beider Parteien in der wechselreichen und konfliktträchtigen Geschichte SaudiArabiens immer wieder herausgefordert
wurde, hat es doch bis heute Bestand. Beiden
Partnern ist bewusst, dass die Existenz des
Staates vor allem auf der Allianz zwischen
Geistlichkeit und Politik fußt, sodass eine Aufkündigung dieses Bündnisses auch das Ende
der staatlichen Einheit mit sich führen
könnte.3
wird, um einerseits soziale Proteste und inneren Unfrieden zu vermeiden und andererseits
ihre
realpolitischen,
oftmals
pragmatischen Entscheidungen mit religiösen
Rechtsgutachten (arabisch: fatawa) zu legitimieren.
Doch trotz dieser allgemeinen partnerschaftlichen Konstanz unterliegt das wahhabitischsaudische
Verhältnis
immensen
Schwankungen. In den letzten Jahrzehnten
ist es den Al Saud gelungen, die einstige
Ausgewogenheit der Partnerschaft zu ihren
Gunsten zu verändern, sodass die ulama mittlerweile zu einem „Juniorpartner“4 degradiert
wurden: Sie werden vom Staat bezahlt, agieren weitgehend in staatlichen Organisationen
und können somit als „religiöse Beamte“ bezeichnet werden, die in der Regel im Sinne
des Königshauses und dessen politischen
Interessen entscheiden. Dennoch können es
sich die Al Saud nicht erlauben, die Allianz mit
der wahhabitischen Geistlichkeit aufzukündigen, da deren gesellschaftlicher Einfluss immens bleibt. Die religiöse Elite bestimmt
soziale Diskurse, verfügt weiterhin über ein
enormes Mitspracherecht z. B. bei Fragen der
Geschlechtertrennung, der Rolle der Frau,
der Bildung, des Gesundheitssystems, der
Organisation der Pilgerfahrt etc. Den ulama
ihre Macht und ihren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen, wäre daher für die
Al Saud schlicht undenkbar.5 Immerhin gehört der wahhabitische Islam zur nationalen
Identität Saudi-Arabiens und auch die Mitglieder der Königsfamilie gerieren sich als
fromme und gute Muslime, sodass die Partnerschaft mit den ulama aufrecht erhalten
Dies hat insbesondere für die Außenpolitik
gravierende Auswirkungen, wie vor allem das
ambivalente Verhältnis zu den USA beweist.
Die innenpolitische Allianz zwischen Staatsklerus und politischer Elite bestimmt daher
auch die strategische Ausrichtung der Außenpolitik, bei der einzelfallabhängig die Bedeutung von ideologischen und realpolitischen
Interessen abgewogen werden muss. Insbesondere durch den wirtschaftlichen Aufstieg
Saudi-Arabiens in den letzten Jahrzehnten
wuchs auch der außenpolitische Einfluss. Je
stärker die wirtschaftliche Bedeutung SaudiArabiens zunahm, desto wichtiger wurde sein
außenpolitischer Einfluss als selbsternannte
Führungsmacht am Golf.
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Die Aufrechterhaltung dieser Allianz erscheint
auch deswegen als überlebensnotwendig für
den saudischen Staat, da eine „nationale
Identität“, ein starkes Staatsbewusstsein, bis
heute nur ansatzweise existiert. Die Eroberungen der Al Saud schufen zwar ein geeintes
Territorium, dennoch orientieren sich individuelle Loyalitätsverhältnisse weitgehend an
den tribalen, regionalen und familiären traditionellen Bindungen.
„The 20th century witnessed the emergence of a state imposed on people without a historical memory of unity or
national heritage which would justify
their inclusion in a single entity.”6
Saudi-Arabien geriert sich mittlerweile als
sicherheitspolitischer Ordnungshüter, als
Schutzmacht für die kleinen sunnitischen
Golfstaaten gegen externe Bedrohungen wie
Iran. Aufgrund der religiösen Vormachtstellung als „Hüter der beiden Heiligen Stätten“
Mekka und Medina und der Allianz mit den
wahhabitischen
ulama
genießt
das
Königshaus nicht nur wirtschaftliche und politische Autorität, sondern gilt bei den meisten
seiner Nachbarstaaten als moralisch integer
und religiös akzeptiert. Dies erlaubte es
Saudi-Arabien, viele Konflikte in seinem
Sinne zu moderieren und zu lösen. Hierbei
Vgl. al-Rasheed, Madawi: A History of Saudi Arabia, Cambridge 2002.
Vgl. Steinberg, Guido: Saudi-Arabien. Politik, Geschichte, Religion, München 2004.
Vgl. Fandy, Mamoun: Saudi Arabia and the Politics of Dissent, London 1999; Teitelbaum, Joshua:
Holier than thou. Saudi Arabia’s Islamic Opposition, Washington 2000.
Al-Rasheed, Madawi: A History of Saudi Arabia, Cambridge 2002, S. 3.
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Saudi-Arabien
kam es den Al Saud darauf an, außenpolitische Entscheidungen einerseits nach kalkulierten Eigeninteressen, andererseits nach
ideologischen Gesichtspunkten zu treffen.
Saudi-Arabien als die sunnitische Führungsmacht in der islamischen Welt kann es sich
aus Gründen der Akzeptanz kaum erlauben,
reine Realpolitik zu betreiben, ohne die ideologisch-religiöse Dimension zu missachten.
Dies hätte nicht nur innenpolitische Kritik
seitens der Religionsgelehrten und weiter
Teile der konservativen Bevölkerung zur
Folge, sondern könnte auch im arabisch-sunnitischen Ausland zu skeptischen Reaktionen
führen. Dieser Umstand, der demnach nicht
nur als strategischer Vorteil, sondern auch als
Zwang verstanden werden muss, bringt
Saudi-Arabiens Elite in die delikate Situation,
bei jeder außenpolitischen Entscheidung
neben den realpolitischen Konsequenzen
auch die religiös-ideologischen Implikationen
beachten zu müssen.
In der folgenden Länderanalyse sollen daher
die Implikationen, Auswirkungen und strategischen Ambitionen der saudi-arabischen
Außenpolitik im Hinblick auf die oben genannten drei Pfeiler analysiert werden, um
weiterhin die Auswirkungen des so genannten „Arabischen Frühlings“ auf die außenpolitische
Konzeption
zu
untersuchen.
Insbesondere der Ausbruch des „Arabischen
Frühlings“ fordert die klassische saudische
Außenpolitik heraus und verändert Vorgehensweisen und Strategien, worauf ebenfalls
eingegangen wird. Es folgen die Länderbeispiele zu Libyen, Ägypten und Jemen. Weiterhin soll auch das Beziehungsgeflecht zu
Deutschland, Russland und Pakistan beleuchtet werden.
II. Saudi-Arabien und Iran – Regionalkonflikt um die Vormachtstellung am Golf
Iran und Saudi-Arabien gelten als traditionelle
Rivalen um die Vormachtstellung am Golf.7
Als wichtigste, bevölkerungsstärkste und wirtschaftlich einflussreichste Akteure konnten
beide Staaten ihren strategischen, politischen
und ideologischen Einfluss in den letzten
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Jahrzehnten deutlich vergrößern. Hierbei
sieht Saudi-Arabien in Iran eine existenzielle
Bedrohung für die eigenen geostrategischen
Interessen sowie für die gesamte arabischsunnitische „Gemeinschaft der Gläubigen“
(arabisch: umma). Bei dieser Wahrnehmung
Irans als hegemonialer Konkurrent sowie als
ideologisch-religiöser Widerpart zeigt sich die
Vermengung saudischer Realpolitik mit dem
ideologischen Anspruch, die Führungsmacht
des sunnitisch-arabischen Islams darzustellen und dadurch Strahlwirkung für alle anderen sunnitischen Nachbarn der Region zu
besitzen. Der schiitisch-persische Iran dient
somit als klassischer Antagonist, als signifikantes Feindbild und ärgste Bedrohung der
antischiitischen wahhabitischen Lehre.8
Saudi-Arabiens Doktrin, Schiiten per se als
Ungläubige zu diffamieren, wirkt sich auch auf
das bilaterale Verhältnis zu Iran aus, was sich
insbesondere nach dem Sturz des Schahs
und der Gründung der Islamischen Republik
durch Ayatollah Ruhollah Khomeini im Jahre
1979 deutlich verschlechterte. Der Missionierungsanspruch Khomeinis, die schiitische Revolution exportieren zu wollen, fasste das
saudische Königshaus als direkten Affront
auf. Es fürchtete eine schiitische Invasion
Saudi-Arabiens sowie die Instrumentalisierung der saudischen Schiiten im Osten des
Landes, die als „fünfte Kolonne“ Irans angesehen wurden.9 Dementsprechend begrüßte
Saudi-Arabien das militärische Vorgehen des
Iraks gegen Iran (1980-1988), erhofften sich
die Al Saud doch eine Schwächung des schiitischen Konkurrenten.10
Die Angst vor einer schiitischen Bedrohung
wuchs auch dadurch, weil es ebenfalls im
Jahre 1979/1980 zu den ersten großflächigen
Protesten von weiten Teilen der saudischen
Schiiten gekommen war, welche Generalstreiks einberiefen und die Arbeit auf den Ölquellen in der Ostprovinz al-Ahsa
verweigerten.11 Saudi-Arabiens Königshaus
reagierte mit Gewalt und ließ die Aufstände
niederschlagen. Dass im selben Jahr eine
Gruppe von militanten Islamisten um Juhayman al-Utaibi die Große Moschee von Mekka
Vgl. Fürtig, Henner: Iran's Rivalry With Saudi Arabia Between the Gulf Wars, Berkshire 2006.
Vgl. Zeino-Mahmalat, Ellinor: Saudi-Arabiens und Irans Regionalpolitik zwischen Ideologie und
Pragmatismus, GIGA Focus Nr. 1, Hamburg 2009.
Vgl. Ehteshami, Anoushiravan, Zweiri, Mahjoob: Iran’s Foreign Policy. From Khatami to Ahamdinejad,
Bershire 2008.
Vgl. Karsh, Efraim: The Iran-Iraq War, Impact and Implications, London 1987.
Vgl. Jones, Toby: Rebellion on the Saudi Periphery: Modernity, Marginalization and the Shi’a Uprising
of 1979, in: International Journal of Middle East Studies 38(Mai 2006)2, S. 213-233, Ibrahim, Fouad:
The Shi’is of Saudi Arabia, London 2006.
Deutsches Orient-Institut
9
Saudi-Arabien
gewaltsam besetzten, Pilger als Geisel nahmen und die „Wiederkehr des Mahdis“, die im
schiitischen Islam populäre Figur des endzeitlichen Erlösers, forderten12 , versetzte das
Königshaus regelrecht in Panik vor einer schiitischen Unterwanderung.13 Zwar wurden die
Belagerer in einem blutigen Kampf im Tunnelsystem der Moschee mithilfe von Giftgas
und ausländischen Antiterroreinheiten besiegt, die Überlebenden in der Öffentlichkeit
hingerichtet und die schiitischen Aufstände im
Osten niedergeschlagen, dennoch sollte das
Jahr 1979 als Wendepunkt der saudischen
Geschichte gelten. Von nun an gaben sich die
Al Saud wieder als fromme Vertreter des wahren sunnitischen Glaubens, bauten das religiöse Bildungssystem aus, stärkten die
Präsenz der Religionspolizei, verschärften die
antischiitische und antiiranische Propaganda
und betonten die enge Allianz zu den ulama.
Weiterhin wurden unliebsame islamistische
Oppositionelle, die gegen das Königshaus
aufbegehrt hatten, als mujahidin nach Afghanistan geschickt, um dort nach der Invasion
der Sowjetunion gegen die „Ungläubigen“ an
der Seite ihrer muslimischen „Glaubensbrüder“ zu kämpfen. Usama bin Ladin gehörte
auch zu jenen Kräften, deren Abwesenheit im
saudischen Königshaus wohlwollend bewertet wurde, deren Radikalisierung sich aber
später gegen die Al Saud richten sollte.
Saudi-Arabiens kritische Haltung gegenüber
Iran und seinen angeblichen Ambitionen, die
arabische Welt zu „schiitisieren“14, gehört mittlerweile zur nationalen Identität des wahhabitischen Saudi-Arabiens. Die Abneigung
gegenüber Iran hat sich mit der Wahl des derzeitigen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad
nochmals verstärkt, nachdem sich beide
Staaten unter den iranischen Präsidenten Ali
Akbar Hashemi Rafsanjani (1989-1997) und
Muhammad Khatami (1997-2005) wieder vorsichtig angenähert hatten. Aber Ahmadinejads offensive Propaganda, den regionalen
12
13
14
15
16
17
18
10
Status Irans auszuweiten, der Konflikt um das
iranische Atomprogramm und die Unterstützung von schiitischen Partnern in der arabischen Welt beunruhigen die Al Saud. So
betonte im Juni 2011 Prinz Turki al-Faisal, von
1977 bis 2001 Leiter des saudischen Geheimdienstes und früherer Botschafter in
Washington, dass Saudi-Arabien ebenfalls
Ambitionen hegen würde, die Atombombe zu
besitzen, sollte Iran sein Nuklearprogramm
realisieren.15 Im Januar 2012 wiederholte alFaisal, dass bei einer Bedrohung der saudischen Sicherheitsinteressen durch Iran alle
Optionen zur Verteidigung in Erwägung gezogen würden.16 Als dann noch bekannt
wurde, dass im Juni 2011 Agenten der iranischen Revolutionären Garden einen Attentatsversuch auf den saudi-arabischen
Botschafter Adel al-Jubair in Washington geplant hatten, drohte kurzzeitig die Eskalation17. Die offene und versteckte Parteinahme
für die schiitische Hisbollah im Libanon oder
die Unterstützung des alawitischen syrischen
Präsidenten Bashar al-Assad auch während
der seit mehr als einem Jahr dauernden militärischen Auseinandersetzung dienen dem
saudischen Königshaus als Beweis für die expansionistischen Bestrebungen des schiitischen
Rivalen.
Die
pro-schiitischen
Konsequenzen des Irakkrieges von 2003, die
Stärkung der Hisbollah nach dem Krieg im Libanon 2006 sowie der Hamas im Gaza-Streifen bewerten die Al Saud als eine
besorgniserregende Einflusszunahme Irans
zuungunsten Saudi-Arabiens.
„In Saudi Arabia there is not just fear
that Iran wants a greater role in the region, there is alarm that Iran wants to
control the region.“18
Dabei ist nicht immer klar voneinander zu
trennen, wann ideologisch verbrämte Diffamierungspropaganda endet und das Streben
nach realpolitischen Zielen beginnt. So existieren durchaus einige Politikfelder, in denen
Vgl. Halm, Heinz: Der schiitische Islam. Von der Religion zur Revolution, München 1994.
Vgl. Peil, Florian: Aufstand in Mekka, Berlin 2006; Yaroslav Trofimov: The Siege of Mecca –
The Forgotten Uprising in Islam’s Holiest Shrine and the Birth of Al Qaeda, New York 2007.
Vgl. Reissner, Johannes: Irans Selbstverständnis als Regionalmacht. Machtstreben im Namen
antikolonialer Modernität, Berlin 2008.
Vgl. Burke, Jason: Riyadh will build nuclear weapons if Iran gets them, Saudi prince warns, The Guardian,
29. Juni 2011, http://www.guardian.co.uk/world/2011/jun/29/saudi-build-nuclear-weapons-iran, abgerufen
am 21.08.2012.
Vgl. AFP: Saudi ex-spy chief says ‚all’ options open to Iran, 18. Januar 2012, http://www.google.com/
hostednews/afp/article/ALeqM5hmZf2d-tQzduCVQr_v3gyAh5ZEVQ?docId=CNG.071c7ffd572544
aff1187d004ab66dba.1b1, abgerufen am 15.05.2012.
Vgl. BBC News: Iran agents ‚planned US terror attacks’, 11. Oktober 2011,
http://www.bbc.co.uk/news/world-us-canada-15266992, abgerufen am 21.08.2012.
Boucek, Christopher, Sadjadpour, Karim: Rivals – Iran vs. Saudi Arabia. Questions and Answers, Carnegie
Endowment, 20. September 2011, http://www.carnegieendowment.org/2011/09/20/rivals-iran-vs.-saudiarabia/68jg, abgerufen am 16.03.2012.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
Saudi-Arabien und Iran zusammenarbeiten
(müssen), um ihre eigenen Interessen zu
wahren. Immerhin lud der saudische König
den „Paria der islamischen Welt“ Mahmud Ahmadinejad zum Gipfel der Organisation für
Islamische Zusammenarbeit (OIC) nach
Mekka im August 2012 ein, um vor allem im
Umgang mit dem Syrien-Konflikt an einer
gemeinsamen Lösung zu arbeiten.19 Diese
Einladung sowie der erste Besuch nach 2007
kamen vor dem Hintergrund der gegenseitigen Rivalität überraschend.20 Außerdem verfolgen beide Regierungen eine diametrale
Politik in Syrien. Und so einigten sich die 57
Mitglieder der OIC am Ende des Gipfels zwar
auf einen Ausschluss Syriens, Iran jedoch
stimmte dagegen21, sodass die Einladung
Irans eher als symbolischer Akt, denn als Zeichen der gegenseitigen Annäherung gesehen
werden sollte.
Interessanterweise befinden sich beide Staaten zwar in einem traditionellen Wettstreit um
regionale Vormacht und religiöse Deutungshoheit, unterscheiden sich in ihren Strukturen
und ihrem Staatsverständnis jedoch keineswegs so gravierend, wie gern suggeriert wird.
In Iran bildet die „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (Velayet-e faqih) als schiitisch legitimierte klerikale Stellvertreterherrschaft in
Abwesenheit des 12. Imams die Grundlage
der iranischen Staatsvorstellung seit der Islamischen Revolution 1979 und der Machtübernahme durch den schiitischen Klerus
unter Ayatollah Khomeini. In der Islamischen
Republik Iran liegt die Souveränität allein bei
Gott, während dem Volk zwar einige demokratische Rechte zugesprochen werden, die
hierarchische Autorität der Legislative, Judikative und Exekutive jedoch bei den klerikalreligiösen Institutionen wie dem Obersten
Revolutionsführer (rahbar), dem Feststellungs- und dem Wächterrat liegen. Dadurch
wird die Legitimität der Regierung Irans durch
die religiöse Autorität wesentlich begründet,
19
20
21
22
23
auch wenn es in der Vergangenheit immer
wieder zu destabilisierenden Konflikten zwischen säkularen und religiösen Akteuren der
unterschiedlichen Ebenen kam.22
Experten titulieren Iran oft als Theokratie, was
jedoch einerseits durch die republikanischen
Staatselemente nur unzureichend zutrifft, andererseits die sich überlagernden Machtzirkel
der verschiedenen religiösen und weltlichen,
herrschenden und oppositionellen, verfassungsmäßig legitimierten und semi-offiziellen
Eliten miteinander um Einfluss, Macht und
Autorität konkurrieren, so dass eher von
einem hybriden denn einem theokratischen
System gesprochen werden muss. Verfassungsgeschichtlich sieht sich das System der
Islamischen Republik seit seiner Entstehung
mit dem Widerspruch konfrontiert, einerseits
den Rechtsgelehrten quasi-göttliche Autorität
zuzuweisen, andererseits die republikanischen Elemente aufrechtzuerhalten, was
immer wieder zu Konflikten zwischen gesellschaftlichen Kreisen und der herrschenden
Elite führte.23 Ein jüngstes Beispiel hierbei
waren die anhaltenden Proteste weiter Teile
der iranischen Gesellschaft nach den Präsidentschaftswahlen 2009.
Demgegenüber ist Saudi-Arabien zwar eine
Erbmonarchie, allerdings beruht die Herrschaft der Al Saud eben auf dem Bündnis mit
den wahhabitischen Rechtsgelehrten. Die
starke Stellung der Religionsgelehrten in beiden Staatsstrukturen, den ulama in SaudiArabien und den Mullahs in Iran,
unterscheidet sich zwar im Detail, in der Gesamtkonzeption ähnelt sie sich allerdings, sodass die iranisch-saudische Feindschaft nicht
unbedingt auf gravierend unterschiedlichen
Staatskonzeptionen beruht. So finden sich in
Saudi-Arabien und Iran Staatssysteme, in
denen ein enger Bezug zur jeweiligen Auslegung des Islams hergestellt wird. Dabei postuliert die Islamische Republik Iran einen
Vgl. The Daily Star: Ahmadinejad arrives in Saudi Arabia for Islamic summit, 13. August 2012,
http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2012/Aug-13/184518-ahmadinejad-arrives-in-saudiarabia-for-islamic-summit.ashx#axzz24BzEvCmb, abgerufen am 21.08.2012.
Vgl. Kinninmont, Jane: Why has the Saudi king invited Ahmadinejad to the Syria summit? The Guardian,
7. August 2012, http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/aug/07/saudi-king-ahmadinejad-syria
-summit, abgerufen am 15.08.2012.
Vgl. Die ZEIT: Organisation islamischer Staaten schließt Syrien aus, 16. August 2012,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-08/syrien-oic-ausschluss, abgerufen am 21.08.2012.
Vgl. Perthes, Volker: Iran. Eine politische Herausforderung, Frankfurt/Main 2008; Schirazi, Asghar:
The Constitution of Iran. Politics and the State in the Islamic Republic, New York 1997.
Vgl. Buchta, Wilfried: Who Rules Iran? The Structure of Power in the Islamic Republic, Washington
2001; ders.: Die iranische Schia und die islamische Einheit 1979-1996, DOI, Hamburg 1997; Meashari,
David: Iran. A Decade of War and Revolution, New York, London 1990, Abrahamian, Ervand: Khomeinism.
Politics and Ideology in Contemporary Iran, Princeton 1994; Bakhash, Saul: The Reign of the Ayatollahs.
Iran and the Islamic Revolution, New York 1984; Naficy, Mehdy: Klerus, Basar und die iranische
Revolution, Hamburg 1993.
Deutsches Orient-Institut
11
Saudi-Arabien
universalen Anspruch, welcher der Religion
und seinen klerikalen Vertretern zugewiesen
wird, während in Saudi-Arabien die Monarchie eine enge Verbindung zu den wahhabitischen ulama pflegt. Beide Systeme
formulieren ihre islamisch geprägten Konzeptionen dezidiert als modernen Ansatz, um
eine vom Westen unabhängige, entkolonialisierte, sozial gerechte und islamisch moralische Gesellschaft zu schaffen. Dabei müssen
sie jedoch zunehmend innerer und äußerer
Opposition entgegentreten. Hinzu kommen in
beiden Staaten und Gesellschaften indigene
Konflikte zwischen religiös-dogmatischem Anspruch seitens der Eliten (Klerus sowie Königshaus) und real-politischen Tatsachen: Die
von weiten Teilen der Bevölkerung als ungerecht wahrgenommene Verteilung des Ölreichtums hat in beiden Ländern in den letzten
Jahrzehnten in erster Linie die Eliten mit
Reichtum bedacht und sie so zunehmend von
der Gesellschaft entfernt. Außerdem stößt die
religiös-fundamentalistische Auslegung angesichts der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung und den Einflüssen der Globalisierung
immer öfter an Legitimationsgrenzen. Dies
beeinflusst nicht nur gesellschaftliche Entwicklungstendenzen, sondern auch die
Staatskonzeption im Ganzen. Beide Regime,
so unterschiedlich sie auch in vielerlei Ausprägung sind, stehen vor der Herausforderung, ihre religiöse Legitimationsbasis, auf der
das Staatssystem beruht, gegen systeminterne Kritiker oder exogene Faktoren verteidigen zu müssen. Verlieren sie diese
Auseinandersetzung, droht den weltlichen
und klerikalen Herrschereliten in Saudi-Arabien und Iran nicht nur ein Legitimationsdefizit, sondern darüber hinaus evtl. ihr eigener
Untergang.
Weiterhin spielt der „westliche“ Einfluss in Iran
und Saudi-Arabien historisch eine wesentliche Rolle für die eigene Identität und die Herausbildung
der
Staatskonzeptionen.
Insbesondere Iran hat Jahrhunderte lange Erfahrungen mit westlichem Einfluss (Russland,
Großbritannien, USA), aus denen sich ein
stark ambivalentes Verhältnis entwickelt hat.
So wechselten Phasen einer westlich orientierten iranischen Gesellschaft mit Phasen
einer Isolation vor ausländischem Einfluss.
Das Schahregime stürzte auch wegen seiner
prowestlichen Politik, die Besetzung der USamerikanischen Botschaft in Teheran oder die
Verurteilung des Autors Salman Rushdie sind
weitere Beispiele für die per se antiwestliche
12
ideologische Konzeption der Islamischen Republik. Andererseits existiert in Iran eine lange
demokratische Tradition, die sich u. a. in der
Verfassungsrevolution von 1906-1911 zeigte.
Auch hierbei spielten westliche Einflüsse eine
katalysierende Rolle. Das Verhältnis von Iran
zum Westen ist geprägt von Abneigung und
Faszination, von Anpassung und Bewahrung
eigener Identität, von dem Widerstreit zwischen westlichen Konzepten und islamischer
Alternative. Die Herausbildung der Islamischen Revolution ist ohne das ambivalente
Verhältnis zum Westen historisch nicht zu verstehen.
Saudi-Arabiens Beziehungen zum Westen
sind vielleicht historisch weniger direkt, aber
deshalb nicht weniger ambivalent. Auch im
Umgang mit dem westlichen Einfluss zeigen
sich die Besonderheiten der religiös legitimierten Herrschaft des Könighauses. In ihm
spiegelt sich die widersprüchliche Sichtweise
von Religion und Staatsräson wider. Politische Notwendigkeiten und religiöse Normen
und Ideologien verlaufen dabei oftmals konträr. Vor allem das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zeigt diesen Widerspruch
innerhalb des religiös-politischen Bündnisses
(siehe 3.). Dabei schwankt auch hier die
Sichtweise auf den Westen zwischen Sympathie und Faszination sowie Ablehnung und
Isolation. Während die wahhabitische Lehre
den Umgang mit den „dekadenten Ungläubigen“ kritisiert, sind die USA nach wie vor der
wichtigste politische und wirtschaftliche Partner des saudischen Könighauses. Die transformativen Entwicklungen in der Gesellschaft
und auf das durch die Religion legitimierte
System können dabei ebenso wie in Iran nicht
ohne den westlichen Einfluss analysiert und
bewertet werden.
III. Die strategische Allianz mit den USA:
Politische Partner, ideologische Widerparts
Lange Zeit galt Saudi-Arabien als wichtigster
Verbündeter der USA im Nahen und Mittleren
Osten. Dabei beruhte das Vertrauensverhältnis zum einen auf der gegenseitigen Übereinstimmung bei der Einhegung Irans, zum
anderen auf der Abhängigkeit der USA vom
saudi-arabischen Erdöl und zum dritten auf
der langjährigen wirtschaftlichen und politischen Kooperation beider Länder. 1933 vergab der Staatsgründer Ibn Saud die erste
Konzession zur Förderung der Ölvorkommen
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
in der Ostprovinz al-Ahsa an den US-amerikanischen Ölkonzern California Arabian Standard Oil Company (CASOC), der 1944 in
Arabian-American Oil Company (ARAMCO)
umbenannt
wurde.
Mit
dieser
Kooperation begann die wirtschaftliche
Zusammenarbeit, während die (sicherheits-)
politische Allianz mit dem historischen Treffen
zwischen Ibn Saud und dem damaligen
US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt an
Bord des amerikanischen Kriegsschiffes USS
Quincy im Jahr 1945 ihren Anfang nahm,
nachdem US-amerikanische Truppen dem
Hilfegesuch Ibn Sauds gefolgt waren, als italienische Kampfmaschinen während des
Zweiten Weltkriegs Ölförderanlagen in Dhahran bombardiert hatten.
Während des Kalten Krieges wuchs die Bedeutung der saudisch-amerikanischen Allianz,
da sich Saudi-Arabien als prowestliches, antisowjetisches Bollwerk gegen den Kommunismus gerierte. So wurde 1953 das erste
Ausbildungslager des US-Militärs in SaudiArabien eingerichtet.24 Obwohl sich das Verhältnis in den 1950er Jahren deutlich
abkühlte, da die USA die Zusammenarbeit mit
Ägypten, einer der ärgsten Rivalen SaudiArabiens, suchte und daraufhin die Militärbasis in Dhahran geschlossen wurde, näherten
sich beide Regierungen nach der Suez-Krise
von 1957 wieder an. König Saud hatte die
Haltung von Präsident Dwight D. Eisenhower
wohlwollend registriert, dass er sich während
des Konflikts gegen Frankreich, Großbritannien und Israel gestellt hatte. 1963 unterstützten die USA Saudi-Arabien im Konflikt
mit Ägypten während der Jemenitischen Revolution mit Kampfflugzeugen. Gleichzeitig
profitierten die USA von Saudi-Arabien bei der
ideologischen Auseinandersetzung mit den
pan-arabischen anti-amerikanischen „Blockfreien“ unter Führung des ägyptischen Präsidenten Gamal Abd al-Nasser (1918-1970).
Durch US-Präsident Richard Nixons Containment-Politik stieg Saudi-Arabien, ironischerweise neben Iran, zum Pfeiler der so
genannten „twin pillars“ auf, um den Einfluss
der Sowjetunion im Nahen und Mittleren
Osten einzudämmen.25 Verfügten Saudi-Ara-
24
25
26
27
bien und Iran unter der Herrschaft des
Schahs noch über kollegiale bis freundschaftliche Beziehungen, änderte sich dies
wie gesagt mit dem „Epochenjahr“ 1979, dem
Sturz des prowestlichen Schahs und der Islamischen Revolution. Während Iran nun als
Verbündeter der USA und damit als ein „Pfeiler“ ausfiel, intensivierte sich das bilaterale
Verhältnis zu Saudi-Arabien zusehends. Auf
Grund des Öls und der geostrategischen
Lage nahm Saudi-Arabien nicht mehr allein
die Bedeutung als Brückenkopf gegen den
sowjetischen Kommunismus, sondern mittlerweile auch gegen den iranischen Islamismus
ein.26
Gestaltete sich das Verhältnis zwischen beiden Staaten dementsprechend längere Zeit
als machtpolitische Konstante im Nahen und
Mittleren Osten, entstanden insbesondere
nach dem Iran-Irak-Krieg (1980-1988), dem
Fall der Sowjetunion und vor allem der anschließenden Kuwait-Invasion des Iraks unter
Führung von Saddam Hussein erste tief greifende Verwerfungen innerhalb des saudischen Establishments über die Intensität der
Kooperation mit den USA. Die Entscheidung
des saudischen Königshauses nach Rücksicherung bei den wahhabitischen ulama, etwa
5.000 US-amerikanische Soldaten auf saudischem Boden zur Abwehr einer möglichen
irakischen Aggression stationieren zu lassen,
stieß vor allem auf Seiten islamistischer Oppositioneller auf harsche Kritik. Die Kooperation der „Hüter der beiden Heiligen Stätten“
mit dem als korrupt, dekadent und moralisch
verdorben wahrgenommenen „Symbol des
westlichen Kapitalismus“ sei für die islamische Vorbildnation Saudi-Arabien untragbar,
so der kritische Tenor. Zwar revidierte der damalige saudische König Fahd (1982-2005)
seine Entscheidung nicht, die Legitimation
des saudischen Königshauses als moralische
Instanz der muslimischen Frömmigkeit und
der Unbestechlichkeit war jedoch beschädigt
worden und zeigte die realpolitische
Auffassung des Königshauses sowie seine
pro-amerikanische
Ausrichtung.
Diese
„Zerreißprobe“27 bedeutete weit mehr als
einen reinen Machtkampf zwischen Establishment und Opposition, sondern führte zu in-
Vgl. Teitelbaum, Joshua: Saudi Arabia and the New Strategic Landscape, in: Global Research in
International Affairs 14(September 2010)3, http://www.gloria-center.org/2010/09/teitelbaum-2010-09-04/,
abgerufen am 21.08.2012.
Vgl. u. a. Teicher, Howard: From Twin Pillars to Desert Storm: America’s Flawed Vision in the Middle
East from Nixon to Bush, New York 1993.
Vgl. Teitelbaum, Joshua: Saudi Arabia and the New Strategic Landscape, in: MERIA Journal 14(2010)3,
abzurufen unter http://www.gloria-center.org/meria/2010/09/teitelbaum.html am 23.12.2010.
Vgl. Steinberg, Guido: Saudi-Arabien. Politik. Geschichte. Religion, München 2004, S. 70: „Diese pro
westliche Außenpolitik war nur schwer mit den xenophoben Grundlinien der Wahhabiya zu vereinbaren.“
Deutsches Orient-Institut
13
Saudi-Arabien
tensiven Diskussionen in der saudischen
Gesellschaft um die mögliche „Marionettenfunktion“ Saudi-Arabiens für US-amerikanische Interessen in der Region.
Die dauerhafte Stationierung US-amerikanischer Streitkräfte in Saudi-Arabien auch nach
dem Ende des Zweiten Golfkrieges aus
„Gründen der internen Sicherheit“, wie die offizielle Begründung lautete, ließ die Debatten
um das amerikanisch-saudische Verhältnis
nicht verstummen. In weiten Teilen der wahhabitischen Geistlichkeit, der konservativen
Elite sowie der islamistischen Opposition blieb
die Präsenz der „Ungläubigen“ auf „heiligem
Boden“ ein Frevel sowie ein Symbol für die
Korrumpierbarkeit des saudischen Königshauses. Öffentlicher Protest blieb zwar aus,
traditionell wurde die Kritik jedoch in Form von
Petitionen zum Ausdruck gebracht, die dem
König vorgelegt wurden. In dieser Phase
schien es, als habe sich zum ersten Mal breitenwirksamer Antiamerikanismus in SaudiArabien gesellschaftlich etabliert.
Dieser Zustand sollte sich insbesondere nach
dem 11. September 2001 noch verstärken,
geriet Saudi-Arabien nun unter Generalverdacht, Sponsor und Förderer von militanten
islamistischen Gruppen zu sein. Immerhin
waren 15 der 19 Attentäter gebürtige SaudiAraber, Usama bin Ladin ursprünglich saudischer Staatsbürger.28 Nun geriet das
weitgehend intransparent agierende politische System der saudischen Elite immer stärker in den Fokus der internationalen
Öffentlichkeit. Der Rechtfertigungszwang und
der steigende Druck drängten den saudischen Thronfolger Abdullah, der bereits die
Amtsgeschäfte des schwerkranken Königs
Fahd übernommen hatte, ehe er 2005 selbst
inthronisiert wurde, zu Reformmaßnahmen
und einer deutlichen Positionierung gegen
den islamistischen Terrorismus. Dies geschah
auch vor dem Hintergrund, dass ab 2003
immer mehr militante Gruppierungen in
Saudi-Arabien agierten, die die dekadente
und verwestlichte Politik der Al Saud kritisierten und es stürzen wollten – ein Plan, den ursprünglich auch Usama bin Ladin verfolgt
28
29
30
14
hatte, ehe er 1994 aus Saudi-Arabien ausgewiesen worden war.29
Allein zwischen 2003 und 2005 wurden bei
Anschlägen 221 Menschen getötet. 2003
wurde ein Gesetz erlassen, das erlaubte, Finanztransaktionen zu kontrollieren und Bankkonten von Terrorverdächtigen einzufrieren.30
Das Königshaus ging vehement gegen die
militanten Islamisten vor, verstärkte die Sicherheitskräfte, sodass es gelang, innerhalb
weniger Jahre die terroristische Bedrohung
einzudämmen. Gleichzeitig reagierte König
Abdullah auf die innergesellschaftliche und
US-amerikanische Kritik und forcierte schrittweise Reformen. Die Einrichtung eines „Nationalen Dialogs“, der unterschiedlichste
gesellschaftliche Gruppen zum offenen Diskurs zusammenbringt und sogar den benachteiligten Schiiten und Frauen die Möglichkeit
gibt, sich an der Debatte zu gesellschaftlichen
Themen zu engagieren, gilt als eine der deutlichsten Indikatoren für ein gewisses Reformbemühen Abdullahs. Dennoch bleiben solche
Liberalisierungsmaßnahmen eindeutig von
oben kontrolliert und steuern vielmehr eine
„genormte Pseudo-Zivilgesellschaft“, anstatt
unabhängige gesellschaftliche Strömungen
zu fördern. Saudische Reformpolitik ist somit
in der Regel realpolitischen Erwägungen geschuldet und tariert zwischen außenpolitischem und innergesellschaftlichem Druck auf
der einen Seite und dem machterhaltenden
Kalkül des Königshauses auf der anderen
Seite. Reformen sind gut, wenn sie das Image
verbessern und die überragende Bedeutung
der Al Saud nicht bedrohen. Droht jedoch
Autoritätsverlust oder ein nachhaltiges Aufbrechen der konservativen religiösen Deutungshoheit der Wahhabiya, greift der König
durch, dreht Reformen zurück und schränkt
neue Öffnungen zunehmend ein. So scheint
es, als müsse der König bei jeder Reformmaßnahme eruieren, welchen Einfluss nehmenden Akteur er zufrieden stellen möchte.
Hierbei ist er einerseits auf das Wohlwollen
der amerikanischen Partner, auf der anderen
Seite auf die Unterstützung des konservativen
wahhabitischen Establishments angewiesen,
was grundsätzlich zu Konflikten führen kann
Vgl. Hamzawy, Amr: The Saudi Labyrinth: Evaluating the Current Political Opening, Carnegie Papers
Middle East Series (April 2006) 68, Wurm, Iris: Im Zweifel für die Monarchie. Autokratische Modernisie
rung in Saudi-Arabien, in: HFSK Report 13/2007 und Steinberg, Guido: Der Nahe und der Ferne Feind.
Netzwerke des islamistischen Terrorismus, München 2005: Auch die Anschläge auf die US-Botschaften
in Kenia und Tansania 1998 sowie der Anschlag auf die USS Cole im Jemen im Jahr 2000 wurden von
saudi-arabischen Attentätern initiiert und durchgeführt und dem Terrornetzwerk al-Qaida zugeschrieben.
Vgl. International Crisis Group: Who are the Islamists? Middle East Report Nr. 31, Kairo, Brüssel 2004.
Vgl. Glosemeyer, Iris: Terroristenjagd in Saudi-Arabien. Hintergründe und Folgen, in: SWP-Aktuell,
Nr. 29, August 2003.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
und den Handlungsspielraum des saudischen
Königs bisweilen deutlich einschränkt.
Das Verhältnis zu den USA bleibt also bestimmt von diametral entgegenlaufenden Tendenzen und ambivalenten Strömungen
zwischen realpolitischem Kalkül und ideologisch-religiöser Skepsis. Hier spiegelt sich die
widersprüchliche Sichtweise von Religion und
Staatsräson wider. Politische Notwendigkeiten, religiöse Normen und Ideologien verlaufen dabei oftmals konträr. Trotz der
umstrittenen und zwielichtigen Rolle SaudiArabiens im Hinblick auf die ideologische, logistische und finanzielle Unterstützung von
weltweit operierenden militanten Islamisten
bleibt das Königshaus also ein wichtiger Partner für die USA. Dies hat sich auch während
der Umsturzprozesse in der arabischen Welt
seit Frühjahr 2011 und dem Sturz des Regimes von Zine el-Din Ben Ali in Tunesien nicht
grundlegend geändert, wenngleich die unterstützende Haltung des saudischen Königshauses gegenüber dem ägyptischen
Präsidenten Hosni Mubarak vor dessen Sturz
sehr kritisch gesehen wurde und es zwischen
König Abdullah und US-Präsident Barack
Obama am 29. Januar 2011 zu einer heftigen
Unterredung gekommen sein soll, in der Abdullah Obama aufgefordert haben soll, seinen
engen Freund Mubarak nicht zu „demütigen“.31
Während die USA die Opposition unterstützte,
stand Abdullah weiterhin auf Seiten Mubaraks. Er befürchtete, ein Sturz des Despoten
könnte zum einen weitere regionale Instabilität sowie die Machtübernahme der Muslimbrüder zur Folge haben, was das saudische
Königshaus als Bedrohung ihrer eigenen
Machtlegitimation ansieht (siehe auch 5.).
Obama hingegen versuchte, sich als Freund
der Demokratiebewegung und des politischen
Wandels darzustellen, wenngleich die USA in
den Jahren zuvor vor allem militärisch und sicherheitspolitisch eng mit dem Mubarak-Regime zusammengearbeitet und jährlich 1,5
Mrd. USD an Militärhilfe überwiesen hatten.
Außerdem fürchtet Abdullah eine Intensivierung der ägyptisch-iranischen Beziehungen,
31
32
33
34
was sich mit der Erlaubnis der ägyptischen Interimsregierung im Februar 2011, zwei iranische Kriegsschiffe den Suez-Kanal passieren
zu lassen, ansatzweise bewahrheiten sollte.32
Weiterhin äußerte sich der neu gewählte
ägyptische Präsident Muhammad Mursi wohlwollend gegenüber der iranischen Regierung
und zeigte Interesse daran, die seit dem Friedensschluss Ägyptens mit Israel im Jahr 1979
unterkühlten Beziehungen zu Iran verbessern
zu wollen. So fand die erste Reise eines
ägyptischen Staatsoberhauptes nach Iran seit
mehr als drei Jahrzehnten Ende August 2012
statt, was einerseits die USA und Israel, andererseits aber auch Saudi-Arabien beunruhigte.33 Immerhin schlug Mursi auf einem
Treffen der OIC in Mekka Iran als Mitglied
einer möglichen Kontaktgruppe bei der Verhandlung im Syrien-Konflikt vor.34 Ähnliche
Interessenskonflikte offenbarten sich im Umgang mit anderen Transformationsländern.
Während Saudi-Arabien daran Interesse
zeigt, die fragile Lage in der Region nicht weiter zu destabilisieren, forcieren die USA ihre
Unterstützung für oppositionelle Gruppierungen, fordern mehr Pluralismus und Demokratisierung und unterminieren damit den
Stabilitätsanspruch des saudischen Königshauses. Dies belastet auch deswegen das bilaterale Verhältnis, da die USA in den
vergangenen Jahrzehnten aus Gründen der
Sicherheitswahrung und der Einhegung Irans
repressive Präsidialdiktaturen finanziell und
politisch unterstützte, um damit proamerikanische, sunnitische Herrscher an der Macht zu
halten und den autoritäts- und einflussbewahrenden Status quo zu bewahren. Die
„Arabellion“ in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien, Jemen oder Bahrain hat nun allerdings
die geopolitischen Gegebenheiten grundlegend geändert. Darauf reagiert die USA mit
einer mehr oder weniger glaubhaft artikulierten Politik zur Förderung von Demokratie und
Menschenrechten. Dies schadet jedoch dem
Einfluss Saudi-Arabiens, sodass zwar nach
wie vor beide Partner aufeinander angewiesen sind und sein werden, ihre betonierte
Interessenskongruenz jedoch einzelfallabhängig neu ausgehandelt werden muss.
Vgl. Fox News: Report: Saudis Warned Obama Not to 'Humiliate' Mubarak, 10. Februar 2011,
h t t p : / / w w w. f o x n e w s . c o m / p o l i t i c s / 2 0 11 / 0 2 / 0 9 / s o u r c e - s a u d i s - t e l l - o b a m a - h u m i l i a t e mubarak/#ixzz24BeEHLe9, abgerufen am 21.08.2012.
Vgl. BBC News: Egypt allows Iranian warships 'can use Suez Canal', 18. Februar 2011,
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-12493614, abgerufen am 21.08.2012.
Vgl. BBC News: Egypt President Mursi 'to visit Iran', 18. August 2012, http://www.bbc.co.uk/news/worldmiddle-east-19307659, abgerufen am 21.08.2012.
Vgl. Spiegel online: Ägyptens Präsident plant historische Iran-Reise, 19. August 2012, http://www.spie
gel.de/politik/ausland/aegypten-praesident-mursi-will-blockfreien-gipfel-in-iran-besuchen-a-850836.html,
abgerufen am 21.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
15
IV. „Export des Wahhabismus“ als außenpolitisches Instrument
Während sich Saudi-Arabien auf der einen
Seite als verlässlicher und langjähriger Partner des Westens und vor allem der USA bewährt hat, drängt der „Hüter der beiden
Heiligen Stätten“ Mekka und Medina gleichzeitig auf eine Führungsrolle innerhalb der islamischen Welt. Seit Jahrzehnten forciert
Saudi-Arabien so die Unterstützung konservativ-sunnitischen Gedankengutes im In- und
Ausland, finanziert sunnitische Bewegungen
mit ideologischer Nähe zum Wahhabismus
und gilt als einer der wichtigsten Förderer radikaler islamistischer Akteure weltweit. Hierbei sieht sich Saudi-Arabien als „Leuchtturm“
der muslimischen umma und als Vorbild des
sunnitisch-orthodoxen Islams. So sind Missionierungsbestrebungen des saudischen
Wahhabismus längst (inoffizieller) Teil der
Außenpolitik geworden.
Dabei liegen die Hintergründe und das Ausmaß der „wahhabitischen Bekehrungsmaschinerie“ weitgehend im Dunkeln, tauchen
die finanziellen Aufwendungen in keinen Statistiken auf und verweist das Könighaus doch
immer wieder auf die autonomen Aktivitäten
religiöser Stiftungen, wahhabitischer Prediger
und Privatinitiativen. In der Tat stellt sich die
religiöse geprägte Außenpolitik Saudi-Arabiens keineswegs als zentralisiertes Instrument dar, sondern gestaltet sich äußert
heterogen und verfolgt unterschiedlichste
Ziele. So eröffnen Ministerien offiziell Religionsschulen (arabisch: madaris) in arabischen und asiatischen Ländern wie Pakistan,
finanzieren die infrastrukturellen Vorhaben,
bilden Lehrer und Gelehrte aus, entsenden
saudische Ausbilder und prägen so das Bildungssystem vieler Entwicklungsstaaten.
Neben diesem oberflächlich altruistischen
Prinzip der Entwicklungshilfe dienen diese Bildungsinstitutionen jedoch auch dem Zweck,
wahhabitische Ideen zu verbreiten. Antischiitische, antisemitische und antiwestliche Curricula sind ebenso integraler Bestandteil des
Schulalltags wie die Koranexegese.
Halboffizielle oder private religiöse Stiftungen
(arabisch: wuquf) agieren ähnlich indoktrinär,
sind aber in ihren Aktivitäten kaum zu durchschauen. Es ist weder bekannt, in welchem
Umfang diese Art der Missionierung vonstatten geht, wer sie durchführt noch wer davon
konkret profitiert. Gerade deswegen bleibt der
16
„Export des Wahhabismus“ für Saudi-Arabien
ein wesentliches außenpolitisches, religiös
verbrämtes Instrument und fungiert gleichzeitig als größtes Indiz für die „Janusartigkeit“
der saudischen Außenpolitik, dem Westen die
Hand zu reichen, um ihn hinter dem Rücken
zu bekämpfen. Denn vielfach dienen die Missionierungsmaßnahmen, für die vermutlich
mehrere Milliarden US-Dollar jährlich in die
verschiedenen islamischen Länder fließen,
nicht allein als religiöse Schulung, sondern
auch als Radikalisierungszentren. Pakistans
umstrittene dini madaris werden zu großen
Teilen von saudischen Geldern finanziert und
dienen oftmals als Rekrutierungs- und Militarisierungslager für junge muslimische Männer.
Interessanterweise verfolgte Saudi-Arabien
auch in den 1980er Jahren eine ähnliche
Strategie, indem die saudischen mujahidin in
Afghanistan gegen die Sowjets kämpften,
sich dort radikalisierten und sich vor allem
nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
und ihrer Rückkehr nach Saudi-Arabien mehr
und mehr gegen das eigene Königshaus
wandten. Saudi-Arabien hatte gehofft, die ideologische Gesinnung der zumeist jungen,
desillusionierten und orientierungslosen Muslime kontrollieren zu können, wurden aber
bald eines Besseren gelehrt.
Dennoch: Der Schritt von der wahhabitischen
Indoktrination zur militanten Radikalisierung
ist beabsichtigt, da diese Muslime dem Ziel
Saudi-Arabiens dienen, das Image der islamischen Führungsmacht zu stabilisieren und
sich als antiwestlicher Akteur darzustellen. So
wird vermutet, dass Saudi-Arabien salafistische Gruppierungen in den Krisenländern des
Nahen und Mittleren Ostens mit Ausrüstung,
Waffen, Finanzen und Logistik unterstützt, um
die wahhabitische Phalanx auszubauen und
damit den eigenen Machtbereich zu erweitern. Angeblich soll die salafistische An-NurPartei in Ägypten während des Wahlkampfes
Millionensummen von saudischen Partnern
erhalten haben. Ebenso werden militante
Gruppierungen in Pakistan und Afghanistan
unterstützt.
Saudi-Arabien gelingt es somit nicht nur, die
eigene Vormachtstellung als Protektor des
sunnitischen Islams zu sichern, es stellt sich
auch als unkorrumpierbares Gegengewicht
zum Westen dar. Gleichzeitig dienen auch
diese Aktivitäten der Eindämmung Irans und
dessen schiitischer Ideologie.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
V. Der „Arabische Frühling“ und SaudiArabien: Bedrohung oder Chance?
Insbesondere die Umbrüche in der arabischen Welt aufgrund des so genannten „Arabischen Frühlings“ wirken sich dadurch auch
auf die außenpolitische Strategie Saudi-Arabiens aus und werden die zukünftige Außenpolitik des Königreichs massiv beeinflussen.
Saudi-Arabiens Könighaus bewertet die
Transformationsprozesse in der arabischen
Welt, die mit dem Sturz von Zine el-Din Ben
Ali in Tunesien im Februar 2011 begonnen
hatten und sich in Ägypten, Libyen, Bahrain,
Jemen und Syrien fortsetzten, nicht als Positiventwicklung zu mehr Liberalisierung, Demokratie und wirtschaftlicher Öffnung,
sondern vielmehr als Bedrohung des eigenen
Machtanspruchs. Das Königreich fürchtet insbesondere die Auswirkungen des „Arabischen
Frühlings“ auf
(1) die sicherheitspolitische Konzeption in
der MENA-Region
(2) die innenpolitische Stabilität
(3) die Vormachtstellung des konservativorthodoxen Wahhabismus saudischer Prägung.
In diesen Bereichen drohen dem Königreich
massive Konsequenzen, die den eigenen Einfluss und die Machtbalance in der Region zuungunsten Saudi-Arabiens beeinflussen
könnten. Hierbei muss diskutiert werden, inwieweit Saudi-Arabien als potenzieller Gewinner oder Verlierer des „Arabischen
Frühlings“ bewertet werden kann.
beeinträchtigen die mannigfaltigen Unruhen
in der Region, insbesondere in Syrien, die Bestrebungen der saudischen Außenpolitik nach
dem Erhalt des Status quo. Eine zunehmende
Radikalisierung und Militarisierung der gesellschaftlichen Entwicklungen in den Transformationsstaaten
könnte
demnach
sicherheitspolitisch der auf Stabilität ausgerichteten Politik des Königshauses schaden:
Fehlende staatliche Kontrolle in den Staaten
des Übergangs, der Anstieg lokaler Gewalt
und die Schwächung staatlicher Machtstrukturen könnten die Region dauerhaft destabilisieren und somit die Sicherheitskonstruktion
des Königshauses unterhöhlen.
Während die mittlerweile gestürzten Despoten in der Regel berechenbare Risikofaktoren
darstellten, mit denen sich das saudische Königshaus arrangiert hatte, steigt nun die Unkalkulierbarkeit der dortigen politischen
Akteure. Dies könnte sich Saudi-Arabien zwar
zunutze machen, wie später noch bei den
Länderbeispielen gezeigt werden soll, doch
das Streben nach Kontinuität, schrittweise politische Prozesse zu initiieren, ohne an Einfluss zu verlieren, ist durch die rasante
Transitionsentwicklung kaum mehr zu realisieren. Die saudische Außenpolitik wird nun
konfrontiert mit unbekannten Variablen, die
nicht mehr ohne weiteres zu kontrollieren und
zu berechnen sind. Dies drängt das saudische Königshaus in die passive Defensive.
Sollten sich für Saudi-Arabien diese Variablen
ungünstig entwickeln, hätte dies den Verlust
regionaler Vormachtstellung zur Folge und
könnte unter Umständen gleichzeitig den Erzfeind Iran stärken.
V.1 Die sicherheitspolitische Konzeption in
der MENA-Region
V.2 Die innenpolitische Stabilität
Der Sturz der autokratischen Regimes in Tunesien, Ägypten und Libyen sowie die Unruhen in Bahrain, der militärische Konflikt in
Syrien und der Transformationsprozess im
Jemen haben die fragile sicherheitspolitische
Konstruktion im Nahen und Mittleren Osten
nachhaltig verändert. Saudi-Arabien, aufgrund seines Hegemonialkonfliktes mit Iran
und seiner eigenen regionalen Ambitionen als
Führungsmacht der sunnitischen Muslime,
bewertet diese Umbrüche skeptisch: Zum
einen hofft die saudische Elite, außenpolitisch
das Vakuum zu füllen, das einstmals einflussreiche Akteure wie Ägypten ausgefüllt hatten,
zum anderen besteht die fast paranoide
Furcht vor einem Erstarken Irans. Gleichzeitig
Bisher gilt Saudi-Arabien als innenpolitisch
ruhig, als „Insel der Stabilität“ in einem Meer
der Umbrüche. Dass diese Sichtweise mehr
als eindimensional ist, da insbesondere seit
Februar 2011 immer wieder Demonstrationen
gegen das saudische Königshaus stattfinden,
zeigt deutlich die wachsende Unzufriedenheit
breiter gesellschaftlicher Gruppen. Vor allem
die marginalisierten und wirtschaftlich benachteiligten saudischen Schiiten in der Ostprovinz begehren gegen die jahrzehntelange
Vernachlässigung auf und fordern mehr wirtschaftlichen Fortschritt, bessere Bildungsbedingungen, politisches Mitspracherecht und
religiöse Anerkennung.35 Im wahhabitischen
Glauben als Ungläubige denunziert, zeigten
35
Vgl. Dinkelaker, Christoph: Im Osten nichts Neues? – Zur Situation der Schia in Saudi-Arabien, in:
Ulrike Freitag (Hrsg.): Saudi-Arabien – Ein Königreich im Wandel? Paderborn 2010, S. 189-220.
Deutsches Orient-Institut
17
Saudi-Arabien
sich viele Schiiten vom politischen Widerstand ihrer konfessionellen Brüder in Bahrain
beeindruckt. Bereits seit Jahrzehnten existiert
eine aktive schiitische Opposition, die sich
durch die Ereignisse in Bahrain zunehmend
professionalisiert und vernetzt hat. In der
Hauptstadt der Ostprovinz Qatif verfügt die
schiitische Opposition über enormen gesellschaftlichen Rückhalt, ist breit aufgestellt und
konnte Organisationsstrukturen aufbauen, die
schnell und flexibel Demonstrationen realisieren können. Insbesondere im Internet hat der
Einfluss schiitischer Aktivisten deutlich zugenommen. In eigenen Blogs sowie über soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter wird
zu Demonstrationen aufgerufen, sich mit
Schiiten im Ausland vernetzt, und einflussreiche Prediger politisieren zunehmend ihre Anhänger. Doch neben den Schiiten formieren
sich seit Jahren auch andere oppositionelle
Gruppierungen, die das statische Gesellschaftssystem der Al Saud herausfordern und
durch den „Arabischen Frühling“ neuen Auftrieb erhalten haben. Zu ihnen gehören traditionelle Gruppen wie die Al-Sahwa-Bewegung
des einflussreichen sunnitischen Predigers
Sahwa al-Awdah, liberale Reformer, die nach
einer konstitutionellen Monarchie streben und
Islamisten, die den Regierungsstil des Königshauses kritisieren und mehr Gottesfürchtigkeit einfordern, aber auch Frauenaktivisten
oder jugendliche Blogger.36
Diese Aktivisten profitieren auch von einer zunehmenden Öffnung der saudischen Gesellschaft. Durch regelmäßige Aufenthalte im
Ausland zu Arbeits- oder Studiumszwecken,
einer hohen Anzahl von Internetnutzern und
der Verbreitung des Satellitenfernsehens verfügt vor allem die junge saudische Generation
über gewachsene Diskursmöglichkeiten, was
zu einer deutlichen Politisierung der saudischen Öffentlichkeit beigetragen hat. Bereits
2009 überstieg die Anzahl der Mobiltelefone
die Bevölkerung um mehr als das Doppelte,
36
37
38
39
40
41
18
im Dezember 2011 betrug die Zahl der Internetanschlüsse 13 Millionen und 4,5 Millionen
nutzten Facebook .37 2010 stieg die Zahl der
Twitter-User um 440%, während der weltweite
Durchschnitt bei einem 95%-igen Wachstum
lag.38 Hinzu kommt eine deutliche Verschlechterung der soziökonomischen Faktoren, die das saudische Königshaus vor die
Herausforderung stellt, Arbeitsplätze und die
Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliches Engagement zu schaffen. Konnten bislang die meisten saudischen Staatsbürger im
öffentlichen Dienst beschäftigt werden und
durch staatliche Alimentierung Sozialleistungen erhalten, stößt dieses System des klassischen Rentierstaates zunehmend an
Grenzen: Die Bevölkerung soll von derzeit
etwa 28 Millionen auf 43,7 Millionen im Jahr
2050 steigen39, das Durchschnittsalter liegt
bei 25,3 Jahren und knapp ein Drittel der Bevölkerung sind unter 15 Jahren.40 Gelingt es
Saudi-Arabien in naher Zukunft nicht, den Arbeitsmarkt für saudische Staatsbürger deutlich zu erweitern, die Anzahl der
ausländischen Gastarbeiter zu verringern und
auch Frauen am Wirtschaftsleben partizipieren zu lassen, droht die Arbeitslosigkeit und
damit die soziale Frustration zu steigen. Bereits jetzt liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei
etwa 30%. Da der Staat nicht mehr in der
Lage ist, alle Arbeitslosen zu alimentieren,
sind diese weitgehend auf familiären Rückhalt
angewiesen. Hinzu kommt die soziale Stigmatisierung, als arbeitsloser Mann keine Ehefrau zu finden.41 Mit der zunehmenden
Mobilisierung vieler saudischer Frauen und
der wirtschaftlichen Unfähigkeit vieler Männer,
den Frauen ihren Unterhalt zu finanzieren,
wächst der Druck auf das Königshaus, zunehmend Frauen am Arbeitsleben teilnehmen
lassen zu müssen. Hierbei besteht eine gravierende Differenz zwischen dem exzellenten
Bildungsniveau vieler Frauen, die oftmals
über ein vom Königreich gefördertes, abgeschlossenes Studium verfügen, und den man-
Im Rahmen dieser Studie können nicht alle Gruppierungen detailliert vorgestellt werden. Verwiesen
werden kann in diesem Zusammenhang unter anderem auf Sons, Sebastian: Saudi-Arabien, in:
Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling: Auslöser, Verlauf, Ausblick, September 2011,
S.126-140, Preuschaft, Menno: The Arab Uprisings in Saudi Discourse – Intellectual and Religious
Perspectives from the Kingdom, in: Orient IV/2012, S. 22-26, Fandy, Mamoun: Saudi Arabia and the
Politics of Dissent, New York 1999.
Vgl. http://www.internetworldstats.com/middle.htm, abgerufen am 24.09.2012.
Vgl. Atwood, Ed: Twitter usage rockets in conservative Saudi Arabia, Arabian Business, 5. Januar 2011,
http://www.arabianbusiness.com/twitter-usage-rockets-in-conservative-saudi-arabia-371485.html,
abgerufen am 24.09.2012.
Vgl. World Bank, Population Growth Rate, Middle East and North Africa, http://www.worldbank.org/
depweb/english/modules/social/pgr/datamide.html, abgerufen am 24.09.2012.
Vgl. Population Reference Bureau, http://www.prb.org/DataFinder/Geography/Data.aspx?loc=249,
abgerufen am 12.05.2012.
Vgl. Thomson, Mark C: Saudi Youth: Challenges for the Future, in: Orient IV/2012, S. 35f.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
gelnden Möglichkeiten, in ihrem hoch qualifizierten Bereich eine Arbeitsstelle anzunehmen, da sie weiterhin weitgehend vom
Männer dominierten Arbeitsleben exkludiert
werden.
dern, und Abdallah in den letzten Jahren vorsichtige Reformen implementiert hat, könnte
Saudi-Arabien mittelfristig in eine ähnliche sozioökonomische Situation geraten wie andere
Transformationsländer.
Die Folgen könnten sich wirtschaftlich wie sozial dramatisch auf die innere Stabilität der
saudischen Gesellschaft auswirken: Traditionelle Geschlechterbilder verändern sich, je
mehr Frauen ins Berufsleben drängen und je
mehr Männer unter finanziellen Problemen
leiden. Gleichzeitig wächst das soziale Frustpotenzial, sollte es dem Staat nicht gelingen,
ausreichend Arbeit für die jüngeren Generationen anzubieten, die ihrem Bildungsstandard entsprechen. Schätzungen gehen davon
aus, dass jährlich mindestens 200.000 Arbeitsplätze geschaffen werden müssten, um
alle nachdrängenden Absolventen auf dem
Arbeitsmarkt zu absorbieren. Hierbei müssten
allerdings die Frauen noch addiert werden,
sodass vermutlich 400.000 neue Jobs entstehen müssten, was auch für das ressourcenreiche Saudi-Arabien nur schwer zu
realisieren sein wird.42 Dies wäre zumal nur
mit einer vollständigen „Saudisierung“ zu erreichen, was die Verdrängung der Arbeitsmigranten
aus
dem
Serviceund
Infrastruktursektor als Voraussetzung hätte.
Stattdessen müssten saudische Arbeitnehmer
verpönte Arbeiten im Billiglohnsektor verrichten, was bereits in der Vergangenheit vereinzelt zu Protesten führte. So scheiterte der
Versuch, nur noch saudische Taxifahrer zu
beschäftigen, am fehlenden Interesse. Gewöhnt an das Privileg, keine Arbeiten für andere Saudis ausführen zu müssen und der
Annahme, der Staat sei verantwortlich für die
finanzielle Existenzsicherung des Einzelnen,
hat sich eine Kultur der Behaglichkeit und
eine Mentalität der Trägheit entwickelt, die
den sozioökonomischen Herausforderungen
entgegensteht und dem saudischen Königshaus Reformen am Arbeitsmarkt doppelt erschweren.
V.3 Die Vormachtstellung des konservativorthodoxen
Wahhabismus
saudischer
Prägung
So könnten sich soziökonomische Notwendigkeiten und gesellschaftliches Anspruchdenken zu einer explosiven Mélange für das
Königshaus entwickeln, welche nicht allein
durch Alimentierungsmaßnahmen in Form
von Gehaltserhöhungen oder der Ausweitung
der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor abgefedert werden könnten. Auch wenn SaudiArabien bislang noch über die Ressourcen
verfügt, soziale Unzufriedenheit zu verhin-
42
Saudi-Arabiens herausragende Stellung als
„Hüter der beiden Heiligen Stätten“ Mekka
und Medina dient dem Königreich als Legitimationsbasis missionarischer Außenpolitik
und zur Repression nach innen. Der Wahhabismus übernimmt daher nicht nur eine identitätsstiftende Funktion, um die Loyalität zum
Königshaus aufrechtzuerhalten, sondern
auch, um die Al Saud als Vorbilder des sunnitischen Glaubens zu überhöhen. So suggeriert das saudische Königshaus, dass die
monarchisch-absolute Staatsform dynastischer Prägung automatisch mit der Dominanz
des Wahhabismus verknüpft sei. Diese Symbiose legitimiert die Herrschaft der saudischen Königsfamilie seit 1932. Der Sturz
relativ säkularer Regimes in der arabischen
Welt und die Wahlsiege der Muslimbrüder in
Ägypten und der Al-Nahda-Partei in Tunesien
könnten langfristig diese religiös-politische
Autorität der Al Saud schwächen. Sollten islamistische Parteien in Zukunft beweisen,
sich einerseits demokratisch legitimieren lassen zu können und andererseits eine islamisch basierte Politik zu betreiben, könnte
dies zu einem neuen Vorbild innerhalb der
arabischen Welt werden. Der Ruf nach Freiheit, Bürgerrechten, Demokratie und Partizipation könnte sich so zu einer neuen
Symbiose mit islamisch fundierten Werten
verbinden und als Modellsystem regionale
Strahlkraft entfalten. Die Muslimbrüder, Symbol für die unkorrumpierbare Opposition
gegen die autokratischen Herrscher, könnten
zur Konkurrenz für den saudischen Alleinstellungsanspruch als religiöse Autorität werden.
Sollte sich eine solche „islamische Demokratie“ als wirtschaftlich, politisch und sozial stabil erweisen und gleichzeitig islamische
Prinzipien achten sowie Realpolitik mit religiöser Legitimation betreiben, erwüchse den Al
Saud und dem saudischen Wahhabismus ein
bedrohlicher Widerpart. Auch deshalb zeigte
sich das saudische Königshaus gegenüber
dem Wahlsieg der Muslimbrüder und ihrem
Präsidenten Mursi in Ägypten eher nüchtern
distanziert.
Vgl. Thomson, Mark C: Saudi Youth: Challenges for the Future, in: Orient IV/2012, S. 35.
Deutsches Orient-Institut
19
Saudi-Arabien
“The Brotherhood and Saudi Arabia
share Sunni Muslim values, but Riyadh
regards the movement as an ideological competitor with an aggressively activist political doctrine that might
destabilize allies and foment discord inside the kingdom. (Q) The Brothers
offer a religious political discourse
that's in competition with the Wahhabi
one.”43
So setzten sich die Muslimbrüder in ihrer Geschichte immer wieder für einen aktiven, revolutionären Islamismus ein, während der
Wahhabismus als unflexibler und reformunwilliger „Bewahrer der alten Werte“ gelten
kann. Dieser „Albtraum“ einer funktionierenden „islamischen Volksherrschaft“ könnte sich
desaströs auf den Herrschaftsanspruch der Al
Saud auswirken, da die eigene Bevölkerung
am ägyptischen Beispiel sehen könnte, dass
politische Freiheit, wirtschaftlicher Fortschritt
und Religiosität zu vereinbaren wären, was zu
Rufen nach einer konstitutionellen Monarchie
und einer gleichzeitigen Schwächung der Königsfamilie führen könnte.44
VI. Saudi-Arabiens Regionalpolitik an ausgewählten Fallbeispielen: Realpolitischer
Pragmatismus zur Bewahrung des Status
quo?
V.1 Libyen:
Saudi-Arabiens Königshaus unterhielt ein
sehr gestörtes Verhältnis zu Libyens ehemaligen Machthaber Muammar al-Gaddafi, der
als Bedrohung für die Stabilität innerhalb der
arabischen Welt gesehen und aus vielerlei
Gründen verachtet wurde: Der seit 2005 amtierende saudische König Abdullah und der
2011 getötete al-Gaddafi konnten gar als Intimfeinde bezeichnet werden, immerhin hatte
al-Gaddafi 2004 auf den damaligen Thronprinz Abdullah ein Attentat geplant. Abdullah
selbst vermied es in der Regel, mit Gaddafi
zusammenzutreffen, bezeichnete ihn als Exzentriker, paranoiden Wahnsinnigen und geächteten Außenseiter. Al-Gaddafis Habitus,
sich als Vertreter einer panarabischen Union
und eines missionarischen Panafrikanismus
zu gerieren, wurde ihm nicht nur vom saudischen Königshaus als vermessener Größenwahn ausgelegt.
43
44
20
So wurde der Aufstand in Libyen gegen den
Autokraten al-Gaddafi von offizieller saudischer Seite begrüßt. Neben den persönlichen
Animositäten standen hinter der Sympathie
für die Aufständischen jedoch auch handfeste
wirtschaftliche und ideologische Interessen
Saudi-Arabiens: Immerhin fiel mit dem Öl exportierenden Libyen zumindest kurzfristig ein
Konkurrent für die saudische Ölindustrie weg,
außerdem hoffte man, dass eine neue libysche Regierung berechenbarer agieren
würde und damit leichter zu kontrollieren sei,
wenn es um die Ausgestaltung des Ölpreises
an den internationalen Märkten gehen sollte.
Weiterhin galt das Zentrum des Aufstands, die
östliche Cyrenaika mit Benghasi als oppositionelles Herz, als Hochburg des libyschen Islams.
Der
tief
in
der
libyschen
Stammesgesellschaft verwurzelte SenussiOrden, aus dessen Kreisen auch der letzte
König gestammt hatte, verfügt auch heute
noch über erhebliche Autorität im rural und tribal geprägten Osten des Landes. Al-Gaddafi
hatte mit seinen obskuren ideologischen Vorstellungen versucht, die Rolle der Religion in
Libyen zu beschneiden, sich selbst als religiöser Quasi-Führer, als Übervater der libyschen Gesellschaft und seine skurrilen
Vorstellungen von einem idealen Staat und
Gesellschaft als Einheitsideologie proklamiert. Niedergeschrieben in seinem berühmten „Grünen Buch“ forderte er die Schaffung
eines idealtypischen Menschen, förderte die
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau,
gerierte sich als polyglotter Vorzeigestaatsherr, dessen Phantasieuniformen und bigottes Verhalten im arabischen Ausland für
Kopfschütteln sorgten.
Die religiösen Vorstellungen des konservativen Ostens passten nicht in das soziale System al-Gaddafis, sodass er die Anhänger des
Senussi-Ordens unterdrückte, die Cyrenaika
vernachlässigte, notwendige Infrastrukturmaßnahmen nicht umsetzen ließ und die traditionelle Identität negierte. Saudi-Arabien
begrüßte demnach die Aufstandsbewegung
aus dem tief islamischen Osten des Landes,
sah das Königshaus darin keine säkulare,
verwestlichte Marionette der USA, sondern
eine indigene, konservative Strömung eines
sunnitischen Islams, die sich anschickte, in
einem „neuen Libyen“ den Islam wieder zu
einem bestimmenden Wert in der Politik zu
verhelfen.
McDowall, Angus: Rise of Muslim Brotherhood frays Saudi-Egypt ties, Reuters, 1. Mai 2012,
http://www.reuters.com/article/2012/05/01/us-saudi-egypt-brotherhood-idUSBRE8400ZM20120501,
abgerufen am 06.08.2012.
Vgl. Gause III, F.G.: Saudi Arabia in the New Middle East, Council Special Report, Dezember 2011,
S. 20f.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
In der nahen Zukunft wird Saudi-Arabien jedoch keine engen Beziehungen zu Libyen
unterhalten, gilt das Land doch als geostrategisch unwichtig und wirtschaftlich für SaudiArabien nicht sonderlich interessant. Es bleibt
auch abzuwarten, wie sich die Beziehungen
zwischen der neu gewählten libyschen Regierung und dem saudischen Königshaus gestalten werden. Im Gegensatz zu den
Nachbarländern Tunesien und Ägypten konnten bei den Wahlen im Juli 2012 die säkularen
Kräfte die Mehrheit erzielen, sodass eine islamistische Regierung der Muslimbrüder nicht
zustande kam. Trotzdem spielt der Islam auch
im politischen Leben vieler Libyer eine wesentliche Rolle, zumal nach al-Gaddafis Sturz
sämtliche Institutionen neu aufgebaut werden
müssen, nationale Symbole der Einheit fehlen und die Gefahr besteht, dass tribale oder
regionale Rivalitäten auftreten können. Bislang ist es dem Staat nicht gelungen, die Sicherheit zu garantieren. Eine nationale Polizei
existiert bisher nur in Ansätzen, sodass diverse Milizen in den Städten, Gemeinden und
Regionen Sicherheitsaufgaben übernehmen.
Diese müssen in Zukunft in das staatliche
System integriert werden, um sie einerseits
kontrollieren und andererseits kooptieren zu
können, sonst könnte es immer wieder zu Gewaltausbrüchen in einer Situation der fragilen
Staatlichkeit kommen. Angeblich sollen sich
mehr als 900.000 Waffen im Privatbesitz befinden. Das entspricht etwa 15,5 Waffen auf
100 Einwohner.45 Vermutlich könnten diese
Zahlen aber noch deutlich höher liegen. Die
Anschläge auf das US-amerikanische Konsulat und der daraus resultierende Tod des USBotschafters Chris Stevens und drei weiteren
Mitarbeitern der Botschaft am 11. September
2012, die offenbar von al-Qaida nahe stehenden nicht-staatlichen Gewaltakteuren durchgeführt wurden, zeigt, dass Libyen droht,
dauerhaft zum Rückzugsgebiet für militante
Islamisten zu werden. Inwieweit auch saudische Islamisten in Libyen agieren oder zukünftig
operieren
könnten
und
ob
Saudi-Arabien islamistische Gruppierungen in
Libyen über dubiose Kanäle unterstützt, bleibt
momentan reine Spekulation, kann aber nicht
ausgeschlossen werden.
45
46
47
48
VI.2 Ägypten:
Die Umstürze in Tunesien und vor allem in
Ägypten überraschten und beängstigten das
saudische Königshaus. Immerhin gehörten
der tunesische Präsident Zine el-Din Ben Ali
und sein ägyptischer Amtskollege Hosni Mubarak zu engen Partnern der Al Saud, obwohl
beide mit ihrer säkularen Politik keine idealen
Verbündeten des wahhabitischen Königreiches darstellten. Doch aus pragmatischen
Gesichtspunkten kooperierte Saudi-Arabien
mit beiden Ländern, was auch daran lag, dass
insbesondere Mubarak die islamistische Muslimbruderschaft unterdrückte und vom politischen Leben ausschloss, was dem
ideologischen Alleinvertretungsanspruch der
saudisch-wahhabitischen Missionierung entgegen kam. Ben Ali flüchtete sich gar nach
seinem Sturz ins saudische Exil in Jidda.
Wie bereits angesprochen, hielt der saudische König Abdullah bis zuletzt zu Amtsinhaber Hosni Mubarak, was zu Verwerfungen im
saudisch-US-amerikanischen
Verhältnis
führte. Immerhin galt Saudi-Arabien als einer
der wichtigsten Geldgeber für das sich wirtschaftlich in der Dauerkrise befindliche Ägypten. 2011 erhielt der marode ägyptische Staat
vom Königreich einen Kredit in Höhe von 4
Mrd. USD, es folgten 1 Mrd. USD an die
ägyptische Zentralbank nach den Wahlen und
weitere 500 Mio. USD für wirtschaftlichen
Wiederaufbau.46 Im privatwirtschaftlichen Bereich gilt Saudi-Arabien seit Jahren als wichtigster innerarabischer Partner für Ägyptens
Wirtschaft. Immerhin leben mehr als 1 Mio.
ägyptische Gastarbeiter47 im Königreich, die
neben einem wachsenden Markt bei saudischen Konsumenten ein wichtiges Klientel für
ägyptische Exportprodukte darstellen. Außerdem senden sie jedes Jahr mehr als die
Hälfte aller weltweiten Rücküberweisungen
nach Ägypten.
Im Jahr 2010 investierten saudische Unternehmer diverser Branchen in insgesamt
2.268 Projekte mit einem Wert von 15,6 Mrd.
USD.48 Dieser Trend hielt auch in den Folgejahren an und ließ das Investitionsvolumen
Vgl. Gunpolicy.org: Libya – Gun Facts, Figures and the Law, 13. Juli 2012, http://www.gunpolicy.
org/firearms/region/libya, abgerufen am 25.09.2012.
Vgl. Hope, Bradley: Egypt’s Morsi to visit Saudi Arabia in bid for aid, The National, 10. Juli 2012,
http://www.thenational.ae/news/world/egypts-morsi-to-visit-saudi-arabia-in-bid-for-aid, abgerufen am
12.08.2012.
Vgl. Ragab, Emam: Moussa, Abul-Fotouh and Egyptian expats, Al-Ahram Weekly, 16. Mai 2012,
http://www.weekly.ahram.org.eg/2012/1097/op162.htm, abgerufen am 26.09.2012.
Vgl. Business Today: Egypt-Saudi trade touch $2 billion mark in the first half of the year, http://www.
businesstoday-eg.com/banking-finance/middle-east/egypt-saudi-trade-touch-2-billion-mark-in-the-first
-half-of-the-year.html, abgerufen am 03.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
21
Saudi-Arabien
auf 45 Mrd. USD steigen, während sich das
Handelsvolumen auf 10 Mrd. USD erhöhte.49
Trotz der massiven finanziellen Unterstützung
für die neue ägyptische Regierung kann das
Verhältnis jedoch keineswegs als spannungsfrei bezeichnet werden. Nach der Revolution wurden einige saudisch finanzierte
Projekte konfisziert oder verstaatlicht, was die
saudi-arabischen Investoren verärgerte.
Hinzu verschlechterte sich das politische Verhältnis zeitweise deutlich: Im April 2012 kam
es in Kairo zu Protesten vor der saudischen
Botschaft gegen die Verhaftung des ägyptischen Rechtsanwaltes Ahmed el-Gezawi
durch saudische Sicherheitskräfte. Angeblich
solle er versucht haben, Drogen bei seiner
Einreise nach Saudi-Arabien über die Grenze
geschmuggelt zu haben, während Menschenrechtler den wahren Grund für el-Gezawis Verhaftung in dessen Kritik an der
Inhaftierung von ägyptischen Aktivisten
sahen.50 El-Gezawi habe sich während seiner Verhaftung auf dem Weg nach Mekka befunden, um die Pilgerfahrt zu unternehmen.
Saudi-Arabien zog daraufhin seinen Botschafter Ahmed Qattan aus Kairo ab und ließ
die Botschaft sowie die Konsulate schließen,
was den ägyptisch-saudischen Konflikt weiter
verschärfte, ehe es dem damaligen Vorsitzenden des Obersten Militärrates, Feldmarschall Muhammad Hussein Tantawi, gelang,
die Situation in Telefonaten mit König Abdullah zu entschärfen.
Als Ägyptens neu gewählter Präsident
Muhammad Mursi ankündigte, seine erste
Auslandsreise nach Saudi-Arabien zu unternehmen, konnten diese Verwerfungen erstmals überwunden werden. So bezeichnete
der ägyptische Industrieminister Mahmud Issa
die Reise Mursis als „wichtigen Meilenstein in
der Geschichte des besonderen Verhältnisses“ beider Länder.51 Auch in Zukunft wird
das Verhältnis beider Länder jedoch von
49
50
51
52
53
54
55
22
einem gewissen Misstrauen und einer gleichzeitigen Abhängigkeit geprägt sein.
“Even if the diplomatic quarrel is smoothed over, it reflects the new fragility of
a once-solid alliance between the most
populous Arab nation and the richest.”52
Während Ägypten die finanzielle Unterstützung und das wirtschaftliche Engagement
Saudi-Arabiens benötigt, kann Saudi-Arabien
dauerhaft nicht an einer pragmatischen Politik
der ausgewogenen Kooperation mit den Muslimbrüdern gelegen sein, um die regionale
Stabilität nicht langfristig zu gefährden. Außerdem wird Saudi-Arabien versuchen, Ägyptens
neue Regierung an den arabischen Anti-IranBlock zu binden, zumal im Februar 2011
Ägypten Iran zum ersten Mal seit 1979 gestattete, zwei Kriegsschiffe durch den Suezkanal zu entsenden.53 Dies vergrößerte in
Saudi-Arabien die Sorgen, die neue ägyptische Führung könne sich nun Iran annähern.
Trotz dieser politischen Verstimmungen soll
insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit intensiviert werden: So soll ein Stromverteilungsnetz zwischen Ägypten und
Saudi-Arabien entstehen, was insgesamt
3.000 MW Elektrizität transportieren könnte.54
Der Bau einer 32-Kilometer-langen Brücke
am Golf von Aqaba soll Saudi-Arabien und
Ägypten verbinden, da pro Jahr immerhin 1,5
Mio. ägyptische Besucher nach Saudi-Arabien im Jahr und 750.000 Saudis nach Ägypten kommen.55
VI.3 Jemen
Die Republik Jemen und das Königreich
Saudi-Arabien unterhalten traditionell enge,
aber oftmals ambivalente Beziehungen.
Dabei spielte der Jemen für Saudi-Arabien in
der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart
die Rolle eines strategischen Partners, der je-
Vgl. Abdel-Razek, Sherine: Economic ruptures, Al-Ahram Weekly, 9. Mai 2012,
http://www.weekly.ahram.org.eg/2012/1096/ec1.htm, abgerufen am 08.08.2012.
Vgl. The Guardian: Saudi Arabia recalls Egypt ambassador and closes consulates, 28. April 2012,
http://www.guardian.co.uk/world/2012/apr/28/saudi-arabia-recalls-egypt-ambassador, abgerufen am
13.07.2012.
Vgl. Paraszczuk, Joanna: Mursi hails 'fruitful' talks with Saudi king, Jerusalem Post, 12. Juli 2012,
http://www.jpost.com/MiddleEast/Article.aspx?id=277300, abgerufen am 25.09.2012.
McDowall, Angus: Rise of Muslim Brotherhood frays Saudi-Egypt ties, Reuters, 1. Mai 2012,
http://www.reuters.com/article/2012/05/01/us-saudi-egypt-brotherhood-idUSBRE8400ZM20120501,
abgerufen am 06.08.2012.
Vgl. Al-Arabiya News: Conflicting reports as Egypt denies barring Iran ships, 17. Februar 2011,
http://www.alarabiya.net/articles/2011/02/17/138015.html, abgerufen am 15.03.2012.
Vgl. Abu al-Khair, Waleed: Egypt, Saudi power grid study proceeds to final stages, Al-Shorfa, 23. Juni
2012, http://www.al-shorfa.com/en_GB/articles/meii/features/main/2012/06/23/feature-01, abgerufen am
06.08.2012.
Vgl. Bikyamasr: Egypt-Saudi Arabian bridge back on drawing board, 2. März 2012, http://www.bikya
masr.com/60105/egypt-saudi-arabian-bridge-back-on-drawing-board/, abgerufen am 06.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
doch oftmals aus realpolitischen Erwägungen
instrumentalisiert wurde. Dies zeigte sich insbesondere im Verlauf des „Jemenitischen
Frühlings“, der sich seit Beginn des Jahres
2011 in Massendemonstrationen für politische
Reformen und Partizipation, wirtschaftlichen
Fortschritt sowie gegen Korruption, Zensur,
Patronage- und Klientelnetzwerke zeigte.
Hierbei präsentierte sich die jemenitische Protestbewegung als breit aufgestellte Bewegung aus den unterschiedlichsten sozialen
Schichten. Junge Akademiker demonstrierten
ebenso gegen die verkrustete und intransparente Herrschaft des damaligen Präsident Ali
Abdallah Salihs wie Stammesführer, Militärs
und feministische Aktivistinnen.56 Hatten die
Demonstranten zu Beginn der Proteste allein
politische Reformen angemahnt, wandte sich
der Wut der Straße schnell gegen Salih, der
seit 1978 den Nordjemen und nach der
Wiedervereinigung die Republik Jemen als
Präsident regierte. Seine Entscheidung, für
die kommenden Präsidentschaftswahlen seinen Sohn Ahmad Ali als Präsidentschaftskandidat vorzuschlagen, um so eine
familiendynastische Herrschaft zu garantieren, ließ die Unzufriedenheit ansteigen. Trotz
kosmetischer Korrekturen seiner autoritativen
Politik gelang es Salih jedoch nicht, seine Position zu stabilisieren. Immer mehr Unterstützer und ehemals loyal ergebene Getreue
wandten sich von ihm ab, Teile des Militärs
und einflussreiche Stammesführer opponierten und erhöhten den Druck auf Salih.57
Nachdem Salih am 3. Juni 2011 bei einem
Raketenangriff auf den Präsidentenpalast in
der Hauptstadt Sana’a schwer verletzt wurde,
begab er sich ins saudi-arabische Riad zur
medizinischen Behandlung, um sich dort acht
Operationen zu unterziehen. In seiner Abwesenheit übernahm der damalige Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi die
Amtsgeschäfte.
Saudi-Arabien als Führungsmacht im GKR
beobachtete diese Entwicklung äußerst skeptisch, fürchtete es doch eine zunehmende
Destabilisierung und Fragmentierung des Jemens. Ali Abdallah Salih war für das saudische Königshaus ein ebenso wichtiger wie
relativ berechenbarer Partner gewesen, der
nun drohte, auszufallen. Der Jemen besitzt für
56
57
58
59
die saudi-arabische Sicherheitskonzeption
fundamentale Bedeutung, sodass eine ähnliche Entwicklung wie in den Transformationsländern Ägypten und Tunesien für
Saudi-Arabien nicht akzeptabel gewesen
wären.
“Yemen is not about foreign policy, it’s
about national security – it’s about intelligence, security, tribalism and informal contact.”58
Als direkter Nachbar verfügt Saudi-Arabien
seit Jahrzehnten über enormen wirtschaftlichen, politischen, militärischen und religiösen Einfluss im Jemen und behandelt den
armen südlichen Nachbarn eher als „Objekt“
denn als gleichberechtigten Partner. Demzufolge besaß eine pro-saudische, auf Stabilität
orientierte jemenitische Regierung für das
saudische Königshaus oberste Priorität. Als
abzusehen war, dass dies mit Salih nicht
mehr realisiert werden konnte, ergriff der GKR
unter Führung von Saudi-Arabien die Initiative, einen friedlichen Transitionsprozess im
Jemen einzuleiten und zu forcieren.59 Dieser
mündete darin, dass auf saudische Initiative
ein politischer Kompromiss gefunden wurde,
welcher einerseits Salihs Rückzug aus der aktiven Politik und andererseits einen „sanften
Übergang“ ohne Chaos garantieren sollte.
Aufgrund der engen Kontakte zwischen saudischen und jemenitischen Akteuren gelang
es, Salih zum Rücktritt zu bewegen, seinen
Vizepräsidenten als Übergangspräsidenten
einzusetzen, ehe am 21. Februar 2012 Wahlen abgehalten wurden, bei denen allerdings
nur Hadi als einziger Präsidentschaftsanwärter kandidierte. Salih wurde bis zu diesem
Zeitpunkt der Titel des „Ehrenpräsidenten“
verliehen. Erst beim vierten Versuch erklärte
sich Salih bereit, der so genannten „Golfinitiative“ zuzustimmen und in Saudi-Arabien seinen Rücktritt zu unterschreiben.
Realisiert werden konnte dieser Transformationsprozess hauptsächlich durch das saudische Vermittlungsengagement und stellt sich
demnach auch als eine den saudischen Interessen dienende Lösung dar. Es gelang zwar,
den Anschein einer Demokratisierung zu erwecken und Salih aus seinen Ämtern zu ent-
Vgl. Philips, Sarah: Eveluating Political Reform in Yemen, Carnegie Papers,
http://www.carnegieendowment.org/files/cp_80_phillips_yemen_final.pdf, abgerufen am 28.08.2011.
Vgl. International Crisis Group: Popular Protest in North Africa and the Middle East (II): Yemen
between Reform and Revolution, 10. Mai 2011.
Hill, G., Nonneman, G: Yemen, Saudi Arabia and the Gulf States: Elite Politics, Street Protests and
Regional Diplomacy, Mai 2011, S. 9.
Vgl. Hill, G., Nonneman, G: Yemen, Saudi Arabia and the Gulf States: Elite Politics, Street Protests and
Regional Diplomacy, Mai 2011, S. 2ff.
Deutsches Orient-Institut
23
Saudi-Arabien
fernen, womit die Kernforderungen der Demonstranten erfüllt wurden. Doch eine grundlegende Änderung des politischen Systems
ließ Saudi-Arabien keineswegs zu. Die
„Scheinwahl“ mit einem Kandidaten der alten
Elite, Salih von Strafverfolgung zu befreien
sowie den Transformationsprozesses in die
Hände traditionell etablierter jemenitischer Akteure zu übergeben, bedeutete für die ambitionierte Protestbewegung eine herbe
Enttäuschung. Statt Demokratie, Transparenz
und politischem Pluralismus scheint anderthalb Jahre seit Beginn des „Jemenitischen
Frühlings“ das alte System zwar geschwächt
zu sein, genießt aber weiterhin über enormen
Einfluss und konkurriert mit neuen Kräften,
die jedoch weder als Reformer noch Modernisierer, sondern vielmehr als Vertreter althergebrachter Nepotismuspolitik in neuem
Gewand gelten können. Anstatt Akteure der
„Straßenopposition“ am neuen politischen
Gestaltungsprozess partizipieren zu lassen,
wird die Transformation durch die Regierungspartei Salihs, dem Allgemeinen Volkskongress, dessen Vorsitzender er nach wie
vor ist, und dem traditionellen Bündnis der
Oppositionsparteien bestimmt.60
Hadi versucht zwar, eigene Vorstellungen und
Ziele durchzusetzen, wird aber von Vertretern
der alten Machtclique immer wieder beeinträchtigt. Den Plänen der Golfinitiative, die
Armee und Sicherheitseinheiten neu zu strukturieren, versucht Hadi zwar nachzukommen,
stößt aber auf massiven Widerstand. So kontrollieren Salihs Sohn Ahmad Ali und dessen
Neffen noch immer militärische Einheiten und
auch ihr Vater hat längst nicht all seine politischen Ambitionen aufgegeben. Dies äußert
sich in blutigen Machtkämpfen: Nachdem
Hadi im April 2012 den Luftwaffenchef Muhammad Salih Al-Ahmer, einen Halbbruder
des ehemaligen Präsidenten, sowie Tariq Muhammad Salih, den Neffen Salihs und Kommandierender
der
Präsidentengarde,
abgesetzt hatte, widersetzten sich beide dem
Befehl. Ebenso unpopulär wenn auch mutig
war die Entscheidung Hadis im August 2012,
Ali Ahmar und dem einflussreichen General
Ali Mohsen das Kommando über einige Divisionen zu entziehen, um diese zu einer neuen
Präsidentengarde zu fusionieren. Die Folge
waren blutige Auseinandersetzungen innerhalb des Militärapparates und die weitere
Destabilisierung der Staatsmacht. So griffen
60
61
24
Truppen der Republikanischen Garde unter
Führung von Ali Ahmar das Verteidigungsministerium an, um die Entscheidung mit Gewalt
zu verhindern.
Neben dem fragilen Übergangsprozess, den
der Jemen derzeit durchläuft, fordern weitere
Konflikte die innere Stabilität heraus. Mittlerweile gilt das Land als „Armenhaus“ der Arabischen Halbinsel, mehr als 70% der
Bevölkerung leben von weniger als 2 USD am
Tag, die Einnahmen aus der Erdölproduktion
sinken dramatisch, die Bevölkerung wächst,
während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit
steigt. In den großen Städten wie Sana’a
herrscht akuter Wassermangel, das Land leidet unter einer jahrelangen Wirtschaftskrise,
erodiert von innen und litt Jahrzehnte unter
der korrupten und intransparenten „Selbstbedienungspolitik“ Ali Abdallah Salihs. Das
Durchschnittsalter beträgt 18,1 Jahre, weniger als die Hälfte der Bevölkerung kann lesen
und schreiben, beim Korruptionsindex von
Transparency International liegt der Jemen
auf einem desaströsen 146. Rang (von 176).
Neben dieser soziökonomischen Dauerkrise,
den fehlenden Perspektiven für die Jugend
und dem akuten Mangel in fast allen Lebensbereichen leidet das Land unter dem rapiden
Anstieg des militanten Islamismus. Der
Jemen ist zu einem „sicheren Hafen“ für militante Islamisten von Al-Qaida auf der Arabischen
Halbinsel
(AQAP)
geworden.
US-amerikanische Drohneneinsätze versuchen, die militante Bedrohung zu bekämpfen,
töten aber immer wieder Zivilisten und sorgen
für einen breiten Anti-Amerikanismus in der
jemenitischen Bevölkerung. Weiterhin tobt im
Süden ein jahrelanger Unabhängigkeitskampf
der Hirak-Bewegung, die die Sezession vom
Norden anstrebe. In der nördlichen Region
Sa’ada ringt die schiitisch-zaidistische HuthiBewegung ebenfalls um stärkeren Einfluss,
lieferte sich blutige Auseinandersetzungen mit
der Zentralregierung und gewann während
des „Arabischen Frühlings“ weitgehende regionale Autonomie. Während der ehemalige
jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih das
Vorgehen gegen die „Rebellen“ als Kampf
gegen den islamistischen Terrorismus legitimierte und die Huthis als „Agenten Irans“ denunzierte, forderten diese mehr politische
Partizipation und wirtschaftliche Unterstützung. 61
Vgl. auch Glosemeyer, Iris: Politische Akteure in der Republik Jemen. Wahlen, Parteien und Parlamente,
Hamburg 2001.
Vgl. Schmitz, Peter: Jemen, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling: Auslöser,
Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, S. 141-150.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
Diese innenpolitischen Entwicklungen beobachtet Saudi-Arabien mit aufmerksamem
Interesse und großer Sorge, die lokalen Konflikte könnten sich nach Saudi-Arabien ausweiten. So unterstützte das Königreich seit
Herbst 2009 die jemenitische Regierung im
Kampf gegen die Aufständischen im Norden,
weiterhin kooperierte es mit der Salih-Regierung im Anti-Terror-Kampf sowie in entwicklungspolitischen Bereichen. Mittlerweile
verfügt Saudi-Arabien über eigenes Informantennetz im Jemen, um terroristische Aktivitäten bekämpfen zu können. Eine
Verschärfung der Konflikte im Norden könnte
sich zu einem massiven Flüchtlingsproblem
für Saudi-Arabien ausweiten. Bereits jetzt befinden sich etwa 150.000 Jemeniten auf der
Flucht. Außerdem bedrohten die Huthis in der
Vergangenheit zunehmend auch saudisches
Territorium. Es gab bereits Übergriffe von Aufständischen auf saudische Dörfer, sodass
Saudi-Arabien seit Herbst 2009 aktiv in die
Kämpfe eingegriffen hatte und die jemenitische Armee unterstützt. Luftschläge und Offensiven sollten dazu führen, den Widerstand
der Huthis zu brechen und die umkämpften
Gebiete zu befrieden. Dass hierbei zivile
Opfer und Kämpfer nur noch selten unterschieden werden können und das gebirgige
Hochland des Nordjemens für gezielte Luftschläge ungeeignet ist, erschwerte das konzertierte Vorgehen gegen die Huthis.62
Bereits in den 1960er Jahren, während des
jahrelangen Bürgerkriegs im Jemen, hatte
sich Saudi-Arabien auf die Seite der gestürzten Royalisten geschlagen, während Ägypten
die republikanische Bewegung unterstützte.
Zu dieser Zeit befürchtete Saudi-Arabien eine
geostrategische Vormachtstellung des regionalen Konkurrenten Ägypten, sodass das Engagement beider Länder im Jemen eher der
Durchsetzung eigener Interessen als der Stabilisierung des Jemens galt.63
Im Jemen spielt auch der traditionelle Konflikt
der beiden „Erzfeinde“ Iran und Saudi-Arabien eine wesentliche Rolle: Der Vorwurf, Iran
unterstütze die schiitischen Huthis gegen die
jemenitische Regierung, richtet sich demnach
auch gegen das saudische Hegemonialstreben in der Golfregion. So wird der Konflikt im
Nordjemen bereits als „Stellvertreterkrieg“
62
63
64
zwischen Iran und Saudi-Arabien umschrieben, obwohl ein direktes Eingreifen der Islamischen Republik auf Seiten der Huthis
bisher nicht nachgewiesen werden konnte.64
Erneut agiert Saudi-Arabien in diesem Konflikt aus sicherheitspolitischem und ideologischem Kalkül: Einerseits soll Irans Einfluss
minimiert werden, andererseits werden die
schiitisch-zaiditischen Huthis aufgrund der
wahhabitischen Ideologie als „Häretiker“ abgelehnt. Insgesamt ist der Einfluss des Wahhabismus im Jemen in den letzten
Jahrzehnten deutlich gestiegen. Jemenitische
Gastarbeiter wurden in Saudi-Arabien durch
wahhabitische Geistliche mit der Lehre konfrontiert und teilweise indoktriniert. Nach ihrer
Rückkehr verbreiteten viele dieser ehemaligen Gastarbeiter wahhabitisches Gedankengut im Jemen, gründeten oder besuchten
Religionsschulen (arabisch: Pl. madaris) und
nahmen so Einfluss auf Teile der jemenitischen Gesellschaft.
In der Vergangenheit wurde seitens des saudischen Königshauses immer wieder auch
politischer Druck auf die jemenitische Regierung ausgeübt, um eigene politische Ziele zu
erreichen. Nachdem sich der Jemen während
der Kuwait-Invasion des Iraks Anfang der
1990er Jahre unter Saddam Hussein auf die
Seite des Diktators gestellt hatte, wurden im
Zuge der internationalen Sanktionen gegen
den Jemen auch etwa eine Million jemenitische Gastarbeiter aus Saudi-Arabien ausgewiesen. Dies hatte gravierende wirtschaftliche
Auswirkungen: Durch den Wegfall der Rückzahlungen der Gastarbeiter in ihre Heimat
wurde die wirtschaftliche Rezession im Zuge
der Sanktionen verstärkt; der Jemen befindet
sich seitdem in einer schweren wirtschaftlichen Krise.
Die besorgniserregenden Entwicklungen im
Jemen und der Anstieg der terroristischen Gefahr durch militante Islamisten aus dem
Jemen bedeuten auch für Saudi-Arabien eine
massive innen- wie außenpolitische Gefahr:
Saudi-Arabien fürchtet Anschläge im Inland
von jemenitischen Militanten. Dass diese Befürchtung konkrete Anlässe hat, zeigt vor
allem der Selbstmordanschlag auf den saudischen Vize-Innenminister Prinz Muhammad
bin Naif im Jahr 2009. Der Attentäter soll in je-
Vgl. Sons, Sebastian: Die Beziehungen Saudi-Arabien – Jemen. Ein kompliziertes Verhältnis, Berlin
2010 (unveröffentlichtes Arbeitspapier).
Vgl. Hill, G., Nonneman, G: Yemen, Saudi Arabia and the Gulf States: Elite Politics, Street
Protests and Regional Diplomacy, Mai 2011, S. 7.
Vgl. Al-Harithi, Zuhair: Understanding Yemen’s Troubles: A Saudi Perspective, http://www.arabin
sight.org/aiarticles/228.pdf, abgerufen am 26.06.2012.
Deutsches Orient-Institut
25
Saudi-Arabien
menitischen Lagern ausgebildet worden sein.
Hinzu kommen in der Vergangenheit Anschläge auf saudische Ölraffinerien. Um solche
Risiken
zu
reduzieren,
baute
Saudi-Arabien seit 2003 die Sicherungsanlagen an der 1.800 Kilometer langen gemeinsamen
Grenze
aus.
Schmuggel,
Waffenhandel und die verhältnismäßig problemlose grenzübergreifende Bewegungsfreiheit militanter Islamisten sollen dadurch
verhindert werden. Auch kommt es immer
wieder zu Kinderhandel nach Saudi-Arabien.
Jemen wird auch zukünftig ein wesentliches
Feld der saudischen Außenpolitik bleiben.
Aus historischen, religiösen und regionalpolitischen Erwägungen spielt der arme südliche
Nachbar für die Sicherheitskonzeption des
Königshauses eine entscheidende Rolle.
Dementsprechend engagiert zeigte sich
Saudi-Arabien auch beim Transformationsprozess von Salih zu Hadi, initiierte die Golfinitiative und wird auch zukünftig ein
indigenes Interesse daran haben, die Transition nach eigenen Vorstellungen voranzutreiben. Oberste Prämisse der saudischen
Jemen-Politik bleibt die dauerhafte Stabilisierung des Landes. Neben der terroristischen
und der separatistischen Bedrohung muss
dies aus saudischer Sicht vor allem gelingen,
um den Erzrivalen Iran einzudämmen und
dessen Einfluss auf die jemenitischen Zaiditen auf ein Minimum zu reduzieren.
Dass dieses Kalkül eher einer grundlegenden
antischiitischen Paranoia und nicht der Realität geschuldet ist, verwundert nicht, sondern
zeigt erneut die antiiranische Ausrichtung der
saudischen Außenpolitik als grundlegenden
Pfeiler. Demokratisierungsbestrebungen werden nicht unterstützt, da ein echter Systemwechsel im Jemen auch antisaudische Kräfte
an die Macht bringen könnte. Immerhin regt
sich schon seit vielen Jahren Widerstand
gegen den saudischen Einfluss im Jemen,
der insbesondere von der jüngeren Generation und liberal-säkularen Aktivisten sowie
Frauen geäußert wird.
Saudi-Arabien wird deswegen daran gelegen
sein, eine oberflächliche Machttransformation
zu unterstützen, die „Opposition der Straße“
jedoch von der Machtelite zu exkludieren, um
weder antisaudische Strömungen noch unvorhersehbare politische Entwicklungen im
65
66
26
Jemen sich entwickeln zu lassen.
VI.5 Pakistan
Pakistan und Saudi-Arabien unterhalten seit
vielen Jahrzehnten ein enges, aber auch nicht
immer spannungsfreies Verhältnis. Hierbei
übernimmt Saudi-Arabien seit mehreren Jahrzehnten gegenüber Pakistan eine Rolle als
„Beschützer“, als „geistiger und moralischer
Mentor“ und versucht, aufgrund seiner Ausnahmestellung innerhalb des sunnitischen Islams
eine
Vorbildfunktion
bei
den
sunnitischen Muslimen Pakistans einzunehmen. Dabei verfolgt Saudi-Arabien wie in der
arabischen Welt auch hier eine eindeutig
interessensund
sicherheitsorientierte
Außenpolitik.
Nach der Islamischen Revolution 1979
drängte das saudische Königshaus auf mehr
Einfluss in Pakistan, um das Hegemonialstreben Irans einzudämmen. Immerhin lebt mit
20% die größte schiitische Gemeinschaft in
dem multikonfessionellen südasiatischen
Staat nach Iran. Die Islamisierungspolitik Zia
ul-Haqqs (1977-1988) in Pakistan bot SaudiArabien hierbei eine optimale Gelegenheit,
ihre religionspolitische Präsenz in Südasien
auszubauen. Demzufolge begann mit dem
Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan
nicht nur die Unterstützung der afghanischen
mujahidin durch Saudi-Arabien, sondern auch
der Ausbau „strategischer Tiefe“ in Pakistan.65
In Kooperation mir den USA sowie in enger
Absprache mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI und dem pakistanischen Militär wurden sukzessive sunnitische, antischiitische
Strömungen wie die radikale DeobandiSchule gefördert, das System der islamischen
Religionsschulen (dini madaris) ausgebaut
und über intransparente Netzwerke militante
Gruppierungen mit Finanzmitteln, Logistik und
auch Waffen unterstützt.66 Während SaudiArabien so den Einfluss Irans eindämmen
wollte, instrumentalisierte Pakistan diese
Gruppen als „nichtstaatliche Agenten“ gegen
den Erzfeind Indien und im Kaschmirkonflikt.
Während des sowjetisch-afghanischen Krieges in den 1980er Jahren gingen etwa 30.000
saudische mujahidin nach Afghanistan, viele
von ihnen ließen sich in Pakistan ausbilden.
Hierbei bleiben die Drahtzieher dieser „Saudisierung“ der pakistanischen Religionslandschaft weitgehend dubios. Es ist weder
Vgl. Wagner, Christian: Brennpunkt Pakistan. Islamische Atommacht im 21. Jahrhundert, Bonn 2012.
Vgl. Hardy, Roger: Ambivalent Ally: Saudi Arabia and the ‘war on terror’, in: al-Rasheed, Madawi (Hrsg.):
Kingdom without Borders. Saudi political, religious and media frontiers, London 2008, S. 99-112.
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Saudi-Arabien
eindeutig bekannt noch belegt, ob diese Missionierungstätigkeiten vom saudischen Könighaus direkt gefördert und unterstützt
wurden, noch welche saudischen Institutionen und Personen involviert waren. Allerdings
existieren Hinweise, die auf eine direkte Beteiligung einiger einflussreicher saudischer
Prinzen hindeuten, darunter der ehemalige
Geheimdienstchef Turki al-Faisal, der jahrelange enge Kontakte zu Usama bin Ladin
unterhalten haben soll.67
Wichtigste Akteure in diesem undurchsichtigen Netzwerk waren und sind die religiösen
Stiftungen und karitativen Einrichtungen, die
in Saudi-Arabien über enorme Popularität und
immensen Einfluss verfügen. Viele von ihnen
werden direkt vom Königshaus mit „Spenden“
oder „Almosen“ (arabisch: zakat) mitunterstützt, der König sowie viele andere Mitglieder
des
saudischen
Königshauses
übernehmen in der Regel Führungspositionen
innerhalb dieser Stiftungen. Insbesondere die
Al Saud zeigt sich in der Öffentlichkeit gern
als besonders gottesfürchtige und fromme
Muslime, um ihren Ruf als „Hüter der Beiden
Heiligen Stätten“ und Vorbild der sunnitischen
umma zu manifestieren. Ihr Engagement in
karitativen Einrichtungen zur Unterstützung
armer Muslime in aller Welt dient daher der
Imagepflege und ist eine gesellschaftlich geforderte Notwendigkeit.
Viele dieser Stiftungen wurden bereits vor
Jahrzehnten gegründet und dienen neben
ihren wohltätigen Aktivitäten auch als außenpolitisches Engagement: Durch die Gründung
von Religionsschulen in der ganzen Welt und
besonders in Südasien, die Produktion religiöser Erziehungsliteratur, Korandruck, die
Entsendung von Missionaren und die infrastrukturelle Unterstützung benachteiligter islamischer Länder sind viele dieser Stiftungen
mittlerweile ein indigener Bestandteil muslimischer Gesellschaften.68 Dies gilt insbesondere für Pakistan. Seit den 1980er Jahren hat
sich die Zahl der dini madaris vor allem in den
strukturschwachen Regionen wie Khyber
Pakhtunwa (früher Federal Administered Tribal Areas, FATA) oder Balutschistan mehr als
vervierfacht. Existierten im Gründungsjahr
Pakistans in Gesamtpakistan nur 250 madaris, soll die Zahl heute zwischen 10.000 und
67
68
69
45.000 mit 1-1,7 Mio. Schülern liegen.
Für viele auf dem Land lebende Familien bietet eine saudisch finanzierte Madrasa die einzige Möglichkeit, ihren Kindern eine
Schulbildung zu ermöglichen, da das staatliche Erziehungssystem nicht nur unzureichend ausgestattet, sondern auch in den
ruralen Gebieten häufig nicht präsent ist. Man
sollte sich daher zurückhalten, die Religionsschulen grundsätzlich als Kaderschmiede für
militante Islamisten zu beurteilen, da sie häufig die einzige Option für eine gewisse Schulbildung darstellen.
Dennoch bleibt ihre Rolle umstritten. Vor
allem nach dem 11. September 2001 wurden
die tief greifenden Verflechtungen zwischen
militanten islamistischen Gruppen, Religionsschulen und saudischen Akteuren als Förderer thematisiert und kritisiert. Das saudische
Königshaus geriet verstärkt unter Druck von
den USA, die forderten, die Unterstützung für
dubiose Bildungs- und Erziehungseinrichtungen einzustellen. Erfolgten die ersten Maßnahmen nur widerwillig, änderte sich dies,
nachdem 2003 die ersten Rückkehrer aus Afghanistan und Pakistan Anschläge in SaudiArabien verübten und die innere Stabilität
bedroht wurde. Das saudische Königshaus
reagierte kompromisslos, indem Hunderte
Terrorverdächtige festgenommen, Reformen
im Bildungssystem implementiert und regimekritische Geistliche von ihren Aufgaben
entbunden wurden.69 Mittlerweile distanziert
sich die saudische Regierung offiziell von den
sunnitischen Religionsschulen und Stiftungen, die unter Terrorverdacht stehen. Doch
auch hier gerät die Al Saud immer wieder in
ein Dilemma: Da die Zakat-Gabe zu den „fünf
Säulen“ des Islams gehört und damit obligatorisch ist, kann die finanzielle Unterstützung
für religiöse Einrichtungen nicht unterbunden
werden, ohne dafür in der Öffentlichkeit
harsch kritisiert zu werden. Da die meisten
Stiftungen und karitativen Einrichtungen ihren
Aufgaben nachkommen und die dubiosen Aktivitäten nicht von den legalen Projekten differenziert werden können, bleibt der Einfluss
dieser Institutionen auch heute noch massiv.
Nach wie vor erfolgt die Förderung von dini
madaris in Pakistan über intransparente Kanäle, werden die Religionsschulen von Prinzen, Geistlichen, Stiftungen und Privatleuten
Vgl. u.a. al-Rasheed, Madawi: Circles of Power: Royals and Society in Saudi Arabia, in: Aarts, Paul,
Nonneman, Gerd (Hrsg.): Saudi Arabia in the Balance. Political Economy, Society, Foreign Affairs,
London 2005, S. 185-213.
Vgl. Burr, J. Millard, Collins, Robert O.: Alms for Jihad. Charity and Terrorism in the Islamic World,
Cambridge 2006.
Vgl. Hegghammer, Thomas: Jihad in Saudi Arabia. Violence and Pan-Islamism since 1979,
Cambridge 2010.
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27
Saudi-Arabien
unterstützt. Hierbei kann die Aussage des
neuen Thronprinzen Salman aus dem Jahr
2002 als exemplarisch dienen, wies er doch
darauf hin, dass Spenden an karitative Einrichtungen für jeden „guten Muslim“ obligatorisch seien, die Verwendung dieser Mittel aber
nicht mehr in der Verantwortung des Gebers
lägen.70
Doch die Nähe zwischen Pakistan und SaudiArabien beschränkt sich nicht allein auf die
missionarische Tätigkeit über Religionsschulen. Seit den 1960er Jahren unterstützt Pakistan die saudische Armee bei Ausbildung und
in Kampfeinsätzen. Gleichzeitig soll SaudiArabien Pakistan bei der Entwicklung ihrer
Nuklearwaffen unterstützt haben. So wird vermutet, dass im Falle einer iranischen Aggression Pakistan als „atomarer Schutzschirm“ für
Saudi-Arabien dienen könne. Entsprechende
Geheimabsprachen sollen seit Jahren existieren. Dass hierbei diese Absprachen auf
persönlichen Netzwerken und nicht auf institutionalisierten Kooperationen beruhen, wird
von externen Akteuren wie den USA immer
wieder kritisiert, ist aber eine der Grundkonstanten der pakistanisch-saudischen Beziehungen.
Dennoch drohen Spannungen, die sich in Zukunft verschärfen könnten. Zum einen hat das
saudische Königshaus seine einstmals sympathisierende Haltung zu militanten Islamisten weitgehend beendet, nachdem die eigene
Stabilität von al-Qaida-nahen Rückkehrern
zwischen 2003 und 2005 gefährdet worden
war. Diese Einsicht existiert bei den verantwortlichen Akteuren Pakistans nur in Teilen.
Zwar existiert mittlerweile eine öffentliche
Rhetorik, die sich gegen die militante Bedrohung von al-Qaida und anderer Gruppen im
eigenen Land richtet. Auch kann nicht von
einer generellen Radikalisierung der pakistanischen Bevölkerung gesprochen werden.
Doch die zivile Regierung unter dem angeschlagenen und hart kritisierten Präsidenten
Ali Asif Zardari verfügt nur über eingeschränkte Machtbefugnisse, handelt es sich
bei Pakistan doch eher um eine „Kasernendemokratie“, da die Obrigkeit über die Sicherheitspolitik beim Geheimdienst und dem
Militär liegt. So wird die pakistanische Armee,
mit mehr als einer Million Soldaten eine der
70
71
28
größten der Welt, auch als „Staat im Staate“
beschrieben.
Sie kontrolliert die Atomwaffen, sie sieht sich
als einziger Akteur, der den fragilen Staat zusammenhalten kann und setzt die Traditionen
der britischen Kolonialherrschaft weitgehend
fort. Insgesamt vier Militärputsche seit der
Gründung Pakistans 1947 verdeutlichen die
Omnipräsenz der Militärs in der politischen
Geschichte des Landes. Dabei grassiert die
Angst vor Indien mittlerweile als paranoides
Trauma in den Reihen des Militärs. Noch
immer sehen sie in ihrem Nachbarn eine natürliche Bedrohung für die staatliche Einheit,
worüber die innere Bedrohung durch militante
Islamisten weithin vernachlässigt wird. Gelang es ISI und Militär, in den 1980er Jahren
diese Gruppen noch als Instrumente pakistanischer Außenpolitik einzusetzen, richten sich
die ehemals loyalen Verbündeten gegen den
einstmaligen Förderer. Während sich diese
Realität nur schrittweise im strategischen
Denken des Militärs durchsetzt und viele bereits von einer schleichenden Islamisierung
der Armee gesprochen haben, beobachtet
Saudi-Arabien diese halbseidene Haltung
gegenüber den militanten Islamisten mit
Sorge.
Auf der anderen Seite hat Saudi-Arabien in
den letzten Jahren die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Pakistans Erzfeind Indien ausgebaut. Die Ölexporte sollen
sich verdoppeln, der Besuch Abdullahs 2005
in Indien war der erste eines saudischen Königs seit 60 Jahren. Im Sicherheitsbereich
und in der Kriminalitätsbekämpfung wurde die
Kooperation ausgebaut. Dies betrachtet Pakistan aufmerksam. Die Ermordung des saudischen Diplomaten Hassan al-Qahtani im
Mai 2011 in Karachi belastete kurzzeitig das
bilaterale Verhältnis.71
Denn neben der politischen und militärischen
Nähe ist die pakistanische Wirtschaft existenziell von den Beziehungen zu Saudi-Arabien
abhängig. Etwa 1,5 Mio. pakistanische Gastarbeiter leben und arbeiten im Königreich. So
stiegen die Rücküberweisungen von 510 Mio.
USD im Jahr 2004/05 auf 1,6 Mrd. USD im
Jahr 2008/09, was einem Gesamtanteil von
etwa 4,8% am pakistanischen BIP entspricht.
Dieser Wert stieg in den letzten Jahren nochmals deutlich an: Allein zwischen Juli und Au-
Zit. nach Burr, J. Millard, Collins, Robert O.: Alms for Jihad. Charity and Terrorism in the Islamic World,
Cambridge 2006, S. 26.
Vgl. al-Obeid, Faisal: Saudi Arabia asks Pakistan to increase security for its diplomats, Al-Shorfa, 18.
Mai 2011, http://www.al-shorfa.com/en_GB/articles/meii/features/main/2011/05/18/feature-02, abgerufen
am 22.10.2012.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
gust 2012 wurden insgesamt 657,78 Mio.
USD nach Pakistan überwiesen.72 Sollte sich
aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen
das Volumen der Rücküberweisungen in Zukunft reduzieren, droht dem krisengeschüttelten Pakistan der wirtschaftliche Kollaps.
Dementsprechend werden die Maßnahmen
der saudischen Regierung, durch unterschiedliche „Saudisierungskampagnen“ den
Anteil einheimischer Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt auf Kosten der asiatischen Migranten
zu erhöhen, in Pakistan mit Sorge betrachtet.
Trotz dieser Spannungsfelder wird die Allianz
zwischen Saudi-Arabien und Pakistan auch
zukünftig für beide Länder von fundamentaler
Bedeutung bleiben. Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass beide Länder über
ähnliche Probleme bei der Findung einer nationalen Identität verfügen. Saudi-Arabien definiert sich über die Omnipräsenz der Al Saud
und ihres Bündnisses mit den ulama, während Pakistan als Nation der asiatischen Muslime gegründet wurde, es aber seitdem nicht
gelungen ist, diese Vision mit Leben zu erfüllen. Ähnlich wie in Pakistan geben auch in
Saudi-Arabien die regionalen Unterschiede,
der Umgang mit konfessionellen ethnischen
Minderheiten sowie die Überideologisierung
der Alltagspolitik Anlass zu steigendem sozialem Protest. Auch wenn beide Länder aufgrund ihrer unterschiedlichen wirtschaftlichen
Situation nicht gleichgesetzt werden dürfen,
bilden diese strukturellen Hemmnisse doch
eine Parallele, die die bilaterale Partnerschaft
auf einer staatskonzeptionellen Ebene ebenfalls erklären könnte.
VII. Beziehungen zu internationalen Partnern – Quo Vadis?
VII.1 Deutschland
Saudi-Arabiens gewachsener Einfluss als
außenpolitischer Akteur in der Region fordert
auch die Bundesrepublik Deutschland heraus, ihre Beziehungen zum Königreich zu
intensivieren. Generell wird Saudi-Arabien als
pro-westlicher, eng mit den USA assoziierter
und verlässlicher Partner gesehen, der
aufgrund seines regionalen Einflusses auch
für Deutschland und die EU aus mehreren
Aspekten von besonderem Interesse ist.73
Hierbei befindet sich die bundesrepublikanische Nahostpolitik in der Situation, einerseits
72
73
die „historische Verantwortung“ gegenüber Israel aufrecht zu erhalten, andererseits den
geänderten Rahmenbedingungen im Nahen
und Mittleren Osten aufgrund des
„Arabischen Frühlings“ Rechnung zu tragen.
Die Unterstützung der arabischen Transformationsländer versucht die Bundesrepublik
mithilfe der so genannten „Transformationspartnerschaften“ und im Rahmen der bereits
bestehenden EU-Instrumente voran zu treiben und hat dafür mehrere Millionen Euro zur
Verfügung gestellt. Hierbei sollen der Aufbau
einer Zivilgesellschaft, demokratisch-pluralistischer Strukturen, eines nachhaltigen
Rechtssystems und die Förderung von staatlichen Institutionen sowie der Kampf gegen
die Korruption gefördert werden. Deutschland
bemüht sich somit, die einstige Unterstützung
für autoritäre Regime in eine weitgehend
wertorientierte Nahostpolitik zu modifizieren,
ohne die anderen Pfeiler deutscher Außenpolitik in der Region zu vernachlässigen:
(1) Wahrung der Interessen Israels und
Unterstützung des Nahost-Friedenprozesses;
(2) Sicherheit und Stabilität;
(3) Förderung von wirtschaftspolitischen
Kooperationen.
Dass sich dadurch in der realpolitischen Praxis häufig Widersprüche in der Wahrung pragmatischer Interessen und der öffentlichen
Wahrnehmung ergeben, zeigt vor allem die
deutsche Saudi-Arabien-Politik. Unter der
Prämisse einer werteorientierten Nahostpolitik und auch im Hinblick auf die Wahrung der
israelischen Sicherheit müsste Saudi-Arabien
deutlich kritischer bewertet werden. Doch der
Fokus liegt derzeit auf der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit und der Allianz bei
der Eindämmung Irans. Wirtschaftlich hat
Saudi-Arabien in den letzten Jahren für deutsche Unternehmen einen enormen Bedeutungsanstieg erfahren. Mittlerweile beginnen
auch deutsche KMU, in unterschiedlichen
Sektoren im Königreich tätig zu werden.
Dabei wird nicht mehr ausschließlich aus den
benachbarten Vereinigten Arabischen Emiraten operiert, sondern auch eigene Niederlassungen in den saudischen Zentren Riad oder
Jidda eröffnet. Deutsche Produkte genießen
in Saudi-Arabien über immense Wertschätzung. Auch wenn viele saudische Unternehmer vom verhältnismäßig hohen Preisniveau
Vgl. Raza, Anaam: Saudi Arabia becomes largest remittance provider to Pakistan, The News,
15. September 2012, http://www.thenews.com.pk/Todays-News-3-131948-Saudi-Arabia-becomeslargest-remittance-provider-to-Pakistan, abgerufen am 13.10.2012.
Vgl. Steinberg, Guido: Saudi-Arabien als Partner deutscher Nahostpolitik, SWP-Studie, Dezember 2008.
Deutsches Orient-Institut
29
Saudi-Arabien
deutscher Waren abgeschreckt reagieren und
sich nicht selten günstigeren Anbietern aus
China oder der Türkei zuwenden, führen negative Erfahrungen mit dem Qualitätsstandard häufig später zum Erwerb deutscher
Produkte.
Deutschland ist mit 7,7% Saudi-Arabiens drittwichtigster Wirtschaftspartner nach den USA
(13,2%) und China (11,7%). Dabei stieg das
deutsche Exportvolumen von 4,89 Mrd. EUR
im Jahr 2009 auf 6,87 Mrd. EUR im Jahr
2011. Wichtigste Exportgüter sind Maschinen
(21,1%), Kraftfahrzeuge und KfZ-Teile
(14,9%) sowie chemische Erzeugnisse mit
14,1%.74 Die steigende Präsenz von deutschen Unternehmen auf regionalen Fachmessen wie der Baumesse Saudi Build ist ein
weiteres Merkmal für den Bedeutungsgewinn
des saudischen Marktes. Dies wird durch die
politische Flankierung unterstützt. Hochrangige deutsche Politiker wie Wirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler im Juni 2012 in Riad
betonen die Attraktivität des saudischen
Marktes, die erfolgreich implementierten Reform- und Liberalisierungsmaßnahmen sowie
die engen historischen Beziehungen beider
Länder. Gleichzeitig wird Saudi-Arabien als
verlässlicher politischer Partner in einer Region des Umbruchs wahrgenommen. Die
Wahlerfolge von islamistischen Parteien in
Ägypten und Tunesien, die fragile politische
Situation in Libyen sowie der blutige Konflikt
in Syrien beunruhigen deutsche Außenpolitiker, sodass die Suche nach Stabilität wieder
höhere Priorität besitzt. Saudi-Arabien gilt in
der deutschen Analyse als weitgehend stabil
und gleichzeitig als einflussreicher Akteur in
den Transformationsstaaten.
Dennoch muss Deutschland zukünftig abwägen, ob und inwieweit eine intensive Kooperation mit dem repressiv gegen Minderheiten
agierenden Königshaus gewollt ist und argumentativ vertreten werden kann. Mit Sicherheit sollte Saudi-Arabien in der deutschen
Nahostpolitik eine bedeutendere Rolle einnehmen als in der Vergangenheit, allerdings
sollte dieses Verhältnis nicht allein nach dem
realpolitischen Nutzen, sondern auch auf der
Basis einer „werteorientierten Außenpolitik“
bewertet werden. Hierbei dienen die Spekulationen um die Lieferung von deutschen Panzern an das saudische Königshaus als
aussagekräftiges Beispiel. Immerhin gilt
74
75
30
Saudi-Arabien als gegenrevolutionäre Regional-macht, die brutal gegen ethnische und
religiöse Minderheiten vorgeht, die bahrainische Herrscherfamilie gegen die Aufständischen unterstützte, Geschlechtertrennung
und religiöse Intoleranz proklamiert und nur
rudimentäre Ansätze von demokratischen
Strukturen zulässt. Diese innersaudische Realität muss die deutsche Saudi-ArabienPolitik berücksichtigen, um für die durchaus
selbstbewusste Al Saud nicht zu einer willfährigen Marionette saudischer (Wirtschafts)Interessen zu werden, sondern
eigenständig, kritisch und möglichst unvoreingenommen mit Saudi-Arabien umzugehen. Gelingt dies, kann Deutschland
einerseits seinen strategischen Einfluss in der
Region ausbauen und andererseits mittelfristig den Reformwillen Saudi-Arabiens unterstützen.
VII.2 Russland
Das Verhältnis Saudi-Arabiens zu Russland
ist seit vielen Jahrzehnten durch immer
wiederkehrende Phasen der Spannungen
und der Annäherung bestimmt. Momentan befinden sich die bilateralen Beziehungen auf
einem historischen Tiefststand, was sich vor
allem an der unterschiedlichen Perzeption der
Syrien-Krise festmachen lässt.75 Während
Saudi-Arabien dem alawitischen Regime von
Bashar al-Assad bereits aus ideologischen
Faktoren stets kritisch gegenüberstand und
dessen Nähe zu Iran als Bedrohung der eigenen Sicherheitsinteressen wahrnahm,
unterstützen Akteure in Saudi-Arabien seit
Monaten die sunnitischen Oppositionsgruppen mit Geld und Waffen. In welchem Umfang
sich das saudische Königshaus bei dieser
Unterstützung engagiert, bleibt zwar umstritten, doch wird in saudischen Medien und in
Moscheen offen dazu aufgerufen, für die sunnitischen „Brüder“ in Syrien zu spenden. Es
ist auch nicht ausgeschlossen, dass saudische Jihadisten mittlerweile gegen das syrische Regime kämpfen. Ob dies vom
Königshaus nur geduldet oder gar initiiert ist,
kann nicht beurteilt werden.
Russland hingegen gilt nach wie vor als vehementer Befürworter des Assad-Regimes.
Gemeinsam mit China verhinderte Russland
immer wieder Syrien-Resolutionen im UN-Sicherheitsrat, die ein energisches Einschreiten
Vgl. Germany Trade and Invest: Saudi-Arabien – Wirtschaftsdaten kompakt, Mai 2012,
http://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Fachdaten/PUB/2012/05/pub201205298035_159740.pdf,
abgerufen am 22.10.2012.
Vgl. Al Tamamy, Saud Mousaed: Hegemonic or Defensive? Patterns of Saudi Foreign Policy in the
Era of the Arab Spring, in: Orient IV/2012, S. 14-21.
Deutsches Orient-Institut
Saudi-Arabien
der internationalen Gemeinschaft in Syrien legitimiert hätten. Russlands strategisches
Interesse gilt nicht allein dem eigenen Militärhafen in Tartus, sondern auch der generellen
Prämisse, dass ein Sturz des antiamerikanischen Regimes von Bashar al-Assad auch
die Stellung Russlands in der Region zugunsten der USA schwächen würde.
Der diametrale Gegensatz zwischen SaudiArabien und Russland in der außenpolitischen Konzeption beschränkt sich jedoch
nicht allein auf die Syrien-Frage, sondern erlangt regionale Bedeutung, da Russlands
Nähe zu Assad auch gleichzeitig als Nähe zu
Iran bewertet wird, welches neben Russland
als engster Verbündeter des syrischen Präsidenten gilt. So verfolgt Russland in Syrien
nicht nur seine eigenen Interessen, sondern
beeinflusst auch den iranisch-saudischen Hegemonialkonflikt, der mittlerweile in Syrien als
Stellvertreterkrieg ausgefochten wird. Während Saudi-Arabien den Sturz des alawitischschiitischen Regimes forciert, um Iran zu
schwächen und seine sunnitisch-wahhabitische Missionierungsagenda durchzusetzen,
richtet sich Russland gegen diese Ambitionen, was das Verhältnis nochmals verschlechtert hat.
Historisch befand sich Saudi-Arabien auch
während des Kalten Krieges im antisowjetischen Block, versuchte als enger Verbündeter
der USA, die Sowjetunion zu schwächen und
unterstützte die mujahidin in ihrem Kampf
gegen die Sowjets in Afghanistan. Weil sich
die Sowjetunion gleichzeitig weigerte, in die
OPEC einzutreten und die Ölexporte erhöhte,
wurden sie auch zu einem wirtschaftlichen
Konkurrenten Saudi-Arabiens. Während der
1990er Jahre blieben diese Spannungen weitgehend bestehen, zumal sich Russland nun
mehr und mehr Iran und Syrien annäherte.
Gleichzeitig wurde Saudi-Arabien beschuldigt, im tschetschenischen Bürgerkrieg auf
Seiten der Rebellen eingegriffen zu haben.
Auch wenn sich das Verhältnis aufgrund der
hohen Ölpreise nach der Jahrtausendwende
verbesserte, blieb es doch immer fragil, ehe
die Krise in Syrien wieder zu verhärteten
Fronten führte. Russland wirft Saudi-Arabien
(nicht zu Unrecht) vor, weltweit sunnitischwahhabitische Gruppierungen zu unterstützen, was sich auch auf die innerrussische
Stabilität auswirken könnte, wenn die saudische Hilfe auch Muslime im Nordkaukasus er-
76
reichen würde. Saudi-Arabien hingegen kann
die russische Haltung in Syrien aus Eigeninteressen weder akzeptieren noch respektieren, sodass eine schnelle Entspannung des
Verhältnisses nicht zu erwarten sein dürfte.
Sollte sich Russland jedoch mit der neuen syrischen Regierung arrangieren und Iran mitisolieren,
würden
sich
auch
die
russisch-saudischen Verhältnisse rapide verbessern.76
VIII. Perspektiven
Saudi-Arabiens Außenpolitik in Zeiten des
„Arabischen Frühlings“ als ausschließlich
„konterrevolutionär“ zu bewerten, wäre zu einseitig. Ohne Zweifel verfolgt das Königreich
eine Bewahrung des Status quo, zeigt aber
im Umgang mit Syrien und Bahrain, dass es
gewillt ist, die Ereignisse nach eigenem Willen
voranzutreiben. Hierbei werden Demokratisierungsbestrebungen dann unterstützt, wenn
sie den eigenen Interessen entsprechen (Libyen), während sicherheitsgefährdende Entwicklungen unterdrückt werden (Bahrain,
Jemen).
Dabei wird die saudische Außenpolitik durch
den Konflikt mit Iran bestimmt: Alles, was den
Konkurrenten schwächt, nutzt der innersaudischen Stabilität, so das Credo. Vor diesem
Hintergrund muss insbesondere die Syrien-,
Jemen- und Bahrain-Politik bewertet werden.
Dabei ist momentan noch nicht abzusehen,
ob Saudi-Arabien als monarchischer Gewinner oder Verlierer des „Arabischen Frühlings“
gesehen werden kann. Derzeit wirkt das
Königshaus zwar stabil, doch innere Herausforderungen wie die angespannte sozioökonomische Lage, die wachsende Armut sowie
die ungeregelte Nachfolgefrage und die fortschrittshemmende Überalterung der Al Saud
sind nur einige Faktoren, die sich auch kontraproduktiv auf die Außenpolitik auswirken.
Grundsätzlich basiert diese neben dem Konflikt mit Iran auf der Partnerschaft mit den USA
sowie der Unterstützung wahhabitisch-sunnitischer Strömungen in der ganzen Welt. Beide
Grundpfeiler sehen sich durch die Entwicklungen seit 9/11 zunehmenden Herausforderungen gegenübergestellt. Mittlerweile ist das
saudisch-US-amerikanische Verhältnis keineswegs mehr symbiotisch, sondern muss in
Einzelfragen immer wieder neu ausgehandelt
werden. Der „Kampf gegen den Terrorismus“
und die unrühmliche Rolle Saudi-Arabiens im
Vgl. Katz, Mark N.: The Impact of the Arab Spring on Saudi-Russian Relations, in: Orient IV/2012,
S. 27-31.
Deutsches Orient-Institut
31
Saudi-Arabien
Vorfeld der Attentate vom 11. September
2001 seit der Unterstützung der mujahidin in
Afghanistan haben zu tief greifenden Verwerfungen zwischen Riad und Washington geführt, die nur langsam ausgeräumt werden
konnten. Sollte Saudi-Arabien in Zukunft
weiterhin Demokratisierungsbestrebungen in
der direkten Umgebung unterdrücken und im
eigenen Land keine fundamentalen Reformen
implementieren, könnte dies zu US-amerikanischer Kritik führen. Gleichzeitig könnte ein
drohender Krieg gegen Iran jedoch beide
Partner wieder enger zusammenführen.
Saudi-Arabien bleibt aufgrund seiner religiösen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Bedeutung in Zukunft einer der wichtigsten
außenpolitischen Akteure im Nahen und Mittleren Osten. Längst hat das Königreich zusammen
mit
Katar
den
einstmals
einflussreichen arabischen Führungsmächten
Ägypten oder Syrien den Rang abgelaufen
und sieht sich an der Spitze der sunnitischen
umma. Hierbei gelang es den diversen
außenpolitischen Akteuren in Saudi-Arabien
in der Vergangenheit geschickt, realpolitisches und ideologisches Interesse zu kombinieren, um die Bewahrung der eigenen
Machtposition zu erreichen. Dabei übernahm
auch der aktuelle König Abdullah eine entscheidende Funktion: Als Reformer gefeiert,
als Versöhner gerühmt, als Hardliner gegen
innere Feinde akzeptiert wird er von der großen Mehrheit in der arabisch-sunnitischen
Welt geachtet und verleiht damit der autoritären Herrschaft mehr Legitimation als den gestürzten Führern der Präsidialsysteme in
Tunesien oder Ägypten. Dennoch: Abdullah,
mittlerweile 87 Jahre alt, verliert aufgrund seines hohen Alters und seiner Krankheiten
immer mehr an Tatkraft. Zwar wurde nach
dem Tod der beiden eigentlichen Thronfolger
Sultan und Naif innerhalb eines Jahres der
langjährige Gouverneur von Riad Salman
zum neuen Prätendenten ernannt, doch auch
er ist gesundheitlich angeschlagen und mit 78
Jahren keineswegs ein Vertreter der jüngeren
Generation. Sollte die Nachfolgeregelung
nicht grundsätzlich neu gelöst werden, indem
auch Enkel des Staatsgründers Ibn Saud den
Thron besteigen dürfen, droht dem Königreich
ein Machtkampf um die immer kürzer werdenden Herrschaftsperioden.77
Dies hätte unweigerlich Auswirkungen auf die
Außenpolitik, die stark personalisiert und von
der Entscheidungskraft des Königs abhängig
ist. Durch ein sich abzeichnendes Machtvakuum an der Spitze der Al Saud könnte sich
die Konzentration der Prinzenelite auf die
Innenpolitik fokussieren, was zu einer Vernachlässigung außenpolitischer Themen führen könnte. Dies zu verhindern, muss das Ziel
der Al Saud sein, um einerseits die innere
Machtposition zu bewahren und andererseits
die neu gewonnene außenpolitische Autorität
auszubauen.
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Deutsches Orient-Institut
Katar
A
I. Einleitung
m 2. Dezember 2010 rückte Katar erstmals spürbar in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Mit dem Zuspruch für die
FIFA Weltmeisterschaft 2022 begann für das
kleine Emirat am Golf in vielerlei Hinsicht eine
neue Ära. Heute, knappe zwei Jahre später,
wirkt die Begeisterung über die Ausrichtung
solch eines internationalen Events besonders
wirtschaftlich immer noch stark nach. In dieser Zeit veränderte sich aber auch auf der
außenpolitischen Bühne einiges für Katar. Die
über lange Jahre von der internationalen Gemeinschaft stets geschätzte Rolle als Mediator des Zwergstaates, besonders zwischen
sunnitischen und schiitisch geprägten
Ländern, schwenkte im Zuge des Syrien-Konfliktes in eine klare Parteinahme der oppositionellen Position, nachdem man schon im
Libyen-Krieg klar Stellung für die Rebellen
und die UN-Resolution bezogen hatte. Die
Auswirkungen für den Staat selbst und die
Region in Zukunft sind kaum abzuschätzen,
gleichwohl diese Haltung die ohnehin schwierige politische Situation in der Region des
Nahen und Mittleren Ostens sicher nicht einfacher gestalten wird. Das Machtgefüge im
Nahen und Mittleren Osten könnte sich mit
der Umorientierung von Katar zu einer offensiveren außenpolitischen Strategie ändern.
Der Mikro-Staat1, mit einer Fläche von 11.437
km² etwa 7-mal kleiner als die Vereinigten
Arabischen Emirate (VAE), ist in den vergangenen Jahren sukzessive zum „global player“
geworden. Wirtschaftlich war dies durch die
großen Öl-, aber vor allem Gasvorkommen
nördlich des Landes schon lange der Fall. Mit
dem Reichtum des Landes, das nunmehr fast
zwei Millionen Einwohner zählt, wobei die einheimische Bevölkerung mit ca. 250.000 einen
sehr geringen Teil ausmacht, kam auch ein
neuer eigener außenpolitischer Anspruch auf,
der vor allem durch den Emir von Katar,
Hamad bin Khalifa Al Thani, vorangetrieben
wurde und wird. Katar hat wie auch die Vereinigten Arabischen Emirate schnell bemerkt,
dass nur durch die endlichen Ressourcen wie
Gas oder Öl auf Dauer keine zukunftsfähige
Wirtschaft bestehen kann und man diese
möglichst exklusiv diversifizieren muss. Exklusiv
bedeutet
in
diesem
Zusammenhang eine bestimmte wirtschaftliche Nische zu finden. Die VAE setzen beispielsweise auf den Immobiliensektor, Katar
hingegen konzentriert sich auf Konferenz-
1
und Eventaustragung, auf den Finanz- und
kommerziellen, sowie auf den Bildungssektor.
Die außenpolitische Profilierung des Staates
gelang zudem besonders durch die Mitwirkung in internationalen Organisationen, Verbänden, Gremien und Staaten- bzw.
Wirtschaftsbündnissen. So ist Katar Mitglied
der UN, Gründungsmitglied der Arabischen
Liga, als auch Mitglied der OAPEC, OPEC
und des Golf-Kooperationsrates (GKR). Die
bereits erwähnte Rolle Katars als Mediator
führte in der Vergangenheit zu mehreren Erfolgen. Zu nennen wären die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien im Libanon 2008,
mehrere zumindest kurzzeitig erfolgreiche
Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der
Regierung des Jemen und den Huthi-Rebellen, zuletzt im August 2010, aber vor allem die
Vermittlerrolle zwischen Iran, den sunnitischen Staaten, wie beispielsweise Saudi-Arabien, dem großen Nachbarn Katars, und dem
„Westen“. Diese Rolle als Vermittler und „Wogenglätter“ änderte sich jedoch auch schon
während des „Arabischen Frühlings“, als
Katar beispielsweise im Libyen-Konflikt 2011
die Rebellen mit Geldmitteln unterstützte oder
ihnen half, gelagertes Erdöl zu verkaufen. Es
scheint derzeit so, als sei das Emirat davon
abgekommen, den Balanceakt eines Vermittlers weiter zu verfolgen. Dies wird mit hoher
Wahrscheinlichkeit direkte Auswirkungen auf
die Beziehungen zwischen den beiden großen Nachbarn Saudi-Arabien und Iran zu
Katar haben.
Dieses Kapitel soll versuchen, die aktuellen
Entwicklungen in der Außenpolitik Katars zu
analysieren; dies besonders vor dem Hintergrund der großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in der Region im Zuge
des „Arabischen Frühlings“. Damit verbunden
soll die Rolle des Landes in der Region in der
nahen Vergangenheit und der Gegenwart umrissen werden. Dazu gehören auch eine Analyse der Beziehungen ausgewählter Staaten
der Region mit Katar. Abschließend sollen
unter Berücksichtigung dieser Analysen Perspektiven für die Außenpolitik des Landes gegeben werden.
II. Die Rolle Katars in der Region
II.1 Historische und geopolitische Voraussetzungen
Um die gegenwärtige außenpolitische Strategie Katars und damit die Rolle des Landes in
Vgl. Auswärtiges Amt: Länderinfos Katar, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/
Laenderinfos/01Laender/Katar.html, abgerufen am 02.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
37
Katar
und für die Region vertiefend analysieren zu
können, sollte man einen kurzen Exkurs in die
Geschichte Katars wagen. Viele Beziehungsgeflechte,
die
auch
heute
noch
relevant sind, begründen sich auf historische,
geographische und teils auch religiöse Gegebenheiten, die hier kurz umrissen werden sollen.
Katar besitzt traditionell eine geotrategisch
wichtige Position. Die kleine Halbinsel ragt
von Saudi-Arabien aus nördlich in den Golf,
was sie zu einem wichtigen maritimen, kommerziellen und auch militärischen Stützpunkt
macht. Die Geschichte Katars bis zur Entdeckung des Erdöls und später des Erdgases
verlief wellenartig und wurde von diversen
kulturellen und traditionellen Eigenheiten bestimmt. Immer wieder geriet die Halbinsel
unter den Einfluss ausländischer Mächte wie
den Abbasiden, Portugiesen, Osmanen oder
Großbritannien2. Nachdem die Osmanen
1913 die Kontrolle über Katar verloren hatten,
geriet es schnell unter den Einfluss des Vereinigten Königreichs und war damit in das britische System eingebunden.
Drei Jahre später übernahm die Familie Al
Thani die Herrschaft, welche das Land auch
heute noch regiert. Im Jahre 1939 wurden die
ersten Ölvorkommen entdeckt, was wenig
später zu ersten territorialen Streitigkeiten mit
dem Nachbarn Bahrain führte. Ähnliche Konflikte entflammten traditionell auch stets mit
dem südlichen Nachbarn Saudi-Arabien, die
weniger aufgrund von Streitigkeiten um
Ressourcen als aufgrund von Herrschaftsansprüchen des saudischen Königreichs geführt
wurden. Lange Zeit betrachtete die saudische
Herrscherfamilie Al Saud die Halbinsel als
ihren Einflussbereich, was bei den katarischen Machthabern zur Sorge vor einer saudischen Annexion führte3.
Mit der Entdeckung des Erdöls machte Katar
ab Mitte der 1960er Jahre bis Mitte der
1980er Jahre, nachdem sich die Briten 1971
aus der Region zurückzogen, eine Transformation von einem armen britischen Protektorat zu einem unabhängigen, modernen und
wohlhabenden Staat durch. Die Infrastruktur,
Industrie und der Dienstleistungssektor
2
3
4
5
6
38
wurden finanziert mit Gewinnen aus der
Erdölproduktion, jedoch vor allem von ausländischen Arbeitskräften und Know-how getragen - eine Praxis, die sich in Katar bis
heute bewährt hat. Bis in die 1990er Jahre
war Katar sehr abhängig vom internationalen
Ölmarkt, bis man enorme Gasvorkommen
nördlich der Halbinsel im Golf im so genannten „North Field“ fand. Sogleich begann man,
die Industrie von Öl- zu Gasförderung umzustrukturieren. Der Fund des drittgrößten bisher entdeckten Gasvorkommens der Welt
brachte aber auch politisch einen Einschnitt.
Denn der Iran erhob Anspruch auf den nördlichen Teil des Feldes, was in erster Linie zunächst
zur
Notwendigkeit
engerer
Beziehungen und Kommunikation zwischen
beiden Staaten führte.
Diese Eckpunkte der geschichtlichen Entwicklung Katars im 20. Jahrhundert verdeutlichen, dass Katars Stellung in der Region und
in der Welt von einigen Zwängen und Problemen geprägt ist, denen üblicherweise viele
so genannte „Mikro-Staaten“ unterworfen
sind.
Die mit fast zwei Millionen Einwohnern (davon
nur 250.000 mit katarischer Staatsbürgerschaft) geringe, wenn auch deutlich gestiegene Bevölkerungszahl4, zwingt das Land
dazu, Bündnisse mit potenteren Partnern einzugehen, um Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Handlungsfreiheit zu erreichen.
Dadurch zeigt sich das Land bei externem
Druck in der Regel viel verletzlicher als
beispielsweise der bevölkerungsstärkere
Nachbar Saudi-Arabien. Der große Ressourcenreichtum birgt die Gefahr, dass bevölkerungsreichere aber ressourcenarme Länder
mit Missgunst auf Katar blicken könnten, was
beispielsweise beim fragilen bilateralen Verhältnis zwischen Katar und Kuwait deutlich
wird. Zudem kämpft das bevölkerungsarme
Katar mit Korruption, Klientelismus und
Patronagenetzwerken5, wenngleich in den
letzten Jahren vermehrt Anstrengungen
unternommen wurden, insbesondere die Korruption in staatlichen Institutionen zu senken,
sodass Katar im Korruptionsindex des Jahres
2011 von Transparency International auf
Rang 22 von 178 gelistet wurde6.
Zur Geschichte Katars: Fromherz, Allen J.: Qatar. A Modern History, London 2012, S. 44 ff.
Vgl.: Toth, Anthony: Qatar. Historical Background, in LOC (1993).
So betrug das jährliche Bevölkerungswachstum im Jahr 2000 noch 3,3%, ehe es bis 2007 auf 2,4% sank.
Im Jahr 2011 lag es nur noch bei 0,8%.
Vgl.: Peterson, J. E. : Qatar and the World. Branding for a Micro-State, in: MEJ, Bd. 60, Nr. 4 (2006),
S. 748.
Vgl. Transparency International: Corruption Perception Index 2011,
http://www.cpi.transparency.org/cpi2011/results/, abgerufen am 25.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
Katar
II.2 Innenpolitische Reformen und Reaktionen Katars auf internationale Herausforderungen
Auf die oben genannten Voraussetzungen
musste das Emirat auch innenpolitisch reagieren. Die heutige Stellung Katars als wichtiger prowestlicher außenpolitischer Partner
und wirtschaftliche Macht in der Region
konnte nur durch eine spezielle innenpolitische Strategie erreicht werden. Diese führte
letztlich zu einer dezidierten Außenwirkung
auf die internationale Gemeinschaft, die die
jeweilige Beziehung Katars zu den unterschiedlichen Ländern der Region oder auch
dem Westen determiniert.
Das Ende des Ölbooms verlangte im Grunde
von jedem GKR-Staat, so auch von Katar, die
schrittweise Integration in die globalisierte
Wirtschaft. Dies und starke demographische
Veränderungen brachten gewisse innenpolitische Zwänge mit sich, sodass das bisher
funktionierende System eines Rentierstaates
unter dem Motto „representation without
taxation“ (keine Repräsentation ohne
Besteuerung) mittlerweile an seine Grenzen
stößt. Daraus resultierte die Entstehung einer
Vielzahl von „Pseudo-Demokratien“ in der Region. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine
Verbindung zwischen sozio-ökonomischen
Veränderungen und einem graduellen Übergang zu einer breiteren (scheinbaren) politischen Mitbestimmung in den autokratischen
Herrschaftssystemen der Golfstaaten geben
könnte. Katar stellt hier einen Sonderfall dar,
weil die innenpolitischen Veränderungen im
Land nicht aufgrund von wirtschaftlichen und
demographischen Zwängen oder sozialen
Druck seitens der Bevölkerung ausgingen.
Vielmehr waren es Zugeständnisse des
Emirs, die unaufgefordert und bewusst in die
Wege geleitet wurden. Nach der Transformation Katars hin zu einer modernen Marktwirtschaft
und
wegen
der
wenigen
gesellschaftlichen Spannungen, lagen die
internationalen Herausforderungen für den
Emir besonders in der internationalen öffentlichen Kenntnisnahme des Landes.
Die innenpolitischen Reformen, die in den
letzten Jahren und Jahrzehnten angestoßen
und realisiert wurden, waren also sicherlich
eine wirtschaftliche, aber nur in Teilen eine
politische Notwendigkeit. Katar blieb bisher
aufgrund des existierenden Gesellschaftsvertrages zwischen Königshaus und Bevölke-
7
rung von breiter politischer Opposition verschont: Solange das Könighaus wirtschaftliche und politische Stabilität garantiert, erhält
es im Gegenzug politische Loyalität. Das Emirat ist aufgrund seiner geringen Bevölkerungszahl, der Sicherung von Arbeitsplätzen
in einem großen bürokratischen Apparat und
seinm kostenlosem Bildungs- und Gesundheitssystem ein untypisches Umfeld für innenpolitische Veränderungen. Bei den Reformen
ist erkennbar, dass diese nicht zuletzt der
Mehrzahl der Bevölkerung, also den ausländischen Arbeitern, sowie den jungen Einheimischen das Bild eines liberalen und
großzügigen Staates vermitteln sollen.
Die Reformen in Katar bedeuten eine limitierte Liberalisierung unter dem Eindruck einer
gewissen Pluralisierung der Macht- und Einflusszentren. Sie beinhalten vor allem die
Stärkung des Privatsektors und eine formelle
Demokratisierung, wie beispielsweise die Einrichtung von Kommunalwahlen. Die wirtschaftliche Liberalisierung stärkte in den
letzten Jahren den Einfluss und die Autonomie der Handelskammern oder anderen Handelsorganisationen, während die Gründung
des Satellitensenders Al Jazeera und der Beschluss, ab 1999 kommunale Vertreter wählen zu dürfen, als Zeichen für eine gewisse
Demokratisierung gesehen werden können.
Ab 2011 dürfen auch Frauen ihre Stimme abgeben. Bei den Kommunalwahlen werden
insgesamt 29 Ratsmitglieder aus zehn Verwaltungsbezirken gewählt. Daneben existiert
die Ratsversammlung Majlis al-Shura7 , deren
Erweiterung 2005 mit der neuen Verfassung
beschlossen wurde.
Der Rat soll aus 45 Mitgliedern bestehen, von
denen 30 direkt gewählt werden könnten. Bisher wurden jedoch alle Mitglieder persönlich
vom Emir ernannt. In diesem Jahre kündigte
nun der Emir Wahlen für 2013 an. Die wirtschaftliche Liberalisierung und die Stärkung
des Privatsektors hat aber auch eine klare
Grenze: die Nichtunterscheidung zwischen
öffentlichen und privaten Geldern des Staates. So ist als ein Bedingungsfaktor von
Machtbeteiligung die finanzpolitische Kontrolle und nicht realdemokratische Strukturen
anzusehen. Alle Entscheidungen zu Großprojekten oder politischen Personalfragen laufen über den Emir. Die autokratische
Herrschaft ist durch die Reformen nicht angetastet worden. Katar ist also im klassischen
Sinne noch ein Rentier-Staat, hat aber seinen
Bundeszentrale für Politische Bildung: Innerstaatliche Konflikte. Jemen, http://www.bpb.de/internationa
les/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54611/jemen, abgerufen am 08.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
39
Katar
Markt der Privatwirtschaft geöffnet, die bislang nur zur Unterstützung der Großprojekte
dient.
Zusammenfassend ergeben sich aus den
innenpolitischen
Reformen
folgende
Schlüsse: Die politische Elite hat eine
bewusste politische Entscheidung für Reformen getroffen, besonders um Unterstützung
aus der jungen Generation der Kataris, den
ausländischen Arbeitern im Land und dem
Westen zu erhalten. Außerdem, und das ist
der wichtigste Punkt, erfolgte eine Demokratisierung des Landes nicht, um die politischen
Partizipationsmechanismen zu erweitern,
sondern um Katar eine exponierte Position in
der Region als Reformer zukommen zu
lassen.8 Das Machtgefüge zwischen Herrscherfamilie und Gesellschaft hat sich durch
die Reformen nicht grundlegend geändert.9
II. 3 Al Jazeera – Politisches Instrument oder
medialer Revolutionär?
Die arabische Medienlandschaft, bis dahin
vor allem von Saudi-Arabien getragen, änderte sich grundlegend mit der Gründung von
Al Jazeera im Jahr 1996 in Katars Hauptstadt
Doha. Finanziert wird der Satellitensender
von Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani, was
zuerst einmal dafür sprach, dass ein weiterer
staatlich getragener Nachrichtensender
gegen das bis dahin vorherrschende saudische Presse- und Informationsmonopol
angehen wollte, ohne jedoch freie unzensierte
Berichterstattung zuzulassen. Doch die Etablierung von Al Jazeera kann stattdessen als
wesentlicher Teil der innenpolitischen Reformen bewertet werden und sollte nach außen
ein Zeichen für die Liberalisierung des Landes setzen. Die rasante Entwicklung zum
wichtigsten Leitmedium der arabischen Welt,
die Al Jazeera innerhalb kürzester Zeit durchlief, war dennoch sicherlich nicht vom katarischen
Herrscherhaus
vorherzusehen
gewesen.
Zwar wurde die Gründung des Senders
maßgeblich durch das Herrscherhaus initiiert,
die Berichterstattung erfolgt jedoch bei vielen
Themenschwerpunkten unabhängig und
kritisch. Dies mag zum einen daran liegen,
dass einige der Journalisten von dem kurz vor
der Gründung geschlossenen BBC-Nachrichtenstudio in Doha zu Al Jazeera wechselten.
Dadurch orientierte sich der Sender bei
8
9
10
40
journalistischen Methoden, Aufmachung,
Themenfindung und Recherche am angloamerikanischen Nachrichtenformat. Ob dies
aus rein pragmatischen Gründen, da alle
Ressourcen noch vor Ort waren, geschah,
oder bewusst entschieden wurde, ist kaum zu
beantworten. Ein Novum war aber sicherlich
zunächst der Standort in Katar, denn die von
Saudi-Arabien getragenen arabischen Nachrichtensender hatten ihre Hauptsitze zunächst
in Europa.
Al Jazeera war und ist jedoch in erster Linie
ein arabischer Sender, vertritt die oftmals sehr
diffizile und heterogene Auffassung einer mediatisierten arabischen Öffentlichkeit und hat
sich durch die Wucht der Bilder, die Offenheit
der Berichterstattung und die pro-oppositionelle Positionierung während der Aufstände
in Tunesien, Ägypten und Libyen längst zu
dem wichtigsten Leitmedium im Nahen und
Mittleren Osten entwickelt. Allerdings verfolgt
man inhaltlich keine klare politische Linie. Die
Positionierung scheint immer themenspezifisch, mal liberal, mal mit eher konservativer
Stoßrichtung, die sich auch gegenüber den
USA kritisch äußert. Der offene Umgang mit
kritischen, oftmals tabuisierten Themen sowie
der bis dahin wenig praktizierte investigative
Journalismus, brachte schnellen Erfolg in
Form von Einschaltquoten besonders bei den
jüngeren Generationen. Tabus, die der Sender brach, sind vor allem politischer Natur.
Zum einen gab man verhassten politischen
Figuren und Extremisten, auch Mitgliedern
von Al Qaida wie Usama bin Ladin, Sendezeit. Zum anderen war Al Jazeera das erste
arabische Programm, welches Israelis erlaubte, ihre Ansichten in eigenen Worten im
Fernsehen darzustellen. Themen, die Israel
betreffen, werden nicht stigmatisiert, sondern
oftmals journalistisch objektiv angegangen –
auch das ein Novum in der vielfach anti-israelischen, zensierten und propaganda-lastigen Medienlandschaft des Nahen und
Mittleren Ostens. Daneben werden arabische
Regierungen ebenso hart kritisiert wie internationale Politik im Nahen und Mittleren
Osten und sogar der Financier und Gründer
Katar wird in Einzelfragen skeptisch analysiert, wenngleich aber die Kritik am Herrscherhaus Al Thani als weitgehendes Tabu
gilt, was den Mythos der „Oase der Pressefreiheit“ im Nahen und Mittleren Osten deutlich trübt.10
Ebd., S. 60.
Ebd.
Vgl.: Miles, Hugh: Al Jazeera, in: Foreign Policy, Nr. 155 (2006), S. 20-24.
Deutsches Orient-Institut
Katar
So konnte auch durch Al Jazeera in den letzten Jahren ein panarabischer, transnationaler
öffentlicher Raum entstehen. Umso erstaunlicher scheint es, dass solch eine weitgehend
liberale Berichterstattung neben autoritären
politischen Regimes existieren kann.11
Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob auch die
durch Al Jazeera ausgelöste „mediale Revolution“ die politisch-sozialen Umwälzungen
des „Arabischen Frühlings“ mit ausgelöst
haben.
Harsche Kritik am Sender wird indes auch
mannigfaltig geäußert, ob inner- oder außerhalb der arabischen Welt. Umstritten ist vor
allem die Haltung gegenüber Israel und die
teilweise Nähe zu islamistischen Positionen.
Besonders misstrauisch zeigen sich die Kritiker jedoch gegenüber der Berichterstattung
über die Herrscherfamilie Katars, die als
Hauptinvestor des Nachrichtennetzwerkes
selten als Gegenstand von kritischer Berichterstattung dient. Viele Skeptiker behaupten,
die Berichterstattung des Senders folge ausschließlich den diplomatischen Vorgaben und
geostrategischen Interessen Katars, sodass
die liberale Ausrichtung nur als Fassade diene
und in Wahrheit als politisches Instrument eingesetzt wird. Zwar kann eine direkte Beeinflussung der Programmgestaltung des
Senders durch die politische Elite Katars nicht
attestiert werden, allerdings spielt Al Jazeera
der gewünschten Außenwirkung des Landes
zu.
II.4 Katars Rolle als Mediator
Zunächst bietet es sich an, die diplomatischen
Beziehungen, die Katar als so genannter „Mediator“ pflegt, genauer zu untersuchen. Dabei
ist es wichtig, genau zu unterscheiden, welche Akteure in der jeweiligen Situation eine
Rolle spielten und welche Beziehung Katar zu
diesen hatte. Auch die Frage, warum sich das
Emirat in einen bestimmten Konflikt einschaltete und sich aus anderen heraushielt, soll
diskutiert werden. Hierbei soll im Folgenden
auf einige exemplarische Konflikte eingegangen werden, in denen sich Katar bemühte, als
Vermittler oder „ehrlicher Makler“ aufzutreten,
um gleichzeitig de-eskalierend und imagefördernd Einfluss zu nehmen. Im weitesten
Sinne bedeutet der Begriff „Mediator“ Vermittler in bestimmten Kommunikationsprozessen.
Das setzt voraus, dass Katar nicht aktiv Vorschläge unterbreitet, sondern versucht, die
Verhandlungsparteien auf eine gleiche Ge11
sprächsbasis zu bringen und diese Gespräche möglichst neutral zu moderieren. Insbesondere die Neutralität Katars muss jedoch in
vielen Fällen in Frage gestellt werden, da es
dem Herrscherhaus vielmehr auch darum
ging, die angebliche Neutralität für eigene
Interessen zu nutzen.
Mit dem wirtschaftlichen Boom in Katar, der
den Kleinstaat zunächst finanziell und später
auch infrastrukturell auf eine Ebene mit anderen erdölproduzierenden Ländern der
Region brachte oder diese gar überholte,
erhöhte sich zum einen die internationale Aufmerksamkeit des bis dahin weitgehend unbeachteten Landes, zum anderen erstarkte
seitens des Regimes der Anspruch, auch
außenpolitisch eine größere Rolle zu spielen.
So suchte Katar bereits vor einigen Jahrzehnten die engere Kooperation mit arabischen Nachbarn. Vor diesem Hintergrund trat
Katar 1971 in die Arabische Liga ein, die die
wirtschaftliche, kulturelle und politische Zusammenarbeit der einzelnen Mitgliedsstaaten
fördern, sowie die Souveränität ihrer Mitglieder garantieren will und dafür im Streitfall
schlichtende Funktionen übernehmen soll. So
nutzte Katar seitdem die Arabische Liga oft,
um seiner Vermittlerrolle den nötigen
Nachdruck zu verleihen und um sich in deren
Gemeinschaft hervorzuheben.
Exemplarisch kann man Katars Rolle als
Mediator an seinen Beziehungen in der Vergangenheit zu den Ländern Libanon, Jemen,
Iran und Israel festmachen. Die Beziehung zu
Israel stellt eine fragile Besonderheit für alle
arabischen Staaten dar. Kurz nach der Machtübernahme des heutigen Emirs 1996 richtete
man gegenseitige Vertretungen ein, die zwar
offiziell als Handelsvertretungen gelten, aber
praktisch als Botschaften fungieren und seitdem mit Unterbrechungen, wie z.B. im GazaKrieg 2008/2009, den Austausch in Kultur,
Wissenschaft und Wirtschaft zwischen beiden
Ländern vorantreiben. Hierbei basiert das
Verhältnis Katars zu Israel weniger auf
ideologischen, denn vielmehr pragmatischen
Grundlagen, womit sich Katar von anderen
arabischen Staaten und deren anti-israelischer Haltung deutlich abhebt. Katar will sich
so als außenpolitische Größe profilieren, die
in der Lage ist, dem komplexen und verfahrenen Prozess des Nahostkonflikts neutral
entgegentreten zu können, um als neuer
politischer Akteur Kanäle auf beiden Seiten
nutzen zu können. Offizielle religiös-ideologi-
El Oifi, Mohammed: Der Al-Dschasira-Effekt. Globale politische Plattform und öffentlicher Raum für die
arabische Welt, in: Le Monde diplomatique „Arabische Welt. Ölscheichs, Blogger, Muslimbrüder“, Nr. 4
(2012), S. 60.
Deutsches Orient-Institut
41
Katar
sche Stellungnahmen zu Israel werden von
Seiten Katars nicht proklamiert, was
wiederum am guten katarischen Verhältnis zu
den USA liegt, mit denen 1992 ein bilateraler
Verteidigungspakt geschlossen wurde und die
seit 1998 ihren zentralen militärischen Standort im Nahen und Mittleren Osten nach Katar
verlegten. Die im Allgemeinen kollegialen Beziehungen zu Israel sollte man aber keineswegs als Selbstverständlichkeit abtun. So
äußerte sich der katarische Emir immer wieder kritisch zu Israels Vorgehen, wie beispielweise nach den israelischen Angriffen auf den
Libanon 2006. Trotzdem versuchte Katar,
nach dem Krieg zwischen beiden Parteien zu
vermitteln. Hierbei versuchte Katar stets, eine
gewisse Neutralität zu bewahren und stellte
sich im Libanon-Krieg 2006 weder auf die israelische, noch auf die Seite der Hizbullah.
Auch 2008 versuchte Katar, zwischen Hamas
und Israel zu vermitteln, was aber nur unzureichend gelang.
Die Beziehungen zu den Palästinensern sind
von dem Wunsch Katars nach einem souveränen Staat Palästina geprägt. Katar unterstützt die Hamas finanziell, beispielsweise
wurden 2006 50 Mio. USD für die Regierung
der Palästinenserbehörde bereit gestellt.
Weiterhin wurden mehrere Gespräche in
Doha mit Hamas-Funktionären geführt. Der
Emir von Katar hat mehrmals versucht,
Hamas und Israel zu direkten Gesprächen zu
überreden, was bisher aber fehlschlug. Bis
heute ist Katar bemüht, die Gespräche am
Laufen zu lassen, um den Dialog zwischen
Fatah und Hamas zu stärken. Es ist unklar, ob
Katar heute Hamas-Mitgliedern, im Angesicht
des Syrien-Konflikts, Unterschlupf bieten
würde. Mit Israel pflegt Katar demnach eine
neutrale, auf wirtschaftliche Zusammenarbeit
basierende Beziehung. Daneben unterstützt
der Emir von Katar aber eine Zwei-StaatenLösung und bietet den Palästinensern finanzielle Hilfe an.12
Auch mit Iran bemüht sich Katar um eine eher
ausgleichende Position, obwohl beide Länder
eine konfliktträchtige und ambivalente Geschichte verbindet. Auf der einen Seite teilt
sich Katar das Gasfeld „North Field“ mit Iran
und bemühte sich deshalb auch immer um
gute Beziehungen. Andererseits fürchtet
12
13
14
42
Katar verständlicherweise auch den Konflikt
zwischen Israel und Iran, da das Land bei
einer militärischen Eskalation unweigerlich
von dem Konflikt betroffen wäre. Auch vor diesem Hintergrund ist die militärische Präsenz
der USA in Katar durchaus willkommen. Für
das Land war deswegen klar, dass Katar in
seinen Beziehungen zu Iran einen anderen
Weg einschlagen müsse. Neben einem maritimen Abkommen zur Sicherung des „North
Fields“ gab es bisher einen regen Besuchsaustausch von hochrangigen politischen und
wirtschaftlichen Akteuren beider Länder. Auch
für Iran sind gute Beziehungen zu Katar von
wesentlicher Bedeutung. Zum einen fungiert
das Emirat als Ansprechpartner zu den anderen GKR-Ländern, zum anderen aber auch
als eine indirekte kommunikative sowie handelspolitische Verbindung zum Westen. Dennoch erscheint es erstaunlich, dass Katar sich
bis jetzt – vielleicht sollte man vorwegnehmen
bis vor kurzem – direkt aus dem interkonfessionellen schiitisch-sunnitischen Konflikt heraushalten konnte und eher als Vermittler denn
als „Spalter” auftrat.
Dennoch stieß Katars Mediatorenfunktion an
seine Grenzen, wie die katarischen Bemühungen für eine dauerhafte Stabilisierung des
Jemens zeigen. Zwar gelang es der katarischen Regierung zuletzt ím Sommer 2010,
einen Waffenstillstand zwischen der Regierung des Jemen und den im Norden agierenden schiitisch-zaiditischen Huthi-Rebellen zu
vermitteln. Schon 2008 wurde ein ähnliches
Resultat erzielt. Trotzdem hielten die innenpolitischen Spannungen im Land an und weiteten sich im Verlauf des Jahres 2011 aus.
Ähnlich wie in Tunesien und Ägypten führten
katastrophale sozioökonomische Faktoren zu
einem gesellschaftlich breit verankerten Aufstand gegen die korrupte und repressive Regierung um Präsident Ali Abdallah Salih, der
43 Jahre über das Land herrschte. Gründe für
die Aufstände 2011 waren neben wirtschaftlichen – Jemen ist mit einem für 2012 prognostizierten Pro-Kopf-Einkommen von 1.517
USD das ärmste Land auf der Arabischen
Halbinsel13 – vor allem demographische Faktoren: laut UN World Population Prospects
wird sich die Bevölkerung bis 2050 bis auf 80
Millionen Menschen14 mehr als verdoppeln.
Salih schaffte es nicht, effizient auf diese Her-
Blanchard, Christopher M: Qatar: Background and U.S. Relations, in: CRS Report for Congress, Mai
2011, S. 3-4.
Vgl. GTAI: Wirtschaftsdaten kompakt: Jemen,
http://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Fachdaten/PUB/2011/11/pub201111248004_16510.pdf,
abgerufen am 07.08.2012.
Vgl. UN World Population Prospects 2002 Revision, http://www.pdwb.de/kurz_jem.htm#2002,
abgerufen am 08.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
Katar
ausforderungen politisch zu reagieren. Ein
weiterer Konfliktherd ist die noch immer nicht
überwundene Teilung des Landes. Neben der
anhaltenden Feindschaft zwischen Nord- und
Südjemen gibt es einen anhaltenden Konflikt
zwischen der Regierung und den Huthi-Rebellen im Nordjemen, die ihrerseits schiitische
Zaiditen sind, wobei die Mehrzahl der Jemeniten dem sunnitischen Islam angehören.
Nachdem im Januar 2011 mehr als 16.000
Menschen auf den Straßen der Hauptstadt
Sanaa protestierten, kündigte Salih an sich
nicht erneut zur Wahl zu stellen, seinen Sohn
nicht als Nachfolger einzusetzen und mehr Arbeit schaffen zu wollen. Im Juni 2011 traf eine
Rakete die Moschee des Präsidentenpalastes. Salih wurde bei diesem Angriff schwer
verletzt und der bisherige Vizepräsident Abd
al-Rab Hadi übernahm sein Amt.15
Der GKR hatte zuvor einen Transformationsplan erstellt, der die Ablösung Salihs und
Wahlen im Frühjahr 2012 vorsah. Der GKR
hatte bereits 2006 beschlossen, Jemen
schrittweise in den Rat aufzunehmen. Die sicherheitspolitische Lage im Land sorgt aber
bis heute für Skepsis unter den Ratsmitgliedern und der Arabischen Liga. Katar war von
Beginn an aktiv darum bemüht, Jemens
Probleme zu lösen. Zwischen 2007 und 2008
konnten katarische Diplomaten einen Waffenstillstand zwischen der Regierung Jemens
und den Rebellen im Norden durchsetzen.
Dieser wurde im Juli 2009 wieder gebrochen.
Auch aufgrund dessen wollte Katar bei den
Spannungen 2011 bilateral nicht eingreifen.
Trotzdem unterstützte Katar im GKR den Plan
Salih abzusetzen.16 In den Reihen katarischer Politiker fürchtet man zu Recht die destabilisierende Wirkung Jemens auf die
Sicherheitslage am Golf.
Letztlich zog sich Katar 2011 als Mediator im
Jemen zurück – indirekt ein Eingeständnis der
eigenen Machtgrenzen. Denn soviel Einfluss
man als Vermittler in außenpolitischen Belangen seither erreicht hatte, so wenig konnte
Katar bei konkreten innenpolitischen Konflikten, wie im Jemen, allein erreichen.17
Katars bisherige außenpolitische Strategie
der Mediation lässt sich folgendermaßen zu15
16
17
sammenfassen: Das Emirat musste aufgrund
von eigenen geostrategischen defizitären Voraussetzungen bei gleichzeitiger wirtschaftlicher und finanzieller Potenz ein politisches
Alleinstellungsmerkmal finden, um sich international als nicht zu vernachlässigender Faktor in der Region zu profilieren. Dies gelang
durch den Aufbau von Kommunikationskanälen zu den jeweiligen Konfliktparteien und
durch eine gewisse Neutralität. Dadurch schuf
man eine bilaterale Vertrauensbildung der
verschiedenen regionalen Parteien zum eigenen Land. Gleichzeitig muss man aber festhalten, dass Katar weder die nötigen Mittel
noch das politische Durchsetzungsvermögen
besitzt, um auch bei innenpolitischen Konflikten, die nach außen wirken, grundlegend
intervenierend und vermittelnd einzugreifen.
Das Image als neutraler regionaler Vermittler
führte zur außenpolitischen Wahrnehmung
als vertrauenswürdiger und ernst zunehmender Akteur. Fraglich bleibt jedoch, inwieweit
diese Rolle weiter ausgebaut werden kann,
wenn Konflikte geographisch und politisch
einmal näher an das Land rücken als bisher.
Der Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ in
vielen arabischen Ländern und die direkten
und indirekten Auswirkungen auf die Golfregion und damit auch auf Katar sollten in den
vergangenen Monaten die limitierten Mittel
der katarischen Außenpolitik aufzeigen.
II.5 Katars Außenpolitik im und nach dem
„Arabischen Frühling“ – Vom Vermittler zum
Interessenvertreter?
Im Frühling 2011 fanden Massendemonstrationen in vielen arabischen Ländern, anfangs
in Nordafrika, später auch auf der Arabischen
Halbinsel, vor allem in Bahrain und Jemen,
statt. Gründe für die Proteste, die besonders
von der Jugend getragen wurden, waren soziale und wirtschaftliche Missstände, wie Arbeitslosigkeit und Korruption, aber auch der
Wille nach politischer Partizipation. Katars
Gesellschaft zeigte sich jedoch weitgehend
oberflächlich immun gegen die regionalen
Umwälzungen, politischer Protest und Demonstrationen blieben aus, Kritik an der Regierung und am bestehenden politischen
System wurde kaum geäußert. Ursachen
dafür lagen zum einen an den seit Jahren andauernden innenpolitischen Reformanstren-
Bundeszentrale für Politische Bildung: Innerstaatliche Konflikte. Jemen, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54611/jemen, abgerufen am 08.08.2012.
Vgl. Burke, Edward, ‚One blood and one destiny’? Yemen’s relations with the Gulf Cooperation Council,
in: Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf States, Bd. 23, Juni
2012, S.1; S. 16-17.
Niethammer, Katja: Katar als arabischer Konfliktmediator. Neuer Hoffnungsträger oder Gernegroß?,
in: GIGA Focus, Nr. 8 (2010). S. 4ff.
Deutsches Orient-Institut
43
Katar
gungen des Emirs, zum anderen an der positiven Finanz- und Wirtschaftslage sowie an
Katars liberalen Medien. Wegen seiner immensen finanziellen Gewinne konnte und
kann es sich Katar leisten, seinen Reichtum
an die Bevölkerung weiterzugeben. Katars
Pro-Kopf-Einkommen beträgt etwa 98.300
USD, was einen Anstieg von 14,25% im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Damit rangiert
Katar weltweit auf Platz 2 nach Luxemburg
mit 113.000 USD (2011). Hinzu wuchs die
Wirtschaft im vergangenen Jahr um 18,7%,
zwischen 1974 und 2011 stieg das BIP von
etwa 4 Mrd. USD auf etwa 178 Mrd. USD.
Kurz: Die katarische Wirtschaft gehört zu den
am stärksten prosperierenden im weltweiten
Vergleich, während der Lebensstandard für
die katarische Bevölkerung in den letzten
Jahrzehnten rapide angestiegen ist. Dennoch
drohen Katar aufgrund der unproportionalen
Reichtumsverteilung mittelfristig soziale Probleme: Während der kleinen einheimischen
Bevölkerung die Privilegien der Modernisierung und des wirtschaftlichen Wohlstands zugute kommen, profitiert der deutlich höhere
Anteil an ausländischen Arbeitskräften nur
teilweise von den gestiegenen Einnahmen.
Immerhin kommen auf einen katarischen
Staatsbürger drei Ausländer.
auf die Ereignisse und Auswirkungen der
“Arabellion“ im Jahr 2011. Zwar agierte die
Regierung vor allem zu Beginn noch in der
bekannten Funktion als Mediator, zeigte aber
bereits deutlicher seine strategischen außenpolitischen Absichten. So sprach sich Katar im
Golfkooperationsrat eindeutig für die von den
Vereinten Nationen verhandelte Flugverbotszone in Libyen aus. In diesem Konflikt beteiligte man sich nunmehr auch aktiv durch die
Bereitstellung von katarischen Flugzeugen.
Daneben erkannte Katar als eines der ersten
Länder den Nationalen Übergangsrat der Rebellen in Benghazi an und boten diesem an,
Öl zu vermarkten. Hintergrund der doch eindeutigen Parteinahme für die Rebellen war
die anti-monarchische Einstellung Muammar
al-Gaddafis, die unter den Golfstaaten für
Misstrauen sorgte19. Al-Gaddafi galt bereits
seit Jahren als unliebsamer Außenseiter, der
mit einem von ihm initiierten Attentatsversuch
im Jahr 2003 auf den jetzigen saudischen
König und damaligen Kronprinzen Abdullah
die Abneigung der Golfstaaten noch gesteigert hatte20. Er galt als irrer, verrückter und
paranoider Exzentriker, der sich als Bewahrer
des Panarabismus und Panafrikanismus gerierte, ohne bei den arabischen „Brüdern“
über Respekt und Vertrauen zu verfügen.
Die angestrebte „Katarisierung“, die der Emir
in den nächsten Jahren durchsetzen möchte,
wird dabei vermutlich an dieser Situation
kaum etwas ändern, denn die meisten Führungsposten sind jetzt schon von Einheimischen besetzt, die zwar über eine exzellente
Ausbildung verfügen, aber allein aufgrund
ihrer geringen Anzahl dauerhaft auf qualifizierte oder geringer qualifizierte ausländische
Arbeiter angewiesen sein werden. Trotz dieser weit reichenden Stabilität aufgrund der soziökonomischen Situation, beeinflusste der
„Arabische Frühling“ das Land auf andere
Weise. Manche sprechen sogar davon, dass
Katar Profit im Sinne eines Ausbaus seiner
Legitimation, seines Einflusses und Machtbereichs aus den Aufständen ziehen konnte18.
Durch diesen für Katar bis dahin eher untypischen außenpolitischen Schritt der Parteinahme erzeugte man zum einen eine
Annährung an den Westen, zum anderen
aber gelang es, den Golfkooperationsrat mehr
in den Fokus der internationalen Außenpolitik
zu drängen und ihn damit als ernstzunehmende, einflussreiche Institution auf dem
internationalen Parkett zu etablieren, nachdem er zuvor als zerstrittener, eher „zahnloser
Papiertiger“
ohne
Wirkmacht
wahrgenommen worden war. Die Intervention
in Bahrain im März 2011 zeigte jedoch deutlich, dass der GKR nicht grundsätzlich die
Unterstützung von oppositionellen Bewegungen gegen repressive Bewegungen, sondern
vielmehr geostrategische Eigeninteressen
verfolgt21. Gesichert werden sollen die monarchischen Systeme, um das fragile Mächteverhältnis am Golf im Status quo zu erhalten.
Katar sieht sich hier gemeinsam mit Saudi-
Neben diesem indirekten Einfluss, der noch
zu erörtern sein wird, reagierte man in Katar
auch als Mitglied des Golfkooperationsrats
18
19
20
21
44
Mambrey, Alina: Katar, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf,
Ausblick, September 2011, S. 161.
Steinberg, Guido: Qatar and the Arab Spring. Support for Islamists and New Anti-Syrian Policy, in: SWP
Comments, Nr. 7 (2012), S. 4f.
Vgl. Tyler, Patrick E.: Two Said to Tell Of Libyan Plot Against Saudi, New York Times, 10. Juni 2004,
http://www.nytimes.com/2004/06/10/world/two-said-to-tell-of-libyan-plot-against-saudi.html, abgerufen am
30.07.2012.
In Bahrain jedoch waren es neben den wirtschaftlichen und sozialen Missständen auch die Forderung
nach mehr Mitsprache, besonders für die Schiiten im Land, die zwar zahlenmäßig in der Mehrheit sind,
jedoch von der sunnitischen Herrscherfamilie Al-Khalifa regiert werden.
Deutsches Orient-Institut
Katar
Arabien in der Verantwortung, eine Führungsrolle bei der reaktionären Politik als
„Gegenrevolutionär“ einzunehmen. Eines der
Ziele ist es, die sunnitische Vormachtstellung
zu sichern. Aufgrund der Ereignisse in Bahrain befürchtete auch die katarische Regierung einen möglichen „Spill-Over-Effekt“, der
zu sozialen und konfessionellen Unruhen im
eigenen Land führen könnte und unterstützte
daher die militärische Aktion des GKR, Truppen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten
Arabischen Emiraten nach Bahrain senden.
Auch Katar beteiligte sich mit einer militärisch
zu vernachlässigenden, aber symbolischen
Truppeneinheit an dem Einmarsch. Der Bahrain-Konflikt kann auch im Hinblick auf das
ambivalente Verhältnis zu Saudi-Arabien als
Kehrtwende für Katar bezeichnet werden,
indem beide Länder die Bereitschaft zeigten,
eng zusammenzuarbeiten, um eine mögliche
Bedrohung der eigenen Herrschaft abzuwenden. Katar verfolgte hiermit nicht nur eine
außenpolitische Stabilisierungsstrategie, sondern setzte auch ein innenpolitisches Signal,
bereits präventiv zu verdeutlichen, innere Unruhen nicht zu dulden. Dies stärkte Katars
Rolle als Stabilisator, zeigte aber auch, dass
die angesprochenen Reform- und Liberalisierungsmaßnahmen nur in bestimmten Grenzen
realisiert
werden
und
die
Machtlegitimation des Herrscherhauses nicht
beeinträchtigen dürfen. Die immanenten Probleme in Bahrain wurden dadurch jedoch
nicht gelöst22.
Dieser Umgang mit den konfliktreichen Transformationsprozessen verdeutlicht, inwieweit
sich die katarische Außenpolitik verändert hat.
Möglicherweise ergab sich für die Herrscherfamilie aus der Notwendigkeit des Machterhalts
auch
das
Erfordernis,
sich
außenpolitisch klarer zu positionieren. Der
außenpolitische Fokus verschob sich nunmehr in Richtung sicherheitspolitischer Fragen, besonders in Zusammenarbeit mit dem
Golfkooperationsrat. Für den Westen rückte
Katar nun in die Position eines verlässlichen
Partners. Andererseits bleibt abzuwarten, wie
man sich von schiitischer Seite zum Emirat
verhalten wird.
Kritik gab es indes auch an der neuen außenpolitischen Strategie Katars. Besonders die
klare Unterstützung von islamistischen Gruppierungen für die möglichen zukünftigen politischen Systeme in Tunesien oder Libyen
erzeugte gespaltene Meinungen innerhalb
22
23
der internationalen Gemeinschaft. Beispielsweise unterstützte Katar im prärevolutionären
Libyen hochrangige islamistische Akteure.
Dieser politischen Unterstützung folgten sogleich wirtschaftliche Investitionen, wie der
Ankauf von 49% der Anteile an der libyschen
Handels- und Entwicklungsbank. Gerade dieser Eingriff in die Wirtschafts- und Finanzsektoren schürte die Angst in Libyen und anderen
arabischen nordafrikanischen Staaten, Katar
könnte seinen Einflussbereich in zu starkem
Maße nach Nordafrika ausweiten. Auch in Tunesien knüpfte man Verbindung zur islamistischen Ennahda-Partei, die dort als Sieger aus
den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung im Oktober 2011 hervorging. Als
Konsequenz unterzeichnete man im Februar
2012 gegenseitige Absichtserklärungen für
gemeinsame Investitionen und Zusammenarbeit in Tunesiens Mineralsektor. Fraglich
bleibt, wie stark Katars Einfluss in Nordafrika
besonders bei politischen Fragen zukünftig
sein wird23.
Nach dem Libyenkonflikt deutete sich schon
an, dass Katar verstärkt die Nähe zum
Westen und den anderen Golfkooperationsrats-Staaten, vor allem zu Saudi-Arabien,
suchte. Was dieser Schwenk in der Außenpolitik allerdings für die Beziehung zu Iran bedeutet, lässt sich bislang noch kaum absehen.
Katar versuchte bisher, sich nicht zu eindeutig gegen Iran zu positionieren. Allerdings
scheint es, als könne Katar weder im Bahrainnoch im Syrien-Konflikt diese Neutralität aufrechterhalten.
Die deutliche Verschärfung der Situation in
Syrien zwingt auch Katar, sich eindeutig zu
positionieren. Blieb zu Beginn der Aufstände,
als eine Eskalation der Gewalt noch nicht
drohte, die katarische Haltung eher moderat,
indem im Rahmen des GKR Reformen vom
syrischen Präsidenten Bashar al-Assad gefordert wurden, proklamierte Katar gemeinsam mit Saudi-Arabien schnell den Sturz des
Regimes, nachdem sich die Gewalt verschärft
hatte. Katar hatte auch in Syrien mehrere
Milliarden insbesondere in den Immobiliensektor investiert, sodass zumindest die wirtschaftlichen Beziehungen als verhältnismäßig
kooperativ bewertet werden konnten. Syrien
wiederum hatte es vor allem Katar zu verdanken, dass sich die arabische Welt wieder
dem Land zuwendete, als man im LibanonKonflikt mitvermittelte. Im Juli 2011 aber
schloss Katar, als erster Golfstaat, seine Bot-
Vgl. Mambrey, Alina: Katar, in: Deutsches-Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser,
Verlauf, Ausblick, September 2011, S. 165.
Gavin, James: Mediation strategy under scrutiny, in: MEED, Bd. 56, Nr. 20 (2012). S.32-33.
Deutsches Orient-Institut
45
Katar
schaft in Damaskus. Zum einen setzte man
dadurch ein Zeichen gegen die Gewalt, zum
anderen gab es wohl Unstimmigkeiten zwischen der katarischen Herrscherfamilie und
dem Assad-Regime aufgrund der negativen
medialen Berichterstattung.24 Weiterhin fürchtete Katar ein Erstarken der schiitischen Bewegung in der Region, was neben Bahrain
auch Katar selbst destabilisieren könnte.
Im November 2011 suspendierte man Syrien
dann schließlich, hauptsächlich aufgrund saudisch-katarischer Forderungen, aus der Arabischen Liga. Spätestens seit diesem
Zeitpunkt trat Katar als entschiedener Gegner
al-Assads auf und bildet eine der wichtigsten
Kräfte der Anti-Syrien-Allianz innerhalb der
Arabischen Liga. Die Tragweite dieses
außenpolitischen Schrittes kann derzeit noch
nicht abgesehen werden. Zwar unterstützte
Katar schon die Protestbewegungen in diversen Transformationsländern, im Syrienkonflikt
aber tritt die Regierung als entschiedener
Gegner des Regimes und als Unterstützer der
Opposition auf. Im Gegensatz zum Vorgehen
in Libyen erfolgt dies nicht mehr über diskrete
Kanäle oder indirekte Unterstützung, sondern
offiziell, medienwirksam und sehr konkret, wie
die Forderung des Emirs von Katar bereits im
Januar 2012 nach einem militärischen Eingriff
in Syrien deutlich machte25.
Auch die zukünftigen Beziehungen zu Iran
könnten sich durch diese Entwicklungen dauerhaft verändern, da dieser als engster Verbündeter des Assad-Regimes gilt. Das
harsche rhetorische Vorgehen Katars gegen
Bashar al-Assad sowie unbestätigte Vermutungen, Katar könne Waffen an syrische Oppositionelle liefern, verstärkt den Eindruck,
dass sich das einst kühle aber zumindest kollegiale Verhältnis zu Iran deutlich verschlechtern wird. Dies könnte insbesondere im Falle
einer drohenden Eskalation um das iranische
Atomprogramm und der verhärteten Fronten
in der Syrienpolitik Katar gefährden. Geriete
die gesamte Region in einen militärischen
Konflikt, würde das kleine, geostrategisch
wichtige Katar zum ersten Frontstaat gegen
Iran. Zumindest zeigen die regionale Dimension des Syrienkonflikts und die Reaktion
24
25
26
27
28
46
Katars, unter welchen Druck das Emirat geraten ist. Besonders die Forderung nach
einem militärischen Eingreifen in Syrien verändert die Position des kleinen Emirats grundlegend von einem relativ neutralen Vermittler
zum Interessenvertreter, der sich eindeutig
positioniert und seine Mediatorenfunktion
(auch gezwungenermaßen) aufgibt. Die bewusste Entscheidung, sich auf die anti-iranische Seite zu stellen, schafft zwar eine
gewisse Einheit unter den Golfstaaten und
schützt möglicherweise die monarchischen
Herrschaftssysteme, im Umkehrschluss könnten daraus jedoch neue Probleme im großen
Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten entstehen, die sich bereits im konfessionellen
Bürgerkrieg in Syrien abzeichnen.
II.6 Beziehungen zu Deutschland und der EU
Mit der EU und gerade mit Deutschland pflegt
Katar sehr gute auf gegenseitiger wirtschaftlicher Zusammenarbeit beruhende Beziehungen. Politische und ideologische Fragen
treten zumeist in den Hintergrund. Die Beziehungen gestalten sich größtenteils als Besuche deutscher Politiker und hochrangiger
Unternehmer in Doha. Deutsche Produkte
sind in Katar sehr beliebt. Deutschland ist
neben den USA zweitgrößter Exporteur nach
Katar mit 9,2% der Gesamteinfuhren 2010.
Ein Investitionsförderungsvertrag zwischen
Deutschland und Katar ist 1999 in Kraft getreten. Über ein Doppelbesteuerungsabkommen wird noch verhandelt.26 Geschätzt wird
seitens Katar besonders die Qualität deutscher Produkte, was zu mehreren Investitionen in deutsche Firmen führte. So hält der
Emir beispielsweise große Anteile an VW und
Porsche.27 Mittlerweile leben und arbeiten
viele Deutsche in Katar, meist in der Hauptstadt Doha. Seit 2008 gibt es eine deutsche
Privatschule in Doha.28 Besonders starke
Zusammenarbeit gibt es in den Sektoren
Maschinenbau, medizinische Gerätschaften
und Infrastruktur. Angesichts der großen
infrastrukturellen Herausforderungen, die die
Austragung der WM 2022 mit sich bringen
wird, setzt Katar vermehrt auf das Know-how
deutscher Firmen, darunter Siemens, DB
International und HOCHTIEF.
Vgl.: Steinberg, Guido: Katars neue Syrien-Politik. Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für
Deutschland, in: In Führung gehen. Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen? (=Internationale
Politik Bd. 67, Nr. 3 (2012)), S.82-88.
Siehe Al Jazeera: Qatar's emir suggests sending troops to Syria, 14. Januar 2012, http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2012/01/20121146422954697.html, abgerufen am 30.07.2012.
GTAI: Wirtschaftsdaten kompakt: Katar, Mai 2012, http://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Fachdaten/MKT/2007/10/mkt20071022100317_12895.pdf, abgerufen am 08.08.2012.
Siehe Spiegel Online: Einstieg von Katar bei VW ist perfekt, 14. August 2009, http://www.spiegel.de/wirt
schaft/investionen-einstieg-von-katar-bei-vw-ist-perfekt-a-642533.html, abgerufen am 08.08.2012.
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Doha, Vorstellung der Deutschen Internationalen Schule Doha,
http://www.doha.diplo.de/Vertretung/doha/de/DISD-Steckbrief-dt.html, abgerufen am 08.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
Katar
III. Katars neue Rolle in der internationalen Gemeinschaft – Chancen und Probleme
Gerade durch die wirtschaftliche Stärke der
Golfstaaten und dem starken Bevölkerungszuwachs der letzten Jahre kristallisiert sich
eine im Vergleich zur Vergangenheit sehr
unterschiedliche Machtkonstellation im Nahen
und Mittleren Osten heraus. Die Golfstaaten
gerieren sich zwar in ihrer politischen Ausrichtung zumeist prowestlich und pflegen gute
außenpolitische Beziehungen zu den USA,
sind aber keineswegs als „prowestlicher
Block“ gegen Russland und China zu begreifen. So erlangen die Wirtschaftsbeziehungen
zu beiden Globalmächten immer wichtigere
Bedeutung und setzen sich über ideologische
und religiöse Grenzen oder Animositäten hinweg, ohne die inneren arabischen Heterogenitäten aufzuheben, was viele bereits etwas
martialisch als neuen „Kalten Krieg“ bezeichnen.29
Am Beispiel von Katar sieht man, dass eine
direkte Parteinahme erst dann erfolgte, wenn
die Herrscherfamilie ihre Machtbasis ernsthaft
bedroht sieht. Oberstes Ziel wird es auch in
Zukunft für das Land sein, durch wirtschaftliche Stabilität auch politische Stabilität zu
schaffen. Falls jungen Demokratien wie in Tunesien oder Ägypten der Weg aus der fragilen
Transitionsphase in einen stabilen, wirtschaftlichen Aufschwung gelingt, sich die islamistischen
Wahlsieger
von
ihren
sunnitisch-wahhabitischen Gönnern aus der
Golfregion emanzipieren und sich eine stärkere Zivilgesellschaft herausbildet, könnte
dies weit reichende soziale Probleme für die
dynastischen Herrschaften der Golfstaaten
und ihre Legitimation mit sich führen.
Katar könnte hier in Zukunft eine Transmitterrolle innerhalb der arabischen Welt übernehmen und als „ehrlicher Makler“ zwischen
„neuen Demokratien“ und reaktionären
Monarchien verhandeln, wenn es dazu bereit
ist. Katar könnte so möglicherweise auch
29
30
Saudi-Arabien von punktuellen Reformen
überzeugen. Auch aufgrund wirtschaftlicher
Zwänge muss dem Emirat daran gelegen
sein, zukünftige Konflikte innerhalb der
Region zu entschärfen. Eine engere
Zusammenarbeit zwischen Katar und Europa
könnte auch zu einem steigenden Einfluss auf
die saudische Außenpolitik führen, was vor
allem die iranisch-saudischen Spannungen
entschärfen könnte.
Die rasante Entwicklung Katars in den letzten
Jahren kann man für das Land selbst als eine
Erfolgsgeschichte bezeichnen. Ihm ist es gelungen, als eigenständiger außenpolitischer
Akteur aufzutreten und somit ein weiteres Alleinstellungsmerkmal in der Golfregion zu entwickeln. Das Land hat sich im Zuge des
„Arabischen Frühlings“ als wichtiger politischer Faktor der Region herauskristallisiert.
Aber gerade die Parteinahme für einen militärischen Einsatz in Syrien und damit die Abwendung von ihrer „Neutralität“ und ihrer
Zurückhaltung muss dazu führen, die geostrategischen Interessen Katars differenzierter zu analysieren und zu hinterfragen.
Katar agiert keineswegs als selbstloser Akteur
zugunsten einer ausgleichenden Stabilitätspolitik, sondern verfolgt mit gewachsenem
Selbstbewusstsein eigene Interessen, um
einerseits den außenpolitischen Einfluss auszubauen und andererseits die innenpolitische
Situation zu stabilisieren. Diese geänderte
Selbstwahrnehmung müssen auch internationale Akteure wie Europa oder Deutschland
berücksichtigen, wenn sie in Zukunft Einfluss
auf die geopolitische Gestaltung des Nahen
und Mittleren Ostens nehmen wollen. Hierfür
bleibt Katar ein wichtiger, aber zusehends
schwieriger Partner.30 Durch immer größeren
wirtschaftlichen und politischen Einfluss
kommt auf das Land auch größere Verantwortung zu. Wie man damit umgeht, werden
auch die kommenden Ereignisse um den Syrienkonflikt zeigen.
Edgar Zedler
Dazu, u. a.: Bank, Andre / Mohns, Erik: The New Arab Cold War: rediscovering the Arab dimension of
Middle East regional politics, in: Review of International Studies, Bd. 38, Nr. 1, S. 3-24., 2011.
Steinberg, Guido: Katars neue Syrien-Politik. Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für Deutschland,
in: In Führung gehen. Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen? (=Internationale Politik Bd. 67,
Nr. 3 (2012)), S. 88.
Deutsches Orient-Institut
47
Katar
IV. Quellenangaben
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PETERSON, J. E. : Qatar and the World. Branding for a Micro-State, in: MEJ,, Bd. 60, Nr. 4 (2006).
RATHMELL, ANDREW / SCHULZE, KIRSTEN: Political Reform in the Gulf. The Case of Qatar, in: MES,
Bd. 36, Nr. 4 (2000), S. 47-62.
MILES, HUGH: Al Jazeera, in: Foreign Policy, Nr. 155 (2006), S. 20-24.
EL OIFI, MOHAMMED: Der Al-Dschasira-Effekt. Globale politische Plattform und öffentlicher Raum
für die arabische Welt, in: Le Monde diplomatique „Arabische Welt. Ölscheichs, Blogger,
Muslimbrüder“, Nr. 4 (2012).
BLANCHARD, CHRISTOPHER M: Qatar: Background and U.S. Relations, in: CRS Report for Congress,
Mai 2011.
BURKE, EDWARD: ‚One blood and one destiny’? Yemen’s relations with the Gulf Cooperation Council, in Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf
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NIETHAMMER, KATJA: Katar als arabischer Konfliktmediator. Neuer Hoffnungsträger oder
Gernegroß?, in: GIGA Focus, Nr. 8 (2010).
MAMBREY, ALINA: Katar, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.:): Der Arabische Frühling. Auslöser,
Verlauf, Ausblick, September 2011.
STEINBERG, GUIDO: Qatar and the Arab Spring. Support for Islamists and New Anti-Syrian Policy,
in: SWP Comments, Nr. 7 (2012)
GAVIN, JAMES: Mediation strategy under scrutiny, in: MEED, Bd. 56, Nr. 20 (2012). S.32-33.
STEINBERG, GUIDO: Katars neue Syrien-Politik. Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für
Deutschland, in: In Führung gehen. Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen?
(=Internationale Politik Bd. 67, Nr. 3 (2012)), S.82-88.
48
Deutsches Orient-Institut
Vereinigte Arabische Emirate
A
I. Außenpolitische Prioritäten
rtikel 10 der Verfassung erläutert das
oberste Ziel der Vereinigten Arabischen
Emirate (VAE), die Sicherheit, Unabhängigkeit und Souveränität der Föderation
zu schützen und gegen jegliche Vereinnahmung von außen zu bewahren:
“The aims of the Union shall be the
maintenance of its independence and
sovereignty. The safeguard of its security and stability. The defence against
any aggression upon its existence or
the existence of its member states. The
protection of the rights and liabilities of
the people of the Union. The achievement of close co-operation between the
Emirates for their common benefit in realising these aims and in promoting
their prosperity and progress in all
fields. The provision of a better life for
all citizens together with respect by
each Emirate for the independence and
sovereignty of the other Emirates in
their internal affairs within the framework of this Constitution.”1
Die Außenpolitik der VAE wird von drei Faktoren beeinflusst:
I.1 Bevölkerungsstruktur
Die Staatsangehörigen der VAE selbst bilden
eine verschwindend geringe Minderheit in
ihrem eigenen Land. Derzeitige Schätzungen
geben den Anteil emiratischer Staatsangehöriger an der Gesamtbevölkerung mit 1015% an, Tendenz sinkend2. Die große
Mehrheit der Bevölkerung bilden Arbeitsmigranten aus über 100 Nationen, die Mehrzahl
von ihnen stammt aus Indien und Pakistan.
Aufgrund dessen haben die VAE einen
außenpolitischen Kurs eingenommen, der
darauf ausgelegt ist, sich mit den „großen
Nachbarn“ friedlich zu arrangieren. Seit der
Unabhängigkeit sind die VAE in ihrer Außenpolitik neben wirtschaftlichen vor allem auf sicherheitspolitische Interessen fokussiert. Die
Gründung der Föderation war nicht ohne
Spannungen vonstatten gegangen: SaudiArabien weigerte sich, die neue Föderation
anzuerkennen, da es ungeklärte Grenzstrei-
1
2
3
4
5
tigkeiten mit Abu Dhabi über die Al-BuraymiOase gab. Auch Iran und Oman machten den
VAE einige Territorien streitig. Da die VAE ein
relativ kleiner, aber wirtschaftlich einflussreicher Staat sind, haben sie früh erkannt, dass
sie ihre diplomatischen Beziehungen vor
allem mit den großen, einflussreichen Staaten friedlich ausrichten müssen. Daher waren
die VAE in regionalen Krisen immer darauf
bedacht, einen Übergriff des Konfliktes auf
das eigene Territorium zu verhindern3.
I.2 Geographische Lage
Im Südosten der Arabischen Halbinsel, liegen
die VAE an der strategisch wichtigen Straße
von Hormuz, dem Hauptlieferweg der weltweiten Öllieferungen. Diese geostrategische
Schlüssellage macht die VAE zu einem
Haupttransitpunkt für den Import und Re-Export von Gütern und zu einem Knotenpunkt
der Weltwirtschaft zwischen der arabischen
Halbinsel, Asien und Afrika. Diese Lage hat
den VAE, neben dem Ressourcenreichtum,
erheblichen wirtschaftlichen Einfluss verschafft. Doch die geostrategische Lage hat
auch dazu geführt, dass besonders Dubai zur
Zielscheibe krimineller Geschäfte, darunter
Drogenschmuggel, Menschenhandel und
Geldwäsche, geworden ist.
I.3 Ressourcenreichtum
Die VAE belegen weltweit den dritten Platz
der größten Ölvorkommen. Mit 97 Millionen
Barrel entspricht dies etwa 10% der weltweiten Ölreserven. Das Bruttoinlandsprodukt pro
Kopf betrug im Jahr 2010 56.485 USD4. Damit
sind sie nach Saudi-Arabien die größte Volkswirtschaft in der arabischen Welt. Öl- und Gaseinnahmen tragen aber nur zu 30-35% zum
BIP bei. Die restlichen Einnahmen stammen
aus dem Industrie- und Dienstleistungssektor
und dem Re-Export. Innerhalb der Emirate
gibt es jedoch gravierende Verteilungsunterschiede: Abu Dhabi nimmt nicht nur 85% der
Gesamtfläche der VAE ein, das Emirat besitzt
auch knapp 90% der Ölreserven des Staates.
Dubai besitzt kaum Öl- und Gasvorkommen
und hat daher früh seine geostrategische
Lage als Wirtschaftsstandort klug ausgespielt.
Seit der Finanzkrise 2008/2009 lässt sich eine
generelle Machtverschiebung zugunsten Abu
Dhabis beobachten5. Diese Verschiebung
http://www.unhcr.org/refworld/category,LEGAL,,,ARE,48eca8132,0.html, abgerufen am 13.08.2012.
BelkaÏd, Akram: Die importierte Mehrheit. In den Emiraten fürchten die Scheichs eine Überfremdung durch
Gastarbeiter, in: Edition Le Monde diplomatique, N° 11/2012, S. 71.
http://countrystudies.us/persian-gulf-states/91.htm, abgerufen am 10.08.2012.
http://hdrstats.undp.org/en/indicators/62006.html.
Dubai war damals auf Milliardenkredite aus Abu Dhabi angewiesen.
Deutsches Orient-Institut
49
VAE
hatte beispielsweise direkten Einfluss auf die
Haltung der VAE zum Handelsgeschäft mit
Iran, worauf im späteren Verlauf noch näher
eingegangen wird.
sorgte. 1994 weigerten sich die VAE, aus Solidarität für die Palästinenser, den Boykott auf
das Handelsgeschäft mit Israel aufzuheben
und traten damit Katar und Bahrain entgegen.
Neben sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen ist die Außenpolitik der VAE
zudem von einem hohen humanitären Engagement geprägt. Mit Artikel 12 der Verfassung
verschreiben sich die VAE der Unterstützung
arabischer und islamischer Interessen. Weiterhin erklären sie sich allen Nationen der
Welt als freundschaftlich zugetan und den
Prinzipien der UN-Charta verpflichtet:
Der außenpolitische Kurs der VAE, der in der
Literatur auch als “constructive engagement“
bezeichnet wird8, ist stark beeinflusst vom Regierungsstil des “Gründungsvaters der Nation”, Sheikh Zayed bin Sultan Al Nahyan. Bei
der Gründung der Föderation hatten sich die
einzelnen Herrscher darauf geeinigt, dass
Sheikh Zayed die Verantwortung für die gemeinsame Außenpolitik tragen sollte, was er
bis zu seinem Tod im Jahre 2004 auch tat.
Dadurch wies die außenpolitische Strategie
über einen langen Zeitraum eine bemerkenswerte Kontinuität auf9. Das Bemühen Sheikh
Zayeds um kontinuierlichen Austausch und
Konsensfindung lässt sich dabei auch auf die
Debattenkultur der Beduinen zurückführen10.
“The foreign policy of the Union shall be
directed towards support for Arab and
Islamic causes and interests and towards the consolidation of the bonds of
friendship and cooperation with all nations and peoples on the basis of the
principles of the charter of the United
Nations and ideal international standards.”6
Die VAE investieren hohe Summen aus den
Einnahmen des Öl- und Gasgeschäfts in Entwicklungshilfe und Katastrophenschutz für
arabische und/oder muslimische Völker, teils
aus Solidaritätsbekundung, teils aus wirtschaftlichen Interessen, um neue Partnerschaften aufzubauen. Ihr humanitäres
Engagement hat den VAE in vielen Ländern
ein hohes Ansehen verschafft.
Außenpolitisch pflegen die VAE die engsten
Beziehungen zu den anderen Golfstaaten.
Die VAE sind Mitglied des Golfkooperationsrates (GKR)7 und sind den anderen Mitgliedsstaaten aufgrund ihrer kulturellen,
sprachlichen, religiösen und politischen Gemeinsamkeiten freundlich zugetan. Dennoch
haben sich die VAE bei politischen Entscheidungen wiederholt vom allgemeinen Kurs des
GKR abgewandt, was teilweise zu Spannungen mit den anderen Mitgliedern führte. Ein
Beispiel hierfür war die Kritik der VAE an den
Sanktionen gegen den Irak in den 1990er
Jahren, was bei Kuwait für Unverständnis
6
7
8
9
10
11
50
Die VAE genossen in der Vergangenheit
international Anerkennung aufgrund ihrer um
Ausgleich bemühten Politik und ihrem hohen
humanitären Engagement. Ihr zweischneidiges Verhalten während des „Arabischen Frühlings” brachte ihnen jedoch international Kritik
ein: Die VAE hatten 500 eigene Polizeikräfte
zur Unterstützung der 1.000-Mann-starken
saudi-arabischen Truppen nach Bahrain
gesandt, um die Aufstände gegen die sunnitische bahrainische Regierung niederzuschlagen und das Regime an der Macht zu halten.
In Libyen beteiligten sie sich jedoch neben
Katar als einziger arabischer Staat aktiv am
Sturz Muammar al-Gaddafis und leisteten
umfangreiche humanitäre Hilfe. Hier ließen
sich die VAE von ihrer sicherheitspolitischen
Prämisse leiten: Hätten die Aufständischen in
Bahrain einen Systemwechsel hervorgerufen,
wären die anderen Golfstaaten mit hoher
Wahrscheinlichkeit mit ähnlichen Aufständen
konfrontiert worden.
Das Potential dazu ist in den VAE durchaus
vorhanden: Die Gastarbeiter werden allenfalls
geduldet und arbeiten unter teils unmenschlichen Bedingungen11. Emiratische Bürger
http://www.unhcr.org/refworld/category,LEGAL,,,ARE,48eca8132,0.html, abgerufen am 13.08.2012.
Der Golfkooperationsrat (GKR) wurde 1981 in Abu Dhabi durch Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien, Katar,
Vereinigte Arabische Emirate und Oman gegründet. Die Schaffung des GKR war eine direkte Folge der
Islamischen Revolution in Iran 1979 und dem Ausbruch des Iran-Irak-Krieges 1980-1988. Die
arabischen Golfmonarchien sollten ein Gegengewicht zum schiitischen Iran bilden.
Al-Mashat, Abdul Monem: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United Arab
Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab States: The Challenge
of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010, S. 457.
Ebd., S. 458.
Hermann, Rainer: Die Golfstaaten. Wohin geht das neue Arabien?, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH
& Co. KG, München 2011, S. 39.
Penquitt, Denise: Vereinigte Arabische Emirate, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, S. 154.
Deutsches Orient-Institut
VAE
beklagen die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten. Inspiriert von den Aufständen in Tunesien und Ägypten und dem damit
einhergehenden hohen Mobilisierungsgrad
versuchten auch in den VAE Bürger ihre
Rechte einzufordern: 133 Unterzeichner einer
Onlinepetition forderten im März 2011, den
Bundesnationalrat aus freien und direkten
Wahlen hervorgehen zu lassen und seinen
Einfluss zu stärken. Die Zahl von 133 Menschen wurde anfänglich zwar etwas belächelt,
aber diese Petition war die wahrscheinlich
erste politische Bewegung in der Geschichte
des Landes – und das in Abu Dhabi, dem
reichsten Emirat. Vielleicht sollte man deswegen auch von immerhin 133 Menschen sprechen. Bei den Unterzeichnern handelte es
sich um emiratische Intellektuelle und Menschenrechtsaktivisten, die, trotz oder gerade
wegen ihres hohen Lebensstandards, auch
politische Mitbestimmung forderten. Weil aber
viele emiratische Staatsbürger Konsequenzen in Form von repressiven Maßnahmen
fürchteten, verweigerten sie ihre Unterschrift.
Insgesamt gesehen kann aber von keiner Bewegung oder gar Revolution gesprochen werden. Es gibt weder einen konkreten Auslöser,
der zu einer Revolution geführt hätte, noch
eine Führungspersönlichkeit, die sich in dieser besonders hervorgetan hätte. Wenn überhaupt, so muss von einer marginalen
Protestbewegung gesprochen werden, die
vielmehr durch Einzelaktionen als durch organisierte und zielgerichtete Massenproteste
geprägt war. Nicht unterschätzt werden sollte
auch das Konfliktpotenzial durch die schiitische Minderheit, deren Anteil etwa 19% beträgt12.
II. Die Beziehungen zum Irak
Seit der Gründung der Föderation im Jahr
1971 hat sich die Irakpolitik der VAE entschieden gewandelt. Zunächst waren sie
darum bemüht, freundschaftliche Beziehungen mit dem Irak aufzubauen. Der Irak, ebenfalls ein Mitglied der OPEC-Staaten und ein
einflussreicher arabischer Staat am Golf,
stellte ein wichtiges Gegengewicht zum wachsenden Einfluss der iranisch-schiitischen Einflusssphäre am Golf dar. Die bilateralen
12
13
14
15
Beziehungen wurden jedoch nie so eng wie
mit den anderen Golfstaaten, vornehmlich
aufgrund des grundlegend verschiedenen politischen Systems des Iraks. Bei Ausbruch des
Iran-Irak-Krieges 1980 blieben die VAE
zunächst formell neutral, als Mitglied des
GKR schlugen sie sich jedoch auf die Seite
Iraks, da sie eine Erstarkung der schiitischen
Macht in der Golfregion fürchteten. Sheikh
Zayed versuchte sogar, zwischen den beiden
Parteien zu vermitteln, um eine schnelle Befriedung und damit die Stabilität der Golfregion insgesamt wieder herzustellen. Im
Verlauf des Iran-Irak-Krieges kam es zu
Spannungen innerhalb der VAE, da Dubai zunehmend seine Sympathie für Iran bekundete13. Nach dem Ende des Krieges 1988
blieben die Beziehungen zum Irak zunächst
freundschaftlich, wenngleich die Anschuldigungen Saddam Husseins, die VAE würden
die von der OPEC festgelegten Förderquoten
für Rohöl überschreiten und damit den Weltmarktpreis drücken, mit Besorgnis aufgenommen wurden. Hintergrund für diese Vorwürfe
war die hohe Verschuldung des Iraks bei seinen arabischen Nachbarstaaten während des
Ersten Golfkrieges. Die irakische Wirtschaft
war auf den Verkauf von Erdöl zu hohen Preisen angewiesen, da der Staat nicht in der
Lage war, die Fördermenge kurzfristig zu steigern14.
Die freundschaftlichen Beziehungen der VAE
zum Irak änderten sich schlagartig mit dem
Ausbruch des Zweiten Golfkrieges 1990. Die
irakische Invasion Kuwaits nahmen die VAE
als Angriff auf die regionale Sicherheit und
Stabilität und damit als Bedrohung ihrer obersten Prämisse. Zudem befürchteten sie aufgrund der vorherigen Anschuldigungen, dass
der Irak auch versuchen würde, die VAE zu
besetzen. Dieses Bedrohungsszenario hat zu
einer generellen Umorientierung der Außenpolitik geführt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten
sich die VAE immer ausdrücklich gegen eine
ausländische Militärpräsenz in der Golfregion
ausgesprochen. Bei der Zerschlagung der irakischen Truppen waren sie nun jedoch auf internationale Unterstützung angewiesen, da
sie über keine starke nationale Armee verfügten15. Die VAE gehörten infolgedessen zu den
Al-Mashat, Abdul Monem: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United Arab
Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab States: The Challenge
of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010, S. 460.
http://countrystudies.us/persian-gulf-states/91.htm, abgerufen am 10.08.2012.
Trautner, Bernhard J.: Der Konflikt um Kuwait, in: Pfetsch, Frank R. (Hrsg.): Konflikte seit 1945.
Daten – Fakten – Hintergründe. Die Arabisch – Islamische Welt, Freiburg – Würzburg 1991, S. 90 ff.
Die Armee besteht lediglich aus etwa 60.000 Personen und setzt sich größtenteils aus Nicht-Einheimi
schen zusammen, eine Vielzahl von ihnen stammt aus dem Oman. Siehe hierzu Davidson, Christopher
M.: The United Arab Emirates, in: Ders. (Hrsg.) Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 23 ff.
Deutsches Orient-Institut
51
VAE
ersten Staaten, die sich für eine militärische
Aktion gegen den Irak einsetzten und beteiligten sich an der UN-gestützten Mission. Mit
dem Zweiten Golfkrieg begann aber auch die
Abhängigkeit der VAE von ausländischer Militärpräsenz, insbesondere der USA.
Nach der Zerschlagung der irakischen Truppen befürworteten die VAE die regionale Integrität Iraks. Die Sanktionen, die dem Irak in
den 1990er Jahren auferlegt wurde, kritisierten die VAE als ineffektiv. Die VAE waren sich
der zukünftig wichtigen Rolle des Iraks in der
Region sicher und befürchteten dessen zunehmende Isolierung. In den 1990er Jahren
wichen die VAE weiter von dem Irakkurs des
GKR ab und handelten sich dafür zunehmende Kritik von Kuwait ein. Davon überzeugt, dass vor allem die irakische
Bevölkerung unter den Sanktionen zu leiden
habe, stellten die VAE durch die Gesellschaft
Roter Halbmond Hilfsgelder für den Irak bereit. Auch die diplomatischen Beziehungen
beider Länder wurden mit der Eröffnung von
Botschaften in Bagdad und Abu Dhabi Anfang
2000 wieder aufgenommen.
Die VAE setzten sich auch in den Folgejahren
für die Integration des Iraks in die arabische
und internationale Gemeinschaft ein. Im März
2003, kurz vor der US-amerikanischen Invasion des Irak, versuchten die VAE auf dem
Irak-Gipfel der Arabischen Liga im ägyptischen Sharm el-Sheikh vergebens, eine militärische Intervention abzuwenden. Sie
hatten Saddam Hussein das Exil und der irakischen Führung Straffreiheit angeboten,
wenn diese innerhalb von zwei Wochen das
Land verlassen und den Weg für die Bildung
einer Übergangsregierung unter Aufsicht der
UN und der Arabischen Liga frei machen würden. Der Vorschlag wurde jedoch von der irakischen Delegation und der Mehrzahl der
anwesenden arabischen Regierungsführer
abgelehnt16. Der Sturz Saddam Husseins
durch die Amerikaner im Mai 2003 wurde von
den VAE ambivalent beurteilt. Zum einen befürchteten die VAE eine erneute Destabilisierung der gesamten Region, zum anderen
erhoffte sich die Regierung der VAE nun die
Etablierung eines „kooperativeren“ politischen
Systems im Irak und eine Verbesserung der
bilateralen Beziehungen unter der zukünftigen
irakischen Führung.
16
17
18
52
Die VAE haben die USA finanziell erheblich
bei der Stabilisierung des Irak in den Folgejahren unterstützt: So stellten sie allein für die
Ausbildung von Polizeikräften 215 Mio. USD
bereit. 2008 erklärten die VAE anlässlich
eines Besuches des irakischen Premierministers Nuri al-Malki, dass dem Irak sämtliche
Schulden in Höhe von 4 Mrd. USD erlassen
werden17, um den politischen Prozess zu stützen und den Wiederaufbau des Landes zu erleichtern. Im selben Jahr erklärte die
Regierung der VAE, dass die Botschaft in
Bagdad wieder eröffnet werden soll. Die VAE
wollen in Zukunft ihre Handelsbeziehungen
vor allem im Nordirak weiter intensivieren.
Irak ist mittlerweile der achtgrößte Handelspartner Dubais18. Das Handelsgeschäft
Dubais mit dem Irak außerhalb des Ölsektors
stieg zwischen 2008 und 2010 um 32,6% an.
III. Die Beziehungen zu Iran
Die meisten GKR-Staaten sind der Meinung,
dass die militärische Kooperation mit westlichen Staaten für die regionale Stabilität der
Golfregion erforderlich ist. Die ausländische
Militärpräsenz und damit Einflussnahme der
westlichen Staaten wird aber von der iranischen Führung angeprangert und hat zum Teil
zu einer wachsenden Ausbreitung pro-iranischer Ideologien im Mittleren Osten geführt.
Nichtsdestotrotz sind die bilateralen Beziehungen weiterhin gut, was vor allem daran
liegt, dass die VAE bewusst zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen unterscheiden. In Bezug auf Iran stoßen in den
VAE oft die Positionen Abu Dhabis (sicherheitsorientiert) und Dubais (handelsorientiert)
aufeinander. Die sicherheitspolitische Stimme
Abu Dhabis setzte sich in den letzten Jahren
durch.
Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der VAE zu Iran reichen mehrere
Jahrtausende zurück. Beide Völker betrieben
in der Geschichte einen regen Austausch und
Handel. Dubai ist die Heimat der zweitgrößten iranischen Diasporagemeinde weltweit,
welche das wirtschaftliche und kulturelle
Leben Dubais entscheidend mitprägt. Dubais
Verbindung zu Iran geht zurück auf den Anfang des 19. Jahrhunderts, als iranische
Händler aus Frust über die Zentralisierung in
Teheran und die politische Verfolgung von
http://www.spiegel.de/politik/ausland/arabische-liga-saddams-exil-und-der-gaddafi-eklat-a-238404.html,
abgerufen am 07.08.2012.
http://www.mofa.gov.ae/mofa_english/portal/b074766a-5507-43c7-9beb-3155a52e25b5.aspx,
abgerufen am 07.08.2012.
http://www.khaleejtimes.com/DisplayArticle.asp?xfile=data/business/2011/November/business_November587.xml&section=business&col=, abgerufen am 25.09.2012.
Deutsches Orient-Institut
VAE
Sunniten nach Dubai emigrierten. Sie bilden
heute das Rückgrat von Dubais Handels- und
politischer Klasse.
Die VAE verfolgen insgesamt keine stringente
Politik gegenüber Iran, die bilateralen Beziehungen können als eine Mischung aus Engagement und versuchter Eingrenzung
bezeichnet werden19. So stehen die VAE vor
dem Konflikt, den Handel mit Iran weiter ausbauen zu wollen und sich gleichzeitig an den
UN-Sanktionen gegen Iran beteiligen zu müssen. Trotz ihrer engen bilateralen Beziehungen zu den USA ließen sich die VAE lange
Zeit nicht in die Sanktionspolitik gegen Iran integrieren. Aufgrund steigenden Drucks durch
die Amerikaner und einer Machtverschiebung
innerhalb der VAE zugunsten Abu Dhabis20
hat die Einhaltung der Sanktionen in den letzten Jahren jedoch stärker an Gewicht gewonnen. Die Unterscheidung zwischen legalen
und illegalen Geschäften bereitet in der alltäglichen Umsetzung jedoch oftmals Schwierigkeiten21. Die VAE vertreten allgemein die
Auffassung, dass Sanktionen allein es nicht
vermögen, Iran zum Einlenken im Streit um
das Atomprogramm zu bewegen.22
Unter den einzelnen Emiraten herrscht keineswegs Einigkeit über die Umsetzung der
dem Irangeschäft auferlegten Sanktionen.
Gerade Dubai ist sehr kritisch gegenüber den
Sanktionen. Die iranische Gemeinschaft in
Dubai ist von immenser wirtschaftlicher Bedeutung: 2006 investierten ansässige Iraner
dort etwa 200 Mrd. USD. Die Umsetzung der
Sanktionen hat vor allem die Finanztransaktionen im Emirat Dubai erheblich erschwert.
Das Emirat Dubai ist zudem Angelpunkt für
iranische Importe und ein zentraler Transitpunkt für legale und illegale Waren, die nach
19
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22
23
24
25
Iran geliefert werden. Abu Dhabi äußerte sich
in der Vergangenheit weitaus kritischer gegenüber Iran und fühlte sich durch das teils
provokante Verhalten Irans bedroht. In Abu
Dhabi wurden seit längerem Stimmen laut, die
die große iranische Gemeinde in Dubai als sicherheitspolitische Bedrohung wahrnehmen.23 Als Reaktion auf die zunehmend
aggressive Haltung Irans bauten die VAE ihre
strategische Allianz mit den USA weiter aus.
Die Sicherheitsausgaben der VAE stiegen
zwischen 2001 und 2009 von 1,4 Mrd. EUR
auf 11,7 Mrd. EUR an. Die VAE sind mittlerweile einer der größten Abnehmer von USamerikanischen Waffen. Zwischen 2007 und
2010 erwarben die VAE US-amerikanische
Waffen im Gesamtwert von 10,4 Mrd. USD,
einzig Saudi-Arabien konnte dies noch übertrumpfen24. Größter Streitpunkt mit Iran sind
neben den nuklearen Ambitionen Irans einige
kleinere Inseln im Golf. Die Besetzung der
drei Inseln Kleine Tunb, Große Tunb und Abu
Musa durch Iran 1971 trübt die bilateralen Beziehungen bis heute. Mit dem Rückzug der
Briten aus der Golfregion 1971 ergaben sich
Fragen hinsichtlich der Souveränität mehrerer Territorien. Die drei umstrittenen Inseln liegen an strategisch wichtiger Stelle vor der
Meerenge, der Straße von Hormuz im Golf.
Zwei Tage vor Inkrafttreten des Föderationsvertrages besetzten iranische Truppen diese
Inseln. Der Schah kündigte an, jegliche Besitzansprüche der VAE an den Inseln wenn
nötig mit Gewalt zu verteidigen. Iran berief
sich bei seinen Besitzansprüchen darauf,
dass die Inseln vor der Zeit der Briten zu Iran
gehört hatten.25 Der Streit um die drei Inseln
eskalierte ein weiteres Mal 1992, als Iran
ägyptischen Lehrern die Einreise auf Abu
Musa verweigerte, da sie kein iranisches Visa
vorweisen konnten. Die VAE bestanden wei-
Hesseling, Bart: The Prospects of Security Cooperation in the Gulf, siehe: http://www.iss.europa.eu/
uploads/media/SecurityCooperationPersianGulf.pdf, abgerufen am 13.08.2012.
Die Machtverschiebung innerhalb der Föderation zugunsten Abu Dhabis ist ein generelles Phänomen
und mit dem wirtschaftlichen Einbruch Dubais durch die internationale Finanzkrise 2008/2009 zu
erklären.
Sadjadpour, Karim: The Battle of Dubai: The United Arab Emirates and the US-Iran Cold War, Carnegie
Paper, July 2011, siehe: http://www.carnegieendowment.org/2011/07/27/battle-of-dubai-unitedarab-emirates-and-us-iran-cold-war/8kiw, abgerufen am 13.08.2012.
Die VAE sind seit 1995 Mitglied des Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT) und
haben aus sicherheitspolitischen Erwägungen ihre Besorgnis über das iranische Atomprogramm
geäußert. Die VAE setzen zukünftig vermehrt auf Atomstrom, um ihren steigenden Energiebedarf zu
decken: Bis 2020 sollen 25% des Stroms mit Atomenergie hergestellt werden. Das Außenministerium
sprach sich offiziell für eine transparente Aromenergiepolitik aller Staaten aus und forderte die Abschaffung sämtlicher Atomwaffen in der Region des Mittleren Ostens. Vgl. http://www.mofa.gov.ae/mofa_
english/portal/cd1c53f8-0310-44a6-bea7-6f680723a0de.aspx, abgerufen am 07.08.2012.
Katzman, Kenneth: The United Arab Emirates (UAE): Issues for U.S. Policy, Washington 2011, S. 11.
Katzman, Kenneth: The United Arab Emirates (UAE): Issues for U.S. Policy, S. 13,
siehe: http://www.fas.org/sgp/crs/mideast/RS21852.pdf, abgerufen am 25.09.2012.
Trautner, Bernhard J.: Die Auseinandersetzungen zwischen Iran und den Vereinigten Arabischen
Emiraten um die Souveränität über Inseln im Persischen Golf, in: Pfetsch, Frank R. (Hrsg.): Konflikte
seit 1945. Daten – Fakten – Hintergründe. Die Arabisch – Islamische Welt, Freiburg – Würzburg 1991,
S. 124 ff.
Deutsches Orient-Institut
53
VAE
terhin auf ihren Ansprüchen und erklärten sich
bereit, mit der iranischen Führung zu verhandeln. Dabei erhielten sie international Rückhalt vom GKR, der Arabischen Liga und
anderen internationalen Organisationen. Der
Inselstreit ist nach wie vor ungelöst, beide
Staaten bekräftigen ihre Besitzansprüche.
Unlängst besuchte der iranische Präsident
Mahmud Ahmadinejad im April 2012 Abu
Musa, die einzig bewohnte Insel unter den
dreien.26
Mit den revolutionären Umbrüchen im Zuge
des „Arabischen Frühlings“ Anfang des Jahres 2011 entstanden neue Spannungen, da
Iran für die Schiiten unter den Aufständischen
in Bahrain offen Partei ergriff. Der GKR hatte,
unter Beteiligung der VAE, Truppen entsandt,
um die Aufstände niederzuschlagen, einen
Machtwechsel in Bahrain zu unterbinden und
einen „Spill-over-Effekt“ der Aufstände in die
anderen Golfstaaten zu verhindern. Iran verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte als
unrechtmäßiges Vorgehen gegen eine „friedliche Erhebung“27.
IV. Beziehungen zu arabischen und/oder
islamischen Staaten
Wie anfangs bereits erwähnt, erklären sich
die VAE in ihrer Verfassung solidarisch mit
allen arabischen und/oder islamischen Völkern und unterstützen diese Gemeinschaften
dabei, sich politisch und wirtschaftlich weiter
zu entwickeln. Dabei geht es vornehmlich um
den Wunsch nach einer generellen Befriedung des gesamten arabisch-islamischen
Kulturraumes als auch um eine verstärkte Zusammenarbeit der islamischen Gemeinschaft
(arabisch: umma).
Nach dem Zerfall der Sowjetunion begannen
die VAE, intensive Beziehungen zu den muslimischen Gemeinschaften in Zentralasien
vornehmlich durch Handelsbeziehungen und
Investitionen aufzubauen. Aufgrund ihrer
hohen Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten überlegen die VAE derzeit, verstärkt in
Agrarland in Zentralasien zu investieren28. An26
27
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54
fang der 1990er Jahre ergriffen die VAE im
Tschetschenienkrieg offen Partei für die Unabhängigkeit des vorwiegend muslimischen
Tschetscheniens. In den letzten Jahren haben
sich die Beziehungen mit der islamischen
Führung Tschetscheniens freundschaftlich
entwickelt. 2011 haben die VAE mit der
tschetschenischen Führung Gespräche über
mögliche Investitionen im Infrastrukturbereich
geführt. Im Mai 2012 sorgte eine islamische
Modenschau der First Lady Tschetscheniens
in Dubai für Aufsehen29. Das wachsende Engagement der VAE in Tschetschenien und
zentralasiatischen Republiken wird von
Russland – vor dem Hintergrund des Anstiegs
islamistischer Strömungen in den Staaten der
ehemaligen Sowjetunion – mit Misstrauen beobachtet30.
IV.1 Der Nahostkonflikt
In den VAE lebt eine große palästinensische
Minderheit. Allein in Dubai zählte man im Jahr
2009 etwa 100.000 Personen palästinensischer Abstammung. Der überwiegende Teil
von ihnen ist bereits seit mehreren Jahrzehnten dort ansässig. Gut ausgebildet, arbeiten
sie in den Emiraten überwiegend als Ingenieure und in anderen technischen Bereichen.
Die regelmäßigen Geldüberweisungen an Familienmitglieder in den Palästinensischen Autonomiegebieten bilden für letztere eine
wichtige Einnahmequelle. Im Zuge der internationalen Finanzkrise verloren viele Palästinenser in Dubai ihre Arbeit, einige wanderten
daraufhin nach Katar aus31.
Auch deshalb sehen die VAE die Lösung des
Nahostkonfliktes als essentiell für die Stabilisierung des gesamten Nahen und Mittleren
Ostens. Die Regierung zeigt sich solidarisch
mit den Palästinensern und als direkt von den
Auswirkungen des Konfliktes betroffen32.
Die VAE unterhalten keine formalen Beziehungen mit Israel und weigern sich, den Staat
anzuerkennen. Auf internationaler Bühne
haben die VAE wiederholt betont, dass die
Vertreibung der Palästinenser völkerrechtswidrig und ein Fall von unrechtmäßiger Be-
http://www.english.alarabiya.net/articles/2012/04/17/208389.html, abgerufen am 07.08.2012.
Sadjadpour, Karim: The Battle of Dubai: The United Arab Emirates and the US-Iran Cold War, Carnegie
Paper, July 2011, S. 13.
Die zentralasiatischen Staaten hätten den Vorteil, dass sie politisch stabiler sind als afrikanische Staaten,
in denen die VAE derzeit Agrarland pachten, wie beispielsweise Sudan und Ägypten. Siehe http://www.the
national.ae/news/uae-news/arab-states-must-invest-in-central-asian-farmland, abgerufen am 09.08.2012.
http://www.alarabiya.net/articles/2012/03/25/203115.html, abgerufen am 09.08.2012.
Tertertov, Marat: Russian Relations to the Gulf Region, siehe: http://www.gpfeurope.com/upload/iblock/906/russian_relations_to_the_gulf_region.pdf, Zugriff 13.08.2012.
http://www.haaretz.com/print-edition/news/thousands-of-palestinians-may-lose-jobs-in-dubai-crash1.3219, abgerufen am 09.08.2012.
Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives
on the United Arab Emirates, London 1997, S. 172.
Deutsches Orient-Institut
VAE
setzung sei33 und fordern den Rückzug Israels
aus allen 1967 besetzten Gebieten.
Nicht direkt am Arabisch-Israelischen Krieg
1973 beteiligt, übten die VAE jedoch mittels
eines Ölembargos erheblichen Druck auf die
Staaten aus, die sich auf die Seite Israels
stellten. Sheikh Zayed erklärte die Solidaritätsbekundungen der VAE wie folgt:
„(..) Arab oil is not dearer than Arab
blood. (Q) A loss of oil revenues was a
small price to pay when other Arab
countries were suffering heavy human
losses.“34
Neben den arabischen Staaten Ägypten, Syrien und Jordanien waren die Palästinenser in
den letzten Jahrzehnten die Hauptempfänger
von Hilfsgeldern aus den VAE. Insgesamt
stellten die VAE zwischen 1971 und 2001
etwa 20 Mrd. USD bereit. Diese wurden teils
durch den Abu Dhabi Fund für Development
(ADFD) und teils durch bilaterale Regierungsabkommen bereitgestellt. Die Unterzeichnung
des
ägyptisch-israelischen
Friedensvertrages 1979 unter Präsident
Anwar as-Sadat führte dazu, dass die VAE
ihre diplomatischen Beziehungen zu Ägypten
für beinahe ein Jahrzehnt einfroren. Die Regierung der VAE war davon überzeugt, dass
bilaterale Friedensabkommen mit Israel keinen dauerhaften Frieden herbeiführen würden
und
kritisierte
die
einseitige
pro-israelische Perspektive der US-amerikanischen Nahostpolitik. Ebenso beklagten sie
die Ignoranz der israelischen Regierung und
forderten den UN-Sicherheitsrat dazu auf,
mehr Druck auf Israel auszuüben. Die VAE
beteiligten sich an jeglichen Friedensverhandlungen auf arabischer und internationaler
Initiative, so geschehen bei der Madridkonferenz 1991, der Damaskusdeklaration 1991,
dem Oslo-Abkommen 1993 und dem Plan
von König Abdullah von Saudi-Arabien 2003.
Dabei verharrten sie auf der Schaffung eines
palästinensischen Staates. Bei der Klärung
des rechtlichen Status’ der Stadt Jerusalem in
einem zukünftigen Zweistaatengebilde hoben
sich die VAE von den anderen arabischen
Staaten ab und betonten die religiöse Bedeutung der Stadt für alle Weltreligionen. Die VAE
waren Teil einer Kampagne im Jahre 1994,
33
34
35
36
37
die den Boykott von israelischen Produkten
durch die Arabische Liga eingrenzen wollten.
Die VAE verweigerten jedoch die Aufhebung
des Boykotts von direkten Geschäften mit Israel und stellten sich damit Katar und Oman
entgegen.35
IV.2 Beteiligung an Friedensmissionen
Die als Angriff auf die eigene Sicherheit empfundene irakische Invasion Kuwaits führte
nicht nur dazu, dass die VAE fortan auf ausländische Militärpräsenz setzten. Die Föderation begann ebenfalls, sich mit kleineren
Truppenstärken an internationalen Friedensmissionen in Konfliktregionen der Welt zu beteiligen, beispielsweise während des
Bürgerkrieges in Somalia 1993 und zur Minenräumung im Südlibanon 2007. Im Kosovokonflikt unterstützten die VAE die Albaner
und beteiligten sich 1999 als erster und einziger muslimischer Staat an der NATO-Mission.
2008 erkannten die VAE den Kosovo als unabhängigen Staat an.
IV.3. Bereitstellung von Entwicklungshilfe
Die VAE haben seit Gründung der Föderation
bereits mehr als 70 Mrd. USD an Entwicklungshilfe weltweit bereitgestellt. Offiziell wird
dieses Engagement begründet mit der religiösen Überzeugung, Bedürftigen zu helfen
und den eigenen Reichtum zu teilen. Daneben spielen aber auch ideologische Gründe
eine zentrale Rolle: so sind die Empfänger der
Entwicklungshilfe fast ausschließlich arabische und muslimische Gesellschaften in
Asien und Afrika, mit denen sich die Regierung der VAE solidarisch gibt. Umstritten ist,
inwieweit die VAE den Taliban und anderen
radikal-islamischen Gruppierungen weltweit
Gelder zur Verfügung stellen, Statistiken zu
den Geldleistungen bleiben oftmals lückenhaft36.
Die finanzielle und humanitäre Hilfe umfasst
die Beteiligung der VAE an Entwicklungshilfeprojekten – oftmals in Kooperation mit internationalen Organisationen und Initiativen37 –
und Infrastrukturprojekten. Des Weiteren
leisten die VAE finanzielle Unterstützung bei
militärischen Auseinandersetzungen oder Naturkatastrophen, auch hier in überwiegendem
Al-Mashat, Abdul Monem: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United Arab
Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab States: The Challenge
of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010, S. 471 ff.
Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives
on the United Arab Emirates, London 1997, S. 173.
Ebd.
http://www.thebeaveronline.co.uk/2012/01/30/aid-ineffective-in-the-arab-world/, abgerufen am 25.09.2012.
Siehe hierzu: Deutsches Orient-Institut: Opportunities for increased German – Gulf Cooperation in
Support of Security and Stability in Pakistan, Berlin 2009.
Deutsches Orient-Institut
55
VAE
Maße für arabisch-muslimische Völker. Diese
Katastrophenhilfe wird entweder direkt zwischen den jeweiligen Landesregierungen
oder indirekt über die Beteiligung der VAE an
UN-Programmen geleistet. Die VAE haben
als einer der Hauptbeitragsleistenden rund 27
Mrd. USD durch den Internationalen
Währungsfonds und die Weltbank bereitgestellt.
Zur Koordinierung des weltweiten humanitären Engagements hat die Regierung der
VAE das UAE Foreign Aid Coordination Office
(FACO) in Zusammenarbeit mit dem UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs gegründet. Von dieser Zusammenarbeit
erhofft sich die Regierung einen zukünftig
stärkeren Fokus auf Beteiligung an multilateralen Hilfsleistungen. Die VAE haben zudem
eine Vielzahl an Stiftungen gegründet, die
sich in verschiedenen humanitären Bereichen
engagieren. Dazu zählen vor allem der Abu
Dhabi Development Fund, die Khalifa Charity
Foundation, die Rotkreuz-Gesellschaft, die
Mohammad bin Rashid Al Maktoum Charity
and Humanitarian Foundation und die Noor
Dubai Initiative38.
V. Die Beziehungen zu Pakistan und Afghanistan
Die VAE unterhalten mit der Region Südasien
seit Jahrtausenden historische Handelsbeziehungen. Indien und Pakistan kommt aufgrund ihres hohen Bevölkerungsanteils in den
Emiraten (insgesamt 3 Mio. Menschen) besondere Bedeutung zu. Vor der Entdeckung
des Öls waren Indien und Pakistan gar die
Haupthandelspartner der VAE. Die Länder
Pakistan, Afghanistan und VAE verbinden
weiterhin gemeinsame religiöse und kulturelle
Werte.
Die bilateralen Beziehungen werden jedoch
zunehmend durch kriminelle Geschäfte mit
Drogen und Menschenhandel belastet. Innerhalb der VAE ist besonders Dubai, als
geopolitisch günstig gelegener Knotenpunkt
des Welthandels, Zielscheibe von Drogenschmuggel. Die Drogen werden von
38
39
40
41
42
43
56
Afghanistan über Pakistan und Iran in die VAE
transportiert. Die emiratischen Behörden
gehen sehr hart gegen jeglichen Drogenbesitz vor: Schon der Besitz von winzigen Mengen Drogen wird mit einer Haftstrafe von
mindestens vier Jahren bestraft39. Im Kampf
gegen illegale Drogengeschäfte haben Pakistan und die VAE 1995 ein Memorandum of
Understanding (MoU) und 2004 ein Auslieferungsabkommen unterzeichnet.
V.1 Pakistan
Pakistan war das erste Land, welches die
VAE nach ihrer Unabhängigkeit 1971 offiziell
anerkannte. Die Regierungen beider Länder
sind eng miteinander verbunden und sich
freundschaftlich zugetan. So hatte Sheikh
Zayed den Flughafen in Rahim Yar Khan in
der Provinz Punjab, der auch nach ihm benannt wurde, der pakistanischen Regierung
gespendet. Die Herrscherfamilien der VAE
besitzen mehrere Häuser in Balutschistan
und im Punjab und reisen regelmäßig nach
Pakistan, um Jagden zu veranstalten oder
ihren Urlaub zu verbringen40.
Pakistan und die VAE verbinden auch enge
wirtschaftliche Beziehungen. Die VAE sind
nach den USA der zweitgrößte Abnehmer von
pakistanischen Exporten. Von Juli 2011 bis
Mai 2012 wurden insgesamt Waren im Wert
von 1,8 Mrd. USD in die VAE exportiert. Im
selben Zeitraum belief sich das Importgeschäft auf 6,3 Mrd. USD41. Die bilateralen
Wirtschaftsbeziehungen haben sich seit 2006
noch einmal erheblich gesteigert: Mittlerweile
existieren 27 Joint Ventures mit einem Gesamtvolumen von 21 Mrd. USD. Die Investitionen der VAE sind in fast allen Bereichen
anzutreffen, darunter Telekommunikation, IT,
Luftfahrt, im Banken- und im Energiesektor42.
In den VAE wiederum sind mehr als 6.000 pakistanische Firmen registriert. Die VAE sind
einer der Hauptgeber von Entwicklungshilfen
in Pakistan. 2009 gab es insgesamt 58 Schulund Hochschulprojekte, die von den VAE mitfinanziert wurden43. Auch im Katastrophenschutz leisteten die VAE großen Anteil: 2005
stellten sie 100 Mio. USD für die Erdbeben-
Letztere hat sich zum Ziel gesetzt, eine Million Menschen mit Augenleiden in Afrika und Asien zu
behandeln.
http://gulfnews.com/news/gulf/uae/crime/man-gets-4-years-in-dubai-jail-for-testing-positive-for-drugs1.812016, abgerufen am 13.08.2012.
Deutsches Orient-Institut: Opportunities for increased German – Gulf Cooperation in Support of Security
and Stability in Pakistan, Berlin 2009, S. 37.
http://www.pakistanembassyuae.org/view/bilateral-trade--investment-relations.aspx, Zugriff 09.08.2012.
http://www.khaleejtimes.com/DisplayArticle08.asp?xfile=data/business/2012/January/business_
January465.xml&section=business, abgerufen am 09.08.2012.
Deutsches Orient-Institut: Opportunities for increased German – Gulf Cooperation in Support of Security
and Stability in Pakistan, Berlin 2009, S. 41.
Deutsches Orient-Institut
VAE
opfer bereit. Die VAE investieren weltweit
zunehmend in landwirtschaftliche Projekte,
um die inländische Versorgung mit Lebensmitteln zu gewährleisten. Die stetig steigende
Bevölkerung mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von über 3% und der Wassermangel im eigenen Land zwingen die VAE,
wie auch Saudi-Arabien und Katar, in landwirtschaftliche Flächen in Partnerländern wie
Pakistan zu investieren. 2009 gab es Pläne
der Regierung, insgesamt zwischen 40.000
und 80.000 ha Farmland in den Provinzen
Sindh und Punjab zu pachten44.
Soldaten in Südafghanistan stationiert. Auch
Afghanistan ist Empfänger umfangreicher finanzieller Aufbauhilfen der VAE: Die Rotkreuzgesellschaft stellte seit 2003 19 Mio.
USD für lokale Projekte bereit, weitere 30 Mio.
USD investierte die Regierung, 22 Mio. USD
wurden von privaten Investoren aus den VAE
bereit gestellt. Mit diesen Geldern wurde der
Bau von elf Schulen, sechs Kliniken, einer öffentlichen Bibliothek und mehreren Moscheen
finanziert48. Ebenso beteiligten sich die VAE
an einem islamischen Fonds gemeinsam mit
Saudi-Arabien, Katar und Oman.
In den VAE leben heute etwa 1,25 Mio. Menschen pakistanischer Herkunft. Damit bilden
die Pakistanis die zweitgrößte ethnische Minderheit hinter den Indern (1,75 Mio.). Die pakistanischen Gastarbeiter üben in den VAE oft
die körperlich schwersten Arbeiten im Bauund Infrastruktursektor aus. Mehrmals wurden
die Lebens- und Arbeitsbedingungen der
Gastarbeiter von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisiert45.
Die VAE sind aufgrund ihrer geostrategischen
Schlüssellage zunehmend zur Zielscheibe
krimineller Geschäfte geworden. Über Dubai
wird in großem Maße Geldwäsche betrieben.
Afghanistan, eines der korruptesten Länder
weltweit49, soll in den letzten Jahren mehr als
3 Mrd. USD außer Landes gebracht haben.
Das Geld stammt teils aus westlichen Hilfsund Wiederaufbauprojekten, teils aus dem
Drogengeschäft und wird in Kisten mit Flugzeugen nach Dubai gebracht, wo wohlhabende Afghanen Immobilien besitzen.50
Die Pakistanis waren von der Entlassungswelle während der Finanzkrise 2008/2009
massiv betroffen: Damals wurden täglich bis
zu 1.500 Arbeiter entlassen. Sie mussten daraufhin in ihr Heimatland zurückkehren und
verloren die Existenzgrundlage für ihre Familien in der Heimat.46
V.2 Afghanistan
Die VAE waren mit Pakistan und Saudi-Arabien der einzige Staat, welcher die Herrschaft
der Taliban offiziell anerkannte. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 brachen die VAE ihre diplomatischen
Beziehungen zur Taliban-Regierung ab.47 Als
einziges arabisches Land beteiligten sich die
VAE an dem ISAF-Einsatz. 2011 waren 250
44
45
46
47
48
49
50
51
Auch islamistischen Gruppierungen wird vorgeworfen, von Dubai aus Gelder an ihre Netzwerke in Asien und Afrika zu transferieren.
Offiziell hat die Regierung jegliche Form von
Terrorismus verurteilt und sich davon distanziert.51 Der derzeitige Außenminister Sheikh
Abdullah erklärte bei seiner Rede vor der UNGeneralversammlung im Jahr 2008:
“(Q) the UAE is effectively cooperating
with all efforts aiming at eradicating terrorism in all its forms, including money
laundering (Q) the UAE will continue
its efforts in this regard to eliminate terrorism in all its forms and diminish all
its resources, reiterating our commit-
Ebd., S. 9.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/gastarbeiter-in-dubai-luxuswelt-aus-sklavenhand-a-447509.html,
abgerufen am 09.08.2012.
Penquitt, Denise: Vereinigte Arabische Emirate, in: Deutsches Orient-Institut (Hrsg.) Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick, Berlin 2011, S. 155.
http://www.faz.net/aktuell/politik/diplomatie-pakistan-ja-emirate-nein-131327.html, abgerufen am
09.08.2012.
http://www.thenational.ae/news/uae-news/uae-to-send-250m-for-afghanistan-development-projects,
abgerufen am 13.08.2012.
Transparency International erteilte Afghanistan 2011 einen Korruptionsindex von 1,5 (0 = höchste Rate,
10 = niedrigste Rate). Damit liegt das Land auf Rang 180 von 182 Ländern weltweit.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/korruption-afghanen-verschieben-hilfsmilliarden-ins-auslanda-703233.html, abgerufen am 09.08.2012.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 hatten die VAE in den Fokus des internationalen AntiTerror-Kampfes gebracht, nachdem enthüllt wurde, dass unter den Al-Kaida-Terroristen zwei emiratische
Staatsbürger waren. Auch eine Verbindung zu Dubais Banken wurde nachgewiesen.
Deutsches Orient-Institut
57
VAE
ment towards supporting all efforts
made to enhance dialogue and tolerance among religions.” 52
VI. Die Beziehungen zu China / Indien /
Ostasien
Im Jahr 2010 und 2011 haben die VAE erstmals mehr Waren aus Indien (9,6%) und
China (9,9%) importiert als aus den USA
(7%). Insgesamt betragen die Importe aus
Asien mittlerweile 48%, gefolgt von Europa
(25,3%). Dies zeigt, dass sich die VAE wirtschaftlich zunehmend Richtung Asien orientieren. Asien
ist
mittlerweile
auch
Hauptabnehmer des Öls: Japan erhält über
50%, große Mengen gehen nach Korea, Thailand, Indien, Singapur und China.53 Seit der
internationalen Finanzkrise hatten sich die
Golfstaaten mit ihrem Ölexport vermehrt an
China gewandt. Bis 2014, so Schätzungen54,
wird die Hälfte des weltweiten Ölbedarfs nach
Asien gehen.
China verfolgt in den VAE fast ausschließlich
wirtschaftliche Interessen. Das Land hat
einen immensen Bedarf an Energie für die
stetig wachsende Volkswirtschaft, und die
VAE sind willens, diesen Bedarf im Austausch
gegen Dienstleistungen vor allem im Baugewerbe zu quittieren.55 Zurzeit wird ein Freihandelsabkommen zwischen dem GKR und
China erarbeitet. Politisch tritt China in den
VAE jedoch nicht in Erscheinung. China hat
erhebliches Interesse daran, die politische
Lage der Region stabil zu halten, um ungehinderten Zugang zu den Rohstoffen zu ermöglichen. Ein Vorteil Chinas und anderer
asiatischer Staaten mag sein, dass sie, ähnlich den VAE selbst, eine Strategie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten
anderer Staaten verfolgen. Der Einfluss
Chinas und Indiens in der Golfregion wird
demzufolge in den nächsten zehn Jahren weiter massiv steigen56. Auch die VAE werden
ihr Interesse zukünftig stärker als Ausdruck
einer vielseitig ausgerichteten Außenpolitik
auf China richten.
Die wirtschaftlich enge Verflechtung der VAE
52
53
54
55
56
57
58
mit China und Indien zeigt sich auch an den
großen Bevölkerungsanteilen beider Länder
in den Emiraten. In Dubai sind fast 200.000
Chinesen beheimatet, dies stellt die größte
chinesische Gemeinschaft außerhalb Chinas
dar. In der „Jebel Ali Free Zone“ in Dubai sind
mehr als 500 chinesische Firmen ansässig, in
der „Dragon Mart“ im Stadtteil Dubai International City finden sich über 3.000 chinesische
Geschäfte. In den VAE leben auch mehr als
1,75 Mio. indischstämmige Migranten, die
damit die größte ethnische Gruppe in den
Emiraten bilden, gefolgt von den Pakistanis
mit ca. 1,25 Mio. Menschen.
VII. Die Beziehungen zu westlichen Staaten
Die außenpolitischen Beziehungen zu den
westlichen Staaten sind für die VAE insgesamt weniger bedeutend als die Beziehungen
zu den anderen Golfstaaten, haben sich jedoch seit den 1990er Jahren stetig weiter entwickelt. Die Beteiligung am US-geführten
Befreiungskrieg Kuwaits war der Beginn einer
sicherheitspolitisch engen Zusammenarbeit
mit den USA. Ein weiterer enger Kooperationspartner im Sicherheitsbereich ist Frankreich. Auch Großbritannien kommt aufgrund
der historischen Verbindung als ehemalige
Schutzmacht eine besondere Rolle zu. Sein
Einfluss sank jedoch in den 1990er Jahren
zunehmend, als die großen Industriemächte
USA, Frankreich und Japan an Einfluss in der
Region gewannen57. Mit Frankreich wurde
2008 ein Abkommen unterzeichnet, das eine
militärische Präsenz der Franzosen in den
VAE vorsieht.
VII.1 USA
Die Beziehungen der VAE zu den USA sind
vor allem sicherheitspolitisch geleitet und
gehen zurück auf den Zweiten Golfkrieg. Mit
der Beteiligung an dem US-geführten Befreiungskrieg Kuwaits wurden die VAE de facto
Teil des strategischen Schirms der USA in der
Golfregion. Das Unvermögen der arabischen
Staaten, die Sicherheit der Region in dieser
Krise allein wieder herzustellen, kann als
http://www.mofa.gov.ae/mofa_english/portal/b074766a-5507-43c7-9beb-3155a52e25b5.aspx,
abgerufen am 09.08.2012
Von Schoepff, Nikolai: United Arab Emirates, in: Near and Middle East Economic Handbook 2012,
Berlin 2012, S. 205.
The Nixon Center and the Gulf Research Center: China’s Growing Role in the Middle East: Implications
for the Region and Beyond, Washington 2010, S. 3.
Müller, Nora: Handel ja, Wandel nein. Auch in Arabien ist Chinas Politik von wirtschaftlichen Interessen
bestimmt, in: Internationale Politik, Ausgabe November/Dezember 2011, S. 89 ff.
Hesseling, Bart: The Prospects of Security Cooperation in the Gulf, siehe: http://www.iss.europa.eu/
uploads/media/SecurityCooperationPersianGulf.pdf, abgerufen am 13.08.2012.
Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives
on the United Arab Emirates, London 1997, S. 175 ff.
Deutsches Orient-Institut
VAE
Trauma für die VAE bezeichnet werden, die
als kleiner ressourcenreicher Staat eine Einverleibung durch die größeren Nachbarstaaten fürchteten. Hatten sie zuvor noch jegliche
ausländische Militärpräsenz auf eigenem
Boden abgelehnt, unterzeichneten die VAE
1996 ein Verteidigungsabkommen mit den
USA. Die USA sind, neben Frankreich, heute
auch einer der Hauptwaffenlieferanten. Trotz
Bemühungen um Ausbau und „Emiratisierung“ der nationalen Armee58 werden die VAE
demnach auch in naher Zukunft abhängig von
der ausländischen Militärpräsenz bleiben.
Die Regierung der VAE war sich durchaus bewusst, dass die USA in dieser neuen Allianz
ihre eigenen Interessen in der Region verfolgten.59 Trotz der sicherheitspolitisch engen
Zusammenarbeit sind die VAE daher nicht unkritisch gegenüber den USA: So kritisierten
sie mehrmals die Einseitigkeit der amerikanischen Nahostpolitik. Auch dem Irakkrieg 2003
stellten sie sich vehement entgegen und versuchten bis zuletzt, ein militärisches Vorgehen abzuwenden. Dennoch erlaubten sie
damals einer kleinen Zahl an US-Streitkräften, von deren Militärstützpunkt Al Dhafra und
Jebel Ali aus zu operieren.
Die VAE unterzeichneten mit den USA ein Nuklearabkommen, um selber Nukleartechnologie entwickeln zu können, erklärten sich
jedoch ausdrücklich zur friedlichen Anreicherung von Atomenergie. Stimmen aus den USA
äußerten Befürchtungen, dass sich Iran über
Kanäle in Dubai dieses Wissen aneignen und
für eigene Zwecke missbrauchen könnte60.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA
sind eng, die VAE sind der größte Abnehmer
von US-amerikanischen Exporten im Nahen
und Mittleren Osten. Die intensive ökonomische Zusammenarbeit wird dadurch getrübt,
dass immer wieder über Arbeitsmarktspannungen zwischen den beiden Staaten berichtet wird. Die USA übten bereits mehrmals
öffentlich Kritik an der teils menschenrechtswidrigen Behandlung der Gastarbeiter in den
VAE.61
58
59
60
61
62
63
64
Auch im Kultur- und Bildungsbereich existieren zahlreiche gemeinsame Initiativen; auf
der Insel Saadiyat entsteht derzeit ein Guggenheim-Museum, die American University
unterhält mehrere Standorte in den VAE.
Die VAE gerieten nach den Terroranschlägen
des 11. September 2001 in den Blickpunkt der
internationalen Ermittlungen gegen den Terrorismus. Neben der direkten Verwicklung
zweier emiratischer Staatsbürger in die Anschläge gab es immer wieder Vorwürfe, dass
die VAE Al-Kaida-Mitgliedern Unterschlupf gewähren würde. In den letzten Monaten wurden mehr als 50 Personen mit islamistischem
Hintergrund in den VAE festgenommen, die in
Verdacht standen, Terroranschläge in den
Emiraten geplant zu haben. Die USA zeigten
sich davon jedoch kaum berührt: Durch die
zunehmenden Spannungen um das iranische
Atomprogramm sind die USA auf ihren sicherheitspolitischen Partner in der Golfregion
angewiesen.62
VII.2 Großbritannien
1819 und 1820 schlossen die Briten mit den
Scheichtümern an der Golfküste Verträge zur
gemeinsamen Bekämpfung der Piraterie im
Golf. Die Briten erkannten auch die kleineren
Emirate wie Ajman, Umm al-Qaiwan und Fujairah an.63 Es entstand eine Art britisches
Protektorat (trucial states). Der Vertrag führte
zur Befriedung des Seehandels, 1853 wurde
ein „unbefristeter Friedensvertrag“ mit Großbritannien unterzeichnet. Mit dem Abkommen
von 1892 überließen die Emirate Großbritannien die volle Souveränität in außenpolitischen Fragen als Gegenleistung für
Sicherheitsgarantien seitens der Schutzmacht. 1922 verpflichteten sich die Emirate,
Ölkonzessionen nur an Firmen zu vergeben,
die von der britischen Krone unterstützt wurden.64 Auch der britische Rechtskorpus verbreitete sich in den Emiraten, außerdem
initiierte Großbritannien eine Vielzahl an Infrastrukturprojekten.
Der angekündigte Rückzug der Briten aus der
Region führte Ende der 1960er Jahre zur Be-
Mittlerweile sollen 40.000 Emiratis in der nationalen Armee dienen (Stand: Mai 2011). Siehe:
http://www.khaleejtimes.com/DisplayArticleNew.asp?xfile=/data/theuae/2011/May/theuae_May480.xml&
section=theuae, abgerufen am 13.08.2012.
Hellyer, Peter: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.): Perspectives
on the United Arab Emirates, London 1997, S. 176.
Katzman, Kenneth: The United Arab Emirates (UAE): Issues for U.S. Policy, Washington 2011, S. 9.
Moore, Michael: The US-UAE Trade Investment Relationship, Washington 2008, S. 8.
Henderson, Simon: UAE Arrests Highlight Challenges to U.S. Middle East Policy, in: The Washington
Institute for Near East Policy, 9. August 2012.
Hermann, Rainer: Die Golfstaaten. Wohin geht das neue Arabien?, Deutscher Taschenbuch Verlag
GmbH& Co. KG, München 2011, S. 40.
Ebd., S. 41.
Deutsches Orient-Institut
59
VAE
endigung aller Schutzverträge Großbritanniens mit Staaten im Golf, wozu neben den
Emiraten auch Bahrain und Katar zählten.
1971 in die Unabhängigkeit entlassen, unterstützte Großbritannien die einzelnen
Scheichtümer
dabei, eine gemeinsame
Union zu gründen.
Die VAE verbinden mit Großbritannien bis
heute wirtschaftliche und sicherheitspolitische
Interessen. Beide Staaten sind Seehandelsnationen und auf einen freien Zugang zu Handelswegen angewiesen. Sie kooperieren
weiterhin eng in der Bekämpfung der Seepiraterie. Die VAE und Großbritannien unterhalten darüber hinaus eine enge militärische
Zusammenarbeit und unterzeichneten 1996
ein gemeinsames Verteidigungsabkommen.
Die Royal Navy ist seit den 1980er Jahren am
Golf präsent.65 Viele ranghohe Mitglieder der
nationalen Armee wurden an britischen Militärakademien ausgebildet.66 Auch im schulischen und universitären Bereich findet ein
reger Austausch statt. Heute leben 100.000
Briten in den VAE, etwa 4.000 britische Unternehmen sind in den VAE ansässig. Fast
eine Million Touristen aus Großbritannien reisen jährlich in die Emirate.67
VII.3 Deutschland
Deutschland unterhält seit 1972 diplomatische Beziehungen mit den Emiraten, und
beide Staaten einigten sich 2004 auf eine
strategische Partnerschaft. Ziel ist die Intensivierung der bilateralen Beziehungen auch
im politischen, kulturellen und im Bildungsbereich. Beide Staaten unterzeichneten 2010
ein neues Doppelbesteuerungsabkommen,
daneben besteht ein Investitionsförderungsund Investitionsschutzabkommen.
Für Deutschland sind die VAE der wichtigste
Handelspartner in der arabischen Welt. 2010
stiegen die deutschen Exporte in die VAE um
23% auf 7,58 Mrd. EUR68. Die deutschen Importe betrugen 2010 insgesamt 519 Mio.
EUR. Deutschland und die VAE haben in den
vergangenen Jahren bei der Ausbildung von
irakischen Polizisten und Soldaten zusammen gearbeitet. Deutsche Firmen sind an vielen großen Projekten im Infrastruktur- und
65
66
67
68
69
60
Energiebereich in den VAE aktiv. Was die politische Situation in den VAE belangt, so ist
Deutschland wenig daran interessiert, Reformen anzustoßen, vielmehr sollen die wirtschaftlichen Beziehungen ungetrübt weiter
fortgesetzt werden.
Der Deutsche Akademische Austauschdienst
(DAAD) und das Goethe-Institut (GI) unterhalten seit Mai 2006 ein regionales Gemeinschaftsbüro für die Golfstaaten in Abu Dhabi.
Darüber hinaus wurde im Dezember 2007 in
Dubai ein GI-Sprachlernzentrum errichtet.
Zudem bestehen Kooperationsprojekte zwischen deutschen und emiratischen Hochschul- und Bildungseinrichtungen. Ende 2011
nahm in Abu Dhabi eine deutsch-emiratische
Logistikfachhochschule den Lehrbetrieb auf.
Anerkannte deutsche Auslandsschulen existieren in Abu Dhabi, Sharjah und Dubai.
An der Deutschen Internationalen Schule Abu
Dhabi haben Schüler im Mai 2011 das erste
Mal das „Deutsche Internationale Abitur“ ablegen können; in Dubai findet dies erstmals
im Schuljahr 2012 statt69.
VIII. Fazit
Die außenpolitischen Prioritäten der VAE –
die Sicherung der eigenen Integrität, Ausbau
der wirtschaftlichen Beziehungen und arabisch-islamische Solidarität – sind seit der
Gründung der Föderation 1971 bis heute die
selben geblieben. Innerhalb der letzten 40
Jahre gelang es der Regierung, trotz zahlreicher regionaler Krisen und Konflikte relativ
unbeschadet und unabhängig zu bleiben.
Dies ist zum großen Teil des auf Befriedung
und Verständigung beruhenden außenpolitischen Kurs’ von Sheikh Zayed, der die
Außenpolitik der VAE bis zu seinem Tod 2004
steuerte, zu verdanken. Auf globale Veränderungen wie das neue Kräfteverhältnis nach
dem Zerfall der Sowjetunion haben die VAE
reagiert und sich neu orientiert. Ein Wendepunkt in der Außenpolitik stellte die irakische
Invasion Kuwaits dar, die die sicherheitspolitische Allianz der VAE mit westlichen Staaten
zur Folge hatte. Außenpolitisch haben sich die
VAE seit den 1990er Jahren zunehmend offener und regional flexibler gezeigt. Ihr Fokus
http://www.gulfnews.com/news/gulf/uae/government/uae-uk-seek-to-boost-defence-cooperation-1.993565,
abgerufen am 10.08.2012.
http://www.thenational.ae/thenationalconversation/comment/uk-uae-relations-based-on-sharedsecurity-interests#page1, abgerufen am 10.08.2012.
Ebd.
Von Schoepff, Nikolai: United Arab Emirates, in: Near and Middle East Economic Handbook 2012,
Berlin 2012, S. 205.
Informationen des Auswärtigen Amtes, siehe: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/VereinigteArabischeEmirate/Bilateral_node.html#doc337452bodyText3,
abgerufen am 25.09.2012.
Deutsches Orient-Institut
VAE
lag dabei auf der Unterstützung arabischer
und/oder muslimischer Gesellschaften in
Asien, Afrika und Europa.
Die VAE sind international anerkannt für ihre
stabilisierende Rolle in der Region und ihre
Friedensbemühungen in internationalen und
arabischen Organisationen. Als kleiner ressourcenreicher Staat sind die VAE immer
darum bemüht, sich mit allen Nachbarstaaten
friedlich zu arrangieren. Das außenpolitische
humanitäre Engagement der VAE steht jedoch in zunehmendem Kontrast zum vielmals
kritisierten Umgang mit den Gastarbeitern innerhalb des Landes.
Seit der Jahrtausendwende haben die asiatischen Staaten in der Golfregion rasant an
Einfluss gewonnen. Die EU-Staaten sollten
sich daher darum bemühen, möglichst schnell
die seit 1990 andauernden Verhandlungen
zur Schaffung einer Freihandelszone voranzutreiben, um wirtschaftlich nicht den Anschluss zu verlieren.
Samira Akrach
IX. Quellenangaben
ALIBONI, ROBERTO: The Mediterranean Opportunities to Develop the EU-GCC Relationship,
Rom 2010.
AL-MASHAT, ABDUL MONEM: Politics of Constructive Engagement: The Foreign Policy of the United
Arab Emirates, in: Korany, Bahgat, Ali E. Hillal Dessouki: The Foreign Policies of Arab
States:The Challenge of Globalisation, Kairo 2008/New York 2010.
BELKAÏD, AKRAM: Die importierte Mehrheit. In den Emiraten fürchten die Scheichs eine Überfrem
dung durch Gastarbeiter, in: Edition Le Monde diplomatique, N° 11/2012, S. 70-75.
CENTER
STRATEGIC AND INTERNATIONAL STUDIES (CSIS): What Does the Arab Spring Mean for
Russia, Central Asia and the Caucasus, CSIS 2011.
FOR
DAVIDSON, CHRISTOPHER M.: The United Arab Emirates, in: Ders. (Hrsg.): Power and Politics in the
Persian Gulf Monarchies, London 2011.
DEUTSCHES ORIENT-INSTITUT: Opportunities for increased German – Gulf Cooperation in Support of
Security and Stability in Pakistan, Berlin 2009.
ECHAGÜE, ANA: EU and the Gulf Cooperation, Madrid 2007.
HELLYER, PETER: The Evolution of UAE Foreign Policy, in: Ghareeb, E., I. Al Abed. (Hrsg.):
Perspectives on the United Arab Emirates, London 1997.
HENDERSON, SIMON: UAE Arrests Highlight Challenges to U.S. Middle East Policy, The
Washington Institute for Near East Policy, 09. August 2012.
HERMANN, RAINER: Die Golfstaaten. Wohin geht das neue Arabien?, Deutscher Taschenbuch
Verlag GmbH & Co. KG, München 2011
HERTOG, STEFFEN: EU-GCC Relations in the Era of the Second Oil Boom, Center for Applied
Policy Research, Bertelsmann Stiftung, 2007.
HESSELING, BART: The Prospects of Security Cooperation in the Gulf, siehe: http://www.iss.
europa.eu/uploads/media/SecurityCooperationPersianGulf.pdf, abgerufen am 13.08.2012.
http://www.unhcr.org/refworld/category,LEGAL,,,ARE,48eca8132,0.html, abgerufen am 13.08.2012.
http://countrystudies.us/persian-gulf-states/91.htm, abgerufen am 10.08.2012.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/arabische-liga-saddams-exil-und-der-gaddafi-eklat-a-
Deutsches Orient-Institut
61
VAE
238404.html, abgerufen am 07.08.2012.
http://www.mofa.gov.ae/mofa_english/portal/b074766a-5507-43c7-9beb-3155a52e25b5.aspx,
abgerufen am 07.08.2012.
http://english.alarabiya.net/articles/2012/04/17/208389.html, abgerufen am 07.08.2012.
http://www.thenational.ae/news/uae-news/arab-states-must-invest-in-central-asian-farmland,
abgerufen am 09.08.2012.
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Deutsches Orient-Institut
63
Bahrain
M
I. Politische Entwicklungen in den letzten
Monaten / soziale Brennpunkte
it 1.336.000 Einwohnern1 ist Bahrain
kleinster Staat in der Golfregion.
Seine geographische Lage inmitten
einer der ressourcenreichsten Regionen der
Erde macht Bahrain zu einem strategisch
wichtigen Staat – insbesondere in sicherheitspolitischen Fragen.
Dieser Status birgt aber auch viele Gefahren,
so ist Bahrain von untereinander um Macht
und Einfluss konkurrierenden regionalen
Großmächten wie Saudi-Arabien und Iran
umgeben und dadurch immer wieder externen Konflikten und Interessensdivergenzen
ausgesetzt.
Wirtschaftliche, aber auch demographische
Zwänge machen den so genannten „Zwergstaat“ Bahrain darüber hinaus für äußere Einflüsse besonders verletzlich. Dies hat sowohl
innenpolitische als auch sicherheitspolitische
Auswirkungen für das Königreich. So verfügt
Bahrain im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten nur über geringe natürliche Ressourcen
und war daher, bzw. auch allein schon wegen
seiner geringer Größe (760 km2)2 im Laufe
seiner Geschichte wirtschaftlich sowie sicherheitspolitisch von verschiedenen externen
Akteuren und Einflüssen abhängig. Das Verhältnis zu den USA, Iran und zu Saudi-Arabien prägt seit Jahrzehnten die bahrainische
Außenpolitik maßgeblich. Die konfessionelle
Zusammensetzung der Bevölkerung Bahrains
mit seiner schiitischen Mehrheit bietet ferner
eine Angriffsfläche für eine Einflussnahme
von außen – wie sich auch insbesondere an
der Konfessionalisierung der Debatte um sicherheitspolitische Fragen beobachten lässt.3
Ziel des Kapitels ist es, anhand historischer
wie auch aktueller Beispiele das komplexe
Beziehungsgeflecht, in das Bahrain global
eingebettet ist, aufzuzeigen und somit ein tieferes mehrdimensionales Verständnis der
gegenwärtigen politischen Entwicklungen zu
ermöglichen.
Bis zum Frühjahr 2011 galt die Golfregion –
im Gegensatz zu den nordafrikanischen Staaten, die seit längerem schon mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen
1
2
3
64
hatten – als politisch relativ stabil. Die Volkswirtschaften der Golfstaaten verzeichneten
ein stetiges Wachstum und auch die Bevölkerung konnte weitestgehend mit einer
großzügigen Subventions- und Alimentierungspolitik aus den Öl- und Gasexporten zufrieden gestellt werden.
Dies änderte sich jedoch mit dem 14. Februar
2011, als es in Bahrain zu ersten Massenprotesten kam. Tausende von Menschen strömten auf die Straßen Manamas, der Hauptstadt
Bahrains, um gegen die politischen und wirtschaftlichen Missstände im Land aufzubegehren
und
politische
Partizipation
einzufordern. Um der Situation, die immer
mehr zu eskalieren drohte, Herr zu werden,
rief die Regierung Bahrains noch im Februar
den Ausnahmezustand aus, um im März 2011
schließlich mit der Unterstützung der Schutzschild-Truppe der Golfstaaten massiv gegen
die Protestler vorzugehen und die Bewegung
niederzuschlagen. Die Intervention forderte
einige Tote, zahlreiche Menschen wurden verhaftet und/oder verloren ihre Arbeitsplätze.
Diese Reaktion löste nicht nur eine innenpolitische Krise aus, sie hatte ferner drastische
außenpolitische Auswirkungen für das strategisch so wichtige Bahrain.
Die Proteste rückten die innenpolitische Situation Bahrains ins internationale Rampenlicht.
Insbesondere im Rahmen des diesjährigen
Formel 1-Rennens, das im März 2012, kurz
nachdem sich die Proteste ein erstes Mal
jährten, stattfand, zeigte sich die Regierung
bemüht, den internationalen Gästen ein Bild
der relativen Normalität und Stabilität zu vermitteln. Dazu hob sie vor allem den einenden
nationalen Charakter des Rennsports hervor.
Dies sorgte vor allem auf der Seite der Oppositionellen für Unmut. Die Regierung hatte im
Juni des Jahres 2011 den Ausnahmezustand
zwar wieder aufgehoben, einen Großteil der
Inhaftierten freigelassen, wie auch einige
zuvor entlassene Arbeitnehmer wiedereingestellt, diese Ansätze gingen der Opposition jedoch nicht weit genug. Nach wie vor sitzen
zahlreiche Aktivisten im Gefängnis, ist die
Meinungsfreiheit stark eingeschränkt und
auch auf die friedliche Demonstration am 14.
Februar 2012 reagierte die Regierung erneut
mit brutaler Gewalt. Darüber hinaus finden die
Forderungen der Opposition nach einem gewählten Parlament, einer gewählten Regie-
Encyclopedia Iranica: Bahrain, http://www.iranicaonline.org/articles/bahrain-all, abgerufen am 05.06.2012.
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ba.html, abgerufen am 02.07.2012
Zeino-Mahmalat, Ellinor: Saudi- Arabiens und Irans Regionalpolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus,
Hamburg 2009, Faath, Sigrid (Hrsg.): Rivalitäten und Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten in Nahost.
Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Berlin 2010.
Deutsches Orient-Institut
Bahrain
rung sowie einem gewählten Ministerpräsidenten in dem von der Regierung im Juni eröffneten Nationalen Dialog kaum Gehör. Eine
mit der Überprüfung der Ereignisse des vergangen Jahres betraute unabhängige Untersuchungskommission hat unterdessen einen
Bericht vorgelegt, der der bahrainschen Regierung massive Menschenrechtsverletzungen nachweist, sowie Empfehlungen für eine
Lösung der innenpolitischen Krise formuliert.
Diese Empfehlungen werden nach Auffassung der Opposition bisher jedoch kaum umgesetzt und auch ein Großteil der Anklagen
gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte wurde bislang gerichtlich nicht weiter
verfolgt.
Die anhaltende innenpolitische Krise beeinflusst direkt Bahrains Wirtschaft, was aufgrund der politischen Instabilität negative
Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung zeigte. Zwischen 2010 und 2011 sank
das BIP-Wachstum von 4,8% auf 1,8%. In
diesem Jahr soll es auf 2,0% steigen4, da seit
Beginn des Jahres 2012 erste Positiventwicklungen zu verzeichnen sind. So stieg die
Auslastungsrate der Hotels in Manama um
112% im Vergleich zum Vorjahr auf immerhin
45% Gesamtauslastung und die Hotelpreise
erhöhten sich im selben Zeitraum um 14,6%5.
II. Bahrains Rolle in der Region
Um das komplexe Beziehungsgeflecht Bahrains gegenwärtiger außenpolitischer Beziehungen in der Region, aber auch zu Staaten
außerhalb seiner unmittelbaren Nachbarschaft, zu verstehen bzw. zu analysieren, ist
ein kurzer Abriss der historischen, wie auch
der aktuellen Entwicklungen unumgänglich.
II.1 Historische und geopolitische Vorraussetzungen
Nachdem seit 1502 die Insel Bahrain von den
Portugiesen besetzt gehalten worden war,
wurde sie im Jahr 1622 von den Persern erobert. Seither geriet Bahrain immer wieder
abwechselnd unter die Kontrolle arabischer
bzw. persischer Stämme, bis der Al-KhalifaStamm 1797 die Insel schließlich eroberte.
Die Al-Khalifa-Familie ist die heute in Bahrain
herrschende Königsfamilie. Bei ihr handelt es
sich um eine sunnitische Händlerfamilie, die
ursprünglich aus Kuwait stammte und Ende
4
5
des 18. Jahrhunderts nach Bahrain übersiedelte.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gelang es
den Briten, die aufgrund Bahrains Lage entlang einer der wichtigsten Handelsrouten
nach Indien zunehmend ein strategisches
Interesse in der Region verfolgten, mehrere
Abkommen mit der Al-Khalifa-Familie zu vereinbaren und auf diese Weise auf der Insel
Fuß zu fassen. So wurde Bahrain 1867 britisches Protektorat. Ein gutes Jahrhundert später erlangte Bahrain 1971 unter Scheikh Isa
Ibn Salman Al-Khalifa die Unabhängigkeit.
Gemäß der Verfassung von 2002 ist Bahrain
eine konstitutionelle Monarchie mit dem König
(Hamad Ibn Isa Al-Khalifa) als Staatsoberhaupt. Dieser ernennt und erlässt die Regierung und hat ferner die Befugnis, das
Abgeordnetenhaus aufzulösen und Neuwahlen zu veranlassen. Das Parlament besteht
aus dem Abgeordnetenhaus, das direkt vom
Volk gewählt wird und dem vom König ernannten Konsultativrat, dem Majlis ashShura. Die politische Entscheidungsmacht
liegt also im Grunde beim König. Diese Tatsache sorgte nicht erst seit dem vergangenen
Jahr für Aufruhr bei Teilen der bahrainischen
Bevölkerung. Proteste und Forderungen nach
politischer Mitbestimmung und wirtschaftlicher Teilhabe lassen sich in Bahrain bis in
die 1930er Jahre zurückverfolgen. In diesem
Kontext ist es wichtig, auf diein Bahrain seit
seiner Eroberung durch die heute regierende
Herrscherfamilie bestimmende konfessionelle
Dynamik zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen einzugehen.
Wie bereits erwähnt, erlebte Bahrain mehrere
historische Perioden unter persischer Kontrolle, die Gesellschaft ist seitdem vor allem
schiitisch geprägt. Wenn auch die Schiiten mit
70% die deutliche Bevölkerungsmehrheit bilden, zentriert sich die Macht bis heute um die
sunnitische Herrscherfamilie Al-Khalifa. Schiiten werden nach wie vor größtenteils aus
politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und zudem ökonomisch ungenügend in das bahrainische Wirtschaftsleben
und den Arbeitsmarkt integriert. Die Forderungen der schiitischen Mehrheit nach politischer Beteiligung haben in der Vergangenheit
daher immer wieder zu Konflikten geführt. Tatsächlich hat die Regierung jedoch wenig
unternommen, die Schiiten stärker einzubin-
Vgl. Internationaler Währungsfonds: World Economic Outlook April 2012, S. 196, http://www.imf.org/
external/pubs/ft/weo/2012/01/pdf/text.pdf, abgerufen am 17.07.2012.
Vgl. Sambidge, Andy: Bahrain's tourism industry rebounds after unrest, 24. April 2012, http://www.arabianbusiness.com/bahrain-s-tourism-industry-rebounds-after-unrest-455177.html, abgerufen am
17.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
65
Bahrain
den. Die systematische Einbürgerung Hunderter sunnitischer Muslime aus anderen arabischen Staaten, um das demographische
Gleichgewicht zu Gunsten der Sunniten zu
verändern, hat darüber hinaus eher zu einer
Verhärtung der Fronten geführt.
Diese Politik der Ausgrenzung hat sicherlich
wesentlich dazu beigetragen, dass vor allem
Teile der schiitischen Bevölkerung im Februar
des vergangen Jahres aufbegehrten, sie kann
diese jedoch nicht ausschließlich erklären. So
wäre es verkürzt, die Krise allein auf die konfessionelle Problematik zu reduzieren. Die
Unzufriedenheit mit der autoritären Herrschaft, der grassierenden Korruption und der
wirtschaftlichen Stagnation zeigt sich vielmehr
bei weiten Teilen der Gesellschaft und verläuft
nicht ausschließlich entlang konfessioneller
Trennlinien. So können neben dem konfessionellen Konflikt auch sozioökonomische
und politische Unzufriedenheit als Auslöser
der Proteste gesehen werden, die bereits seit
mehreren Jahrzehnten in der bahrainischen
Gesellschaft gären.
Gingen die Bewohner des Inselstaates in den
1950er Jahren im Zuge der Erdölförderung
noch in erster Linie auf die Straße, um höhere
Löhne zu fordern, wurden seit den 1970er
Jahren mit der Unabhängigkeit von Großbritannien zunehmend Stimmen nach politischer
Teilhabe laut. Die Auflösung des Parlaments
1973, nur zwei Jahre nach seiner Einführung
mit der Unabhängigkeit, führte zu zahlreichen
Demonstrationen innerhalb der nächsten 25
Jahre, in denen die Opposition ihr Recht auf
politische Mitbestimmung, die Etablierung
eines Parlaments sowie die Einführung einer
konstitutionellen Monarchie einforderte. Den
auch mit „Intifada der 1990er Jahre“ bezeichneten Aufständen begegnete die Regierung
auch damals schon mit dem Einsatz von Gewalt. Um die Kontrolle über die zunehmend
eskalierende Situation wieder zu erlangen,
versprach die Regierung, umfangreiche Reformen durchzuführen. Doch die Forderungen
der Opposition wurden nur unzureichend erfüllt. Stattdessen konzentrierte sich die Macht
noch stärker auf die Herrscherfamilie, wodurch die konfessionelle Ausgrenzung und die
sozioökonomische Isolation der Schiiten noch
verstärkt wurden.
6
7
8
66
Die zwei wichtigsten oppositionellen Gruppierungen, der größte schiitische Block Wifaq
und die linkssäkulare Waad, fühlten sich marginalisiert und um ihren politischen Einfluss
betrogen und beschlossen daraufhin den
Boykott der Wahlen von 2002, beendeten
aber zu den Wahlen vier Jahre später ihren
wenig erfolgreichen Boykott und folgten nun
der Strategie, durch politische Partizipation
das Regierungssystem „von innen“ zu reformieren6. Die angedeuteten politischen Entwicklungen machen demnach deutlich, dass
die Proteste von 2011 verschiedene Ursachen haben, deren Wurzeln zum Teil sehr weit
in der Geschichte zurückliegen und es sich
bei den jüngsten Protesten keineswegs um
ein eindimensionales Ursache-Wirkungsgeflecht handelt, das sich ausschließlich auf
konfessionelle Unterschiede innerhalb der
bahrainischen Bevölkerung zurückführen
lässt. Dieser in erster Linie sozialpolitische
Charakter der Protestbewegung spiegelt sich
auch in ihrem Slogan "Wir sind alle Bahrainis
– keine Sunna, keine Schia!"7 wider, der die
Einheit aller bahrainischen Staatsbürger hervorhebt, auch wenn die Regierung systematisch versuchte, die Gesellschaft zu spalten,
um die Proteste somit als iranischen Plot darzustellen.
II.2 Wirtschaftliche Entwicklungen
In dem traditionell vom Fischfang und der Perlenfischerei geprägten Bahrain löste die Entdeckung des Erdöls im Jahre 1932 einen
rasanten wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozess aus. Ähnlich wie in anderen Golfstaaten auch äußerte sich dies in
Bahrain, trotz bestehenden traditionell-sozialen Strukturen, in drastischen Veränderungen.
Durch die Erlöse aus dem Ölgeschäft
entwickelte sich Bahrain innerhalb kurzer Zeit
zu einem wichtigen wirtschaftlichen Akteur in
der Region. Mit dem Wohlstand einher gingen
ein rasches Bevölkerungswachstum8, zunehmende Urbanisierung und ein steigendes Bildungsniveau der einheimischen Bevölkerung.
Das Verhältnis zu den anderen Herrscherfamilien innerhalb der Region des Golfes ist zunehmend ein von Konkurrenz geprägtes,
auch die internationalen Ölkonzerne versuchen ihren Einfluss immer mehr auszubauen,
um ihre nationalstaatlichen Interessen in der
Vgl. auch Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Der Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick,
Berlin 2011, http://www.deutsches-orient-institut.de/content/view/32/36/lang,de.
Damir-Geilsdorf, Sabine: „Wir sind alle Bahrainis – keine Sunna, keine Schia“, 23. Februar 2011
http://www.de.qantara.de/Wir-sind-alle-Bahrainis-keine-Sunna-keine-Schia/2988c3082i1p83/index.html,
abgerufen am 03.06.2012.
Beispielhaft dafür ist der Vergleich der Population von 1941 (90.000) mit der von 2012 (1.336.000).
Deutsches Orient-Institut
Bahrain
Region zu sichern. Bahrain gerät dabei zusehends zwischen die Fronten miteinander divergierender Interessen.
Mit etwa 125 Mio. Barrel Erdöl- und 92 Mrd.
Kubikmeter Erdgasressourcen sind die Erdölund Erdgasvorkommen in Bahrain im Vergleich mit anderen Staaten des Golfkooperationsrates (GKR) jedoch eher gering; bis 2025
könnten sie erschöpft sein. Dies hat zur
Folge, dass Bahrain mit als erster Golfstaat
früh damit begann, seine Wirtschaft zu diversifizieren und zu modernisieren, um nicht allein auf die Einnahmen aus dem Öl- und
Gasgeschäft angewiesen sein zu müssen. So
stellt Bahrains internationaler Flughafen beispielsweise einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt für den Transitverkehr von Europa in die
Nahostregion bzw. nach Asien dar. Mit der
Entwicklung eines ausgebauten Finanz- und
Bankwesens hat Bahrain ferner das libanesische Beirut mit über 400 Finanzinstituten als
regional wichtiges Finanzdienstleitungszentrum abgelöst. Weitere bedeutende Zweige
der bahrainischen Wirtschaft bilden die Aluminiumherstellung, der Schiffbau, die Textilindustrie, die Landwirtschaft und der Tourismus.
So gilt Bahrain heute als attraktiver Wirtschaftsstandort mit gut ausgebauter Infrastruktur und Telekommunikation sowie
ausgezeichneten Gesundheits- und Bildungssystemen.
III. Internationale Perspektive
Auf internationaler Ebene ist Bahrain in eine
Reihe von internationalen Organisationen,
wie dem Internationalen Währungsfonds
(IWF), der Weltgesundheitsorganisation
(WHO), der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), sowie der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien
eingebunden. Darüber hinaus pflegt Bahrain
Beziehungen zu einzelnen Staaten, die im
Folgenden nun näher beleuchtet werden sollen.
III.1 Beziehung zu Iran und Irans Rolle anlässlich der aktuellen Krise
Bis die kleine Insel im Golf Ende des 18. Jahrhunderts endgültig unter die Kontrolle der AlKhalifa-Dynastie geriet, erlebte sie immer
wieder Perioden unter persischer Herrschaft.
Diese historische Tatsache hat Iran wiederholt dazu veranlasst, Ansprüche auf das Ar9
10
chipel zu stellen und Bahrain als zur Islamischen Republik dazugehörige 14. Provinz zu
bezeichnen – selbst nachdem Bahrain 1971
offiziell unabhängig geworden war. Das Verhältnis zu Iran des sonst auf eine neutrale Beziehung zu seinen Nachbarstaaten bedachten
Bahrains ist daher von einer gewissen Ambivalenz geprägt. Mit der Islamischen Revolution in Iran von 1979 erfuhr der Export der
schiitischen Religion einen außenpolitischen
Bedeutungszuwachs. So war bis 1989 der
Revolutionsexport in die arabischen Staaten,
darunter Saudi-Arabien, Bahrain, Irak und Libanon, eine der wesentlichen Grundlagen der
iranischen Regionalpolitik9. Mit der damit verbundenen Intensivierung schiitischer Netzwerke über die eigenen nationalstaatlichen
Grenzen hinaus kam ein weiteres außenpolitisches Politikinstrument hinzu, welches seither dem sunnitischen Herrscherhaus
Bahrains Sorgen bereitet.
In den 1990er Jahren, als viele Mitglieder der
schiitisch orientierten Wefaq-Partei im iranischen Exil waren, wurden besonders unter
den schiitischen Klerikern enge Beziehungen
geknüpft, die auch nach der Rückkehr der
Parteianhänger nach Bahrain 2001 über die
Landesgrenzen hinweg bestehen. So übt
Iran auch auf gesellschaftlicher Ebene einen
gewissen Einfluss auf Bahrains Bevölkerung
aus. So war die Furcht der bahrainischen Regierung vor einer – aufgrund des regionalkonfessionellen Führungsanspruchs des
1979 neu etablierten iranischen Regimes –
politischen Mobilisierung der Schiiten in Bahrain nicht unbegründet. Ende der 1980er
Jahre wurde die Außenpolitik Irans mit dem
Ende des Irak-Iran-Kriegs und dem Tod Ayatollah Khomeinis 1989 zusehends pragmatischer. Dies führte zu einer maßgeblichen
Verbesserung der außenpolitischen Beziehung Irans allgemein und insbesondere zu
seinen arabischen Nachbarn wie Bahrain.
Mit den verbesserten politischen Beziehungen erholte sich auch der bilaterale Austausch
zwischen Iran und Bahrain. So haben sich die
Handelsbeziehungen zwischen den beiden
Staaten bis ins Jahr 2011 stark intensiviert.
Das Handelsvolumen beträgt jährlich etwa 5
Mrd. USD10. Insbesondere im Energiesektor
wurden zahlreiche gemeinsame Projekte mit
Iran geplant und teilweise auch umgesetzt. So
bezieht Bahrain einen Großteil seiner
Gasimporte aus Iran und bemüht sich daher –
Faath, Sigrid (Hrsg.): Rivalitäten und Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten in Nahost. Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Berlin 2010.
Vgl. Singh Grewal, Sandeep: Boycott Iranian products, Gulf Daily News, 1. Mai 2011, http://www.gulfdaily-news.com/NewsDetails.aspx?storyid=305087, abgerufen am 18.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
67
Bahrain
insbesondere auch im Kontext der gegen Iran
verhängten internationalen Sanktionspolitik –
um eine neutrale Haltung. So teilte der iranische Botschafter in Bahrain im August 2010
mit, dass die UN-Sanktionen gegen Iran keinerlei Auswirkungen auf das Gasgeschäft mit
Bahrain hätten und auch der bahrainische
Außenminister Sheikh Khalid bin Ahmed bin
Mohamed Al-Khalifa äußerte sich im Dezember 2010 auf dem regionalen Sicherheitsgipfel in Manama noch sehr positiv zu dem
iranischen Atomprogramm und sprach sich für
das Recht Irans auf eine friedliche Nutzung
der Kernenergie aus11.
Auch im privaten Sektor entwickelt sich der
Handel zwischen den beiden Staaten positiv,
wie zahlreiche iranische Investitionen in Bahrains Wirtschaft – insbesondere in den Finanzsektor – zeigen.
Die vorwiegend schiitisch geprägten Proteste
im Königreich Bahrain im Frühjahr 2011 verstärkten jedoch die Sorge des sunnitischen
Königshauses hinsichtlich einer zunehmenden schiitischen Einflussnahme durch Iran
wieder. So hat sich das Verhältnis zwischen
den beiden Staaten seit der innenpolitischen
Krise in Bahrain stark abgekühlt. Während die
bahrainische Königsfamilie Iran vorwirft, massiven Einfluss auf die protestierende Opposition genommen zu haben, stellte sich Iran
offiziell auf die Seite der Demonstranten und
kritisierte vor allem die militärische Intervention der Golfstaaten im Rahmen des Sicherheitspakts des Golfkooperationsrats scharf.
So warnte der iranische Präsident Mahmud
Ahmadinejad vor einer „Besatzung Bahrains
durch Saudi-Arabien“, der iranische Parlamentssprecher Mostafa Kavakebian sprach
gar von einem „Massaker an den Schiiten“12.
Die gegenseitigen Anschuldigungen lösten
zusätzliche Spannungen aus, die am 23. Mai
2011 dazu führten, dass Bahrain verkündete,
seine Erdgasimporte aus Iran vorerst einzustellen. Dem Aufkündigen wirtschaftlicher
Beziehungen folgten diplomatische Konsequenzen, die letztendlich in der Ausweisung
einiger Diplomaten gipfelten. Die politischen
11
12
13
68
und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen
Bahrain und Iran sind somit bis heute auf offizieller Ebene erkaltet.
III. 2 Beziehung zu Saudi-Arabien
Bahrain pflegt traditionell sehr enge Beziehungen zu Saudi-Arabien. Diese Beziehungen gewannen nach der Islamischen
Revolution 1979 in Iran eine neue Bedeutung,
als mit dem Sturz des Schahs Saudi-Arabien
zum wichtigsten Verbündeten der USA in der
Region wurde und zu einer regionalen Macht
aufstieg. Das sehr enge Verhältnis zwischen
dem Inselstaat Bahrain und seinem großen
Nachbarn lässt sich in erster Linie durch die,
für kleine Staaten wie Bahrain charakteristische, wirtschaftliche und politische Abhängigkeit
von
wirtschaftlich
potenteren
Nachbarstaaten erklären. So ist Bahrain, wie
die meisten der anderen Golfstaaten auch,
auf den freien Handels-, Kapital- und Personenverkehr und somit stark auf eine stabile
Sicherheitslage im Golf angewiesen.
Seit 1986 verbindet die beiden Länder jedoch
nicht nur der 26 Kilometer lange König-FahdDamm. Beide Staaten sind Mitglieder im Golfkooperationsrat und arbeiten wirtschaftlich
sehr intensiv zusammen. Saudi-Arabien ist
Bahrains wichtigster Handelspartner und
neben Indien einer der wichtigsten Importeure
bahrainischer Exportwaren, während sich das
wirtschaftlich sehr liberale Bahrain ideal für
saudische Investitionen anbietet. Das bilaterale Handelsvolumen stieg zwischen 1999
und 2008 von 1,8 Mrd. USD auf 10,5 Mrd.
USD, Saudi-Arabien liefert jeden Tag 220.000
Barrel Öl an seinen Nachbarn. Darüber hinaus gilt das recht offene Bahrain als beliebtes
Reiseziel für viele Saudis. So kommen mehr
als 4 Millionen Saudis jährlich auf die kleine
Insel, allein 3.500 saudische Staatsangehörige verfügten 2010 über Immobilien in Bahrain13. Auch die beiden Königsfamilien Al
Saud und Al Khalifa stehen sich sehr nah. Sie
verbinden vor allem gemeinsame sicherheitspolitische Interessen sowie die Tatsache, sich
als sunnitische Monarchien in Ländern mit
einem bedeutenden Schiiten-Anteil behaup-
Fulton, Will, Farrar-Wellmann, Ariel: Bahrain-Iran Foreign Relations, 14. Juli 2011,
http://www.irantracker.org/foreign-relations/bahrain-iran-foreign-relations, abgerufen am 18.07.2012.
Fulton, Will, Farrar-Wellmann, Ariel: Bahrain-Iran Foreign Relations, 14. Juli 2011,
http://www.irantracker.org/foreign-relations/bahrain-iran-foreign-relations, abgerufen am 18.07.2012.
Vgl. Toumi, Habib: Saudi King Abdullah given rapturous welcome in Bahrain, 18. April 2010,
http://www.habibtoumi.com/2010/04/18/saudi-king-abdullah-given-rapturous-welcome-in-bahrain/,
abgerufen am 18.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
Bahrain
ten zu müssen. Ebenso wie das bahrainische
Königshaus fürchtet auch die Al Saud die iranische Einflussnahme in der Region, die ihre
eigene Macht und Legitimation untergraben
könnte.14
Saudi-Arabiens prägender Einfluss auf seinen
kleinen, geopolitisch dennoch sehr wichtigen
Nachbarn Bahrain wird unterdessen insbesondere auch im Kontext der jüngsten Entwicklungen deutlich. So fand die Intervention
der Peninsula Shield Forces, der gemeinsamen Militärtruppe aller GKR-Mitglieder, in
Bahrain am 15. März 2011 unter saudischer
Führung statt, um die ausgebrochenen Aufstände niederzuschlagen und dem sunnitischen Partner der Al Khalifa in der
stabilitätsgefährdenden Krise beizustehen.15
Das harte Durchgreifen der Truppe wurde mit
anti-schiitischer Propaganda untermauert, die
in erster Linie Iran für die Unruhen verantwortlich machte.
Das militärische Eingreifen Saudi-Arabiens
hat sicherlich sicherheitspolitische und damit
Macht erhaltende Gründe, die Intervention
lässt sich ferner jedoch auch als Machtdemonstration Saudi-Arabiens gegenüber den
hegemonialen Ambitionen Irans werten. Sowohl Saudi-Arabien, als auch Iran betrachten
den Golf traditionell als ihr Einflussgebiet16
und befinden sich darüber hinaus seit den
1980er Jahren in einer Art kaltem Religionskrieg zwischen saudisch-wahhabitischen
Sunniten auf der einen und iranischer Schia
auf der anderen Seite. Bahrain wird im Kontext dieser bestehenden Rivalitäten zum
Spielball machtpolitischer, aber auch religiösideologischer Interessen.
III.3 Beziehung zu den restlichen GKR-Staaten
Bahrain unterhält intensive Beziehungen zu
all seinen Nachbarstaaten und stimmt sich in
außenpolitischen Fragen die Region betreffend weitgehend mit ihnen ab. Seit 1982 existiert ein Freihandelsabkommen unter den
Ländern des GKR, auch eine Einheitswährung ist geplant, konnte bislang aber nicht re14
15
16
alisiert werden. Im Juli 2009 beschlossen
Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain und Katar die
Einrichtung eines gemeinsamen Stromnetzes
zur Förderung des Energiehandels. Als kleinster Mitgliedstaat im GKR spielt Bahrain so
eine konstruktive Rolle. Seit April 2011 stellt
es beispielsweise mit Abdul Latif Raschid AlZayani den Generalsekretär des GKR.
Anlässlich der Proteste im Frühjahr 2011
unterstützten die einzelnen Staaten des
Bündnisses weitgehend die Regierung Bahrains. Nur Kuwait versuchte anfangs noch,
zwischen dem Königshaus der Al Khalifa auf
der einen und der demonstrierenden Bevölkerung auf der anderen Seite zu vermitteln,
gab diesen Versuch jedoch recht bald wieder
auf, um sich der Position der anderen Golfstaaten anzuschließen, die zu Gunsten der
bahrainischen Regierung für eine Intervention
stimmten. Bevor es jedoch zu einer militärischen Intervention der GKR-Truppe kam, vereinbarten die Golfstaaten am 5. März 2011
gemeinsam den so genannten „GCC-Marshall-Plan“. Mit diesem mehrere Milliarden umfassenden Hilfspaket sollte in den beiden
Mitgliedsstaaten Oman und Bahrain die Sicherheitslage im Sinne der anderen GKR-Mitglieder wieder stabilisiert werden. Ohne auf
die politischen Forderungen der Demonstranten weiter einzugehen, zielte der Plan darauf
ab, mittels finanzieller Mittel und Versprechen
den Protesten ihren Druck zu nehmen und
somit für Stabilität zu sorgen.
Mittlerweile hat sich das in der Vergangenheit
doch eher hinsichtlich bestimmter Sicherheitsinteressen bestehende Zwecksbündnis
der Golfstaaten insbesondere im Kontext der
bahrainischen Proteste als eine Partnerschaft
mit ähnlichen außenpolitischen Interessen erwiesen und zeigte eine Einigkeit, die vor einigen Jahren auch aufgrund der familiären
Rivalitäten der einzelnen Herrscherhäuser
eher als unwahrscheinlich bezeichnet worden
wäre. Gleichzeitig beweist der GKR so auch
eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der
mächtigsten internationalen Macht am Golf,
den Vereinigten Staaten. So wird bereits von
Dieses im Prinzip allen Golfstaaten gemeinsame Interesse nach regionaler Stabilität gilt als einer der
Hauptgründe, den Golfkooperationsrat im Jahr 1981 zu gründen. Dieses Bündnis verfolgt neben sicherheitspolitischen auch wirtschaftliche Ziele nach mehr Kooperation, engerer politischer Unterstützung und
erleichterten Handelsregularien. So zahlen die erdölreicheren Staaten beispielsweise den weniger wohlhabenden Nachbarn Transferleistungen aus ihren Öleinnahmen. Dieser Ansatz der Stabilitätssicherung
durch großzügige Subventionen an die Bevölkerung gerät mit den Protesten in Bahrain im Februar 2011
zunehmend in Bedrängnis. Selbst das am 5. März 2012 geschnürte, 20 Milliarden umfassende Hilfspaket an Bahrain und den Oman konnte so die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nur bedingt eindämmen.
Vgl. BBC News: Gulf states send forces to Bahrain following protests, 14. März 2011,
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-12729786, abgerufen am 18.07.2012.
Beispielhaft dafür sind schon die unterschiedlichen Termini für die Meerenge, die von Saudi-Arabien als
„Arabischer Golf“ bezeichnet wird, während der Iran auf der Bezeichnung „Persischer Gold“ besteht.
Deutsches Orient-Institut
69
Bahrain
einer „Regionalisierung der Sicherheitspolitik“
gesprochen, d.h. einer Außenpolitik, die
immer selbständigere Züge aufweist und von
eigenen Interessen gelenkt ist17 und sich
damit zunehmend von den USA als einzigem
Sicherheitsgaranten im Golf ablöst. Hierbei
übernimmt Bahrain aufgrund seiner geostrategischen Lage, seiner konfessionellen Struktur, des ambivalenten Verhältnisses zu Iran
und den engen Bindungen an Saudi-Arabien
eine Schlüsselfunktion, ohne sich jedoch als
handelnder Akteur präsentieren zu können.
III.4 Beziehungen zu den USA
Als sich die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr aus Bahrain zurückzogen,
übernahmen die USA verstärkt die Rolle des
Sicherheitsgaranten im Golf. Mittlerweile
haben die USA seit Jahrzehnten die 5. Flotte
ihrer Marine in Bahrain stationiert. Dieser Militärstützpunkt im Golf bringt die strategisch
wichtige Stellung Bahrains im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Außenpolitik
im Nahen und Mittleren Osten zum Ausdruck.
Den US-Amerikanern ist es dadurch nicht nur
möglich, unmittelbare Einblicke in die Erdölverschiffungen im Golf zu erhalten, ebenso
können sie so dem iranischen Einfluss in der
Region besser entgegen wirken. Seit 1991
verbindet Bahrain und die USA ein zunächst
auf zehn Jahre angelegter Verteidigungspakt,
der dem kleinen Inselstaat eine Sicherheit in
Anbetracht des übermächtigen Nachbarn Irak
bot, der mit der Invasion in Kuwait die Angst
vor einem Angriff geschürt hatte. Auch aus
diesem Grund war Bahrain während des Ersten Golfkrieges Teil der anti-irakischen Koalition und unterstützte die USA bei
Luftangriffen auf irakisches Gebiet. Der Verteidigungspakt wurde im Jahr 2001 um zehn
weitere Jahre und 2011 in einem geheimen
Abkommen um fünf Jahre verlängert. Als
einer ihrer wichtigsten Verbündeten außerhalb der NATO unterhalten die USA eine umfangreiche militärische Kooperation mit
Bahrain, die nach der Entmachtung des irakischen Regimes vor allem der Abwehr gegen
den Iran dient. So wurden nach Angaben der
„Defense Security Cooperation Agency“ allein
in den Jahren von 2007 bis 2010 Rüstungsgeschäfte im Wert von 600 Millionen USD
umgesetzt. Neben dem Handel mit Rüstungsgütern verdeutlicht das 2004 unterzeichnete
und
seit
2006
geltende
Freihandelsabkommen mit den USA ebenfalls
17
18
70
die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.
Aufgrund ihrer regierungsfreundlichen Haltung im Zuge der Proteste in Bahrain gerieten
die USA weltweit in die Kritik. Schuld daran
war in erster Linie ihre verhaltene und zögerliche Reaktion bezüglich des Eingreifens der
GKR-Truppe in Bahrain. So verurteilten sie
zwar offiziell die Anwendung von Gewalt und
forderten die Regierung auf, in einen Dialog
mit den Oppositionellen zu treten und umfangreiche Reformen durchzuführen, hielten
sich mit weiteren Maßnahmen jedoch weitgehend zurück, was vor allem auf die Interessenspolitik der USA in der Region
zurückzuführen ist, die aufgrund des Konflikts
mit Iran auf Stabilitätssicherung der arabischen Golfmonarchien ausgerichtet bleiben
wird.
III.5 Die Beziehungen zur Europäischen
Union und zu Deutschland
Die bilateralen Beziehungen Bahrains zur Europäischen Union werden über die multilaterale Kooperation im Rahmen des GKR
realisiert. Seit 1989 existiert ein Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem
GKR, dessen Ziel es ist, die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Regionen weiter auszubauen. Seither wird über ein
Freihandelsabkommen verhandelt, wobei
besonders politische Divergenzen einem
erfolgreichen Abschluss entgegen stehen. So
steht Bahrain für sein Demokratiedefizit und
die Nichtbeachtung von Menschenrechten bei
den europäischen Wirtschaftsmächten in der
Kritik. Dies scheint auch ein Indiz für die Tatsache zu sein, dass sich die GKR-Staaten
immer mehr in Richtung Asien wenden. Für
Bahrain ist deshalb besonders Japan neben
seinen arabischen Nachbarstaaten zu einem
wichtigen Außenhandelspartner geworden.
Nichtsdestotrotz sind die GKR-Staaten
sechstgrößter Exportmarkt der EU. So betrugen die Exporte in die GKR-Staaten im Jahr
2011 72,2 Mrd. EUR und stiegen damit im
Vergleich zum Vorjahr um 11,1%, während
sich die Importe von 35 Mrd. EUR im Jahr
2010 auf 56,4 Mrd. EUR im letzten Jahr erhöhten. Mittlerweile beträgt der Exportanteil
aller EU-Staaten in die Mitgliedsländer des
GKR 4,7%, der Importanteil liegt bei 3,3%18.
Während die Staaten des GKR vorwiegend
Vgl. Zeino-Mahmalat, Ellinor: Saudi- Arabiens und Irans Regionalpolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus, Hamburg 2009.
Vgl. European Commission: Gulf Cooperration Council (GCC) – Trade Statistics, 27. März 2012,
http://www.trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/september/tradoc_113482.pdf, abgerufen am 18.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
Bahrain
Maschinen, wie Anlagen zur Energieerzeugung, Eisenbahnen, Flugzeuge und diverse
technische Geräte aus den Ländern der EU
importieren, macht das Erdöl zwei Drittel der
Importe aus den GKR-Staaten in die EU aus.
Seit 2008 hat Bahrain eine Vertretung bei der
EU. Trotz dieser wirtschaftlich guten Beziehungen kritisierte die EU immer wieder
Menschrechtsverletzungen in Bahrain, so
auch im April 201119. Bahrain bemüht sich
seitdem, seine Beziehungen zu den europäischen Staaten auszubauen, auch zu
Deutschland. Das Verhältnis zwischen den
beiden Staaten kann als weitgehend freundschaftlich und unbelastet bezeichnet werden.
So besuchte der bahrainische Kronprinz Salman bin Hamad bin Isa Al Khalifa im November 2011 Berlin, um sowohl mit dem
deutschen Außenminister Guido Westerwelle20, als auch mit dem deutschen Wirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp
Rösler zusammen zu treffen und den Ausbau
bilateraler Beziehungen zwischen den beiden
Ländern zu diskutieren. Hierbei betonte vor
allem Rösler die Bedeutung eines nationalen
Aussöhnungsprozesses in Bahrain und forderte den Kronprinzen auf, sich für eine Stabilisierung der Situation einzusetzen21.
Konsequenzen in Form von diplomatischen
Maßnahmen blieben jedoch aus; Deutschland
zeigte sich ebenso wie die meisten EU-Vertreter beim Umgang mit den bahrainischen
Unruhen eher regimefreundlich und moderat.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
stattete Bahrain im Jahr 2010, anlässlich des
40-jährigen Jubiläums der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, einen
Besuch ab. Während Deutschland insbesondere als bedeutender Wirtschaftspartner geschätzt wird, ist Deutschland an einem
Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
insbesondere im Energiebereich sowie einer
langfristigen Stabilisierung der Sicherheitslage am Golf interessiert.
IV. Fazit und Perspektive
Bahrains Außenpolitik wird vor allem durch
das sensible Verhältnis zu den stärksten Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran be-
19
20
21
stimmt. Beide Staaten verfolgen bestimmte
Eigeninteressen in Bahrain und sind interessiert daran, ihren Einfluss auszuweiten, um
den anderen damit schwächen zu können.
Wie vielleicht kein anderes Land am Golf
kann Bahrain demnach als Spielball SaudiArabiens und Irans im „Kalten Krieg am Golf“
um Vormachtstellung, Einflusssphären und
konfessionelle Dominanz gesehen werden,
wenngleich der historische Konflikt zwischen
saudischen Sunniten und iranischen Schiiten
neben den Hegemonialinteressen nicht überschätzt werden sollte und der direkte iranische Einfluss auf bahrainische Schiiten
bislang nicht belegt werden konnte. Doch das
diffuse Bedrohungsszenario eines missionarischen „Feindbildes“ Iran bestimmt zum
einen die Außenpolitik der Al Khalifa, zum anderen auch den öffentlichen Diskurs in Bahrain.
Bahrain als kleiner Inselstaat mit schwacher
außenpolitischer Reputation war, ist und bleibt
auf ausländische „Schutzmächte“ angewiesen. Als enger Verbündeter der USA und
Saudi-Arabiens geriert sich das sunnitische
Königshaus der Al Khalifa als vertrauenswürdiger Alliierter der prowestlichen Mächte in
der Golfregion. Im Zuge des „Arabischen
Frühlings“ versucht jedoch der GKR, sich verstärkt als eigenmächtiger regionaler außenpolitischer Akteur zu etablieren, um die
Abhängigkeit von den strategischen Zielen
der USA zu reduzieren und eine zunehmend
eigene Agenda zu verfolgen. Bahrain spielt
hierbei als „Frontstaat“ bei der versuchten
Eindämmung des Rivalen Iran eine bedeutende Rolle, so dass auch von einer „Regionalisierung der Sicherheitspolitik“ gesprochen
werden kann.
Hierbei strebt das bahrainische Königshaus
nach der Bewahrung des Status quo und
sieht neben der konfessionellen Affinität auch
in der Deckungsgleichheit der Stabilitätsinteressen im saudischen Königshaus einen idealen Partner und Schutzpatron, wie die auf
saudische Initiative betriebene Invasion Bahrains zum Schutz der Al Khalifa im März 2011
bewies. Demnach zeigen sich die Al Khalifa
weitgehend als reformresistente „Gegenrevo-
So kritisierte der Sprecher der Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der EU Németh die Anwendung von Gewalt von Seiten der bahrainischen Regierung als Reaktion auf friedliche Demonstrationen und
sprach sich für den friedlichen Dialog zur Lösung der Probleme aus.
Vgl. Auswärtiges Amt: Pressemitteilung - Bundesminister Westerwelle trifft Kronprinz von Bahrain,
28. November 2011, Bundesminister Westerwelle trifft Kronprinz von Bahrain, abgerufen am 18.07.2012.
Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Rösler: Erfolgreicher Versöhnungsprozess in
Bahrain
ist
Basis
für
vertiefte
Wirtschaftsbeziehungen,
29.
November
2011,
http://www.bmwi.de/DE/Presse/tagesnachrichten,did=459060.html#458974, abgerufen am 18.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
71
Bahrain
lutionäre“, um ihre eigene Machtbasis nicht zu
schwächen und der diffusen Einflussnahme
Irans entgegen zu treten. Hierbei bleibt umstritten, über welchen tatsächlichen Einfluss
Iran bei den Schiiten Bahrains verfügt. Zwar
werden sie zumeist als „fünfte Kolonne“ des
Irans dargestellt, verfolgen allerdings auch eigene Agenden und können nicht als von Iran
kontrollierter Agent einer neuen „Islamischen
Revolution“ bezeichnet werden. Stattdessen
vermischt sich die konfessionelle Dimension
der innerbahrainischen Proteste mit einer sozialen Unzufriedenheit, die nicht ausschließlich Schiiten, sondern genauso arbeits- und
perspektivlose Sunniten umfasst.
In Zukunft wird die außenpolitische Situation
Bahrains zum einen von der Lösung der
inneren Probleme, zum anderen von der
Entwicklung des saudisch-iranisch-USamerikanischen Konflikts abhängen. Sollte
sich das Verhältnis der drei Mächte dramatisch verschärfen und es vielleicht zu militärischen Auseinandersetzungen kommen,
befände sich Bahrain im „Auge des Sturms“:
Als Stützpunkt für US-amerikanische Marineeinheiten sowie als „Brückenkopf“ für die saudischen Hegemonialbestrebungen könnte
Bahrain schnell zum passiven Objekt werden,
ohne über eine starke internationale Lobby
und eine gewisse innenpolitische Einheit zu
verfügen. Das Land scheint gespalten, innerlich an wirtschaftlichen und konfessionellen
Linien zerrissen, sodass bei einer militärischen Auseinandersetzung mit Iran die endgültige Destabilisierung und vielleicht der
Sturz der Al Khalifa droht. Bislang scheint es
sich hierbei um ein unrealistisches Szenario
zu handeln, doch die verstärkten US-amerikanischen Initiativen in der Straße von Hormuz und die verschärfte Rhetorik gegenüber
Iran lassen einen von Saudi-Arabien und Israel unterstützten Militärschlag gegen Iran
nicht mehr als ausgeschlossen erscheinen.
Dem bahrainischen Königshaus wird also
auch in Zukunft daran gelegen sein, die Proteste der Schiiten abzumildern, ohne ihnen
weitgehende Freiheiten zuzugestehen.
Hierfür wird es auch zukünftig auf eine „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Politik setzen, die Ali-
72
mentierung, Kooption und Repression umfasst, um einerseits die eigene Machtbasis zu
stabilisieren und andererseits die Opposition
zu schwächen. Im Gegensatz zu anderen
arabischen Staaten, in denen diese Strategie
scheiterte, kann sich das bahrainische Königshaus der internationalen Unterstützung
weitgehend sicher sein. Zwar rückten innenpolitische Querelen aufgrund der abgesagten
Formel-Eins-Grand-Prix’s kurzzeitig in den
Mittelpunkt des Medieninteresses, konkrete
Forderungen, Ultimaten oder gar die Androhung von Sanktionen seitens der internationalen Gemeinschaft blieben allerdings aus.
Akteure wie die EU oder die USA benötigen
ein stabiles Bahrain als sicheren Anker gegen
einen erstarkenden Iran. Die Unterstützung
des bahrainischen Königshauses trotz einer
aus menschenrechtlicher Perspektive besorgniserregenden Situation stößt bei vielen
Beobachtern in der arabischen Welt bereits
auf Kritik. Diese pragmatische, wertedistanzierte Interessenspolitik wird weitgehend als
heuchlerische Doppelmoral kritisiert und
schadet dem Ansehen der internationalen Gemeinschaft in weiten Teilen der Region. Dennoch bleiben die Einflussmöglichkeiten
externer, nicht-arabischer Akteure auf einen
möglichen Reformprozess in Bahrain gering.
Zwar ist sich das bahrainische Königshaus
bewusst, dass eine weitere Eskalation der Situation für die eigene Machtbasis kontraproduktiv wäre und wird daher die wirtschaftliche
Verteilungspolitik weiterführen, dennoch werden grundlegende politische Reformen zu
mehr Liberalisierung und Demokratisierung
weder im Sinne der Al Khalifa noch im Interesse der Al Saud liegen. Außenpolitisch wird
es Bahrain daher in Zukunft nicht gelingen,
sich als eigenständiger Akteur zu profilieren,
wie das teilweise Katar in der Vergangenheit
gelungen ist. Die fragile innenpolitische Lage,
die sensible geostrategische Lage, sowie der
Machtkampf Irans und Saudi-Arabiens wird
Bahrain nur geringfügig befähigen, außerhalb
der GKR-Interessen eine unabhängige nationale Außenpolitik zu betreiben, und Bahrain
zeigt daran auch nur wenig Interesse.
Marie Pfister
Deutsches Orient-Institut
Bahrain
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74
Deutsches Orient-Institut
Kuwait
D
I. Einleitung
as Emirat Kuwait ist mit 17.818 km2
und ca. 3,44 Millionen Einwohnern
(davon sind nur 1,09 Millionen kuwaitische Staatsbürger) das klassische Beispiel
eines ölreichen, aber sicherheitspolitisch
schwachen Staates. Seine enormen Erdölvorräte1 von rund 104 Mrd. Barrel (7% der
weltweiten bekannten Erölreserven) wecken
Begehrlichkeiten, insbesondere beim ummittelbaren Nachbarn Irak, dessen Invasion
1990 das einschneidendste Erlebnis in der
Geschichte Kuwaits seit der Unabhängigkeit
1961 war.
Die Außenpolitik Kuwaits beruht auf drei
Grundpfeilern:
1. Bemühung um gute nachbarschaftliche
Beziehungen zu den drei großen Nachbarn
Saudi-Arabien, Iran und Irak;
2. Einbindung in die regionalen Organisationen des Golfkooperationsrats (GKR) und
der Arabischen Liga;
3. Aufrechterhaltung der engen Sicherheitspartnerschaft mit den USA zur Wahrung der eigenen Souveränität.
Die Existenz als Kleinstaat definiert somit Kuwaits außenpolitische Ziele. Die unmittelbare
Nachbarschaft zu drei konkurrierenden Regionalmächten in der geostrategisch wichtigen Region des Golfs verlangt einen
beständigen politischen Balanceakt vom kleinen Kuwait. Gute nachbarschaftliche Beziehungen sollen möglichen Zerwürfnissen
zuvorkommen. Die Zusammenarbeit in regionalen Organisationen sorgt ebenso für gute
nachbarschaftliche Beziehungen und gibt Kuwait die Möglichkeit, seiner Politik größeres
Gewicht zu verleihen. Die Notwendigkeit des
dritten Pfeilers wurde insbesondere nach der
irakischen Invasion 1990 deutlich.
Während das außenpolitische Beziehungsgeflecht Kuwaits nach dem Kalten Krieg lange
vom Trauma der irakischen Invasion geprägt
war, ist zurzeit Iran das zentrale außenpoliti1
2
3
sche Thema im Land. Die Proteste des „Arabischen Frühlings“ 2011 waren in Kuwait hingegen nur bedingt zu spüren. Im liberalsten
der Golfstaaten bieten die Nationalversammlung und die relativ freie Presse einen anerkannten öffentlichen Rahmen zur politischen
Diskussion.
Dieses Kapitel beabsichtigt das außenpolitische Beziehungsgeflecht Kuwaits unter besonderer Berücksichtigung der jüngeren
Vergangenheit darzustellen. Im zweiten Teil
werden zunächst die historischen und innenpolitischen Rahmenbedingungen in Bezug
auf die Entstehung des unabhängigen Emirat
Kuwaits und seines politischen Systems anhand der Nationalversammlung beleuchtet.
Anschließend wendet sich die Arbeit der regionalen Perspektive des außenpolitischen
Beziehungsgeflecht Kuwaits zu. Hierbei werden die Beziehungen zu den anderen Golfstaaten im Rahmen des GKR, insbesondere
zu Saudi-Arabien, zum Irak und zu Iran analysiert. Auf internationaler Ebene werden die
Beziehungen zur Europäischen Union (EU)
und Deutschland sowie zu China und den
USA beleuchtet. Dabei zeigt sich die herausragende Rolle der USA als Schutzmacht Kuwaits im Golf. Im abschließenden Fazit wird
prognostiziert, dass die kuwaitische Politik
kurz- und mittelfristig weiterhin auf die innenpolitische Entwicklungen und die unmittelbare
Nachbarschaft Iraks und Irans gerichtet sein
wird.
II. Historische und innenpolitische Voraussetzungen
Um das außenpolitische Beziehungsgeflecht
Kuwaits analysieren zu können, wird zunächst ein Blick auf die Entstehung und die
innenpolitischen Zwänge des Landes geworfen. Vor diesem Hintergrund werden in den
nächsten beiden Teilen die Außenbeziehungen Kuwaits auf regionaler und internationaler
Ebene analysiert.
II.1 Entstehung des Staates Kuwait
Die Geschichte Kuwaits wird seit Jahrhunderten von der Familie Al Sabah bestimmt. Seit
1752 stellt sie die herrschende Familie2. Die
Al Sabah schlossen einen „traditional ruling
bargain“3 mit den führenden Kaufleuten der
Vgl. Auswärtiges Amt: Wirtschaftspolitik Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertigesamt.de/sid_60F99ED966AF7C99C0DE462698AD165B/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/
Kuwait/Wirtschaft_node.html, abgerufen am 27.07.2012.
Vgl. Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf
Monarchies, London 2011, S. 89.
Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 92.
Deutsches Orient-Institut
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Kuwait
Region, worin sie in beratender Funktion zwischen den Kaufleuten vermittelte. Wegen seiner Randlage wurde das Gebiet des heutigen
Kuwait lange Zeit wenig von den wechselnden Großmächten der Region (Kalifate der
Umayyaden und Abbasiden, Mongolen und
Osmanisches Reich) beachtet.
Die Al Sabah-Familie sicherte sich 1899 mit
dem Abschluss eines exklusiven Vertrags mit
den Briten eine relative Unabhängigkeit vom
Osmanischen Reich und von der lokalen
Kaufmannselite, indem sie sich in den Schutzbereich der Briten stellten. Die vielfältigen Versuche der Kaufleute, politischen Einfluss zu
gewinnen, mündeten in den 1950er Jahren im
Versprechen wirtschaftlicher Privilegien. Im
Gegenzug wurden politische Entscheidungen
allein den Al Sabah überlassen.
Die wirtschaftliche Entwicklung Kuwaits änderte sich mit dem Beginn der Erdölförderung
1946 entscheidend. Mit den Einnahmen aus
der Erdölförderung bauten die Al Sabah einen
Rentierstaat auf, wie es für die erdölfördernden Staaten der Arabischen Halbinsel typisch
ist. Die Einwohner Kuwaits kamen in den Genuss eines umfangreichen Leistungskatalogs,
der ein kostenloses Gesundheitswesen, kostenlose Bildungsangebote und eine Reihe von
Subventionen und Jobgarantien vor allem im
öffentlichen Sektor umfasste. Im Gegenzug
wurde von den Staatsangehörigen die politische Passivität verlangt („no taxation without
representation“). Dieses System, dieser „Gesellschaftsvertrag“, kann als ein Grund für die
mangelnde politische Partizipation und demokratische Tradition in den ressourcenreichen Golfstaaten gesehen werden. Kuwait
hingegen besitzt eine lange Tradition der politischen Partizipation, die sich von der traditionellen diwaniya4 zur Nationalversammlung
entwickelte, weshalb Sean L. Yom Kuwaits
Variante des politischen Systems als „popular
rentierism“5 bezeichnet.
Am 19. Juni 1961 wurde Kuwait als erstes
Land der kleinen Golfstaaten von Großbritannien unabhängig. Der Irak erkannte die Unabhängigkeit Kuwaits jedoch nie an und erhob
4
5
6
7
76
Gebietsansprüche auf kuwaitisches Territorium. Als Reaktion darauf schloss Kuwait ein
Militärabkommen mit Großbritannien ab und
führte 1963 eine Nationalversammlung (arabisch: majlis al-umma) ein, um die Legitimität
der eigenen Herrschaft zu betonen. Das Militärabkommen war notwendig, da Kuwait als
Kleinstaat seine Sicherheit nach außen nicht
gewährleisten konnte und somit vom Schutz
größerer Staaten abhängig blieb.
In Kuwait lebt mit 30% der einheimischen Bevölkerung ein großer Anteil an Schiiten. Diese
sind aber, im Gegensatz zu Bahrain, politisch
und wirtschaftlich gut integriert. Die Ausbürgerung eines schiitischen Klerikers 20106
bleibt ein Einzelfall. Konfessionelle Streitigkeiten „wurden nie stark politisiert.“7 Schiiten
und Sunniten profitieren beide gleichermaßen
von der großzügigen Subventionspolitik des
Rentierstaats. Ganz anderes als die „Bidoon“,
die „ohne“ (arab. bidun) Nationalität und ohne
die gleichen Rechte im Land leben.
II.2 Politisches System und gesellschaftliche
Entwicklungen
Das politische System Kuwaits ist eine konstitutionelle Erbmonarchie. Der Staat Kuwait
wird vom Emir aus der Familie Al Sabah regiert. Er ernennt unter Mitwirkung des Parlaments den Thronfolger. Normalerweise wird
hierbei zwischen den Nachkommen der
Söhne Mubaraks (reg. 1896-1915), Jaber und
Salem, abgewechselt. Allerdings kamen die
letzten beiden Emire aus dem Zweig der
Jaber. 1963 wurde die Nationalversammlung
eingeführt. Sie besteht auf 50 Mitgliedern, die
alle vier Jahre gewählt werden. Da in Kuwait
die Bildung politischer Parteien verboten ist,
sind die Wahlen personalisiert, sodass sich
die Parlamentsabgeordneten zu Adhoc-Koalitionen zusammenschließen. Obwohl eine
künstliche Einordnung immer mit Gefahren
verbunden ist, wird häufig zwischen liberalen
und islamistischen Gruppierungen unterschieden. Daneben bilden die Stämme eine
bedeutende Gruppe. Seit Mai 2005 besitzen
kuwaitische Frauen das aktive und passive
Wahlrecht.
Diwanija ist im Treffen in Privathäusern zur politischen Diskussion und zum Ideenaustausch. In anderen
arabischen Staaten existiert ein ähnliches Konzept, des so genannte majlis. Vgl.
http://www.e.gov.kw/sites/kgoenglish/portal/Pages/Visitors/AboutKuwait/CultureAndHeritage_
CustomsAndTraditions.aspx.
Vgl. Yom, Sean L.: Oil, Coalitions, and Regime Durability: the Origins and Persistence of Popular
Rentierism in Kuwait, in: Studies in Comparative International Studies, 46 (2011), S. 217-241.
Vgl. Imam aus Kuwait ausgebürgert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.September 2010, Politik, S. 6.
Stephenson, Lindsey: Ahistorial Kuwaiti sectarianism, in: Foreign Policy, 29.April 2012, www.mideast.
foreignpolicy.com/posts/2011/04/29/ahistorical_kuwaiti_sectarianism, abgerufen am 16.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
Kuwait
Ein tiefer Einschnitt in das politische System
Kuwaits geschah mit dem Tod des langjährigen Emirs Jabir Ahmad al-Jabir Al Sabah im
Januar 2006 (reg. 1977-2006). Die angeschlagene Gesundheit des Thronfolgers veranlasste jedoch die Nationalversammlung,
seine Absetzung mitzuforcieren, was als ein
Novum in der Geschichte der Arabischen
Golfstaaten gilt. Außerdem wurde 2006 nach
heftigen Protesten der Jugend die Anzahl der
Wahlkreise von 25 auf fünf gesenkt. Ebenso
zwang die Nationalversammlung in der Vergangenheit Minister zum Rücktritt und erklärte
Erlässe des Emirs für ungültig.8 Seitdem wurden mehrmals Neuwahlen vom jetzigen Emir
Sabah Al-Ahmad Al-Jaber Al Sabah (geb.
1929) ausgerufen und das Kabinett umgebildet, um die Regierungsfähigkeit zu erhalten.
Dies blieb allerdings ohne Erfolg, sodass sich
Kuwait seit Jahren in einer fundamentalen
Krise der politischen Handlungsunfähigkeit
aufgrund des Konfliktes zwischen Emir und
Parlament befindet. Kurz:
“Kuwait has lurched from one political crisis
to the next”.9
Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die
Abgeordneten kaum Gestaltungsmacht besitzen und somit umso mehr von ihrer Blockademacht Gebrauch machen, um ihrer
Unzufriedenheit und ihrer politischen Machtlosigkeit zumindest im Protest Ausdruck zu
verleihen.
Die mehrmaligen Neuwahlen zeigen den Versuch des Emirs, sowohl Regierbarkeit als
auch die Regierungshoheit zu erhalten. Der
Nationalversammlung gelang es, anders als
vom Emir antizipiert, das Befragungsrecht zu
ihrem mächtigsten Instrument auszubauen
und so ihre eingeschränkte legislative Gewalt
8
9
10
11
12
(der Emir hat das Initiativ- und suspensive Vetorecht) zu kompensieren. So gelang es der
Nationalversammlung,
sich
zu
einer
dynamischen Diskussionsplattform zu entwickeln, die in der relativ freien Medienlandschaft10 des Landes ihre Fortsetzung findet.
Innenpolitisch kam es auch während des Arabischen Frühlings 2011 zu Protesten von zwei
unterschiedlichen Seiten. Die „Bidoon“, staatenlose Einwohner Kuwaits, protestierten
gegen ihre Rechtlosigkeit. Die sicherlich vom
„Arabischen Frühling“ inspirierten Proteste im
Februar und März 2011 blieben jedoch aus
Sicht der Bidoons erfolglos. Weiterhin protestierten kuwaitische Staatsbürger gegen den
Premierminister und die korrupte kuwaitische
Verwaltung.11 Die Protestler waren meist
junge Leute, die schon 2006 für die Verringerung der Wahlbezirke demonstriert hatten.
Daran – und an der dynamischen Entwicklung
der Nationalversammlung – kann man erkennen, dass Proteste gegen die Regierung in
Kuwait nicht erst seit dem Ausbruch des
„Arabischen Frühlings“ zu beobachten sind,
eine indirekte Inspiration konkreter Demonstrationen durch den „Arabischen Frühling“
kann aber nicht verneint werden. Insgesamt
blieben die Auswirkungen der Transformationsprozesse in anderen arabischen Staaten
auf Kuwait selbst jedoch gering.12
III. Regionale Perspektive
Kuwaits regionale Perspektive ist entscheidend durch die einflussreichen Nachbarn Irak,
Iran und Saudi-Arabien bestimmt. Als Kleinstaat strebt Kuwait danach, den Status Quo
zu erhalten, um zwischen den Regionalmächten nicht zerrieben zu werden und
versucht jedwede Instabilität in der Region zu
vermeiden.
Vgl. Niethammer, Katja: Chancen und Grenzen politischer Reformen in den GKR-Staaten, in: Gerhard
Wahlers (Hrsg.): Im Fadenkreuz der Großmächte. Die Geopolitik der Golfregion, Im Plenum (KonradAdenauer-Stiftung), Berlin, Juni 2008, http://www.kas.de/wf/doc/kas_13928-544-1-30.pdf, abgerufen am
01.08.2012, S. 12.
Kathman, Kenneth: Kuwait: Post-Saddam Issues and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
29.Juni 2005, http://www.fpc.state.gov/documents/organization/50259.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 1.
Verboten sind Kritik an der Person des Emirs und der herrschenden Familie, die Beleidigung der Grund
werte monotheistischer Religionen sowie die Verletzung der öffentlichen Moral. Ebenso bleibt die Kritik
an der saudischen Herrscherfamilie untersagt. „Reporter ohne Grenzen“ bezeichnen die kuwaitischen
Medien als „zweifelsohne die freiesten in der Region“. Im Press Freedom Index rangiert Kuwait auf Rang
78 von 179. Damit liegt Kuwait vor allen anderen arabischen Staaten. Als nächster Golfstaat folgen die
Vereinigten Arabischen Emirate erst auf Platz 112, Katar auf Platz 114. Saudi-Arabien liegt auf Platz 158.
Vgl. Reporters Without Borders:
Press Freedom Index 2011-2012, 25. Januar 2012,
http://www.en.rsf.org/IMG/CLASSEMENT_2012/ C_GENERAL_ANG.pdf, abgerufen am 07.08.2012.
Im Corruption Perception Index von Transpareny International 2011 rangiert Kuwait auf Platz 54 von 184
und ist damit der Golfstaat mit der zweithöchsten Korruption nach Saudi-Arabien auf Rang 57. Vgl. Arab
Times: Kuwait ‘54th’ on corruption index, 6. August 2012, http://www.arabtimesonline.com/NewsDe
tails/tabid/96/smid/414/ArticleID/176778/reftab/36/Default.aspx, abgerufen am 07.08.2012.
Vgl. für weitere Informationen: Mambrey, Alina: Kuwait, in: Deutschen Orient-Instituts (Hrsg.): Der
Arabische Frühling. Auslöser, Verlauf, Ausblick , September 2011, S. 187-193.
Deutsches Orient-Institut
77
Kuwait
III.1. Saudi-Arabien, die anderen Golfstaaten
und der Golfkooperationsrat
Innerhalb der Golfstaaten orientiert sich Kuwait stark am Königreich Saudi-Arabien, dem
mit knapp 28 Millionen Einwohnern größten
Staat auf der Arabischen Halbinsel. Die gemeinsame Erfahrung der irakischen Invasion
1990 (auch in saudisches Territorium marschierten irakische Truppen ein) schweißte
die beiden Staaten noch enger zusammen,
sodass sich die traditionell vertrauenswürdigen Beziehungen noch intensivierten. Auch
sicherheitspolitisch besitzt Kuwait ein Interesse an guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien, ebenso wie zu den
anderen beiden Regionalmächten Irak und
Iran, was als diplomatische Gratwanderung
bezeichnet werden kann, stehen doch diese
drei Länder mehr oder weniger in regionaler
Konkurrenz miteinander oder pflegen offen artikulierte Abneigung wie das sunnitische
Saudi-Arabien und der schiitische Iran.
Ebenfalls überlebensnotwendig für einen
Kleinstaat wie Kuwait ist die Einbindung in regionale Organisationen. Zum Schutz vor der
expansiven Propaganda Irans nach der Islamischen Revolution wurde am 25. Mai 1981
der Golfkooperationsrat (GKR) von Kuwait,
Bahrain, Katar, den Vereinigten Arabischen
Emiraten, Oman und Saudi-Arabien gegründet. Als stärkste Macht dominiert Saudi-Arabien die offizielle Linie des GKR, an die sich
die meisten anderen Golfstaaten bis heute
stark anlehnen.
In einem weiteren Schritt zur Verbesserung
der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit
wurde im Rahmen des GKR „die weitgehend
symbolischen ‚Peninsula Shield’ Koalitionstruppen“13 von den sechs Mitgliedsstaaten gegründet. Zwar blieben diese Truppen lange
Zeit rein symbolisch, erlangten aber im März
2011 im Zusammenhang mit den zivilen Protesten in Bahrain weltweite Bekanntheit. Offiziell wurden sie zur Unterstützung der
bahrainischen Sicherheitskräfte eingesetzt,
dessen Kräfte durch die Demonstrationen gebunden waren. Kuwait schickte keine
13
14
15
16
78
Bodentruppen, sondern unterstützte die Operation durch die Marine.14 Diese zurückhaltende Kooperation ist ein Pfeiler der
kuwaitischen Politik: Weder mochte man den
mächtigen Partner Saudi-Arabien (der Bahrain als sein Einflussgebiet ansieht) durch
Passivität verärgern, noch wollte man negative Reaktionen unter der eigenen schiitischen Bevölkerung riskieren. Dieser
Balanceakt wurde durch die Marine gelöst.
Obwohl die Schiiten in Kuwait generell gut in
das politische und wirtschaftliche Leben integriert sind, haben konfessionelle Spannungen
in der Region für zusätzlichen Zündstoff gesorgt15.
In gleicher Weise streben die Staaten des
GKR eine gemeinsame Strategie gegenüber
dem iranischen Nuklearprogramm an. Statt
einer gemeinsamen Linie, argumentieren
Cronin und Masalha hingegen, dass die Golfstaaten bilaterale Beziehungen zu Iran aufrechterhalten, die ihren jeweils eigenen
Interessen und Besonderheiten gerecht werden. Ihnen ist hierbei jedoch allen gemein,
dass sie weitere Unruhen in der Region verhindern wollen.16 Die kuwaitische Politik zum
iranischen Nuklearprogramm wird im Kapitel
„Iran“ näher beleuchtet.
III.2 Das Trauma der irakischen Invasion und
dessen Nachwirkungen
Die Beziehungen zum großen Nachbarn Irak
waren seit der Unabhängigkeit Kuwaits 1961
angespannt. Mit der irakischen Invasion Kuwaits am 1. August 1990 brachen sich die
Spannungen dann in der Kuwait-Invasion
durch Irak, dem so genannten „Zweiten Golfkrieg“, bahn. Bis zum Sturz des Regimes von
Saddam Hussein durch die Amerikaner 2003
wurde Kuwaits regionale Außenpolitik durch
die potentielle irakische Bedrohung bestimmt.
Jedoch sind die Beziehungen zum Irak nach
dem Sturz Husseins ebenfalls nicht ohne
Spannungen.
Die Ursachen dieser fragilen bilateralen Beziehung lassen sich zu großen Teilen auf die
vom Irak erhobenen Gebietsansprüche in Ku-
Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monar
chies, London 2011, S. 91.
Vgl. Kuwait naval units join Bahrain mission ... ‘Plot foiled’, in: Arab Times, 21.März 2011, http://www.arabtimesonline.com/NewsDetails/tabid/96/smid/414/ArticleID/167038/reftab/73/Default.aspx, abgerufen am
01.08.2012.
Stephenson, Lindsey: Ahistorial Kuwaiti sectarianism, in: Foreign Policy, 29.04.2012, http:// www.mide
ast.foreignpolicy.com/posts/2011/04/29/ahistorical_kuwaiti_sectarianism, abgerufen am 16.07.2012.
Vgl. Cronin, Stephanie; Masalha, Nur: The Islamic Republic of Iran and the GCC states: Revolution to
realpolitik?, in: Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf States
(London School of Economics), August 2011, http://www2.lse.ac.uk/government/research/resgroups/
kuwait/documents/Cronin%20and%20Masalha.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 5.
Deutsches Orient-Institut
Kuwait
wait zurückführen. Der Irak hat bis heute die
Unabhängigkeit Kuwaits nie anerkannt. Das
kleine Kuwait sah sich somit seit seiner Unabhängigkeit Drohgebärden seines unmittelbaren Nachbarn ausgesetzt, weshalb es auf
militärischen Schutz von außen, erst von den
Briten, dann von den US-Amerikanern, angewiesen war.
Am 1. August 1990 marschierte die irakische
Armee in Kuwait ein und annektierte das Land
völkerrechtswidrig. Die Regierung und die Familie der Al Sabah flohen nach Saudi-Arabien.
Die darauf folgende Befreiung durch eine „Koalition der Willigen“ geschah unter Führung
der USA, die seit dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion eine
unumstrittene Führungsrolle innerhalb einer
unilateralen Weltordnung eingenommen hatten.
Es wurde weiterhin befürchtet, dass der Irak
versuchen würde, die erdölreiche östliche
Provinz Saudi-Arabiens zu erobern. Dies
hätte eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA bedeutet, die von saudi-arabischem Erdöl abhängig waren. Daneben galt
es, weitere Eroberungen des Iraks wegen seiner Völkerrechtswidrigkeit abzuwehren. Innerhalb von nur fünf Tagen startete die Operation
„Desert Shield“ zum Schutz Saudi-Arabiens.
In den nächsten Monaten verhandelte die
internationale Staatengemeinschaft im UN-Sicherheitsrat unter Federführung der USA mit
dem Irak über die Bedingungen eines Rückzugs. Kuwait selbst war nicht direkt in die Verhandlungen
eingebunden.
Mit
der
UN-Resolution 678 stellte der UN-Sicherheitsrat dem Irak ein Rückzugsultimatum, bei
deren Nichteinhaltung „alle notwendigen
Mittel“, also auch militärische Gewalt, völkerrechtlich legitimiert wurden. Anfang 1991 begann die Operation „Desert Storm“ zur
Rückeroberung Kuwaits unter UN-Mandat
nach Kapitel VII der UN-Charta.
Mit dem Ende des Zweiten Golfkriegs (als Erster Golfkrieg gilt der Iran-Irak-Krieg zwischen
1980 und 1988) etablierten sich die USA als
Schutzmacht Kuwaits.17 Die Invasion wirkte
als traumatischer Schock für die kuwaitische
17
18
19
Regierung und Bevölkerung. Ihre Beziehungen zum Irak sind bis heute durch diese negative Erfahrung geprägt und in den Jahren
danach prägte das Freund-Feind-Denken
auch die Beziehungen zu anderen Staaten.
So verschlechterte sich das Verhältnis zur
PLO in den Palästinensischen Gebieten dramatisch, da sich deren Präsident Jassir Arafat
während des Krieges auf die Seite des Iraks
gestellt hatte. Erst nach dessen Tod 2004 sollten sich die Beziehungen wieder verbessern.
Ähnliches galt für das Verhältnis zu Jordanien, dem Sudan, Jemen und Kuba. Die Beziehungen zu Jordanien normalisierten sich
mit dem Besuch König Abdullahs in Kuwait im
September 1999.
Der Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein 2003 durch die Amerikaner
wurde demnach von der kuwaitischen Regierung begrüßt. Trotz seiner Schwächung durch
die internationalen Sanktionen stellte Husseins Irak nach dem Ende der Invasion 1991
weiterhin eine Gefahr für die äußere Sicherheit Kuwaits dar. Während des Irak-Kriegs
2003 unterstützte Kuwait die US-amerikanischen Truppen bei ihrer Invasion in den Irak
intensiv. Während in Saudi-Arabien die meisten Truppenverbände aufgrund gesellschaftlicher Proteste nach dem 11. September 2001
abgezogen worden waren, wurde die Truppenpräsenz in den kleinen Golfstaaten im
Zuge des Irak-Kriegs 2003 und der iranischen
Bedrohung massiv aufgestockt. Der direkte
Nachbar Kuwait stellte den Amerikanern „bis
zu 60% seines Territoriums“18 zur logistischen
und infrastrukturellen Verfügung.
Die Beziehungen zum Irak sind auch nach
dem Sturz von Saddam Hussein von
Misstrauen auf beiden Seiten gekennzeichnet. Offiziell werden jedoch die verbesserten
Beziehungen betont und die mittlerweile kollegiale Kooperation gelobt, was vor allem
auch am außenpolitischen Druck der USA,
sowie der Erkenntnis der Golfstaaten liegen
könnte, sich nicht isolieren zu dürfen, sondern
mit dem bevölkerungs- und ölreichen Nachbarn Ebenen der Zusammenarbeit suchen zu
müssen.19
2008 wurde wieder ein kuwaitischer Bot-
Zu den US-kuwaitischen Beziehungen siehe Kapitel IV.4.
Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf
Monarchies, London 2011, S. 92.
Vgl. Cronin, Stephanie; Masalha, Nur: The Islamic Republic of Iran and the GCC states: Revolution to
realpolitik?, in: Kuwait Programme on Development, Governance and Globalisation in the Gulf States
(London School of Economics), August 2011,http://www2.lse.ac.uk/government/research/resgroups/
kuwait/documents/Cronin%20and%20Masalha.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 10.
Deutsches Orient-Institut
79
Kuwait
schafter nach Bagdad entsandt20 und 2011
erklärte der Sprecher der kuwaitischen Nationalversammlung, dass „wir [Kuwait und Irak,
LB] hervorragende Beziehungen anstreben,
die auf gegenseitigem Respekt der jeweiligen
territorialen Souveränität beruhen.“21
Jedoch zeigt sich an den Taten und der Stimmung in Gesellschaft und Medien, wie groß
das gegenseitige Misstrauen noch verankert
ist. So wird die Frage der Reparationen für die
Invasionsschäden nach wie vor intensiv in der
Öffentlichkeit diskutiert. Weder die Nationalversammlung noch die Bürger in Kuwait sind
gewillt, auf die ausstehenden Reparationen in
Höhe von 14,7 Milliarden USD22 zu verzichten, obwohl Kuwait heute zu einem der reichsten Länder der Welt gehört, während der Irak
von den Jahren der Wirtschaftssanktionen
und des Bürgerkriegs geprägt ist und nach
wie vor unter Instabilität, regionalen Diskrepanzen, Arbeitslosigkeit und politischer Instabilität leidet. Dies zeigt, wie stark die
Erfahrung der Invasion die kuwaitische Mentalität und Identität bis heute prägt. Außerdem
stehen aus dem Golfkrieg 1990/1991 noch
die Fragen nach Kriegsgefangenen und der
Rückkehr gestohlener Kunstgegenstände,
darunter ein 234-karätiger Smaragd, offen.
Solange diese Themen nicht vollständig geklärt sind, wird sich auf beiden Seiten das
Misstrauen nicht maßgeblich reduzieren.
In der jüngeren Vergangenheit symbolisierte
das ambitionierte Infrastrukturprojekt um den
kuwaitischen Hafen Mubarak das weiterhin
angespannte Verhältnis zwischen beiden
Ländern. So wurde von Seiten des Iraks im
August 2011 Kritik laut, der Großhafen würde
den Seehandel des Iraks und dessen Planungen für den eigenen Großhafen Grand
Faw mit einem Kostenvolumen von etwa 6,1
Mrd. USD und einer geschätzten Kapazität
von 99 Mio. Tonnen im Jahr erheblich beeinträchtigen.23 Eine einvernehmliche Lösung
wurde durch die Parlamente beider Länder er-
20
21
22
23
24
25
26
27
80
schwert, da „Fragen des Nationalstolzes und
der Geschichtserfahrung sich als unwiderstehlich für ambitionierte Politiker herausstellten.“24 Ein Jahr später legten die beiden
Länder den Streit bei und einigten sich auf die
gemeinsame Nutzung der Wasserwege und
eine gemeinsame Verwaltung zur Überwachung der Vereinbarung.25 Trotz dieses Erfolgs und weiterer Vereinbarungen zur
Nutzung von grenznahen Ölfeldern, müssen
diese Einigungen immer hart erkämpft werden, sodass bereits von einer entstehenden
„Pathologie des Hasses“ gesprochen wird.26
III.3 Iran
Historisch wurden die Beziehungen beider
Länder von der Islamischen Revolution 1979
geprägt. Unter Ayatollah Chomeini betrieb
Iran eine konfrontative Außenpolitik mit dem
Ziel des Revolutionsexportes. Als Reaktion
auf diese Bedrohung der inneren Sicherheit
der Golfmonarchien, die für Chomeini eine
„ungerechte Herrschaft“ darstellten, gründeten diese 1981 den GKR.
Mit Beginn des Iran-Irak-Kriegs 1980 verschlechterten sich die Beziehungen weiter, da
Kuwait den Irak mit großzügigen finanziellen
Hilfen unterstützte und die USA kuwaitische
Öltanker im so genannten „Tankerkrieg“ neu
beflaggte. Die USA wollten die Erdöllieferungen sichern und zeigten zum ersten Mal militärische Präsenz am Golf.27 Erst nach 1991
verbesserten sich die Beziehungen zu Iran als
regionalen Gegenpol zum Irak. Die Bedrohung durch den Irak wurde akuter als die
durch Iran angesehen, der unter dem Nachfolger Chomeinis, Ayatollah Chamenei, den
Revolutionsexport aufgab.
Mit dem Ende der irakischen Bedrohung
durch Saddam Hussein rückte die Bedrohung
durch Iran erneut ins Augenmerk der kuwaitischen Führung. Hierbei sind zwei Aspekte
von Bedeutung: Erstens der nach dem Sturz
Vgl. Roberts, David: Kuwait, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf
Monarchies, London 2011, S. 108.
Kuwait keen on good neighborliness with Iraq: Al-Kharafi, in: Kuwait News Agency, 01.August 2011,
http://www.kuna.net.kw/ArticleDetails.aspx?language=en&id=2183173, abgerufen am 16.07.2012.
Vgl. http://www.uncc.ch/status.htm.
Vgl. Iraq Business News: Basra Forms Group to Invest in Faw Port, 23. Mai 2012, http://www.iraqbusinessnews.com/tag/al-faw-grand-port/, abgerufen am 07.08.2012.
Roberts, David: Kuwait’s war of words with Iraq: Foreign Policy, 20. Juli 2011, http://www.mideast.
foreignpolicy.com/posts/2011/07/20/kuwatis_war_of_words_with_iraq, abgerufen am 16.07.2012.
Vgl. Iraq committed to resolving problems with Kuwait – roundup, in: BBC Monitoring Middle East,
01.Mai 2012
Roberts, David: Kuwait’s war of words with Iraq, in: Foreign Policy, 20.Juli 2011, http://www.mideast.
foreign-policy.com/posts/2011/07/20/kuwatis_war_of_words_with_iraq, abgerufen am 16.07.2012.
Vgl. Wachenfeld, Margaret G.: Reflagging Kuwaiti Tankers: A U.S. Response in the Persian Gulf, in: Duke
Law Journal, 174 (1988), S. 174-202.
Deutsches Orient-Institut
Kuwait
von Hussein stark gewachsene iranische Einfluss im Irak und zweitens das iranische Nuklearprogramm. Während der Ära Saddam
Husseins versuchte Kuwait, sich stärker an
Iran zu binden, um die regionale Heterogenität beider Länder zu seinen Gunsten zu nutzen und den Irak zu schwächen. So wurde
noch 2002 im Rahmen eines Besuchs des iranischen Verteidigungsministers Ali Shamkhani in Kuwait eine engere Zusammenarbeit
im Bereich Sicherheit und Militär angestrebt.28
Mit der ersten unabhängigen Regierung nach
dem Sturz Saddam Husseins wuchsen das
Selbstbewusstsein und der Einfluss der irakischen Schiiten, die von Iran unterstützt werden. Dies läuft dem kuwaitischen Wunsch
nach einer internationalen Eindämmungspolitik sowohl gegenüber dem Irak als auch Iran
zuwider. Diese Komponente belastet die angespannten Beziehungen zum neuen Irak
noch weiter.
Des Weiteren zeigt sich Kuwait, allein aufgrund seiner geographischen Nähe Iran, nicht
an einer Eskalation der Situation um das iranische Atomprogramm interessiert. Kuwait
sieht die umstrittenen Ambitionen der Islamischen Republik überaus kritisch, befürchtet
es doch, ein nuklear aufgerüsteter Iran könnte
die innere Sicherheit Kuwaits bedrohen. So
könnte ein atomarer Unfall in dem direkt auf
der anderen Seite des Golfs gelegenen Reaktor Buschehr mindestens 90% der kuwaitischen Bevölkerung betreffen.29 Mit seinen
Bemühungen um Entspannung folgt Kuwait
der offiziellen Linie des GKR. Der GKR betont
zwar das Recht Irans auf friedliche Nutzung
der Kernenergie, wie sie im Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (Treaty on the
Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NPT)
garantiert ist, bemängelt aber die mangelnde
iranische Transparenz hinsichtlich seines Nuklearprogramms. Kuwait unterstützt im Rahmen des GKRs die wirtschaftlichen
Sanktionen der Vereinten Nationen, da die eigenen Handlungskapazitäten eingeschränkt
sind. Offiziell lehnt der GKR eine militärische
Aktion ab, da gute nachbarschaftliche Beziehungen von Vorrang seien. Durch jedwede
militärische Operation im Golf wäre die Si-
28
29
30
cherheit aller Golfstaaten, einschließlich Kuwait, gefährdet. Dennoch hat sich in den letzten Jahren und Monaten die antiiranische
Haltung einiger Golfstaaten deutlich verstärkt.
IV. Internationale Perspektive
Auf internationaler Ebene sind die Beziehungen zur Schutzmacht USA bestimmend. Mit
Ausnahme der Beziehungen zu den USA finden die meisten politischen Beziehungen auf
internationaler Ebene über den GKR statt.
Daneben engagiert sich Kuwait in einer Reihe
von Internationalen Organisationen (UN,
WTO, Organisation der islamischen Zusammenarbeit, Arabische Liga, OPEC). Solange es nicht den eigenen Interessen
schadet, versucht Kuwait multilaterale politische Beziehungen zu wahren, da die
Ressourcenbündelung in multilateralen Organisationen für kleine Staaten wie Kuwait sehr
große Vorteile mit sich bringt. Da es in multilateraler Beziehung jedoch keine selbstständige Politik betreibt, sondern sich an der
gemeinsamen Linie des GKR orientiert, wird
diese Komponente bei der Analyse außer
Acht gelassen.
IV.1 Deutschland und die EU
Laut offizieller Auskunft des Auswärtigen Amts
sind die Beziehungen „freundschaftlich und
gut.“30 Die politischen sind gegenüber den
wirtschaftlichen Beziehungen zweitrangig.
Deutschland ist nach den USA und China der
drittgrößte Exporteur nach Kuwait. Hierbei
werden vor allem hochwertige Kraftfahrzeuge, Maschinen, Anlagen (insbesondere
Kraftwerke), elektronische und chemische Erzeugnisse, Eisenwaren und Lebensmittel von
Deutschland nach Kuwait importiert.
Mit 1,05 Milliarden EUR im Jahr 2011 sanken
zwar die deutschen Exporte nach Kuwait um
11,7% im Vergleich zum Vorjahr, die Importe
aus Kuwait nach Deutschland stiegen jedoch
im gleichen Zeitraum um 69,23% auf 101,35
Millionen EUR im Jahr 2011. Kuwait engagiert
sich vor allem in Form von ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland. Seit 1987
Vgl. Xinhua News Agency: Kuwaiti, Iranian Defense Ministers Meet Over Military Cooperation, 21. Mai
2002, http://www.news.xinhuanet.com/english/2002-05/21/content_401527.htm, abgerufen am
07.08.2012, Alsis, Peter, Allison, Marissa, Cordesman, Anthony H.: U.S. and Iranian Strategic Competi
tion in the Gulf States and Yemen, Center for Strategic & International Studies, März 2012.S. 26.
Vgl. Bushehr plant damage risks 90% radiation in Kuwait, in: Kuwait Times,
http://www.news.kuwaittimes.net/2012/01/10/bushehr-plant-damage-risks-90-radiation-in-kuwait/,
abgerufen am 01.08.2012.
Auswärtiges Amt: Beziehungen zu Deutschland, Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertigesamt.de/sid_52C3BC891E11F83B577347A133B51FA3/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kuwait/Bilateral_node.html, abgerufen am 01.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
81
Kuwait
existiert ein Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung zwischen beiden Ländern.
„Deutschland genießt [insgesamt] großes Ansehen.“ 31
Auch die Beziehungen des GKR und somit
Kuwaits zur Europäischen Union werden von
intensiven wirtschaftlichen Beziehungen dominiert. Gespräche bezüglich eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem
GKR ziehen sich jedoch seit Jahren hin. Die
Golfstaaten werfen der EU vor, dass sie
Menschenrechtsfragen benutze, um die
Handelsbedingungen zu beeinflussen.32 Im
Gegensatz dazu zeigen die Gespräche um
ein Freihandelsabkommen mit China große
Fortschritte. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, insbesondere Deutschland,
versuchen die Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen mit Forderungen nach einer
Liberalisierung der Region zu verknüpfen. Mit
dem aufstrebenden China bekam die EU
jedoch auf wirtschaftlicher Ebene große Konkurrenz. Dennoch sind beide Seiten an guten
politischen und wirtschaftlichen Beziehungen
interessiert, da ähnliche politische Interessen
im Nahen Osten bestehen.
Auf politischer Ebene werden die ähnlichen
Interessen in Bezug auf die Wahrung der Stabilität in der unruhigen Golfregion hervorgehoben. Beide regionale Organisationen
wollen eine schnelle und friedliche Lösung
des Israelisch-Palästinensischen Konflikts auf
Basis der Zwei-Staaten-Lösung und eine diplomatische Lösung des iranischen Nuklearprogramms. Aktuell wünschen sich beide eine
Fortführung des friedlichen Wechsels in Tunesien und Ägypten.33
IV.2 China
Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu China haben erst in den letzten
Jahren an Bedeutung gewonnen. Zwar
pflegen beide Staaten seit Kuwaits Unabhän31
32
33
34
35
82
gigkeit 1961 generell freundschaftliche
Beziehungen, diese bewegten sich aber auf
einem niedrigen politischen und diplomatischen Level. Die Wirtschaft spielte ebenfalls
kaum eine Rolle.
Der Grund für die schwachen Beziehungen
lag in der Isolierungspolitik der chinesischen
Führung aufgrund der rigiden maoistischen
Ideologie im frühen 20. Jahrhundert. Erst in
den 1970er und 1980er Jahren wurde die Isolierung aufgeweicht. Die chinesische Führung
erklärte nun die wirtschaftliche Modernisierung und die politische Stabilität zu neuen nationalen Zielen.
Die Supermacht China richtet ihre Außenpolitik im Golf nicht nach den Bedürfnissen des
kleinen Kuwaits aus. Jedoch ist Chinas
Außenpolitik nicht konfrontativ ausgelegt.
China verurteilte die irakische Invasion 1990
„on principle“34, da einer der wichtigsten Eckpfeiler seiner Außenpolitik das Prinzip der
Nichteinmischung und somit die Wahrung der
nationalen Souveränität und der territorialen
Unversehrtheit eines Landes ist, was sich derzeit auch wieder in der Syrienpolitik Chinas
zeigt. Aufgrund der gleichen Prinzipien unterstützt Kuwait China im Streit um Taiwan.35
Nach der Rückeroberung Kuwaits schloss
das Emirat Verteidigungs- und Sicherheitspakte mit allen fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, einschließlich Chinas, was vor
allem auf britischer und amerikanischer Seite
für Irritationen sorgte. Für Kuwait war jedoch
die Garantie der eigenen Sicherheit wichtiger,
außerdem blieben die USA die wichtigste
Schutzmacht.
Im Bezug auf den Irak-Krieg 2003 und den
Umgang mit dem iranischen Nuklearprogramm setzen die Chinesen andere Akzente.
So lehnten die Chinesen, im Gegensatz zu
Kuwait, einen Krieg 2003 ab, allerdings war
ihre Ablehnung moderater als Frankreichs
oder Russlands. Im Streit um das iranische
Atomprogramm spricht sich China gegen eine
Verschärfung der UN-Wirtschaftssanktionen
Auswärtiges Amt: Beziehungen zu Deutschland, Kuwait, Juni 2012, http://www.auswaertigesamt.de/sid_52C3BC891E11F83B577347A133B51FA3/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kuwait/Bilateral_node.html, abgerufen am 01.08.2012.
Niazi, Khizar: Kuwait Looks Towards the East: Relations with China, in: Eurasia Review, 19. Dezember
2009, http://www.eurasiareview.com/19122009-kuwait-looks-towards-the-east-relations-with-china/, abgerufen am16.07.2012.
Vgl. EU High Representative Catherine Ashton visits the Gulf, 17-20 April, in: Press Release A 156/11
(European Union), 17. April 2012, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/EN/fo
raff/121571.pdf, abgerufen am 01.08.2012.
Chinese Embassy Kuwait: China and Kuwait, http://www.kw.chineseembassy.org/eng/sbgx/t580302.htm,
abgerufen am 16.07.2012.
Vgl. Niazi, Khizar: Kuwait Looks Towards the East: Relations with China, in: Eurasia Review, 19.
Dezember.2009, http://www.eurasiareview.com/19122009-kuwait-looks-towards-the-east-relations-withchina/, abgerufen am 16.07.2012.
Deutsches Orient-Institut
Kuwait
aus, da dies seine Wirtschafsbeziehungen zu
Iran negativ beeinflussen würde. Um seiner
wachsenden Bevölkerung Wohlstand garantieren zu können, ist China auf den Außenhandel angewiesen. Immerhin stieg die
Bevölkerung von 630 Millionen im Jahr 1960
auf 1,35 Milliarden im letzten Jahr. Seit 1993
kann China seinen Bedarf an Erdöl nicht mehr
selbst decken und ist auf Importe angewiesen. Mit 5,5 Millionen Barrel pro Tag im Jahr
2011 ist China nach den USA mit 8,7 Millionen Barrel pro Tag der größte Importeur von
Erdöl.36 Das Interesse an der Golfregion als
möglicher Erdöllieferant war geweckt. Mittlerweile ist Kuwait unter den wichtigsten zehn
Exporteuren von Öl an China.
gen zwischen Kuwait und den USA von herausragender Bedeutung für Kuwait. Mit dem
Bedeutungsverlust der Briten in der Region
übernahmen die USA die Rolle der Schutzmacht für Kuwait in einer geopolitisch hochsensiblen Region.
Mit 191.000 Barrel pro Tag liegt Kuwait jedoch
hinter den GKR-Mitgliedsstaaten Saudi-Arabien mit 1 Million Barrel pro Tag und Oman mit
363.000 Barrel pro Tag.37 Im Gegenzug investiert der kuwaitische Staatsfonds, der eine
eigene Repräsentanz im Land hat, zum Beispiel in die Agriculture Bank of China. Chinas
wirtschaftliches Engagement knüpft sich keineswegs an politische Forderungen nach Liberalisierung oder einer Verbesserung der
Menschenrechtssituation, sondern wird allein
aus realpragmatischen, ökonomischen Interessen verfolgt. Im Gegensatz zu den USA hat
China kein Interesse an einer militärischen
Präsenz in der Region. Sein Fokus liegt auf
der Diplomatie, auf Handel (insbesondere
Waffen) und Auslandsdirektinvestitionen. Mit
der wachsenden Abhängigkeit Chinas vom
Erdöl aus der Region wird Chinas Rolle in der
Region zunehmen und als Konsequenz daraus können „gravierende und gefährliche
Spannungen“38 zwischen den Supermächten
China und USA entstehen. Dies könnte zur
Folge haben, dass sich Kuwait dann für einen
Sicherheits- und Wirtschaftspartner entscheiden müsste. In der nahen Zukunft wird sich
China jedoch auf seine Innenpolitik und somit
auf die Wirtschafts- und Energiepolitik im Ausland konzentrieren. Die chinesisch-kuwaitischen Beziehungen werden davon noch
weiter profitieren.
Während der militärischen Operationen zur
Befreiung Kuwaits 1990/91 war Kuwait selbst
nicht direkt eingebunden. Die Entscheidungen fielen vor allem im UN-Sicherheitsrat auf
Initiative der USA, die sich freien Zugang zum
arabischen Öl sichern wollten. Kuwaits Regierung war in dieser Zeit praktisch handlungsunfähig und konnte sich aufgrund seiner
begrenzten militärischen Mittel nur geringe
direkte Unterstützung bei den Militäroperationen leisten. Finanzielle Hilfe leistete Kuwait
(und Saudi-Arabien) stattdessen bei den Militäroperationen und der späteren UN-Mission
UNIKOM zur Überwachung der entmilitarisierten Zone an der Grenze von Irak und
Kuwait.
IV.3 USA
Neben den Golfstaaten sind die USA der
wichtigste Verbündete Kuwaits. Auf internationaler Ebene sind die bilateralen Beziehun36
37
38
39
Diese engen Beziehungen sind eher neueren
Datums. Während der 1960er und 1970er
Jahre pflegte Kuwait im Sinne der blockfreien
Staaten gute Beziehungen zur UdSSR und
lehnte die amerikanische Unterstützung
Israels weitgehend ab. Enge Beziehungen
entwickelten sich erst aus der dominanten
amerikanischen Rolle bei der Befreiung
Kuwaits nach der irakischen Invasion 1990.
Der Irak-Krieg der USA 2003 zeigte, wie sehr
das Trauma der irakischen Invasion und die
Furcht vor einer möglichen Wiederholung die
kuwaitische Gesellschaft prägt. Entgegen der
offiziellen Linie der Golfstaaten, einschließlich
Saudi-Arabiens, die ebenfalls eine enge
sicherheitsstrategische Partnerschaft mit den
USA unterhalten, gewährte Kuwait dem
US-Militär großzügige Nutzungsrechte seines
Territoriums. Die Stärke der amerikanischkuwaitischen Beziehungen lässt sich ebenso
daran erkennen, dass die Regierung unter
George W. Bush 2004 Kuwait, neben
Bahrain, zum einzigen „major non-NATO ally“
der Golfregion bestimmte39. Die USA planen
auch nach dem Rückzug aus dem Irak, eine
hohe Zahl von US-Soldaten in Kuwait zu
stationieren, vor allem um für alle
Eventualitäten Iran betreffend vorbereitet zu
sein. Als weitere Maßnahme zum Schutz sei-
Vgl. U.S. Energy Information Administration: China, http://www.eia.gov/countries/cab.cfm?fips=CH,
abgerufen am 16.07.2012.
Ebd.
Yetiv, Steve A., Lu, Chunlong: China, Global Energy, and the Middle East, in: Middle East Journal, 61:2
(Spring, 2007), S. 216.
Kathman, Kenneth: Kuwait: Post-Saddam Issues and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
29. Juni 2005, http://www.fpc.state.gov/documents/organization/50259.pdf, abgerufen am 01.08.2012, S. 2.
Deutsches Orient-Institut
83
Kuwait
nes Territoriums ist Kuwait als erstes Mitglied
des GKR der Istanbul-Initiative der NATO beigetreten,40 die engere bilaterale Beziehungen
zwischen Kuwait und der NATO vor allem in
den sicherheitspolitischen Bereichen Terrorismusbekämpfung und zur Verhinderung der
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
ermöglicht.41
Neben den militärischen und strategischen
Beziehungen, die von herausragender Bedeutung für Kuwait sind, bestehen gute wirtschaftliche Kontakte zu den USA. Mit seiner
Neuorientierung zu den USA und der Verschlechterung der Beziehungen zur PLO
nach dem Golfkrieg 1991 gab Kuwait den
Boykott aller Güter auf, die nicht direkt in Israel hergestellt wurden. Davon profitierten
amerikanische Firmen im besonderen Maße.
So sind die USA heute Kuwaits größtes Lieferland mit einem Volumen von 2,7 Milliarden
USD im Jahr 2011.42 Daneben ist Kuwait ein
wichtiger Abnehmer amerikanischer Rüstungsgüter, wie dem PATRIOT Abwehrsystem, wobei im März 2012 Rüstungsgeschäfte
mit einem Volumen von 9,8 Milliarden USD
noch nicht abgeschlossen waren.43
V. Fazit und Ausblick
Die Außenpolitik Kuwaits wird von seinen großen Nachbarn Saudi-Arabien, Irak und Iran
bestimmt. Dieses Schicksal teilt es sich mit
den meisten anderen kleinen Staaten am
Golf. Jedoch ist Kuwait das einzige Land, welches in seiner Geschichte von einem seiner
großen Nachbarn, dem Irak, angegriffen
wurde. Diese Erfahrung der eigenen Verwundbarkeit prägt bis heute seine Außenpolitik entscheidend.
Als kleiner und außenpolitisch schwacher
Staat kann Kuwait, wie es am eigenen Leib
erfahren musste, nicht für seine eigene Sicherheit und territoriale Unversehrtheit sor-
40
41
42
43
84
gen. Es ist daher auf den Schutz mächtiger
externer Akteure angewiesen. In diesem
Sinne orientiert sich Kuwait an Saudi-Arabien
und hat sich unter den Schutz der Vereinigten
Staaten gestellt. Mehr noch als Saudi-Arabien
und Katar, die teilweise offiziell von der USLinie abweichen, orientiert sich Kuwait hingegen deutlich an den USA. Die starke
Orientierung an den USA kann auf die Erfahrung der irakischen Invasion zurückgeführt
werden. Momentan bestehen enge militärische und sicherheitspolitische Bindungen mit
den Vereinigten Staaten. Die amerikanische
Armee hat einen Großteil ihrer Streitkräfte im
kleinen Emirat stationiert. Auch die Nähe zum
Militärbündnis der NATO sucht Kuwait aktiv.
Die Beziehungen zum Irak verbessern sich
langsam aber stetig. War die kuwaitische Regierung, wie auch die anderen Golfstaaten,
zunächst kaum an einer Normalisierung der
Beziehungen zum Irak nach dem Sturz von
Saddam Hussein interessiert, vollzieht sich
momentan eine vorsichtige Annäherung.
Kuwait musste erkennen, dass es seinen eigenen Interessen schadete, die schiitische
Regierung im Irak zu marginalisieren. Druck
der USA, die eine nachbarschaftliche Anbindung des Iraks wünschten, spielte sicherlich
ebenfalls eine Rolle. Doch die Beziehungen
sind noch immer angespannt.
Kuwait erfährt bei anderen internationalen Akteuren vor allem aufgrund seiner Erdölressourcen
gestiegene
Aufmerksamkeit.
Insbesondere die Beziehungen zu China beruhen auf kuwaitischen Öllieferungen nach
China und dem Export chinesischer Konsumgüter nach Kuwait. Mittelfristig scheint China
kein Interesse an einer größeren politischen
oder gar militärischen Rolle in der Region zu
haben.
Linda Berger
Vgl. Auswärtiges Amt: Außenpolitik, Kuwait, Mai 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kuwait/Aussenpolitik_node.html, abgerufen am 01.08.2012.
Vgl. The White House: Fact Sheet: The Istanbul Cooperation Initiative, 28.Juni 2004, www.georgewbush
whitehouse.archives.gov/news/releases/2004/06/20040628-2.html, abgerufen am 01.08.2012.
Vgl. United States Census Bureau: Trade in Goods with Kuwait, http://www.census.gov/foreign-trade/
balance/c5130.html, abgerufen am 01.08.2012.
Vgl. U.S. Department of State: BackgroundNote: Kuwait,13.03.2012, http://www.state.gov/r/pa/ei/bgn/
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86
Deutsches Orient-Institut
Oman
konstituieren. Laut omanischem Außenministerium beruht die Außenpolitik auf vier Prinzipien:
D
I. Einleitung
as Sultanat Oman gilt als Sonderfall
auf der Arabischen Halbinsel. Für
diese These gibt es diverse Argumente, wie beispielsweise den nur im Oman
praktizierten ibaditischen Islam oder das, im
Vergleich zu anderen Golfstaaten wie den
Vereinigte Arabische Emirate (VAE) oder
Katar, relativ große Land1, was nur über geringe Öl- und Gasvorkommen verfügt2 und im
Vergleich zu den anderen Ländern des Golfkooperationsrats (GKR) arm ist.3 Auch die
geografische Lage am nord-westlichen Rand
der Arabischen Halbinsel beeinflusste die
omanische Sonderrolle. So ist das Sultanat
für Jeffrey A. Lefebvre „much more of an Indian Ocean state than a Persian Gulf state.“4
Die Palastrevolution des Sohnes Qabus
gegen seinen Vater 1970 war das einschneidendste Ereignis der jüngeren omanischen
Geschichte. Während dieser Zeit drohte eine
Rebellion in der südlichen Dhofar-Region sich
nach Norden auszudehnen, weshalb die Briten, die eine historische Vorrangstellung in
der Golfregion hatten, die Abdankung des
alten Sultans zugunsten seines Sohnes
Qabus erzwangen. Der neue Sultan leitete die
„omanische Renaissance“ ein. Die Isolation
unter dem alten Sultan wurde beendet und
das Sultanat schloss sich einer Reihe von
multilateralen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga an.5
Sultan Qabus legitimierte seine „paternalistic
authority“6 durch den Prozess der Nationenbildung und einer umfangreichen Modernisierung des Landes.
Diese gesellschaftlichen und innenpolitischen
Unterschiede bilden – neben den Sachzwängen einer instabilen Region – wichtige Faktoren, welche die Rolle Omans in der Region
1
2
3
4
5
6
7
1. gute nachbarschaftliche Beziehungen
2. nach außen gerichtete, internationalistische Anschauung
3. Pragmatismus
4. Kooperation und Frieden zur Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität.7
Als Konsequenz aus diesen Prinzipien und
der relativen militärischen Schwäche in einer
unruhigen Region betreibt Oman eine zurückhaltende Außenpolitik, die durch multilaterale Zusammenarbeit zur Mäßigung und
Entspannung zwischen Konfliktparteien beitragen möchte. Im Zentrum dieses Kapitels
sollen die auf der Arabischen Halbinsel einzigartige außenpolitische Strategie des Sultanats
und
sein
außenpolitisches
Beziehungsgeflecht auf regionaler und internationaler Ebene stehen. Zum tieferen Verständnis
wird
der
Analyse
des
Beziehungsgeflechts im nächsten Kapitel
eine Übersicht über die historischen und
innenpolitischen Voraussetzungen vorangestellt.
II. Historische und innenpolitische Voraussetzungen
Die Gesellschaft des Omans weist große kulturelle und soziale Unterschiede zu den anderen Staaten des Golfkooperationsrats
(GKR) auf. Diese lassen sich auf zwei Faktoren zurückführen, die sich gegenseitig bedingen. Durch seine geografische Lage am
nord-östlichen Rand der arabischen Halbinsel
war Oman historisch vom Rest der Arabischen Welt getrennt und orientierte sich Richtung Indien und Ostafrika, womit es regen
Seehandel betrieb und in letzterem im 19.
Jahrhundert eine Vormachtstellung inne hatte.
Omanische Gebiete im heutigen Pakistan und
Oman ist mit 309.500 km2 fast so groß wie Deutschland, während die VAE 83.600 km2, Katar 11.400 km2
und Kuwait 17.800 km2 groß sind.
Oman verfügt über Erdöl- und Gasreserven von 5.500 Millionen Barrels, die VAE über 97.800 Millionen
Barrel, Kuwait über 101.500 Millionen Barrels und Saudi-Arabien über 264.063 Millionen Barrels (Zahlen
sind dem Survey of Energy Resources 2010 entnommen).
Das kaufkraftbereinigte BIP von 2011 beträgt für Oman 26.519 und für Saudi-Arabien 24.237, während
die anderen kleinen Golfstaaten eine hohe Kaufkraft aufweisen können: Kuwait mit 41.690, die VAE mit
48.157 und Katar mit 102.943 (die Angaben des Internationalen Währungsfonds beziehen sich auf Internationale Dollar).
Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17,
Nr. 1 (2010), S. 106.
Vgl. ebd., S. 99.
Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies,
London 2011, S. 140.
Vgl.
Sultanate
of
Oman,
Ministry
of
Foreign
Affairs:
Foreign
Policy,
http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=1, abgerufen am 29.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
87
Oman
auf Sansibar führten zu großen Migrationsbewegungen.8 Daraus entwickelten die Omanis
Pragmatismus und Toleranz gegenüber fremden Kulturen, der sich auch im zweiten Faktor,
dem ibaditischen Islam widerspiegelt. Nur im
Oman stellen die Ibaditen mit 75% die Mehrheit. Im achten Jahrhundert entstanden, werden sie weder den Sunniten noch den
Schiiten zugerechnet. Konsens (arab. ijma)
und die Gemeinschaft (arab. umma) sind von
zentraler Bedeutung. Politische Gewalt wird
ebenso abgelehnt wie extreme Meinungen.
Ibaditen weisen sich durch ihren Konservatismus und ihre Toleranz aus.9 Diese beiden
Faktoren bestimmen die innen- und außenpolitische Sonderrolle Omans in der Arabischen Welt.
Obwohl das Sultanat Oman – wie die anderen Golfstaaten – eine Monarchie ist, so zeigt
sich auch hier seine Sonderrolle. Oman wird
nicht von einem Stamm oder einer Familie regiert, sondern von einem Sultan, der sich mit
der Kaufmannselite des Landes verbündete.
Der Sultan bündelt alle Macht in seiner Person. Gesetze werden in Form von „royal decrees“ (dt. königliche Erlässe) erlassen.
Allerdings kennt auch die omanische Monarchie die Tradition der majlis, so reist der Sultan jeden Herbst selbst durch das Land, um
vor Ort diese Versammlungen abzuhalten, bei
denen sich die Bürger direkt an den Sultan mit
Wünschen und Beschwerden wenden können.10
Seit 1996 gibt es eine vom Sultan erlassende
verfassungsmäßige Ordnung (engl. Basic
Law of the State), die die Vorrangstellung des
Sultans bestätigt und gleichzeitig Bürger- und
Freiheitsrechte stärkt. Eine Beratende Versammlung (arab. Majlis al-Shura) existiert seit
1991, besitzt allerdings keine gesetzgebende
8
9
10
11
12
13
14
88
Gewalt. Alle Omanis, Männer und Frauen, besitzen das aktive und passive Wahlrecht. Als
Gegengewicht zur Beratenden Versammlung
wurde 1997 der Staatsrat (arab. Majlis alDaula) geschaffen, deren Mitglieder vom Sultan ernannt werden.11
In den letzten Jahren gab es auch im Oman
aufgrund von Korruption und anderen sozialen Missständen Unzufriedenheit in der Bevölkerung. So kam es zur Zeit des
„Arabischen Frühlings“ zu vergleichsweise
kleineren Protestmärschen, vor allem getragen durch junge Omanis, die eine Anhebung
der Löhne und Senkung der Lebenshaltungskosten forderten. Neben den oben genannten
Forderungen, waren staatliche Jobbeschaffung und die Bekämpfung von Korruption
wichtige Themen. Ein Regimewechsel war
allerdings nicht Ziel der Proteste. Im Gegenteil: Der Großteil der Bevölkerung stand loyal
hinter Sultan Qabus. Auf einige Forderungen
der Demonstranten ging der Sultan ein. Unter
anderem erweiterte er die Befugnisse der Beratenden Versammlung erheblich.12
Oman versucht sowohl die Wirtschaft zu
diversifizieren als auch die Erdölfördermenge,
die in den letzten Jahren zurückging, durch
Investitionen zu erhöhen.13 Wie auch in den
anderen Golfstaaten wurden die Erdöleinnahmen zur Finanzierung eines umfangreichen Leistungs- und Subventionskatalogs
genutzt. Die Erfolge des Sultanats seit 1970
sind weitreichend. So stieg die Lebenserwartung aufgrund der generellen Verbesserung
der Lebensbedingungen von 40 Jahren in den
1960er Jahren auf 72 Jahre im Jahr 2008.
Ebenso sind 96% der Omanis heute ans
Elektrizitätsund/oder
Gasnetzwerk
angeschlossen.14
Genau Zahlen zur ethnischen Verteilung der Omanis liegen nicht vor. Dennoch kann man sagen, dass die
Baluchis von der Makran-Küste im heutigen Iran und Pakistan die größte Gruppierung bilden. Schätzungen gehen von einem Anteil von ca. 12% an der Gesamtbevölkerung aus. Weitere kleinere Gruppie
rungen indischer Herkunft lassen sich auf die historischen Handelsbeziehungen zurückführen. Die Kho
jas aus dem Irak und Iran sind vor allem Schiiten. Ebenfalls auf historische Handelsbeziehungen lässt
sich die Vielzahl von ostafrikanischen Omanis erklären, die Ex-Sklaven sind oder aus Sansibar, einem
ehemaligen Gebiet Omans, in das Sultanat eingewandert sind.
Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd.
17, Nr. 1 (2010), S. 110.
Vgl. Hermann, Rainer: Die Golfstaaten, Wohin geht das neue Arabien?, München 2011, S. 308.
Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf
Monarchies, London 2011, S. 144.
Vgl. Auswärtiges Amt: Innenpolitik Oman, März 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/
Laender/Laenderinfos/Oman/Innenpolitik_node.html, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 146. Im Oman ist die Ölförderung aufgrund der vielen kleinen Felder vergleichs
weise aufwendig.
Für weitere Zahlen siehe Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the
Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 145.
Deutsches Orient-Institut
Oman
III. Rolle in der Region
Das Sultanat misst seiner unmittelbaren
Nachbarschaft im Golf eine große Bedeutung
zu. In einer unstabilen Region mit konkurrierenden Regionalmächten und vielfältigen
gesellschaftlichen und konfessionellen Spannungen gelingt es Oman, seine Sicherheit
und Stabilität zu erhalten, indem es seine
Außenpolitik nach dem Prinzip des Pragmatismus und der Mäßigung ausrichtet. Sowohl
zu den Staaten des GKR, Jemen, der VAE,
Irak und Iran lässt sich dies beobachten.
III.1 GKR und Saudi-Arabien
Obwohl die Beziehungen Omans zu den anderen Staaten des GKR als eng gelten15, so
liegt dies nicht so sehr an den gleichen Interessen der Länder, sondern an den Grundpfeilern der omanischen Außenpolitik. So
nennt das omanische Außenministerium gute
nachbarschaftliche Beziehungen und Pragmatismus als zwei der vier Prinzipien der
omanischen Außenpolitik.16 Meistens werden
die Beschlüsse des GKR mitgetragen beziehungsweise nicht abgelehnt. Oman drängt
sich generell in multilateralen Organisationen
nicht in den Vordergrund. Die Rolle des Wortführers wird anderen Staaten wie Saudi-Arabien und Katar überlassen.
Oman unterscheidet sich in einer Reihe von
Themen von den anderen Mitgliedern des
GKR. So sieht Oman seine schiitische Minderheit nicht als ein „Iranian Trojan House“17
an. Außerdem wünscht sich Oman eine Mitgliedschaft Irans und des Iraks neben Jemen,
um im Sinne von Kooperation in einer multilateralen Organisation für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Dies widerspricht den
saudischen Ambitionen, die den GKR als
Gegengewicht zu Iran aufbauen wollen und
die schiitische Regierung im Irak mit großem
Misstrauen beobachten. Laut Valeri erklärt
Omans Sorge vor externer Einmischung in
seine inneren Angelegenheiten, warum Oman
sich teilweise gegen seinen mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien stellt.18 Dazu gehört auch
15
16
17
18
19
20
21
die Sorge um eine Radikalisierung der Sunniten durch den wahhabitischen Islam, der in
Saudi-Arabien Staatsreligion ist. Die Nichtmitgliedschaft in der OPEC und der Beginn
des Ramadan im Oman einen Tag später als
in Saudi-Arabien sind weitere Beispiele. Jedoch scheint Saudi-Arabien diese eigenständige Politik Omans zu tolerieren – und Oman
im Sinne des Pragmatismus bedacht darauf
zu sein, Saudi-Arabien nicht unnötig zu provozieren – da es bis heute keine größeren
Unstimmigkeiten zwischen beiden Staaten
gab.19 Die Einigung über die gemeinsame
Grenze 1999 und die großzügigen finanziellen Hilfen von Saudi-Arabien zeugen von den
guten Beziehungen. Zu diesen finanziellen
Hilfen gehören die 20 Milliarden USD, die
Oman zusammen mit Bahrain erhielt, um die
Monarchen bei sozialen Konzessionen an die
Protestler zu unterstützen. Obwohl offiziell
vom GKR, war Saudi-Arabien der größte Beitragszahler.
Im Zuge der Umbruchprozesse in einigen arabischen Ländern erhielt Oman vom GKR ein
Hilfspaket von über 20 Milliarden USD.
Sultan Qabus reagierte jedoch auch mit
Zugeständnissen an die Demonstranten in
Form einer Ausweitung der Kompetenzen der
Beratenden Versammlung. Wie in den anderen arabischen Golfstaaten gingen diese
Zugeständnisse jedoch nicht so weit, die Gesetzgebungsgewalt des Herrschers einzuschränken.
Im Gegensatz zu anderen Golfstaaten spielte
Oman keine aktive Rolle bei der Unterstützung der Rebellen in Lybien. Weder wurden
Waffen oder Informationen an die Rebellen
geliefert, noch erkannte man den neuen Nationalen Übergangsrat vor dem Fall von Tripolis am 21. August 2011 als legitime
Regierung Libyens an.20 Im Vergleich zu den
anderen Golfstaaten wie Katar oder den VAE
verhielt sich Oman außerordentlich vorsichtig
und abwartend. Auch sandte man keine Truppen, um die Aufstände in Bahrain zu beruhigen.21 Im Syrienkonflikt teilt Oman die
Meinung und Pläne der Arabischen Liga und
Vgl. Auswärtiges Amt: Außenpolitik Oman, März 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/
Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Oman/Aussenpolitik_node.html, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Foreign Policy,
http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=1, abgerufen am 29.08.2012.
Die anderen beiden Prinzipien sind eine internationalistische Einstellung und die Erreichung von Sicher
heit und Stabilität durch Kooperation und Frieden anstatt durch Konflikte.
Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies,
London 2011, S. 152.
Vgl. ebd., S. 151.
Vgl. ebd.
Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
13.Januar 2012, S. 15.
Vgl. ebd., S. 15.
Deutsches Orient-Institut
89
Oman
tritt nicht als eigenständiger Wortführer hervor. Die Außenpolitik des Omans veränderte
sich nicht grundlegend im Zuge des „Arabischen Frühlings“.
Im Allgemeinen haben die Umbruchprozesse
zu einem Schulterschluss unter den Staaten
des Golfkooperationsrats geführt, was durchaus im Sinne Omans ist. Jedoch werden nach
omanischer Meinung wichtige Akteure innerhalb der Region ausgeschlossen, deren Einbindung aber essential für Frieden und
Sicherheit in der Region sind. Nur gegenseitiges Vertrauen und ein Machtausgleich zwischen den Golfstaaten auf der einen und den
regionalen Mächte auf der anderen Seite22
können langfristig zur Sicherheit in der Region
beitragen.
III.2 Jemen
Die Beziehungen zum Jemen waren und sind
von Pragmatismus gekennzeichnet, obwohl
das Verhältnis in der Vergangenheit schwierig war. Bis 1990 war der Jemen in einen marxistisch-prosowjetischen Südjemen und einen
Nordjemen, der von Saudi-Arabien und westlichen Staaten unterstützt wurde, geteilt. Der
Südjemen unterstützte die Rebellen der Dhofar Liberation Front in ihrer Rebellion gegen
das Sultanat Oman von 1962 bis 1976. In den
1980er Jahren führten Gespräche zwischen
dem Südjemen und Oman unter Vermittlung
von Kuwait zu einer diplomatischen und wirtschaftlichen Annäherung der beiden früheren
Konfliktparteien. Mit der Vereinigung zur Republik Jemen 1990 verbesserten sich die Beziehungen entscheidend. Im September 2008
wurden Diskussionen über den Aufbau eines
gemeinsamen Zentrums zur Pirateriebekämpfung begonnen, da beide Länder unter
Überfallen von Piraten leiden.23
Die Aufstände 2011 im Jemen betrachtete
Oman mit Sorge, da man destabilisierende
Auswirkungen seines südlichen Nachbarn auf
die Region befürchtete. Eine Destabilisierung
22
23
24
25
26
27
90
des Jemens, wo sunnitische Extremisten relativ frei operieren können,24 läuft der omanischen Außenpolitik, die auf Stabilität und
Sicherheit in der Region ruht, zuwider. Jedoch
verfolgte Oman weder eine eigene Linie, noch
exponierte es sich in den Verhandlungen für
einen friedlichen politischen Wechsel. Ersteres war nicht nötig, da sich Omans außenpolitische Ziele mit denen der anderen Staaten
des GKR deckte. Letzteres hätte dem zurückhaltenden Auftreten Omans widersprochen.
III.3 VAE
Obwohl sich Oman mit den Emiraten (und
Saudi-Arabien) in den 1950er Jahren einen
erbitterten Kampf um die Buraimi-Oase geliefert hatte,25 sind die Beziehungen heute relativ gut. Die guten Beziehungen beruhen vor
allem auf der besseren persönlichen Beziehung zwischen Sultan Qabus und Sheikh
Zayed bin Sultan Al-Nahyan, dem Präsidenten der Föderation und Emir von Abu Dhabi,
in den 1980er Jahren.26 Diese führten auch
im Mai 1999 zur endgültigen Festlegung der
gemeinsamen Grenze und einem Ende der
drei Jahrzehnte schwelenden Grenzdispute.
Nach Abschluss des Vertrags verbesserten
sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Oman und der VAE exponentiell.
So wuchs das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern allein zwischen 2007 und 2008
um 120% auf 2,4 Milliarden USD. Im Jahr
2004 betrug es nur 286 Millionen USD.27
Der Tod des Präsidenten der VAE 2004 jedoch führte zu wachsenden politischen Spannungen. Die Konflikte um die Buraimi-Oase
mit der Stadt Al-Ain, die zu den Emiraten gehört, flammten wieder auf. Außerdem kritisieren die VAE die nachlässigen omanischen
Grenzkontrollen, wodurch viele Immigranten
aus Südostasien illegal aus Oman in die Emirate einwandern. Die engen Beziehungen der
Einwohner im Nord-Westen Omans zur VAE
nähren omanische Befürchtungen vor einer
Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Oman’s Regional and Global Priorities,
http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=2, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
13. Januar 2012, S. 15.
Die größte und bekannteste Gruppierung sind al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und Ansar al-Sha
ria, die bis Mai 2012 große Teile der Provinz Abyan im Südjemen kontrollierten.
Vgl. Al-Sayegh, Fatma: The UAE and Oman: Opportunities and Challenges in the Twenty-First Century,
in: Middle East Policy, Bd. 9, Nr. 3 (2002), S. 124.
Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 154.
Vgl. United Arab Emirates, Ministry of Foreign Trade: Features of UAE Foreign Trade with Gulf Cooperation Council States, Juni 2009, S. 6.
Deutsches Orient-Institut
Oman
Abspaltung dieser Regionen. Viele Omanis
arbeiten in den VAE28 und viele der lokalen
omanischen Eliten sind mit Familien in Sharjah und Dubai durch Heirat und Geschäftsbeziehungen verbunden. Wie besorgt der Sultan
darüber ist, zeigen die jährlichen Reisen des
Sultans durch sein Land, welche sich 2005
und 2007 auf den Nord-Westen konzentrierten.29 Allerdings sind auch hier keine großen
und offenen Konflikte zu erwarten, da die
omanische Außenpolitik nicht offensiv, sondern defensiv ausgerichtet ist.
III.4 Irak
Auch die Beziehungen zum Irak zeigen den
gleichen Pragmatismus und Zurückhaltung
wie zu den anderen Staaten. Zwar schloss
sich der Oman der internationalen Verurteilung des irakischen Einmarschs in Kuwait
1990 als einen Bruch des Völkerrechts an,
brach aber nicht seine Beziehungen zum Irak
ab.30 Im Sinne einer multilateralen Zusammenarbeit unterstützte Oman ebenso die
US-Militäroffensive gegen den Irak und das
spätere Sanktionsregime gegen den Irak,
gleichzeitig verbesserte das Sultanat aber
seine Beziehungen zum internationalen
Außenseiter Irak.31 Dieser vermeintliche
Widerspruch liegt im Glauben begründet,
dass nur bi- und multilaterale Zusammenarbeit langfristig zu Sicherheit und Stabilität führen werden. Diese Linie verfolgt Oman
konsequent, unabhängig davon, ob wichtige
Partner eine andere Politik betreiben. Die gleiche Strategie war auch im Irak-Krieg 2003 zu
beobachten. Obwohl sich Oman der offiziellen Linie der arabischen Staaten anschloss
und den US-Einmarsch ablehnte, leistete
Oman stillschweigend logistische Unterstützung des US-Militärs.32 Die gleiche Strategie
verfolgte auch der große Nachbar Saudi-Arabien.
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
In der Einschätzung der aktuellen politischen
Lage im Irak schließt sich Oman der offiziellen
Linie des Golfkooperationsrats an. Man zeigt
sich bestürzt über die schiitisch-islamistische
Vorherrschaft im neuen Irak.33 Ebenso werden die engen irakischen Beziehungen zum
Iran mit Sorge betrachtet. Im Vergleich zu anderen Golfstaaten stellte das Sultanat mit 3
Mio. USD eine relativ kleine Summe zum irakischen Wiederaufbau bereit.34 Allerdings ist
der Oman auch das ärmste Land der Golfstaaten und fürchtet eine iranische Unterwanderung der eigenen Bevölkerung am
Wenigsten. Generell steht Oman dem Irak
nicht so nahe wie die anderen Staaten des
GKR, was allein schon in der geografischen
Distanz begründet liegt.
III.5. Iran
Im Vergleich zu den anderen Golfstaaten wird
dem Oman nachgesagt, Iran politisch am
nächsten zu stehen.35 Die traditionell enge
Bindung resultiert vor allem auf dem regen
Handel zwischen beiden Staaten. Bis heute,
insbesondere in Zeiten der Sanktionen gegen
Iran, stellt die Route Oman-Iran eine wichtige
Schmuggelroute dar.36
Jedoch fußen die guten Beziehungen nicht
nur auf der Wirtschaft, sondern auch auf
gegenseitiger Unterstützung. Der iranische
Schah unterstützte Oman 1975 militärisch bei
der Niederschlagung der Dhofar-Rebellion,
die vom marxistischen Südjemen unterstützt
wurde.37 Vor dem Hintergrund dieser wichtigen militärischen Unterstützung Irans brach
Oman höchstwahrscheinlich seine Beziehungen zu Iran nach der Islamischen Revolution
1979 und während des Irak-Iran-Kriegs in den
1980er Jahren nicht ab.
Die Sorgen der anderen Golfstaaten und der
westlichen Staaten hinsichtlich des iranischen
So stellen Omanis die Mehrzahl der Polizeikräfte in den VAE (vgl. Peterson, J.E.: The Future of Federalism in the United Arab Emirates, http://www.jepeterson.net/sitebuildercontent/sitebuilderfiles/ Future_of_
Federalism_in_UAE.pdf, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Valeri, Marc: Oman, in: Christopher Davidson (Hrsg.): Power and Politics in the Persian Gulf Monarchies, London 2011, S. 155.
Vgl. ebd., S. 152.
Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy,
Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 101.
Vgl. ebd.
Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress, 13. Januar
2012, S. 13.
Vgl. ebd., S. 14.
Vgl. ebd., S. 12.
Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy,
Bd. 17, Nr. 1 (2010), S. 101.
Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
13. Januar 2012, S. 13.
Deutsches Orient-Institut
91
Oman
Atomprogramms und einer neuen schiitischen
Dominanz in der Region teilt Oman nicht uneingeschränkt. Zwar würden ein Iran mit
Atomwaffen und ein arabisches Wettrüsten
den Grundsätzen der omanischen Außenpolitik zur Gewährung von Sicherheit und Stabilität zuwiderlaufen, jedoch betont Oman
gleichzeitig das Recht eines jeden Staates auf
friedliche Nutzung der Kernenergie. In diesem
Sinne lehnt Oman es ab, sich dem Druck der
anderen Golfstaaten zu beugen und sich öffentlich von Iran zu distanzieren. Erneut zeigt
der Oman seine Unabhängigkeit in der
Außenpolitik. Diese zeigte sich ebenfalls, als
Sultan Qabus Iran im August 2009 zum ersten
Mal nach der Islamischen Revolution besuchte. Dieser Besuch wurde von Beobachtern als Signal verstanden, dass die
Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad
die omanisch-iranischen Beziehungen nicht
negativ beeinflusste.38 Ein Jahr später folgte
ein Sicherheitsabkommen zwischen beiden
Staaten.
Die Gründe für die guten Beziehungen zu Iran
– während die anderen arabischen Staaten
Iran mit großem Misstrauen begegnen – sind
vielfältig. Zunächst lebt im Oman keine nennenswerte schiitische Gemeinde, sodass
Oman keine Unterwanderung durch Iran befürchtet, wie es zum Beispiel Bahrain und
Saudi-Arabien tun. Weiterhin gehen einige
Beobachter davon aus, dass eine mögliche
Ausbreitung des wahhabitischen Islam aus
Saudi-Arabien im Oman dem Sultan größere
Sorgen bereitet, weshalb Oman Iran als regionales Gegengewicht zu Saudi-Arabien
sieht. Obwohl dies sicher auch eine Rolle
spielt, so ist doch davon auszugehen, dass
Omans “more accommodating approach“39
ein Resultat seiner defensiven Außenpolitik
ist. Insbesondere, da Oman sich die Straße
von Hormuz mit Iran teilt.40 Pragmatismus
und Zuvorkommenheit bedingen für Oman
hier Sicherheit nach außen. Aufgrund seiner
guten Beziehungen zu Iran stellt sich Oman
den USA immer wieder als Vermittler zwischen Iran und den USA zur Verfügung. Mit
omanischer Hilfe wurden so Freilassungen
von Gefangenen aus Iran veranlasst.
IV. Internationale Perspektive
Auf internationaler Ebene bestimmen wirtschaftliche und sicherheitspolitische Überle38
39
40
92
gungen das außenpolitische Handeln Omans.
Ersteres ist bei den Beziehungen zu China,
letzteres bei denen zu den USA in Reinform
zu beobachten. Deutschland spielt insofern
eine Sonderrolle, als dass die Beziehungen,
neben wirtschaftlichen, ebenfalls auf wissenschaftlich-technischer Ebene sehr intensiv
sind.
IV.1 Deutschland und die EU
Auf bilateraler Ebene sind die Beziehungen
zwischen Deutschland und Oman sehr gut.
Insbesondere auf wissenschaftlich-technischer Ebene besteht eine enge Zusammenarbeit, die weiter ausgebaut wird.
Deutsche Firmen sind seit den 1960er Jahren
im Land aktiv. Dieses lange Engagement
sorgte für ein beachtliches Vertrauen. Für
Oman ist Deutschland einer der wichtigsten
Handelspartner. 2011 beliefen sich die deutschen Exporte auf 83,12 Mio. EUR, obwohl
anzunehmen ist, dass der tatsächliche Wert
höher ist, da ein Teil der deutschen Exporte
über die VAE abgewickelt wird. Die deutschen
Importe aus dem Oman waren 2011 mit 36,7
Mio. EUR geringer. Dies liegt auch daran,
dass Deutschland bisher kein omanisches Öl
und Gas direkt importiert. Seit 1978 existiert
eine gemeinsame deutsch-omanische Wirtschaftskommission und am 4. April 2010 trat
ein bilaterales Investitionsförderungs- und schutzabkommen in Kraft. Sowohl als Messeplatz
als
auch
für
medizinische
Behandlungen wird Deutschland immer beliebter und wichtiger für Omanis.
Obwohl noch kein Kulturabkommen zwischen
Deutschland und Oman besteht, ist die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit
von großer Bedeutung. Deutschland unterstützt Oman in vielfältiger Hinsicht bei der
Weiterentwicklung des Bildungssektors, dem
vom Sultan eine Schlüsselfunktion für die weitere Entwicklung des Landes zugeschrieben
wird. So eröffnete im Oktober 2007 die German University of Technology mit dem deutschen Partner RWTH Aachen. Die Deutsche
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH beriet das omanische Arbeitsministerium
beim
Ausbau
des
Berufsbildungssektors. Des Weiteren soll in
der Sekundarstufe ab 2012 Deutsch als
Fremdsprache im Rahmen eines Pilotprojekts
Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
13. Januar 2012, S. 13.
Alsis, Peter, Allison, Marissa, Cordesman, Anthony H.: U.S. and Iranian Strategic Competition in the Gulf
States and Yemen, Center for Strategic & International Studies, März 2012, S. 39.
40% der weltweiten Erdölproduktion gelangen durch die Straße von Hormuz, deren Fahrrouten hauptsächlich in omanischen Gewässern liegen.
Deutsches Orient-Institut
Oman
eingeführt werden. Ein Ende der engen wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit ist nicht in Sicht.41 Die Beziehungen zur
EU bestehen vor allem auf multilateraler
Ebene zwischen dem GKR und der EU. Sie
sind generell freundlich und bestehen vor
allem aus gemeinsamen wirtschaftlichen
Interessen. Seit 1990 ist ein Kooperationsabkommen zwischen beiden Parteien in Kraft.
Die Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehungen und der baldige Abschluss eines Freihandelsabkommens zeigen sich ebenfalls
darin, dass das omanische Außenministerium
nur diese Themen auf seiner Homepage anspricht.42 Ebenso wie Oman befürwortet die
EU eine stabilisierende Politik in der Region,
wobei jedoch die EU Iran gegenüber einen
deutlich kritischeren Ton anschlägt. Durch die
Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Iran
blüht der Schmuggel zwischen Iran und
Oman, der von omanischer Seite nicht geahndet wird.
IV.2 USA
Das Sultanat Oman ist Langzeitverbündeter
der USA am Golf. Seit 1980 ein Militärabkommen abgeschlossen wurde, gestattete Oman
den USA für bislang jeden militärischen Einsatz am Golf Zugang zu omanischen militärischen Einrichtungen.43 Formal begannen die
Beziehungen schon 1833 mit dem Abschluss
eines Freundschaftsvertrags zwischen Oman
und den USA.44 Nach der Thronbesteigung
Sultan Qabus’ im Jahr 1970 und dem Ende
der isolationistischen Außenpolitik, eröffneten
die USA 1972 eine Botschaft in Muskat, der
Hauptstadt des Omans, ein Jahr später folgte
die Eröffnung der omanischen Botschaft in
Washington D.C.
Die Beziehungen beider Länder beruhen vor
allem auf dem großen Sicherheitsbedürfnis
des Omans in einer unstabilen Region und
den amerikanischen geo-strategischen Interessen am Golf. Obwohl Oman eine der am
besten ausgebildeten Soldaten des GKR
41
42
43
44
45
46
47
48
hat,45 ist auch Oman, neben den anderen
kleinen Golfstaaten, auf Schutz durch einen
mächtigen Partner angewiesen. In diesem
Sinne schloss Oman nach der Islamischen
Revolution im Iran 1979 sehr schnell ein Verteidigungsabkommen mit den USA. Die anderen Staaten des Golfkooperationsrats
mieden zu enge offizielle Kontakte zu den
USA so kurz nach dem, durch die USA vermittelten, Ägyptisch-Israelischen Friedensvertrag von 1979.46 Ein weiteres Indiz für die
unabhängige Außenpolitik Omans, die oftmals pragmatische Entscheidungen vor ideologische stellte.
Während des Irak-Iran-Kriegs lehnte Oman
den „Tankerkrieg“, in dem US-Militärschiffe
kuwaitischen Öltankern Geleit gaben, ab, da
das Sultanat einen möglicherweise daraus resultierenden Krieg zwischen den USA und
Iran befürchtete. Dennoch wurden die Beziehungen zu keinem der Konfliktparteien abgebrochen. Oman unterstützte einerseits die
USA logistisch und vermittelte andererseits
die Freilassung von Iranern, die von der USMarine gefangengenommen wurden.47 Auch
hier zeigt sich die auf Pragmatismus und Zurückhaltung beruhende omanische Außenpolitik.
Die US-Militärpräsenz verringerte sich nach
dem Ende des Kalten Krieges proportional mit
dem Rückgang des Bedrohungspotenzials in
der Region. Nach dem 11. September 2001
schloss sich Oman „schnell und öffentlich“48
dem amerikanischen „Kampf gegen den Terror“ an und gewährte den Amerikanern die
Nutzung omanischer Luftwaffenstützpunkte
für militärische Operationen in Afghanistan.
Ebenso wie die USA, befürchtet der Sultan
den destabilisierenden Faktor islamistischer
Extremisten im In- und Ausland. Während die
Operation in Afghanistan vorbehaltlos vom
Sultanat unterstützt wurde, warnte Oman die
USA vor den destabilisierenden Folgen eines
Krieges gegen den Irak in der Region. Mit
dieser Warnung war Oman in der Region
So weit nicht anders angegeben beziehen sich die Angaben auf: Auswärtiges Amt: Beziehungen
zwischen dem Sultanat Oman und Deutschland, März 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Oman/Bilateral_node.html, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Gulf & Europe Forum, http://www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=3, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Alsis, Peter; Allison, Marissa; Cordesman, Anthony H.: U.S. and Iranian Strategic Competition in the
Gulf States and Yemen, Center for Strategic & International Studies, März 2012, S. 40.
Vgl. ebd., S. 39.
Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
13. Januar 2012, S. 9.
Vgl. Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd.
17, Nr. 1 (2010), S. 101.
Vgl. ebd., S. 100.
Ebd., S. 104.
Deutsches Orient-Institut
93
Oman
nicht alleine. Nach einhelliger Meinung von
Beobachtern ist die Militärpräsenz der Amerikaner im Oman in den letzten Jahren erneut
gesunken, da Oman eine zu einseitige Ausrichtung seiner Politik auf die USA und eine
Verärgerung von Islamisten und Iran
befürchtet.49 Laut Jeffrey A. Lefebvre sind die
Beziehungen dadurch und durch die geringeren Finanzhilfen der USA „gesünder“50 geworden, da keine einseitige Abhängigkeit
Omans gegenüber den USA festzustellen sei.
Ein möglicher Militärschlag der USA gegen
Iran wird vom Oman abgelehnt. Es würde
einer defensiven, auf guten nachbarschaftlichen Beziehungen beruhenden Außenpolitik
zuwiderlaufen. Die USA kritisieren die guten
Beziehungen des Omans zu Iran bisher
kaum, auch weil sie von den daraus resultierenden Freilassungen von Gefangenen, wie
zuletzt im September 2010,51 profitieren.
Auf die Unruhen 2011 im Oman reagierte die
US-Regierung verhalten, da die Unruhen als
relativ unbedeutend erachtet wurden. Trotz
des Einsatzes von Sicherheitskräften ging
Sultan Qabus schnell auf einige der Forderungen der Protestler ein, was die USA mit
veranlasste, keine Kritik am Vorgehen der
omanischen Regierung zu äußern.
Nicht nur auf militärisch-politischer Ebene bestehen enge Beziehungen, sondern auch im
wirtschaftlicher Bereich. Zwischen beiden
Ländern besteht ein bilaterales Freihandelsabkommen, welches im September 2009 von
den USA ratifiziert wurde.52 Die USA sind für
Oman der viertgrößte Handelspartner.53
Oman exportierte 2010 und 2011 jeweils
Waren im Wert von 773 Mio. und 2,2 Mrd.
USD und importierte im gleichen Zeitraum
Waren im Wert von 1,1 Mrd. und 1,4 Mrd.
USD.54 Oman importiert aus den USA hauptsächlich Maschinen, Fluggeräte, landwirtschaftliche Produkte und optische und
medizinische Instrumente und exportiert
49
50
51
52
53
54
55
56
57
94
Erdöl, Plastik und Eisen- und Stahl-Produkte.55
IV.3 China und der asiatische Raum
Die Beziehungen zwischen Oman und dem
asiatischen Raum gehen auf historische wirtschaftliche Bindungen zwischen den Anrainern des Indischen Ozeans zurück. Auch die
Erneuerung der historischen Beziehungen
seit 1970 ist wirtschaftlich begründet. Für den
Fernen Osten war Oman aufgrund seiner
geografischen Lage das Tor zur Arabischen
Halbinsel. Daran angeknüpft kam Oman eine
strategische Bedeutung bei der Sicherung der
Straße von Hormuz zu.
Nach der Machtübernahme Maos betrieb
China eine isolationistische Außenpolitik und
distanzierte sich auch ideologisch von den
konservativen Golfmonarchien. Während der
Dhofar-Rebellion, die vom marxistischen Südjemen unterstützt wurde, unterstützte China
die Rebellen verbal und materiell mit Waffen.
Die Unterstützung der Rebellen endete aber
schon 197256, vier Jahre bevor die Rebellion
von omanischen und iranischen Truppen
niedergeschlagen wurde, da China eine weitere Unterstützung für nicht mehr opportun
hielt.
Nur drei Jahre nach dem Ende der DhofarRebellion nahm Oman wieder diplomatische
Beziehungen zu China auf. Dies liegt in dem
Ende der isolationistischen Außenpolitik unter
dem neuen Sultan Qabus begründet, der sich
aktiv um gute Beziehungen zu anderen Staaten bemühte. Auf erste vertrauensbildende
Kontakte folgten dann bald engere wirtschaftliche und politische Kontakte. Zu dieser Zeit
hatten die anderen Golfstaaten Bahrain,
Katar, die VAE und Saudi-Arabien noch keinerlei diplomatische Kontakte mit China.57
Mit dem Ende der chinesischen Autarkie in
der Erdölproduktion erlangten nicht nur die
Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
13. Januar 2012, S. 9.
Lefebvre, Jeffrey A.: Oman’s Foreign Policy in the Twenty-First Century, in: Middle East Policy, Bd. 17,
Nr. 1 (2010), S. 104.
Vgl. Katzman, Kenneth: Oman: Reform, Security, and U.S. Policy, in: CRS Report for Congress,
13. Januar 2012, S. 12.
Vgl. ebd., S. 16.
Vgl. ebd.
Vgl. United States Census Bureau: Trade in Goods with Oman, http://www.census.gov/foreign-trade/
balance/c5230.html, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. U.S. Department of State: U.S. Relations with Oman, 17. August 2012,
http://www.state.gov/r/pa/ei/bgn/35834.htm, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Kechichian, Joseph A.: Oman and the World, The Emergence of an Independent Foreign Policy,
Santa Monica 1995, S. 190.
Vgl. ebd., S. 190f. Eine Ausnahme stellt Kuwait dar.
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Oman
erdölreichen Länder der Golfstaaten chinesische Aufmerksamkeit, sondern auch Oman.
Bis heute liefert Oman Erdöl und -gas an
China, was den größten Teil des bilateralen
Handels ausmacht.58 Insgesamt exportierte
Oman 2011 Waren im Wert von 14,2 Mrd.
USD nach China und importierte Waren im
Wert von 1,1 Mrd. USD.59 Ebenso kam es zu
einer Kooperation von klein- und mittelständischen Unternehmen aus China und dem
Oman.60
Auf politischer Ebene werden von chinesischer Seite vor allem die enge Anbindung
Omans an die USA kritisiert. Obwohl die anderen Golfstaaten regelmäßig sowohl amerikanische als auch chinesische Waffen und
Militärausrüstung kaufen, lehnt Oman eine
Änderung seiner Waffenpolitik ab und bezieht
seine militärische Ausrüstung weiterhin nur
aus westlichen Ländern. Doch die militärischen Kontakte, die zwischen beiden Ländern
bestanden, nutzte Oman geschickt, um sich
vor allem während des Iran-Irak-Kriegs als
Vermittler zur Entspannung der Situation zu
bewähren. Auch im restlichen asiatischen
Raum sind die omanischen Beziehungen vor
allem wirtschaftlicher Art. Neben China ist
auch Indien ein wichtiger Handelspartner für
Oman. Insbesondere als aktives Gründungsmitglied der Indian Ocean Rim Association for
Regional Cooperation 1997 tat sich Oman in
der Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Anrainerstaaten des Indischen
Ozeans
hervor.
Weitere
Gründungsmitglieder waren Mauritius, Indien,
Südafrika, Australien, Singapur und Kenia.61
Auch in anderen asiatischen Wirtschaftsorganisationen wie ASEAN und dem Asia Cooperation Dialogue62 engagiert sich Oman, da es
glaubt, nur durch multilaterale Kooperation
und Frieden die Sicherheit und Stabilität im
Golf und weltweit erreichen zu können.
V. Fazit
Trotz seiner Mitgliedschaft im GKR unterscheidet sich die omanische Außenpolitik signifikant von der der anderen Mitgliedsstaaten.
58
59
60
61
62
Eine defensive Haltung, die sich in Pragmatismus und Mäßigung ausdrückt, ist das
Grundprinzip der omanischen Außenpolitik,
die konsequent auf bi- und multilateraler
Ebene durchgezogen wird. Diese Sonderrolle
ist vor allem historisch und geografisch bedingt. Durch seine geografische Lage am
nord-westlichen Rand der Arabischen Halbinsel und durch die große Sandwüste Rub alKhali von den anderen Staaten der Halbinsel
abgeschnitten, orientierte sich die Fernhandelsmacht Oman insbesondere Richtung
Asien und Ostafrika, wo bedeutende Besitzungen lagen. Der ibaditische Islam gab den
Omanis ein anderes Selbstverständnis, welches auf Toleranz und Konservativismus beruhte.
In der heutigen Zeit bedeutet die Lage am
Golf jedoch auch ein permanentes Sicherheitsrisiko, welches durch die Straße von Hormuz und deren Bedeutung für den weltweiten
Ölhandel noch verstärkt wird. Diese besondere Stellung Omans wird in der engen Sicherheitspartnerschaft mit den USA deutlich.
Jedoch ist Oman bestrebt, eine Machtbalance
in der Region zu erhalten, um somit Konfliktpotenzialen entgegenwirken zu können.
In diesem Sinne sind die Nähe zu Iran und die
Ferne zu Saudi-Arabien zu verstehen. Diese
Rolle ermöglicht es, Oman ebenfalls als Vermittler für Entspannung in einer unruhigen
Region einen Beitrag zu leisten. Im Gegensatz zu den anderen Golfstaaten und den
USA fühlt sich Oman nicht direkt von Iran bedroht. Die Beziehungen außerhalb der näheren Umgebung konzentrieren sich vor allem
auf den asiatischen Raum, wo sich Oman im
Rahmen von multilateralen Organisationen
wie der Ocean Rim States Association for Regional Cooperation für einen stärkeren wirtschaftlicheren Austausch in der Region
engagiert. Vor diesem Hintergrund sind die
engen wirtschaftlichen Beziehungen zu China
zu verstehen, die vor allem auf dem Erdölexport des Omans nach China beruhen. Mit
Deutschland verbindet Oman eine besondere
Beziehung, die auf deutscher Hilfe beim Auf-
Vgl. Chinese Embassy in the Sultanate of Oman: Bilateral Relations, 28. November 2004,
http://www.0m2.mofcom.gov.cn/aarticle/bilateralcooperation/inbrief/200411/20041100004112.html,
abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of National Economy: Trade Exchange between the Sultanate of Oman
and China,
http://www.moneoman.gov.om/PublicationAttachment/Sultanate%20of%20Oman&%20china.pdf,
abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Kechichian, Joseph A.: Oman and the World, The Emergence of an Independent Foreign Policy,
Santa Monica 1995, S. 197f.
Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Foreign Affairs: Indian Ocean Rim Association for Regional
Cooperation, www.mofa.gov.om/mofanew/index.asp?id=4, abgerufen am 29.08.2012.
Vgl. Sultanate of Oman, Ministry of Information: Foreign Affairs,
http://www.omanet.om/english/government/foreign.asp?cat=gov, abgerufen am 29.08.2012.
Deutsches Orient-Institut
95
Oman
bau des Bildungssektors und langjährigem
wirtschaftlichem Engagement deutscher Firmen im Oman beruht. Die Eröffnung einer
Deutschen Universität und die deutsche
Unterstützung beim Aufbau des Berufsbildungssektors zeugen davon.
Linda Berger
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Deutsches Orient-Institut
97
Irak
D
I. Einleitung
er Irak ist geprägt von einer langen
Geschichte voller Krisen, Konflikte und
Kriege. Auch nach dem Sturz des Ba’ath-Regimes sind die Beziehungen des Iraks
zu seinen Nachbarn und anderen Ländern
bestimmt von den geschichtlichen Ereignissen. Die moderne Geschichte des Iraks ist
grundlegend für die aktuelle Situation des
Landes und wird deshalb im Folgenden zusammenfassend dargestellt.
Die moderne Geschichte des Iraks ist geprägt
durch die repressive Herrschaft von Saddam
Hussein. Von 1968 bis 2003 beherrschte die
Arabische Sozialistische Ba’ath-Partei, seit
1979 unter der Führung von Saddam Hussein, das Land. Das Regime Husseins
brachte der irakischen Bevölkerung zwei Golfkriege, jahrelange UN-Sanktionen und eine
jahrzehntelange Verletzung der Menschenrechte. Nach einer Invasion, geleitet von amerikanischen und britischen Streitkräften, kam
der Irak unter militärische Besatzung durch
eine
multinationale
Koalition.
Im Juni 2004 wurde der irakischen Übergangsregierung die Souveränität übertragen
und einer Übergangsverfassung wurde per
Referendum zugestimmt. Aufgrund von Aufständen, die sich kurz nach der Invasion entwickelten, blieben die ausländischen Truppen
auch nach der Errichtung einer neuen Regierung im Irak. Diverse militante Akteure erklärten den offensiven Widerstand gegen die
Besatzungsmächte. Insbesondere al-Qaida
machte sich einen vollständigen Zusammenbruch des Staates zum Ziel. Im Jahr 2005 riefen sie zum Krieg gegen die Schiiten des
Landes auf. Die gewaltsamen Aktivitäten der
Extremisten führten zu bürgerkriegsähnlichen
Zuständen im Land.
Nachdem die Sicherheitstruppen das Gewaltmonopol wieder herstellen konnte, wurden die
Truppen der verschiedenen Koalitionsmitglieder nach und nach abgezogen, bis dann die
zuletzt übrig gebliebenen US-Truppen am 31.
Dezember 2011 das Land verließen. Dennoch
bleiben die USA mit 17.000 Mitarbeitern, darunter vor allem Militärpersonal und private Sicherheitskräfte, die das diplomatische
Personal beschützen und irakische Streit1
2
3
98
kräfte ausbilden sollen, im Irak präsent. Geopolitisch betrachtet hat der Irak eine wichtige
Position in der Region. Das Territorium der
Republik Irak umfasst eine Fläche von
437.072 km2 mit einer strategisch wichtigen
58 Kilometer langen Küstenlinie am Golf. Der
Irak grenzt an sechs Staaten: Jordanien im
Westen (Grenze 181 km), Syrien im Nordwesten (605 km), Türkei im Norden (352 km),
Iran im Osten (1,458 km), Kuwait (222 km)
und Saudi-Arabien (814 km) im Süden. Die
beiden großen Flüsse, Euphrat und Tigris,
fließen vom Nordwesten in den Südosten des
Landes und versorgen den Irak mit landwirtschaftlich fruchtbarem Boden, im Kontrast zu
der Wüsten- und Berglandschaft. Irak ist auch
deshalb als Mesopotamien, das Land zwischen den zwei Flüssen, bekannt. Mesopotamien wird oft als Wiege der Zivilisation und
Geburtsort der Schrift, des Rechts und des
Rads bezeichnet. Der heutige moderne Staat
Irak war die Heimat vieler Zivilisationen und
das Zentrum der indigenen akkadischen, assyrischen, abbasiden, babylonischen und sumerischen Reiche.
Im Juli 2011 wurden 30,4 Millionen Bürger im
Irak gezählt. Die ethnischen Gruppierungen
teilen sich auf in 75-80% Araber, 15-20% Kurden und 5% Turkomanen, Assyrer/Aramäer
und andere. Offiziell ist der Irak ein islamischer Staat, mit 60-65% Schiiten und 32-27%
Sunniten, Christen und andere religiöse Gruppen repräsentieren 3%1. Seit dem Fall von
Saddam Hussein im Jahr 2003 sollen 50%
der Christen nach Syrien, Jordanien und Libanon geflohen sein.2
Die natürlichen Ressourcen des Iraks bestehen hauptsächlich aus Erdöl, Erdgas, Phosphat und Schwefel. In der Menge der
Erdölreserven liegt der Irak weltweit auf Platz
2 nach Saudi-Arabien (der Irak hat 143,1 Milliarden Barrel an Erdölreserven), allerdings
sind bis zu 90% des Landes noch unerforscht.3 Der natürliche Reichtum des Landes
ist ein Grund für die Bedeutsamkeit des Iraks,
nicht nur für die Region, sondern für die gesamte Welt.
Im Jahr 2005 fanden zum ersten Mal freie
Wahlen im Irak statt. Im selben Jahr wurde
von der neuen irakischen Regierung die neue
Verfassung verkündet. Diese steht seitdem
als Grundstein für den „neuen Irak“. Die letzten Wahlen fanden am 7. März 2010 statt. Für
Vgl. CIA World Factbook: Iraq: People and Society. 20. Dezember 2011, abgerufen am 30.08.2012.
Vgl. Radio Vatikan: Irak: Ringen um Religionsfreiheit, 1. Januar 2007, abgerufen am 30.08.2012.
Vgl. OPEC: Annual Statistical Bulletin 2010/2011, http://www.opec.org/opec_web/static_files_
project/media/downloads/publications/ASB2010_2011.pdf, abgerufen am 30.08.2012.
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Irak
die Wahlen schloss sich eine Reihe von kleinen Parteien in großen Koalitionen zusammen. Der Gewinner der Wahl war die
Irakische Nationalbewegung, ein nationalsäkulares Bündnis unter der Führung Iyad
Allawis, mit 91 Sitzen im Parlament, allerdings
konnte aufgrund von Streitigkeiten zunächst
keine Regierungskoalition gebildet werden.
Erst nach zehn Monaten war das Parlament
regierungsfähig. Die Irakische Nationalbewegung benannte Jalal Talabani, Vorsitzender
der Patriotischen Union Kurdistans (PuK), als
irakischen Präsidenten. Zum Premierminister wurde Nuri al-Maliki von der Islamischen
Dawa Partei ernannt.4
Trotz der Missstände während der Besatzung
des Iraks entwickelte sich das Autonomiegebiet Kurdistan mit einer stabilen Wirtschaftsund Sicherheitslage verhältnismäßig positiv.
Die seit 1991 autonome kurdische Regierung
implementierte nach dem Sturz Husseins relativ schnell rechtliche Rahmenbedingungen
zum Investitions- und Handelsschutz, wodurch viele ausländische Unternehmen motiviert wurden, in der Region zu investieren.
Auch die Aussöhnung der beiden dominierenden kurdischen Parteien Kurdistan Democratic Party (KDP) und Patriotic Union of
Kurdistan (PUK), förderte die Stabilisierung in
der Region. Seitdem im Mai 2006 eine gemeinsame kurdische Regierung gebildet
wurde, entwickelte sich vor allem um die kurdische Hauptstadt Erbil/Hawler ein stetig
wachsender Wirtschaftsboom. Allerdings
steht die Autonome Region Kurdistan mit der
Zentralregierung in Bagdad in einem Konflikt,
über Machtansprüche über umstrittene Territorien, wie Kirkuk, und Ressourcen, wie Öl
und Gas.
Unter dem Regime von Saddam Hussein
wurde der Irak, aufgrund seiner eklatanten
Missachtung der Menschenrechte und des
Völkerrechts und die Nichteinhaltung von UNResolutionen, vor allem in westlichen Welt als
„Schurkenstaat" betrachtet. Durch die Invasion des Iraks im Jahr 2003 und die anschließende Neugestaltung des politischen
Systems wurde eine neue Ära in der irakischen Außenpolitik eingeleitet. Der irakischen
4
5
6
7
Konstitution zufolge stellen jetzt die Prinzipien
der guten Nachbarschaft und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten die Prioritäten für die irakische
Außenpolitik dar. Der „neue Irak“ erkennt die
Bedeutung der bilateralen und multilateralen
Zusammenarbeit zu weiteren globalen Normen und Werten an und verpflichtet sich zur
Einhaltung der Menschenrechte und der
Nichtverbreitung der Atomwaffen, so die irakische Verfassung.5
Historisch betrachtet hatte der Irak sehr vielfältige Beziehungen zu den arabischen Ländern, welche von Krieg (mit Iran und Kuwait)
bis zu engen Beziehungen mit Ländern wie
dem Libanon reichten. Seit 2003 verpflichtet
sich der Irak, ein aktives Mitglied in der Arabischen Liga zu sein und setzt sich für die Verbesserung ihrer Beziehungen zu den Staaten
in dieser Region ein.
Zu der Zeit der US-Invasion im Jahr 2003 lag
die irakische Wirtschaft in Trümmern. Jahrzehntelange Misswirtschaft, gekoppelt mit
lähmenden ökonomischen Sanktionen, die
von dem UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden, hatten die wirtschaftliche Aktivität dramatisch reduziert. Im Jahr 2000 erreichte im
Irak das BIP einen Tiefstand von 12 Milliarden
USD. In den letzten Jahren erlebte die irakische Wirtschaft drastische Verbesserungen.
Iraks BIP erhöhte sich auf 108,6 Milliarden
USD im Jahr 2011, eine geschätzte Verzehnfachung in nur etwas mehr als zehn Jahren.6
Im Wealth Report 2012 wird der Irak auf Platz
3 der Länder mit dem höchsten wirtschaflichten Wachstum von 2010-2050 gelistet
(7,7%).7
Die Zukunft des Iraks nach dem Abzug der
letzten Besatzungstruppen ist stark abhängig
von der Lockerung der Spannungen zwischen
politischen, religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Fraktionen. Zurzeit ist das Land
noch geplagt von einem konfessionsgebundenem Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, der große Probleme in der inneren
Sicherheit mit sich bringt. Zudem entstehen
immer größere Spannungen zwischen der
Zentralregierung in Bagdad und der Autono-
Vgl. Spiegel Online: Opposition gewinnt knapp Parlamentswahl im Irak, 26. März 2010
http://www.spiegel.de/politik/ausland/vorlaeufiges-endergebnis-opposition-gewinnt-knappparlamentswahl-im-irak-a-685931.html, abgerufen am 30.08.2012.
Vgl. Iraqi Constitution, http://www.iraqinationality.gov.iq/attach/iraqi_constitution.pdf, abgerufen am
30.08.2012.
Vgl. IMF: World Economic Outlook Database 2011, http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2011/01/
weodata/index.aspx, abgerufen am 16.10.2012.
Vgl. Knight Frank Research: The Wealth Report 2012, http://www.thewealthreport.net/The-WealthReport-2012.pdf, abgerufen am 16.10.2012.
Deutsches Orient-Institut
99
Irak
men Region Kurdistan im Norden, ausgelöst
vor allem durch den Streit um die Stadt Kirkuk, die von beiden Seiten beansprucht wird.
Zeitgleich wird der irakische Premierminister
immer mehr von innenpolitischen Akteuren
kritisiert und der Korruption und Intransparenz
beschuldigt. Trotz der immensen wirtschaftlichen Erfolge fehlt es in der Infrastruktur an
vielem, wie zum Beispiel bei der Wasser- und
Stromversorgung.
II. Rolle in der Region
Mit dem Irakkrieg im Jahr 2003 und der darauf
folgenden Besetzung des Landes durch vorrangig US-amerikanische Truppen und deren
Verbündeten bis Ende 2011 wurde zum ersten Mal seit dem Ende der Kolonial- und
Mandatszeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „ein arabischer Staat durch eine externe Macht erobert und besetzt, wobei die
umliegenden Staaten hierbei keine nennenswerte Rolle spielten“8. Der Abzug der letzten
US-amerikanischen Truppen aus dem Irak im
Dezember 2011 markierte nicht nur das offizielle Ende der Besatzung, sondern leitete
auch eine neue politische Ära für den „neuen
Staat“ ein. Die Prioritäten der zum ersten Mal
gewählten irakischen Regierung (2005 und
darauf folgend 2010) beruhten während der
Besatzungszeit auf innenpolitischen Aspekten
wie Rekonstruktion, Sicherheit und politische
Stabilisierung. Dabei wurde die Etablierung
zu einer neuen Außenpolitik nach dem Saddam-Regime in der Agenda weitgehend ausgelassen. Zu Anfang der Besatzung war der
Irak von seinen Nachbarstaaten zum größten
Teil politisch isoliert. Auch die Nachbarstaaten
des Iraks selbst, vor allem Iran und Syrien,
betrachteten die US-amerikanische Präsenz
als Besatzungsmacht mit großer Sorge und
so blieb der Einfluss dieser Staaten auf die
irakische Politik zunächst sehr gering.
Durch das Ende der Besatzung, eingeleitet
durch den US-amerikanischen Präsidenten
Barack Obama und dem irakischen Premierminister Nouri al-Maliki im Dezember 2011, ist
die irakische Regierung nun weitestgehend
politisch aktionsfähig und steht vor der Aufgabe, sich als souveräner politischer Akteur
wieder in der Region zu integrieren. Die Bemühungen und gleichzeitig auch die Befürch8
9
10
11
100
tung der Nachbarstaaten des Iraks, auf die im
Folgenden näher eingegangen wird, lauten,
dass der „neue Irak“ sich zu einem wichtigen
und maßgebenden Staaten in der Region entwickeln wird. Nach zwei Jahrzehnten der Isolation geprägt von Konflikten und Kriegen,
beginnt der Irak eine neue Außenpolitik zu
etablieren. Deshalb ist es für die ganze Region von großer Bedeutung, wie sich die irakische Außenpolitik entwickelt und was für
eine Rolle sie übernehmen wird.
Nach dem Sturz von Saddam Hussein im
Jahr 2003 hat sich die regionale Ordnung im
Mittleren Osten gewandelt. Grund dafür ist
das entstandene politische Vakuum und nicht
der von der Bush-Regierung erhoffte demokratische Dominoeffekt auf die Nachbarstaaten9. Dieses Vakuum gilt es, jetzt von der
neuen irakischen Regierung auszufüllen. Die
Wahl jener Regierung hat die Machtverhältnisse innenpolitisch wesentlich verändert.
Nach jahrzehntelanger politischer Unterdrückung durch das Hussein-Regime, dominiert
die schiitische Mehrheit des Landes die
Innen- und Außenpolitik. Dieser Machtwandel
ist besonders für die sunnitisch-dominierten
GCC-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, besorgniserregend.
Dies begründet sich in dem konfessionsgebundenen Konflikt zwischen Schiiten und
Sunniten. Unter der Ba'ath-Regierung präsentierte sich der Irak trotz schiitischen Mehrheit als ein säkularer Staat mit Tendenz zu
einer sunnitisch geprägten pan-arabischen
Außenpolitik und stellte somit ein Gegenpol
zur der von schiitischen Geistlichen geführten
Islamischen Republik Iran dar. Nach dem
Irakkrieg 2003 nahmen die Konfrontationen
zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien ein neues Ausmaß
an. In den Augen der Golfstaaten besteht die
Gefahr, dass sich der Irak mit Iran verbündet
und sich ein schiitisch-dominiertes Dreiecksgespann (Iran, Irak, Syrien) herausbildet10.
Der jordanische König Abdullah verlieh der
Angst vor einer iranischen Vorherrschaft in
der Region Ausdruck, indem er vor einer Entstehung eines „schiitischen Halbmonds“
warnte11. Abgesehen vom Irak und Iran selbst
teilen alle Golfstaaten diese Sorge. Grund
Vgl. Volker Perthes, Bewegung im Mittleren Osten. Internationale Politik und regionale Dynamiken nach dem IrakKrieg, SWP-Studie ,Berlin, 2004, S.7
Vgl. Reynolds, Paul: The ‚Democratic Domino’ Theory, in: BBC News, 10. April 2003,
http://www.news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/2935969.stm, abgerufen am 16.10.2012
Vgl. Husain, Ed: Iran Versus Saudi Arabia: Cold War In The Middle East, in: CFR, 20.04.2012,
http://www.blogs.cfr.org/husain/2012/04/20/iran-versus-saudi-arabia-cold-war-in-the-middle-east/, abgerufen am
16.10.2012.
Vgl. Black, Ian: Fear of a Shia full moon, in: The Guardian, 26.02.2007,
http://www.guardian.co.uk/world/2007/jan/26/worlddispatch.ianblack, abgerufen am 16.10.12.
Deutsches Orient-Institut
Irak
dafür ist die enge Verbindung zwischen Nouri
al-Maliki und der iranischen Regierung. Allerdings standen die beiden Nachbarstaaten
stets in einer engen Verbindung zueinander,
die allerdings geprägt ist von Konflikten und
einem desaströsen Krieg (1980-1988).
II.1 Iran
Im Bezug auf Kultur und Sprache sind sich
der Irak und sein Nachbarland, mit dem sie
eine 1.500 Kilometer lange Grenze
teilen, sehr verschieden. Dennoch besteht
durch die schiitische Mehrheit in beiden Ländern eine konfessionsgebundene Verbindung. Der Südirak ist das religiöse Zentrum
der schiitischen Welt mit den Schreinstädten
Nadjaf und Kerbala. Seit Jahrhunderten ist
diese Region das Zentrum der schiitischen
Gelehrsamkeit und theologischer Ausbildung.
Viele Führer aus der aktuellen religiösen und
politischen Elite Irans haben in diesen historisch-religiös bedeutsamen Städten in theologischen Seminaren studiert. Zudem werden
die heiligen Schreine im Südirak jährlich von
tausenden iranischen Pilgern besucht.
Allerdings war die Beziehung der Nachbarländer auf politischer Ebene jahrzehntelang
geprägt von Spannungen. Die Islamische Revolution in Iran (1979) und der Aufstieg Saddam Husseins in der Ba'ath-Partei im Irak im
gleichen Jahr änderten die Region maßgeblich. Das säkulare Ba'ath-Regime und die
neue islamische Führung in Iran standen im
Konflikt zueinander, wobei die Ba'athisten
einen „spill-over“-Effekt der Islamischen Revolution auf den Irak befürchteten. Dies war
einer der vielen Gründe für den Iran-IrakKrieg, auch bekannt als Erster Golfkrieg, der
vom 22. September 1980 bis zum 20. August
1988 andauerte. Dieser Krieg, initiiert durch
Saddam Hussein, forderte auf beiden Seiten
insgesamt eine Million Todesopfer und war
eine humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe für beide Parteien. Die Auseinandersetzungen wurden mit Hilfe der UN Resolution
59812 (verabschiedet durch den Sicherheitsrat am 20. Juli 1987) mit einem Waffenstillstand beendet, allerdings wurde nie ein
Friedensvertrag geschlossen. Die Beziehungen der beiden Staaten ab diesem Moment
bis zum Sturz Saddam Husseins im Jahr
12
13
14
15
2003 können als „kalter Frieden“ bezeichnet
werden, denn bis dato galt der Irak weiterhin
als die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit Irans.
Die US-Invasion im März 2003 in den Irak
wurde von iranischer Seite mit großer Ambivalenz betrachtet. Einerseits war die iranische
Regierung zufrieden mit dem Ende der Herrschaft von Saddam Hussein, andererseits
wurde die militärische Präsenz der USA an
der eigenen Grenze mit großer Sorge betrachtet. Offiziell wurde die Invasion von der
iranischen Seite aus stark kritisiert. Gleichzeitig aber ünterstützte Teheran US-amerikanische Operationen gegen die Al-Qaida im
Irak.13
Über die Absichten des Irans im Irak herrscht
bei den meisten europäischen und US-amerikanischen Forschungsinstituten ein gewisser
Konsens: die Sicherstellung einer Iran-freundlichen Nachbarschaftspolitik.14 Bei der politischen Zusammensetzung der irakischen
Regierung wird von iranischer Seite dementsprechend eine von Schiiten dominierende
Regierung bevorzugt. Wie alle Nachbarstaaten des Iraks möchte Iran einen möglichen
Zerfall des Landes, in Folge von Aufständen
und/oder Sezessionen, um jeden Preis verhindern. Die Sorge vor territorialer Instabilität
ist zum einen in der Angst vor einer grenzüberschreitenden kurdischen Allianz gegen
die iranische Regierung sowie der Beeinflussung der iranischen Kurden durch die Autonomie ihrer Nachbarn verwurzelt. Zum
anderen befürchtet Iran Auswirkungen auf die
eigene Sicherheitslage im Falle eines möglichen irakischen Bürgerkrieges.
Das iranische Interesse an der Neuordnung
ihres Nachbarstaates nach der Invasion durch
die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreiches und der „Koalition
der Willigen“ zeigte sich relativ früh. Am 1. Dezember 2004 fand ein Treffen der Innenminister der Nachbarstaaten des zu dieser Zeit
besetzten Iraks in Teheran statt15. Dabei
stimmten alle Beteiligten, paradoxerweise
auch die iranischen und US-amerikanischen
Vertreter, darin überein, dass freie Wahlen die
chaotische Situation des Politik-Vakuums im
Irak lösen könnten. Allerdings schien Iran vor
Vgl. http://www.unhcr.org/refworld/docid/3b00f20e64.html
Vgl. International Crisis Group: Iran in Iraq: How much influence?, ,Middle East Report N°38 – 21. März 2005;
The Washington Institute for Near East Policy: “Iran’s Influence in Iraq”,Michael Eisenstadt, Michael Knights, and
Ahmed Ali, Policy Focus #111 | April 2011
Vgl. Payvan Iran News: Conference of Interior Ministers of Iraq Neighbors wraps up in Tehran, 2. Dezember 2004,
http://www.payvand.com/news/04/dec/1021.html, abgerufen am 16.10.2012
Deutsches Orient-Institut
101
Irak
den ersten freien Wahlen im Jahr 2005 eine
Politik des „gelenkten Chaos“ im Irak durchgeführt zu haben, um eigene Interessen
durchzusetzen.
Die von der iranischen Regierung befürworteten freien Wahlen sollen allerdings von ihr
mit verschiedenen Methoden beeinflusst worden sein. Bei den Parlamentswahlen im Jahr
2005 und 2010 sowie den Wahlen in den einzelnen Provinzen im Jahr 2009 sollen bevorzugte Kandidaten von der iranischen
Regierung beraten und finanziert worden
sein. So sollen sie auch versucht haben, ihre
traditionell guten Beziehungen zu den zwei
größten und wichtigsten kurdischen Parteien
PUK und DPK aufrechtzuerhalten, um den
Einfluss im nördlichen Teil des Landes zu
sichern.16 Zu Teherans engen Verbündeten im
Irak zählen der Islamic Supreme Council of
Iraq (ISCI), die Badr Organisation, die islamische Dawa-Partei von Nouri al-Maliki und seit
neuestem auch die Sadristen. Diese schiitischen Parteien versucht der Iran zu einer gemeinsamen Politik zu motivieren, um sich
vereinigt an der Politik des Landes zu beteiligen und diese mit zu gestalten. Der Einfluss
auf diese Parteien soll durch die Botschaft in
Bagdad und die Konsulate in Basra, Karbala,
Erbil und Sulaymaniah ausgeübt werden.17
Die iranisch-irakischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den letzten
fünf Jahren intensiviert. Somit übt Iran auch
einen großen finanziellen Einfluss auf seinen
Nachbarn aus. Das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten belief sich im Jahr 2011
auf 11 Mrd. USD18. Unter anderem hilft Iran
seinem Nachbarn bei der Bekämpfung der
Stromknappheit und liefert 10% des Bedarfs.
Die iranische Regierung hat auch angeboten
dem Irak eine Summe von über 1 Mrd. USD
für Kredite zur Verfügung zu stellen, die für
Projekte im Irak mit Beteiligung von iranischen Arbeitnehmern und iranischer Ware
ausgestellt werden sollen. Iranische Firmen
sind vor allem im Bereich des Wohnungs- und
Häuserbaus im Süden des Iraks stark präsent. Dieser Markt soll im kommenden Jahrzehnt alleine in der Provinz Basra einen Wert
von 16 Mrd. USD und ein Investitionsvolumen
von 150 Mrd. USD landesweit umfassen.19
Einige politische Ereignisse in jüngster Zeit
lassen die irakische Position im Bezug auf die
Beziehung zu Iran erahnen. Eine wichtige politische Problematik in der irakisch-iranischen
Beziehung ist das Camp Ashraf. Das Camp
Ashraf ist eine Ansiedlung oppositioneller Iraner, die seit 1986 im Irak im Gouvernement
Diyala besteht. Das Camp wird von ca. 3.400
„Volksmudschahedin“ bewohnt.20 Vor der IrakInvasion 2003 wurde den iranischen militanten Oppositionellen ein exterritorialer Status
erteilt. Im Zuge der Besatzung wurde das
Camp Ashraf von US-Truppen entwaffnet.
Seit dem 1. Januar 2009 steht das Lager
unter Kontrolle des irakischen Militärs, ausdrücklich veranlasst durch den Report des
UN-Sicherheitsrates zur Resolution 1883 (14.
Mai 2010)21. Anders als das Ba'ath-Regime,
welches die „Volksmudschahedin“ als ein
Partner gegen die iranische Regierung willkommen hieß, stellen diese für die von Schiiten dominierte Maliki-Regierung ein Hindernis
für die Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Irak und Iran dar. Der irakische Ministerpräsident Nouri al-Maliki veranlasste die
Umsiedlung der iranischen Oppositionellen,
um das Camp Ashraf zu schließen22.
Allerdings verweigert ein großer Teil der
„Volksmudschahedin“ die Verlegung in andere Camps und fordert eine humanitäre Behandlung. Die Situation ist derzeit sehr
kompliziert, da die irakische Regierung zum
einen von den Vereinten Nationen und zum
anderen von der iranischen Regierung unter
Druck gesetzt wird, korrekt zu handeln. Allerdings zeigt der feste Entschluss Malikis das
Camp Ashraf zu schließen, dass der derzeitigen irakischen Regierung viel daran gelegen
ist, alle Hindernisse, die zwischen den Nachbarländern noch bestehen, zu beseitigen, um
eine politische Annäherung zu erleichtern.
Des Weiteren fanden die Verhandlungen der
P5+1, die Gruppe der ständigen Mitglieder
des UN-Sicherheitsrats und Deutschland, die
sich zusammengeschlossen haben um mit
Vgl. http://www.washingtoninstitute.org/uploads/Documents/pubs/PolicyFocus111.pdf.
Vgl. http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/Middle%20East%20North%20Africa/Iran%20Gulf/Iran /Iran%20in
%20Iraq%20How%20Much%20Influence.
18
Vgl. PressTV: Iran-Iraq trade transactions stood at over $11bn last year: Envoy, 23. März 2012.
. http:/www./presstv.com/detail/2012/05/23/242636/iraniraq-trade-volume-at-over-11bn/, abgerufen am 16.10.2012
19
Vgl. The Washington Institute for Near East Policy: “Iran’s Influence in Iraq”,Michael Eisenstadt, Michael Knights, and
Ahmed Ali, Policy Focus #11, April 2011, S. 26.
20
Siehe Informationen zum Camp Ashraf: http:/www./campashraf.org/camp-ashraf/.
21
Vgl. UN Security Council Resolution SC/9725, 7. August 2009,
http://www.un.org/News/Press/docs/2009/sc9725.doc.htm, abgerufen am 16.10.2012.
22
Vgl. Al-Jazeera English: Iran exiles moved to 'transit site' in Iraq, 18. Februar 2012
http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2012/02/201221864347708593.html, abgerufen am 16.10.2012.
16
17
102
Deutsches Orient-Institut
Irak
der iranischen Regierung über deren Atomprogramm zu verhandeln, am 24. März 2012
in Bagdad statt. Die Bereitschaft, diese Konferenz in Bagdad durchzuführen, wurde von
den P5+1 und Iran als positiv bewertet 23. Dieser Schritt signalisiert die Bestrebung des
Iraks, eine Rolle als Mediator zwischen den
westlichen Staaten und dem Iran übernehmen zu wollen, auch wenn die iranische Regierung auf eine zusätzliche Unterstützung
von einem Verbündeten für das Atomprogramm gehofft hatte.
Zusammenfassend kann man sagen, dass
ein stabiler Irak, frei von ethnischen Konflikten, im Einklang mit den nationalen Interessen Irans stehen sollte. Ein zerfallener
Nachbarstaat mit einer Welle von ethnischen
und religiösen Auseinandersetzungen und
einer Verwüstung des Landes, welche die territoriale Integrität des Iraks gefährden und
einen Flüchtlingsstrom erzeugen würde, ist in
keiner Hinsicht im Interesse der iranischen
Regierung. Der iranische Einfluss auf den Irak
ist allein aufgrund der historischen, ethnischen und geographischen Bedingungen
sehr stark. Obwohl ein schiitisch dominiertes
Bagdad, wie unter Malikis islamischer DawaPartei, strategisch sehr günstig ist für Teheran, muss die iranische Regierung auch
Akteure entgegen der religiösen Spaltung erreichen, um die Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur und Sicherheit
vertiefen zu können.
II.2 Saudi-Arabien
Die aktuelle irakische Außenpolitik ist zusätzlich geprägt von dem Konflikt zwischen Iran
und Saudi-Arabien. Die Beziehung des vom
Wahabbismus geprägten Königreiches und
dem bis dato einzigen Gottesstaat mit schiitischer Staatsreligion wird von einigen Politikwissenschaftlern mittlerweile schon als „Kalter
Krieg“ zwischen Sunniten und Schiiten
bezeichnet. Inmitten dieses Konfliktes steht
der „neue Irak“. Allerdings ist die irakische
Beziehung zu Saudi-Arabien mindestens genauso von Konflikten übersät, wie die eben
geschilderte Beziehung zu Iran. Wenngleich
Saudi-Arabien am Anfang des Iran-IrakKrieges 1980 seine Neutralität erklärte, unterstützte es die Regierung in Bagdad auf
nicht-militärischem Wege mit finanziellen Mit23
24
25
teln. Das gemeinsame Interesse den Aufstieg
des islamischen Regimes in Iran zu verhindern, führte zwischen den beiden Staaten
eher zu einer Zweckbeziehung denn einr tiefen politischen Partnerschaft. Dies zeigte sich
bei Ausbruch des Zweiten Golfkrieges
1990/1991, bei dem Saudi-Arabien direkt in
der Koalition gegen den Irak involviert war.
Trotz der jahrelangen Feindschaft zwischen
den beiden Nachbarstaaten hatte sich der
saudische König gegen die Pläne der USA, in
den Irak einzufallen, ausgesprochen und
lehnte sogar eine Stationierung der US-Truppen in Saudi-Arabien kategorisch ab, wenn
diese für einen Angriff im Irak vorhergesehen
werden sollten. Im Jahr 2009 ernannte das
irakische Außenministerium den ersten Botschafter seit dem Zweiten Golfkrieg für die irakische Vertretung in Saudi-Arabien. Im Januar
2012 erklärte der irakische Außenminister
Hoshyar Zebari, dass Saudi-Arabien den ersten Botschafter seit 1990 ernannt habe:
Fahd Abdul Mohsen Al-Zaid, der saudische
Botschafter in Jordanien, werde als nicht ansässiger Botschafter regelmäßig zwischen
Amman und Irak verkehren24. Diese Ernennungen seien erste Schritte für die Wiederbelebung der diplomatischen Beziehungen.
Allerdings stehen auf dem Weg zu einer Normalisierung noch einige Hürden bevor.
In den Augen Saudi-Arabiens bleibt die
irakische Regierung ein enger Alliierter Irans.
Katar und Saudi-Arabien haben ihre Sorge
um die sunnitischen Interessen im Irak unter
der Regierung von al-Maliki ausgesprochen25.
Das Ausmaß dieser Sorge bleibt groß: SaudiArabien weigert sich, unter dem Premierminister Nouri al-Maliki eine Botschaft in Bagdad
zu eröffnen. Allerdings sollte es nicht im Interesse des Königreiches sein einen konfessionsgebundenen Konflikt zu fördern, da ein
ethnischer Aufstand im Irak als eine gefährliche Bedrohung für die nationale Sicherheit
gesehen wird. Die landesweite schiitische
Minderheit bildet eine Mehrheit in der
östlichen ölreichen Ostprovinz – ein Grund
von großer Besorgnis für Riad.
II.3 Kuwait
Bis zum Jahr 2004 waren die irakisch-kuwaitischen Beziehungen geprägt vom Widerwillen der irakischen Regierung, Kuwait als
Vgl. http://www.presstv.ir/detail/2012/05/22/242555/baghdad-talks-coop-iran
Vgl. Healy, Jack: Saudis Pick First Envoy to Baghdad in 20 Years, New York Times, 21. Februar 2012,
http://www.nytimes.com/2012/02/22/world/middleeast/saudi-arabia-names-ambassador-to-iraq.html,
abgerufen am 16.10.2012
Vgl. Shoamanesh, Sam: Neighbours eye Iraq elections, Al-Jazeera English, 8. März 2010,
http://www.aljazeera.com/FOCUS/IRAQELECTION2010/2010/03/201037123914357815.html, abgerufen am
16.10.2012
Deutsches Orient-Institut
103
Irak
einen eigenen Staaten anzuerkennen. Diese
Haltung begründet sich in der Aufteilung Iraks
durch die Briten im Jahr 1922, wobei Kuwait,
das zu dem Zeitpunkt noch zu der irakischen
Region Basra gehörte, getrennt wurde. Die
Briten haben durch diese Teilung den irakischen Zugang zum Persische Golf und zu
den natürlichen Bodenschätzen der Region,
vor allem Erdöl, blockiert. Diese Teilung wurde
von keinem irakischen Führer, von König Faisal bis Saddam Hussein, akzeptiert und somit
gab es lange Zeit keine diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern.26
Nach der Machtübernahme Saddam Husseins erhöhten sich die Spannungen zwischen den beiden Golfstaaten immer mehr
und erreichten ihren negativen Höhepunkt am
2. August 1990 mit der Invasion des irakischen Militärs auf Kuwait. Die für den Irak militärisch erfolgreiche Operation führte zu der
Annexion Kuwaits und Saddam Hussein rief
die Region als die 19. Provinz des Iraks aus.
Allerdings werden auch von kuwaitischer
Seite einige destabilisierende Szenarien im
Irak befürchtet. Eine Teilung des Landes wird
von Kuwait, wie von den anderen Nachbarstaaten, nicht befürwortet und das Interesse
liegt an einem vereinigten und souveränen
Irak. Ein möglicher Bürgerkrieg oder gewaltsame Ausschreitungen zwischen den Mitgliedern verschiedener Konfessionen werden
auch in Kuwait mit großer Sorge
betrachtet. Bei diesen möglichen Szenarien
befürchtet die kuwaitische Regierung grenzübergreifende Konflikte, womit durch die Intervention anderer Nachbarstaaten in den Irak
eine neue Machtkonstellation in der Region
entstünde. Aus diesen Gründen ist ein stabiler Irak für Kuwait von großem Interesse29.
Während des Zweiten Golfkrieges wurde Kuwait schnell von den Koalitionstruppen unter
US-amerikanischer Führung befreit. Die Folge
der aggressiven Expansionspolitik Husseins
war eine Verhängung von Sanktionen durch
die Vereinten Nationen, die in vollem Maße
bis zur US-Invasion 2003 galten und erst
Ende 2010 fast vollständig, bis auf die Reparationszahlungen an Kuwait aufgehoben wurden27. Die Sanktionen, die seit dem 6. August
1990 galten, hatten eine zerstörerische Auswirkung auf die irakische Bevölkerung. Der
Irak war ökonomisch vollständig isoliert, und
es herrschten strikte Regeln für den Import
von Lebensmitteln, Medikamenten und vielen
weiteren lebensnotwendigen Gütern. Die Zahl
von Todesfällen, bedingt durch Krankheiten
als direkte Auswirkung von Unterernährung
und dem Mangel von sauberem Wasser, stiegen in dieser Zeit rapide. Die Konsequenzen
dieser Sanktionen waren so fatal, dass das
Sanktionierungssystem der Vereinten Nationen überarbeitet wurde und die sogenannten
„Smart Sanctions“ eingeführt wurden.28 Trotz
der ungewissen Situation im Irak ist der Nach-
Die 222-kilometer-lange Grenze mit dem Irak
ist derzeit die einzige große Grenze, die effektiv kontrolliert wird. Deshalb stellt das Eindringen von Extremisten über die kuwaitische
Grenze, im Gegensatz zur syrischen Grenze,
kein Problem dar. Auf der anderen Seite befinden sich nur wenige irakische Flüchtlinge
in Kuwait. Von großen Flüchtlingswellen wie
nach Syrien und Jordanien, die jeweils 1 Million Flüchtlinge aufnahmen, blieb Kuwait verschont.
Auch
bei
Einreisen
von
Einzelpersonen aus der irakischen Regierung
nach Kuwait gibt es strikte Sicherheitsbestimmungen für die Visavergabe. Am 22. Oktober
2008 erreichten die irakisch-kuwaitischen Beziehungen einen neuen Höhepunkt: nach 19
Jahren wurde die kuwaitische Botschaft in
Bagdad wiedereröffnet. Bereits im Jahr 2005
hatte das irakische Außenministerium einen
Botschafter nach Kuwait gesandt und zum ersten Mal seit der Invasion 1990 ihre Botschaft
in Kuwait eröffnet.30 Den bisher größten
Schritt in der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen war der erste Besuch seit
21 Jahren des kuwaitischen Premierministers
26
27
28
29
30
104
barstaat weniger eine Bedrohung für die innere Sicherheit Kuwaits als zu Zeiten Saddam
Husseins. Nach Jahrzehnten ohne diplomatische Beziehungen entwickelt sich seit 2007
die größte Annäherung in der modernen
Geschichte zwischen den beiden Ländern.
Vgl. Klein, David: Mechanisms of Western Domination: A Short History of Iraq and Kuwait, 2003,
http://www.csun.edu/~vcmth00m/iraqkuwait.html, abgerufen am 16.10.2012
Vgl. UN Security Council Resolution SC/1483, 22. Mai 2003, http://www.cfr.org/un/un-security-council-resolution1483-iraq/p8471, abgerufen am 16.10.2012.
Vgl. UNICEF: 2003 IRQ: Iraq Watching Briefs — Overview Report, July 2003,
http://www.unicef.org/evaldatabase/index_29697.html, abgerufen am 16.10.2012
Vgl. The Washington Institute for Near East Policy: “With Neighbors Like These – Iraq And The Arab States on Ist
Borders, David Pollock, Policy Focus #70, June 2007, S. 14ff.
Vgl. Al Arabiya News: Kuwait to open an embassy in Baghdad, 20. April 2008 http://www.alarabiya.net/
articles/2008/04/20/48623.html, abgerufen am 16.10.12.
Deutsches Orient-Institut
Irak
im Irak am 14. Juni 2011. Nach dem Treffen
bestätigten beide Staaten, dass sie einen
Ausschuss bilden würden, um die Beziehungen zu verbessern und die Probleme aus der
Vergangenheit zu lösen31.
Der United Nations Compensation Commission (UNCC) zu Folge, schuldet Irak der
kuwaitischen Regierung etwa 2,7 Mrd. USD
Kriegsreparationen32. Die UNCC beaufsichtigt
einen Fond, in den 5% der irakischen Öleinnahmen eingezahlt werden, die an die kuwaitische
Regierung
als
Reparationen
ausgezahlt werden.
Der Irak steht eigentlich mit weiteren Milliarden Dollar, die an Saddam Hussein für den
Irak-Iran-Krieg gezahlt wurden, in der Schuld
Kuwaits, allerdings erließ Sheikh Mohammed
diese und forderte im Gegenzug Sicherheit
und gute Beziehungen33.
Die Zahlung dieser Reparationen ist die letzte
Bedingung, die der Irak erfüllen muss, um
sich den verbleibenden Sanktionen, die nach
Kapitel 7 der UN-Charta verhängt wurden, zu
entledigen. Weitere Bedingungen sind die
Kooperation bei der Suche nach kuwaitischen
Staatsbürgern, die seit der irakischen
Invasion in Kuwait verschollen sind, und die
Rückgabe gestohlener kuwaitischer Artefakte.
In den jüngsten Treffen zwischen irakischen
und kuwaitischen Entscheidungsträgern
haben die Nachbarstaaten beschlossen,
gemeinsame Projekte in Landwirtschaft und
Industrie
aufzubauen,
wobei
kuwaitisches Geld investiert werden soll, um
mehr Arbeitsplätze im Irak zu schaffen34.
II.4 Syrien
Obwohl zu Zeiten Saddam Husseins Syrien
und Irak von einem Ba'ath-Regime regiert
wurden, war die Beziehung der beiden Nach-
31
32
33
34
35
36
barstaaten zueinander sehr problematisch.
Als Saddam Hussein 1979 an die Macht kam,
wurde die syrische Botschaft in Bagdad aus
Protest geschlossen. Die syrische Regierung
unter Hafez al-Assad beteiligte sich auch an
der Anti-Saddam-Koalition im Zweiten Golfkrieg 1991. Auch Syrien sprach sich gegen
eine Invasion in den Irak aus. Die Folgen des
Dritten Golfkrieges waren vor allem in Syrien
stark zu spüren: mit einer Flüchtlingswelle
kamen ca. 1,5 Millionen irakische Flüchtlinge
im Zeitraum von 2003 bis 201135.
In den letzten Jahren erlebten die syrisch-irakischen Beziehungen positive Entwicklungen.
Die gegenseitigen Besuche von Entscheidungsträgern zwischen den beiden Staaten
haben zu einer Reihe von Vereinbarungen zur
wirtschaftlichen Kooperation geführt, einschließlich einer Vereinbarung zur Wiederaufnahme der Ölförderung durch das syrische
Territorium, welche im Jahr 1982 eingestellt
wurde. Mit dem Besuch des syrischen Außenministers Walid Muallem in Bagdad im Jahr
2006 wurde die Entfremdung zwischen Syrien
und Irak nach 20 Jahren offiziell beendet.
Beide Regierungen verpflichteten sich gegenseitig in allen Bereichen mit gemeinsamem
Interesse - Sicherheit, Politik und Wirtschaft zusammenzuarbeiten.36
Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die
versprochenen Verpflichtungen nicht eingehalten wurden und sich immer mehr Sicherheitsprobleme herausstellten. Im Februar
2007 erklärte ein irakischer Regierungssprecher, dass die irakische Regierung davon
ausgehe, dass 50% der Morde und Bombenanschläge im Irak von Extremisten ausgeführt
würden, die über die syrische Grenze in das
irakische Gebiet eingedrungen seien. Der damalige
Koordinator
der
Irak-Mission, US-Botschafter David Satterfield, bestätigte, dass 80% der Selbstmordattentäter im Irak über die syrische Grenze
Vgl. BBC News: Kuwaiti PM in first visit to Iraq since Gulf War, 12. Januar 2011,
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-12173206, abgerufen am 16.10.2012.
Vgl. www.un.org/.../p3%20mojtaba%20kazazi.ppt.
Vgl. McClenaghan, Gregor: Iraq's $7bn debt written off, in: The National, 6. Juli 2008,
http://www.thenational.ae/news/uae-news/iraqs-7bn-debt-written-off, abgerufen am 16.10.2012.
Calderwood, James: Kuwait and Iraq work to repair relations, in: The National, 14. Januar 2011,
http://www.thenational.ae/news/world/middle-east/kuwait-and-iraq-work-to-repair-relations, abgerufen am
16.10.2011.
Vgl. Spiegel Online: Irakische Flüchtlinge in Syrien,02.10.2007 http://www.spiegel.de/politik/ausland/
irakische-fluechtlinge-in-syrien-der-druck-uebersteigt-unsere-kraefte-a-508973.html, abgerufen am
16.10.12.
Vgl. AG Friedensforschung: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Irak/syrien.html, abgerufen am
16.10.2012.
Deutsches Orient-Institut
105
Irak
gekommen seien.37 Die syrische Regierung
unter Bashar al-Assad hatte die Kontrolle der
irakischen Grenze zunächst stark vernachlässigt. Da das Versagen der Grenzkontrolle
fraglos nicht durch mangelnde Kapazitäten
des syrischen Militärs verursacht wurde, gibt
dieses Verhalten Hinweise darauf, dass die
Stabilisierung des Iraks zu Beginn nicht im
Interesse der syrischen Regierung lag. Allerdings ging die syrische Regierung zu Anfang
der Besatzung im Irak davon aus, dass ein
stabiler, demokratischer und US-orientierter
Irak eine größere Bedrohung darstellt als ein
instabiler Irak geprägt von konfessionsgebundenen Konflikten. Mit dem ersten Wahlsieg der Maliki-Regierung hat sich Syriens
Position allerdings geändert. Der neue schiitische Partner wird in Syrien gerne gesehen
und so wurden die wirtschaftlichen Vereinbarungen vertieft und versucht, die Kooperation
der schiitischen Achse (Syrien-Irak-Iran) auszubauen. Ein Beispiel für dieses Vorhaben ist
ein 10-Mrd.-USD-Deal für eine Gas-Pipeline,
der zwischen den drei Staaten im Juli 2011
beschlossen wurde.38
Die seit dem Frühling 2011 andauernden Aufstände in Syrien und das mögliche Ende des
Assad-Regimes stellen demnach eine große
Zerreißprobe für die irakische Regierung dar.
Bei der Abstimmung der Arabischen Liga am
12. November 2011 über den Ausschluss Syriens aus der Organisation enthielt sich der
Irak.39 Zuvor hatte der irakische Premierminister Nouri al-Maliki dem syrischen Präsidenten die Unterstützung gegen die
angeblichen Verschwörungen gegen die syrische Regierung zugesagt. Als die Gewalt weiter anhielt, hatte der irakische Rat der
Repräsentanten am 9. August 2011 in einer
Stellungnahme zu der Gewalt in Syrien Reformen und ein sofortiges Ende der Gewalt
gefordert. Noch in derselben Woche sagte
Nouri al-Maliki entgegen dieser Aussage
seine weitere Unterstützung des Assad-Regimes zu und beschuldigte die Demonstranten
der Sabotage und forderte diese auf, ihre Unzufriedenheit in dem demokratischen Prozess
nicht durch Proteste auszudrücken. Am 25.
August erklärte der irakische Botschafter in
37
38
39
40
106
Syrien Samir Sumaida’ie, dass Assads Regime kontinuierlich an Macht, Verbündeten
und Glaubwürdigkeit verliere und eventuell
zusammenbrechen werde, was das Gleichgewicht in der Region verschieben und eventuell Iran schwächen würde. Sumaida’ie
erklärte, dass Bagdad sich vor einer potentiellen Instabilität nach Assad nicht sorgen
werde. Die unterschiedlichen Meinungen und
Äußerungen der irakischen Vertreter zeigen
unverkennbar die Unstimmigkeit in der irakischen Außenpolitik unter den verschiedenen
Akteuren.40
Lang hielt die irakische Regierung in diesem
Konflikt an der Hoffnung fest, das syrische
Regime würde die Krise mit Hilfe von internen
Reformen lösen. Doch seit der Veröffentlichung des Friedensplanes von Kofi Annan,
dem ehemaligen Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga,
schwenkte die Regierung um und sicherte
ihre Unterstützung zu, den Plan zu unterstützen.
Im Zuge dieser Krise verhielt sich die MalikiRegierung widersprüchlich. Die Maliki-Regierung befürwortete zuvor die Proteste in
Ägypten, Libyen, Tunesien und Bahrain,
wobei sie sich immer wieder auf die Erfahrung
der jahrzehntelangen Unterdrückung durch
Saddam Hussein berief und zu Demokratie
aufrief. Die Haltung zu Syrien allerdings zeigt
die Bemühungen der Maliki-Regierung, die
schiitische Partnerschaft und Solidarität zwischen Syrien, Irak und Iran aufrechtzuerhalten. Allerdings hat sich auch durch die
Ereignisse im „Arabischen Frühling“ eine
neue Art des Pan-Arabismus und der arabischen Solidarität etabliert. Diese wird auch
von der irakischen Bevölkerung wahrgenommen und zeigte sich durch Solidaritätsproteste im Frühling 2011 mit den tunesischen
und ägyptischen Demonstranten. Ein anderer
Ausdruck dieses Prozesses ist der Bedeutungsgewinn der Arabischen Liga. Um dem
Irak wieder eine wichtigere Rolle in der arabischen Staatengemeinschaft zu geben, bestand die Maliki-Regierung darauf, eine
Konferenz der Arabischen Liga zum Thema
Vgl. U.S. News: Most Suicide Bombers in Iraq Come Through Syria, State Department Says, 27. März
2012, http://www.usnews.com/news/blogs/news-desk/2007/03/27/most-suicide-bombers-in-iraq-comethrough-syria, abgerufen am 16.10.2012.
Vgl. Iraq-Business News: Iraq, Iran, Syria Sign $10 billion Gas Deal, 25. Juli 2011, http://www.iraq-busi
nessnews.com/2011/07/25/iraq-iran-syria-sign-10-billion-gas-deal/, abgerufen am 16.10.2012.
Vgl. BBC News: Arab League Sanctions for Syria, 12. November 2011, http://www.bbc.co.uk/news/worldmiddle-east-15706851, abgerufen am 16.10.2012.
Vgl. Markey, Patrick: Analysis: Iraq juggles interests over Syria crisis, in: Reuters, 18. August 2011,
http://www.reuters.com/article/2011/08/18/us-iraq-syria-diplomacy-idUSTRE77H3DG20110818,
abgerufen am 16.10.2012.
Deutsches Orient-Institut
Irak
Syrien in Bagdad durchzuführen. Sie war die
erste Konferenz der Arabischen Liga im Irak
seit zwei Jahrzehnten. Nach jahrelangem
Kriegszustand hatte die irakische Regierung
gehofft, dass die Konferenz die Stabilität und
die neue Rolle des Iraks als Mediator zwischen dem schiitischen Iran und den arabischen Staaten, vor allem den sunnitischen
Golfstaaten, hervorheben könnte. Doch die
Hoffnung erfüllte sich nicht: Trotz dieser Bemühungen bleiben die Golfstaaten misstrauisch gegenüber der irakischen Verbindung zu
Iran. Als ranghohe Persönlichkeiten aus den
Golfstaaten kam nur der Emir Kuwaits, was
den ersten Besuch eines ranghohen Vertreters eines GCC-Staates im Irak seit 1990
markierte. Die katarische Regierung entsandte eine Delegation auf „niedriger Ebene“,
um ihre Unzufriedenheit über den Umgang
der Maliki-Regierung mit der sunnitischen
Minderheit zum Ausdruck zu bringen. Im Vorfeld wurde die Konferenz zweimal wegen
Auseinandersetzungen zwischen dem Irak
und den GCC-Staaten verlegt. Grund war der
Unmut der irakischen Regierung über die
Unterdrückung der schiitischen Demonstranten in Bahrain.
II.5 Türkei
Nach 2003 orientieren sich die irakisch-türkischen Beziehungen neu. Dabei sind die Integrität des Iraks und die Auseinandersetzung
mit der PKK zentrale Aspekte der türkisch-irakischen Beziehungen. Der Status von Kirkuk
und die Rechte der turkmenischen Bevölkerung im Irak sind weitere wichtige Punkte. Vor
der US-Invasion wurde die türkische Regierung von den USA dazu aufgerufen, sich an
der Koalition zu beteiligen, doch das türkische
Parlament stimmte gegen eine aktive Beteiligung an der Irak-Invasion.
Die Beziehungen der Türkei zur irakischen
Zentralregierung und zu den beiden großen
Parteien der Autonomen Kurdischen Regierung waren vor dem Irak-Krieg 2003 sehr
kühl, und so hatte die Türkei kaum Einfluss
auf ihr südliches Nachbarland. Seit 2008 setzt
die Türkei Kommunikation mit allen Akteuren
im Irak als neue Strategie an. Für Sunniten
sowie auch für Schiiten, die einen vereinigten
Irak beibehalten wollen, ist die Türkei ein essenzieller Partner.
41
42
Der türkische Premierminister Recep Tayyip
Erdogan war der erste türkische Regierende,
der Bagdad 2008 nach fast 20 Jahren besuchte. Durch diesen Besuch versuchte Erdogan, die durch die Angriffe der Türkei auf
PKK-Rebellen im Nordirak angespannte Beziehung wieder zu verbessern. Die angespannte Situation zwischen der kurdischen
Regionalregierung und der Türkei hat sich
durch den Konflikt zwischen der Türkei und
der PKK weiter intensiviert. Ein weiterer
Grund für diese prekäre Situation ist auch die
Haltung der türkischen Regierung zu den Bestrebungen der kurdischen Parteien im Irak,
einen souveränen kurdischen Staat zu errichten. Zu der Beziehung zum Irak äußerte sich
Erdogan am 3. April 2009 wie folgt:
“We defend establishment of an Iraqi
state on the basis of Iraq nationality.
Common ground is being an Iraqi national. If you set up a Kurdish state,
then others will try to set up a Shia
state and others an Arab state. There,
you divide Iraq into three. This can lead
Iraq into a civil war."41
Die Errichtung eines kurdischen Nationalstaates steht nicht im Interesse der türkischen
Regierung, da solch ein Aufstreben die türkischen Kurden motivieren würde, ebenfalls
einen kurdischen Großstaat zu etablieren.
Der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung
und Autonomie wird schon seit Jahrzehnten
von der kurdischen Minderheit gegenüber der
türkischen Regierung geäußert; ohne Erfolg.
Aus diesen Gründen unterstützt die Regierung Erdogan alle Bewegungen im Irak, die
das Ziel haben, einen einheitlichen irakischen
Nationalstaat zu wahren.
Im Mai 2009 erklärte das irakische Ölministerium, dass die kurdische Regierung befähigt
sei, Öl aus der kurdischen Region in die Türkei zu exportieren42. Diese und weitere wirtschaftliche Entwicklungen waren ein großer
Schritt, die Beziehungen zwischen der Türkei
und den irakischen Kurden zu stärken. Die
wirtschaftlichen Aspekte machen die Türkei
für den Irak zu einem wichtigen Partner mit
großem Zukunftspotential. Der türkische Handelsminister schätzte, dass das Handelsvolumen zwischen der Türkei und dem Irak im
Vgl. http://www.thefreelibrary.com/%28DIP%29+PREMIER+ERDOGAN+SAYS+TURKEY+DE
FENDS+FORMATION+OF+AN+IRAQI+STATE...-a0197068466, abgerufen am 16.10.12.
Vgl. CNN: Iraqi Kurds begin exporting oi“, 1. Juli 2009, http://www.articles.cnn.com/2009-0601/world/iraq.kurds.oil_1_iraqi-kurds-kurdish-foreign-oil-companies?_s=PM:WORLD, abgerufen am
16.10.2012.
Deutsches Orient-Institut
107
Irak
Jahr 2010 6 Mrd. USD erreichte, im Jahr 2003
waren es nur 940 Mio. USD43. Durch diesen
Zuwachs hat sich der Irak vom zehntgrößten
Handelspartner zum fünftgrößten Handelspartner für die Türkei entwickelt. Mit über 100
Unternehmen in den Bereichen Energie,
Landwirtschaft und Industrie ist die Türkei
nach China unter den Top-Playern in der irakischen Wirtschaft. Die Türkei dominiert vor
allem die Autonome Region Kurdistan (KRG),
wo geschätzte 80% der verkauften Ware aus
der Türkei importiert werden. 55% der registrierten ausländischen Unternehmen in der
KRG Region stammen aus der Türkei. Neuere Zahlen aus dem Jahr 2011 zeigen einen
weiteren Anstieg: Der Irak ist nach Deutschland der zweitgrößte Handelspartner der Türkei mit einem Handelsvolumen von bis zu 12
Mio. USD, von denen mehr als die Hälfte aus
dem Handel mit der KRG stammen44.
Trotz dieser positiven wirtschaftlichen
Entwicklung entstanden in den letzten
Monaten große Spannungen zwischen dem
türkischen Premierminister Erdogan und
seinem irakischen Kollegen al-Maliki. Zum
einen kritisierte die Türkei die irakische
Haltung zu der Krise in Syrien und zum
anderen befürchtet Erdogan eine Verschlimmerung der innenpolitischen Konflikte im Irak
nach dem Truppenabzug der USA und warnt
vor der immer größer werdenden Gefahr
eines Bürgerkrieges. Des Weiteren beschuldigt Erdogan Nouri al-Maliki, dass er gegen
diese Situation keine Maßnahmen ergreife
und somit zu dem Konflikt zwischen Schiiten
und Sunniten maßgeblich beitrage. Solange
die starke Verbindung zu Iran bestehen bleibt,
kann der Irak in der Region keine neue Rolle
als eigene politische Macht übernehmen, da
die arabischen Nachbarstaaten, abgesehen
von Syrien45, den Irak weiterhin als einen schiitischen Satellitenstaaten Irans betrachten
werden. Bleibt dies der Fall, sind politische
Kooperationen zwischen dem Irak und den
Golfstaaten geprägt von dem bereits erwähnten „Kalten Krieg“ zwischen Saudi-Arabien
und Iran. Eine vollständige Hinwendung des
Iraks in Richtung Iran ist aus mehreren Gründen jedoch kaum vorstellbar:
43
44
45
46
108
1. Die sunnitische Minderheit von ca. 3237% ist relativ groß und politisch gut organisiert.
2. Die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch
politisch immer einflussreichere autonome
Region Kurdistan steht einer politischen
Verbrüderung mit Iran trotz guter wirtschaftlicher Beziehungen entgegen.
3. Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten spiegelt keineswegs vollständig die
Verhältnisse innerhalb der irakischen Gesellschaft wider. So stehen Schiiten im Irak
primär zu ihrer irakischen und arabischen
Identität. Ein weiterer Indikator sind die steigenden Zahlen in den Eheschließungen
zwischen Paaren verschiedener Religionen, Konfessionen und Ethnien.46
4. Der Irak verfügt über eine sehr reiche
Geschichte, Tradition und Kultur. Trotz aller
Komplikationen berufen sich Schiiten, Sunniten und andere religiöse Gruppen wie
zum Beispiel Christen auf dieselben Wurzeln und dieselbe Historie, was entgegen
aller Feindschaften eine starke irakische
Identität schafft.
5. Nicht zuletzt ist der sogenannte „neue
Irak“ eine Demokratie. Auch wenn diese
Demokratie viele Mängel aufweist und Korruption und Intransparenz immer noch an
der politischen Tagesordnung stehen, ist es
Nouri al-Maliki nicht möglich, einen Alleingang zu wagen.
III. Internationale Perspektive
III.1 Deutschland
Nach 22 Jahren war Frank-Walter Steinmeier
der erste deutsche Außenminister, der den
Irak im Jahr 2009 besucht hat. Nach dem
Irak-Krieg im Jahr 2003 hat Deutschland relativ schnell enge bilaterale Beziehungen aufgebaut. Seit 2003 belief sich die deutsche
Unterstützung für den Irak auf 400 Mio. EUR,
eingeschlossen EU-Hilfen und Beitragszahlungen über die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds. Auch erließ
Vgl. Turnuc, Hasan: Turkey and Iraq, 7. Juli 2011,
http://www2.lse.ac.uk/IDEAS/publications/reports/pdf/SR007/iraq.pdf, abgerufen am 16.10.2012.
Ebd.
Allerdings weitet sich der Konflikt in Syrien immer weiter aus und Assad hat jede politische Legitimation
verspielt.
In diesem Jahr haben irakische Behörden 14.000 Eheschließungen zwischen Paaren verschiedener
Religionen, Konfessionen und Ethnien registriert. Das sind mehr als vier Mal so viel wie noch im Jahr
2010.
Deutsches Orient-Institut
Irak
Deutschland dem Irak Schulden in Höhe von
4,8 Mrd. EUR im Rahmen des Pariser Abkommens. Für die deutsche Regierung ist ein
zentraler Baustein für die Festigung demokratischer Strukturen die Konsolidierung der
rechtstaatlichen Rahmenbedingungen. Aus
diesem Grund konzentriert sich die deutsche
Unterstützung auf die Rechtsstaatförderung,
im Sinne von Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Mitarbeitern der irakischen Menschenrechtsinstitutionen sowie
Beratungsleistungen zu verfassungsrechtlichen Fragen und den Aufbau juristischer
Ausbildungseinrichtungen.
Um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Beschäftigungsförderung zu vertiefen, wurde
im Februar 2009 in Bagdad ein deutsches
Wirtschaftsbüro mit Außenstellen in Erbil und
in Basra eröffnet. Deutsche Ausfuhren in den
Irak sind im Jahr 2010 um 54,2% auf ca.
925,9 Mio. EUR gestiegen. Deutsche Warenexporte umfassen vor allem Maschinen und
Fahrzeuge. Irakische Exporte nach Deutschland stiegen im Jahr 2010 um 89,7% (159,7
Mio. EUR) und umfassen fast ausschließlich
Rohöl. In diesem Zusammenhang hat Guido
Westerwelle, der erste europäische Außenminister, der den Irak nach den Parlamentswahlen am 7. März 2010 besuchte, am 4.
Dezember 2010 ein Investittionsschutzabkommen mit dem Irak unterzeichnet. Das Abkommen soll eine geeignete Basis für
zukünftige Kooperationen und Investitionen
deutscher Unternehmen im Irak sein. Im selben Jahr haben deutsche Unternehmen erstmals nach vielen Jahren an der Messe
„Baghdad International Fair“ teilgenommen.
Ein weiterer wichtiger Aufschwung für die
deutsch-irakischen Wirtschaftsbeziehungen
war der Besuch des Vize-Kanzlers und Wirtschaftsministers Philipp Rösler im November
2011 im Irak. Rösler eröffnete dort den „German Day“ auf der „Baghdad International Fair“
und leitete eine Wirtschaftskommission, die
Arbeitsgruppen für eine engere Zusammenarbeit in den folgenden Bereichen etabliert
hat: Infrastruktur, Gesundheit, Elektrizität und
Transport.
Deutschland unterstützt den Wiederaufbau im
Irak vor allem mit Hilfe der Europäischen
Union. In einer engen Zusammenarbeit mit
der Bundesregierung, Italien und Schweden
hat die EU ein erstes Strategiepapier für die
Zusammenarbeit mit dem Irak für 2011-2013
47
48
49
ausgearbeitet. Mit Hilfe dieses Programms
soll die Zusammenarbeit in den Bereichen
verantwortungsvolle Regierungsführung, soziökonomische Erholung durch Bildung und
Ausbau der institutionellen Kapazitäten, Wasserbewirtschaftung und Landwirtschaft stattfinden. Die EU-Kommission ist seit Mitte 2006
mit einer Delegation in Bagdad vertreten. Der
Hauptarbeitsbereich hierbei ist die Unterstützung der irakischen Wahlkommission, der
Aufbau des Rechtsstaates und Hilfe für irakische Flüchtlinge. Die deutsch-irakischen Beziehungen beruhen somit weitgehend auf
wirtschaftlicher Kooperation und Unterstützung im Wiederaufbau der Infrastruktur.
Die direkte Entwicklungszusammenarbeit mit
dem Irak wird über das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durch die Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ausgeführt. Die
deutschen Projekte im Irak fördern zum Beispiel die Ausbildung von technischen Facharbeitern und Führungskräften47. Eine weitere
Kooperation zwischen den beiden Staaten
besteht im Bereich der Bildung. Der Deutsche
Akademische Austauschdienst (DAAD) hat,
gefördert vom Auswärtigen Amt, ein Programm des akademischen Austausches (Tabadul) zwischen dem Irak und Deutschland
aufgebaut48. Des Weiteren unterstützt die
Bundesregierung die Förderung der deutschen Sprache durch das Goethe-Institut und
der Deutschen Schule in Erbil.
Die Kooperation im Gesundheitswesen ist ein
weiteres Ziel der deutschen Regierung im
Irak. Im März 2012 haben der Gesundheitsminister der Bundesrepublik Dieter Bahr und
der irakische Minister für Gesundheit Majeed
Mohamed Amin eine „Gemeinsame Erklärung
zur Zusammenarbeit im Gesundheitswesen“
unterzeichnet. Die Zusammenarbeit soll unter
anderem die Ausbildung von medizinischem
Personal im Irak beinhalten 49.
III.2 Europäische Union
Am 11. Mai 2012 haben Catherine Ashton, die
Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen
Kommission und Hoshyar Zebari, Außenminister der Republik Irak, das EU-IrakPartnerschafts- und Kooperationsabkommen
(PKA) in Brüssel unterzeichnet. Die Vereinbarung soll eine weitere Ebene zur Erleichte-
Vgl. Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, http://www.giz.de/themen/de/22795.htm,
abgerufen am 10.10.12.
Vgl. http://www.tabadul.de/.
Vgl. Bundesministerium für Gesundheit, 6. März 2012, http://www.bmg.bund.de/ministerium/presse/
pressemitteilungen/2012-01/deutsch-irakische-zusammenarbeit.html, aberufen am 10.10.12.
Deutsches Orient-Institut
109
Irak
rung der Beziehungen und der Zusammenarbeit bieten.
Das Abkommen ist ein Ausdruck der EU, zu
einem wichtigen Partner für den Irak geworden zu sein. Ziele der Vereinbarung sind es,
wichtige Investitionen zwischen dem Irak und
der EU zu fördern und den Irak in die internationale Wirtschaft zu integrieren. Auch wird in
dem Vertrag der Rahmen für die aktuelle Zusammenarbeit in diversen Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Umwelt und Energie,
festgelegt.
Die EU ist ein wichtiger Handelspartner für
den Irak. Die Unterstützung der Europäischen
Kommission zu grundlegenden Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur
und Wasser beläuft sich seit 2004 auf einen
Betrag in einer Höhe von 372 Mio. EUR. Im
Jahr 2011 erreichte der gesamte bilaterale
Handel zwischen der EU und dem Irak ein Volumen von über 13 Mrd. EUR. Die EU-Importe
aus dem Irak bestehen zu 99,7% aus Öllieferungen. EU-Exporte in den Irak bestehen vor
allem aus Maschinen und Fahrzeugen (60%),
Chemikalien (9,5%), Nahrungsmitteln und lebenden Tieren (4,5%).
In den Jahren 2008-2010 gab es eine erhöhte
Anzahl von bilateralen Treffen zwischen der
EU und Irak, was zu einer Reihe von langfristigen Entwicklungsplänen führte. Im Jahr
2008 wurde ein Hilfsprogramm mit einer Kapazität von 72,6 Mio. EUR ins Leben gerufen.
Mit dem Programm sollen irakische Institutionen gestärkt und die Lebensqualität der Bevölkerung durch die Bereitstellung von
grundlegenden Dienstleistungen verbessert
werden. Ein Jahr später wurde das erste bilaterale Projekt zwischen der Europäischen
Kommission und der irakischen Regierung
eingeleitet. Das Projekt beinhaltet einen Betrag von 10,6 Mio. EUR, vorgesehen für technische Hilfe für bestimmte irakische
Institutionen und angedacht als Ergänzung zu
dem Hilfspaket von 2008.
Ein „Memorandum of Understanding (MoU)“
wurde 2010 von der Europäischen Union und
der Republik Irak unterzeichnet. Das MoU soll
politische Rahmenbedingungen für die Stärkung der energiepolitischen Beziehungen
schaffen. Unter den langfristigen Entwicklungsplänen der EU für den Irak ist der „National Development Plan“ (NDP) für
2010-2014. Der NDP soll mit einem Budget
50
110
von 200 Mrd. USD dem Irak dazu verhelfen,
die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Somit ist der
NDP einer der wichtigsten Referenzen für die
irakische Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft.
Ein weiteres Projekt der EU im Irak ist die EUJUST Lex, die erste „integrierte“ Rechtsstaatsmission der EU. Sie konzentriert sich
auf das Justizsystem, Strafverfolgungsbehörden und Strafvollzug und hat eine beratende
Funktion. Diese Mission ist die erste gehaltvolle Maßnahme in der Irakfrage nach der Invasion, die aus einer gemeinsamen
EU-Außenpolitik entstanden ist. Das Mandat
wurde im Ratsbeschluss vom 7. März 2005
festgelegt und begann am 1. Juli 2005. Bis
dato hat die EU im Rahmen dieser Mission
über 3.000 irakische Polizisten, Richter und
Strafvollzugsbeamte ausgebildet.
Seit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak
Ende 2011 wurden die politischen Beziehungen zwischen der EU und dem Irak nicht umfangreich ausgebaut. Die Staatsschuldenkrise
im Euroraum und die internationale Krise in
Syrien lassen zurzeit kaum Freiraum für politische Kooperation. Premierminister al-Maliki
hat allerdings den Wunsch geäußert, die Beziehungen zu der EU auszubauen und von
der europäischen Expertise, vor allem in dem
Bereich Bildung und Wiederaufbau, zu profitieren50.
III.3 Russland
Am 12. April 2009 besuchte al-Maliki Russland, was den ersten staatshohen Besuch
aus dem Irak seit 1981 darstellte. Der Besuch
wurde in den internationalen Medien als
neuer Weg des Iraks dargestellt, um die Abhängigkeit von den USA zu relativieren und
neue Partner zu gewinnen. Während dieses
Treffens sprach sich die russische Führung
strikt gegen die kurdischen separatistischen
Ambitionen aus und versprach eine Unterstützung der territorialen Integrität des Iraks.
Am 1. August 2012 besuchte der stellvertretende russische Außenminister und Sondergesandte für den Nahen Osten, Mikhail
Bogdanov, Bagdad. Bei den Treffen zwischen
irakischen und russischen Entscheidungsträgern wurden sowohl die Zusammenarbeit der
beiden Länder sowie die aktuelle Situation in
Syrien besprochen. Die irakischen Vertreter
Vgl. MENAFN, 11. Juli 2011, http://www.menafn.com/menafn/1093427637/Iraq-wants-to-expandrelations-with-EU--Maliki, abgerufen am 10.10.12.
Deutsches Orient-Institut
Irak
lobten die Beziehungen zwischen dem Irak
und Russland in allen Bereichen, vor allem
aber wurde die Kooperation im Gas- und ÖlSektor als sehr positiv bewertet. Zudem
wurde betont, dass weitere Investitionen von
russischen Unternehmen im Irak sehr wünschenswert seien. Beide Seiten waren sich
einig, dass eine intensive Zusammenarbeit
bei der Stromerzeugung, dem Ausbau der Militärs und im Bildungsbereich notwendig ist.
Die russischen Vertreter haben auch ihre Bereitschaft angekündigt, mit der Autonomen
Region Kurdistan zusammenzuarbeiten und
dieses als ein wichtiges Element der russischirakischen Beziehungen bezeichnet.
In der Syrien-Frage sind sich beide Staaten
einig: eine mögliche Intervention von Außen
wird stark abgelehnt. Abgesehen davon gibt
es kaum Kooperationen im politischen Bereich. Die Zusammenarbeit beläuft sich bisher auf die Förderung von Öl durch die
russischen Firmen Lukoil und Gazprom, die
die Lizenzen zu Ölfeldern im Irak besitzen.
III.4 China
Der Besuch al-Malikis in Peking im Juli 2011
sollte die chinesisch-irakischen Beziehungen
vorantreiben. Nouri al-Maliki ist nach 50 Jahren der erste irakische Premierminister, der
China besuchte. Die chinesische Regierung
ist daran interessiert, Unternehmen im Irak
dazu zu verhelfen, eine langfristige und stabile Beziehung in den Bereichen Erdöl und
Erdgas aufzubauen. Das Ziel der chinesischen Politik im Irak ist es, das Erdöl für den
künftigen Verbrauch zu sichern.
Maliki hofft auf mehr Investitionen im Irak von
chinesischen Unternehmen und rief beide
Seiten dazu auf, die Kooperation auf die Bereiche Elektrizität Transport, Wohnbau, Telekommunikation
und
Landwirtschaft
auszuweiten. Um dieses Vorhaben zu erreichen, hat Nouri al-Maliki angekündigt weitere
Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit
der chinesischen Staatsbürger im Irak zu
schützen.
Im Jahr 2012 hat China die ersten Ölförderungen im Irak begonnen. Chinas National
Petroleum Corporation (CNPC) startete am
19. Juli 2012 die Arbeit in einem Ölfeld in der
südirakischen Provinz Maysan. Auf diesem
51
Ölfeld werden 70.000 Barrel Öl an einem Tag
gefördert, was einer Summe von 5 Millionen
Tonnen im Jahr entspricht. Irak wird somit zu
einer der Haupthandelspartner der Auslandskooperation der CNPC im Zeitraum 20112015 werden.
Die Volksrepublik China hat sich vom größten
Kritiker der US-geführten Invasion des Iraks
im Jahr 2003, zum größten wirtschaftlichen
Gewinner des Krieges entwickelt. Während
das Interesse der westlichen Unternehmen an
den irakischen Öl-Aktionen durch die prekäre
Sicherheitslage und Streitigkeiten zwischen
der Zentralregierung al-Malikis und der Autonomen Region Kurdistan zunehmend sinkt,
bleibt China der größte Kooperationspartner
bei den irakischen Öl-Auktionen51.
III.5 USA
Die Geschichte der amerikanisch-irakischen
Beziehungen ist sehr umfangreich und deshalb werden in diesem Rahmen nur die Entwicklungen seit der Amtseinführung des
US-Präsidenten Barack Obama im Januar
2009 betrachtet. Ein nicht unerheblicher Faktor für den Wahlsieg Obamas in den USA war
die Irak-Frage. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger George W. Bush, der die Initiative zur
Invasion des Iraks im Jahr 2003 ergriff, sprach
sich Obama für einen schnellen Abzug der
US-Truppen im Irak aus.
Dieser erfolgte in mehreren Etappen, bis am
31. Dezember 2011 die letzten US-Truppen
den Irak verließen. Der Abzug aus dem Irak
fand unter den Rahmenbedingungen des USIraq Security Agreements statt. Das US-Militär hat den Irak zwar verlassen, aber es ist
klar, dass sich die USA nicht in absehbarer
Zeit aus dem Irak gänzlich zurück ziehen können. Die USA wird weiterhin mit großem Engagement um die Normalisierung der
bilateralen Beziehungen bemüht sein. Das
US State Department übernimmt seit dem
Truppenabzug am 31. Dezember 2011 die
Verantwortung für die amerikanisch-irakischen Beziehungen und stellt ein Personal
von 16.000 Beamten, davon 5.000 aus Sicherheitsfirmen, die im Irak agieren. Das Budget beträgt 6 Mrd. USD und die USA ist mit
drei Hauptvertretungen präsent. Der Irak befürwortet die Bereitstellung von mehreren
Tausend US-amerikanischen Ausbildern für
Vgl. Salaheddin, Sinan: China reaps benefits of Iraq war, in: NBC News, 08. Juni 2010,
http://www.msnbc.msn.com/id/37577656/ns/business-oil_and_energy/t/china-reaps-benefits-iraqwar/#.UHVBKq5m7s0, abgerufen am 10.10.2012.
Deutsches Orient-Institut
111
Irak
das irakische Militär, welches in diesem Bereich noch stark von der amerikanischen Hilfe
abhängig ist.
In Fragen der Sicherheit ist der Irak weiterhin
darauf angewiesen, dass die USA dabei helfen, irakische Sicherheitskräfte aufzubauen.
Das State Department hatte bereits für das
Trainingsprogramm der irakischen Polizei die
Verantwortung übernommen. Somit bedeutet
der Abzug des US-Militärs aus dem Irak nicht
das Ende der irakisch-amerikanischen Militärbeziehungen. Die Beziehungen zwischen
den amerikanischen und irakischen Streitkräften werden sich tendenziell vergleichbar
mit den Beziehungen der Amerikaner zu den
Golfstaaten entwickeln.
Die USA spielt eine komplizierte Rolle in der
irakischen Politik. Washington hat eindeutig
al-Maliki bei dem langwierigen Regierungsbildungsprozess im Jahr 2010 unterstützt. In
den Streitigkeiten zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung im Norden des Landes setzt die
US-Regierung ihre Rolle als Vermittler fort.
Ein Ziel der Obama-Administration ist es, den
Irak an seine Nachbarn, die Golfstaaten, anzunähern. In diesem Zusammenhang motivierte die US-Regierung den Militär-Stabschef
der VAE, in den Irak zu reisen und Gespräche im Rahmen einer Militär-Kooperation zu
führen. Aktuell arbeiten die Amerikaner an
einem Plan, die irakischen Streitkräfte in die
regionalen Militärübungen einzubeziehen.
Nach dem endgültigen Truppenabzug bleibt
auch eine große Beratermission der Amerikaner im Irak. Im Jahr 2008 wurde unter Obama
und al-Maliki das „Strategic Framework
Agreement“ (SFA) von beiden Staaten unterzeichnet. Das Abkommen deckt den Bereich
der bilateralen Fragen, einschließlich Diplomatie, Sicherheit, Wirtschaft, Energie, Justiz
und Strafverfolgung, Dienstleistungen, Wissenschaft, Kultur, Bildung und Umwelt ab und
bietet die Grundlage für die bilateralen Beziehungen.
Die USA müssen sicherstellen, dass der Irak
keine Ursache für Instabilität am Golf bildet,
die den Ölfluss aus der Region behindern
könnte. Der Irak muss aus der US-amerikanischen Sicht stabilisiert werden, um ein Überschwappen bürgerkriegsänhlicher Zustände
52
112
auf die Nachbarstaaten zu verhindern und die
Gefahr eines Staates mit aggressiver Expansionspolitik zu verhindern. Dies sind die minimalen Anforderungen der USA an den Irak.
Ein starker, wohlhabender und pluralistischer
Staat, der sich mit den USA verbündet, wäre
die Maxime der amerikanischen Hoffnungen
für die Zukunft. Der Schlüssel zum Erfolg dieser Ziele ist die irakische Innenpolitik. Deshalb
konzentrieren sich die USA auf die Beratung
der irakischen Regierung im Bereich der inneren Angelegenheiten. Ein Bürgerkrieg wäre
eine starke Zerreißprobe für die irakische
Innenpolitik. Dennoch bleibt der Einfluss der
USA auf die irakische Innenpolitik marginal.
Ein Beispiel dafür ist die Haltung der irakischen Regierung zu der Krise in Syrien,
wobei al-Maliki trotz Gesprächen mit amerikanischen Offiziellen von seiner pro-Assad
Haltung nicht abrückt.52
IV. Fazit
Die irakische Außenpolitik steht noch in ihrer
Anfangsphase. Aufgrund großer innenpolitischer Probleme ist es der irakischen Regierung noch nicht gelungen, eine klare
außenpolitische Konzeption zu entwickeln.
Allerdings lässt sich schon feststellen, dass
der Irak wirtschaftliche Kooperation mit allen
Partnern sucht und diese in der Außenpolitik
als Priorität gilt. Es lässt sich auch beobachten, dass Premierminister Nouri al-Maliki und
Außenminister Hoshyar Zebari mit großen
Bemühungen versuchen, die Beziehungen zu
ihren Nachbarstaaten auszubauen. Dabei
wollen sie jedoch nicht von ihrer Nähe zu Iran
abrücken, durch das die irakischen Beziehungen zu den arabischen Golfstaaten
weiterhin behindert werden.
Die Annäherung des Iraks an seine Nachbarstaaten lässt sich nach Jahrzehnten der Isolation als positiv bewerten. Die irakische
Regierung will in der Region als ein wichtiger
Kooperationspartner im Bereich der Wirtschaft gelten. Durch das steigende Wirtschaftswachstum und den Erfolgen im
Ölsektor könnte sich der Irak zu einem wichtigen wirtschaftlichen Planer in der Region katapultieren.
Ein großes Hindernis für eine florierende irakische Wirtschaft mit großem Investmentpotential für externe Unternehmen und Staaten
Vgl Juul, Peter: U.S.-Iraq Relations Enter a New Era, in: Center for American Progress, 13. Dezember
2011,.http://www.americanprogress.org/issues/military/news/2011/12/13/10834/u-s-iraq-relations-entera-new-era/, abgerufen am 10.10.12.
Deutsches Orient-Institut
Irak
ist nicht nur die anhaltende prekäre Sicherheitslage, die viele Investoren abschreckt,
sondern auch die anhaltenden Spannungen
zwischen der Zentralregierung al-Malikis in
Bagdad und der Autonomen Region Kurdistan. Sollte nicht bald ein nachhaltiges Abkommen geschlossen werden, könnte dieses
innenpolitische Problem die Beziehungen des
Iraks zu anderen Staaten beeinträchtigen.
Solange keine Lösungen für die innenpolitischen Probleme gefunden werden, wird sich
der Irak weiterhin in seiner außenpolitischen
Starre befinden. Für eine starke politische und
wirtschaftliche Rolle im Nahen und Mittleren
Osten, vor allem in der Golfregion, ist der Irak
nicht zuletzt durch seine geographische Lage,
dem Reichtum an Rohstoffen, sowie historisch und kulturell prädestiniert. Die außenpolitischen Beziehungen des Iraks werden
zukünftig davon abhängen, wie sich die irakische Regierung innnerhalb der heutigen komplexen Welt der arabischen Region
orientieren wird.
Reem Al-Abali
V. Ausgewählte Quellenangaben
JUUL, PETER: U.S.-Iraq Relations Enter a New Era, in: Center for American Progress,
13. Dezember 2011,
http://www.americanprogress.org/issues/military/news/2011/12/13/10834/
u-s-iraq-relations-enter-a-new-era/, abgerufen am 10.10.12.
INTERNATIONAL CRISIS GROUP: Iran in Iraq: How much influence?, Middle East Report N°38,
21. März 2005.
THE WASHINGTON INSTITUTE FOR NEAR EAST POLICY: Iran’s Influence in Iraq, Policy Focus #111,
April 2011.
THE WASHINGTON INSTITUTE FOR NEAR EAST POLICY: With Neighbors Like These – Iraq And The
Arab States on Ist Borders, Policy Focus #70, Juni 2007.
PERTHES, VOLKER: Bewerbung im Mittleren Osten. Internationale Politik und regionale Dynamiken
nach dem Irak-Krieg, SWP-Studie,Berlin 2004.
Deutsches Orient-Institut
113
Vorstand und Kuratorium der Deutschen Orient-Stiftung
Vorstand Deutsche Orient-
Stiftung/Deutsches Orient-Institut
Dr. Gerald Bumharter
General Manager and Representative
of ABC International Bank plc
designierter Vorsitzender
Stellvertretende Vorsitzende des
Vorstandes
Henry Hasselbarth
Vice President North & Central Europe
(a. D.) Emirates Airlines
Dr. Michael Lüders
Islamwissenschaftler
Mitglied des Beirates im NUMOV
Michael Lüders Nahostberatung
Helene Rang
Geschäftsführender Vorstand des
NUMOV
Helene Rang & Partner
Weitere Mitglieder des Vorstandes
His Excellency Ali Bin Harmal
Al Dhaheri
Chairman of the Executive Board of
Governors, Abu Dhabi University
Martin Bay
Deutsche Bahn International (ret.)
Vice Chairman Qatar Railways
Development Co.
Prof. Dr. Christina von Braun
Vorsitzende des Lehrstuhls für Kulturgeschichte und Gender Studies
Humboldt Universität zu Berlin
Kulturwissenschaftliches Seminar
Elke Hoff, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestags
Philipp Lührs
Vice President Middle East
deugro GmbH Katar
Saffet Molvali
Eren Holding A.S.
Dr. Gunter Mulack
Direktor und Mitglied des Vorstandes
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann
Parzinger, Präsident der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz
Bernd Romanski
Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes im NUMOV, Mitglied des Vorstands HOCHTIEF Solutions AG
114
Dr. Gerhard Schäfer
Leiter Wirtschaft und Politik (a. D.)
Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
Prof. Dr. Susanne Schröter
Institut für Anthropologie / ExzellenzCluster
„Herausbildung normativer Ordnungen“
Goethe-Universität Frankfurt
Prof. Dr. Rainer Schwarz
Sprecher der Geschäftsführung
Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH
Kuratorium Deutsche Orient-
Stiftung/Deutsches Orient-Institut
Präsident
Günter Gloser, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestags
Stellvertretender Präsident
Prof. Dr. Mathias Rohe
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Juristische Fakultät
weitere Mitglieder des Kuratoriums
Prof. Dr. Abdul Ghaffar Yousef
Präsident der Kingdom University in
Bahrain
Sheikha Abdulla Al Misnad, Ph.D.
Präsident der Qatar University
Oliver Berben
Geschäftsführer
MOOVIE - the art of entertainment
GmbH
Dr. Ralf Brauksiepe
Parlamentarischer Staatssekretär
Mitglied des Deutschen Bundestages
Peter Brinkmann
Journalist
Jürgen Chrobog
Staatsssekretär a.D.
Vorsitzender des Vorstandes
BMW Stiftung Herbert Quandt
Mitglied im Vorstand NUMOV
Thomas Ellerbeck
Mitglied des Beirates im NUMOV
Direktor Unternehmenskommunikation
und Politik
Prof. Dr. Friedhelm Gehrmann
Steinbeis Universität Berlin
Institut “Global Consulting and
Government”
Stephan Hallmann
ZDF Zweites Deutsches Fernsehen
HR Politik und Zeitgeschehen
Aussenpolitik
Burkhardt Müller-Sönksen, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestags
Prof. Detlef Prinz
Inhaber
PrinzMedien
Dr. Nicolas Christian Raabe
Vorstand NUMOV Juniorenkreis
Gerold Reichle
Leiter der Abteilung Luft- und
Raumfahrt im Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Dr. Gerhard Sabathil
Director East Asia, Australia, Pacific,
European External Service
Member of the Advisory Board of
NUMOV
Prof. Dr. jur. Dr. phil. Peter Scholz
Vizepräsident Amtsgericht Tiergarten
Honorarprofessor der Freien Universität
Berlin
Oltmann Siemens
Repräsentant der Weltbank a.D.
Dr. Max Stadler, MdB
Parlamentarischer Staatssekretär
Wilhelm Staudacher
Staatssekretär a.D.
Dr. Willi Steul
Intendant des Deutschlandradio
Juergen Stotz
Deutsches Nationales Komitee des
Weltenergierates (DNK)
RA Rainer Wietstock
PricewaterhouseCoopers
Aktiengesellschaft
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Deutsches Orient-Institut
Vorstand und Beirat des Nah- und Mittelost-Vereins / NUMOV
Vorstand des Nahund Mittelost-Vereins
NUMOV
Ehrenvorsitzender
Dr. Gerhard Schröder
Bundeskanzler a.D.
Geschäftsführender Vorstand
Helene Rang
Inhaberin
Helene Rang & Partner
Vorsitzender
Bernd Romanski
Member of the Board
Hochtief Solutions AG
Stellvertretende Vorsitzende
Martin Bay
Deutsche Bahn AG ret.
Burkhard Dahmen
Chairman of the Board
SMS Siemag AG
Dr. Martin Herrenknecht
Vorsitzender des Vorstandes
Herrenknecht AG
Dr. Norbert Kloppenburg
Mitglied des Vorstandes
KfW Bankengruppe
Jens-Ove R. Stier
Geschäftsführer
Winterstein-Kontor GmbH
Mitglieder des Vorstandes
Ralf to Baben
Mitglied des Vorstandes
RWE DEA AG
Martin Bachmann
Mitglied des Vorstands
Wintershall Holding AG
Dr. Christoph Beier
Stv. Vorsitzender der Geschäftsführung
GIZ GmbH, Deutsche Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit
Hubert Bock
Managing Director
Misr Bank Europe GmbH
Jürgen Chrobog
Staatssekretär a. D.
Vorsitzender des Vorstandes
BMW Stiftung Herbert Quandt
Hartmut Mehdorn
Vorsitzender des Vorstandes
Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs
KG
Klaus Eberhardt
Vorsitzender des Vorstandes
Rheinmetall AG
Matthias Müller
Vorsitzender des Vorstandes
Porsche AG
Joachim Enenkel
Mitglied des Vorstandes
Bilfinger Berger SE
Günther Mull
Proprietor
Dermalog Identification Systems
Dieter Ernst
IStaatssekretär a.D.
IWC Innovation and Water Consult
Marc Neumann
Managing Director
Ferrostaal Industrieanlagen GmbH
Jürgen Fitschen
Co-Vorsitzender des Vorstandes
Deutsche Bank AG
Dr. Thomas Rupprich
Managing Director
Bayerngas GmbH
Hans-Peter Floren
Mitglied des Vorstandes
OMV AG
Jürgen Sander
Geschäftsführer
VEM Motors GmbH
Michael Glos, MdB
Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie a.D.
Mitglied des Deutschen Bundestags
Maria-Elisabeth Schaeffler
Gesellschafterin
Ina-Holding Schaeffler KG
Gareth Griffiths
Mitglied des Vorstandes
E-ON Ruhrgas AG
Marc Hall
Mitglied des Vorstandes
Wiener Stadtwerke Holding AG
Joachim Hörster, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestages
Elke Hoff, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestags
Walter Lamparter
CEO
SH+E Group
Michael Ludwig
Mitglied des Vorstandes
Verbundnetz Gas AG
Martin Marsmann
Head of International Business
UniCredit Bank AG
Paul Schockemöhle Pferdehaltung
GmbH
Paul Schockemöhle
Inhaber
Werner Schoeltzke
ENTRACON AG
Prof. Dr. Rainer Schwarz
Sprecher der Geschäftsführung
Berliner Flughäfen
Erich Staake
Vorsitzender des Vorstandes
Duisport AG
Niko Warbanoff
Vorsitzender der Geschäftsführung
Deutsche Bahn International GmbH
Ehrenvorstandsmitglied, 1998 2005
Hans-Jürgen Wischnewski †
Bundesminister / Staatsminister a.D.
Deutsches Orient-Institut
115
Vorstand und Beirat des Nah- und Mittelost-Vereins / NUMOV
Beirat des Nah- und
Mittelost-Vereins / NUMOV
Peter Dingens
Botschafter a.D.
Rudolf Dreßler
Botschafter a.D.
Thomas Ellerbeck
Direktor Unternehmenskommunikation und Politik
Vodafone D2 GmbH
Dr. Henryk Frystacki
Siemens AG, a.D.
Wilfried H. Graf
Arab Bank AG, a.D.
Dr. Gabriela Guellil,
Botschafterin
Islamwissenschaftlerin
Dr. Jürgen Hellner
Botschafter a.D.
Near and Middle East Consultant
Herbert Honsowitz
Botschafter a.D.
Wolfgang Kenntemich
Chefredakteur MDR
Dr. Hubert Lang
Botschafter a.D.
Dr. Michael Lüders,
Islamwissechaftler
Michael Lüders Nahostberatung
Dr. Gunter Mulack
Botschafter a.D.
Direktor Deutsches Orient-Institut
116
Bernd Mützelburg
Botschafter a.D.
AAIN – Ambassadors Associates
Interntional Networking GmbH
Dr. Jürgen K. Nehls
Giesecke & Devrient a.D.
Dietmar Ossenberg
Auslandschef der ZDF Redaktion
Zweites Deutsches Fernsehen
Bernhard von der Planitz
Chef des Protokolls a.D.
Auswärtiges Amt
Klaus Rollenhagen
Hauptgeschäftsführer
Verband Beratender Ingenieure
Dr. Gerhard Sabathil
Director East Asia Australia, Pacific,
Eruopean Extgernal Service
Andreas von Stechow
Botschafter a.D.
Arbeitsstab Außenwirtschaftsberatung
Dr. Rainald Steck
Botschafter a.D.
Folkmar Stöcker
Botschafter a.D.
Knut Witschel
Managing Director & Head Near &
Middle East/Africa a.D.
Deutsche Bank AG
Karl Heinz Wittek
Botschaftsrat a.D.
Deutsches Orient-Institut
Impressum
IMPRESSUM
Studie des Deutschen Orient-Instituts
Die Golfstaaten
Das „neue Herz“ des Nahen und Mittleren Ostens?
Die Außenpolitik der arabischen Golfstaaten in der Analyse
Herausgeber:
Deutsches Orient-Institut
Gesamtverantwortlicher Projektleiter
und Chefredakteur:
Sebastian Sons
Redaktionelle Unterstützung:
Samira Akrach
Autoren der Analysen
Einleitung: Sebastian Sons
Saudi-Arabien: Sebastian Sons
Katar: Edgar Zedler
Vereinigte Arabische Emirate: Samira Akrach
Bahrain: Marie Pfister
Kuwait: Linda Berger
Oman: Linda Berger
Irak: Reem Al-Abali
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Erscheinungsdatum: Oktober 2012
Layout und Graphiken:
Nicole Scott
Deutsches Orient-Institut
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