6 Anwendung von Füllstoffen

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6 Anwendung von Füllstoffen
Bedeutung von Füllstoffen in Farben und Lacken
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Anwendung von Füllstoffen
Dieses Kapitel soll dem Anwender von mineralischen Füllstoffen Hilfestellung
bei der Formulierung von Beschichtungssystemen bieten. Die aufgeführten
Beispiele vermitteln einen Eindruck über direkt mit Füllstoffen beeinflussbare
Rezepturparameter, ihre Bedeutung und Interpretation. Darüber hinaus soll dem
Anwender aufgezeigt werden, welche Füllstoffe für welche Eigenschaften und
Anwendungen die beste Eignung aufweisen. Zahlreiche Modell- und Praxisbeispiele komplettieren die Ausführungen zur Anwendung von Füllstoffen.
6.1Bedeutung von Füllstoffen in Farben und
Lacken
In der Vergangenheit wurden Füllstoffe umgangssprachlich häufig als „Dividendenpulver“ bezeichnet. Ihre einzige Funktion bestand darin, den Preis von
Beschichtungsstoffen zu senken. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Die
Anwender von Füllstoffen haben zusätzliche, technische Funktionen entdeckt.
Sicherlich auch deshalb, weil die Füllstoffentwicklung entgegen vielen „Unkenrufen“ nicht stehen geblieben ist. Nach wie vor werden zahlreiche Projekte in
Forschung und Entwicklung vorangetrieben, mit dem Ziel, noch mehr oder verbesserte Funktionen auf Füllstoffe zu addieren, siehe auch Kapitel 7.
Doch bereits die bestehenden, bewährten Füllstoffe haben eine bedeutende Rolle
bei der Formulierung von Farben und Lacken. Einige wichtige technische Eigenschaften können mit Füllstoffen maßgeblich beeinflusst werden:
•
•
•
•
•
•
•
Erhöhung des Feststoffgehalts und Füllvermögens
Reduzierung von flüchtigen organischen Bestandteilen
Verbesserung der optischen Eigenschaften
Regulierung der Reflexion von Beschichtungen
Verbesserung von mechanischen Eigenschaften wie Festigkeit
Verstärkung von Beschichtungsstoffen
Regulierung der Rheologie
Je nach Applikation und Eigenschaftsprofil fällt die richtige Füllstoffwahl nicht
immer einfach. Deshalb wird vielfach auf bewährtes zurückgegriffen. Der Prü-
Detlef Gysau: Füllstoffe
© Copyright 2014 by Vincentz Network, Hanover, Germany
ISBN 978-3-86630-839-8
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fung und Evaluierung von Füllstoffen wird leider nicht immer die gleiche Aufmerksamkeit entgegen gebracht, wie dies bei anderen Rohstoffgruppen der Fall
ist. Häufig wird argumentiert, dass Füllstoffe, mit Ausnahme von Wasser, die
günstigste Rohstoffgruppe in den Rezepturen darstellen und sich eine intensive
und seriöse Prüfung nicht lohne. Deshalb wird oft Bindemitteln, Pigmenten
und Additiven die höhere Priorität gewidmet, obwohl Füllstoffe häufig die am
dominantesten Rohstoffgruppe in Formulierungen, z. B. Innendispersionsfarben, Fassadenfarben, Putze und andere Dickschichtsysteme, Markierungsfarben,
Grundierungen u.a.m. darstellt, siehe auch Kapitel 1.2. Die Füllstoffanteile liegen
häufig bei 30 bis 40 % und können in einigen Anwendungen bis zu 80 % erreichen.
Demzufolge können sie auch dominante, nicht zu unterschätzende Auswirkungen
auf das Gesamteigenschaftsprofil der Beschichtungsstoffe haben.
Die Qualität von natürlichen Füllstoffen hat mittlerweile ein Niveau erreicht,
die den Anwender häufig vergessen lässt, dass es sich dabei um Naturprodukte
handelt. Naturprodukte unterliegen bekanntlich Schwankungen bezüglich ihrer
Zusammensetzung und können somit Auswirkungen auf die Eigenschaften von
Beschichtungsstoffen haben. Die Füllstoffproduzenten sind sich dessen bewusst
und versuchen die Schwankungen durch selektive Abbauverfahren auf ein Minimum zu reduzieren. Doch Schwankungen völlig auszuschließen wäre realitätsfremd, deshalb sei an dieser Stelle einfach nur einmal daran erinnert – Füllstoffe
auf natürlicher Basis unterliegen Schwankungen.
6.2
Wichtige Rezepturparameter
Bei der Verwendung von Füllstoffen gibt es spezielle Rezepturparameter, die
für die Charakterisierung der Beschichtungsstoffe wichtig sind. Mit ihnen wird
eine Klassierung der Beschichtungsstoffe möglich, und das zu erwartende Eigenschaftsprofil lässt sich vorhersagen.
6.2.1 Nichtflüchtige Anteile
Der Begriff nichtflüchtiger Anteil (nfA) wird häufig auch als Festkörper (FK),
Feststoffgehalt (FG) oder Einbrennrückstand beschrieben. Die Definition des
nichtflüchtigen Anteils von Anstrichstoffen, wie auch von Bindemitteln und anderen Rohstoffen, ist in ISO 4618 und dessen Bestimmung in ISO 3252 dokumentiert.
Die analytische Bestimmung des nichtflüchtigen Anteils wird angewendet, wenn
die Zusammensetzung des Materials unbekannt oder aus Qualitätssicherungsgründen von produzierten Materialien notwendig ist. Wichtig für die Resultatsangabe des nichtflüchtigen Anteils sind die Temperatur und die Trocknungsdauer.
Üblicherweise wird die Bestimmung bei 105 °C für 2 h durchgeführt. Die Einwaage des zu bestimmenden Materials wird durch die Masse der Rückwägung
nach der Trocknung dividiert und mit 100 multipliziert, siehe Gleichung 6.1.
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Wichtige Rezepturparameter
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Gleichung 6.1: Berechnung des nicht flüchtigen Anteils mit praktisch bestimmten Werten
nfa =
Rückwaage
Einwaage
· 100 %
Wenn die Zusammensetzung des Materials bekannt ist, beispielsweise von einer
Laborrezeptur für Versuche, dann kann der nichtflüchtige Anteil ohne vorherige
Bestimmung komplett berechnet werden. Voraussetzung ist die Kenntnis über
alle nfA der in der Rezeptur eingesetzten Rohstoffe. In Abbildung 6.1 ist ein
Berechnungsbeispiel einer vereinfachten Modellrezeptur dargestellt. Anhand
der nfA der verwendeten Substanzen und deren Gewichtsanteil in der Rezeptur, können die nfA der Bestandteile in der Rezeptur und kumuliert die nfA
der Rezeptur berechnet werden. Die nichtflüchtigen Anteile der Modellrezeptur
betragen 57,6 %, wovon mehr als zwei Drittel, genau genommen 41 %, durch die
enthaltenen Füllstoffe gebildet werden.
Füllstoffe beeinflussen maßgeblich den nichtflüchtigen Anteil von Anstrichstoffen
und geben ihnen „Fülle“ bzw. Füllkörper. Füllstoffe mit niedrigem Bindemittelbedarf ermöglichen die Reduzierung der flüchtigen Anteile beim Austausch von
Füllstoffen mit hoher Ölzahl. Dadurch lässt sich der Füllstoff- und Feststoffgehalt
erhöhen, ohne die Viskosität zu verändern. Aus ökologischen Gründen wäre ein
sehr hoher nicht flüchtiger Anteil erstrebenswert, doch die Verarbeitungs- und
Gebrauchseigenschaften setzen die Limite nach oben.
Funktion
Substanz
Bindemittel
Styrol-Acrylat-Dispersion
Pigment
Füllstoffe
Gewicht
[kg]
nfA in
Rezeptur [%]
50
160,0
8,0
Titandioxid
100
80,0
8,0
Calciumcarbonat
100
300,0
30,0
Talkum
100
80,0
8,0
Gefälltes Aluminiumsilikat
100
30,0
3,0
33
18,0
0,6
0
332,0
0,0
1.000,0
57,6
Additive
Verdicker, Entschäumer,
Dispergier- und Netzmittel, Konservierungsmittel, etc.
Lösemittel
Wasser
Summe
nfA der
Substanz [%]
Abbildung 6.1: Beispiel für die Berechnung der nicht flüchtigen Anteile eines Dispersionsfarben-Modells
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6.2.2Ergiebigkeit
Unter der Ergiebigkeit nach ISO 4618, Teil 1 versteht man die durchschnittliche
Fläche eines Substrates, die sich mit einem bestimmten Volumen oder Masse
eines Anstrichstoffes abdecken lässt. Das Auftragsverfahren muss unter praktischen Bedingungen in einer Schicht anwendbar sein. Das Resultat der Ergiebigkeit wird entweder in m²/l oder in m²/kg angegeben. Die Ergiebigkeit wird häufig
im Zusammenhang mit dem Deckvermögen des Anstrichstoffes betrachtet. So
ist beispielsweise in der EN 13 300 die Klassifizierung von Anstrichstoffen nach
optischen und mechanischen Eigenschaften beschrieben. In der Praxis wird
das Deckvermögen als Kontrastverhältnis bei unterschiedlich applizierter Filmschichtdicke bestimmt und nach der Trocknung das Flächengewicht ermittelt.
Unter Einbezug von nichtflüchtigem Anteil und Dichte des Anstrichstoffes, kann
dann auf die Ergiebigkeit umgerechnet werden. Somit kann die Ergiebigkeit gegen
das Kontrastverhältnis aufgetragen werden und im Beispiel von Abbildung 6.2
durch Interpolation das Kontrastverhältnis von verschiedenen Farben bei einer
Ergiebigkeit von 7,5 m²/l miteinander verglichen werden [1].
Der Füllstoffgehalt in pigmentierten Anstrichstoffen kann die Ergiebigkeit deutlich beeinflussen. Mit höherem Füllstoffgehalt, nimmt der Feststoffgehalt und
in der Regel auch automatisch die Ergiebigkeit zu. Ein niedriger Füllstoffgehalt
100
Klasse 1
Kontrastverhältnis [%]
99
Klasse 2
98
Anstrichstoff 1
Anstrichstoff 2
Anstrichstoff 3
97
96
Klasse 3
95
Klasse 4
94
0
2
4
6
8
10
12
Ergiebigkeit [m²/l]
Abbildung 6.2: Beispiel für den Zusammenhang von Ergiebigkeit und Kontrastverhältnis
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führt bei pigmentierten Systemen zu geringerer Ergiebigkeit. Diese Feststellungen gelten allerdings nur bei vergleichbarem Pigmentgehalt. Eine Änderung der
Pigmentierungshöhe hat auch eine veränderte Ergiebigkeit zur Folge. Genauso
stellen sich Veränderungen in der Ergiebigkeit ausgedrückt als Fläche per Volumen ein, wenn Füllstoffe mit anderer Dichte verwendet werden. Füllstoffe mit
hoher Dichte führen zu einer Reduzierung der Volumen-Ergiebigkeit gegenüber
leichten Füllstoffen und damit zu einem höheren Verbrauch.
6.2.3Pigment-Volumen-Konzentration
Die Kennzahl der Pigment-Volumen-Konzentration (PVK) ist eine der wichtigsten Angaben für Farben und Lacke. Mit der PVK und einigen anderen Kennzahlen lassen sich sehr viele Zusammenhänge zwischen der Zusammensetzung von
Anstrichsystemen und ihren Eigenschaften vorhersagen. Sie eignet sich ebenso
gut zur Charakterisierung bzw. Klassierung von Farben und Lacken. Die PVK
ist gemäß ISO 4618, Teil 1 das Verhältnis des Pigment- und Füllstoff-Volumens
im Anstrichfilm zum Gesamtvolumen an nichtflüchtigen Anteilen. Das heißt
auch, dass das Bindemittel in seiner festen Form und nicht in seiner Lieferform
berücksichtigt wird. In Gleichung 6.2 ist die Definition der PVK in mathematischer Form ausgedrückt.
Gleichung 6.2: Definition der Pigment-Volumen-Konzentration (PVK)
PVK % =
∑
∑V
Pigmente
∑
VPigmente +
∑V
+
Füllstoffe
∑
VFüllstoffe +
VBindemittel
·100 =
∑V
Pigmente
∑
∑V
+
VGesamt
Füllstoffe
·100
Zur Veranschaulichung der Theorie folgt ein Beispiel zur Berechnung der PVK,
basierend auf den Angaben in Abbildung 6.1. Für die Berechnung der PVK
werden die einzelnen Rohstoffbestandteile und ihre eingesetzten Massen, nichtflüchtiger Anteil und Dichte benötigt. Die Umrechnung des Massenanteils eines
Rohstoffes in sein Volumen geschieht durch Division der Masse mit der Dichte,
siehe Gleichung 6.3.
Gleichung 6.3: Gleichung zur Umrechnung des Massenanteils eines Rohstoffes in seinen
Volumenanteil
ρ
kg
l
=
m
v
⇒ V [ l] =
m
ρ
Das Beispiel in Abbildung 6.3 zeigt für alle aufgeführten Rohstoffe die Angaben
wie nfA des Rohstoffs, Masseanteil des Rohstoffs in Lieferform, Masseanteil des
Rohstoffs als nfA und Dichte. In der letzten Spalte ist das berechnete Volumen
des jeweiligen Rohstoffs ausgewiesen.
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Substanz
Styrol-Acrylat-Dispersion
nfA der
Substanz
[%]
Gewicht
[kg]
nfA in
Gewicht
[kg]
Dichte
Volumen
[kg/l]
[l]
50
160,0
80,0
1,05
Titandioxid
100
80,0
80,0
4,00
76,2
20,0
Calciumcarbonat
100
300,0
300,0
2,70
111,1
Talkum
100
80,0
80,0
2,75
29,1
Gefälltes Aluminiumsilikat
100
30,0
30,0
2,10
14,3
Verdicker, Entschäumer,
Dispergier- und Netzmittel,
Konservierungsmittel, etc.
33
18,0
6,0
0
332,0
0,0
1.000,0
57,6
Wasser
Summe
wird vernachlässigt
1,00
0,0
250,7
Abbildung 6.3: Beispiel für die Berechnung des Volumens der einzelnen Rohstoffe eines
Dispersionsfarben-Modells
Nach der Berechnung der Volumenanteile der Rohstoffe kann die Berechnung
der PVK in Gleichung 6.4 erfolgen. Die eingesetzten Volumina führen zur PVK
von 69,6 %.
Gleichung 6.4: Berechnung der PVK einer Modell-Dispersionsfarbe anhand der aus
Abbildung 6.3 gelieferten Daten
PVK =
(20,0 + 154,5) [l ]
(20,0 + 154,5 + 76,2) [l ]
· 100 % =
174,5 [l]
250,7 [l ]
· 100 % = 69,6 %
Die Angabe der PVK ist, wie schon erwähnt, sehr wichtig, doch für eine sehr
aussagekräftige Interpretation sind noch ergänzende Kennzahlen, wie zum Beispiel die kritische Pigment-Volumen-Konzentration (KPVK), wichtig [2]. Wird die
PVK und KPVK in Relation gebracht, können qualitative Aussagen zu Beschichtungsstoffen und ihren Eigenschaften getätigt werden, siehe auch Kapitel 6.2.4
bis 6.2.6.
Die PVK wird, wie in Gleichung 6.2 und dem aufgeführten Beispiel ersichtlich,
zu großem Anteil durch die verwendeten Füllstoffe und Füllstoffmengen beeinflusst. Die Auswirkungen bei einem Wechsel des mineralischen Füllstoffes in
Beschichtungsstoffen können bei Nichtbeachtung seiner Dichte erheblich sein,
siehe Kapitel 6.4.1.
6.2.4 Kritische Pigment-Volumen-Konzentration
Analog zur PVK ist die kritische Pigment-Volumen-Konzentration (KPVK) im
Teil 1 der ISO 4618 aufgeführt. Die KPVK ist als ein bestimmter Wert der PVK definiert, bei welchem die Hohlräume zwischen sich berührenden Feststoffpartikeln,
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