Technik fürs Leben erfinden Forschung und Entwicklung im Rückblick
Transcription
Technik fürs Leben erfinden Forschung und Entwicklung im Rückblick
Herausgeber: Robert Bosch GmbH Historische Kommunikation (C/CCH) Postfach 30 02 20 70442 Stuttgart Telefon +49 711 811-44156 Leitung: Dr. Kathrin Fastnacht Technik fürs Leben erfinden Forschung und Entwicklung im Rückblick Gesamte Leitung: Unternehmenskommunikation, Markenmanagement und Nachhaltigkeit Leiterin: Uta-Micaela Dürig Im Internet: geschichte.bosch.com Weitere Exemplare dieser Broschüre können per E-Mail angefordert werden: bosch@infoscan-sinsheim.de © Januar 2014 Magazin zur Bosch-Geschichte Sonderheft 4 2 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 3 Vorwort Titelbild: Forscher mit Atommodell, 1964. Der Wettlauf um innovative und nutzbringende Produkte erforderte bereits vor 50 Jahren mehr Grundlagenforschung. Als Erfinder sah sich der junge Robert Bosch nie – dafür suchte er sich die richtigen Leute. Der Erste unter ihnen war Bosch-Meister Arnold Zähringer. Er entwickelte die Magnetzündung für Automobile weiter, so dass endlich ein zuverlässiges Zündsystem für die junge Autoindustrie verfügbar wurde. Vier Jahre später stellte Robert Bosch seinen ersten Entwicklungsleiter ein: Gottlob Honold. Er war nicht nur der Vater der millionenfach verkauften Hochspannungsmagnetzündung mit Zündkerze von 1902. Honold brachte auch zahllose Innovationen zur Serienreife, etwa die elektrische Fahrzeugbeleuchtung und den Anlasser. Diese Erzeugnisse machten Bosch zu einem internationalen Großunternehmen. Dass Forschung und Entwicklung wichtig sind, hatte also schon der Unternehmensgründer erkannt – und es hatte sich ausgezahlt. Nachdem sich Forschung und Entwicklung jahrzehntelang kontinuierlich weiterentwickelt hatten, änderte sich Vieles grundlegend, als Bosch Anfang der 1960er Jahre in Geschäftsbereiche aufgeteilt wurde – das blieb bei Bosch bis heute ein Erfolgsmodell: Forschung und Vorausentwicklung wurden zum bereichsübergreifenden Ressort der Unternehmenszentrale, die Produktentwicklung hingegen ging jeweils in die Verantwortung des zuständigen Geschäftsbereichs über. Das bedeutet für uns auch heute mehr Freiheit für die Forschung und mehr Kundenorientierung bei der Produktentwicklung. Inhalt Danksagung Siegfried Bellon Erich Bittner Friedrich Boecking Karl-Ernst Boeters Siegfried Dais Klaus Dieterich Peter Egelhaaf Heinz Eschrich Stefan Ferber Udo-Martin Gomez Wolf-Dieter Haecker Martin Hieber Otto Holzinger Matthias Küsell Franz Lärmer Elke Lautenschlager Rainer Leunig Karl-Heinz Matt Jiri Marek Karl Nagel † Peter Pfeffer Otmar Pilsak Hermann Scholl Günter Schmied Erika Schmidt Peter Schnäbele Peter Schweizer Gert Siegle Andrea Urban Anton van Zanten Jürgen Zechmann Gotthold Zielasek 4 Tüfteln im Hinterhof Die Anfänge in der Werkstatt 1886 bis 1900 10 Honolds „Klause“ Erste Schritte 1901 bis 1925 16 Andere Eisen ins Feuer Neue Produktbereiche 1926 bis 1932 24 Schwere Zeiten Im Zeichen der Diktatur 1933 bis 1945 30 Aufbruch ins Unbekannte Von Notprodukten zur Elektronikentwicklung 1946 bis 1964 38 Auf festen Grund gestellt Neuorganisation 1965 bis 1982 Heute sind es rund 42 000 hoch spezialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in weltweiter Zusammenarbeit nach Ideen suchen und in 46 Für jeden Markt entwickelt begeisternde Produkte, Geschäftsmodelle und Dienstleistungen umsetzen. Sie gestalten damit „Technik fürs Leben“, das Leitmotiv unseres unternehmerischen Handelns, das uns bei Bosch verbindet und zu besonderen Leistungen anspornt. Forschen und Entwickeln erhält so einen höheren, über das rein Wirtschaftliche hinausgehenden Sinn. Mit Herz und Leiden- Autor: Dietrich Kuhlgatz, mit Textbeiträgen von Christine Siegel Wegweisende Innovationen und Globalisierung 1983 bis 2005 58 Bosch auf dem Weg ins Web 3.0 schaft, mit „passion for engineering“ verfolgen wir unsere Ziele und schaffen Energieeffizienz und Vernetzung so immer wieder Meilensteine in der Technikgeschichte. Diesen spannenden 2006 bis 2013 Weg beschreibt dieses Sonderheft. Viel Vergnügen bei der Lektüre. 66 Ausblick Volkmar Denner Vorsitzender der Geschäftsführung 68 Forscher und Entwickler im Porträt 4 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Tüfteln im Hinterhof Die Anfänge in der Werkstatt 1886 bis 1900 Forschung und Entwicklung | 5 Bild links: Der Hof von Robert Boschs Werkstatt 1897 Bild rechts: In der Anfangszeit stellte Bosch so ziemlich alles her, was sein Geschäft über Wasser hielt. Jeder fängt einmal klein an. Auch bei junge Unternehmer ein Perfektionist: Robert Bosch war das im November 1886 Konstruktionen, die er auf Kundenwunsch nicht anders. Mit einem Meister und einem nachbaute, stellten ihn oft nicht zufrieden. Laufburschen war die „Werkstätte für Fein- Also nahm er diese Konstruktionen gründ- mechanik und Elektrotechnik“ eine über- lich unter die Lupe, um sie zu verbessern. schaubare Sache in einem Stuttgarter Prominentes Beispiel ist die später so Hinterhof. Was wir heute Forschung und wichtige Magnetzündung, 1887 erstmals auf Entwicklung nennen, war damals schwerlich Kundenwunsch von Bosch für den Einsatz vorstellbar. Bosch hatte zu diesem Zeit- an einem Stationärmotor nachgebaut. Hier punkt kein eigenes Produktportfolio, also optimierte er die Konstruktion, indem er die auch keinen Ausgangspunkt für Forschung bisher üblichen, über die Kante gebogenen und Entwicklung. Wirtschaftlich war es, so Magnete durch Hufeisenmagnete ersetzte. wird er es später formulieren, „ein böses Das machte die Zündapparate robuster und Gewürge“, und er hielt sich durch Einzelauf- langlebiger. Der Kern der heutigen Innovati- träge über Wasser. onskultur, zu der auch die kreative Aufgabe der ständigen Verbesserung gehört, ist also Fachmännische Prüfung schon zu diesem frühen Zeitpunkt erkenn- Robert Bosch konnte anfänglich bei der bar. Akquise seiner Aufträge nicht sonderlich wählerisch sein. Er baute und reparierte, Kein Erfinder was er an Aufträgen bekam. Eine Werbe- Ein klassischer Erfinder-Unternehmer wie anzeige aus dem Jahr 1887 veranschaulicht Hugo Junkers oder Werner Siemens war sein Angebot: „Telephone, Haustelegraphen. Robert Bosch nicht. Er sagte dazu später Fachmännische Prüfung und Anlegung von einmal: „Man kann mir nachsagen, ich sei Blitzableitern. Anlegung und Reparatur gar kein Erfinder, und ich mache auch gar elektrischer Apparate sowie aller Arbeiten keinen Anspruch auf diesen Titel.“ Bosch der Feinmechanik.“ Gleichzeitig war der stellte klar, dass er den Erfolg seinem unter- 6 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 7 nehmerischen Geschick zu verdanken habe: zu finden, die den wichtigen Innovationen „Aber ich bin der Mann, der es fertigge- des Unternehmens den Weg bahnten sollten bracht hat, durch Ausdauer, durch gutes – das setzte Menschenkenntnis voraus. Beispiel und durch richtige Behandlung Robert Bosch hatte die Gabe, die richtigen meiner Mitarbeiter einen Betrieb aufzu- Mitstreiter auszusuchen. Benz-Rennwagen mit Fahrer Camille Jenatzy, 1903. Die ersten Rennwagen waren mit BoschZündapparaten ausgestattet und somit gleichsam Dauertesteinrichtungen. bauen, der einen guten Namen hat in der ganzen Welt.“ Und er fügte hinzu: „Ich Sein Meister Arnold Zähringer ist nur ein verdanke nicht einen geringen Teil meines Beispiel dafür. Auf ihn geht das erste Patent Erfolges meiner ausdauernden Gründlich- zurück, das am 11. Juni 1897 für die Firma keit, die verhütete, dass etwas Schlechtes angemeldet wurde. Dieses Patent, eine aus meiner Werkstatt hinausging.“ Zunächst „pendelnde Hülse“ für magnetelektrische aber sollte nichts „Schlechtes“ in die Werk- Zündapparate, ermöglichte die Zündung statt hineinkommen, und dass galt von auch bei den schnell drehenden Automobil- Anfang an insbesondere für das Personal. motoren. Mit ihr begann die Forschung und Denn die Erfinder, Entwickler und Forscher Entwicklung bei Bosch. Mit dem ersten Patent 1897 schützte Bosch eine neue Konstruktionsweise, die es möglich machte, Magnetzündapparate für Automobile zu bauen. Hergestellt wurden sie in Einzelfertigung. Das erste Patent und seine Vorgeschichte Entwicklung von Erzeugnissen. Robert Der Impuls für den Einsatz der Magnetzün- Bosch, bis dahin Eigentümer, Mechaniker dung im Automobil, Geburtsstunde für und Buchhalter in Personalunion, gab Kon- Bosch als Automobilzulieferer, kam aller- struktionsaufgaben an kreative Köpfe im dings von außen. Schon 1894 hatte die kleinen Unternehmen weiter. Thüringische Motorenfabrik in Neustadt an der Orla Magnetzündapparate für Motor- Den Beginn des kommerziellen Erfolgs fahrzeuge geordert, die allerdings noch markierte dabei ein Auftrag an Bosch im nicht für die angestrebten hohen Drehzah- Herbst 1897, die im Juni patentierte Zün- len in Automobilen von mehr als etwa 1 000 dung an einem Großserien-Motordreirad zu Umdrehungen pro Minute ausgelegt waren. erproben. Bosch wollte einen Lieferab- 1896 war es dann der Augsburger Motor- schluss für die Zündung, und daher bat er radkonstrukteur Ludwig Rüb, der mit der um Lieferung des Dreirads an seine Werk- Bitte um die konstruktive Änderung des statt, um die Zündung bestmöglich an das Magnetzünders an Bosch herantrat, um das Dreirad anpassen zu können. Robert Bosch System den Anforderungen hoher Drehzah- und Arnold Zähringer, die beide noch nie len anzupassen. Das Resultat war die Kon- ein Motorfahrzeug gefahren hatten, zöger- struktion einer leichten Metallhülse um den ten, wie ein Mitarbeiter rückblickend schweren Zündanker, die man zur Span- schreibt: „Niemand zeigte Lust, sich dem nungserzeugung statt des Ankers pendeln erstaunlich schnellen Vehikel anzuver- ließ – Kern des Patents vom Juni 1897. trauen, bis sich der neunzehnjährige Lehrling Max Rall erbot, das Wagnis zu beste- Die Firma wuchs von da an schnell, und die hen. Er machte im Hof die ersten Fahr- Prozesse wurden zunehmend in Arbeitstei- versuche, wobei ihm die Weinfässer des lung organisiert – das galt auch für die Hausbesitzers Hirsch als Puffer dienten.“ 8 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 9 Fahrversuche und Weinfässer im Hinterhof: Die ersten Anwendungstests Zu Forschung und Entwicklung gehört Erprobung – das war bei Bosch schon vor über 100 Jahren so. „Was im Zimmer ging, war lange noch nichts für die Landstraße“, betonte Robert Bosch im Rückblick. Briefe von ihm aus dem Winter 1897 zeigen die Erfolge und Schwierigkeiten mit der Magnetzündung: 27.11.1897: „Ich werde nun den (Magnetzündungs-)Apparat für diese Zeit richten, und hoffen, dass ich Ihnen in den nächsten 8-10 Tagen Bestimmtes sagen kann. Geht es auf das erstemal glatt, so wird das Rad bis dorthin fertig sein, bekomme ich Anstände, so wird es mir wohl immerhin in 14 Tagen gelingen, die Sache in Stand zu bringen. (…) Sie werden von mir unter allen Umständen eine Einrichtung bekommen, an die in Bezug auf Betriebssicherheit die jetzige entfernt nicht herankann. Ich bitte Sie nur: Haben Sie Geduld. Versuche lassen sich nicht beliebig beschleunigen! Sie wissen das ja wohl aus Erfahrung.“ 15.12.1897: „Die Zündung ist nun so, dass sie ebensowohl bei 500 als bei 300 minütlichen Zündungen sicher arbeitet. Auch mache ich die Einrichtung so, dass Sie den Zeitpunkt der Zündung verstellen können. Sie werden also eine Zündung bekommen, die nicht nur alles das mit Sicherheit dauernd leisten wird, was Ihre bisherige Zündung leistete, sondern die auch in Bezug auf Feuchtigkeit viel weniger empfindlich ist als ihre bisherige, und die vor allem nicht geladen zu werden braucht, wie Ihre AkkumulatorenZündung. Ich bitte Sie, sich noch solange zu gedulden, bis ich die Zündung hinreichend praktisch probiert habe, Sie werden nachher umso leichter mit derselben arbeiten.“ 1896 war die Bosch-Welt noch klein. Betriebsausflug zur Feier des tausendsten Magnetzünders mit Robert Bosch (Mitte) Misstrauen weicht Überzeugung erfuhr von der Fahrt erst drei Monate Es sollte noch ein wenig dauern, bis die später durch einen Zufall. Am Ende war Bosch-Zündung erstmals verkauft wurde. es der einflussreiche Daimler-Exporteur Gottlieb Daimler, der erste Abnehmer des Emil Jellinek, der die Bosch-Zündung kom- bei 600 in der Minute ohne eine Zündung auszulassen. Geräusch ist keines vorhanden. serienmäßig hergestellten Zündapparates merziell nach vorn brachte. Jellinek, nach Teile, die sich rasch abnützen oder die dem Brechen ausgesetzt sind, gibt es ebenfalls nicht, im Frühjahr 1898, war zunächst skeptisch dessen Tochter 1902 der Daimler Simplex- ebensowenig ist der Apparat empfindlich gegen Nässe, in einer Weise, daß es Schwierig- gegenüber der Bosch-Zündung. Er wollte Wagen auf den Namen „Mercedes“ getauft keiten machen würde, mit demselben bei Regenwetter zu fahren.“ lieber seine selbst konstruierte Glührohr- wurde, setzte auf Sicherheit und Zuverläs- zündung verbauen, auch wenn sie unzuver- sigkeit und verlangte die Bosch-Zündung lässig und feuergefährlich war. Dennoch für jeden von ihm verkauften Wagen. Damit gab er dem neuen System von Bosch eine katapultierte er die Verkaufszahlen von Chance: Er ließ einen Magnetzünder in Bosch nach oben. So gut die Resultate der einen Wagen einbauen und fuhr durch die teilweise mühsamen Entwicklungsarbeit über 300 Kilometer entfernten Tiroler Alpen Boschs an der Zündung auch waren – sie Alpen und zurück. Die Zündung überzeugte brauchten auch durchsetzungsfähige Für- Daimler schließlich. Robert Bosch indes sprecher. 21.12.1897: „Die Zündung geht noch bei 100 minütlichen Zündungen, wie auch 10 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 11 Honolds „Klause“ Erste Schritte 1901 bis 1925 Bis 1900 war Boschs kleines Unternehmen verbessern, dass sie das störanfällige, aber nach Aufschwüngen und Einbrüchen allmäh- unverzichtbare Abreißgestänge zur Aus- lich auf 37 Mitarbeiter gewachsen. Im Jahr lösung des Zündfunkens nicht mehr be- darauf ließ er seine erste Fabrik bauen, die nötigte. Als Honold das Ergebnis wenige Platz für 200 Arbeiter bot und in moderns- Monate später präsentierte, zeigte sich der ter Stahlbetonbauweise mit Belüftungs- sonst eher zurückhaltende Robert Bosch system und großen Fensterflächen ausge- begeistert: „Da haben Sie den Vogel abge- führt war. Eine Forschungs- oder Ent- schossen!“ In der Tat war etwas völlig wicklungsabteilung war darin noch nicht Neues entstanden. Und was beide nicht vorgesehen. Bosch war bescheiden und wissen konnten: Das neue Zündsystem, die kalkulierte vorsichtig: So rechnete er allen- Hochspannungsmagnetzündung mit Zünd- falls mit 100 Mitarbeitern in den kommen- kerze war im Gegensatz zum Vorgänger dau- den Jahren und erwog sogar, einzelne erhaft geeignet, die immer höheren Dreh- Etagen des Gebäudes zu vermieten. Diese zahlen zu bewältigen. Die „Magnetelek- Vorsicht war unbegründet. Schon 1904 trische Zündvorrichtung für Explosions- hatte Robert Bosch 200, 1908 bereits kraftmaschinen“ wurde am 7. Januar 1902 1 000 Mitarbeiter. Dieses schnelle Wachs- patentiert. Bis dahin hatte Bosch insgesamt tum hatte er der Hochspannungsmagnet- gut 10 000 Magnetzünder der alten Bau- zündung für Automobile zu verdanken – ent- weise hergestellt. Von Honolds Hochspan- wickelt von Gottlob Honold, seinem ersten nungszündung verkaufte Bosch in den Chefingenieur. nächsten zehn Jahren bereits fast eine Million Stück. Daran lässt sich die Trag- „Den Vogel abgeschossen“ weite dieser Entwicklungsleistung für 1901 hatte Honold die Aufgabe bekommen, den raschen Aufstieg zum international die Niederspannungsmagnetzündung so zu agierenden Unternehmen erkennen. Bild ganz links: Dauerprüfung von Magnetzündern für Automobile in der ersten Fabrik, 1906 Bild links oben: Patent der Hochspannungsmagnetzündung 1902, dem „Meisterstück“ Gottlob Honolds Bild rechts oben: Licht und Anlasser, 1913 und 1914 auf den Markt gebracht, machten Bosch zum Pionier der Automobilelektrik. 12 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 13 leitete Krauss die Versuchswerkstätten, die Honold von zahlreichen anderen Entwick- sich nach 1902 aus einem kleinen Zeichen- lern, die kontinuierlich neue Produkte büro und einem Laboratorium entwickelt ersannen. Dazu gehörten der Physiker hatten. Die Versuchswerkstätten etablierten August Kazenmaier, Leiter des Laboratori- sich als Bindeglied zwischen Entwicklung ums, und der Ingenieur Hermann Steinhart, und Fertigung. Hier musste sichergestellt Leiter der Konstruktionsabteilung und werden, dass die Neukonstruktionen sich in späterer Vater des ersten Bosch-Elektro- all ihren technischen Details für eine profi- werkzeugs, das er im Jahr 1928 zur Serien- table Serienfertigung eigneten. reife brachte. Eine wesentliche Triebfeder für die Entwicklung von Licht und Anlasser Weit ihrer Zeit voraus waren die ersten Experimente, die Boschs Forscher und Entwickler im Bereich der Benzineinspritzung im Jahre 1912 starteten. Erster Entwicklungschef im Unternehmen Materialien für Zündkerzen zu entwickeln, Gottlob Honold ist im Rückblick der erste damit diese perfekt die gefährliche Hoch- Forscher und Entwickler des Unterneh- spannung nach außen isolierten und gleich- mens. Die „Elektrotechnische Fabrik Robert zeitig den enormen Temperaturen des Bosch“ brauchte nicht nur das kreative Verbrennungsraumes standhielten. Geschick von Handwerkern und Mechani- Bis 1909 war das Technische Büro bereits kern. Sie benötigte auch Fachleute, die auf 60 Mitarbeiter angewachsen, bis 1917 neueste Kenntnisse in Natur- und Ingeni- auf rund 100. Schon 1913 hatte sich eurswissenschaften in die Praxis umsetzen Honold, mittlerweile zum technischen konnten. Das konnte Honold hervorragend, Direktor aufgestiegen, für seine wachsende und nach ihm viele andere. Robert Boschs Forschungs- und Entwicklungsabteilung ein Biograf Theodor Heuss bezeichnet Honolds ganzes Stockwerk eines Fabrikneubaus ersten Arbeitsort als Rückzugsort – gera- reservieren lassen. dezu als eine „Klause“. Diese wich jedoch allmählich immer großzügigeren Arbeitsbe- Handwerk als Bindeglied dingungen. Wie wichtig Innovationen waren, Ebenso wichtig wie die Erforschung und zeigte sich spätestens nach dem Markter- Entwicklung einer Idee war die handwerkli- folg des neuen Produkts. Schon 1903 lei- che Umsetzung. Mit dem Mechanikermeis- tete Gottlob Honold das Technische Büro ter Adolf Krauss fand Honold einen idealen mit fünf Mitarbeitern. Es befasste sich mit Partner für die handwerkliche Umsetzung allen Aufgaben von den ersten Entwurfs- seiner Ideen. Krauss war 1898 zu Bosch zeichnungen bis zur Fertigungsvorberei- gekommen. Er baute zahlreiche Prototypen tung. Dazu gehörte auch der Beginn der von Hochspannungsmagnetzündern, die späteren Materialforschung: Honold und sich durch das Wechselspiel von Erprobung seinen Mitarbeitern musste es beispiels- und technischer Verbesserung Schritt für weise gelingen, die richtigen keramischen Schritt der Serienreife annäherten. Später Rezepte gegen die „Eintagsfliege“ war die lange Zeit starke Abhängigkeit In den Jahren bis zu seinem frühen Tod am Boschs von der Magnetzündung. Die Inge- 17. März 1923 prägte Honold die Entwick- nieure waren nun gefragt, weitere Erzeug- lungsarbeit bei Bosch. Seine Idee war die nisse auf die Straße zu bringen. Robert elektrische Fahrzeugbeleuchtung mit bord- Bosch hatte gefürchtet, seine Mitarbeiter eigener Stromversorgung, das „Bosch- nicht mehr beschäftigen zu können, sollte Licht“ (1913), der Bosch-Anlasser (1914), sich die Magnetzündung aufgrund techni- aber auch die heutige Bildmarke des Unter- scher Fortschritte irgendwann als unzeit- nehmens, der „Anker im Kreis“, den er im gemäß oder gar überflüssig, als „Eintags- November 1918 entwarf. Das zeigt die fliege“ erweisen, wie er es selbst formu- Vielfalt seiner Begabung. Unterstützt wurde lierte. Der Generator sorgte für die Stromversorgung im Auto. Damit war der Weg frei für weitere Innovationen wie den elektrischen Scheibenwischer. Hier eine Werbeanzeige von 1926 14 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 15 Im Dauerlauf: Produkterprobung unter Alltagsbedingungen leitung“ und damit alle Forschungs- und sein, wenn wir einen gesunden Gedanken Entwicklungsabteilungen übernahm, kamen der Konkurrenz in eigener Prägung auch an beispielsweise Scheibenwischer (1926) und den Bosch-Erzeugnissen zur Verwirklichung Fahrtrichtungsanzeiger, die sogenannten bringen.“ „Winker“ (1928) auf den Markt. Der Winker war der Vorgänger des heutigen Blinkers am Kühle Köpfe Auto. Honold und seine Nachfolger zeichne- Robert Bosch zog sich in dieser Zeit aus ten sich dadurch aus, Trends zu erkennen dem aktiven Geschäft zurück, was ihn und aus bereits verfügbaren Ideen oder jedoch nicht hinderte, immer noch durch Basistechnologien ein neuartiges Produkt Stippvisiten an der Entwicklungsarbeit zu schaffen, das Bosch-Qualität bot. Dazu teilzuhaben. Und er hatte seine ganz eige- Vor 100 Jahren gab es noch keine eigenen Teststrecken am Polarkreis für den Wintertest mussten sie sich natürlich auch ein Bild nen Vorstellungen, die Kreativität der Erfin- wie heute. Daher unternahmen die Bosch-Direktoren höchstpersönlich im deutschen vom Standard der Konkurrenzprodukte der zu fördern: „Wenn Robert Bosch sich Winter die Testfahrten, zum Beispiel in den Schwarzwald. In seinen Erinnerungen schreibt machen. So veranlasste der Vorstand am bei meinem Vater nach dem Stand der Entwickler Hermann Steinhart: „Zwischen Weihnachten und Neujahr 1913/14 mussten wir 22. Juni 1923 die Gründung einer „Kon- Entwicklung neuer Scheinwerfer erkun- einige Sechs-Tage-Versuchfahrten mit drei Wagen unternehmen, hauptsächlich lange struktions-Beratung“. Dahinter stand die digte,“ so die Tochter des Entwicklers Karl Nachtfahrten. Die Herren Honold und Klein hatten ihre eigenen Wagen zur Verfügung Sorge, dass Wettbewerber technologisch Kleinert, „schaute er auch immer auf das gestellt.“ Mit dem einzigen Bosch-Firmenwagen, einem Napier, waren es drei mit aufholten und vielfach preiswerter anboten. Zimmerthermometer. Einmal aus Sparsam- Mechanikern und Ingenieuren in Winterkluft vollbesetzte Wagen. Man fuhr am Rhein Die Aufgabe der neuen Abteilung war es keit, zum anderen, dass die Mitarbeiter bis Köln, durch den Harz, durchs Fichtelgebirge, den bayrischen Wald und schließlich daher, die Konkurrenzprodukte genau zu geistig frisch bleiben, durfte das Thermo- über Nürnberg wieder zurück nach Stuttgart. Der Bericht schildert die kalten Fakten studieren, um unter Umständen Erkennt- meter nie mehr als achtzehn Grad anzei- der Fahrt: Im Fichtelgebirge „trafen wir große Schneemassen an. Nur einer unserer Wagen nisse für die eigene Produktion nutzen zu gen.“ Dass Kleinert das Thermometer mani- war mit Schneeketten versehen, so dass wir an den anderen die Reifen mit Seilstücken können. In einem internen Schreiben heißt puliert hatte – es zeigte drei Grad zu wenig umbinden mussten, um überhaupt voranzukommen.“ Und damit nicht genug: Alle Wagen es dazu ganz offen: „Es ist keine Schande, an – ahnte Bosch wohl, als er gegenüber waren offen – und die Insassen dem Wetter vollends ausgesetzt. von dem Gegner zu lernen. Wir werden uns Kleinert anmerkte: „Merkwürdig, mir kommt zwar davor zu hüten wissen, fremde Kon- es in Ihrem Büro immer etwas wärmer vor. struktionen einfach nachzumachen, doch Mag wohl die Ausstrahlung Ihrer geistigen wird es unserer Sache manchmal förderlich Arbeit sein.“ Das Kraftwerk an Bord erlaubte, früher auf dem Plan zu erschei- Autos waren nicht mehr die „Spielzeuge“ nen“. Bosch-Innovationen überzeugten weniger reicher Automobilisten. Vielmehr durch ihre Serientauglichkeit, und dazu ließ lösten sie das Pferdegespann als Lieferwa- Bosch die „Erfinderehre“ durchaus anderen. gen und die Kutsche als Reisegefährt ab – Entscheidend war hier wie oft etwas ganz zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter. anderes: Das „Bosch-Licht“ war das erste Für den alltäglichen Gebrauch wurden neue alltagstaugliche elektrisch betriebene Produkte notwendig. Um beispielsweise System mit Stromverbrauchern im Auto. Nachtfahrten sicherer zu machen, ent- Es wurde durch seine Kombination von wickelten Honolds Spezialisten ab 1910 autarker Stromerzeugung im Generator und das „Bosch-Licht“ – ein elektrisches Be- Speicherung des Stroms in der Batterie die leuchtungssystem, das aus Scheinwerfern, Basis und das Vorbild der heutigen Bord- Generator und Batterie bestand. Es ging netze im Auto. dem Unternehmer Bosch, wie so oft später auch, dabei nicht um die „Erfindung“. Die Die neue Vielfalt Idee der elektrischen Fahrzeugbeleuchtung Auf der Stromversorgung des Bosch-Lichts war schon vorher bekannt. Robert Bosch bauten zahlreiche Produktneuheiten der sagte später, sein wesentliches Merkmal als 1920er Jahre auf, die das Bild der For- Unternehmer sei seine Gründlichkeit gewe- schung und Entwicklung bei Bosch prägen sen, „nicht den Ruf der Firma zu gefähr- sollten. Unter Max Rall, der nach dem Tod den“, was „manchmal einem Wettbewerber Gottlob Honolds die „Konstruktions-Ober- Konstrukteure am Zeichenbrett, 1926. Im Lichtwerk Feuerbach wurden Scheinwerfer nicht nur gefertigt, sondern auch konstruiert und erprobt. 16 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 17 Andere Eisen ins Feuer Neue Produktbereiche 1926 bis 1932 Als Walter Dorn 1924 in der „Physikalischen um: „Ferner wurde auf unserem alten Abteilung der Laboratoriumsleitung“ seine Kerngebiet ein systematischer Ausbau des Arbeit antrat, wunderte er sich sehr, „wozu Fertigungsprogramms durchgeführt, unter mich Bosch haben wollte. Denn nach mei- Berücksichtigung solcher Erzeugnisse, die ner naiven Ansicht war ein Physiker zum sich für den Handelsverkauf eignen oder Erfinden da, es war aber alles schon erfun- deren laufende Überwachung unserer den, was die Firma Bosch herstellte. Wozu Bosch-Dienst-Organisation Arbeit zuführt.“ brauchte man da eigentlich noch einen Zu diesen neuen Produkten gehörten Physiker?“ Wagenheizer ebenso wie Druckluftbremsen oder Lenkräder. Etablierte Strukturen und Aufbruch Man brauchte sehr wohl Physiker, denn Der Diesel als „zweite Gründung“ Bosch stand ein tiefgreifender Umbruch Auch die Bosch-Dieseleinspritzung, die im bevor. Eine Absatzkrise hatte den deut- November 1927 auf den Markt kam, passte schen Automobilmarkt 1925 und 1926 zum Umbau des Produktspektrums. Ihre einbrechen lassen. Die Auswirkungen beka- Entwicklung hatte die Unternehmensleitung men natürlich auch die Zulieferer zu spüren. schon rund drei Jahre vor der Absatzkrise, Bosch setzte daher unter anderem auf die im Dezember 1922 beschlossen. Wenig Diversifikation mit neuen Produkten jenseits später erwarb Bosch alle Rechte zur Ver- der Kraftfahrzeugtechnik, um die Krise zu wertung der Dieseltechnik-Patente des überwinden. In diesem Zusammenhang bayrischen Erfinders Franz Lang. Dies sollte gründete Bosch im April 1930 eine Abtei- die Entwicklung zur Serienreife beschleuni- lung, die „durch Voruntersuchungen“ klären gen. Als der renommierte Motorenentwick- sollte, „welche neuen Erzeugnisse sich zur ler Richard Stribeck die Langsche Technolo- Aufnahme in das Fertigungsprogramm der gie untersuchte, war das Ergebnis ernüch- Firma eignen.“ Zunächst sahen sich Exper- ternd: Die Patente seien kaum hilfreich. ten im Umfeld des Hauptumsatzbringers, Lang hingegen insistierte: Bosch wäre ohne der Kraftfahrzeugtechnik, nach Passendem sein Know-how nicht entscheidend weiter Bild ganz links: Forschungslabor der Ideal-Werke Berlin (später Blaupunkt), 1932. Hier entwickelten und erprobten Spezialisten Radiotechnik. Bild oben: Prüflabor für Zündkerzen im Isolithwerk Feuerbach, 1926 18 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 19 Übernahmen und Eigenentwicklungen tisch ab – und verhinderte so unkontrollier- Bei Akquisitionen und Neugründungen tes Ausströmen von Gas und damit eine folgte die Entwicklungsaktivität unter- Gasexplosion, die damals oft die Folge schiedlichen Mustern. In neuen Sparten eines solchen Defekts war. Hier zahlte sich wie etwa Kühlgeräten war der Aufbau ein Patent aus jener Zeit aus, als die Ther- von Entwicklungskompetenz auch mit motechnik noch gar keine eigene Sparte neu eingestellten Fachleuten erforderlich, von Bosch war. ergänzt durch Grundlagenforschungskompetenz aus dem eigenen Haus. Eine besondere Situation zeigte sich bei der neuen Radiosparte. Die Entwicklungs- In übernommenen Sparten wie der Junkers experten der Berliner Ideal-Werke, Rund- Thermotechnik konnte Bosch auf Entwick- funkgerätehersteller und 1933 von Bosch lungskompetenz des angestammten Perso- mehrheitlich übernommen, entwickelten nals zählen. In der Thermotechnik hatte zusammen mit Bosch-Experten in Stuttgart Bosch zudem einen Trumpf in der Hand: das erste serienreife Autoradio Europas. den 1929 in Serie gebrachten zündsicheren Das war in mehrfacher Hinsicht eine Premi- Gasschalter. Mit der Junkers-Übernahme ere. Die Bündelung unterschiedlicher Bran- wurde der Schalter in alle Junkers Gasge- chenkompetenzen – Kraftfahrzeugtechnik räte eingebaut. Er steigerte die Sicherheit bei Bosch und Nachrichtentechnik bei Ideal für die Kunden erheblich. Denn nur bei – für ein ganz neues Arbeitsfeld setzte Maß- Junkers-Thermen schaltete sich die Gaszu- stäbe in der deutschen Industrie. fuhr beim Erlöschen der Flamme automa- Prüfmotor für Einspritzpumpen, Werk Stuttgart 1937. Im Vordergrund zwei Dreizylinder-Dieseleinspritzpumpen gekommen. Eine mehr oder weniger güt- ligkeit einiger Großkunden weniger ab- liche Trennung von Lang war die Konse- hängig zu sein“. Als besondere Heraus- quenz. Daraufhin entwickelte Bosch die forderung galt es jene Produktsparten zu Dieseleinspritztechnik ab 1925 selbst zur identifizieren, die günstige Zukunftspers- Serienreife. Margarete Bosch sagte ihrem pektiven versprachen. Dabei sollte Bosch Vater beim Besuch einer Automobilaus- sich auf den Gebieten betätigen, in denen stellung 1931 nicht ohne Grund: „Mit sich das eigene Forschungs-, Entwicklungs- dieser Sache hast du deine Firma zum und Fertigungs-Know-how einsetzen ließ. zweiten Mal begründet.“ Die Entwicklung Denn es war den Strategen bewusst, dass Ende der 1920er Jahre waren die beiden Bosch-Vorstände Karl Martell Wild und der Dieseltechnik hatte dem Unternehmen eine grundsätzliche Neuentwicklung „sich Erich Rassbach nach London gereist, um sich dort vom schottischen Fernsehpionier ein weiteres Standbein verschafft. erst etwa acht bis zehn Jahre nach der John Logie Baird dessen neueste Versuche zeigen zu lassen. Ihm war es als Erstem Inangriffnahme der Entwicklungsarbeit in gelungen, ein Gesicht auf ein Fernsehbild zu übertragen. Was die beiden Herren sahen, wesentlichen Umsätzen auswirken kann“. überzeugte sie. Und so gründete Bosch 1929 ein Gemeinschaftsunternehmen mit Baird Neuanfänge auf unbekanntem Terrain Laufende Bilder entwickeln: Die Fernseh AG und den beiden deutschen Firmen Zeiss Ikon und Loewe: die Fernseh AG, kurz FESE. Doch die Erweiterung des Produktportfolios innerhalb der Kraftfahrzeugtechnik reichte So mancher Produktvorschlag wurde nicht Die FESE hatte zunächst nur drei Mitarbeiter. Dieses Trio kam in zwei kleinen Räumen nicht aus. Schon gegen Ende der Automo- weiter verfolgt – etwa Büromaschinen, unter dem Dach bei Zeiss Ikon in Berlin unter und widmete sich ausschließlich der For- bilkrise 1926 beriet der Bosch-Vorstand Tanksäulen, hydraulische Getriebe, Regis- schung. „Schon bald zeigte sich, dass Fernsehentwicklung nur durch Team-Arbeit gelöst über Alternativen, die zum Unternehmen trierkassen oder Bügelmaschinen. Und wie werden kann und nur in einer Gruppe von Begeisterten, die durch Rückschläge nicht zu passen könnten. Aber man ging noch einen in jedem Unternehmen auf der Suche nach erschüttern ist“, heißt es in einer Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum der FESE. Erste anderen Weg. Nicht nur der Vorstand, auch neuen Geschäftsfeldern, entstanden auch Erfolge stellten sich auch schnell ein und weckten das Interesse des Reichspostministeri- die Kreativität der Mitarbeiter war gefragt. einige kurzlebige Bereiche – seien es ums. Das Ministerium erkannte die Möglichkeiten der neuen Technik – es war bereit, Geld Dazu schrieb Bosch einen Ideenwettbewerb Plattenspieler, Lenkräder oder Vergaser. zu investieren. Bald waren erste Ergebnisse auf dem Markt. Für die Olympischen Spiele in aus. Und die Mitarbeiter nahmen die Her- Anderes wurde verworfen und kam erst Berlin 1936 lieferte die FESE die ersten rein elektronischen Aufnahmegeräte und stellte im ausforderung an: Im Laufe eines Jahrzehnts Jahrzehnte später auf den Markt, etwa selben Jahr den ersten „Heimfernsehempfänger“ vor. gingen über 10 000 Vorschläge ein. Das Ziel Geschirrspülmaschinen, Staubsauger oder war „vom Geschäftsgang und der Bestellwil- Anzeigegeräte für Automobile. 20 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 21 Bild rechts: Das Forfex-Onduliereisen (1930) gehörte zu den ersten Elektrowerkzeugen von Bosch. Bild ganz rechts: Der trommelförmige Kühlschrank von 1933. Er war ebenfalls eine Neuentwicklung, mit der sich Bosch aus der völligen Abhängigkeit von der Autoindustrie löste. cher Technik basierten, Drahtbrüche und In den USA waren bereits 1928 fast eine Kurzschlüsse in Kauf nehmen müssen. Dem- halbe Million Kühlschränke hergestellt gegenüber kam Bosch die Fertigungskom- worden. Das Geschäft versprach also auch petenz bei Elektromotoren zugute, etwa für Europa ein gewisses Volumen. Nur in der Ankerwickelei und der Kollektorher- waren hier keine Geräte zu haben, die sich stellung. ein Privathaushalt leisten konnte. Um den Preis zu senken, sahen die Entwickler ein Von der Trommel zum Kasten trommelförmiges Gehäuse vor. Sie entwi- Die Geschichte der Hausgerätesparte bei ckelten aus bestehendem Know-how bei Bosch begann ungewöhnlich: Weder war Bosch einen Verdichter, der der Kühlung die Idee neu, noch Bosch als Produzent diente und einfach an die Schrank-Rück- auf diesem Gebiet Vorreiter. Auf der Suche wand angeschweißt war. So ließ sich das nach neuen Geschäftsfeldern waren nicht Gerät für rund 360 Mark anbieten – ein nur Innovationen ausschlaggebend, viel- Bruchteil vom Preis handelsüblicher Kühl- mehr ging es auch um den kurzfristigen schränke. Markterfolg. So stand 1929 am Anfang Hämmer und Bohrer den Arbeitskopf ab, um den Motor an In der Elektrowerkzeugsparte begann die 220 Volt anzuschließen und seine Drehzahl Entwicklungsgeschichte mit einer Haar- zu messen. Der Motor machte an 220 Volt schneidemaschine. Wie Bosch-Personal- ca. 13 000 Umdrehungen und lief genau leiter Otto Debatin im Rückblick schrieb, einige Minuten lang; dann fing er an zu „ruft man in Krisenzeiten zuerst nach dem stinken und der Spaß war zu Ende. Wir Konstrukteur“. Und Hermann Steinhart, variierten nunmehr den Rotor-Durchmesser, Leiter der Abteilung Entwurf, hörte den Ruf. die Zahl und Größe der Nuten, sowie die Er bekam die Aufgabe, den Prototypen der Zahl und den Durchmesser der Drähte, mit Haarschneidemaschine, der den Markenna- denen der Anker gewickelt wurde, und men Forfex trug, zur Marktreife zu entwi- ebenso den Kollektor. Schon nach ungefähr ckeln. Doch in der Forfex steckte mehr, und sechs Wochen hatten wir einen Motor, der Steinhart erkannte das Potenzial. Das kleine im Leerlauf bei etwa 16 000 Umdrehungen Elektrowerkzeug mit integriertem Motor über 100 Stunden lief.“ im Handgriff ließ sich nämlich auch in der Fertigung für Dieseleinspritzpumpen ein- Auch die Entwicklungsgeschichte der setzen. Mit seiner Mannschaft entwickelte schweren Elektrowerkzeuge für den Bau- er auf dieser Basis den „Bosch-Handmotor“, stelleneinsatz begann Anfang der 1930er der ab 1932 auch an Kunden außerhalb des Jahre. Weil Bosch die neue Sparte auf eine Unternehmens verkauft wurde. breitere Basis stellen wollte, kaufte man ein schwedisches Patent für einen elektrisch Einen Einblick in die mitunter sehr rustikale betriebenen Bohrhammer. Wie so oft Entwicklungsarbeit gibt ein Bericht aus schafften es die Entwickler um Steinhart dem Jahr 1931: „Wir besorgten uns einige und Kazenmaier, das Produkt zur Serien- Forfex-Motoren, gewickelt zum Anschluss reife zu bringen. Zuvor hatten die Kunden an 110 Volt Wechselstrom, schraubten bei Geräten der Konkurrenz, die auf ähnli- der Entwicklung des Bosch-Kühlschranks, Technik am laufenden Band des ersten Hausgerätes, ein klares Ziel: Nicht nur neue Produkte, auch eine mo- ein preisgünstiges Gerät für Privathaushalte derne Fertigung sollte helfen, die wirt- zu schaffen. schaftlichen Herausforderungen Ende Werbung für einen JunkersHeißwasserbereiter, 1930. Ein zündsicherer Gasschalter markierte 1929 den Einstieg in die Thermotechnik. Die Junkers-Übernahme folgte wenig später. 22 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 23 der 1920er Jahre zu meistern. „Lieber Herr und billiger produzieren. Dies durfte aber ches Charakteristikum des Unternehmens Entwicklung war den Verantwortlichen des Steinhart, heute habe ich bei Ford gesehen keinesfalls auf Kosten der Qualität gehen. Bosch: der lange Atem. Für Forscher und Unternehmens damals im Übrigen völlig wie man täglich 8 000 Lichtmaschinen und Fließfertigung schien ein probates Mittel, Entwickler bedeutete das vor allem, dass klar. Das zeigt ein interner Bericht von 8 000 Anlasser zusammenhaut. Es ist un- diesen Spagat auszuführen. Bosch hatte sie trotz des Erfolgsdrucks möglichst viel 1940: „Wer in Zeiten der Hochkonjunktur glaublich wie die Leute, die nicht im Akkord schon seit 1924 erste Voraussetzungen für Zeit und freie Hand hatten, Ideen aufzu- alle Kräfte auf die Bewältigung der Tages- arbeiten, mit affenartiger Geschwindigkeit die Fließbandarbeit geschaffen. Die neue greifen, zu verfolgen oder gegebenenfalls arbeit verwendet und darüber versäumt, ihre Arbeit verrichten; wir müssen noch arg Fertigungsmethode wurde zunächst probe- auch zu verwerfen. durch vorausschauende Inangriffnahme viel lernen.“ Der technische Vorstand Max weise eingesetzt, nach und nach aber flä- Rall, der diese Zeilen 1926 seinem Entwick- chendeckend eingeführt. Die Zeitersparnis Das war riskant, weil aufgrund fehlender seines Arbeitsgebietes und Erfahrungsgutes lungsleiter schrieb, war auf einer USA-Reise war enorm. Vor Einführung der Fließband- Erfahrungen in einer neuen Produktsparte vorzubeugen, treibt Raubbau an seinem gleichermaßen fasziniert und erschrocken, arbeit hatte die vollständige Fertigstellung der Markterfolg von Erfindungen nicht geistigen Gut.“ Als mögliche Lösung sieht wie schnell produziert werden konnte. eines Magnetzünders noch 50 Tage gedau- immer klar war. Dennoch ging Bosch der Autor eine eigenständige „Research Weiter hielt er fest: „Wenn ich Ihnen sage zu ert, nach der Umstellung konnte das Pro- dieses Wagnis damals gleich in mehreren Corporation“ im Unternehmen. Doch dazu welchen Preisen hier Lichtmaschinen etc. dukt in fünf Tagen vom Band rollen. Geschäftsfeldern ein, im vollen Bewusst- sollte es erst später kommen. verkauft werden, wird Ihnen dies verständ- sein, dass es bis zu zehn Jahre vom Ent- lich.“ Und genau das war der Punkt. Bosch Der lange Atem wicklungsbeginn bis zum kommerziellen musste, um wettbewerbsfähig zu bleiben, in In nahezu allen Transformationsprozessen Erfolg dauern konnte. Die Notwendigkeit wirtschaftlich turbulenten Zeiten schneller der 1920er Jahre zeigt sich ein wesentli- langfristiger Planung in Forschung und Warmhalten und nicht rutschen: Ungewöhnliche Entwicklungsaufträge In seinen Erinnerungen berichtet Emil Klingler, Chemiker bei Bosch, auch über unkonventionelle Aufgaben: „Auch in seinem Privatleben war Robert Bosch außerordentlich sparsam. Ich musste oft alle möglichen Dinge reparieren. Einmal schickte er mir wunderschöne Hausschuhe aus Seehundfell, die mit einer Gummisohle versehen werden sollten. Herr Bosch hat genaue Anweisung gegeben, wie die Sohle beschaffen sein sollte. Sie sollte warmhalten, auf Linoleum oder Parkett oder nassen Küchenböden nicht rutschen und musste tadellos aufgeklebt sein. Dies war eine schwierige Aufgabe. Zunächst machten wir schöne Leisten aus Hartgewebe, die lackiert wurden. Dann wurden alle möglichen Profile ausprobiert und zuletzt eine Sohle gepresst, die absolut haftend aufgeklebt wurde. Mitten in diese Arbeit kam der Aufsichtsrat Prof. Stribeck. ‚Was haben Sie denn da Schönes?’ Einer meiner Presser, der gerade in der Nähe stand, meinte: ‚Die sind für die Füße vom Vater Bosch, dem müssen wir die Hausschuhe flicken.’ Stribeck hat herzlich gelacht; ich musste ihn bitten, Herrn Bosch ja nichts von den Leisten zu erzählen; das wäre ihm viel zu teuer erschienen.“ neuartiger Aufgaben einer Überalterung Meister in der Konstruktionsabteilung des Werkes Stuttgart, 1937. Die Meister waren nicht nur Ausbilder, sondern von je her eine tragende Säule bei der Entwicklung neuer Produkte zur Serienreife. 24 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 25 Schwere Zeiten Im Zeichen der Diktatur 1933 bis 1945 In seinen Lebenserinnerungen erzählt der entwickelten Messinstrumenten, die es Entwicklungsingenieur Erich Klaiber von nicht zu kaufen gab. So konstruierten einem Gespräch mit Robert Bosch, rund Bosch-Techniker Mitte der 1930er Jahre drei Wochen vor dessen Tod am 12. März das Stroborama, eine Art Kamera. Während 1942. Damals berichtete Klaiber dem Unter- der Einspritzung von Kraftstoff in eine nehmensgründer über verschiedene Ent- verdunkelte Kammer wurden rasch auf- wicklungsprojekte, darunter auch eine einander folgende Lichtblitze erzeugt – bis Technologie zur Erzeugung erhöhten Luft- zu einer 100 000stel Sekunde kurz. Diese drucks in Magnetzündern für Flugzeuge. Sie Szenerie wurde gefilmt. Durch das extrem sollten damit in großen Flughöhen zuverläs- verlangsamte Abspielen des Films konnten siger gemacht werden. die Wissenschaftler schon damals die Einspritzverläufe bei Dieselsystemen exakt Unter Druck analysieren und die Technik optimieren. Robert Bosch antwortete: „Es freut mich, dass Sie mir das erzählen, jetzt setzen Anschein der Normalität die sogar noch meine Zündmagnete unter Die Festschrift zum 50-jährigen Unterneh- Druck!“ Wie umfassend der Druck des mensjubiläum 1936 erweckte trotz des totalitären Regimes auf den liberalen Demo- Aufstiegs der neuen Machthaber den Ein- kraten Bosch und sein im Zweiten Weltkrieg druck unveränderter Normalität. So formu- rüstungswichtiges Unternehmen war, macht liert der Autor ungeachtet der hölzernen seine Bemerkung deutlich. Sprache einige auch heute noch zeitgemäß anmutende Grundsätze des Unternehmens Forschung und Entwicklung änderten sich Bosch für Forschung und Entwicklung. Die jedoch im Zeichen der NS-Diktatur zunächst Darstellung beginnt mit der Handlungsfrei- kaum, und Bosch konnte die Entwicklungs- heit des Entwicklers: „Bei der Schaffung projekte in den etablierten Sparten fort- eines neuartigen Erzeugnisses entscheidet setzen. Auch in der Forschung setzte Bosch der schöpferische Gedanke; ohne ihn gibt auf anspruchsvolle Methoden – mit selbst es kein rechtes Vorwärtskommen. Er muss Bild ganz links: Entwicklungsingenieur bei der Prüfung einer Konstruktionszeichnung, 1936 Bild links: Benzineinspritzpumpe PZ 12 HM an einem Flugzeugmotor DB 601, 1941 26 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 27 Kerzendoktor am Boxenstopp: Vom Bosch Renndienst zu Bosch Engineering Wie konnte man vor 100 Jahren Bosch-Komponenten während ihrer Entwicklung prüfen, ohne Prüffelder, eigene Teststrecken und einen großen Fuhrpark an Testfahrzeugen wie heute? Ganz einfach: Man bot sie für den Renneinsatz an. Schon 1911 hatte Bosch Zündsysteme speziell für Rennwagen zur Verfügung gestellt und ebenso Mechaniker an der Rennstrecke postiert, die sich um Wartung oder Reparatur kümmerten. Der Werbeeffekt stand natürlich im Vordergrund, denn das Zündsystem, das sich auf den Rennstrecken dieser Welt durchsetzte, versprach auch ein Verkaufserfolg zu werden. In dieser Tradition gründete Bosch im Jahr 1937 den Bosch-Renndienst. Ein guter Nebeneffekt war dabei, dass die Bosch-Techniker nach den Rennen den Zustand der Bosch-Ausrüstung analysieren und Rückschlüsse auf nötige Konstruktionsänderungen ziehen konnten. Die Rennstrecke war für Bosch gewissermaßen ein riesiges Prüffeld. Der legendäre Rennleiter August Bamminger, genannt Kerzendoktor, stand meist am Boxenstopp – ein Blick auf die Zündkerze sagte ihm alles über die Zustände im Motor eines Rennboliden. Der Renndienst wuchs, nannte sich ab 1965 Bosch Motorsportdienst und ist 2003 schließlich aufgegangen in der heutigen Bosch Engineering GmbH, einer Ideenschmiede, die sich mit der Entwicklung elektronischer Systeme für Kleinserien und Spezialanwendungen befasst. Gruppenfoto im Chemielabor der Zündkerzenentwicklung, Feuerbach 1935. Die runden BoschKühlschränke hinten links dienten zum Kühlen von Proben. herbeigebracht werden, sei es durch eigene die Verwendung unmöglich, oder in der wie auf die Fernsehtechnik. Schon 1930 Auf den Einflussversuch des NS-Regimes Leistung, sei es durch fremde Anregung. feuchtwarmen Luft der Tropen halten die begannen Bosch und die staatliche Deut- musste Bosch nicht lange warten, denn die Falscher Stolz auf eigenes Können kann zu bewährten Isolierstoffe nicht stand.“ sche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) Flugmotoreneinspritzung machte nicht nur großen Fehlern führen. Hingebung an die Dass auch die beste und effizienteste Ent- mit Versuchen an einer Benzineinspritzung. die Passagierflugzeuge sicherer, sondern Sache muss entscheiden, nicht Eigenliebe.“ wicklungsarbeit nicht wie auf Schienen zum Dazu hatten sie Dieseleinspritzpumpen auf auch die deutschen Militärflugzeuge erheb- Das Ziel der Entwicklungsarbeit sind der Erfolg führen muss, diese Aussage steht am Benzin umgerüstet. Die Benzineinspritzung lich schneller und zuverlässiger. Das rief Schrift zufolge Produkte, die mit „kleinstem Schluss des Beitrags im Jubiläumsbuch wurde für Flugzeuge nicht zuletzt wegen bald das Reichsluftfahrtministerium auf Raum, kleinstem Gewicht hohe Leistung 1936 und gilt ungeachtet des Zeitkolorits in ihrer Betriebssicherheit interessant. Verga- den Plan, wie ein internes Schreiben der und Zuverlässigkeit vereinigen. Sie müssen einer allzu bildhaften Formulierung noch ser in tausenden Metern Flughöhe einzuset- Entwicklungsabteilung an die Technische gleichmäßig und ihre Teile austauschbar heute: „Die Entwicklungsarbeit ist die Saat; zen – das konnte gefährlich werden, jeden- Werkleitung im April 1936 verdeutlicht: sein.“ Wichtig ist dabei aber auch ein nied- die Ernte steht unsicher in der Zukunft.“ falls wenn bei abrupten Flugmanövern „Nun wird vom RLM (Reichsluftfahrtminis- kurzfristig die Benzinzufuhr unterbrochen terium) die Lieferung dieser Pumpe verlangt.“ riges Kostenniveau: „Je niedriger der Preis, desto größer die mögliche Käuferschicht.“ Entwicklung im Zeichen der Diktatur wurde. Die Benzineinspritzung steigerte Doch damit ist die Entwicklung nicht ab- Dem gänzlich unpolitischen Eindruck, den zudem die Leistung des Flugmotors. 1932 geschlossen, wie der Autor erläutert. Die die Festschrift von 1936 vermittelt, stehen erprobte BMW das Einspritzsystem von Fernsehtechnik als militärischer Trumpf Produkte müssen an regionale Gegeben- allerdings die militärischen Pläne des NS- Bosch in einem frühen Entwicklungssta- Die Fernsehtechnik ist ein weiteres Beispiel heiten angepasst sein: „Eine Zündanlage Regimes gegenüber. Das sollte sich auch dium erfolgreich am Passagierflugzeugmo- dafür, wie das politische Regime eine neue arbeitet z. B. in europäischen Ländern zur auf einige Forschungs- und Entwicklungs- tor Typ VI. 1936 war die Technik serienreif, Entwicklung für seine Zwecke vereinnahm- vollen Zufriedenheit, dagegen macht der vorhaben bei Bosch auswirken – auf die und 1937 begannen die Lieferungen an te. Schon die Möglichkeit der Propaganda feine Staub in kalifornischen Farmbetrieben Benzineinspritzung für Flugmotoren ebenso BMW und Daimler-Benz. mit bewegten Bildern weckte die Begehr- 28 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 29 lichkeiten des NS-Regimes. Aber vor allem in Frankreich, Großbritannien und den USA, rückte die Fernsehtechnik auch in den sondern auch vom weltweiten Austausch Fokus des Militärs. Damit bekam die von wissenschaftlicher Erkenntnisse machten die Bosch mitbegründete FESE ein neues Ziel Entwicklung neuer Technologien und Pro- verordnet: Sie sollte eine mit Kamera ausge- dukte für die zivile Nutzung fast unmöglich. stattete und per Fernsehbild ferngelenkte Bombe mitentwickeln – vermeintlich ein Es kam noch ein entscheidender Punkt Trumpf für das deutsche Militär in der hinzu: Für die verordneten militärischen letzten Kriegsphase, in der ein Sieg der Zwecke waren keine wirklichen Neuerungen Alliierten immer wahrscheinlicher wurde. nötig. Es galt, Einfaches und Bewährtes Jedoch waren die Systeme bei den Tests im weiterzubauen oder gar – von Staatsseite Spätsommer 1944 noch nicht ausgereift – verordnet – Einheitsprodukte wie den so- sie spielten keine Rolle mehr. genannten Volksempfänger nach Gebrauchs- In der Stoffforschung, Werk Feuerbach 1935. Die extreme Belastung der Materialien in BoschProdukten – hohe Drücke und Temperaturen etwa – erforderten neue Analysetechnik, zum Beispiel die visuelle Darstellung von Kraftstoff-Einspritzverläufen. mustern anderer Hersteller in Lizenz zu Übertragungswagen der Fernseh AG, 1936. Die Fernsehaufzeichnungsund Wiedergabetechnik wurde von Bosch seit 1929 maßgeblich mitentwickelt. Bewährtes und Lizenzprodukte fertigen. Innovationsgetrieben waren ledig- An eine zivile Forschungs- und Entwick- lich Benzineinspritzung und Fernsehtechnik lungsarbeit war bereits vor Kriegsbeginn – aber sie blieben Ausnahmen. So ist es 1939 nicht mehr zu denken: Die Kriegs- bezeichnend, dass in den Geschäftsberich- planungen änderten für Bosch fast alle ten ab Mitte der 1930er Jahre unter der Koordinaten des unternehmerischen Rubrik „Forschung und Entwicklung“ vor- Handelns: Isolierung nicht nur von den wiegend zu lesen war, man sei mit der wichtigen Werken und Geschäftspartnern Weiterentwicklung bewährter Produkte beschäftigt. „Nach außen hin“, hieß es Rohstoffe aus Deutschland ersetzt werden. 1937, sei man „mit grundsätzlich neuen Im Geschäftsbericht für das Jahr 1937 hieß Erzeugnissen kaum in Erscheinung getre- es dazu: „Daneben stand im Berichtsjahr ten.“ Es gab kaum etwas zu berichten, und wie schon in den letzten Jahren die plan- der Entwicklungsstand bei militärischen mäßige Erforschung und Verwendung neuer Projekten wurde aus Gründen der Geheim- im Inland gewonnener Werkstoffe im Vor- haltung gar nicht erst publik gemacht. dergrund.“ Entwicklung in der Isolation Allerdings gab es schon vor Kriegsbeginn Signifikante Entwicklungsleistungen gab es Hinweise, dass die Unternehmensführung nur in wenigen Bereichen, und diese Leis- von Bosch weiterdachte: „Wir sind aber tungen waren nicht unbedingt zukunfts- deshalb auf dem Gebiet der Neuentwick- trächtig. Beispielsweise konnten wegen der lung nicht etwa müßig gewesen, sondern zunehmenden wirtschaftlichen Abschottung haben technische Entwicklungsarbeit be- Deutschlands nicht mehr genügend Roh- wusst für die fernere Zukunft geleistet.“ stoffe importiert werden. Deshalb entwi- Spätestens nach den Bombenangriffen auf ckelte Bosch den Diesel-Umstellzünder, so die Stuttgarter Werkanlagen im Spätsom- dass Last- und Personenwagen sowohl mit mer 1944 kamen die Entwicklungsaktivitä- Diesel als auch mit „Holzgas“ betrieben ten vollends zum Erliegen. Nach der Ein- werden konnten, das aus der Verkokung von nahme des deutschen Südwestens durch Holz in einem Behälter am Wagen gewon- die Alliierten Truppen im Frühjahr 1945 nen wurde. Außerdem forcierte Bosch die übergaben die Mitarbeiter ihre Entwick- Entwicklung von Ersatzstoffen. Die teuren lungsunterlagen den Vertretern der Sieger- und kaum mehr erhältlichen Rohstoffe aus nationen. dem Ausland sollten durch verfügbare 30 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 31 Aufbruch ins Unbekannte Von Notprodukten zur Elektronikentwicklung 1946 bis 1964 Bild ganz links: Laboranten und Chemiker im Labor im Werk Stuttgart, 1953 Bild links: Herstellung von Glaskolben für chemische Experimente, Werk Stuttgart, 1953 Der Sieg der Alliierten Truppen beendete Entwicklung war in diesen Tagen noch nicht im Frühjahr 1945 die Schreckensherrschaft zu denken, es ging um das schlichte Über- des deutschen NS-Regimes. In den Stamm- leben. Auch in den Folgejahren fehlten werken in und um Stuttgart waren über finanzielle Mittel für Forschung und Ent- 60 Prozent der Fertigungsflächen durch wicklung. Erst musste mit dem Bewährten Luftangriffe unbrauchbar. Der Aufbau er- Geld verdient werden. forderte jede helfende Hand und zielte zunächst auf die Fertigung einfacher Güter, Neuordnung die gebraucht wurden und zuweilen gar Das änderte sich erst 1949, als Karl Martell nichts mit dem bisherigen Produktpro- Wild, in der Geschäftsführung für Forschung gramm zu tun hatten. und Entwicklung zuständig, in einem internen Schreiben die Aufwertung dieses Aufbau und Tauschgut Bereichs ankündigte: „Wir waren nach Man fertigte allerlei Brauchbares aus Metall Kriegsende gezwungen, unsere Organisa- wie Spätzlepressen oder Regenschirmge- tion so einfach als möglich zu gestalten und stelle, auch als Naturalienbezahlung für die alle unsere Entwicklungsabteilungen einer Mitarbeiter, damit diese es gegen Nahrungs- Leitung zu unterstellen. Heute zeigt sich, mittel für sich und ihre Familien tauschen dass bei dem grossen Umfang der zu leis- konnten. Im Außenwerk Dreilinden bei tenden Entwicklungsarbeiten wieder eine Berlin, wo bis dahin Bosch-Technik für Gliederung, ähnlich der früheren, notwen- Flugzeuge hergestellt worden war, be- dig ist.“ Das ließ sich auch als Signal ver- schreibt ein Mitarbeiter die Verhältnisse stehen: Die Zeit des Durchkommens nach so: „Zur Zeit werden kleine Handwagen den Zerstörungen des Krieges war vorüber. aus vorhandenen Holzvorräten und Ver- Jetzt begann das „Wirtschaftswunder“ in teilerräderrohlingen gefertigt. Verkaufspreis Deutschland. Und Bosch konnte den frühe- ca. RM 25.-, Nachfrage grösser als Liefer- ren Ruf eines technisch fortschrittlichen möglichkeit. Außerdem werden Gepäck- Unternehmens international wieder auf- halter für Fahrräder, Schraubenzieher und bauen – durch Forschung und die Entwick- Maurerkellen gefertigt.“ An Forschung und lung neuer Produktsparten. 32 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 33 Aus der Luft auf die Straße Einstiegsprojekt. 1949 hatten die Fachleute Zu Beginn der 1950er Jahre waren auch mit der Entwicklung eines Einspritzsystems technologisch erste Anfänge einer neuen für Zweizylinder-Zweitaktmotoren in Klein- Ära zu erkennen, sowohl in der traditions- wagen der Marken Gutbrod und Goliath reichen Kraftfahrzeugtechnik als auch in begonnen. Das Ziel war eine erhebliche den beiden jungen Sparten Hausgeräte und Kraftstoffersparnis bei den für hohen Ver- Elektrowerkzeuge. Besonders die Märkte brauch bekannten Zweitaktern. Motor eines Kleinwagens der Marke Gutbrod, der weltweit erste mit Benzineinspritzung in Serie, 1952 für Gebrauchsgüter zogen an. Der Wunsch nach komfortabler Haushaltsführung regte Kleinwagen und Luxusrenner die Entwicklung der Küchenmaschine an, Ihre Erkenntnisse setzten die Techniker die 1952 auf den Markt kam. Der zuneh- bei zwei Prestigeprojekten für den Kunden mende Wohlstand bei kürzer werdenden Daimler-Benz um: einer weitaus komplexe- Arbeitszeiten gab den Heimwerkern Auf- ren Einspritzpumpe für einen Achtzylinder- trieb und forcierte die Entwicklung kleiner Rennwagen, den „Silberpfeil“ und einen und erschwinglicher Elektrowerkzeuge für Sportwagen mit Sechszylindermotor, der den Hobbykeller. In der Kraftfahrzeugtech- später als 300 SL „Flügeltürer“ weltbe- nik stand die Benzineinspritzung für Per- rühmt wurde. Beide Einspritzversionen sonenwagen als Zukunftsprojekt auf der waren 1952 einsatzfähig und weltweit bei Agenda. Die Entwickler knüpften an das Rennen und Rallyes erfolgreich. Der Serien- Know-how an, das sie sich in den 1930er 300-SL kam schließlich 1954 auf den Markt. Jahren bei Flugmotoren erarbeitet hatten. Dessen Benzineinspritzpumpe war aller- Auf die Straße kam zunächst ein kleines dings ein 320-teiliges komplexes System, Eine Ikone der Forschung: Das Bosch-Elektronenmikroskop das so teuer war, dass es sich kaum in dann die Idee: Die Lastzüge, die zum Werk preisgünstigen Fahrzeugen durchsetzen Hildesheim fuhren und zurück, die haben ließ. Aber Geld spielte hier keine Rolle. Es in der Regel damals einen Anhänger gehabt. ging um mehr Motorleistung für wohlsitu- Wir brachten an die Stirnseite des Anhän- ierte Kunden – in diesem Fall um eine gers, da, wo der ganze Dreck hochkommt, Steigerung von 160 auf immerhin 215 PS. einen Rahmen mit einer rechteckigen Die Benzineinspritzung steht für eine Ent- Scheibe an.“ wicklungs- und Fertigungsstrategie, die Forschung und Entwicklung waren bei Bosch immer eine zwingende Voraussetzung für schon lange typisch für Bosch ist: Die Formschöne Kraftersparnis zukunftsweisende Produkte und Fertigungsmethoden. In Kriegs- und Nachkriegsnotjahren hohen Entwicklungsaufwendungen führen Neben der Kraftfahrzeugtechnik arbeiteten vernachlässigt, markierte 1948 der Start eines sehr komplexen Projektes den Wiederauf- zu Innovationen, die sich zunächst die Forscher und Entwickler bei Bosch in bau der Zukunftsvorsorge durch Forschung und Entwicklung. Ausgesuchte Experten des in Premiumfahrzeugen etablieren. Über den 1950er Jahren auch in vielen anderen Unternehmens entwickelten ein Elektronenmikroskop für die eigene Material- und Ferti- Fertigungsfortschritte, die Kosten senken, Feldern. Ein Beispiel ist die Haushaltstech- gungsmethodenforschung. Das mannshohe und tonnenschwere Gerät hatte eine doppelte setzen sich die Neuheiten dann aber auch nik, wo unter anderem die Erkenntnisse Bedeutung für Bosch: Das Elektronenmikroskop verbesserte zum Einen die Bedingungen in mittleren und unteren Fahrzeugklassen schwedischer Forscher zu einem neuen für die eigene Forschung, denn die Optik erreichte eine bis zu 20 000-fache Vergrößerung. durch. Produkt inspirierten. Diese Forscher hatten Das war wichtig für die Arbeit an neuen Bearbeitungsmethoden in der Fertigung wie etwa nämlich herausgefunden, dass Hausfrauen das bei Bosch entwickelte „Läppen“ – die Glättung rauer Metalloberflächen für die perfekte Methoden für die Praxis eine größere Arbeitsleistung zu erbringen Funktion der Diesel-Einspritzpumpen aus eigener Fertigung. Zum Anderen stellte Bosch Trotz mancher visionären Entwicklung war hatten als beispielsweise Arbeiter in der das Elektronenmikroskop in kleiner Stückzahl für Kunden her. Das hatte Signalwirkung, im täglichen Geschäft der 1950er Jahre Eisen- und Grubenindustrie. Kein Wunder, stand es doch als Symbol für den Wiederaufstieg vom Hersteller simpler Notprodukte in oft noch Improvisation gefragt. Wie das im wenn man an die vielen aufwändigen Hand- der frühen Nachkriegszeit zum führenden Hersteller anspruchsvoller Elektrotechnik. Einzelfall aussehen konnte, davon erzählt griffe in der Küche denkt. Elektrische Hilfen der pensionierte Entwickler Günter Schmid: gab es bis dahin kaum. Die Ingenieure „Wir mussten für die Erprobung von Schei- bei Bosch machten sich daran, ein neues benwischern nach einer Möglichkeit suchen, Gerät zu entwickeln, das die Hausfrau beim Frontscheiben zum Testen der Wischer Kochen und Backen entlastete: die Bosch- authentisch zu verschmieren. Ich hatte Küchenmaschine. Rühren, kneten, hacken, 34 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 35 bruch in unbekanntes Terrain. In Radiogerä- In der Umsetzung für die Autoelektronik ten waren Halbleiter in Form der Transisto- gab es allerdings einen großen Unterschied ren bereits geläufig, und amerikanische zwischen der amerikanischen Industrie und Konzerne wie RCA arbeiteten am Halbleiter- Bosch, dem größten europäischen Autozu- einsatz in vielen Produktsparten. Hermann lieferer. Die US-Autohersteller neigten dazu, Mittag, seinerzeit Entwicklungschef für komplexe und elektronische Steuerungen Halbleiterelemente bei Bosch, berichtete in ohne ausreichende Feldversuche im Auto einem Fachaufsatz darüber, dass Unterneh- einzusetzen – was zu funktionsfähigen men in den USA jährlich rund 600 Millionen Laborlösungen, aber vielfach auch zum Dollar Umsatz mit Halbleitern machten und Scheitern auf der Straße führte. Dagegen rund eine Million Einzelelemente täglich gingen Bosch und die europäischen Auto- herstellten. Relativ neu war jedoch der mobilkunden einen Weg der kleinen Einsatz im Auto. Durch den Erfolg der US- Schritte. Der erste in Eigenregie gefertigte Forscher in der Halbleitertechnik war Bosch Halbleiter war die Variode, ein Diodentyp. veranlasst, immer wieder Delegationen über 1958 auf den Markt gekommen, unter- den Atlantik zu schicken, um Erkenntnisse stützte sie im Generatorregler die Regulie- über den zukunftsweisenden Trend zu rung des Stromflusses – um den Generator sammeln. selbst leistungsfähiger zu machen und die Batterie vor Überladung zu schützen. Springt der Traktor auch bei - 20 °C noch noch an? Für die Antwort spielt die Dieseleinspritzung eine entscheidende Rolle – hier im Kältetest 1961 mit schwer bekleideten Testern. schnitzeln, passieren, pürieren, mahlen, zu ermöglichen. Und Gefallen fand die reiben und schälen – all dies bewältigte Bosch-Küchenmaschine obendrein: Auf nun ein einziges Gerät mit dem zukunfts- der Deutschen Industriemesse 1956 wurde weisenden Namen „Neuzeit“. Die techni- sie als „formschönes Industrieerzeugnis“ sche Idee für die Küchenmaschine war ausgezeichnet. schnell ausgemacht, man konnte auf die Erfahrungen bei der Entwicklung der Elek- Frühe Schritte der Elektronik trowerkzeuge zurückgreifen. Viel Zeit ver- 1958 bekam Bosch eine „Entwicklungs- wendeten die Ingenieure jedoch auch auf hauptleitung“ in der Geschäftsführung. das Design. Höchste Funktionalität, Stabi- Schon diese organisatorische Änderung lität und Formschönheit waren die Ansprü- zeigte, wie sehr die strategische Bedeutung che, die es zu erfüllen galt. Es wurden zu- von Forschung und Entwicklung im Unter- nächst mehrere Varianten ins Rennen ge- nehmen zunahm. Vor allem aber begann in schickt und ausführlich getestet. Schließlich diesen Jahren das Elektronik-Zeitalter bei setzte sich als Basis eine birnenförmige Bosch – eine Ära, die für das Unternehmen Platte durch. Am schmaleren Ende wurde unvergleichlich wichtig werden sollte und der Motor eingebaut, und am breiteren bis heute anhält. Mit der Entwicklung ein- Ende war genug Platz für die Rührschüssel zelner Halbleiter-Elemente als ersten elek- vorhanden. Die Konstruktion konnte auch tronischen Bauteilen für die Kraftfahrzeug- gekippt werden, um weitere Funktionen technik fing es an. Dies markierte den Auf- Die Entwicklungsschritte vom ersten Funktionsmuster bis zur serienmäßigen Küchenmaschine „Neuzeit I“ aus den Jahren 1950 bis 1952 deuten an, wie komplex der Weg zu einem neuen Haushaltsgerät ist. 36 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 37 Herausforderungen prägen den Weg dar: „Eines Tages stellte ein Lieferant in Der Entwickler der Variode, Gotthold Amerika seine Produktion für Germanium- Zielasek, erzählt über seinen Start bei Transistoren um und sagte kurzerhand zu Bosch: „Bosch suchte in den frühen 1950er Bosch: ‚Wir liefern das nicht mehr.’ Aus! Jahren Halbleiterfachleute. So kam ich nach Und da hatte Bosch aber schon eine Liefer- meinem Physikstudium und ersten Berufs- verpflichtung für VW in Amerika. Das war erfahrungen in der Halbleitertechnologie dann ein Erlebnis, das sich dem Gedächtnis am 1. Juni 1954 zu Bosch. Es stellte sich der Firma sehr stark eingeprägt hat. Das heraus, dass damals bei Bosch wenig soll uns nicht noch einmal passieren! Das Entwickler haben so ihre Eigenheiten, auch bei Bosch. Und daher verwundert es nicht, Fachwissen über die Halbleitertechnologie hat nicht zuletzt dazu geführt, dass man die dass die Entwickler der frühen elektronischen Bauelemente gern eine Spur hinterließen. vorlag. Rudolf Rühle, der Abteilungsleiter, Transistorentwicklung bei Bosch aufgenom- Karl Nagel, an der Entwicklung der ersten integrierten Schaltungen beteiligt, erzählt davon: hat mir freie Hand in der Gestaltung des men hat – und zwar gleich mit Silizium als „Als ich das Layout für eine Schaltung fast fertig gestellt hatte, ging mir der Gedanke durch Halbleiterlabors gelassen. Er hatte offen- Trägermaterial.“ den Kopf, eine Art Markenzeichen zu hinterlassen. Eine ungenutzte Stelle im Layout war Spuren im Schaltungslayout schnell ausfindig gemacht, und welches Symbol ich dort versteckte, können Sie sich an- sichtlich erkannt, dass die Halbleitertech- Der Lichtmaschinenregler mit Variode war für Bosch 1958 der erste Schritt zum führenden Hersteller komplexer Elektronikprodukte. Das erbsengroße Stück (im Bild nicht zu sehen) diente zur Regelung des Stromflusses. Die Sache mit dem Nagel: nologie auch für Bosch zukünftig wichtig Entwicklungsziel: Zuverlässige Elektronik gesichts meines Familiennamens ja denken.“ Der kleine Nagel im Layout hatte keine Aus- sein würde.“ Mit der zunehmenden Bedeu- Vier Jahre später war die Entwicklung be- wirkung auf die Funktion, dennoch erregte er den Unmut des Vorgesetzten Rudolf Rühle, tung der Elektronik wollte Bosch bei wichti- reits einen wichtigen Schritt weiter: Für der ihn entdeckte. Andere Entwickler gingen weiter, manchmal zu weit: Einer hinterließ gen Einzelkomponenten nicht mehr auf Generatoren in Nutzfahrzeugen realisierten auf dem Layout einer Schaltung für die Airbagauslösung die Miniatur zweier Autos beim Zulieferer angewiesen sein. Karl-Ernst Bosch-Ingenieure 1962 einen vollelektroni- Frontalaufprall. Boeters, ab 1965 Entwickler bei Bosch, schen Regler, der Erfolg und Akzeptanz der stellt die Notwendigkeit der Eigenfertigung Elektronik stark beschleunigte: Bei Halb- an einem Beispiel aus den 1960er Jahren leiterelementen im Auto war Verschleiß nun kaum mehr ein Problem. In Zeiten, in folgten bald elektronische Systeme: Das denen mitunter noch alle 5 000 Kilometer erste, eine elektronische Getriebesteuerung ein Zündkerzen- oder Ölwechsel anstand, für halbautomatische Getriebe, war bereits war das ein wichtiger Wegweiser. Noch 1963 serienreif. Entscheidend war beson- im selben Jahrzehnt waren alle damals ders das zweite elektronische System, die wesentlichen Autoelektronik-Komponenten ab 1959 entwickelte und 1967 eingeführte bei Bosch serienreif. Drei Entwickler trie- elektronische Benzineinspritzung Jetronic. ben mit ihren Teams die Entwicklung der Sie ebnete den Weg für zunehmend kom- Schlüsselkomponenten für die Autoelek- plexe Systeme. Um nicht zuviel über diese tronik parallel voran: Wolfgang Leibfried neue Technik bekannt werden zu lassen, die Dioden zur Stromgleichrichtung in ging Bosch mitunter kuriose Wege, wie Generatoren, Hans Linstedt die Leistungs- Heinrich Knapp, der damalige Leiter der transistoren und Gerhard Conzelmann Entwicklung elektronischer Benzineinspritz- die integrierten Schaltkreise. systeme, berichtete: „Als einen der ersten Versuchsträger für die elektronische Benzin- Auf dem Weg zu komplexen Systemen einspritzung hatten wir ab 1959 einen Dass es mit Halbleitern bei Bosch verstärkt Mercedes-Benz 300, der damals noch mit weitergehen sollte, betonte Entwicklungslei- Vergasertechnik ausgerüstet war. Alle sechs ter Albert Callsen bereits im Herbst 1959. Monate war für den Wagen eine Inspektion Für ihn waren Halbleiter eine „Entwick- bei Daimler-Benz vorgesehen. Wir haben lungsrichtung, die für die Zukunft von gro- das Fahrzeug jedes Mal vorher wieder auf ßer Bedeutung ist und in mancher Hinsicht die Vergasertechnik zurückgebaut, damit auf das gesamte Kraftfahrzeug Einfluss unser Kunde Daimler nicht mitbekommt, ausüben wird.“ Die Folgeentwicklungen woran wir da gerade forschen!“ gaben ihm recht, denn den Einzelbauteilen 38 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 39 Auf festen Grund gestellt Neuorganisation 1965 bis 1982 Bild gegenüberliegende Seite: Forschung an Kühlmitteln für Kühlgeräte in einem chemisch-physikalischen Laboratorium, 1961 Bild ganz links: Bereits Mitte der 1960er Jahre erforschte Bosch erstmals Brennstoffzellen. Bild links: Hydraulik-Kugelspeicher im Stresstest: Optische Darstellung der Beanspruchung von Verschraubungen, 1963 In den 1960er Jahren wandelte sich Bosch durch die Gründung des Forschungsinstitu- grundlegend. Das Unternehmen wuchs tes Berlin (FIB) im März 1965, das Bosch rasch, der alten zentralistischen Struktur bis 1988 betrieb. Hier forschte man an folgte die noch heute geltende Gliederung den physikalischen Grundlagen der gerade nach Geschäftsbereichen. Auch baulich entstehenden Kraftfahrzeugelektronik, vor spiegelte sich der Aufbruch wider: Bosch allem der integrierten Schaltungen (IC), in beschloss 1964 den Umzug der alten die Bosch große Hoffnungen als leistungs- Unternehmenszentrale sowie der zentralen fähige Zukunftstechnik setzte. Forschung aus dem viel zu eng gewordenen Areal in Stuttgart in einen 1969 fertig „Technische Zentren“ entstehen gestellten Gebäudekomplex auf der rund Und das war bei Weitem nicht alles: 1968 zehn Kilometer entfernten „Schillerhöhe“. eröffnete Bosch das „Technische Zentrum Forschung“ (TZF) auf der Schillerhöhe – Neue Zeiten ein Jahr, bevor dort die neue Unterneh- Eine wichtige Neuerung für Forschung und menszentrale fertiggestellt wurde. Im TZF Entwicklung war 1965 die Einführung des fanden die technischen und naturwissen- Bereichs „Forschung, Stoffe, Verfahren“ schaftlichen Vordenker adäquate Arbeits- (FSV). Dies wertete die Forschung auf, sie bedingungen und eine zeitgemäße Infra- war nun völlig von der Produktentwicklung struktur. Das neue Forschungszentrum abgekoppelt. Die Geschäftsführung be- stand mitten im Wald. Das ließ so manchen gründete diesen Schritt damals mit den Mythos entstehen, wie Günter Schmid erforderlichen „Voraussetzungen für die berichtet. Er war einer der Ersten, die 1968 zusammenfassende und übergreifende einzogen: „In den Fertigungsstandorten Bearbeitung aller Projekte und Aufgaben sagte man: ‚Dann geht doch ins Dornrös- unserer Forschung.“ Forschungsergebnisse chenschloss!’ Diese Lage im Wald, und sollten im ganzen Unternehmen bekannt der Anblick, wenn man mit dem Auto und nutzbar sein, um Doppelarbeit zu hingefahren ist, alles im Grünen, Ruhe, vermeiden. Ergänzt wurde dieser Schritt Platz – da kommt jeder auf die falsche 40 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 41 Prozessrechenanlage im Technischen Zentrum Schwieberdingen, 1970. Sie diente der Messwertverarbeitung und Versuchssteuerung sowie dem Speichern und Abrufen von Entwicklungsdaten. Gleißendes Licht und Vakuum: Der Weltraumsimulator „Bosch-Sonne“ Die weiße Stahlkuppel in einem roten Stahlgestell ragt über zehn Meter auf. In ihrem luftleeren Innern mit über sechs Metern Durchmesser hängt der Testkandidat, ein Forschungssatellit. Die Kuppel, umringt von unzähligen Transformatorenschränken, hat Fenstereinsätze. Gleißend helles Licht von 19 Xenonlampen strahlt mit einer Gesamtleistung von 90 000 Watt auf den Satelliten. Die mächtige Anlage ist ein besonders spektakuläres Beispiel für Forschung und Entwicklung bei Bosch: eine Weltraumsimulationskammer. Sie diente zur Erprobung von Raumflugkörpern unter den Bedingungen des Weltraums – in direkter Sonneneinstrahlung und im luftleeren Raum. Ziel war die Aufdeckung konstruktiver Schwächen, um die spätere Funktionsfähigkeit im Orbit zu gewährleisten. 1966 waren die Entwickler soweit: Die erste Simulationsanlage wurde bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DVL) nahe Köln eingeweiht. Insgesamt fertigte Bosch zehn dieser Anlagen zwischen 1966 und 1976. Idee: ‚Die ruhen sich hier aus’“. Eines der elektrische Hybridantrieb eines Ford 1992 auch ein Technisches Zentrum im Am Ende setzten sich indes die elektroni- Vorbilder war ein Forschungszentrum in Escort, den Bosch 1973 der Presse vor- japanischen Yokohama, nahe bei den Kun- schen Benzineinspritzsysteme durch, die den USA gewesen, wie der damals betei- stellte. Dem TZA folgte in Schwieberdingen den Toyota, Nissan, Honda, Mitsubishi, sich als Vorbilder der heutigen Standards ligte Physiker Gotthold Zielasek berichtete: 1970 das TZY, das Technische Zentrum Suzuki und Daihatsu. erwiesen. Sie waren zugleich die Voraus- „Es hatte drei Stockwerke. Das unterste Hydraulik. Es befasste sich zum Beispiel und oberste war für Labors vorgesehen. mit der Entwicklung hydraulischer Antriebe Elektronische Systeme machen Schule Bosch-Forscher seit 1969 arbeiteten. Die Im Fußboden des oberen und den Decken für Agrar- und Baumaschinen. Im gleichen Während das Forschungsnetzwerk immer Lambdasonde konnte mit einem Dreiwege- des unteren Stockwerkes befanden sich Jahr entstand auch in Hildesheim ein weiter gespannt wurde, sollte sich das katalysator die Abgasemissionen um Löcher, die abgedeckt waren. Das Stock- Forschungs- und Entwicklungszentrum für frühe Engagement in der Elektronik für 90 Prozent senken. An ihrer Entwicklung werk in der Mitte war ein Installationsge- Nachrichtentechnik sowie das „Institut de Bosch als besonders fruchtbar erweisen. war Wolf-Dieter Haecker federführend schoss, von dem aus die Versorgung der Recherches Robert Bosch S.A.“ in Lonay Schon 1967 hatte Bosch das erste elektro- beteiligt. Nach den Worten des früheren Labors oben und unten etwa mit Gasen, am Genfer See. 1979 schließlich richtete nische System in Großserie eingeführt: Bosch-Forschungschefs gingen in die Wasser, Elektrizität oder Druckluft er- Bosch in Feuerbach das Technische die Benzineinspritzung Jetronic. Aber Lambda-Sonde „Kenntnisse aus ganz unter- folgte.“ Ebenfalls 1968 eröffnete Bosch Zentrum Dieseleinspritzung (TZD) ein. avancierte Techniken wie diese forderten schiedlichen Bereichen bei Bosch ein, aus das „Technische Zentrum Autoelektrik“ setzung für die Lambda-Sonde, an der den Entwicklern zahlreiche Korrektur- der Gemischaufbereitung für Benzinmoto- (TZA) in Schwieberdingen. Hier entwickel- Internationale Technische Zentren schritte ab. Die Jetronic zum Beispiel ren, aber auch aus der Zündkerzen- und ten Naturwissenschaftler, Ingenieure und Die internationalen Märkte erforderten trug mit ihren 220 Bauteilen viele mögliche Batteriefertigung.“ Erste Versuche erbrach- Techniker Produkte der Automobilelektrik. unterschiedliche Entwicklungsschwer- Fehlerquellen in sich, so dass die Entwick- ten jedoch niederschmetternde Ergeb- Aber auch die Vorausentwicklung zukunfts- punkte. Deshalb beschloss Bosch 1982 ler bereits 1970 ein neues Projekt starte- nisse: Nur eine Stunde überstanden die weisender Technologien fand hier ihren die Gründung eines weiteren Technischen ten: die 1973 in Serie gebrachte L-Jetronic. getesteten Sonden. 1975 erreichte man Platz. Wie weit Bosch der Zeit voraus war, Zentrums in Farmington Hills im US-Bun- Sie war als erstes System ihrer Art mit bereits 250 Stunden, das entsprach einer zeigte sich in Schwieberdingen beispielhaft desstaat Michigan. Wichtig war die Nähe integrierten Schaltkreisen ausgerüstet. Das Fahrleistung von 20 000 Kilometern, bis mit frühen Projekten für den Hybrid- und zu Kunden wie General Motors, Ford und reduzierte die Zahl der Bauteile auf rund 1982 von 160 000 Kilometern. Nachdem der Elektroantrieb. Der gesamte Antrieb für Chrysler, sie ermöglichte bei gemeinsamen ein Drittel. Allerdings sahen einige Kunden schwedische Autohersteller Volvo ab 1976 Elektro-Omnibusse, an deren Entwicklung Entwicklungsprojekten kurze und unbüro- die Elektronik noch eher kritisch. Daher seine Limousinen für den US-Markt mit Bosch in den 1970er Jahren beteiligt war, kratische Entscheidungswege. Nachdem entwickelte Bosch parallel mechanisch Katalysator und Lambdasonde ausgerüstet wurde hier entwickelt, ebenso der benzin- sich dies bewährt hatte, eröffnete Bosch gesteuerte Systeme wie die K-Jetronic. hatte und das System seine Alltagstauglich- 42 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 43 keit in der Praxis bewies, führte in der Neuer Standort mit Erfolg und Tücken Branche nun kein Weg mehr an der Lambda- Die Entwicklung der Elektronik veränderte technik vorbei. Zu groß war deren Poten- auch Bosch selbst. Ohne sie wäre das zial, zusammen mit der bereits bekannten Unternehmen in den vergangenen Jahr- Katalysatortechnik Abgase in Smog-geplag- zehnten bei Weitem nicht so stark gewach- ten Metropolen zu reduzieren. So etab- sen und hätte auch nicht seinen innovati- lierte sich der Katalysator mit Lambda- ven Ruf ausbauen können. Dieser Weg war technik binnen gut eines Jahrzehnts als allerdings von Anfang an steinig. Das zeigte weltweiter Standard. Drei Jahre später sich beim Aufbau des Standortes Reutlin- folgte eine weitere Innovation, die heute gen, wo Bosch ab 1970 die Fertigung elek- eine Selbstverständlichkeit in Benzin- tronischer Bauelemente bündelte. Hier motoren ist: die Motronic. Darin fassten standen die Entwickler vor großen Heraus- die Entwickler die bisher getrennten forderungen. Das begann schon mit dem Prozesse der Einspritzung und Zündung Silizium, dem Trägermaterial für elektroni- in einem Steuergerät zusammen. Die sche Bauteile: „Damit auf seiner Oberflä- Motronic war das weltweit erste mikro- che überhaupt elektronische Elemente prozessorgesteuerte System im Auto. aufgebracht werden konnten“, so berichtet Weil zur Motronic auch ein separater Peter Egelhaaf, damals frisch promovierter Datenspeicher gehört, markiert sie sogar Physiker bei Bosch, „mussten wir als einen den ersten Einsatz eines Computers im der ersten Schritte eine geeignete einkris- Auto. Sie ist noch heute Vorbild aller talline Siliziumschicht abscheiden, die so- Motorsteuerungen für Benzinmotoren. genannte Epitaxieschicht.“ Auch auf die Leistungselektronik im Fond eines Elektroautos, 1967. Bosch war als Pionier der Kraftfahrzeugtechnik immer auch Vorreiter bei der Erforschung alternativer Antriebe. Fertigungsingenieure kam viel Entwicklungsarbeit zu, vor allem, um die enttäuschende Ausbeute bei den integrierten der Halbleiterfabrik in Reutlingen an die Schaltkreisen zu erhöhen. „Der Zugang zu Versorgung mit Wasser aus dem Bodensee, den Reinräumen für die erste Pilotfertigung einem der größten Trinkwasserreservoirs in Rutesheim“, so schildert der frühere Ent- Mitteleuropas. wickler Karl Nagel eines von vielen Beispie- Mit Sonne, Luft und Öl gewärmt: Das Tritherm-Haus in Wernau len, „erfolgte durch die Stanzerei. Offen- Der lange Weg des ABS zur Serie sichtlich musste man bei Bosch noch ler- Die Elektronik im Auto etablierte sich nach nen, wie hoch der Reinheitsgrad für eine den Anfangsschwierigkeiten unaufhaltsam, Fertigung von Halbleiterbauelementen auch in komplexen und sicherheitsrelevan- sein muss.“ Das in den Griff zu bekommen, ten Bremsregelsystemen wie dem Antiblo- war nach den Worten Nagels entscheidend: ckiersystem ABS – aber es war ein langer „Für jede Halbleiterfertigung steht und fällt Weg: Mechanische Blockierverhinderer Im Herbst 1976 baute der Geschäftsbereich Thermotechnik ein Einfamilienhaus. die Wirtschaftlichkeit mit der Ausbeute.“ hatte es im Flugzeugbau und in wenigen Aber zu was sollte das schmucke Eigenheim mitten auf dem Werksgelände gut sein? Auch das Brauchwasser spielte eine große unerschwinglichen Automobilanwendungen Es war kein repräsentativer Neubau für den Werkleiter, sondern ein experimentelles Rolle, wie der damalige Standortplaner schon gegeben, aber die Elektronik bot Haus, das die Möglichkeiten des Energiesparens mit neuester Technik beweisen sollte. Siegfried Bellon berichtet: „Anfangs haben endlich die Möglichkeit einer bezahlbaren Die Öl-Zentralheizung diente nur als Reserve für sehr kalte Wintertage, ansonsten wir vom Wasserversorger der Stadt Lösung für Automobile in Großserie. Weit sorgten Wärmepumpe und Solarkollektoren für warme Zimmer und heißes Wasser. Reutlingen Wasser aus dem Fluss Echaz vorn in der Entwicklung war das Heidelber- Tritherm-Haus wurde dieses Konzept genannt, nach den drei genutzten Wärmequellen. bekommen, und nach jedem größeren ger Unternehmen Teldix, dessen Lösungs- Es zeigte, dass visionäre Forschung und Entwicklung bei Bosch nicht auf die Kraftfahr- Regen haben wir Probleme gehabt, weil weg für die Druckmodulation nach Ablauf zeugtechnik beschränkt blieb. Und es ist der erste Vorbote eines vielversprechenden eine Menge an Material aus den Höhen- der Patente zum weltweiten Standard Geschäftsfeldes: intelligente, internetbasierte Energie- und Gebäudetechnik. zügen der Schwäbischen Alb herunterge- wurde. Doch vorerst scheiterte es Anfang schwemmt wurde. Es hat uns die Filter der 1970er Jahre mit der Serieneinführung verstopft und die Effizienz der Ionentau- bei Daimler-Benz. In der letzten ABS-Winter- scher zunichte gemacht. Wir hatten also erprobung vor der geplanten Serie im mächtig Probleme!“ Das Problem lösten Jahr 1972 war nahezu jedes dritte Steuer- die Bosch-Experten durch den Anschluss gerät ausgefallen, wie Wolf-Dieter Jonner 44 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 45 Pionierarbeiten weit voraus zum Bus – wir sind immer auf das gleiche Doch nicht alle Entwicklungsarbeiten Ergebnis gekommen: Wirkungsgrade von führten zum Erfolg wie ABS oder Motronic. weit über 90 Prozent, bei den vorhandenen Manches blieb damals noch visionär, die Batterien aber nur Reichweiten von 50 bis Brennstoffzellentechnik oder die Elektro- 100 Kilometern.“ mobilität. „Wir haben 1973 zusammen mit Klimaprüfstand zur Optimierung elektronischer Benzineinspritzsysteme, 1979. Prüftemperaturen von - 30 bis + 70 ° C waren möglich, ebenso simulierte Fahrtwinde von bis zu 120 km/h und gefahrene Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h auf dem Rollenprüfstand. der Firma MAN einen rein elektrisch betrie- Das 3 S-Programm und seine Folgen benen Bus entwickelt“, berichtet Entwick- Die Innovationen der 1960er und 1970er ler Peter Pfeffer, „mit Anhänger, der mit Jahre wie Jetronic und ABS passten sehr einer rund vier Tonnen schweren Batterie gut zu dem Leitmotiv für die Entwicklungs- beladen war. Der wurde in Mönchenglad- arbeit, das Bosch unter dem Eindruck bach im normalen Busverkehr eingesetzt. der ersten weltweiten Ölkrise 1973 aus- Wenige Jahre später haben wir dann mit gab: das Autofahren sicher, sauber, Daimler-Benz zusammen einen Hybridbus und sparsam zu machen. Dieses soge- entwickelt, der in Stuttgart in Betrieb war. nannte 3S-Programm, wie der damalige Er hatte einen Dieselmotor mit gut 80 kW, Vorsitzende der Geschäftsführung, Hans L. das ist das, was man heute einen Range Merkle, es nannte, hätte eigentlich keinen Extender nennt. Damals nahm ich den Anlass gebraucht. Denn Unfälle zu verhin- Prototypen über das Wochenende mit nach dern, Verbrauch und Emissionen zu redu- Hause, um ihn auf Überlandfahrten zu zieren – dazu trugen Bosch-Erzeugnisse erproben. Einige Nachbarn glaubten bald, bereits seit Jahrzehnten bei. Doch richtete ich sei Busfahrer bei den Stuttgarter Ver- das 3S-Programm die Schwerpunkte der kehrsbetrieben.“ „Wir haben alles unter- Forschung und Entwicklung klar auf den sucht und getestet“, ergänzt Kollege Rainer Unfall- und Umweltschutz aus. Und das ist Leunig, „vom Pkw über den Transporter bis bei Bosch heute aktueller denn je. berichtet. Jonner bildete mit Jürgen Der Erfolg der ABS-Entwickler wurde Gerstenmeier und Heinz Leiber, ihrem schließlich mit der Verleihung des Elmer damaligen Vorgesetzten, das Führungstrio A. Sperry Awards der amerikanischen bei der ABS-Entwicklung bei Teldix und Ingenieursvereinigungen gewürdigt. kam mit beiden Kollegen als ABS-Pionier Als dann im Herbst 1978 das ABS in der zu Bosch. Die Elektronik des Teldix-ABS Mercedes S-Klasse auf den Markt kam, war derartig anfällig, weil sie aus gut tau- war das gleichbedeutend mit dem ersten send Bauteilen bestand. Aber die Ingeni- Serieneinsatz eines digitalen Großschalt- eure suchten mit viel Konzentration und kreises im Auto – auch das ein Durchbruch, Mitte der 1970er Jahre hielten Attentate der terroristischen „Rote Armee Fraktion“ auf Kreativität nach Lösungen. „Montags“, so um die Elektronik auf die Straße zu brin- führende Köpfe der Wirtschaft und Politik Deutschland in Atem. In dieser angespannten berichtet Jonner, „war es immer besonders gen. Anfangs war das ABS ein defizitäres Situation erhielt das Technische Zentrum Forschung den Auftrag, ein Ortungsgerät zu interessant. Wir haben dann gemeinsam Geschäft – nicht untypisch für ambitio- konstruieren. Es sollte Hans L. Merkle, den Vorsitzenden der Geschäftsführung, im Falle überlegt, welche Wochenendeinfälle von nierte Innovationen von Bosch, die sich einer Entführung mit Hilfe eines kleinen unauffälligen Senders auffinden können. Das Leiber wir umsetzen können und welche noch am Markt etablieren mussten. Erst Empfangsgerät, so die Vorgabe, müsse den Träger des Senders aus bis zu 400 Metern nicht.“ Der Schlüssel zu einem sicheren mit kostengünstigeren Fertigungsmethoden Entfernung orten können, auch durch eine Metallabschirmung hindurch, etwa wenn das ABS war letztlich die digitale Elektronik, und der Durchsetzung auch in Mittelklasse- Opfer in einem Kofferraum transportiert wurde. Der Sender stellte die größte Heraus- für die Bosch-Halbleiterexperten in und Kleinwagen amortisierten sich die forderung dar. Ein Zigarettenetui als Tarnung kam nicht in Frage, schließlich war Merkle Reutlingen über das wesentliche Know- Anfangsinvestitionen für das ABS, die bekanntermaßen Nichtraucher. Man musste es also schaffen, den Sender in eine Füller- how verfügten. Diese Experten ermöglich- im dreistelligen Millionenbereich gelegen Attrappe zu integrieren. Glücklicherweise entspannten sich die politischen Verhältnisse ten mit Integrierten Schaltkreisen erst hatten. Doch ohne die oft riskanten Ent- wieder und Merkle konnte auf den Füller verzichten, der keiner war. die Serientauglichkeit des ABS: durch wicklungsentscheidungen wären viele drastische Reduzierung der Menge an Erfindungen nie zu Innovationen mit kom- Bauteilen und damit auch an Fehlerquellen. merziellem Erfolg geworden. Raffinierte Entwicklung in unruhiger Zeit: Dem Chef immer auf der Spur 46 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 47 Für jeden Markt entwickelt Wegweisende Innovationen und Globalisierung 1983 bis 2005 Bild ganz links: Maßstabsgerechtes Großmodell eines Einspritzventils zur Analyse von Einspritzverläufen, 2004 Bild links: Experimentelles Navigationssystem EVA (Elektronischer Verkehrslotse für Autofahrer), 1983, das weltweit erste System für den Straßenverkehr, das den Fahrer zu seinem Ziel lotste. „Eins, Null, Vier, Zwei, Eins, Sechs“ tönt es onssystem“ (ALI) dem Fahrer über ein aus einem Lautsprecher im Testwagen, wäh- Empfangsgerät helfen, Staus auszuweichen. rend der leitende Entwickler Otmar Pilsak Hervorgegangen aus einem Hochschul- die Zahlen in eine Tastatur tippt. Was da Forschungsprojekt der RWTH Aachen, roboterartig schnarrt, ist die Stimme des übernahm Bosch das Projekt in die unter- „Elektronischen Verkehrslotsen für Auto- nehmenseigene Forschung und stellte es fahrer“. Dieses System, kurz EVA genannt, 1978 der Presse vor. ALI markierte den stellten die Bosch-Ingenieure um Pilsak am Beginn intensiver Zusammenarbeit mit 21. Juni 1983 der Öffentlichkeit vor. Sie Universitäten und Hochschulen, die Bosch schufen damit die Grundlagen für die heu- als wichtige Partner erkannt hatte. tige Fahrzeugnavigation. Der Zahlencode stand für das gespeicherte Ziel in der Test- „Am Ende ergab sich allerdings die Frage, stadt Hildesheim, wo das System am Bosch- was der Autofahrer tun sollte, wenn er auf und Blaupunkt-Standort entwickelt worden Empfehlung von ALI die Autobahn wegen war – dort, wo seit Jahrzehnten Autoradios Staugefahr verlässt, sich dann aber nicht gefertigt wurden. Die Vorstellung des Sys- mehr auskennt“, sagt Entwickler Pilsak im tems vor Journalisten wirkte visionär und Rückblick. Die Antwort war EVA, das erste sie zeigte, was Datenverarbeitung und Zielführungssystem mit Sprachausgabe. Sensorik in den kommenden Jahrzehnten Dessen Vorstellung 1983 war ein Meilen- möglich machen sollten. stein in der Geschichte der Fahrerinformation. Erstmals konnte sich der Fahrer ohne Innovationen und Hochschulkooperation Ortskenntnisse von einer synthetischen EVA steht beispielhaft für den langen und Stimme ans Ziel führen lassen, mit einem bei aller Planung doch oft überraschenden System aus elektronisch gespeicherter Verlauf von der Idee zum Produkt. Dass es Landkarte, Kompass und Radsensoren. zu dieser Innovation kommen würde, war Allerdings funktionierte das seinerzeit nur ein Jahrzehnt zuvor noch nicht denkbar. in der Teststadt Hildesheim, und an man- Damals wollte man noch nicht den Fahrer chen Kreuzungen mussten die Testautos über eine bordeigene Navigation lotsen, einige Minuten auf die Routenempfehlung vielmehr den Verkehrsfluss über Induktions- warten, weil die Daten auf einer Compact- schleifen in der Straße messen. Daraufhin Cassette und noch nicht auf einer CD sollte das „Autofahrer-Leit- und -informati- gespeichert waren und der Datenzugriff 48 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 49 Seit Anfang der 1980er Jahre begannen rechnergestützte Systeme die Entwicklung neuer Produkte zu prägen. Das Bild von 1995 zeigt das Computer Aided Design (CAD) bei der Entwicklung von Wischersystemen. Erprobung der Radarsensorik an einem Testwagen des Forschungsinstitutes in Lonay/Schweiz, 1995 lange dauerte. Doch bei allen Anfangs- stoffen, Physik und Technologie sowie es auf ein höheres Entwicklungstempo an, Dies nahm heutige Forschungen vorweg, problemen, Bosch war seiner Zeit voraus. Mechanik und Elektronik befassten. Hinzu denn mit der Internationalisierung der die auf automatisierten Individualverkehr kamen noch die Forschungsinstitute Berlin Telekommunikationsbranche verschärfte hinarbeiten. Zudem bauten darauf Pro- Umbrüche und Neuordnung der Forschung und Lonay“, erinnert sich Peter Egelhaaf. sich nicht nur der Konkurrenzkampf, viel- duktentwicklungen wie das Abstandsradar Die 1980er Jahre waren bei Bosch von „1989 wurden daraus die beiden Bereiche mehr verkürzten sich auch die Produkt- „Adaptive Cruise Control“ (ACC) auf, Umbrüchen geprägt: Gleich zu Beginn des Chemie, Werkstoffe, Technologie einerseits zyklen. Zwar zog sich Bosch nach einigen das im Jahr 2000 auf den Markt kam. Jahrzehnts erfolgte mit der Übernahme der und Physik, Technische Mechanik und erfolgreichen Jahren aus dieser zunehmend Gert Siegle, in den 1990er Jahren bei Firmen Telenorma und ANT der Ausbau der Elektronik andererseits“, fährt Egelhaaf problematischen Branche zurück. Dennoch Bosch-Forschungschef für Kommunikations- Telekommunikation, einer Sparte, die im fort, der selbst von 1985 bis 1998 verschie- geht die heute so wichtige Kombination technik, resümiert aus dieser Ära der kommenden Jahrzehnt zeitweise bis zu dene Forschungsabteilungen leitete: „Wir von Automobil- und Kommunikationstechnik Synergien und vorweggenommenen Tech- 25 Prozent des Umsatzes ausmachen sollte. brauchten mehr Selbstständigkeit und bei Bosch auf die Entwicklungssynergien nologien: „Vieles hat uns zunächst kein Auch in der Forschung änderte sich die hatten jetzt größere Entscheidungs- und von damals zurück. Ein frühes Beispiel ist Geld gebracht, aber es hat uns Kontakte Struktur in diesen Jahren mehrfach – not- Entfaltungsmöglichkeiten.“ die Beteiligung am EU-Forschungsprojekt und Vertrauen gebracht, später dann auch „Prometheus“. Dazu lieferte Bosch für auto- Aufträge.“ wendig auch deshalb, weil das Unternehmen rasant wuchs. Schließlich war Bosch Synergieeffekte einer kurzen Ära matisierte Fahrmanöver schon Anfang der Pionier und Marktführer in der forschungs- Nachdem Bosch die Mehrheitsanteile an 1990er Jahre die rechnergestützte Bildana- Entwicklung wird international und entwicklungsintensiven Automobilelek- den Kommunikationstechnik-Unternehmen lyse. Deren Weiterentwicklung ist heute für Auch auf dem damals größten Markt der tronik. So wurde der Verbund von Forschung Telenorma und ANT übernommen hatte, die Videoüberwachung in der Sicherheits- Welt, den USA, verstärkte Bosch seine und Produktionstechnik, 1972 gegründet, änderten sich auch die Randbedingungen technik ebenso nützlich wie für die Erken- technische Präsenz. Bis in die 1980er Jahre schon wenige Jahre später gestrafft: „Mit für Forschung und Entwicklung. Jetzt galt nung von Verkehrszeichen in der Fahreras- war das Unternehmen noch nicht mit größe- dem Programm ‚Struktur 75’ fasste Bosch es, die technische Kompetenz der traditio- sistenz. Und das ist nicht alles: Diese ren Lieferanteilen bei den einheimischen die elf Forschungsabteilungen am Standort nellen Bereiche mit neuen Feldern wie Prometheus-Erkenntnisse halfen auch bei Autoherstellern vertreten. Nur in der Nutz- Schillerhöhe in drei Forschungsbereiche Mobiltelefonen, Raumfahrt- und Sicher- Projekten wie dem fahrerlosen Betrieb von fahrzeugbranche konnte Bosch mit Diesel- zusammen, die sich mit Chemie und Werk- heitstechnik zu verknüpfen. Zugleich kam Fahrzeugen, den Bosch ab 1991 erprobte. ausrüstung punkten, die nötigen Erzeug- 50 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 51 Auf dickem Eis gefahren: Die Erprobung auf Testgeländen Was nützen alle Laborergebnisse, wenn Technik im Auto in der Praxis nicht funktioniert, wie sie soll, zum Beispiel in extremen Fahrsituationen und dann noch bei tiefen Minustemperaturen? Dazu brauchen die Entwickler Platz zum Testen und einen winterlich glatten Untergrund. Die Lösung für Bosch war ein zugefrorener See beim nordschwedischen Arjeplog, ein kleines Hotel als Basisstation, findige „Icemaker“ und ebenso improvisationsfähige Ingenieure: Wolf-Dieter Jonner, zusammen mit Jürgen Gerstenmeier einer der „Väter“ des Antiblockiersystems ABS, kann davon eindrucksvoll berichten: „Bei den ersten Testfahrten änderten wir die ABS-Parameter noch mit dem Lötkolben, danach in der 1:1-Nachbildung des Digitalschaltkreises mit der „Wire-Wrap-Pistole“ und noch nicht mit dem Laptop“. Diese Arbeit war und ist auch heute noch etwas Besonderes, wie Erich Bittner und Jürgen Zechmann erzählen, die schon Mitte der 1970er Jahre in Arjeplog Fahrzeuge testeten, um den Blockierschutz serienfähig und alltagstauglich zu machen: „Wir wussten nisse kamen seit 1974 aus Charleston in Entwicklung wird global nie, wann wir wieder nach Hause kommen würden“, sagt Bittner, „eine meiner längsten South Carolina. 1983 eröffnete Bosch in Wie sehr sich Forschung und Entwick- Touren waren sechs Wochen am Stück. Wir dachten immer wieder, wir sind kurz vor dem Farmington Hills, Michigan, das „Technical lung globalisieren sollten, zeigte sich am Durchbruch, noch mal eine Woche dranhängen, noch mal und noch mal – dann waren es Center Automotive“. Sein Schwerpunkt lag 20. Oktober 1999 am Standort Blaichach/ sechs Wochen, und wir waren kurz vor dem Zusammenbruch.“ Und Zechmann ergänzt: auf der Entwicklung und Applikation von Immenstadt. An diesem Tag eröffnete Bosch „Selbst abends beim Essen haben wir weiterdiskutiert. Lasst uns das doch ausprobieren, Erstausrüstung für neue Fahrzeugtypen in hier das „International Simultaneous Engi- hieß es. Dann sind wir ins Labor gegangen, um es auszuprobieren. Manchmal haben wir den USA. Die Zentralen der „big three“, neering Center“ für Bremsregelsysteme. noch morgens um zwei auf dem See getestet – und morgens um sieben standen wir wieder General Motors, Ford und Chrysler, lagen Bereits 1982 war im Allgäu die Fertigung auf dem Eis.“ im Umkreis. Gemeinsam mit den Fachleuten der ABS-Hydraulik konzentriert worden. dieser Kundenunternehmen konnten die Weil sich das Antiblockiersystem weltweit Bosch-Ingenieure ihre Technik nunmehr so erfolgreich verkaufte, startete Bosch vor Ort an neue Automodelle anpassen. auch die Produktion in Australien, Japan Das „Technical Center“ in Farmington Hills und den USA. Diese wurde zu einem Ferti- stand für eine neue Stufe der Internationali- gungsverbund zusammengeführt. Jedoch sierung von Forschung und Entwicklung. erforderte die immer kürzere Abfolge der Mehr denn je richtete Bosch als Autozu- Systemgenerationen eine grundsätzlich lieferer seine Produkte auf die Ansprüche neue Strategie, und genau dafür stand der jeweiligen Region aus. Und dafür muss- „Simultaneous Engineering“. Die Gründung ten die eigenen Ingenieure noch enger mit des Centers hatte zum Ziel, über die gleich- den Entwicklungspartnern der einheimi- zeitige Produktentwicklung weltweit hinaus schen Automobilhersteller zusammenar- auch den gleichzeitigen Fertigungsanlauf an beiten. Dies verbesserte auch die Wettbe- allen Standorten weltweit zu ermöglichen. werbschancen gegen die vor Ort ansässigen So waren alle weltweiten Werke schneller Zulieferer. als bisher beim Anlauf der neuen Systemgenerationen startbereit. Motorenprüffeld im neu eröffneten Technischen Zentrum Yokohama, 1992. Die bedarfsgerechte Entwicklung neuer Technik erforderte die Präsenz vor Ort. 52 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 53 Vom ABS zum ASR und ESP® Daher legten die Bosch-Ingenieure schon wir unsere Lösung dargestellt, und da ist entwickelten zusammen unter einem Dach. An Bremsregelsystemen wie dem ABS 1980, im Windschatten der ersten Erfolge auch der Geschäftsführer Hermann Scholl Das beschleunigte die Arbeit am ESP® konnte Bosch die großen Stärken seiner mit dem ABS, die Grundlagen für die An- selber gefahren und hat gemerkt, er konnte erheblich. Schließlich waren beide Unter- Forschung und Entwicklung ausspielen: triebsschlupfregelung ASR. 1986 einge- lenken, wie er wollte, das Fahrzeug blieb nehmen fest entschlossen, das System die langfristige Ausrichtung und die per- führt, brachte dieses System erneut einen absolut stabil. Als das System mit Voll- bis 1995 marktreif zu machen, was ihnen manente Anstrengung, die Wettbewerber technischen Fortschritt. Denn das ABS hielt bremsung funktioniert hat, haben wir auch gelang. technologisch auf Distanz zu halten. Bosch das Fahrzeug nur beim Bremsen auf Nässe gesagt, dann kriegen wir den Rest auch hatte das Antiblockiersystem nach mehr als und Eis lenkbar, aber beim Anfahren auf hin, das heißt, bei Teilbremsung, also wenn Marktreif in zwölf Monaten einem Jahrzehnt harter Entwicklungsarbeit solchem Grund drehten die Antriebsräder die Räder nicht blockieren, oder wenn das Innovationen haben oft mit dem klugen 1978 serienreif entwickelt. Doch so brillant oft durch. Hier half das ASR, es war die Fahrzeug frei rollt, wenn Sie Gas geben oder Transfer von Technologie von der einen in das Produkt war, es war zunächst schlicht Weltpremiere für die heute im Auto übliche beschleunigen. Und so haben wir das dann die andere Produktsparte zu tun. Das war zu teuer. Das Beispiel ABS zeigte damit, Vernetzung von Steuergeräten. Denn dieses auch sukzessive erweitert, bis das ESP® schon mit Robert Boschs Magnetzünder so, wie wichtig Forschung und Entwicklung System bremste beim Durchdrehen nicht nur in seiner jetzigen Form entwickelt war.“ den er aus dem Stationärmotor ins Auto auch nach der Serieneinführung blieben – die Antriebsräder ab, es reduzierte auch das Die Funktionsweise des ESP® stabilisiert verpflanzte. In der jüngeren Vergangenheit vor allem für die Fertigungstechnologie. In Drehmoment des Motors. Dazu musste das das Fahrzeug durch individuelle Bremsein- bietet bei Bosch die Lithium-Ionen-Techno- der ersten Hälfte der 1980er Jahre gelang System in die Motorsteuerung eingreifen. griffe an einzelnen Rädern wieder soweit, logie ein beeindruckendes Beispiel: Die wie es die Gesetze der Physik zulassen. leistungsfähige Batterietechnik war bei es Bosch, das ABS so kostengünstig zu machen, dass es Gewinne erzielen konnte. Projekthaus mit Kunden an Bord Doch rund sechs Jahre nach dem ersten Das dritte Bremsregelsystem schließlich, An diesem bestechenden Ansatz war der Entwickler im Geschäftsbereich Power Serieneinsatz im Herbst 1978 hatte die auch dies eine Pionierleistung der Bosch- Autohersteller Daimler-Benz, der sich eben- Tools nutzten sie für einen Elektroschrau- Konkurrenz gleichgezogen und ein tech- Ingenieure, war das Elektronische Stabili- falls mit der Entwicklung eines ähnlichen ber. Gleichzeitig stand die Idee Pate, ein nisch vergleichbares Produkt auf den Markt täts-Programm ESP®, das 1995 auf den Systems befasste, von Anfang an interes- besonders handliches Werkzeug zu entwi- gebracht. Markt kam. Erste Prototypen waren Mitte siert. So kam es, dass Bosch gemeinsam ckeln, das in der Männerdomäne Heimwer- Mobiltelefonen etabliert, doch findige der 1980er Jahre bei Wintertests im nord- mit dem Kunden 1992 ein sogenanntes ken auch für Kundinnen attraktiv ist. Vor Die Alleinstellung von Bosch bei den so schwedischen Arjeplog erprobt worden. Systemhaus gründete. Es war die Premiere der Entwicklung zur Serienreife stand also innovativen Bremsregelsystemen war jetzt Anton van Zanten, damals Leiter des ESP®- eines gemeinsamen Innovationsprojektes der Blick auf die Kundschaft, in dieser gefährdet. Doch die Verantwortlichen für Projekts, erinnert sich daran noch lebhaft: von Automobilhersteller und Zulieferer. Produktsparte ein unabdingbarer Aspekt die Entwicklung hatten das vorhergesehen. „In der Wintererprobung 1986/1987 haben Ingenieure von Daimler-Benz und Bosch für den Erfolg. Das Ergebnis war nach Bild ganz links: ABS-Erprobung eines US-amerikanischen Trucks bei Nässe, 1984. Entwickler machten das 1978 eingeführte Antiblockiersystem bald auch für andere Fahrzeugarten serienreif. Bild links: Auf dem nordschwedischen Wintertestgelände Arjeplog wird 1995 ein Wagen mit dem serienreifen Elektronischen Stabilitätsprogramm ESP® damals FDR genannt – aus einem Hubschrauber bei Fahrmanövern gefilmt. 54 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 55 Vermessung eines Kraftstoffstrahls mittels Lasertechnik, 1991. Benzin- und Dieseleinspritzsysteme müssen so entwickelt werden, dass der von ihnen gesteuerte Einspritzverlauf für geringen Verbrauch und die Erfüllung strengster Abgasnormen optimiert ist. Vom Kleinen ins Kleinste sechs Jahre Vorleistung in das Vorhaben In den späten 1980er Jahren entstand in gesteckt.“ Die Fertigungstechnik spielte Reutlingen ebenso wie in den Forschungs- dabei eine besondere Rolle. Bewegliche labors auf der Gerlinger Schillerhöhe mit Strukturen in miniaturisierte Bauteile zu der Mikromechanik eine ganz neue Technik: bringen, das war die schwierigste Aufgabe winzige mechanische Strukturen für Senso- in der Mikromechanik. Franz Lärmer, einer ren auf einem Siliziumträger. In Reutlingen, der Entwickler für die Fertigungstechnik, seit den frühen 1970er Jahren wesentlicher erinnert sich an die wenig optimistischen Standort für die Produktion elektronischer Worte seines Chefs, die ihn aber umso Komponenten, war 1985 auch ein „Techni- mehr beflügelten: „Was ich Ihnen da als sches Zentrum Mikroelektronik“ entstan- Aufgabe gegeben habe, das kann eigentlich den. Unter Hochdruck setzten Bosch-Ingeni- nicht funktionieren, aber versuchen Sie es eure hier Anfang der 1990er Jahre Erkennt- trotzdem mal. Wenn es funktionieren nisse zur Herstellung mikromechanischer würde, dann wäre es den Aufwand allemal Sensoren um. Denn solche Sensoren – wert.“ Und es funktionierte doch: In den heute sind in einem Auto bis zu 100 verbaut Labors entstand ein Plasmaätzverfahren für – mussten kleiner, zuverlässiger und billiger mikromechanische Bauteile. Der „Bosch- werden. Jiri Marek, seit 1986 bei Bosch, Prozess“ war entstanden, der die exakte bekam gleich zu Anfang eine schwierige Fertigung der kaum vorstellbar kleinen Aufgabe gestellt: die Entwicklung eines beweglichen Strukturen ermöglichte – heu- mikromechanischen Prototypen. „1993 tige Sensoren sind 1,5 Millimeter breit und war dann das erste Produkt serienreif, lang – und haben dennoch viel Platz für die der erste mikromechanische Drucksensor“, beweglichen Strukturen, die zum Teil nur einige tausendstel Millimeter groß sind. weniger als einem Jahr der IXO, ein Akku- 15 Jahre hartnäckig gearbeitet, ehe 1989 erzählt Marek, „ich muss sagen, das war schrauber, der dank der Leistungsdichte die Serienfertigung startete. Zunächst domi- wirklich toll, Bosch hat nicht weniger als der Lithium-Ionen-Batterietechnik sehr nierte die Verteilereinspritzung, heute ist leicht und klein war und dessen Batterie das Common-Rail-System Standard, das sich nicht entlud, auch wenn er monatelang Bosch 1997 in Serie einführte. Diese mo- nicht genutzt wurde. Erfolg erhofften sich dernen Systeme konnten die Dieselemissio- die Produktmanager schon. Doch sie hatten nen seit Anfang der 1990er Jahre um mehr nicht erwartet, dass die Kombination aus als 90 Prozent senken. Welche Herausforde- Technologietransfer und Kundenblick das rungen darin steckten, brachte der dama- weltweit meistverkaufte Elektrowerkzeug lige Entwicklungschef Klaus Krieger im mit bisher 12 Millionen Stück hervorbringen Rückblick prägnant auf den Punkt: „Es war würde. nicht einfach, an einen Erfolg zu glauben.“ Auch bei der Benzin-Direkteinspritzung Entwicklung braucht langen Atem hatte Bosch noch viel Lehrgeld zu zahlen. In den klassischen Bosch-Sparten Diesel- Denn als im Jahr 2000 das erste System auf und Benzineinspritzung setzte Mitte der dem Markt war, stellte sich heraus, dass 1990er Jahre geradezu ein Innovations- sein Einsparpotenzial von bis zu 20 Prozent boom ein. Dafür waren die Grundlagen nur bei äußerst behutsamer Fahrweise zu früh erarbeitet worden, lange bevor die halten war, im Idealfall bei langsamem Marktchancen erkennbar waren. Langfris- Tempo auf Langstrecken. Aber die Richtung tige Vorarbeit für eine neue Technologie erwies sich als richtig. Heute bringt die im vollen Bewusstsein der Risiken eines Benzin-Direkteinspritzung in Verbindung mit kommerziellen Misserfolgs – das kennzeich- Turbolader und verkleinerten Motoren einen nete Bosch auch hier. An der elektronisch scheinbar widersprüchlichen Effekt: weni- gesteuerten Hochdruck-Dieseleinspritzung ger Verbrauch und Emissionen bei gleicher zum Beispiel hatten die Ingenieure rund Leistung. Insekt im Größenvergleich zu einem Mikrochip. Mikromechanische Sensoren für Smartphones sind heute nur 1,5 mm mal 1,5 mm groß – und das mit integrierten beweglichen Strukturen. 56 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 57 Auf dem Weg zur Auto-Datenautobahn Nahezu alle Halbleiterhersteller der Welt Ähnlich visionär wie die Vorarbeit für die haben eine CAN-Lizenz erworben. Dies ist Mikromechanik war auch die Forschung an das erste Bosch-Produkt, das sich nicht im Datenverbindungen im Auto. Darauf melde- wörtlichen Sinne greifen lässt. Vielmehr ist ten Bosch-Forscher 1985 erstmals ein CAN ein Kommunikationsprotokoll für die Patent an. Mit immer mehr elektrischen und Verknüpfung von Regel- und Steuerungssys- elektronischen Funktionen im Auto drohten temen in Echtzeit. Es hat sich als Weltstan- die Kabelstränge schlicht zu schwer zu dard nicht nur in der Automobilindustrie werden. Zudem wären die unzähligen etabliert, sondern auch in zahlreichen ande- Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ein zuneh- ren Branchen breite Anwendung gefunden. Blick ins Innere (2004): Piezokeramische Komponenten in Einspritzventilen dehnen sich bei elektrischer Spannung blitzartig aus. Dadurch sind bei Dieselmotoren bis zu acht Teileinspritzungen während eines einzigen Einspritzvorgangs möglich. Das macht den Motor sparsamer, laufruhiger, kraftvoller und emissionsärmer. mendes Risiko für die Zuverlässigkeit der Das Datenübertragungsprotokoll Controller Area Network im Überblick, 1991. CAN schuf den zeitgemäßen Ersatz für viele Kabelkilometer durch eine „Datenautobahn“. Im Bild: Motronic (1), Elektrisches Gaspedal (2), Fahrwerksregelung (3), Getriebesteuerung (4), CAN-Bus (5) und ABS/ASR (6). Fahrzeuge geworden. Die Lösung, erarbeitet TOP-Projekt und Serie durch ein kleines Team unter der Leitung Im Herbst 1993 änderte sich die Forschungs- der Bosch-Forscher Uwe Kiencke und landschaft bei Bosch nochmals wesentlich. Siegfried Dais, war ein serielles Bussystem, Die Geschäftsführung beschloss, einen das Controller Area Network, kurz CAN Zentralbereich für Forschung, Verfahrens- genannt. Dieses System vereinigt eine Reihe entwicklung und Vorausentwicklung einzu- herausragender Eigenschaften: eine extrem richten – heute Corporate Research ge- hohe Übertragungssicherheit und Verfüg- nannt. Dort sollte die Forschung wie gehabt barkeit, auch in einer durch elektromagneti- mit der Ideenfindung beginnen, aber mög- sche Impulse gestörten Umgebung sowie lichst erst mit der Prototypen-Fertigung ein neuartiges Prinzip zur Verteilung von enden, bevor die Serienentwicklung im Informationen an mehrere Empfänger. Geschäftsbereich begann. Wolf-Dieter Dabei wurden alle Übertragungsprotokolle Haecker, der erste Leiter des neuen Be- so entwickelt, dass sie besonders kosten- reichs erinnert sich: „Wir hatten eine Vor- günstig in Form eines Mikrochips realisiert laufphase von mehr als einem halben Jahr, werden konnten. als wir im Oktober 1993 starteten. Es war unsere Aufgabe, alle Strukturen und Abläufe severfahren als besonders aussichtsreich mit dem Ziel der Effizienzsteigerung zu opti- definiert wurden und trotz der damals mieren. Mit einer neuen Organisationsstruk- angespannten wirtschaftlichen Situation tur startete der zunächst ’FV’ genannte Be- nicht gefährdet sein durften, selbst wenn reich dann am 1. Juli 1994.“ Und Haecker in Forschung und Entwicklung gespart führt weiter aus: „Alles sollte gut aufeinan- werden musste. Weil das Modell der der abgestimmt sein, sobald es auch offizi- TOP-Projekte erfolgreich war, wurde es ell losging. Die Aufgabe mutete leichter dann weitergeführt. Die Beispiele solcher an, als sie war. Es ging um die dauerhafte TOP-Projekte lesen sich wie das „Who’s Herausforderung, Forschung und Entwick- who“ der technischen Meilensteine bei lung im stetigen Wechsel der Rahmenbedin- Bosch. Sowohl die Benzin-Direkteinsprit- gungen ideal zu gestalten, an Änderungen zung DI-Motronic (2000) als auch die in den Geschäftsaktivitäten anzupassen, piezoelektrische Steuerung der Common- Parallelarbeit zu verhindern, Kompetenzen Rail-Dieseleinspritzung (2003) durch blitz- aus unterschiedlichen Bereichen nach schnell sich ausdehnende Piezokeramik- Bedarf zu verknüpfen und zukunftswei- Elemente begannen auf diese Weise. Wie sende Ideen konsequent zu verfolgen.“ erfolgreich das Konzept der TOP-Projekte Dazu entwickelte Haecker mit seiner offenbar war, zeigte auch die öffentliche Führungsriege um Otto Holzinger und Anerkennung: Für die Piezotechnik er- Gert Siegle beispielsweise das Konzept für hielt der federführende Bosch-Ingenieur die sogenannten TOP-Projekte. Dahinter Friedrich Boecking 2005 den „Preis des steckten Ideenansätze für Produkte oder Deutschen Bundespräsidenten für Technik Verfahren, die nach einem intensiven Analy- und Innovation“. 58 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 59 Wer die Zahlen sprechen lässt, erkennt der Druck durch preisgünstige Anbieter, schnell, welchen Stellenwert Forschung desto mehr Bedeutung gewannen For- und Entwicklung bei Bosch in den ver- schung und Entwicklung – um stets inno- gangenen vier Jahrzehnten bekommen vativere Produkte als die anderen zu haben. haben: Zwischen 1970 und 2000 erhöhte Zudem verkürzen sich Produktzyklen seit sich das Forschungs- und Entwicklungs- Jahren kontinuierlich. Wo der Innovations- budget von rund 253 Millionen DM (rund vorsprung vor dem Wettbewerb knapper 130 Millionen Euro) auf rund vier Milliarden wird, müssen Forschung und Entwicklung D-Mark (rund zwei Milliarden Euro), der schneller und weniger kostenintensiv zu Anteil am Umsatz stieg von 5,4 auf rund Ergebnissen führen. Ein Beispiel kann das acht Prozent. Die Zahl der Mitarbeiter in veranschaulichen: Bei der ABS-Einführung allen Bereichen von Forschung und Entwick- 1978 hatte Bosch noch sechs Jahre Vor- lung stieg im gleichen Zeitraum von 5 500 sprung, bevor die Konkurrenz auf den auf 16 000. Heute sind es über 42 000 Mit- Markt drängte. Nach der ESP®-Premiere arbeiter, und die jährlichen Aufwendungen 1995 waren es nur noch zwei Jahre. lagen 2012 bei rund 4,8 Milliarden Euro. Bosch meldete im selben Jahr weltweit Mit Strategie erfinden rund 4 800 Patente an. Der zunehmende Wettbewerbsdruck steigert also den Zeitdruck auf dem Weg zum Bosch auf dem Weg ins Web 3.0 Energieeffizienz und Vernetzung 2006 bis 2013 Herausforderungen im 21. Jahrhundert Innovationserfolg. Immer mehr geht es Der Ausbau von Forschung und Entwicklung darum, die richtigen Ideen und Produkte ist für Bosch als Anbieter technisch an- im Fahrwasser richtig erkannter Megatrends spruchsvoller Produkte und Dienstleistun- zu platzieren und nicht an gesellschaftli- gen geradezu überlebenswichtig. Die chen oder technologischen Zukunftsper- sprichwörtliche Nasenlänge, die Bosch spektiven „vorbeizuentwickeln“. Eine kluge seinen Konkurrenten immer voraus sein und zielgerichtete Entwicklung – dieses Ziel wollte – diese Technologieführerschaft verfolgt das Bosch Engineering System hat sich in den vergangenen Jahrzehnten (BES). Martin Hieber, zuständig für das immer wieder als wesentlicher Faktor für BES-Innovationsmanagement, umschreibt den geschäftlichen Erfolg erwiesen. Je den nötigen Weg bis zum fertigen Produkt: härter der Wettbewerb wurde, je stärker „Aus einer Strategie entstehen Suchfelder, Bild ganz links: „Open Core Engineering“ von Bosch Rexroth ermöglicht die Verbindung von Produktionsmaschine und IT-Welt – ein Schritt auf dem Weg zur vernetzten Welt der „Industrie 4.0“, in der Maschinen selbstständig miteinander kommunizieren und damit Produktionsabläufe verbessern können. Bild inks: Richtfest beim neuen Forschungs- und Vorausentwicklungszentrum in Renningen bei Stuttgart, 2013. Hier forschen einmal rund 1200 Experten aus allen Unternehmensbereichen interdisziplinär. 60 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 61 in den Suchfeldern Ideen, und aus der Idee Synergien und regionale Lösungen finden wird eine Überlegung. Aus der Überlegung Mehr denn je müssen Forschung und eine Skizze. Aus der Skizze ein Entwurf. Aus Entwicklung über die organisatorischen dem Entwurf ein Muster. Aus dem Muster Grenzen hinausdenken und die vielseitigen ein Serienprodukt. Aus dem Serienprodukt Geschäftsfelder von Bosch vernetzen, um eine Erfolgsgeschichte.“ Das klingt sehr Synergieeffekte zu schaffen. Darauf zielte ambitioniert, setzt auch große Anstrengun- zum Beispiel die Bündelung der Steuerge- gen voraus, aber nur so kann es funktionie- räteentwicklung für Diesel- und Benzinein- ren. Denn auch in einem Unternehmen wie spritzsysteme vor wenigen Jahren. Beide Bosch kann eine gute Idee versanden, bevor Geschäftsbereiche, Diesel Systems und sie die Chance zur Umsetzung in ein Pro- Gasoline Systems, verfolgten bis dahin dukt hat. „Damit das nicht passiert“ ergänzt unabhängig voneinander ähnliche technolo- Im Herbst 2010 starteten die ersten Seminare am Robert Bosch Zentrum für Leistungselek- Hieber, „haben wir die BES-Bausteine, gische Ansätze für ähnliche Anwendungen. tronik an der Hochschule Reutlingen. Bosch unterstützt hier zwei Professuren und eine Arbeitsweisen und Methoden definiert. Die gemeinsame Steuergeräteentwicklung weitere an der Universität Stuttgart. Das Ziel hier wie dort: Forschung und Lehre im Bereich Damit vermeiden wir, dass aus prinzipiell war also eine naheliegende Lösung. der Leistungselektronik zu fördern, einer Schlüsseltechnik zur Entwicklung alltagstaug- Forschung und Lehre: Von der Hochschulstiftung bis zum Stiftungslehrstuhl licher Elektromobilität. Engagements dieser Art haben bei Bosch Tradition, waren aller- guten Ideen technische Sackgassen werden, oder die entwickelten Produkte an Auch zwischen scheinbar weit auseinander dings zunächst weniger zielgerichtet als heute. Robert Bosch selbst stiftete der Technischen Kundenbedürfnissen vorbeigehen. Hieber liegenden Geschäftsfeldern kann Forschung Hochschule in Stuttgart bereits 1910 über eine Million Mark, die der „Förderung der Wis- stellt dazu die immer wieder entscheidende und Entwicklung Synergien schaffen: Im senschaften und der Forschung“ gewidmet war. In den folgenden Jahrzehnten baute Bosch Frage: „Braucht der Kunde das überhaupt? Herbst 2013 kam ein Öl-Heizkessel von die Kooperationen mit Hochschulen aus. Das Unternehmen erkannte in zunehmendem Und wenn ja, wie übersetzen wir seine Buderus auf den Markt, der dank Einspritz- Maße die Bedeutung universitärer Forschung. Hier konnten unabhängig arbeitende Wis- Bedürfnisse in technische Anforderungen, ventil und Lambdasonde aus der Benzinein- senschaftler visionäre Ideen ohne unmittelbaren Druck der Wirtschaftlichkeit entfalten. Funktionen und Design?“ In den Antworten spritztechnik sparsamer und effizienter ist Dabei entstanden in diesem Forschungsklima Ergebnisse, die in der Unternehmenspraxis auf diese Frage liegt nach den Worten als Konkurrenzmodelle. Entwickler der durchaus nützlich sein konnten. Und nicht zuletzt unterstützte Bosch mit der Forschungs- Hiebers die Essenz von BES: „der Kreativi- beiden Bereiche Thermotechnik und Gaso- förderung die Ausbildung zukünftiger Spitzenkräfte– zum Beispiel mit der Gründung des tät Perspektiven, aber auch Leitplanken zu line Systems entwickelten das Gerät mit Carnegie Bosch Institutes an der US-amerikanischen Carnegie Mellon University. geben für die Entwicklung von marktgerech- gebündeltem Know-how. ten Produkten – damit aus der Idee auch wirklich eine Erfolgsgeschichte wird!“ Sichtprüfung von Solarwafern, 2008. Perfekter Schutz vor Verunreinigungen in der Luft durch antistatische Schutzkleidung und Haarhauben ist in Reinräumen unverzichtbar. Bei allem Streben nach Synergie – For- Technik für den Umweltschutz schung und Entwicklung müssen auch Technische Antworten auf ökologische Spielräume für regional passende Pro- Fragen zu geben – dieses Ziel gab Franz duktvarianten lassen. Beispiel ist wiederum Fehrenbach, Bosch-Chef bis 2012, für die die Motorsteuerung. Für die preisgünstigen Forschung und Entwicklung aus: „Wir er- Fahrzeuge in Schwellenländern ist es die gänzen den Ausgleich wirtschaftlicher und beste Lösung, sie in diesen Ländern selbst gesellschaftlicher Interessen, für den unser zu entwickeln. Denn die Versionen für den Firmengründer Robert Bosch stand, heute europäischen, japanischen oder nordameri- verstärkt um ökologische Gesichtspunkte.“ kanischen Markt sind den Kunden in auf- Bosch hatte den Umweltschutz auch bis strebenden Ländern wie Indien und China dahin nicht außer acht gelassen. Schließlich häufig zu kostspielig – sie gelten als „over- gab es ja schon seit mehr als 30 Jahren das engineered“. 5 000 Steuerungsparameter 3S-Programm „sicher, sauber, sparsam“ als für höchste Laufkultur des Motors – das Leitlinie für die Entwicklung der Kraftfahr- ist in Schwellenländern weniger ausschlag- zeugtechnik. gebend für den Markterfolg als etwa die Widerstandsfähigkeit gegen Erschütterungen bei unebenen Straßen. 62 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 63 Aber es kam etwas Neues hinzu. Bosch entwickeln, das war unsere doppelte Her- entwickelte nicht mehr nur umweltscho- ausforderung“, sagt Heinz Eschrich, der als nende und energieeffiziente Technik – etwa erster Bosch-Entwickler nach Erfurt ging. Kraftstoff sparende Diesel- und Benzin- Was damals niemand wissen konnte: systeme, Öl und Gas sparende Heizungen Die Preise der Photovoltaikmodule sanken oder Strom und Wasser sparende Hausge- sehr viel schneller als erwartet, bis zu räte. Hinzu kamen noch Systeme, die rege- 40 Prozent jährlich. Mit diesem rasanten nerative Energien erschlossen: Solarkollek- Preisverfall zeigten sich selbst bei Bosch toren, Wärmepumpen, Anlagen zur Ge- die Grenzen des Machbaren. Das Unterneh- winnung von Wind- und Meeresenergie. men entschloss sich Anfang 2013 zum Als besonders anspruchsvoll erwies sich Ausstieg aus dem Geschäftsfeld der kristal- der Einstieg in die Photovoltaik. Dazu hatte linen Photovoltaik. Umwelt- und Klima- Bosch 2008 das Erfurter Solarunternehmen schutz jedoch bleiben für Bosch wichtig. ersol übernommen. „Die Wirkungsgrade der Nach wie vor zielt nahezu die Hälfte des Solarzellen in der Produktion bei gleichzei- Forschungs- und Entwicklungsaufwands auf tiger Kostenreduktion zu erhöhen und Erzeugnisse, die Umwelt und Ressourcen parallel neue zukunftsfähige Konzepte zu schonen. Das richtige Auge für Nutzer: User Experience Ladesäule des E-Mobilitätsprojektes in Singapur. Bosch setzte sich 2011 gegen prominente Mitbewerber bei diesem Pilotprojekt durch, das eine Ladesäuleninfrastruktur für Elektrofahrzeuge mit allen dazugehörigen Dienstleistungen umfasst. Vorsorgen für die Mobilität von morgen ein Pionier der Hybridsparte, Matthias Gerade die Ressourcenschonung ist an- Küsell. „Der Hybridantrieb schien anfänglich gesichts der absehbaren Endlichkeit der nur in urbanen Ballungsräumen erfolgsfähig Ölreserven unabdingbar. Vor diesem zu sein, wo er seinen Verbrauchsvorteil Hintergrund beschäftigt sich Bosch auch ausspielen konnte. Doch er wurde bald mit alternativen Antrieben. Seit fast auch in den USA und manchen Ländern einem halben Jahrhundert befasst sich Europas erfolgreich. Das war unser Aus- die Forschung mit der Elektrifizierung gangspunkt für den Einstieg.“ Die Entwick- des Antriebsstranges. Wirklich Fahrt auf- ler arbeiteten im Schwerpunkt an Parallel- Mehr und mehr rückt bei Bosch die Nutzersicht im Prozess der Produktentwicklung in den genommen hat dieses Thema jedoch erst Hybridantrieben mit der Kombination von Vordergrund. „User Experience“, wie sie heute bei Bosch verstanden wird, hat aber weit mit verschärften Klimaschutz-Gesetzen Elektro- und Benzinmotor, entwickelten mehr Aspekte im Blick als nur ein technisch gutes und optisch ansprechendes Produkt aus und steigenden Kraftstoffpreisen. Der rein parallel aber auch einen Axle-Split Hybrid- dem Blickwinkel der Kunden: „Sicherlich müssen die Produkte den Nutzer technisch über- elektrische Antrieb ist der Horizont der antrieb mit variabel einsetzbarem Frontan- zeugen“, sagt Peter Schnaebele, Leiter der Abteilung User Experience, „aber sie müssen Forschung, auf dem Weg dorthin gilt der trieb mit Diesel- und Heckantrieb mit Elek- mehr als bisher die Kunden emotional ansprechen und begeistern, weil sie praktisch, schön Hybridantrieb, die Kombination aus Ver- tromotor. Nach der Serieneinführung des und leicht zu bedienen sind. Wir dürfen nicht unterschätzen, wie wichtig diese Faktoren brennungs- und Elektromotor, als „Brücken- Parallelhybrids 2010 und des Axle-Split- für die Begeisterung der Kunden und damit deren Kaufentscheidung sind.“ Nach diesen technologie“, insbesondere der Plug-in Hybrid 2012 bleibt E-Mobilität im Fokus Kriterien hat Schnaebeles junge und bereichsübergreifende Abteilung in Kooperation mit Hybrid, bei dem die Batterie, aus der der intensiver Forschungs- und Entwicklungsar- den jeweiligen Geschäftsbereichen wegweisende Lösungen entwickelt, zum Beispiel eine Elektromotor seine Energie bezieht, sich beit. Das gilt für viele Varianten in umfang- Bedieneinheit für den Bosch E-Bike-Antrieb, ein Radio-Navigationssystem und ein interak- an der Steckdose aufladen lässt. Noch ist reichen Anwendungen – vom Hybridantrieb tives Cockpit für ein Elektroauto – mit besonderer Berücksichtigung der Nutzerperspektive. die Speicherkapazität der Batterien zu für Automobile bis hin zum Antrieb für reine Bosch setzt hier für den Markterfolg wichtige neue Akzente, um die an technischen Krite- gering, um bei vollelektrischen Fahrzeugen Elektrofahrzeuge –, für das Auto ebenso wie rien orientierte Produktentwicklung zugunsten emotionaler Faktoren auszubalancieren. einen akzeptablen Aktionsradius zu gewähr- für E-Bikes und Elektroroller. Zusätzlich Denn diese Faktoren können zu Erfolg oder Misserfolg eines Produkts den Ausschlag leisten. „2005 haben wir unser ‚Projekthaus entwickelt Bosch Hydraulik-Hybridantriebe geben. Hybrid’ mit Fachleuten aus allen dafür für Automobile mit Verbrennungsmotoren. wichtigen Bereichen gegründet“ berichtet Das erste System ging 2013 in Serie. 64 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 65 Lebensqualität in zunehmend verdichteten der Fließfertigung. In dieser Zeit begann urbanen Räumen dienen soll. Die For- auch der damals noch unabsehbare Weg in schungs- und Entwicklungsarbeiten an neue Produktsparten wie Hausgeräte und Lösungen für autarke Kommunikation von Elektrowerkzeuge. Dass Bosch dies alles so Maschinen zielen bei Bosch aber auch auf gut bewältigte, ist auch der früh ausgepräg- die industrielle Fertigung. Das Interesse der ten Offenheit für Forschung und Entwick- Forscher und Entwickler gilt hier den lung und ihrer intensiven Anwendung zu „Cyber-Physical Systems“, intelligenten verdanken. Das Unternehmen wird sich Maschinen, Lagersystemen und Betriebs- auch künftig immer wieder substanziell mitteln, die mit Hilfe internetbasierter verändern müssen. Dabei werden For- Groß war die Herausforderung für Bosch, und doch begann die Geschichte des Internets Kommunikation eigenständig Informationen schung und Entwicklung eine treibende der Dinge und Dienste in der Forschung und Entwicklung eher bescheiden. Davon kann der austauschen, Aktionen auslösen und sich Kraft sein. IT-Experte Stefan Ferber erzählen. Mit einem Forschungsprojekt zu einer weltweit einheit- gegenseitig selbstständig steuern können. lichen Softwareentwicklung bei Bosch im Jahr 2007 fing es an. „Dieses Projekt sollte auch Das ermöglicht flexible Reaktionen, bis hin Ganz wichtig dafür: das neue Zentrum für offene Entwicklungsplattformen ermöglichen, also nach dem Prinzip des ‚open source’ zur Berücksichtigung individueller Kunden- Forschung und Vorausentwicklung, das funktionieren“, berichtet Ferber, „eine kleine Revolution für Bosch.“ Bald nahm der Zug wünsche und Einzelfertigung. Bosch in Renningen bei Stuttgart baut. Ideen im Showcase: Vom Anfang des Internet der Dinge und Dienste Fahrt auf: Nach einem Beschluss der Geschäftsführung 2008 zeichneten sich bald erste Hier werden rund 1 200 Menschen inter- Konturen eines Geschäftsfeldes für internetbasierte Services ab. Noch im selben Jahr über- Konstant ist nur der Wandel disziplinär arbeiten – die campusähnliche nahm Bosch die Software Innovations in Immenstaad am Bodensee. 2009 entstand nach den Im Lauf seiner mehr als 125-jährigen Ge- Architektur wird die Kreativität und die Worten Stefan Ferbers eine Art temporäre Ideenschmiede: „In einem 120 Quadratmeter schichte musste sich Bosch immer wieder Vernetzung der Forscher fördern. Beides großen Raum, den wir ‚Showcase’ nannten, entwickelten wir gute internetbasierte Soft- neu erfinden. Am Anfang des 20. Jahrhun- ist nötig, damit Bosch auch in der dritten wareprodukte, und Leute aus allen Bosch-Geschäftsbereichen und von Innovations bündel- derts hatte sich das Unternehmen in Europa industriellen Revolution und darüber hinaus ten ihr Wissen – eher spielerisch, aber sie zeigten, was machbar ist.“ Und Ferber erzählt von die Position des führenden Lieferanten für technologisch führend bleibt. „Forschung den experimentellen Anfängen: „Ein Thermotechnik-Kollege entwarf eine IT-fähige Hei- Automobilzündungen erarbeitet. Vom und Entwicklung“, so drückte es Bosch-Chef zungsregelung, ein Kollege von Innovations eine virtuelle Wetterstation – und dann kop- Anfang der 1920er Jahre an musste sich Volkmar Denner auf der Renninger Baustelle pelten sie beides für eine intelligente Heizungssteuerung. “ Dies mündete bald in größere Bosch gegen die aufholende Konkurrenz mit im September 2012 aus, „schaffen techni- Projekte. Am 25. Juni 2011 startete Bosch sein erstes Pilotprojekt für das Internet der Dinge der Modernisierung seiner Produktionstech- sche Voraussetzungen zur Lösung der gro- und Dienste: eine Software-Plattform für die Ladesäulen-Infrastruktur zur Elektromobilität nik behaupten – etwa mit der Einführung ßen Herausforderungen unserer Zukunft“. in Singapur. Die physische und virtuelle Welt verbinden Man rechnet für das Jahr 2020 mit rund Mit den wachsenden Möglichkeiten zur 6,5 Milliarden Geräten weltweit, die eine Nutzung des Internets nimmt die Bedeutung IP-Adresse haben. Sie alle könnten über intensiver Forschung und Entwicklung an das Internet der Dinge und Dienste vernetzt internetbasierten Lösungen zu. Das „Inter- werden – zum Beispiel Systeme in Autos, net der Dinge und Dienste“ gewinnt an Be- die Daten über das Verkehrsaufkommen in deutung, die autarke intelligente Kommuni- ihrer Umgebung sammeln und sich gegen- kation zwischen Maschinen ohne direkten seitig über Staus informieren. Die Erkennt- Eingriff des Menschen. Beispiel ist der nisse aus solchen Projekten fließen in die automatische Notruf eCall. Bei einem Weiterentwicklung vernetzter Systeme, die schweren Unfall kann das System ohne sich zu immer größeren Strukturen verbin- Zutun des möglicherweise bewusstlosen den – bis hin zur „Connected City“, der Fahrers einen Notruf auslösen – mit Daten vernetzten Stadt, in der die Infrastrukturen über dessen genauen Ort für die Alarmie- für Mobilität, Gesundheit, Energie und rung des nächstgelegenen Rettungsdiens- Kommunikation ineinander verschmelzen. tes. Das geschieht auf der Basis von analy- Mit dem Fürstentum Monaco erarbeitet sierten Sensordaten, etwa einer Airbag- Bosch bereits eine Machbarkeitsstudie zur auslösung, die ein sicheres Indiz für einen Entwicklung einer solchen übergreifenden schweren Aufprall ist. Infrastruktur, die vor allem einer besseren Beide Bilder unten: Das Internet der Dinge und Dienste schafft neue Möglichkeiten. Heute können nach Unfällen per eCall automatisch Notrufe abgesetzt werden. 66 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 67 Ausblick Entwickelt wird bei Bosch seit über 100 Jahren, und auch die ersten For- Dieser Prozess erscheint sehr komplex, doch ist es ein wirkungsvoller und schungsarbeiten liegen bereits rund ein Jahrhundert zurück. Ein gewisser Stolz effizienter Weg, im Zusammenspiel der weltweiten Forschungs- und Entwick- auf unsere Tradition als innovationsstarkes Unternehmen ist zwar gut, darf aber lungskompetenz wichtige Resultate zu erzielen, die zur kraftvollen Weiterent- den Blick auf die künftigen Herausforderungen in Forschung und Entwicklung wicklung des Unternehmens beitragen. Die Zahlen sprechen jedenfalls dafür: nicht verstellen, und die sind gewaltig: Der Wettbewerb um Innovationen wird Forschung und Entwicklung bei Bosch schaffen die Voraussetzungen für schärfer, Produktzyklen werden immer kürzer, Produkte und Dienstleistungen 19 Patente pro Arbeitstag. immer komplexer und Geschäftsmodellinnovationen spielen eine immer wichtigere Rolle, wenn es um zukünftige Marktpositionen geht. Vorsitzender der Geschäftsleitung des Zentralbereichs Zugleich wird das Erkennen von weltweiten Megatrends für Bosch wichtiger, Bis 31. März 2014 Ab 1. April 2014 denn aus ihnen lassen sich Ideen für zukunftsträchtige Produkte und Dienst- Dr. Klaus Dieterich Dr. Michael Bolle Forschung und Vorausentwicklung der Robert Bosch GmbH leistungen ableiten. Allerdings kommt es darauf an, ob ein Trend und die aus ihm folgenden Produkte zum Unternehmen passen. Der Erwerb und die Vermittlung von Wissen auf dem Weg von der Idee zum Produkt müssen beschleunigt und gebündelt werden, um mit schnelleren Produktzyklen Schritt halten zu können. Methoden wie internationales „Crowd Sourcing“ und „Open Innovation“ spielen dabei eine immer größere Rolle, um Wissensfortschritte konzernweit zu teilen und sie beispielsweise auch in völlig unterschiedlichen Geschäftsbereichen auf verschiedenen Kontinenten nutzbar zu machen – bei einem Unternehmen mit über 300 000 Mitarbeitern eine unverzichtbare Bedingung für den Erfolg. Die Größendimension der Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur bei Bosch erfordert eine geeignete Steuerung aller Schritte von der Idee zum Produkt. Der Prozess beginnt mit dem Scouting, der Kooperation mit dem wissenschaftlichen Umfeld eines zukunftsträchtigen Themas. Dem folgt eine Ideenprüfung, deren Sinn es ist, den Nutzen für den Kunden und die mögliche Industrialisierung abzuschätzen. Hält die Idee dieser Prüfung ihrer Tauglichkeit stand, folgt eine Konzeptstudie, bei der meist außer der Forschung auch schon Entwicklungsabteilungen interessierter Geschäftsbereiche einbezogen sind. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, in einem Projekt das zukünftige Produkt vor zu entwickeln, um danach Wissen und Know-how an die einbezogenen Geschäftsbereiche weiterzureichen. Ihre Aufgabe ist es dann, das Produkt zur Serienreife weiter zu entwickeln, zu fertigen und zu verkaufen. Gleichzeitig wird das gesamte Patentumfeld untersucht, um die Idee als geistiges Eigentum des Unternehmens zu sichern. Azubis des Forschungszentrums in Waiblingen, 2013. Die jungen Forscherinnen und Forscher von morgen befassen sich mit Ideen für die Mobilität der Zukunft. 68 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 69 Forscher und Entwickler im Porträt Arnold Zähringer: „Wie eine Kreuzspinne“ August Kazenmaier: Mehr auf der Landstraße als im Büro Arnold Zähringer kam 1890 als Mechaniker zu Bosch. Er wurde Betriebleiter, Erwartungsvoll trat August Kazenmaier 1911 seinen Posten als Laborassistent alle Abläufe im anfänglich noch kleinen Handwerksbetrieb organisierte fortan bei Bosch an – und wurde schwer enttäuscht. Als er das provisorische Labora- er. Als Bosch 1901 in die erste Fabrik übersiedelte, bezog Arnold Zähringer torium sah, wünschte er sich umgehend an das Elektrotechnische Institut der dort sogar eine Wohnung und konnte nun rund um die Uhr den Lauf der Dinge Technischen Hochschule in Stuttgart zurück. Dort gab es gute Geräte in ordent- beaufsichtigen, „wie ein Kreuzspinne“, so Bosch-Biograf Theodor Heuss. lichen Räumen. Bei Bosch dagegen war das Labor anfangs in einer ehemaligen Robert Bosch vertraute ihm uneingeschränkt und ließ ihm deshalb auch viel Küche mit Veranda untergebracht, die Ausstattung an Instrumenten eher karg. Freiraum. Dies hatte sich Zähringer besonders dadurch erworben, dass er den Allerdings beeindruckte Kazenmaier, wie unermüdlich die Kollegen an Inno- Niederspannungsmagnetzünder für den Einsatz an Fahrzeugmotoren tauglich vationen arbeiteten. Kazenmaier war sofort „infiziert“ und arbeitete begeistert gemacht hatte. Er ließ nicht mehr den schweren Anker pendeln, sondern nur mit. Je größer das Produktportfolio wurde, desto mehr spaltete sich die Ent- noch eine schmale, leichte Hülse. Auf diese Weise funktionierte der Magnet- wicklungsabteilung auf. Kazenmaier, ein leidenschaftlicher Motorradfahrer, zünder auch bei den viel höheren Drehzahlen und schnelleren Zündabfolgen übernahm zu Beginn der 1920er Jahre das Gebiet der Motorradbeleuchtung im Automobilmotor. Ob ihm die Idee dazu wirklich auf einem Volksfest gekom- – bis dahin ein eher stiefmütterlich behandeltes Thema. Er entwickelte unter men war, wie gerüchtehalber berichtet wurde, sei dahingestellt. Robert Bosch anderem den Lichtmagnetzünder C1 zur Serienreife – nicht jedoch, ohne das jedenfalls zahlte Zähringer eine Lizenzbeteiligung an jedem verkauften Hül- Produkt auch persönlich getestet zu haben. Bei Wind und Wetter jagte er sein senapparat, wie der verbesserte Magnetzünder genannt wurde. Zähringer Motorrad über die schlechten Straßen: „Das Wasser lief mir zum Kragen mei- war ein Autodidakt, seine Kenntnisse verdankte er seiner Erfahrung und Arnold Zähringer seiner Lust am Experimentieren. ner Lederausrüstung hinein und an den Stiefeln wieder hinaus. Ich musste alle August Kazenmaier 50 bis 100 Kilometer den Keilriemen kürzen und verbrauchte drei Riemen (…). Die Lichtanlage hatte aber einwandfrei und ohne jeden Defekt gearbeitet.“ Gottlob Honold: Das Multitalent Hermann Steinhart: „Steinhart, Sie hatten recht“ „Wenn Honold mit einer neuen Sache fertig war und sie zur Herstellung frei- Systematisch und zielbewusst – diese Attribute des Bewerbers überzeugten gab, dann verlangte die Fachwelt nach dem Bosch-Erzeugnis.“ So würdigte den Entwicklungsleiter Honold, als er Hermann Steinhart 1910 einstellte. Robert Bosch seinen langjährigen Entwicklungsleiter, als dieser 1923 über- Zielbewusst ging Steinhart sogleich an seine Aufgaben, half bei der Entwick- raschend und nur 46-jährig starb. Viele Innovationen entstammten Honolds lung der neuen Produkte Licht und Anlasser tatkräftig und kreativ mit. Ziel- Feder. Es war im Frühjahr 1901 ein glücklicher Zufall, dass der frisch geba- bewusst war er auch, als er dem zunächst zögernden technischen Vorstand ckene Ingenieur seinem ehemaligen Lehrherrn Robert Bosch auf den Straßen Max Rall die Freigabe für das Bosch-Radlicht abtrotzte. Als in der Folge mas- Stuttgarts wieder über den Weg lief. Die beiden wurden sich schnell einig. senweise Bestellungen dafür eingingen, musste Rall kleinlaut eingestehen: Honold sagte die ihm angebotene Assistentenstelle an der Technischen Hoch- „Steinhart, Sie hatten recht.“ Und Steinhart hatte noch einmal den richtigen schule ab und wurde stattdessen Entwicklungsleiter bei Bosch. Sein erstes Riecher, als er sich Ende der 1920er Jahre der Weiterentwicklung des Elektro- Meisterstück war die Hochspannungsmagnetzündung, mit der er nicht nur werkzeugs widmete. Als man ihm eine von Ernst Eisemann entwickelte Haar- nach dem Wort von Robert Bosch „den Vogel abgeschossen“, sondern auch die schneidemaschine mit Motor im Handgriff vorlegte, behob er sofort die tech- Zündung an immer schneller laufenden Fahrzeugmotoren revolutioniert hatte. nischen Mängel, vor allem die fehlende Isolierung. In der Wirtschaftskrise der In den folgenden Jahren wandte sich Honold der Entwicklung von Lichtsyste- frühen 1930er Jahre entwickelte er die Haarschneidemaschine zum Schleifer men und Anlassern zu. Auch das Bosch-Horn geht auf seine Rechnung. Neben und Kleinschrauber weiter. Immer mehr Elektrowerkzeuge von Bosch, die der technischen Reife fand das Horn auch wegen seiner schönen Form Beach- Steinharts Stempel trugen, kamen auf den Markt. Als echter Allrounder schuf tung. Genau diese Eigenschaften verband Honold in seiner Arbeit und schaffte Gottlob Honold es auch noch, dies seinen Mitarbeitern zu vermitteln. Steinhart noch viele weitere marktführende Produkte für das Unternehmen. Hermann Steinhart 70 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 71 Gustav Werner: Der „Kerzen-Werner“ Karl-Ernst Boeters: Schrittmacher der Mikroelektronik „Was beim Versuch ganz bleibt, ist nicht erprobt, weil wir seine Grenzen nicht Bei der Eröffnung des Forschungsinstitutes Berlin (FIB) am 24. März 1965 war kennen!“ Gustav Werners markiger Ausspruch sagt viel über seine Wesensart. unter den Gästen auch der 42-jährige Physiker Karl-Ernst Boeters. Ihm war im Seit 1924 in der Zündkerzenentwicklung tätig und deren Leiter bis 1959, FIB die Entwicklung monolithisch integrierter Schaltkreise aufgetragen wor- duldete er keine Kompromisse bei der Produktqualität. den. Heute, über 90-jährig, erinnert sich Boeters an sein Vorstellungsgespräch: Als der Mechaniker, den man bei Bosch „Kerzen-Werner“ nannte, in die Ent- „Es gab einen Merkzettel, der enthielt, was Bosch sich als Arbeitsgebiete vor- wicklungsabteilung für Zündkerzen versetzt werden sollte, war er zunächst stellte, ein richtiger Wunschzettel der Geschäftsführung. Eine Aufgabe für das skeptisch: „Was soll denn an einer Zündkerze noch zu entwickeln sein? Das ist FIB war die Entwicklung von Schwingquarzen, weil die Bosch-Tochtergesell- doch einfach ein Stück gebrannte Erde, ein Nagel mittendurch, ein Stück schaft, die in Berlin Funkgeräte herstellte, hier bisher auf Zulieferer angewie- Sechskant mit Gewinde und alles angebunden an ein Kabel.“ Er lag falsch mit sen war. Und so sollte der Aufbau einer Fertigungslinie für Schwingquarze eine seiner Skepsis und blieb sein ganzes Berufsleben in dieser Entwicklungsabtei- Art Morgengabe werden, damit sie uns, das FIB, als Nachbarn auf ihrem Grund lung. Und er „lernte, dass das von mir anfangs so gering geschätzte Element auch gut behandeln.“ Boeters, später Leiter des FIB bis zu seiner Pensionie- (die Zündkerze) mehr war, als ich mir vorher träumen ließ.“ Werners wohl rung 1985, war Teil eines Expertenteams, das sich mit Grundlagenphysik wichtigste Aufgabe war die Weiterentwicklung der Zündkerzen-Isolatoren. beschäftigte. Es war dessen Verdienst, dass Bosch technologisch die Mikro- Unter seiner Regie wurde die „Bosch-Kerze“ mit neuen keramischen Mixturen elektronik für das Auto vorantreiben konnte. Damit lieferten der Physiker und für das Herstellungsverfahren so weiterentwickelt, dass sie in Europa eine seine Mitstreiter weit mehr, als auf dem Wunschzettel der Geschäftsführung uneinholbare Marktstellung erreichte. Gustav Werner gestanden hatte. Karl-Ernst Boeters Gerhard Conzelmann: Ein Pionier der integrierten Schaltungen Konrad Eckert: Ein Erfinder und Manager Die ersten integrierten Schaltungen (IC) markierten eine neue Ära bei Bosch. Selten gibt es Menschen wie Konrad Eckert, die produktive Erfinder und Einfache Halbleiterbausteine waren bei Bosch Alltagsgeschäft, und die elek- gleichzeitig erfolgreiche Spitzenmanager sind. Der promovierte Maschinen- tronischen Steuerungen im Auto wurden komplexer. Damit erwies sich die bauer kam 1960 zu Bosch. Von 1971 an in der Geschäftsführung tätig, war er Integration einer steigenden Zahl von Funktionen in einem Bauteil als unab- von 1983 bis zu seinem Ruhestand 1989 verantwortlich für den Unterneh- dingbar, um die Zuverlässigkeit elektronischer Komponenten zu sichern und mensbereich Kraftfahrzeugtechnik. An den Manager Eckert erinnert sich zu verbessern. Diese Zielsetzung ist untrennbar mit dem Namen Gerhard Weggefährte Hermann Scholl als harten, aber fairen Konkurrenten: „Ich war Conzelmann verbunden. Im Herbst 1966 begann der Physiker für Bosch mit für die elektronischen Benzineinspritzsysteme zuständig, Eckert für die der Weiterentwicklung integrierter Schaltungen für den Einsatz im Auto. Die mechanischen. Unsere Verkaufsabteilungen haben um Kunden konkurriert, es große Herausforderung: Chips, die bis dahin nur in der Unterhaltungselektro- gab sogar Preiskämpfe. Aber als Eckert die Gesamtverantwortung Kraftfahr- nik angewendet worden waren, für den Einsatz in Lichtmaschinenreglern zeugtechnik übernahm, hat er sofort umgeschaltet, war absolut neutral und hat geeignet zu machen, für Temperaturen zwischen minus 40 bis plus 120 Grad von da an auch die Weiterentwicklung der Elektronik stark gefördert.“ Den Celsius, wie sie am Motorraum herrschten. Conzelmann konnte die Unterneh- Erfinder Eckert haben die zeitraubenden Managementaufgaben keineswegs mensführung von der Bedeutung einer eigenen IC-Fertigung überzeugen, ohne vom Entwickeln neuer Ideen abhalten können. 173 Erfindungsmeldungen die Bosch nicht zur heutigen Bedeutung gewachsen wäre. Ab 1970 begann die brachte er seit 1960 hervor, auch grundsätzliche Gedanken: So stellte er an Serienfertigung im Werk Reutlingen, nachdem die ersten Muster und Kleinse- einem arbeitsreichen Wochenende ein mathematisches Modell auf – für eine rien noch in der Pilotfertigung Rutesheim und teilweise auch im ForschungsinGerhard Conzelmann stitut Berlin (FIB) gefertigt worden waren. Seitenschlupfregelung mit zwei Querbeschleunigungssensoren. Dies floss Konrad Eckert später in die Fahrdynamikregelung ESP® ein, die heute im Auto Standard ist. 72 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 73 Hermann Scholl: Von der Jetronic zum ABS Anton van Zanten: Diesel-Ring für Schleuderschutz Als promovierter Nachrichtentechniker kam Hermann Scholl 1962 zu Bosch. „Und dann habe ich ein Angebot von Bosch in der ‚Stuttgarter Zeitung‘ gese- Drei Jahre später stieg er in die Serienentwicklung der elektronisch gesteu- hen. Die suchten Leute fürs ABS.“ Bevor der gebürtige Niederländer Anton van erten Benzineinspritzung Jetronic ein. Die Versuche anderer Kraftfahrzeugzu- Zanten 1977 zu Bosch kam, war er am Rechenzentrum der Universität Stuttgart lieferer, die Technik serientauglich zu machen, waren gescheitert. Erst Bosch als Systemprogrammierer angestellt. „Aber reine Rechenaufgaben waren nicht gelang das Meisterstück unter der Federführung Scholls. Die Jetronic wurde meine Sache als Maschinenbauer“, sagt van Zanten, „deshalb habe ich mich zum Vorbild der heute allgegenwärtigen Elektronik im Automobil. In den neu orientiert.“ Seine wichtigste Leistung bei Bosch ergab sich aus der Auf- 1970er Jahren rückte Scholl in die Geschäftsführung von Bosch auf, trieb aber gabe, das ABS so zu verbessern, dass ein Auto auch in extremen Fahrsituati- auch aus dieser Position ambitionierte Zukunftsprojekte voran, zum Beispiel onen nicht ins Schleudern kommt – eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Aber es die Entwicklung des Antiblockiersystems ABS 1978 zur Serienreife. Und er ist bei van Zanten erkennbar, dass er niemand ist, der locker lässt, wenn es gilt, hatte dabei offensichtlich den richtigen Spürsinn: Genau wie die Jetronic war Lösungswege zu finden. Das Ergebnis der gestellten Aufgabe hieß Elektro- das ABS zwar anfänglich für Bosch ein defizitäres Geschäft, entwickelte sich nisches Stabilitäts-Programm ESP®, das van Zanten maßgeblich auf den Weg in aber am Ende der Durststrecke zum kommerziellen Erfolg und zum Standard die Serienfertigung brachte. Und dafür hat er nicht weniger als 13 zum Teil in der Automobilindustrie. Scholl, der von Juli 1993 bis Juni 2003 der internationale Preise bekommen, darunter den Diesel-Ring, der an Persönlich- Geschäftsführung und anschließend neun Jahre dem Aufsichtsrat vorstand, keiten vergeben wird, die sich besonders um die Verkehrssicherheit verdient erhielt für seinen Beitrag zur Entwicklung der Jetronic und des ABS 2012 den gemacht haben. Immerhin verhindert ESP® 80 Prozent aller Schleuderunfälle Werner-von-Siemens-Ring für herausragende Leistungen in NaturwissenHermann Scholl schaft und Technik. Seit dem 1. Juli 2012 ist er Ehrenvorsitzender des Unter- im Straßenverkehr. Gut, dass van Zanten mehr wollte als rechnen. Anton van Zanten nehmens. Siegfried Dais: Entwicklung des CAN-Bus Jiri Marek: Sensoren auf anderem Terrain Über das CAN-Protokoll, das er zusammen mit dem späteren Elektrotechnik- „Schwarze Käfer haben mich schon als Student interessiert“, erzählt Jiri Professor Uwe Kiencke entwickelte, sagt Siegfried Dais recht trocken: „Wir Marek. Aber mehr als die an Krabbeltiere erinnernden Mikrochips auf Platinen waren von den grundlegenden Ideen überzeugt, also haben wir diese konse- beschäftigten den promovierten Elektrotechniker mikromechanische Struk- quent umgesetzt.“ Der promovierte Physiker, bis Ende 2012 Geschäftsführer turen, als er Ende 1986 zu Bosch kam. Winzige bewegliche Strukturen, wie der Robert Bosch GmbH, denkt optimistisch, gibt aber auch zu bedenken, sie führende Forschungsinstitute in den USA damals erforschten. Das blieb was das Forschen ausmacht: „Eine Idee zu verfolgen, mit dem Ziel, aus ihr die Konstante in Mareks Berufsleben bei Bosch, auch nachdem die ersten ein erfolgreiches Produkt zu machen, ist wie eine Wette auf die Zukunft. unter seiner Federführung entwickelten Sensoren vom Band liefen. Er baute Man steckt viel Arbeit hinein und weiß dennoch nicht von Anfang an, ob es das Geschäftsfeld als „Vater der Mikromechanik bei Bosch“ aus – Bosch ist ein Erfolg wird.“ Dais kann das bestens einschätzen, denn er hat bei Bosch heute der größte Hersteller: Fast zwei Millionen Sensoren werden täglich in seit 1979 in sehr vielen verschiedenen Bereichen gearbeitet, meistens in Reutlingen gefertigt. Doch Marek war damit nicht zufrieden. Die Sensoren Forschung und Entwicklung. Daher kennt er das Metier aus verschiedenen ließen sich auch in ganz anderer Anwendung einsetzen – bei Smartphones, Perspektiven, auch die Hürden, die oft für den Erfolg überwunden werden Laptops oder Spielkonsolen. Daraus folgte konsequent die Gründung der mussten. CAN, „sein Kind“, ist heute dank einer sehr offensiven Lizenz- Bosch-Tochtergesellschaft Bosch Sensortec, die seit 2005 mikromechanische vergabe ein Standard bei fast allen Autoherstellern der Welt. Gemeinsam Sensoren für die Konsumelektronik entwickelt und verkauft. Für seine mit Uwe Kiencke erhielt Dais dafür 2008 den Innovationspreis der Eduard- Verdienste um die Mikromechanik wurde Marek zusammen mit seinen Rhein-Stiftung. Siegfried Dais Kollegen Frank Melzer und Michael Offenberg 2008 mit dem „Preis des Jiri Marek Deutschen Bundespräsidenten für Technik und Innovation“ ausgezeichnet. 74 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte Forschung und Entwicklung | 75 Andrea Urban und Franz Lärmer: „Erfinder des Jahres“ Improvisation kann ein probates Mittel sein, wenn es darum geht, technisch voranzukommen: Als Franz Lärmer einmal Anfang der 1990er Jahre beim Experiment eines neuartigen Ätzverfahrens eine Hochvolt-Zündquelle fehlte, musste eine gewöhnliche Spule aus dem Auto herhalten. Der Physiker eilte kurzerhand zum Firmenparkplatz und baute das gute Stück aus seinem Wagen aus. Zusammen mit der Verfahrenstechnikerin Andrea Urban entwickelte Lärmer das damals revolutionäre Plasmaätzverfahren für Silizium. Ohne dieses Verfahren, heute „Bosch-Prozess“ genannt, wäre die Serienfertigung winziger mikromechanischer Sensoren für Smartphones, Laptops oder Andrea Urban Handys unmöglich. Und Lärmer und Urban? Sie wurden vom Europäischen Patentamt und der Europäischen Kommission 2007 zu den „Erfindern des Jahres“ gekürt, denn mit ihrem Verfahren ist heute die Fertigung beweglicher Strukturen auf einer Fläche möglich, die deutlich kleiner ist als ein Stecknadelkopf. Franz Lärmer Friedrich Boecking: Blitzschnell mit Piezo-Technik Viele Tausend Köpfe: Menschen bei Bosch in Forschung und Entwicklung heute In seinem Arbeitsleben hat Friedrich Boecking über 750 Patente angemeldet. Über 42 000 Menschen forschen und entwickeln für Bosch weltweit. Eine Erfindung des Maschinenbauingenieurs, der heute die Dieseltechnik- Einzelne hervorzuheben, wäre schwierig und nicht fair, denn sie tragen sparte von Bosch in Indien leitet, sticht dabei aber besonders heraus: die alle zur Zukunftsfähigkeit des Unternehmens bei. Deshalb steht hier auch Piezo-Technik für Diesel- und Benzineinspritzsysteme in Automobilen. kein persönliches Porträt, denn die Aufgaben haben sich immer weiter Eingesetzt wurde die Technik ab 2003 zunächst bei Einspritzventilen in differenziert. Ragten in der Frühgeschichte von Bosch noch deutlich einzelne Motoren mit einem Common-Rail-Dieseleinspritzsystem, wo sie ihre Vorteile Köpfe wie Gottlob Honold heraus, die Forschung und Entwicklung allein voll ausspielen konnte: Die piezokeramischen Komponenten dehnen sich bestritten oder dominierten, so sorgte das Wachstum des Unternehmens für nämlich blitzschnell aus, wenn eine elektrische Spannung angelegt wird. immer speziellere Einzelaufgaben, die in innovative Gemeinschaftsleistungen Das Resultat: Sie ermöglichen eine viel schnellere und exaktere Einspritzung mündeten. Und wenn in der jüngeren Vergangenheit doch wieder einzelne bei Drücken von über 2000 Bar. Diese technischen Eigenschaften sind Erfinderpersönlichkeiten hervorstachen, so standen sie für bahnbrechende entscheidend dafür, Verbrauch und Abgasemissionen bei Automobilen Entwicklungen, die das Gesicht von Bosch insgesamt verändert haben. Von signifikant zu senken. Im Herbst 2005 bekam Boecking als Sprecher des den heutigen Frauen und Männern in der Forschung und Entwicklung wissen Bosch-Entwicklungsteams für diese wegweisende Technik zusammen mit wir das noch nicht. Was sie tiefgreifend verändern oder an Neuem auf den Klaus Egger und Hans Meixner von Siemens-VDO den „Preis des Deutschen Weg bringen, wird erst der Rückblick aus der Zukunft zeigen. Bundespräsidenten für Technik und Innovation“. Friedrich Boecking