Technik fürs Leben erfinden Forschung und Entwicklung im Rückblick

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Technik fürs Leben erfinden Forschung und Entwicklung im Rückblick
Herausgeber:
Robert Bosch GmbH
Historische Kommunikation
(C/CCH)
Postfach 30 02 20
70442 Stuttgart
Telefon +49 711 811-44156
Leitung:
Dr. Kathrin Fastnacht
Technik fürs Leben erfinden
Forschung und Entwicklung
im Rückblick
Gesamte Leitung:
Unternehmenskommunikation,
Markenmanagement und Nachhaltigkeit
Leiterin: Uta-Micaela Dürig
Im Internet:
geschichte.bosch.com
Weitere Exemplare dieser Broschüre
können per E-Mail angefordert werden:
bosch@infoscan-sinsheim.de
© Januar 2014
Magazin zur Bosch-Geschichte
Sonderheft 4
2 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 3
Vorwort
Titelbild:
Forscher mit Atommodell,
1964. Der Wettlauf um
innovative und nutzbringende Produkte
erforderte bereits vor
50 Jahren mehr Grundlagenforschung.
Als Erfinder sah sich der junge Robert Bosch nie – dafür suchte er sich die
richtigen Leute. Der Erste unter ihnen war Bosch-Meister Arnold Zähringer.
Er entwickelte die Magnetzündung für Automobile weiter, so dass endlich
ein zuverlässiges Zündsystem für die junge Autoindustrie verfügbar wurde.
Vier Jahre später stellte Robert Bosch seinen ersten Entwicklungsleiter ein:
Gottlob Honold. Er war nicht nur der Vater der millionenfach verkauften
Hochspannungsmagnetzündung mit Zündkerze von 1902. Honold brachte
auch zahllose Innovationen zur Serienreife, etwa die elektrische Fahrzeugbeleuchtung und den Anlasser. Diese Erzeugnisse machten Bosch zu einem
internationalen Großunternehmen. Dass Forschung und Entwicklung wichtig
sind, hatte also schon der Unternehmensgründer erkannt – und es hatte sich
ausgezahlt.
Nachdem sich Forschung und Entwicklung jahrzehntelang kontinuierlich weiterentwickelt hatten, änderte sich Vieles grundlegend, als Bosch Anfang der
1960er Jahre in Geschäftsbereiche aufgeteilt wurde – das blieb bei Bosch
bis heute ein Erfolgsmodell: Forschung und Vorausentwicklung wurden zum
bereichsübergreifenden Ressort der Unternehmenszentrale, die Produktentwicklung hingegen ging jeweils in die Verantwortung des zuständigen
Geschäftsbereichs über. Das bedeutet für uns auch heute mehr Freiheit für
die Forschung und mehr Kundenorientierung bei der Produktentwicklung.
Inhalt
Danksagung
Siegfried Bellon
Erich Bittner
Friedrich Boecking
Karl-Ernst Boeters
Siegfried Dais
Klaus Dieterich
Peter Egelhaaf
Heinz Eschrich
Stefan Ferber
Udo-Martin Gomez
Wolf-Dieter Haecker
Martin Hieber
Otto Holzinger
Matthias Küsell
Franz Lärmer
Elke Lautenschlager
Rainer Leunig
Karl-Heinz Matt
Jiri Marek
Karl Nagel †
Peter Pfeffer
Otmar Pilsak
Hermann Scholl
Günter Schmied
Erika Schmidt
Peter Schnäbele
Peter Schweizer
Gert Siegle
Andrea Urban
Anton van Zanten
Jürgen Zechmann
Gotthold Zielasek
4 Tüfteln im Hinterhof
Die Anfänge in der Werkstatt
1886 bis 1900
10 Honolds „Klause“
Erste Schritte
1901 bis 1925
16 Andere Eisen ins Feuer
Neue Produktbereiche
1926 bis 1932
24 Schwere Zeiten
Im Zeichen der Diktatur
1933 bis 1945
30 Aufbruch ins Unbekannte
Von Notprodukten zur Elektronikentwicklung
1946 bis 1964
38 Auf festen Grund gestellt
Neuorganisation
1965 bis 1982
Heute sind es rund 42 000 hoch spezialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in weltweiter Zusammenarbeit nach Ideen suchen und in
46 Für jeden Markt entwickelt
begeisternde Produkte, Geschäftsmodelle und Dienstleistungen umsetzen.
Sie gestalten damit „Technik fürs Leben“, das Leitmotiv unseres unternehmerischen Handelns, das uns bei Bosch verbindet und zu besonderen
Leistungen anspornt. Forschen und Entwickeln erhält so einen höheren,
über das rein Wirtschaftliche hinausgehenden Sinn. Mit Herz und Leiden-
Autor:
Dietrich Kuhlgatz,
mit Textbeiträgen von
Christine Siegel
Wegweisende Innovationen und Globalisierung
1983 bis 2005
58 Bosch auf dem Weg ins Web 3.0
schaft, mit „passion for engineering“ verfolgen wir unsere Ziele und schaffen
Energieeffizienz und Vernetzung
so immer wieder Meilensteine in der Technikgeschichte. Diesen spannenden
2006 bis 2013
Weg beschreibt dieses Sonderheft. Viel Vergnügen bei der Lektüre.
66 Ausblick
Volkmar Denner
Vorsitzender der Geschäftsführung
68 Forscher und Entwickler im Porträt
4 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Tüfteln im Hinterhof
Die Anfänge in der Werkstatt 1886 bis 1900
Forschung und Entwicklung | 5
Bild links:
Der Hof von Robert Boschs
Werkstatt 1897
Bild rechts:
In der Anfangszeit stellte
Bosch so ziemlich alles her,
was sein Geschäft über
Wasser hielt.
Jeder fängt einmal klein an. Auch bei
junge Unternehmer ein Perfektionist:
Robert Bosch war das im November 1886
Konstruktionen, die er auf Kundenwunsch
nicht anders. Mit einem Meister und einem
nachbaute, stellten ihn oft nicht zufrieden.
Laufburschen war die „Werkstätte für Fein-
Also nahm er diese Konstruktionen gründ-
mechanik und Elektrotechnik“ eine über-
lich unter die Lupe, um sie zu verbessern.
schaubare Sache in einem Stuttgarter
Prominentes Beispiel ist die später so
Hinterhof. Was wir heute Forschung und
wichtige Magnetzündung, 1887 erstmals auf
Entwicklung nennen, war damals schwerlich
Kundenwunsch von Bosch für den Einsatz
vorstellbar. Bosch hatte zu diesem Zeit-
an einem Stationärmotor nachgebaut. Hier
punkt kein eigenes Produktportfolio, also
optimierte er die Konstruktion, indem er die
auch keinen Ausgangspunkt für Forschung
bisher üblichen, über die Kante gebogenen
und Entwicklung. Wirtschaftlich war es, so
Magnete durch Hufeisenmagnete ersetzte.
wird er es später formulieren, „ein böses
Das machte die Zündapparate robuster und
Gewürge“, und er hielt sich durch Einzelauf-
langlebiger. Der Kern der heutigen Innovati-
träge über Wasser.
onskultur, zu der auch die kreative Aufgabe
der ständigen Verbesserung gehört, ist also
Fachmännische Prüfung
schon zu diesem frühen Zeitpunkt erkenn-
Robert Bosch konnte anfänglich bei der
bar.
Akquise seiner Aufträge nicht sonderlich
wählerisch sein. Er baute und reparierte,
Kein Erfinder
was er an Aufträgen bekam. Eine Werbe-
Ein klassischer Erfinder-Unternehmer wie
anzeige aus dem Jahr 1887 veranschaulicht
Hugo Junkers oder Werner Siemens war
sein Angebot: „Telephone, Haustelegraphen.
Robert Bosch nicht. Er sagte dazu später
Fachmännische Prüfung und Anlegung von
einmal: „Man kann mir nachsagen, ich sei
Blitzableitern. Anlegung und Reparatur
gar kein Erfinder, und ich mache auch gar
elektrischer Apparate sowie aller Arbeiten
keinen Anspruch auf diesen Titel.“ Bosch
der Feinmechanik.“ Gleichzeitig war der
stellte klar, dass er den Erfolg seinem unter-
6 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 7
nehmerischen Geschick zu verdanken habe:
zu finden, die den wichtigen Innovationen
„Aber ich bin der Mann, der es fertigge-
des Unternehmens den Weg bahnten sollten
bracht hat, durch Ausdauer, durch gutes
– das setzte Menschenkenntnis voraus.
Beispiel und durch richtige Behandlung
Robert Bosch hatte die Gabe, die richtigen
meiner Mitarbeiter einen Betrieb aufzu-
Mitstreiter auszusuchen.
Benz-Rennwagen mit
Fahrer Camille Jenatzy,
1903. Die ersten Rennwagen waren mit BoschZündapparaten ausgestattet und somit
gleichsam Dauertesteinrichtungen.
bauen, der einen guten Namen hat in der
ganzen Welt.“ Und er fügte hinzu: „Ich
Sein Meister Arnold Zähringer ist nur ein
verdanke nicht einen geringen Teil meines
Beispiel dafür. Auf ihn geht das erste Patent
Erfolges meiner ausdauernden Gründlich-
zurück, das am 11. Juni 1897 für die Firma
keit, die verhütete, dass etwas Schlechtes
angemeldet wurde. Dieses Patent, eine
aus meiner Werkstatt hinausging.“ Zunächst
„pendelnde Hülse“ für magnetelektrische
aber sollte nichts „Schlechtes“ in die Werk-
Zündapparate, ermöglichte die Zündung
statt hineinkommen, und dass galt von
auch bei den schnell drehenden Automobil-
Anfang an insbesondere für das Personal.
motoren. Mit ihr begann die Forschung und
Denn die Erfinder, Entwickler und Forscher
Entwicklung bei Bosch.
Mit dem ersten Patent 1897 schützte
Bosch eine neue Konstruktionsweise, die
es möglich machte, Magnetzündapparate
für Automobile zu bauen. Hergestellt
wurden sie in Einzelfertigung.
Das erste Patent und seine Vorgeschichte
Entwicklung von Erzeugnissen. Robert
Der Impuls für den Einsatz der Magnetzün-
Bosch, bis dahin Eigentümer, Mechaniker
dung im Automobil, Geburtsstunde für
und Buchhalter in Personalunion, gab Kon-
Bosch als Automobilzulieferer, kam aller-
struktionsaufgaben an kreative Köpfe im
dings von außen. Schon 1894 hatte die
kleinen Unternehmen weiter.
Thüringische Motorenfabrik in Neustadt an
der Orla Magnetzündapparate für Motor-
Den Beginn des kommerziellen Erfolgs
fahrzeuge geordert, die allerdings noch
markierte dabei ein Auftrag an Bosch im
nicht für die angestrebten hohen Drehzah-
Herbst 1897, die im Juni patentierte Zün-
len in Automobilen von mehr als etwa 1 000
dung an einem Großserien-Motordreirad zu
Umdrehungen pro Minute ausgelegt waren.
erproben. Bosch wollte einen Lieferab-
1896 war es dann der Augsburger Motor-
schluss für die Zündung, und daher bat er
radkonstrukteur Ludwig Rüb, der mit der
um Lieferung des Dreirads an seine Werk-
Bitte um die konstruktive Änderung des
statt, um die Zündung bestmöglich an das
Magnetzünders an Bosch herantrat, um das
Dreirad anpassen zu können. Robert Bosch
System den Anforderungen hoher Drehzah-
und Arnold Zähringer, die beide noch nie
len anzupassen. Das Resultat war die Kon-
ein Motorfahrzeug gefahren hatten, zöger-
struktion einer leichten Metallhülse um den
ten, wie ein Mitarbeiter rückblickend
schweren Zündanker, die man zur Span-
schreibt: „Niemand zeigte Lust, sich dem
nungserzeugung statt des Ankers pendeln
erstaunlich schnellen Vehikel anzuver-
ließ – Kern des Patents vom Juni 1897.
trauen, bis sich der neunzehnjährige Lehrling Max Rall erbot, das Wagnis zu beste-
Die Firma wuchs von da an schnell, und die
hen. Er machte im Hof die ersten Fahr-
Prozesse wurden zunehmend in Arbeitstei-
versuche, wobei ihm die Weinfässer des
lung organisiert – das galt auch für die
Hausbesitzers Hirsch als Puffer dienten.“
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Forschung und Entwicklung | 9
Fahrversuche und Weinfässer im Hinterhof:
Die ersten Anwendungstests
Zu Forschung und Entwicklung gehört Erprobung – das war bei Bosch schon vor über 100
Jahren so. „Was im Zimmer ging, war lange noch nichts für die Landstraße“, betonte Robert
Bosch im Rückblick. Briefe von ihm aus dem Winter 1897 zeigen die Erfolge und Schwierigkeiten mit der Magnetzündung:
27.11.1897: „Ich werde nun den (Magnetzündungs-)Apparat für diese Zeit
richten, und hoffen, dass ich Ihnen in den nächsten 8-10 Tagen Bestimmtes sagen kann.
Geht es auf das erstemal glatt, so wird das Rad bis dorthin fertig sein, bekomme ich
Anstände, so wird es mir wohl immerhin in 14 Tagen gelingen, die Sache in Stand zu bringen. (…) Sie werden von mir unter allen Umständen eine Einrichtung bekommen, an die in
Bezug auf Betriebssicherheit die jetzige entfernt nicht herankann. Ich bitte Sie nur: Haben
Sie Geduld. Versuche lassen sich nicht beliebig beschleunigen! Sie wissen das ja wohl aus
Erfahrung.“
15.12.1897: „Die Zündung ist nun so, dass sie ebensowohl bei 500 als bei
300 minütlichen Zündungen sicher arbeitet. Auch mache ich die Einrichtung so, dass Sie
den Zeitpunkt der Zündung verstellen können. Sie werden also eine Zündung bekommen,
die nicht nur alles das mit Sicherheit dauernd leisten wird, was Ihre bisherige Zündung
leistete, sondern die auch in Bezug auf Feuchtigkeit viel weniger empfindlich ist als ihre
bisherige, und die vor allem nicht geladen zu werden braucht, wie Ihre AkkumulatorenZündung. Ich bitte Sie, sich noch solange zu gedulden, bis ich die Zündung hinreichend
praktisch probiert habe, Sie werden nachher umso leichter mit derselben arbeiten.“
1896 war die Bosch-Welt
noch klein. Betriebsausflug zur Feier des tausendsten Magnetzünders
mit Robert Bosch (Mitte)
Misstrauen weicht Überzeugung
erfuhr von der Fahrt erst drei Monate
Es sollte noch ein wenig dauern, bis die
später durch einen Zufall. Am Ende war
Bosch-Zündung erstmals verkauft wurde.
es der einflussreiche Daimler-Exporteur
Gottlieb Daimler, der erste Abnehmer des
Emil Jellinek, der die Bosch-Zündung kom-
bei 600 in der Minute ohne eine Zündung auszulassen. Geräusch ist keines vorhanden.
serienmäßig hergestellten Zündapparates
merziell nach vorn brachte. Jellinek, nach
Teile, die sich rasch abnützen oder die dem Brechen ausgesetzt sind, gibt es ebenfalls nicht,
im Frühjahr 1898, war zunächst skeptisch
dessen Tochter 1902 der Daimler Simplex-
ebensowenig ist der Apparat empfindlich gegen Nässe, in einer Weise, daß es Schwierig-
gegenüber der Bosch-Zündung. Er wollte
Wagen auf den Namen „Mercedes“ getauft
keiten machen würde, mit demselben bei Regenwetter zu fahren.“
lieber seine selbst konstruierte Glührohr-
wurde, setzte auf Sicherheit und Zuverläs-
zündung verbauen, auch wenn sie unzuver-
sigkeit und verlangte die Bosch-Zündung
lässig und feuergefährlich war. Dennoch
für jeden von ihm verkauften Wagen. Damit
gab er dem neuen System von Bosch eine
katapultierte er die Verkaufszahlen von
Chance: Er ließ einen Magnetzünder in
Bosch nach oben. So gut die Resultate der
einen Wagen einbauen und fuhr durch die
teilweise mühsamen Entwicklungsarbeit
über 300 Kilometer entfernten Tiroler Alpen
Boschs an der Zündung auch waren – sie
Alpen und zurück. Die Zündung überzeugte
brauchten auch durchsetzungsfähige Für-
Daimler schließlich. Robert Bosch indes
sprecher.
21.12.1897: „Die Zündung geht noch bei 100 minütlichen Zündungen, wie auch
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Forschung und Entwicklung | 11
Honolds „Klause“
Erste Schritte
1901 bis 1925
Bis 1900 war Boschs kleines Unternehmen
verbessern, dass sie das störanfällige, aber
nach Aufschwüngen und Einbrüchen allmäh-
unverzichtbare Abreißgestänge zur Aus-
lich auf 37 Mitarbeiter gewachsen. Im Jahr
lösung des Zündfunkens nicht mehr be-
darauf ließ er seine erste Fabrik bauen, die
nötigte. Als Honold das Ergebnis wenige
Platz für 200 Arbeiter bot und in moderns-
Monate später präsentierte, zeigte sich der
ter Stahlbetonbauweise mit Belüftungs-
sonst eher zurückhaltende Robert Bosch
system und großen Fensterflächen ausge-
begeistert: „Da haben Sie den Vogel abge-
führt war. Eine Forschungs- oder Ent-
schossen!“ In der Tat war etwas völlig
wicklungsabteilung war darin noch nicht
Neues entstanden. Und was beide nicht
vorgesehen. Bosch war bescheiden und
wissen konnten: Das neue Zündsystem, die
kalkulierte vorsichtig: So rechnete er allen-
Hochspannungsmagnetzündung mit Zünd-
falls mit 100 Mitarbeitern in den kommen-
kerze war im Gegensatz zum Vorgänger dau-
den Jahren und erwog sogar, einzelne
erhaft geeignet, die immer höheren Dreh-
Etagen des Gebäudes zu vermieten. Diese
zahlen zu bewältigen. Die „Magnetelek-
Vorsicht war unbegründet. Schon 1904
trische Zündvorrichtung für Explosions-
hatte Robert Bosch 200, 1908 bereits
kraftmaschinen“ wurde am 7. Januar 1902
1 000 Mitarbeiter. Dieses schnelle Wachs-
patentiert. Bis dahin hatte Bosch insgesamt
tum hatte er der Hochspannungsmagnet-
gut 10 000 Magnetzünder der alten Bau-
zündung für Automobile zu verdanken – ent-
weise hergestellt. Von Honolds Hochspan-
wickelt von Gottlob Honold, seinem ersten
nungszündung verkaufte Bosch in den
Chefingenieur.
nächsten zehn Jahren bereits fast eine
Million Stück. Daran lässt sich die Trag-
„Den Vogel abgeschossen“
weite dieser Entwicklungsleistung für
1901 hatte Honold die Aufgabe bekommen,
den raschen Aufstieg zum international
die Niederspannungsmagnetzündung so zu
agierenden Unternehmen erkennen.
Bild ganz links:
Dauerprüfung von Magnetzündern für Automobile in der ersten Fabrik,
1906
Bild links oben:
Patent der Hochspannungsmagnetzündung
1902, dem „Meisterstück“ Gottlob Honolds
Bild rechts oben:
Licht und Anlasser, 1913
und 1914 auf den Markt
gebracht, machten Bosch
zum Pionier der Automobilelektrik.
12 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 13
leitete Krauss die Versuchswerkstätten, die
Honold von zahlreichen anderen Entwick-
sich nach 1902 aus einem kleinen Zeichen-
lern, die kontinuierlich neue Produkte
büro und einem Laboratorium entwickelt
ersannen. Dazu gehörten der Physiker
hatten. Die Versuchswerkstätten etablierten
August Kazenmaier, Leiter des Laboratori-
sich als Bindeglied zwischen Entwicklung
ums, und der Ingenieur Hermann Steinhart,
und Fertigung. Hier musste sichergestellt
Leiter der Konstruktionsabteilung und
werden, dass die Neukonstruktionen sich in
späterer Vater des ersten Bosch-Elektro-
all ihren technischen Details für eine profi-
werkzeugs, das er im Jahr 1928 zur Serien-
table Serienfertigung eigneten.
reife brachte. Eine wesentliche Triebfeder
für die Entwicklung von Licht und Anlasser
Weit ihrer Zeit voraus
waren die ersten Experimente, die Boschs
Forscher und Entwickler
im Bereich der Benzineinspritzung im Jahre
1912 starteten.
Erster Entwicklungschef im Unternehmen
Materialien für Zündkerzen zu entwickeln,
Gottlob Honold ist im Rückblick der erste
damit diese perfekt die gefährliche Hoch-
Forscher und Entwickler des Unterneh-
spannung nach außen isolierten und gleich-
mens. Die „Elektrotechnische Fabrik Robert
zeitig den enormen Temperaturen des
Bosch“ brauchte nicht nur das kreative
Verbrennungsraumes standhielten.
Geschick von Handwerkern und Mechani-
Bis 1909 war das Technische Büro bereits
kern. Sie benötigte auch Fachleute, die
auf 60 Mitarbeiter angewachsen, bis 1917
neueste Kenntnisse in Natur- und Ingeni-
auf rund 100. Schon 1913 hatte sich
eurswissenschaften in die Praxis umsetzen
Honold, mittlerweile zum technischen
konnten. Das konnte Honold hervorragend,
Direktor aufgestiegen, für seine wachsende
und nach ihm viele andere. Robert Boschs
Forschungs- und Entwicklungsabteilung ein
Biograf Theodor Heuss bezeichnet Honolds
ganzes Stockwerk eines Fabrikneubaus
ersten Arbeitsort als Rückzugsort – gera-
reservieren lassen.
dezu als eine „Klause“. Diese wich jedoch
allmählich immer großzügigeren Arbeitsbe-
Handwerk als Bindeglied
dingungen. Wie wichtig Innovationen waren,
Ebenso wichtig wie die Erforschung und
zeigte sich spätestens nach dem Markter-
Entwicklung einer Idee war die handwerkli-
folg des neuen Produkts. Schon 1903 lei-
che Umsetzung. Mit dem Mechanikermeis-
tete Gottlob Honold das Technische Büro
ter Adolf Krauss fand Honold einen idealen
mit fünf Mitarbeitern. Es befasste sich mit
Partner für die handwerkliche Umsetzung
allen Aufgaben von den ersten Entwurfs-
seiner Ideen. Krauss war 1898 zu Bosch
zeichnungen bis zur Fertigungsvorberei-
gekommen. Er baute zahlreiche Prototypen
tung. Dazu gehörte auch der Beginn der
von Hochspannungsmagnetzündern, die
späteren Materialforschung: Honold und
sich durch das Wechselspiel von Erprobung
seinen Mitarbeitern musste es beispiels-
und technischer Verbesserung Schritt für
weise gelingen, die richtigen keramischen
Schritt der Serienreife annäherten. Später
Rezepte gegen die „Eintagsfliege“
war die lange Zeit starke Abhängigkeit
In den Jahren bis zu seinem frühen Tod am
Boschs von der Magnetzündung. Die Inge-
17. März 1923 prägte Honold die Entwick-
nieure waren nun gefragt, weitere Erzeug-
lungsarbeit bei Bosch. Seine Idee war die
nisse auf die Straße zu bringen. Robert
elektrische Fahrzeugbeleuchtung mit bord-
Bosch hatte gefürchtet, seine Mitarbeiter
eigener Stromversorgung, das „Bosch-
nicht mehr beschäftigen zu können, sollte
Licht“ (1913), der Bosch-Anlasser (1914),
sich die Magnetzündung aufgrund techni-
aber auch die heutige Bildmarke des Unter-
scher Fortschritte irgendwann als unzeit-
nehmens, der „Anker im Kreis“, den er im
gemäß oder gar überflüssig, als „Eintags-
November 1918 entwarf. Das zeigt die
fliege“ erweisen, wie er es selbst formu-
Vielfalt seiner Begabung. Unterstützt wurde
lierte.
Der Generator sorgte für
die Stromversorgung im
Auto. Damit war der Weg
frei für weitere Innovationen wie den elektrischen
Scheibenwischer. Hier
eine Werbeanzeige von
1926
14 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 15
Im Dauerlauf:
Produkterprobung unter
Alltagsbedingungen
leitung“ und damit alle Forschungs- und
sein, wenn wir einen gesunden Gedanken
Entwicklungsabteilungen übernahm, kamen
der Konkurrenz in eigener Prägung auch an
beispielsweise Scheibenwischer (1926) und
den Bosch-Erzeugnissen zur Verwirklichung
Fahrtrichtungsanzeiger, die sogenannten
bringen.“
„Winker“ (1928) auf den Markt. Der Winker
war der Vorgänger des heutigen Blinkers am
Kühle Köpfe
Auto. Honold und seine Nachfolger zeichne-
Robert Bosch zog sich in dieser Zeit aus
ten sich dadurch aus, Trends zu erkennen
dem aktiven Geschäft zurück, was ihn
und aus bereits verfügbaren Ideen oder
jedoch nicht hinderte, immer noch durch
Basistechnologien ein neuartiges Produkt
Stippvisiten an der Entwicklungsarbeit
zu schaffen, das Bosch-Qualität bot. Dazu
teilzuhaben. Und er hatte seine ganz eige-
Vor 100 Jahren gab es noch keine eigenen Teststrecken am Polarkreis für den Wintertest
mussten sie sich natürlich auch ein Bild
nen Vorstellungen, die Kreativität der Erfin-
wie heute. Daher unternahmen die Bosch-Direktoren höchstpersönlich im deutschen
vom Standard der Konkurrenzprodukte
der zu fördern: „Wenn Robert Bosch sich
Winter die Testfahrten, zum Beispiel in den Schwarzwald. In seinen Erinnerungen schreibt
machen. So veranlasste der Vorstand am
bei meinem Vater nach dem Stand der
Entwickler Hermann Steinhart: „Zwischen Weihnachten und Neujahr 1913/14 mussten wir
22. Juni 1923 die Gründung einer „Kon-
Entwicklung neuer Scheinwerfer erkun-
einige Sechs-Tage-Versuchfahrten mit drei Wagen unternehmen, hauptsächlich lange
struktions-Beratung“. Dahinter stand die
digte,“ so die Tochter des Entwicklers Karl
Nachtfahrten. Die Herren Honold und Klein hatten ihre eigenen Wagen zur Verfügung
Sorge, dass Wettbewerber technologisch
Kleinert, „schaute er auch immer auf das
gestellt.“ Mit dem einzigen Bosch-Firmenwagen, einem Napier, waren es drei mit
aufholten und vielfach preiswerter anboten.
Zimmerthermometer. Einmal aus Sparsam-
Mechanikern und Ingenieuren in Winterkluft vollbesetzte Wagen. Man fuhr am Rhein
Die Aufgabe der neuen Abteilung war es
keit, zum anderen, dass die Mitarbeiter
bis Köln, durch den Harz, durchs Fichtelgebirge, den bayrischen Wald und schließlich
daher, die Konkurrenzprodukte genau zu
geistig frisch bleiben, durfte das Thermo-
über Nürnberg wieder zurück nach Stuttgart. Der Bericht schildert die kalten Fakten
studieren, um unter Umständen Erkennt-
meter nie mehr als achtzehn Grad anzei-
der Fahrt: Im Fichtelgebirge „trafen wir große Schneemassen an. Nur einer unserer Wagen
nisse für die eigene Produktion nutzen zu
gen.“ Dass Kleinert das Thermometer mani-
war mit Schneeketten versehen, so dass wir an den anderen die Reifen mit Seilstücken
können. In einem internen Schreiben heißt
puliert hatte – es zeigte drei Grad zu wenig
umbinden mussten, um überhaupt voranzukommen.“ Und damit nicht genug: Alle Wagen
es dazu ganz offen: „Es ist keine Schande,
an – ahnte Bosch wohl, als er gegenüber
waren offen – und die Insassen dem Wetter vollends ausgesetzt.
von dem Gegner zu lernen. Wir werden uns
Kleinert anmerkte: „Merkwürdig, mir kommt
zwar davor zu hüten wissen, fremde Kon-
es in Ihrem Büro immer etwas wärmer vor.
struktionen einfach nachzumachen, doch
Mag wohl die Ausstrahlung Ihrer geistigen
wird es unserer Sache manchmal förderlich
Arbeit sein.“
Das Kraftwerk an Bord
erlaubte, früher auf dem Plan zu erschei-
Autos waren nicht mehr die „Spielzeuge“
nen“. Bosch-Innovationen überzeugten
weniger reicher Automobilisten. Vielmehr
durch ihre Serientauglichkeit, und dazu ließ
lösten sie das Pferdegespann als Lieferwa-
Bosch die „Erfinderehre“ durchaus anderen.
gen und die Kutsche als Reisegefährt ab –
Entscheidend war hier wie oft etwas ganz
zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter.
anderes: Das „Bosch-Licht“ war das erste
Für den alltäglichen Gebrauch wurden neue
alltagstaugliche elektrisch betriebene
Produkte notwendig. Um beispielsweise
System mit Stromverbrauchern im Auto.
Nachtfahrten sicherer zu machen, ent-
Es wurde durch seine Kombination von
wickelten Honolds Spezialisten ab 1910
autarker Stromerzeugung im Generator und
das „Bosch-Licht“ – ein elektrisches Be-
Speicherung des Stroms in der Batterie die
leuchtungssystem, das aus Scheinwerfern,
Basis und das Vorbild der heutigen Bord-
Generator und Batterie bestand. Es ging
netze im Auto.
dem Unternehmer Bosch, wie so oft später
auch, dabei nicht um die „Erfindung“. Die
Die neue Vielfalt
Idee der elektrischen Fahrzeugbeleuchtung
Auf der Stromversorgung des Bosch-Lichts
war schon vorher bekannt. Robert Bosch
bauten zahlreiche Produktneuheiten der
sagte später, sein wesentliches Merkmal als
1920er Jahre auf, die das Bild der For-
Unternehmer sei seine Gründlichkeit gewe-
schung und Entwicklung bei Bosch prägen
sen, „nicht den Ruf der Firma zu gefähr-
sollten. Unter Max Rall, der nach dem Tod
den“, was „manchmal einem Wettbewerber
Gottlob Honolds die „Konstruktions-Ober-
Konstrukteure am
Zeichenbrett, 1926.
Im Lichtwerk Feuerbach
wurden Scheinwerfer
nicht nur gefertigt,
sondern auch konstruiert
und erprobt.
16 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 17
Andere Eisen ins Feuer
Neue Produktbereiche
1926 bis 1932
Als Walter Dorn 1924 in der „Physikalischen
um: „Ferner wurde auf unserem alten
Abteilung der Laboratoriumsleitung“ seine
Kerngebiet ein systematischer Ausbau des
Arbeit antrat, wunderte er sich sehr, „wozu
Fertigungsprogramms durchgeführt, unter
mich Bosch haben wollte. Denn nach mei-
Berücksichtigung solcher Erzeugnisse, die
ner naiven Ansicht war ein Physiker zum
sich für den Handelsverkauf eignen oder
Erfinden da, es war aber alles schon erfun-
deren laufende Überwachung unserer
den, was die Firma Bosch herstellte. Wozu
Bosch-Dienst-Organisation Arbeit zuführt.“
brauchte man da eigentlich noch einen
Zu diesen neuen Produkten gehörten
Physiker?“
Wagenheizer ebenso wie Druckluftbremsen
oder Lenkräder.
Etablierte Strukturen und Aufbruch
Man brauchte sehr wohl Physiker, denn
Der Diesel als „zweite Gründung“
Bosch stand ein tiefgreifender Umbruch
Auch die Bosch-Dieseleinspritzung, die im
bevor. Eine Absatzkrise hatte den deut-
November 1927 auf den Markt kam, passte
schen Automobilmarkt 1925 und 1926
zum Umbau des Produktspektrums. Ihre
einbrechen lassen. Die Auswirkungen beka-
Entwicklung hatte die Unternehmensleitung
men natürlich auch die Zulieferer zu spüren.
schon rund drei Jahre vor der Absatzkrise,
Bosch setzte daher unter anderem auf die
im Dezember 1922 beschlossen. Wenig
Diversifikation mit neuen Produkten jenseits
später erwarb Bosch alle Rechte zur Ver-
der Kraftfahrzeugtechnik, um die Krise zu
wertung der Dieseltechnik-Patente des
überwinden. In diesem Zusammenhang
bayrischen Erfinders Franz Lang. Dies sollte
gründete Bosch im April 1930 eine Abtei-
die Entwicklung zur Serienreife beschleuni-
lung, die „durch Voruntersuchungen“ klären
gen. Als der renommierte Motorenentwick-
sollte, „welche neuen Erzeugnisse sich zur
ler Richard Stribeck die Langsche Technolo-
Aufnahme in das Fertigungsprogramm der
gie untersuchte, war das Ergebnis ernüch-
Firma eignen.“ Zunächst sahen sich Exper-
ternd: Die Patente seien kaum hilfreich.
ten im Umfeld des Hauptumsatzbringers,
Lang hingegen insistierte: Bosch wäre ohne
der Kraftfahrzeugtechnik, nach Passendem
sein Know-how nicht entscheidend weiter
Bild ganz links:
Forschungslabor der
Ideal-Werke Berlin
(später Blaupunkt), 1932.
Hier entwickelten und
erprobten Spezialisten
Radiotechnik.
Bild oben:
Prüflabor für Zündkerzen
im Isolithwerk Feuerbach,
1926
18 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 19
Übernahmen und Eigenentwicklungen
tisch ab – und verhinderte so unkontrollier-
Bei Akquisitionen und Neugründungen
tes Ausströmen von Gas und damit eine
folgte die Entwicklungsaktivität unter-
Gasexplosion, die damals oft die Folge
schiedlichen Mustern. In neuen Sparten
eines solchen Defekts war. Hier zahlte sich
wie etwa Kühlgeräten war der Aufbau
ein Patent aus jener Zeit aus, als die Ther-
von Entwicklungskompetenz auch mit
motechnik noch gar keine eigene Sparte
neu eingestellten Fachleuten erforderlich,
von Bosch war.
ergänzt durch Grundlagenforschungskompetenz aus dem eigenen Haus.
Eine besondere Situation zeigte sich bei
der neuen Radiosparte. Die Entwicklungs-
In übernommenen Sparten wie der Junkers
experten der Berliner Ideal-Werke, Rund-
Thermotechnik konnte Bosch auf Entwick-
funkgerätehersteller und 1933 von Bosch
lungskompetenz des angestammten Perso-
mehrheitlich übernommen, entwickelten
nals zählen. In der Thermotechnik hatte
zusammen mit Bosch-Experten in Stuttgart
Bosch zudem einen Trumpf in der Hand:
das erste serienreife Autoradio Europas.
den 1929 in Serie gebrachten zündsicheren
Das war in mehrfacher Hinsicht eine Premi-
Gasschalter. Mit der Junkers-Übernahme
ere. Die Bündelung unterschiedlicher Bran-
wurde der Schalter in alle Junkers Gasge-
chenkompetenzen – Kraftfahrzeugtechnik
räte eingebaut. Er steigerte die Sicherheit
bei Bosch und Nachrichtentechnik bei Ideal
für die Kunden erheblich. Denn nur bei
– für ein ganz neues Arbeitsfeld setzte Maß-
Junkers-Thermen schaltete sich die Gaszu-
stäbe in der deutschen Industrie.
fuhr beim Erlöschen der Flamme automa-
Prüfmotor für Einspritzpumpen, Werk Stuttgart
1937. Im Vordergrund
zwei Dreizylinder-Dieseleinspritzpumpen
gekommen. Eine mehr oder weniger güt-
ligkeit einiger Großkunden weniger ab-
liche Trennung von Lang war die Konse-
hängig zu sein“. Als besondere Heraus-
quenz. Daraufhin entwickelte Bosch die
forderung galt es jene Produktsparten zu
Dieseleinspritztechnik ab 1925 selbst zur
identifizieren, die günstige Zukunftspers-
Serienreife. Margarete Bosch sagte ihrem
pektiven versprachen. Dabei sollte Bosch
Vater beim Besuch einer Automobilaus-
sich auf den Gebieten betätigen, in denen
stellung 1931 nicht ohne Grund: „Mit
sich das eigene Forschungs-, Entwicklungs-
dieser Sache hast du deine Firma zum
und Fertigungs-Know-how einsetzen ließ.
zweiten Mal begründet.“ Die Entwicklung
Denn es war den Strategen bewusst, dass
Ende der 1920er Jahre waren die beiden Bosch-Vorstände Karl Martell Wild und
der Dieseltechnik hatte dem Unternehmen
eine grundsätzliche Neuentwicklung „sich
Erich Rassbach nach London gereist, um sich dort vom schottischen Fernsehpionier
ein weiteres Standbein verschafft.
erst etwa acht bis zehn Jahre nach der
John Logie Baird dessen neueste Versuche zeigen zu lassen. Ihm war es als Erstem
Inangriffnahme der Entwicklungsarbeit in
gelungen, ein Gesicht auf ein Fernsehbild zu übertragen. Was die beiden Herren sahen,
wesentlichen Umsätzen auswirken kann“.
überzeugte sie. Und so gründete Bosch 1929 ein Gemeinschaftsunternehmen mit Baird
Neuanfänge auf unbekanntem Terrain
Laufende Bilder entwickeln:
Die Fernseh AG
und den beiden deutschen Firmen Zeiss Ikon und Loewe: die Fernseh AG, kurz FESE.
Doch die Erweiterung des Produktportfolios
innerhalb der Kraftfahrzeugtechnik reichte
So mancher Produktvorschlag wurde nicht
Die FESE hatte zunächst nur drei Mitarbeiter. Dieses Trio kam in zwei kleinen Räumen
nicht aus. Schon gegen Ende der Automo-
weiter verfolgt – etwa Büromaschinen,
unter dem Dach bei Zeiss Ikon in Berlin unter und widmete sich ausschließlich der For-
bilkrise 1926 beriet der Bosch-Vorstand
Tanksäulen, hydraulische Getriebe, Regis-
schung. „Schon bald zeigte sich, dass Fernsehentwicklung nur durch Team-Arbeit gelöst
über Alternativen, die zum Unternehmen
trierkassen oder Bügelmaschinen. Und wie
werden kann und nur in einer Gruppe von Begeisterten, die durch Rückschläge nicht zu
passen könnten. Aber man ging noch einen
in jedem Unternehmen auf der Suche nach
erschüttern ist“, heißt es in einer Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum der FESE. Erste
anderen Weg. Nicht nur der Vorstand, auch
neuen Geschäftsfeldern, entstanden auch
Erfolge stellten sich auch schnell ein und weckten das Interesse des Reichspostministeri-
die Kreativität der Mitarbeiter war gefragt.
einige kurzlebige Bereiche – seien es
ums. Das Ministerium erkannte die Möglichkeiten der neuen Technik – es war bereit, Geld
Dazu schrieb Bosch einen Ideenwettbewerb
Plattenspieler, Lenkräder oder Vergaser.
zu investieren. Bald waren erste Ergebnisse auf dem Markt. Für die Olympischen Spiele in
aus. Und die Mitarbeiter nahmen die Her-
Anderes wurde verworfen und kam erst
Berlin 1936 lieferte die FESE die ersten rein elektronischen Aufnahmegeräte und stellte im
ausforderung an: Im Laufe eines Jahrzehnts
Jahrzehnte später auf den Markt, etwa
selben Jahr den ersten „Heimfernsehempfänger“ vor.
gingen über 10 000 Vorschläge ein. Das Ziel
Geschirrspülmaschinen, Staubsauger oder
war „vom Geschäftsgang und der Bestellwil-
Anzeigegeräte für Automobile.
20 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 21
Bild rechts:
Das Forfex-Onduliereisen (1930) gehörte
zu den ersten Elektrowerkzeugen von Bosch.
Bild ganz rechts:
Der trommelförmige
Kühlschrank von 1933.
Er war ebenfalls eine
Neuentwicklung, mit
der sich Bosch aus der
völligen Abhängigkeit
von der Autoindustrie
löste.
cher Technik basierten, Drahtbrüche und
In den USA waren bereits 1928 fast eine
Kurzschlüsse in Kauf nehmen müssen. Dem-
halbe Million Kühlschränke hergestellt
gegenüber kam Bosch die Fertigungskom-
worden. Das Geschäft versprach also auch
petenz bei Elektromotoren zugute, etwa
für Europa ein gewisses Volumen. Nur
in der Ankerwickelei und der Kollektorher-
waren hier keine Geräte zu haben, die sich
stellung.
ein Privathaushalt leisten konnte. Um den
Preis zu senken, sahen die Entwickler ein
Von der Trommel zum Kasten
trommelförmiges Gehäuse vor. Sie entwi-
Die Geschichte der Hausgerätesparte bei
ckelten aus bestehendem Know-how bei
Bosch begann ungewöhnlich: Weder war
Bosch einen Verdichter, der der Kühlung
die Idee neu, noch Bosch als Produzent
diente und einfach an die Schrank-Rück-
auf diesem Gebiet Vorreiter. Auf der Suche
wand angeschweißt war. So ließ sich das
nach neuen Geschäftsfeldern waren nicht
Gerät für rund 360 Mark anbieten – ein
nur Innovationen ausschlaggebend, viel-
Bruchteil vom Preis handelsüblicher Kühl-
mehr ging es auch um den kurzfristigen
schränke.
Markterfolg. So stand 1929 am Anfang
Hämmer und Bohrer
den Arbeitskopf ab, um den Motor an
In der Elektrowerkzeugsparte begann die
220 Volt anzuschließen und seine Drehzahl
Entwicklungsgeschichte mit einer Haar-
zu messen. Der Motor machte an 220 Volt
schneidemaschine. Wie Bosch-Personal-
ca. 13 000 Umdrehungen und lief genau
leiter Otto Debatin im Rückblick schrieb,
einige Minuten lang; dann fing er an zu
„ruft man in Krisenzeiten zuerst nach dem
stinken und der Spaß war zu Ende. Wir
Konstrukteur“. Und Hermann Steinhart,
variierten nunmehr den Rotor-Durchmesser,
Leiter der Abteilung Entwurf, hörte den Ruf.
die Zahl und Größe der Nuten, sowie die
Er bekam die Aufgabe, den Prototypen der
Zahl und den Durchmesser der Drähte, mit
Haarschneidemaschine, der den Markenna-
denen der Anker gewickelt wurde, und
men Forfex trug, zur Marktreife zu entwi-
ebenso den Kollektor. Schon nach ungefähr
ckeln. Doch in der Forfex steckte mehr, und
sechs Wochen hatten wir einen Motor, der
Steinhart erkannte das Potenzial. Das kleine
im Leerlauf bei etwa 16 000 Umdrehungen
Elektrowerkzeug mit integriertem Motor
über 100 Stunden lief.“
im Handgriff ließ sich nämlich auch in der
Fertigung für Dieseleinspritzpumpen ein-
Auch die Entwicklungsgeschichte der
setzen. Mit seiner Mannschaft entwickelte
schweren Elektrowerkzeuge für den Bau-
er auf dieser Basis den „Bosch-Handmotor“,
stelleneinsatz begann Anfang der 1930er
der ab 1932 auch an Kunden außerhalb des
Jahre. Weil Bosch die neue Sparte auf eine
Unternehmens verkauft wurde.
breitere Basis stellen wollte, kaufte man ein
schwedisches Patent für einen elektrisch
Einen Einblick in die mitunter sehr rustikale
betriebenen Bohrhammer. Wie so oft
Entwicklungsarbeit gibt ein Bericht aus
schafften es die Entwickler um Steinhart
dem Jahr 1931: „Wir besorgten uns einige
und Kazenmaier, das Produkt zur Serien-
Forfex-Motoren, gewickelt zum Anschluss
reife zu bringen. Zuvor hatten die Kunden
an 110 Volt Wechselstrom, schraubten
bei Geräten der Konkurrenz, die auf ähnli-
der Entwicklung des Bosch-Kühlschranks,
Technik am laufenden Band
des ersten Hausgerätes, ein klares Ziel:
Nicht nur neue Produkte, auch eine mo-
ein preisgünstiges Gerät für Privathaushalte
derne Fertigung sollte helfen, die wirt-
zu schaffen.
schaftlichen Herausforderungen Ende
Werbung für einen JunkersHeißwasserbereiter, 1930.
Ein zündsicherer Gasschalter
markierte 1929 den Einstieg
in die Thermotechnik. Die
Junkers-Übernahme folgte
wenig später.
22 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 23
der 1920er Jahre zu meistern. „Lieber Herr
und billiger produzieren. Dies durfte aber
ches Charakteristikum des Unternehmens
Entwicklung war den Verantwortlichen des
Steinhart, heute habe ich bei Ford gesehen
keinesfalls auf Kosten der Qualität gehen.
Bosch: der lange Atem. Für Forscher und
Unternehmens damals im Übrigen völlig
wie man täglich 8 000 Lichtmaschinen und
Fließfertigung schien ein probates Mittel,
Entwickler bedeutete das vor allem, dass
klar. Das zeigt ein interner Bericht von
8 000 Anlasser zusammenhaut. Es ist un-
diesen Spagat auszuführen. Bosch hatte
sie trotz des Erfolgsdrucks möglichst viel
1940: „Wer in Zeiten der Hochkonjunktur
glaublich wie die Leute, die nicht im Akkord
schon seit 1924 erste Voraussetzungen für
Zeit und freie Hand hatten, Ideen aufzu-
alle Kräfte auf die Bewältigung der Tages-
arbeiten, mit affenartiger Geschwindigkeit
die Fließbandarbeit geschaffen. Die neue
greifen, zu verfolgen oder gegebenenfalls
arbeit verwendet und darüber versäumt,
ihre Arbeit verrichten; wir müssen noch arg
Fertigungsmethode wurde zunächst probe-
auch zu verwerfen.
durch vorausschauende Inangriffnahme
viel lernen.“ Der technische Vorstand Max
weise eingesetzt, nach und nach aber flä-
Rall, der diese Zeilen 1926 seinem Entwick-
chendeckend eingeführt. Die Zeitersparnis
Das war riskant, weil aufgrund fehlender
seines Arbeitsgebietes und Erfahrungsgutes
lungsleiter schrieb, war auf einer USA-Reise
war enorm. Vor Einführung der Fließband-
Erfahrungen in einer neuen Produktsparte
vorzubeugen, treibt Raubbau an seinem
gleichermaßen fasziniert und erschrocken,
arbeit hatte die vollständige Fertigstellung
der Markterfolg von Erfindungen nicht
geistigen Gut.“ Als mögliche Lösung sieht
wie schnell produziert werden konnte.
eines Magnetzünders noch 50 Tage gedau-
immer klar war. Dennoch ging Bosch
der Autor eine eigenständige „Research
Weiter hielt er fest: „Wenn ich Ihnen sage zu
ert, nach der Umstellung konnte das Pro-
dieses Wagnis damals gleich in mehreren
Corporation“ im Unternehmen. Doch dazu
welchen Preisen hier Lichtmaschinen etc.
dukt in fünf Tagen vom Band rollen.
Geschäftsfeldern ein, im vollen Bewusst-
sollte es erst später kommen.
verkauft werden, wird Ihnen dies verständ-
sein, dass es bis zu zehn Jahre vom Ent-
lich.“ Und genau das war der Punkt. Bosch
Der lange Atem
wicklungsbeginn bis zum kommerziellen
musste, um wettbewerbsfähig zu bleiben, in
In nahezu allen Transformationsprozessen
Erfolg dauern konnte. Die Notwendigkeit
wirtschaftlich turbulenten Zeiten schneller
der 1920er Jahre zeigt sich ein wesentli-
langfristiger Planung in Forschung und
Warmhalten und nicht rutschen:
Ungewöhnliche
Entwicklungsaufträge
In seinen Erinnerungen berichtet Emil Klingler, Chemiker bei Bosch, auch über unkonventionelle Aufgaben: „Auch in seinem Privatleben war Robert Bosch außerordentlich
sparsam. Ich musste oft alle möglichen Dinge reparieren. Einmal schickte er mir wunderschöne Hausschuhe aus Seehundfell, die mit einer Gummisohle versehen werden sollten.
Herr Bosch hat genaue Anweisung gegeben, wie die Sohle beschaffen sein sollte. Sie sollte
warmhalten, auf Linoleum oder Parkett oder nassen Küchenböden nicht rutschen und
musste tadellos aufgeklebt sein. Dies war eine schwierige Aufgabe. Zunächst machten wir
schöne Leisten aus Hartgewebe, die lackiert wurden. Dann wurden alle möglichen Profile
ausprobiert und zuletzt eine Sohle gepresst, die absolut haftend aufgeklebt wurde. Mitten
in diese Arbeit kam der Aufsichtsrat Prof. Stribeck. ‚Was haben Sie denn da Schönes?’ Einer
meiner Presser, der gerade in der Nähe stand, meinte: ‚Die sind für die Füße vom Vater
Bosch, dem müssen wir die Hausschuhe flicken.’ Stribeck hat herzlich gelacht; ich musste
ihn bitten, Herrn Bosch ja nichts von den Leisten zu erzählen; das wäre ihm viel zu teuer
erschienen.“
neuartiger Aufgaben einer Überalterung
Meister in der Konstruktionsabteilung des Werkes Stuttgart,
1937. Die Meister waren nicht
nur Ausbilder, sondern von je
her eine tragende Säule bei der
Entwicklung neuer Produkte zur
Serienreife.
24 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 25
Schwere Zeiten
Im Zeichen der Diktatur
1933 bis 1945
In seinen Lebenserinnerungen erzählt der
entwickelten Messinstrumenten, die es
Entwicklungsingenieur Erich Klaiber von
nicht zu kaufen gab. So konstruierten
einem Gespräch mit Robert Bosch, rund
Bosch-Techniker Mitte der 1930er Jahre
drei Wochen vor dessen Tod am 12. März
das Stroborama, eine Art Kamera. Während
1942. Damals berichtete Klaiber dem Unter-
der Einspritzung von Kraftstoff in eine
nehmensgründer über verschiedene Ent-
verdunkelte Kammer wurden rasch auf-
wicklungsprojekte, darunter auch eine
einander folgende Lichtblitze erzeugt – bis
Technologie zur Erzeugung erhöhten Luft-
zu einer 100 000stel Sekunde kurz. Diese
drucks in Magnetzündern für Flugzeuge. Sie
Szenerie wurde gefilmt. Durch das extrem
sollten damit in großen Flughöhen zuverläs-
verlangsamte Abspielen des Films konnten
siger gemacht werden.
die Wissenschaftler schon damals die
Einspritzverläufe bei Dieselsystemen exakt
Unter Druck
analysieren und die Technik optimieren.
Robert Bosch antwortete: „Es freut mich,
dass Sie mir das erzählen, jetzt setzen
Anschein der Normalität
die sogar noch meine Zündmagnete unter
Die Festschrift zum 50-jährigen Unterneh-
Druck!“ Wie umfassend der Druck des
mensjubiläum 1936 erweckte trotz des
totalitären Regimes auf den liberalen Demo-
Aufstiegs der neuen Machthaber den Ein-
kraten Bosch und sein im Zweiten Weltkrieg
druck unveränderter Normalität. So formu-
rüstungswichtiges Unternehmen war, macht
liert der Autor ungeachtet der hölzernen
seine Bemerkung deutlich.
Sprache einige auch heute noch zeitgemäß
anmutende Grundsätze des Unternehmens
Forschung und Entwicklung änderten sich
Bosch für Forschung und Entwicklung. Die
jedoch im Zeichen der NS-Diktatur zunächst
Darstellung beginnt mit der Handlungsfrei-
kaum, und Bosch konnte die Entwicklungs-
heit des Entwicklers: „Bei der Schaffung
projekte in den etablierten Sparten fort-
eines neuartigen Erzeugnisses entscheidet
setzen. Auch in der Forschung setzte Bosch
der schöpferische Gedanke; ohne ihn gibt
auf anspruchsvolle Methoden – mit selbst
es kein rechtes Vorwärtskommen. Er muss
Bild ganz links:
Entwicklungsingenieur
bei der Prüfung einer
Konstruktionszeichnung,
1936
Bild links:
Benzineinspritzpumpe
PZ 12 HM an einem
Flugzeugmotor DB 601,
1941
26 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 27
Kerzendoktor am Boxenstopp:
Vom Bosch Renndienst
zu Bosch Engineering
Wie konnte man vor 100 Jahren Bosch-Komponenten während ihrer Entwicklung prüfen,
ohne Prüffelder, eigene Teststrecken und einen großen Fuhrpark an Testfahrzeugen wie
heute? Ganz einfach: Man bot sie für den Renneinsatz an. Schon 1911 hatte Bosch Zündsysteme speziell für Rennwagen zur Verfügung gestellt und ebenso Mechaniker an der Rennstrecke postiert, die sich um Wartung oder Reparatur kümmerten. Der Werbeeffekt stand
natürlich im Vordergrund, denn das Zündsystem, das sich auf den Rennstrecken dieser
Welt durchsetzte, versprach auch ein Verkaufserfolg zu werden. In dieser Tradition gründete Bosch im Jahr 1937 den Bosch-Renndienst. Ein guter Nebeneffekt war dabei, dass die
Bosch-Techniker nach den Rennen den Zustand der Bosch-Ausrüstung analysieren und
Rückschlüsse auf nötige Konstruktionsänderungen ziehen konnten. Die Rennstrecke war
für Bosch gewissermaßen ein riesiges Prüffeld. Der legendäre Rennleiter August Bamminger, genannt Kerzendoktor, stand meist am Boxenstopp – ein Blick auf die Zündkerze sagte
ihm alles über die Zustände im Motor eines Rennboliden. Der Renndienst wuchs, nannte
sich ab 1965 Bosch Motorsportdienst und ist 2003 schließlich aufgegangen in der heutigen
Bosch Engineering GmbH, einer Ideenschmiede, die sich mit der Entwicklung elektronischer Systeme für Kleinserien und Spezialanwendungen befasst.
Gruppenfoto im Chemielabor der Zündkerzenentwicklung, Feuerbach
1935. Die runden BoschKühlschränke hinten links
dienten zum Kühlen von
Proben.
herbeigebracht werden, sei es durch eigene
die Verwendung unmöglich, oder in der
wie auf die Fernsehtechnik. Schon 1930
Auf den Einflussversuch des NS-Regimes
Leistung, sei es durch fremde Anregung.
feuchtwarmen Luft der Tropen halten die
begannen Bosch und die staatliche Deut-
musste Bosch nicht lange warten, denn die
Falscher Stolz auf eigenes Können kann zu
bewährten Isolierstoffe nicht stand.“
sche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL)
Flugmotoreneinspritzung machte nicht nur
großen Fehlern führen. Hingebung an die
Dass auch die beste und effizienteste Ent-
mit Versuchen an einer Benzineinspritzung.
die Passagierflugzeuge sicherer, sondern
Sache muss entscheiden, nicht Eigenliebe.“
wicklungsarbeit nicht wie auf Schienen zum
Dazu hatten sie Dieseleinspritzpumpen auf
auch die deutschen Militärflugzeuge erheb-
Das Ziel der Entwicklungsarbeit sind der
Erfolg führen muss, diese Aussage steht am
Benzin umgerüstet. Die Benzineinspritzung
lich schneller und zuverlässiger. Das rief
Schrift zufolge Produkte, die mit „kleinstem
Schluss des Beitrags im Jubiläumsbuch
wurde für Flugzeuge nicht zuletzt wegen
bald das Reichsluftfahrtministerium auf
Raum, kleinstem Gewicht hohe Leistung
1936 und gilt ungeachtet des Zeitkolorits in
ihrer Betriebssicherheit interessant. Verga-
den Plan, wie ein internes Schreiben der
und Zuverlässigkeit vereinigen. Sie müssen
einer allzu bildhaften Formulierung noch
ser in tausenden Metern Flughöhe einzuset-
Entwicklungsabteilung an die Technische
gleichmäßig und ihre Teile austauschbar
heute: „Die Entwicklungsarbeit ist die Saat;
zen – das konnte gefährlich werden, jeden-
Werkleitung im April 1936 verdeutlicht:
sein.“ Wichtig ist dabei aber auch ein nied-
die Ernte steht unsicher in der Zukunft.“
falls wenn bei abrupten Flugmanövern
„Nun wird vom RLM (Reichsluftfahrtminis-
kurzfristig die Benzinzufuhr unterbrochen
terium) die Lieferung dieser Pumpe verlangt.“
riges Kostenniveau: „Je niedriger der Preis,
desto größer die mögliche Käuferschicht.“
Entwicklung im Zeichen der Diktatur
wurde. Die Benzineinspritzung steigerte
Doch damit ist die Entwicklung nicht ab-
Dem gänzlich unpolitischen Eindruck, den
zudem die Leistung des Flugmotors. 1932
geschlossen, wie der Autor erläutert. Die
die Festschrift von 1936 vermittelt, stehen
erprobte BMW das Einspritzsystem von
Fernsehtechnik als militärischer Trumpf
Produkte müssen an regionale Gegeben-
allerdings die militärischen Pläne des NS-
Bosch in einem frühen Entwicklungssta-
Die Fernsehtechnik ist ein weiteres Beispiel
heiten angepasst sein: „Eine Zündanlage
Regimes gegenüber. Das sollte sich auch
dium erfolgreich am Passagierflugzeugmo-
dafür, wie das politische Regime eine neue
arbeitet z. B. in europäischen Ländern zur
auf einige Forschungs- und Entwicklungs-
tor Typ VI. 1936 war die Technik serienreif,
Entwicklung für seine Zwecke vereinnahm-
vollen Zufriedenheit, dagegen macht der
vorhaben bei Bosch auswirken – auf die
und 1937 begannen die Lieferungen an
te. Schon die Möglichkeit der Propaganda
feine Staub in kalifornischen Farmbetrieben
Benzineinspritzung für Flugmotoren ebenso
BMW und Daimler-Benz.
mit bewegten Bildern weckte die Begehr-
28 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 29
lichkeiten des NS-Regimes. Aber vor allem
in Frankreich, Großbritannien und den USA,
rückte die Fernsehtechnik auch in den
sondern auch vom weltweiten Austausch
Fokus des Militärs. Damit bekam die von
wissenschaftlicher Erkenntnisse machten die
Bosch mitbegründete FESE ein neues Ziel
Entwicklung neuer Technologien und Pro-
verordnet: Sie sollte eine mit Kamera ausge-
dukte für die zivile Nutzung fast unmöglich.
stattete und per Fernsehbild ferngelenkte
Bombe mitentwickeln – vermeintlich ein
Es kam noch ein entscheidender Punkt
Trumpf für das deutsche Militär in der
hinzu: Für die verordneten militärischen
letzten Kriegsphase, in der ein Sieg der
Zwecke waren keine wirklichen Neuerungen
Alliierten immer wahrscheinlicher wurde.
nötig. Es galt, Einfaches und Bewährtes
Jedoch waren die Systeme bei den Tests im
weiterzubauen oder gar – von Staatsseite
Spätsommer 1944 noch nicht ausgereift –
verordnet – Einheitsprodukte wie den so-
sie spielten keine Rolle mehr.
genannten Volksempfänger nach Gebrauchs-
In der Stoffforschung,
Werk Feuerbach 1935.
Die extreme Belastung
der Materialien in BoschProdukten – hohe Drücke
und Temperaturen etwa
– erforderten neue
Analysetechnik, zum
Beispiel die visuelle
Darstellung von Kraftstoff-Einspritzverläufen.
mustern anderer Hersteller in Lizenz zu
Übertragungswagen der
Fernseh AG, 1936. Die
Fernsehaufzeichnungsund Wiedergabetechnik
wurde von Bosch seit
1929 maßgeblich mitentwickelt.
Bewährtes und Lizenzprodukte
fertigen. Innovationsgetrieben waren ledig-
An eine zivile Forschungs- und Entwick-
lich Benzineinspritzung und Fernsehtechnik
lungsarbeit war bereits vor Kriegsbeginn
– aber sie blieben Ausnahmen. So ist es
1939 nicht mehr zu denken: Die Kriegs-
bezeichnend, dass in den Geschäftsberich-
planungen änderten für Bosch fast alle
ten ab Mitte der 1930er Jahre unter der
Koordinaten des unternehmerischen
Rubrik „Forschung und Entwicklung“ vor-
Handelns: Isolierung nicht nur von den
wiegend zu lesen war, man sei mit der
wichtigen Werken und Geschäftspartnern
Weiterentwicklung bewährter Produkte
beschäftigt. „Nach außen hin“, hieß es
Rohstoffe aus Deutschland ersetzt werden.
1937, sei man „mit grundsätzlich neuen
Im Geschäftsbericht für das Jahr 1937 hieß
Erzeugnissen kaum in Erscheinung getre-
es dazu: „Daneben stand im Berichtsjahr
ten.“ Es gab kaum etwas zu berichten, und
wie schon in den letzten Jahren die plan-
der Entwicklungsstand bei militärischen
mäßige Erforschung und Verwendung neuer
Projekten wurde aus Gründen der Geheim-
im Inland gewonnener Werkstoffe im Vor-
haltung gar nicht erst publik gemacht.
dergrund.“
Entwicklung in der Isolation
Allerdings gab es schon vor Kriegsbeginn
Signifikante Entwicklungsleistungen gab es
Hinweise, dass die Unternehmensführung
nur in wenigen Bereichen, und diese Leis-
von Bosch weiterdachte: „Wir sind aber
tungen waren nicht unbedingt zukunfts-
deshalb auf dem Gebiet der Neuentwick-
trächtig. Beispielsweise konnten wegen der
lung nicht etwa müßig gewesen, sondern
zunehmenden wirtschaftlichen Abschottung
haben technische Entwicklungsarbeit be-
Deutschlands nicht mehr genügend Roh-
wusst für die fernere Zukunft geleistet.“
stoffe importiert werden. Deshalb entwi-
Spätestens nach den Bombenangriffen auf
ckelte Bosch den Diesel-Umstellzünder, so
die Stuttgarter Werkanlagen im Spätsom-
dass Last- und Personenwagen sowohl mit
mer 1944 kamen die Entwicklungsaktivitä-
Diesel als auch mit „Holzgas“ betrieben
ten vollends zum Erliegen. Nach der Ein-
werden konnten, das aus der Verkokung von
nahme des deutschen Südwestens durch
Holz in einem Behälter am Wagen gewon-
die Alliierten Truppen im Frühjahr 1945
nen wurde. Außerdem forcierte Bosch die
übergaben die Mitarbeiter ihre Entwick-
Entwicklung von Ersatzstoffen. Die teuren
lungsunterlagen den Vertretern der Sieger-
und kaum mehr erhältlichen Rohstoffe aus
nationen.
dem Ausland sollten durch verfügbare
30 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 31
Aufbruch ins Unbekannte
Von Notprodukten
zur Elektronikentwicklung
1946 bis 1964
Bild ganz links:
Laboranten und
Chemiker im Labor
im Werk Stuttgart,
1953
Bild links:
Herstellung von Glaskolben für chemische
Experimente, Werk
Stuttgart, 1953
Der Sieg der Alliierten Truppen beendete
Entwicklung war in diesen Tagen noch nicht
im Frühjahr 1945 die Schreckensherrschaft
zu denken, es ging um das schlichte Über-
des deutschen NS-Regimes. In den Stamm-
leben. Auch in den Folgejahren fehlten
werken in und um Stuttgart waren über
finanzielle Mittel für Forschung und Ent-
60 Prozent der Fertigungsflächen durch
wicklung. Erst musste mit dem Bewährten
Luftangriffe unbrauchbar. Der Aufbau er-
Geld verdient werden.
forderte jede helfende Hand und zielte
zunächst auf die Fertigung einfacher Güter,
Neuordnung
die gebraucht wurden und zuweilen gar
Das änderte sich erst 1949, als Karl Martell
nichts mit dem bisherigen Produktpro-
Wild, in der Geschäftsführung für Forschung
gramm zu tun hatten.
und Entwicklung zuständig, in einem internen Schreiben die Aufwertung dieses
Aufbau und Tauschgut
Bereichs ankündigte: „Wir waren nach
Man fertigte allerlei Brauchbares aus Metall
Kriegsende gezwungen, unsere Organisa-
wie Spätzlepressen oder Regenschirmge-
tion so einfach als möglich zu gestalten und
stelle, auch als Naturalienbezahlung für die
alle unsere Entwicklungsabteilungen einer
Mitarbeiter, damit diese es gegen Nahrungs-
Leitung zu unterstellen. Heute zeigt sich,
mittel für sich und ihre Familien tauschen
dass bei dem grossen Umfang der zu leis-
konnten. Im Außenwerk Dreilinden bei
tenden Entwicklungsarbeiten wieder eine
Berlin, wo bis dahin Bosch-Technik für
Gliederung, ähnlich der früheren, notwen-
Flugzeuge hergestellt worden war, be-
dig ist.“ Das ließ sich auch als Signal ver-
schreibt ein Mitarbeiter die Verhältnisse
stehen: Die Zeit des Durchkommens nach
so: „Zur Zeit werden kleine Handwagen
den Zerstörungen des Krieges war vorüber.
aus vorhandenen Holzvorräten und Ver-
Jetzt begann das „Wirtschaftswunder“ in
teilerräderrohlingen gefertigt. Verkaufspreis
Deutschland. Und Bosch konnte den frühe-
ca. RM 25.-, Nachfrage grösser als Liefer-
ren Ruf eines technisch fortschrittlichen
möglichkeit. Außerdem werden Gepäck-
Unternehmens international wieder auf-
halter für Fahrräder, Schraubenzieher und
bauen – durch Forschung und die Entwick-
Maurerkellen gefertigt.“ An Forschung und
lung neuer Produktsparten.
32 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 33
Aus der Luft auf die Straße
Einstiegsprojekt. 1949 hatten die Fachleute
Zu Beginn der 1950er Jahre waren auch
mit der Entwicklung eines Einspritzsystems
technologisch erste Anfänge einer neuen
für Zweizylinder-Zweitaktmotoren in Klein-
Ära zu erkennen, sowohl in der traditions-
wagen der Marken Gutbrod und Goliath
reichen Kraftfahrzeugtechnik als auch in
begonnen. Das Ziel war eine erhebliche
den beiden jungen Sparten Hausgeräte und
Kraftstoffersparnis bei den für hohen Ver-
Elektrowerkzeuge. Besonders die Märkte
brauch bekannten Zweitaktern.
Motor eines Kleinwagens
der Marke Gutbrod,
der weltweit erste mit
Benzineinspritzung in
Serie, 1952
für Gebrauchsgüter zogen an. Der Wunsch
nach komfortabler Haushaltsführung regte
Kleinwagen und Luxusrenner
die Entwicklung der Küchenmaschine an,
Ihre Erkenntnisse setzten die Techniker
die 1952 auf den Markt kam. Der zuneh-
bei zwei Prestigeprojekten für den Kunden
mende Wohlstand bei kürzer werdenden
Daimler-Benz um: einer weitaus komplexe-
Arbeitszeiten gab den Heimwerkern Auf-
ren Einspritzpumpe für einen Achtzylinder-
trieb und forcierte die Entwicklung kleiner
Rennwagen, den „Silberpfeil“ und einen
und erschwinglicher Elektrowerkzeuge für
Sportwagen mit Sechszylindermotor, der
den Hobbykeller. In der Kraftfahrzeugtech-
später als 300 SL „Flügeltürer“ weltbe-
nik stand die Benzineinspritzung für Per-
rühmt wurde. Beide Einspritzversionen
sonenwagen als Zukunftsprojekt auf der
waren 1952 einsatzfähig und weltweit bei
Agenda. Die Entwickler knüpften an das
Rennen und Rallyes erfolgreich. Der Serien-
Know-how an, das sie sich in den 1930er
300-SL kam schließlich 1954 auf den Markt.
Jahren bei Flugmotoren erarbeitet hatten.
Dessen Benzineinspritzpumpe war aller-
Auf die Straße kam zunächst ein kleines
dings ein 320-teiliges komplexes System,
Eine Ikone der Forschung:
Das Bosch-Elektronenmikroskop
das so teuer war, dass es sich kaum in
dann die Idee: Die Lastzüge, die zum Werk
preisgünstigen Fahrzeugen durchsetzen
Hildesheim fuhren und zurück, die haben
ließ. Aber Geld spielte hier keine Rolle. Es
in der Regel damals einen Anhänger gehabt.
ging um mehr Motorleistung für wohlsitu-
Wir brachten an die Stirnseite des Anhän-
ierte Kunden – in diesem Fall um eine
gers, da, wo der ganze Dreck hochkommt,
Steigerung von 160 auf immerhin 215 PS.
einen Rahmen mit einer rechteckigen
Die Benzineinspritzung steht für eine Ent-
Scheibe an.“
wicklungs- und Fertigungsstrategie, die
Forschung und Entwicklung waren bei Bosch immer eine zwingende Voraussetzung für
schon lange typisch für Bosch ist: Die
Formschöne Kraftersparnis
zukunftsweisende Produkte und Fertigungsmethoden. In Kriegs- und Nachkriegsnotjahren
hohen Entwicklungsaufwendungen führen
Neben der Kraftfahrzeugtechnik arbeiteten
vernachlässigt, markierte 1948 der Start eines sehr komplexen Projektes den Wiederauf-
zu Innovationen, die sich zunächst
die Forscher und Entwickler bei Bosch in
bau der Zukunftsvorsorge durch Forschung und Entwicklung. Ausgesuchte Experten des
in Premiumfahrzeugen etablieren. Über
den 1950er Jahren auch in vielen anderen
Unternehmens entwickelten ein Elektronenmikroskop für die eigene Material- und Ferti-
Fertigungsfortschritte, die Kosten senken,
Feldern. Ein Beispiel ist die Haushaltstech-
gungsmethodenforschung. Das mannshohe und tonnenschwere Gerät hatte eine doppelte
setzen sich die Neuheiten dann aber auch
nik, wo unter anderem die Erkenntnisse
Bedeutung für Bosch: Das Elektronenmikroskop verbesserte zum Einen die Bedingungen
in mittleren und unteren Fahrzeugklassen
schwedischer Forscher zu einem neuen
für die eigene Forschung, denn die Optik erreichte eine bis zu 20 000-fache Vergrößerung.
durch.
Produkt inspirierten. Diese Forscher hatten
Das war wichtig für die Arbeit an neuen Bearbeitungsmethoden in der Fertigung wie etwa
nämlich herausgefunden, dass Hausfrauen
das bei Bosch entwickelte „Läppen“ – die Glättung rauer Metalloberflächen für die perfekte
Methoden für die Praxis
eine größere Arbeitsleistung zu erbringen
Funktion der Diesel-Einspritzpumpen aus eigener Fertigung. Zum Anderen stellte Bosch
Trotz mancher visionären Entwicklung war
hatten als beispielsweise Arbeiter in der
das Elektronenmikroskop in kleiner Stückzahl für Kunden her. Das hatte Signalwirkung,
im täglichen Geschäft der 1950er Jahre
Eisen- und Grubenindustrie. Kein Wunder,
stand es doch als Symbol für den Wiederaufstieg vom Hersteller simpler Notprodukte in
oft noch Improvisation gefragt. Wie das im
wenn man an die vielen aufwändigen Hand-
der frühen Nachkriegszeit zum führenden Hersteller anspruchsvoller Elektrotechnik.
Einzelfall aussehen konnte, davon erzählt
griffe in der Küche denkt. Elektrische Hilfen
der pensionierte Entwickler Günter Schmid:
gab es bis dahin kaum. Die Ingenieure
„Wir mussten für die Erprobung von Schei-
bei Bosch machten sich daran, ein neues
benwischern nach einer Möglichkeit suchen,
Gerät zu entwickeln, das die Hausfrau beim
Frontscheiben zum Testen der Wischer
Kochen und Backen entlastete: die Bosch-
authentisch zu verschmieren. Ich hatte
Küchenmaschine. Rühren, kneten, hacken,
34 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 35
bruch in unbekanntes Terrain. In Radiogerä-
In der Umsetzung für die Autoelektronik
ten waren Halbleiter in Form der Transisto-
gab es allerdings einen großen Unterschied
ren bereits geläufig, und amerikanische
zwischen der amerikanischen Industrie und
Konzerne wie RCA arbeiteten am Halbleiter-
Bosch, dem größten europäischen Autozu-
einsatz in vielen Produktsparten. Hermann
lieferer. Die US-Autohersteller neigten dazu,
Mittag, seinerzeit Entwicklungschef für
komplexe und elektronische Steuerungen
Halbleiterelemente bei Bosch, berichtete in
ohne ausreichende Feldversuche im Auto
einem Fachaufsatz darüber, dass Unterneh-
einzusetzen – was zu funktionsfähigen
men in den USA jährlich rund 600 Millionen
Laborlösungen, aber vielfach auch zum
Dollar Umsatz mit Halbleitern machten und
Scheitern auf der Straße führte. Dagegen
rund eine Million Einzelelemente täglich
gingen Bosch und die europäischen Auto-
herstellten. Relativ neu war jedoch der
mobilkunden einen Weg der kleinen
Einsatz im Auto. Durch den Erfolg der US-
Schritte. Der erste in Eigenregie gefertigte
Forscher in der Halbleitertechnik war Bosch
Halbleiter war die Variode, ein Diodentyp.
veranlasst, immer wieder Delegationen über
1958 auf den Markt gekommen, unter-
den Atlantik zu schicken, um Erkenntnisse
stützte sie im Generatorregler die Regulie-
über den zukunftsweisenden Trend zu
rung des Stromflusses – um den Generator
sammeln.
selbst leistungsfähiger zu machen und die
Batterie vor Überladung zu schützen.
Springt der Traktor auch
bei - 20 °C noch noch an?
Für die Antwort spielt die
Dieseleinspritzung eine
entscheidende Rolle –
hier im Kältetest 1961
mit schwer bekleideten
Testern.
schnitzeln, passieren, pürieren, mahlen,
zu ermöglichen. Und Gefallen fand die
reiben und schälen – all dies bewältigte
Bosch-Küchenmaschine obendrein: Auf
nun ein einziges Gerät mit dem zukunfts-
der Deutschen Industriemesse 1956 wurde
weisenden Namen „Neuzeit“. Die techni-
sie als „formschönes Industrieerzeugnis“
sche Idee für die Küchenmaschine war
ausgezeichnet.
schnell ausgemacht, man konnte auf die
Erfahrungen bei der Entwicklung der Elek-
Frühe Schritte der Elektronik
trowerkzeuge zurückgreifen. Viel Zeit ver-
1958 bekam Bosch eine „Entwicklungs-
wendeten die Ingenieure jedoch auch auf
hauptleitung“ in der Geschäftsführung.
das Design. Höchste Funktionalität, Stabi-
Schon diese organisatorische Änderung
lität und Formschönheit waren die Ansprü-
zeigte, wie sehr die strategische Bedeutung
che, die es zu erfüllen galt. Es wurden zu-
von Forschung und Entwicklung im Unter-
nächst mehrere Varianten ins Rennen ge-
nehmen zunahm. Vor allem aber begann in
schickt und ausführlich getestet. Schließlich
diesen Jahren das Elektronik-Zeitalter bei
setzte sich als Basis eine birnenförmige
Bosch – eine Ära, die für das Unternehmen
Platte durch. Am schmaleren Ende wurde
unvergleichlich wichtig werden sollte und
der Motor eingebaut, und am breiteren
bis heute anhält. Mit der Entwicklung ein-
Ende war genug Platz für die Rührschüssel
zelner Halbleiter-Elemente als ersten elek-
vorhanden. Die Konstruktion konnte auch
tronischen Bauteilen für die Kraftfahrzeug-
gekippt werden, um weitere Funktionen
technik fing es an. Dies markierte den Auf-
Die Entwicklungsschritte vom
ersten Funktionsmuster bis zur
serienmäßigen Küchenmaschine
„Neuzeit I“ aus den Jahren 1950
bis 1952 deuten an, wie komplex
der Weg zu einem neuen Haushaltsgerät ist.
36 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 37
Herausforderungen prägen den Weg
dar: „Eines Tages stellte ein Lieferant in
Der Entwickler der Variode, Gotthold
Amerika seine Produktion für Germanium-
Zielasek, erzählt über seinen Start bei
Transistoren um und sagte kurzerhand zu
Bosch: „Bosch suchte in den frühen 1950er
Bosch: ‚Wir liefern das nicht mehr.’ Aus!
Jahren Halbleiterfachleute. So kam ich nach
Und da hatte Bosch aber schon eine Liefer-
meinem Physikstudium und ersten Berufs-
verpflichtung für VW in Amerika. Das war
erfahrungen in der Halbleitertechnologie
dann ein Erlebnis, das sich dem Gedächtnis
am 1. Juni 1954 zu Bosch. Es stellte sich
der Firma sehr stark eingeprägt hat. Das
heraus, dass damals bei Bosch wenig
soll uns nicht noch einmal passieren! Das
Entwickler haben so ihre Eigenheiten, auch bei Bosch. Und daher verwundert es nicht,
Fachwissen über die Halbleitertechnologie
hat nicht zuletzt dazu geführt, dass man die
dass die Entwickler der frühen elektronischen Bauelemente gern eine Spur hinterließen.
vorlag. Rudolf Rühle, der Abteilungsleiter,
Transistorentwicklung bei Bosch aufgenom-
Karl Nagel, an der Entwicklung der ersten integrierten Schaltungen beteiligt, erzählt davon:
hat mir freie Hand in der Gestaltung des
men hat – und zwar gleich mit Silizium als
„Als ich das Layout für eine Schaltung fast fertig gestellt hatte, ging mir der Gedanke durch
Halbleiterlabors gelassen. Er hatte offen-
Trägermaterial.“
den Kopf, eine Art Markenzeichen zu hinterlassen. Eine ungenutzte Stelle im Layout war
Spuren im Schaltungslayout
schnell ausfindig gemacht, und welches Symbol ich dort versteckte, können Sie sich an-
sichtlich erkannt, dass die Halbleitertech-
Der Lichtmaschinenregler
mit Variode war für Bosch
1958 der erste Schritt
zum führenden Hersteller
komplexer Elektronikprodukte. Das erbsengroße
Stück (im Bild nicht zu
sehen) diente zur Regelung des Stromflusses.
Die Sache mit dem Nagel:
nologie auch für Bosch zukünftig wichtig
Entwicklungsziel: Zuverlässige Elektronik
gesichts meines Familiennamens ja denken.“ Der kleine Nagel im Layout hatte keine Aus-
sein würde.“ Mit der zunehmenden Bedeu-
Vier Jahre später war die Entwicklung be-
wirkung auf die Funktion, dennoch erregte er den Unmut des Vorgesetzten Rudolf Rühle,
tung der Elektronik wollte Bosch bei wichti-
reits einen wichtigen Schritt weiter: Für
der ihn entdeckte. Andere Entwickler gingen weiter, manchmal zu weit: Einer hinterließ
gen Einzelkomponenten nicht mehr auf
Generatoren in Nutzfahrzeugen realisierten
auf dem Layout einer Schaltung für die Airbagauslösung die Miniatur zweier Autos beim
Zulieferer angewiesen sein. Karl-Ernst
Bosch-Ingenieure 1962 einen vollelektroni-
Frontalaufprall.
Boeters, ab 1965 Entwickler bei Bosch,
schen Regler, der Erfolg und Akzeptanz der
stellt die Notwendigkeit der Eigenfertigung
Elektronik stark beschleunigte: Bei Halb-
an einem Beispiel aus den 1960er Jahren
leiterelementen im Auto war Verschleiß
nun kaum mehr ein Problem. In Zeiten, in
folgten bald elektronische Systeme: Das
denen mitunter noch alle 5 000 Kilometer
erste, eine elektronische Getriebesteuerung
ein Zündkerzen- oder Ölwechsel anstand,
für halbautomatische Getriebe, war bereits
war das ein wichtiger Wegweiser. Noch
1963 serienreif. Entscheidend war beson-
im selben Jahrzehnt waren alle damals
ders das zweite elektronische System, die
wesentlichen Autoelektronik-Komponenten
ab 1959 entwickelte und 1967 eingeführte
bei Bosch serienreif. Drei Entwickler trie-
elektronische Benzineinspritzung Jetronic.
ben mit ihren Teams die Entwicklung der
Sie ebnete den Weg für zunehmend kom-
Schlüsselkomponenten für die Autoelek-
plexe Systeme. Um nicht zuviel über diese
tronik parallel voran: Wolfgang Leibfried
neue Technik bekannt werden zu lassen,
die Dioden zur Stromgleichrichtung in
ging Bosch mitunter kuriose Wege, wie
Generatoren, Hans Linstedt die Leistungs-
Heinrich Knapp, der damalige Leiter der
transistoren und Gerhard Conzelmann
Entwicklung elektronischer Benzineinspritz-
die integrierten Schaltkreise.
systeme, berichtete: „Als einen der ersten
Versuchsträger für die elektronische Benzin-
Auf dem Weg zu komplexen Systemen
einspritzung hatten wir ab 1959 einen
Dass es mit Halbleitern bei Bosch verstärkt
Mercedes-Benz 300, der damals noch mit
weitergehen sollte, betonte Entwicklungslei-
Vergasertechnik ausgerüstet war. Alle sechs
ter Albert Callsen bereits im Herbst 1959.
Monate war für den Wagen eine Inspektion
Für ihn waren Halbleiter eine „Entwick-
bei Daimler-Benz vorgesehen. Wir haben
lungsrichtung, die für die Zukunft von gro-
das Fahrzeug jedes Mal vorher wieder auf
ßer Bedeutung ist und in mancher Hinsicht
die Vergasertechnik zurückgebaut, damit
auf das gesamte Kraftfahrzeug Einfluss
unser Kunde Daimler nicht mitbekommt,
ausüben wird.“ Die Folgeentwicklungen
woran wir da gerade forschen!“
gaben ihm recht, denn den Einzelbauteilen
38 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 39
Auf festen Grund gestellt
Neuorganisation
1965 bis 1982
Bild gegenüberliegende
Seite:
Forschung an Kühlmitteln
für Kühlgeräte in einem
chemisch-physikalischen
Laboratorium, 1961
Bild ganz links:
Bereits Mitte der 1960er
Jahre erforschte Bosch
erstmals Brennstoffzellen.
Bild links:
Hydraulik-Kugelspeicher
im Stresstest: Optische
Darstellung der Beanspruchung von Verschraubungen, 1963
In den 1960er Jahren wandelte sich Bosch
durch die Gründung des Forschungsinstitu-
grundlegend. Das Unternehmen wuchs
tes Berlin (FIB) im März 1965, das Bosch
rasch, der alten zentralistischen Struktur
bis 1988 betrieb. Hier forschte man an
folgte die noch heute geltende Gliederung
den physikalischen Grundlagen der gerade
nach Geschäftsbereichen. Auch baulich
entstehenden Kraftfahrzeugelektronik, vor
spiegelte sich der Aufbruch wider: Bosch
allem der integrierten Schaltungen (IC), in
beschloss 1964 den Umzug der alten
die Bosch große Hoffnungen als leistungs-
Unternehmenszentrale sowie der zentralen
fähige Zukunftstechnik setzte.
Forschung aus dem viel zu eng gewordenen
Areal in Stuttgart in einen 1969 fertig
„Technische Zentren“ entstehen
gestellten Gebäudekomplex auf der rund
Und das war bei Weitem nicht alles: 1968
zehn Kilometer entfernten „Schillerhöhe“.
eröffnete Bosch das „Technische Zentrum
Forschung“ (TZF) auf der Schillerhöhe –
Neue Zeiten
ein Jahr, bevor dort die neue Unterneh-
Eine wichtige Neuerung für Forschung und
menszentrale fertiggestellt wurde. Im TZF
Entwicklung war 1965 die Einführung des
fanden die technischen und naturwissen-
Bereichs „Forschung, Stoffe, Verfahren“
schaftlichen Vordenker adäquate Arbeits-
(FSV). Dies wertete die Forschung auf, sie
bedingungen und eine zeitgemäße Infra-
war nun völlig von der Produktentwicklung
struktur. Das neue Forschungszentrum
abgekoppelt. Die Geschäftsführung be-
stand mitten im Wald. Das ließ so manchen
gründete diesen Schritt damals mit den
Mythos entstehen, wie Günter Schmid
erforderlichen „Voraussetzungen für die
berichtet. Er war einer der Ersten, die 1968
zusammenfassende und übergreifende
einzogen: „In den Fertigungsstandorten
Bearbeitung aller Projekte und Aufgaben
sagte man: ‚Dann geht doch ins Dornrös-
unserer Forschung.“ Forschungsergebnisse
chenschloss!’ Diese Lage im Wald, und
sollten im ganzen Unternehmen bekannt
der Anblick, wenn man mit dem Auto
und nutzbar sein, um Doppelarbeit zu
hingefahren ist, alles im Grünen, Ruhe,
vermeiden. Ergänzt wurde dieser Schritt
Platz – da kommt jeder auf die falsche
40 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 41
Prozessrechenanlage
im Technischen Zentrum
Schwieberdingen, 1970.
Sie diente der Messwertverarbeitung und Versuchssteuerung sowie
dem Speichern und
Abrufen von Entwicklungsdaten.
Gleißendes Licht und Vakuum:
Der Weltraumsimulator
„Bosch-Sonne“
Die weiße Stahlkuppel in einem roten Stahlgestell ragt über zehn Meter auf. In ihrem luftleeren Innern mit über sechs Metern Durchmesser hängt der Testkandidat, ein Forschungssatellit. Die Kuppel, umringt von unzähligen Transformatorenschränken, hat Fenstereinsätze. Gleißend helles Licht von 19 Xenonlampen strahlt mit einer Gesamtleistung von
90 000 Watt auf den Satelliten. Die mächtige Anlage ist ein besonders spektakuläres
Beispiel für Forschung und Entwicklung bei Bosch: eine Weltraumsimulationskammer.
Sie diente zur Erprobung von Raumflugkörpern unter den Bedingungen des Weltraums –
in direkter Sonneneinstrahlung und im luftleeren Raum. Ziel war die Aufdeckung konstruktiver Schwächen, um die spätere Funktionsfähigkeit im Orbit zu gewährleisten. 1966 waren
die Entwickler soweit: Die erste Simulationsanlage wurde bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DVL) nahe Köln eingeweiht. Insgesamt fertigte Bosch zehn
dieser Anlagen zwischen 1966 und 1976.
Idee: ‚Die ruhen sich hier aus’“. Eines der
elektrische Hybridantrieb eines Ford
1992 auch ein Technisches Zentrum im
Am Ende setzten sich indes die elektroni-
Vorbilder war ein Forschungszentrum in
Escort, den Bosch 1973 der Presse vor-
japanischen Yokohama, nahe bei den Kun-
schen Benzineinspritzsysteme durch, die
den USA gewesen, wie der damals betei-
stellte. Dem TZA folgte in Schwieberdingen
den Toyota, Nissan, Honda, Mitsubishi,
sich als Vorbilder der heutigen Standards
ligte Physiker Gotthold Zielasek berichtete:
1970 das TZY, das Technische Zentrum
Suzuki und Daihatsu.
erwiesen. Sie waren zugleich die Voraus-
„Es hatte drei Stockwerke. Das unterste
Hydraulik. Es befasste sich zum Beispiel
und oberste war für Labors vorgesehen.
mit der Entwicklung hydraulischer Antriebe
Elektronische Systeme machen Schule
Bosch-Forscher seit 1969 arbeiteten. Die
Im Fußboden des oberen und den Decken
für Agrar- und Baumaschinen. Im gleichen
Während das Forschungsnetzwerk immer
Lambdasonde konnte mit einem Dreiwege-
des unteren Stockwerkes befanden sich
Jahr entstand auch in Hildesheim ein
weiter gespannt wurde, sollte sich das
katalysator die Abgasemissionen um
Löcher, die abgedeckt waren. Das Stock-
Forschungs- und Entwicklungszentrum für
frühe Engagement in der Elektronik für
90 Prozent senken. An ihrer Entwicklung
werk in der Mitte war ein Installationsge-
Nachrichtentechnik sowie das „Institut de
Bosch als besonders fruchtbar erweisen.
war Wolf-Dieter Haecker federführend
schoss, von dem aus die Versorgung der
Recherches Robert Bosch S.A.“ in Lonay
Schon 1967 hatte Bosch das erste elektro-
beteiligt. Nach den Worten des früheren
Labors oben und unten etwa mit Gasen,
am Genfer See. 1979 schließlich richtete
nische System in Großserie eingeführt:
Bosch-Forschungschefs gingen in die
Wasser, Elektrizität oder Druckluft er-
Bosch in Feuerbach das Technische
die Benzineinspritzung Jetronic. Aber
Lambda-Sonde „Kenntnisse aus ganz unter-
folgte.“ Ebenfalls 1968 eröffnete Bosch
Zentrum Dieseleinspritzung (TZD) ein.
avancierte Techniken wie diese forderten
schiedlichen Bereichen bei Bosch ein, aus
das „Technische Zentrum Autoelektrik“
setzung für die Lambda-Sonde, an der
den Entwicklern zahlreiche Korrektur-
der Gemischaufbereitung für Benzinmoto-
(TZA) in Schwieberdingen. Hier entwickel-
Internationale Technische Zentren
schritte ab. Die Jetronic zum Beispiel
ren, aber auch aus der Zündkerzen- und
ten Naturwissenschaftler, Ingenieure und
Die internationalen Märkte erforderten
trug mit ihren 220 Bauteilen viele mögliche
Batteriefertigung.“ Erste Versuche erbrach-
Techniker Produkte der Automobilelektrik.
unterschiedliche Entwicklungsschwer-
Fehlerquellen in sich, so dass die Entwick-
ten jedoch niederschmetternde Ergeb-
Aber auch die Vorausentwicklung zukunfts-
punkte. Deshalb beschloss Bosch 1982
ler bereits 1970 ein neues Projekt starte-
nisse: Nur eine Stunde überstanden die
weisender Technologien fand hier ihren
die Gründung eines weiteren Technischen
ten: die 1973 in Serie gebrachte L-Jetronic.
getesteten Sonden. 1975 erreichte man
Platz. Wie weit Bosch der Zeit voraus war,
Zentrums in Farmington Hills im US-Bun-
Sie war als erstes System ihrer Art mit
bereits 250 Stunden, das entsprach einer
zeigte sich in Schwieberdingen beispielhaft
desstaat Michigan. Wichtig war die Nähe
integrierten Schaltkreisen ausgerüstet. Das
Fahrleistung von 20 000 Kilometern, bis
mit frühen Projekten für den Hybrid- und
zu Kunden wie General Motors, Ford und
reduzierte die Zahl der Bauteile auf rund
1982 von 160 000 Kilometern. Nachdem der
Elektroantrieb. Der gesamte Antrieb für
Chrysler, sie ermöglichte bei gemeinsamen
ein Drittel. Allerdings sahen einige Kunden
schwedische Autohersteller Volvo ab 1976
Elektro-Omnibusse, an deren Entwicklung
Entwicklungsprojekten kurze und unbüro-
die Elektronik noch eher kritisch. Daher
seine Limousinen für den US-Markt mit
Bosch in den 1970er Jahren beteiligt war,
kratische Entscheidungswege. Nachdem
entwickelte Bosch parallel mechanisch
Katalysator und Lambdasonde ausgerüstet
wurde hier entwickelt, ebenso der benzin-
sich dies bewährt hatte, eröffnete Bosch
gesteuerte Systeme wie die K-Jetronic.
hatte und das System seine Alltagstauglich-
42 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 43
keit in der Praxis bewies, führte in der
Neuer Standort mit Erfolg und Tücken
Branche nun kein Weg mehr an der Lambda-
Die Entwicklung der Elektronik veränderte
technik vorbei. Zu groß war deren Poten-
auch Bosch selbst. Ohne sie wäre das
zial, zusammen mit der bereits bekannten
Unternehmen in den vergangenen Jahr-
Katalysatortechnik Abgase in Smog-geplag-
zehnten bei Weitem nicht so stark gewach-
ten Metropolen zu reduzieren. So etab-
sen und hätte auch nicht seinen innovati-
lierte sich der Katalysator mit Lambda-
ven Ruf ausbauen können. Dieser Weg war
technik binnen gut eines Jahrzehnts als
allerdings von Anfang an steinig. Das zeigte
weltweiter Standard. Drei Jahre später
sich beim Aufbau des Standortes Reutlin-
folgte eine weitere Innovation, die heute
gen, wo Bosch ab 1970 die Fertigung elek-
eine Selbstverständlichkeit in Benzin-
tronischer Bauelemente bündelte. Hier
motoren ist: die Motronic. Darin fassten
standen die Entwickler vor großen Heraus-
die Entwickler die bisher getrennten
forderungen. Das begann schon mit dem
Prozesse der Einspritzung und Zündung
Silizium, dem Trägermaterial für elektroni-
in einem Steuergerät zusammen. Die
sche Bauteile: „Damit auf seiner Oberflä-
Motronic war das weltweit erste mikro-
che überhaupt elektronische Elemente
prozessorgesteuerte System im Auto.
aufgebracht werden konnten“, so berichtet
Weil zur Motronic auch ein separater
Peter Egelhaaf, damals frisch promovierter
Datenspeicher gehört, markiert sie sogar
Physiker bei Bosch, „mussten wir als einen
den ersten Einsatz eines Computers im
der ersten Schritte eine geeignete einkris-
Auto. Sie ist noch heute Vorbild aller
talline Siliziumschicht abscheiden, die so-
Motorsteuerungen für Benzinmotoren.
genannte Epitaxieschicht.“ Auch auf die
Leistungselektronik im
Fond eines Elektroautos,
1967. Bosch war als
Pionier der Kraftfahrzeugtechnik immer auch
Vorreiter bei der Erforschung alternativer Antriebe.
Fertigungsingenieure kam viel Entwicklungsarbeit zu, vor allem, um die enttäuschende Ausbeute bei den integrierten
der Halbleiterfabrik in Reutlingen an die
Schaltkreisen zu erhöhen. „Der Zugang zu
Versorgung mit Wasser aus dem Bodensee,
den Reinräumen für die erste Pilotfertigung
einem der größten Trinkwasserreservoirs
in Rutesheim“, so schildert der frühere Ent-
Mitteleuropas.
wickler Karl Nagel eines von vielen Beispie-
Mit Sonne, Luft und Öl gewärmt:
Das Tritherm-Haus in Wernau
len, „erfolgte durch die Stanzerei. Offen-
Der lange Weg des ABS zur Serie
sichtlich musste man bei Bosch noch ler-
Die Elektronik im Auto etablierte sich nach
nen, wie hoch der Reinheitsgrad für eine
den Anfangsschwierigkeiten unaufhaltsam,
Fertigung von Halbleiterbauelementen
auch in komplexen und sicherheitsrelevan-
sein muss.“ Das in den Griff zu bekommen,
ten Bremsregelsystemen wie dem Antiblo-
war nach den Worten Nagels entscheidend:
ckiersystem ABS – aber es war ein langer
„Für jede Halbleiterfertigung steht und fällt
Weg: Mechanische Blockierverhinderer
Im Herbst 1976 baute der Geschäftsbereich Thermotechnik ein Einfamilienhaus.
die Wirtschaftlichkeit mit der Ausbeute.“
hatte es im Flugzeugbau und in wenigen
Aber zu was sollte das schmucke Eigenheim mitten auf dem Werksgelände gut sein?
Auch das Brauchwasser spielte eine große
unerschwinglichen Automobilanwendungen
Es war kein repräsentativer Neubau für den Werkleiter, sondern ein experimentelles
Rolle, wie der damalige Standortplaner
schon gegeben, aber die Elektronik bot
Haus, das die Möglichkeiten des Energiesparens mit neuester Technik beweisen sollte.
Siegfried Bellon berichtet: „Anfangs haben
endlich die Möglichkeit einer bezahlbaren
Die Öl-Zentralheizung diente nur als Reserve für sehr kalte Wintertage, ansonsten
wir vom Wasserversorger der Stadt
Lösung für Automobile in Großserie. Weit
sorgten Wärmepumpe und Solarkollektoren für warme Zimmer und heißes Wasser.
Reutlingen Wasser aus dem Fluss Echaz
vorn in der Entwicklung war das Heidelber-
Tritherm-Haus wurde dieses Konzept genannt, nach den drei genutzten Wärmequellen.
bekommen, und nach jedem größeren
ger Unternehmen Teldix, dessen Lösungs-
Es zeigte, dass visionäre Forschung und Entwicklung bei Bosch nicht auf die Kraftfahr-
Regen haben wir Probleme gehabt, weil
weg für die Druckmodulation nach Ablauf
zeugtechnik beschränkt blieb. Und es ist der erste Vorbote eines vielversprechenden
eine Menge an Material aus den Höhen-
der Patente zum weltweiten Standard
Geschäftsfeldes: intelligente, internetbasierte Energie- und Gebäudetechnik.
zügen der Schwäbischen Alb herunterge-
wurde. Doch vorerst scheiterte es Anfang
schwemmt wurde. Es hat uns die Filter
der 1970er Jahre mit der Serieneinführung
verstopft und die Effizienz der Ionentau-
bei Daimler-Benz. In der letzten ABS-Winter-
scher zunichte gemacht. Wir hatten also
erprobung vor der geplanten Serie im
mächtig Probleme!“ Das Problem lösten
Jahr 1972 war nahezu jedes dritte Steuer-
die Bosch-Experten durch den Anschluss
gerät ausgefallen, wie Wolf-Dieter Jonner
44 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 45
Pionierarbeiten weit voraus
zum Bus – wir sind immer auf das gleiche
Doch nicht alle Entwicklungsarbeiten
Ergebnis gekommen: Wirkungsgrade von
führten zum Erfolg wie ABS oder Motronic.
weit über 90 Prozent, bei den vorhandenen
Manches blieb damals noch visionär, die
Batterien aber nur Reichweiten von 50 bis
Brennstoffzellentechnik oder die Elektro-
100 Kilometern.“
mobilität. „Wir haben 1973 zusammen mit
Klimaprüfstand zur
Optimierung elektronischer Benzineinspritzsysteme, 1979. Prüftemperaturen von - 30 bis
+ 70 ° C waren möglich,
ebenso simulierte
Fahrtwinde von bis zu
120 km/h und gefahrene
Geschwindigkeiten bis
zu 200 km/h auf dem
Rollenprüfstand.
der Firma MAN einen rein elektrisch betrie-
Das 3 S-Programm und seine Folgen
benen Bus entwickelt“, berichtet Entwick-
Die Innovationen der 1960er und 1970er
ler Peter Pfeffer, „mit Anhänger, der mit
Jahre wie Jetronic und ABS passten sehr
einer rund vier Tonnen schweren Batterie
gut zu dem Leitmotiv für die Entwicklungs-
beladen war. Der wurde in Mönchenglad-
arbeit, das Bosch unter dem Eindruck
bach im normalen Busverkehr eingesetzt.
der ersten weltweiten Ölkrise 1973 aus-
Wenige Jahre später haben wir dann mit
gab: das Autofahren sicher, sauber,
Daimler-Benz zusammen einen Hybridbus
und sparsam zu machen. Dieses soge-
entwickelt, der in Stuttgart in Betrieb war.
nannte 3S-Programm, wie der damalige
Er hatte einen Dieselmotor mit gut 80 kW,
Vorsitzende der Geschäftsführung, Hans L.
das ist das, was man heute einen Range
Merkle, es nannte, hätte eigentlich keinen
Extender nennt. Damals nahm ich den
Anlass gebraucht. Denn Unfälle zu verhin-
Prototypen über das Wochenende mit nach
dern, Verbrauch und Emissionen zu redu-
Hause, um ihn auf Überlandfahrten zu
zieren – dazu trugen Bosch-Erzeugnisse
erproben. Einige Nachbarn glaubten bald,
bereits seit Jahrzehnten bei. Doch richtete
ich sei Busfahrer bei den Stuttgarter Ver-
das 3S-Programm die Schwerpunkte der
kehrsbetrieben.“ „Wir haben alles unter-
Forschung und Entwicklung klar auf den
sucht und getestet“, ergänzt Kollege Rainer
Unfall- und Umweltschutz aus. Und das ist
Leunig, „vom Pkw über den Transporter bis
bei Bosch heute aktueller denn je.
berichtet. Jonner bildete mit Jürgen
Der Erfolg der ABS-Entwickler wurde
Gerstenmeier und Heinz Leiber, ihrem
schließlich mit der Verleihung des Elmer
damaligen Vorgesetzten, das Führungstrio
A. Sperry Awards der amerikanischen
bei der ABS-Entwicklung bei Teldix und
Ingenieursvereinigungen gewürdigt.
kam mit beiden Kollegen als ABS-Pionier
Als dann im Herbst 1978 das ABS in der
zu Bosch. Die Elektronik des Teldix-ABS
Mercedes S-Klasse auf den Markt kam,
war derartig anfällig, weil sie aus gut tau-
war das gleichbedeutend mit dem ersten
send Bauteilen bestand. Aber die Ingeni-
Serieneinsatz eines digitalen Großschalt-
eure suchten mit viel Konzentration und
kreises im Auto – auch das ein Durchbruch,
Mitte der 1970er Jahre hielten Attentate der terroristischen „Rote Armee Fraktion“ auf
Kreativität nach Lösungen. „Montags“, so
um die Elektronik auf die Straße zu brin-
führende Köpfe der Wirtschaft und Politik Deutschland in Atem. In dieser angespannten
berichtet Jonner, „war es immer besonders
gen. Anfangs war das ABS ein defizitäres
Situation erhielt das Technische Zentrum Forschung den Auftrag, ein Ortungsgerät zu
interessant. Wir haben dann gemeinsam
Geschäft – nicht untypisch für ambitio-
konstruieren. Es sollte Hans L. Merkle, den Vorsitzenden der Geschäftsführung, im Falle
überlegt, welche Wochenendeinfälle von
nierte Innovationen von Bosch, die sich
einer Entführung mit Hilfe eines kleinen unauffälligen Senders auffinden können. Das
Leiber wir umsetzen können und welche
noch am Markt etablieren mussten. Erst
Empfangsgerät, so die Vorgabe, müsse den Träger des Senders aus bis zu 400 Metern
nicht.“ Der Schlüssel zu einem sicheren
mit kostengünstigeren Fertigungsmethoden
Entfernung orten können, auch durch eine Metallabschirmung hindurch, etwa wenn das
ABS war letztlich die digitale Elektronik,
und der Durchsetzung auch in Mittelklasse-
Opfer in einem Kofferraum transportiert wurde. Der Sender stellte die größte Heraus-
für die Bosch-Halbleiterexperten in
und Kleinwagen amortisierten sich die
forderung dar. Ein Zigarettenetui als Tarnung kam nicht in Frage, schließlich war Merkle
Reutlingen über das wesentliche Know-
Anfangsinvestitionen für das ABS, die
bekanntermaßen Nichtraucher. Man musste es also schaffen, den Sender in eine Füller-
how verfügten. Diese Experten ermöglich-
im dreistelligen Millionenbereich gelegen
Attrappe zu integrieren. Glücklicherweise entspannten sich die politischen Verhältnisse
ten mit Integrierten Schaltkreisen erst
hatten. Doch ohne die oft riskanten Ent-
wieder und Merkle konnte auf den Füller verzichten, der keiner war.
die Serientauglichkeit des ABS: durch
wicklungsentscheidungen wären viele
drastische Reduzierung der Menge an
Erfindungen nie zu Innovationen mit kom-
Bauteilen und damit auch an Fehlerquellen.
merziellem Erfolg geworden.
Raffinierte Entwicklung in unruhiger Zeit:
Dem Chef immer auf der Spur
46 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 47
Für jeden Markt entwickelt
Wegweisende Innovationen
und Globalisierung
1983 bis 2005
Bild ganz links:
Maßstabsgerechtes Großmodell
eines Einspritzventils zur Analyse
von Einspritzverläufen, 2004
Bild links:
Experimentelles Navigationssystem
EVA (Elektronischer Verkehrslotse
für Autofahrer), 1983, das weltweit
erste System für den Straßenverkehr, das den Fahrer zu seinem Ziel
lotste.
„Eins, Null, Vier, Zwei, Eins, Sechs“ tönt es
onssystem“ (ALI) dem Fahrer über ein
aus einem Lautsprecher im Testwagen, wäh-
Empfangsgerät helfen, Staus auszuweichen.
rend der leitende Entwickler Otmar Pilsak
Hervorgegangen aus einem Hochschul-
die Zahlen in eine Tastatur tippt. Was da
Forschungsprojekt der RWTH Aachen,
roboterartig schnarrt, ist die Stimme des
übernahm Bosch das Projekt in die unter-
„Elektronischen Verkehrslotsen für Auto-
nehmenseigene Forschung und stellte es
fahrer“. Dieses System, kurz EVA genannt,
1978 der Presse vor. ALI markierte den
stellten die Bosch-Ingenieure um Pilsak am
Beginn intensiver Zusammenarbeit mit
21. Juni 1983 der Öffentlichkeit vor. Sie
Universitäten und Hochschulen, die Bosch
schufen damit die Grundlagen für die heu-
als wichtige Partner erkannt hatte.
tige Fahrzeugnavigation. Der Zahlencode
stand für das gespeicherte Ziel in der Test-
„Am Ende ergab sich allerdings die Frage,
stadt Hildesheim, wo das System am Bosch-
was der Autofahrer tun sollte, wenn er auf
und Blaupunkt-Standort entwickelt worden
Empfehlung von ALI die Autobahn wegen
war – dort, wo seit Jahrzehnten Autoradios
Staugefahr verlässt, sich dann aber nicht
gefertigt wurden. Die Vorstellung des Sys-
mehr auskennt“, sagt Entwickler Pilsak im
tems vor Journalisten wirkte visionär und
Rückblick. Die Antwort war EVA, das erste
sie zeigte, was Datenverarbeitung und
Zielführungssystem mit Sprachausgabe.
Sensorik in den kommenden Jahrzehnten
Dessen Vorstellung 1983 war ein Meilen-
möglich machen sollten.
stein in der Geschichte der Fahrerinformation. Erstmals konnte sich der Fahrer ohne
Innovationen und Hochschulkooperation
Ortskenntnisse von einer synthetischen
EVA steht beispielhaft für den langen und
Stimme ans Ziel führen lassen, mit einem
bei aller Planung doch oft überraschenden
System aus elektronisch gespeicherter
Verlauf von der Idee zum Produkt. Dass es
Landkarte, Kompass und Radsensoren.
zu dieser Innovation kommen würde, war
Allerdings funktionierte das seinerzeit nur
ein Jahrzehnt zuvor noch nicht denkbar.
in der Teststadt Hildesheim, und an man-
Damals wollte man noch nicht den Fahrer
chen Kreuzungen mussten die Testautos
über eine bordeigene Navigation lotsen,
einige Minuten auf die Routenempfehlung
vielmehr den Verkehrsfluss über Induktions-
warten, weil die Daten auf einer Compact-
schleifen in der Straße messen. Daraufhin
Cassette und noch nicht auf einer CD
sollte das „Autofahrer-Leit- und -informati-
gespeichert waren und der Datenzugriff
48 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 49
Seit Anfang der 1980er
Jahre begannen rechnergestützte Systeme die
Entwicklung neuer Produkte zu prägen. Das Bild
von 1995 zeigt das Computer Aided Design (CAD)
bei der Entwicklung von
Wischersystemen.
Erprobung der Radarsensorik an einem Testwagen
des Forschungsinstitutes
in Lonay/Schweiz, 1995
lange dauerte. Doch bei allen Anfangs-
stoffen, Physik und Technologie sowie
es auf ein höheres Entwicklungstempo an,
Dies nahm heutige Forschungen vorweg,
problemen, Bosch war seiner Zeit voraus.
Mechanik und Elektronik befassten. Hinzu
denn mit der Internationalisierung der
die auf automatisierten Individualverkehr
kamen noch die Forschungsinstitute Berlin
Telekommunikationsbranche verschärfte
hinarbeiten. Zudem bauten darauf Pro-
Umbrüche und Neuordnung der Forschung
und Lonay“, erinnert sich Peter Egelhaaf.
sich nicht nur der Konkurrenzkampf, viel-
duktentwicklungen wie das Abstandsradar
Die 1980er Jahre waren bei Bosch von
„1989 wurden daraus die beiden Bereiche
mehr verkürzten sich auch die Produkt-
„Adaptive Cruise Control“ (ACC) auf,
Umbrüchen geprägt: Gleich zu Beginn des
Chemie, Werkstoffe, Technologie einerseits
zyklen. Zwar zog sich Bosch nach einigen
das im Jahr 2000 auf den Markt kam.
Jahrzehnts erfolgte mit der Übernahme der
und Physik, Technische Mechanik und
erfolgreichen Jahren aus dieser zunehmend
Gert Siegle, in den 1990er Jahren bei
Firmen Telenorma und ANT der Ausbau der
Elektronik andererseits“, fährt Egelhaaf
problematischen Branche zurück. Dennoch
Bosch-Forschungschef für Kommunikations-
Telekommunikation, einer Sparte, die im
fort, der selbst von 1985 bis 1998 verschie-
geht die heute so wichtige Kombination
technik, resümiert aus dieser Ära der
kommenden Jahrzehnt zeitweise bis zu
dene Forschungsabteilungen leitete: „Wir
von Automobil- und Kommunikationstechnik
Synergien und vorweggenommenen Tech-
25 Prozent des Umsatzes ausmachen sollte.
brauchten mehr Selbstständigkeit und
bei Bosch auf die Entwicklungssynergien
nologien: „Vieles hat uns zunächst kein
Auch in der Forschung änderte sich die
hatten jetzt größere Entscheidungs- und
von damals zurück. Ein frühes Beispiel ist
Geld gebracht, aber es hat uns Kontakte
Struktur in diesen Jahren mehrfach – not-
Entfaltungsmöglichkeiten.“
die Beteiligung am EU-Forschungsprojekt
und Vertrauen gebracht, später dann auch
„Prometheus“. Dazu lieferte Bosch für auto-
Aufträge.“
wendig auch deshalb, weil das Unternehmen rasant wuchs. Schließlich war Bosch
Synergieeffekte einer kurzen Ära
matisierte Fahrmanöver schon Anfang der
Pionier und Marktführer in der forschungs-
Nachdem Bosch die Mehrheitsanteile an
1990er Jahre die rechnergestützte Bildana-
Entwicklung wird international
und entwicklungsintensiven Automobilelek-
den Kommunikationstechnik-Unternehmen
lyse. Deren Weiterentwicklung ist heute für
Auch auf dem damals größten Markt der
tronik. So wurde der Verbund von Forschung
Telenorma und ANT übernommen hatte,
die Videoüberwachung in der Sicherheits-
Welt, den USA, verstärkte Bosch seine
und Produktionstechnik, 1972 gegründet,
änderten sich auch die Randbedingungen
technik ebenso nützlich wie für die Erken-
technische Präsenz. Bis in die 1980er Jahre
schon wenige Jahre später gestrafft: „Mit
für Forschung und Entwicklung. Jetzt galt
nung von Verkehrszeichen in der Fahreras-
war das Unternehmen noch nicht mit größe-
dem Programm ‚Struktur 75’ fasste Bosch
es, die technische Kompetenz der traditio-
sistenz. Und das ist nicht alles: Diese
ren Lieferanteilen bei den einheimischen
die elf Forschungsabteilungen am Standort
nellen Bereiche mit neuen Feldern wie
Prometheus-Erkenntnisse halfen auch bei
Autoherstellern vertreten. Nur in der Nutz-
Schillerhöhe in drei Forschungsbereiche
Mobiltelefonen, Raumfahrt- und Sicher-
Projekten wie dem fahrerlosen Betrieb von
fahrzeugbranche konnte Bosch mit Diesel-
zusammen, die sich mit Chemie und Werk-
heitstechnik zu verknüpfen. Zugleich kam
Fahrzeugen, den Bosch ab 1991 erprobte.
ausrüstung punkten, die nötigen Erzeug-
50 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 51
Auf dickem Eis gefahren:
Die Erprobung auf Testgeländen
Was nützen alle Laborergebnisse, wenn Technik im Auto in der Praxis nicht funktioniert,
wie sie soll, zum Beispiel in extremen Fahrsituationen und dann noch bei tiefen Minustemperaturen? Dazu brauchen die Entwickler Platz zum Testen und einen winterlich glatten
Untergrund. Die Lösung für Bosch war ein zugefrorener See beim nordschwedischen
Arjeplog, ein kleines Hotel als Basisstation, findige „Icemaker“ und ebenso improvisationsfähige Ingenieure: Wolf-Dieter Jonner, zusammen mit Jürgen Gerstenmeier einer der
„Väter“ des Antiblockiersystems ABS, kann davon eindrucksvoll berichten: „Bei den
ersten Testfahrten änderten wir die ABS-Parameter noch mit dem Lötkolben, danach in
der 1:1-Nachbildung des Digitalschaltkreises mit der „Wire-Wrap-Pistole“ und noch nicht
mit dem Laptop“.
Diese Arbeit war und ist auch heute noch etwas Besonderes, wie Erich Bittner und
Jürgen Zechmann erzählen, die schon Mitte der 1970er Jahre in Arjeplog Fahrzeuge
testeten, um den Blockierschutz serienfähig und alltagstauglich zu machen: „Wir wussten
nisse kamen seit 1974 aus Charleston in
Entwicklung wird global
nie, wann wir wieder nach Hause kommen würden“, sagt Bittner, „eine meiner längsten
South Carolina. 1983 eröffnete Bosch in
Wie sehr sich Forschung und Entwick-
Touren waren sechs Wochen am Stück. Wir dachten immer wieder, wir sind kurz vor dem
Farmington Hills, Michigan, das „Technical
lung globalisieren sollten, zeigte sich am
Durchbruch, noch mal eine Woche dranhängen, noch mal und noch mal – dann waren es
Center Automotive“. Sein Schwerpunkt lag
20. Oktober 1999 am Standort Blaichach/
sechs Wochen, und wir waren kurz vor dem Zusammenbruch.“ Und Zechmann ergänzt:
auf der Entwicklung und Applikation von
Immenstadt. An diesem Tag eröffnete Bosch
„Selbst abends beim Essen haben wir weiterdiskutiert. Lasst uns das doch ausprobieren,
Erstausrüstung für neue Fahrzeugtypen in
hier das „International Simultaneous Engi-
hieß es. Dann sind wir ins Labor gegangen, um es auszuprobieren. Manchmal haben wir
den USA. Die Zentralen der „big three“,
neering Center“ für Bremsregelsysteme.
noch morgens um zwei auf dem See getestet – und morgens um sieben standen wir wieder
General Motors, Ford und Chrysler, lagen
Bereits 1982 war im Allgäu die Fertigung
auf dem Eis.“
im Umkreis. Gemeinsam mit den Fachleuten
der ABS-Hydraulik konzentriert worden.
dieser Kundenunternehmen konnten die
Weil sich das Antiblockiersystem weltweit
Bosch-Ingenieure ihre Technik nunmehr
so erfolgreich verkaufte, startete Bosch
vor Ort an neue Automodelle anpassen.
auch die Produktion in Australien, Japan
Das „Technical Center“ in Farmington Hills
und den USA. Diese wurde zu einem Ferti-
stand für eine neue Stufe der Internationali-
gungsverbund zusammengeführt. Jedoch
sierung von Forschung und Entwicklung.
erforderte die immer kürzere Abfolge der
Mehr denn je richtete Bosch als Autozu-
Systemgenerationen eine grundsätzlich
lieferer seine Produkte auf die Ansprüche
neue Strategie, und genau dafür stand
der jeweiligen Region aus. Und dafür muss-
„Simultaneous Engineering“. Die Gründung
ten die eigenen Ingenieure noch enger mit
des Centers hatte zum Ziel, über die gleich-
den Entwicklungspartnern der einheimi-
zeitige Produktentwicklung weltweit hinaus
schen Automobilhersteller zusammenar-
auch den gleichzeitigen Fertigungsanlauf an
beiten. Dies verbesserte auch die Wettbe-
allen Standorten weltweit zu ermöglichen.
werbschancen gegen die vor Ort ansässigen
So waren alle weltweiten Werke schneller
Zulieferer.
als bisher beim Anlauf der neuen Systemgenerationen startbereit.
Motorenprüffeld im neu
eröffneten Technischen
Zentrum Yokohama, 1992.
Die bedarfsgerechte Entwicklung neuer Technik
erforderte die Präsenz
vor Ort.
52 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 53
Vom ABS zum ASR und ESP®
Daher legten die Bosch-Ingenieure schon
wir unsere Lösung dargestellt, und da ist
entwickelten zusammen unter einem Dach.
An Bremsregelsystemen wie dem ABS
1980, im Windschatten der ersten Erfolge
auch der Geschäftsführer Hermann Scholl
Das beschleunigte die Arbeit am ESP®
konnte Bosch die großen Stärken seiner
mit dem ABS, die Grundlagen für die An-
selber gefahren und hat gemerkt, er konnte
erheblich. Schließlich waren beide Unter-
Forschung und Entwicklung ausspielen:
triebsschlupfregelung ASR. 1986 einge-
lenken, wie er wollte, das Fahrzeug blieb
nehmen fest entschlossen, das System
die langfristige Ausrichtung und die per-
führt, brachte dieses System erneut einen
absolut stabil. Als das System mit Voll-
bis 1995 marktreif zu machen, was ihnen
manente Anstrengung, die Wettbewerber
technischen Fortschritt. Denn das ABS hielt
bremsung funktioniert hat, haben wir
auch gelang.
technologisch auf Distanz zu halten. Bosch
das Fahrzeug nur beim Bremsen auf Nässe
gesagt, dann kriegen wir den Rest auch
hatte das Antiblockiersystem nach mehr als
und Eis lenkbar, aber beim Anfahren auf
hin, das heißt, bei Teilbremsung, also wenn
Marktreif in zwölf Monaten
einem Jahrzehnt harter Entwicklungsarbeit
solchem Grund drehten die Antriebsräder
die Räder nicht blockieren, oder wenn das
Innovationen haben oft mit dem klugen
1978 serienreif entwickelt. Doch so brillant
oft durch. Hier half das ASR, es war die
Fahrzeug frei rollt, wenn Sie Gas geben oder
Transfer von Technologie von der einen in
das Produkt war, es war zunächst schlicht
Weltpremiere für die heute im Auto übliche
beschleunigen. Und so haben wir das dann
die andere Produktsparte zu tun. Das war
zu teuer. Das Beispiel ABS zeigte damit,
Vernetzung von Steuergeräten. Denn dieses
auch sukzessive erweitert, bis das ESP®
schon mit Robert Boschs Magnetzünder so,
wie wichtig Forschung und Entwicklung
System bremste beim Durchdrehen nicht nur
in seiner jetzigen Form entwickelt war.“
den er aus dem Stationärmotor ins Auto
auch nach der Serieneinführung blieben –
die Antriebsräder ab, es reduzierte auch das
Die Funktionsweise des ESP® stabilisiert
verpflanzte. In der jüngeren Vergangenheit
vor allem für die Fertigungstechnologie. In
Drehmoment des Motors. Dazu musste das
das Fahrzeug durch individuelle Bremsein-
bietet bei Bosch die Lithium-Ionen-Techno-
der ersten Hälfte der 1980er Jahre gelang
System in die Motorsteuerung eingreifen.
griffe an einzelnen Rädern wieder soweit,
logie ein beeindruckendes Beispiel: Die
wie es die Gesetze der Physik zulassen.
leistungsfähige Batterietechnik war bei
es Bosch, das ABS so kostengünstig zu
machen, dass es Gewinne erzielen konnte.
Projekthaus mit Kunden an Bord
Doch rund sechs Jahre nach dem ersten
Das dritte Bremsregelsystem schließlich,
An diesem bestechenden Ansatz war der
Entwickler im Geschäftsbereich Power
Serieneinsatz im Herbst 1978 hatte die
auch dies eine Pionierleistung der Bosch-
Autohersteller Daimler-Benz, der sich eben-
Tools nutzten sie für einen Elektroschrau-
Konkurrenz gleichgezogen und ein tech-
Ingenieure, war das Elektronische Stabili-
falls mit der Entwicklung eines ähnlichen
ber. Gleichzeitig stand die Idee Pate, ein
nisch vergleichbares Produkt auf den Markt
täts-Programm ESP®, das 1995 auf den
Systems befasste, von Anfang an interes-
besonders handliches Werkzeug zu entwi-
gebracht.
Markt kam. Erste Prototypen waren Mitte
siert. So kam es, dass Bosch gemeinsam
ckeln, das in der Männerdomäne Heimwer-
Mobiltelefonen etabliert, doch findige
der 1980er Jahre bei Wintertests im nord-
mit dem Kunden 1992 ein sogenanntes
ken auch für Kundinnen attraktiv ist. Vor
Die Alleinstellung von Bosch bei den so
schwedischen Arjeplog erprobt worden.
Systemhaus gründete. Es war die Premiere
der Entwicklung zur Serienreife stand also
innovativen Bremsregelsystemen war jetzt
Anton van Zanten, damals Leiter des ESP®-
eines gemeinsamen Innovationsprojektes
der Blick auf die Kundschaft, in dieser
gefährdet. Doch die Verantwortlichen für
Projekts, erinnert sich daran noch lebhaft:
von Automobilhersteller und Zulieferer.
Produktsparte ein unabdingbarer Aspekt
die Entwicklung hatten das vorhergesehen.
„In der Wintererprobung 1986/1987 haben
Ingenieure von Daimler-Benz und Bosch
für den Erfolg. Das Ergebnis war nach
Bild ganz links:
ABS-Erprobung eines US-amerikanischen Trucks bei Nässe,
1984. Entwickler machten das
1978 eingeführte Antiblockiersystem bald auch für andere
Fahrzeugarten serienreif.
Bild links:
Auf dem nordschwedischen
Wintertestgelände Arjeplog
wird 1995 ein Wagen mit dem
serienreifen Elektronischen
Stabilitätsprogramm ESP®
damals FDR genannt – aus
einem Hubschrauber bei Fahrmanövern gefilmt.
54 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 55
Vermessung eines Kraftstoffstrahls mittels Lasertechnik, 1991. Benzin- und
Dieseleinspritzsysteme
müssen so entwickelt
werden, dass der von
ihnen gesteuerte Einspritzverlauf für geringen
Verbrauch und die Erfüllung strengster Abgasnormen optimiert ist.
Vom Kleinen ins Kleinste
sechs Jahre Vorleistung in das Vorhaben
In den späten 1980er Jahren entstand in
gesteckt.“ Die Fertigungstechnik spielte
Reutlingen ebenso wie in den Forschungs-
dabei eine besondere Rolle. Bewegliche
labors auf der Gerlinger Schillerhöhe mit
Strukturen in miniaturisierte Bauteile zu
der Mikromechanik eine ganz neue Technik:
bringen, das war die schwierigste Aufgabe
winzige mechanische Strukturen für Senso-
in der Mikromechanik. Franz Lärmer, einer
ren auf einem Siliziumträger. In Reutlingen,
der Entwickler für die Fertigungstechnik,
seit den frühen 1970er Jahren wesentlicher
erinnert sich an die wenig optimistischen
Standort für die Produktion elektronischer
Worte seines Chefs, die ihn aber umso
Komponenten, war 1985 auch ein „Techni-
mehr beflügelten: „Was ich Ihnen da als
sches Zentrum Mikroelektronik“ entstan-
Aufgabe gegeben habe, das kann eigentlich
den. Unter Hochdruck setzten Bosch-Ingeni-
nicht funktionieren, aber versuchen Sie es
eure hier Anfang der 1990er Jahre Erkennt-
trotzdem mal. Wenn es funktionieren
nisse zur Herstellung mikromechanischer
würde, dann wäre es den Aufwand allemal
Sensoren um. Denn solche Sensoren –
wert.“ Und es funktionierte doch: In den
heute sind in einem Auto bis zu 100 verbaut
Labors entstand ein Plasmaätzverfahren für
– mussten kleiner, zuverlässiger und billiger
mikromechanische Bauteile. Der „Bosch-
werden. Jiri Marek, seit 1986 bei Bosch,
Prozess“ war entstanden, der die exakte
bekam gleich zu Anfang eine schwierige
Fertigung der kaum vorstellbar kleinen
Aufgabe gestellt: die Entwicklung eines
beweglichen Strukturen ermöglichte – heu-
mikromechanischen Prototypen. „1993
tige Sensoren sind 1,5 Millimeter breit und
war dann das erste Produkt serienreif,
lang – und haben dennoch viel Platz für die
der erste mikromechanische Drucksensor“,
beweglichen Strukturen, die zum Teil nur
einige tausendstel Millimeter groß sind.
weniger als einem Jahr der IXO, ein Akku-
15 Jahre hartnäckig gearbeitet, ehe 1989
erzählt Marek, „ich muss sagen, das war
schrauber, der dank der Leistungsdichte
die Serienfertigung startete. Zunächst domi-
wirklich toll, Bosch hat nicht weniger als
der Lithium-Ionen-Batterietechnik sehr
nierte die Verteilereinspritzung, heute ist
leicht und klein war und dessen Batterie
das Common-Rail-System Standard, das
sich nicht entlud, auch wenn er monatelang
Bosch 1997 in Serie einführte. Diese mo-
nicht genutzt wurde. Erfolg erhofften sich
dernen Systeme konnten die Dieselemissio-
die Produktmanager schon. Doch sie hatten
nen seit Anfang der 1990er Jahre um mehr
nicht erwartet, dass die Kombination aus
als 90 Prozent senken. Welche Herausforde-
Technologietransfer und Kundenblick das
rungen darin steckten, brachte der dama-
weltweit meistverkaufte Elektrowerkzeug
lige Entwicklungschef Klaus Krieger im
mit bisher 12 Millionen Stück hervorbringen
Rückblick prägnant auf den Punkt: „Es war
würde.
nicht einfach, an einen Erfolg zu glauben.“
Auch bei der Benzin-Direkteinspritzung
Entwicklung braucht langen Atem
hatte Bosch noch viel Lehrgeld zu zahlen.
In den klassischen Bosch-Sparten Diesel-
Denn als im Jahr 2000 das erste System auf
und Benzineinspritzung setzte Mitte der
dem Markt war, stellte sich heraus, dass
1990er Jahre geradezu ein Innovations-
sein Einsparpotenzial von bis zu 20 Prozent
boom ein. Dafür waren die Grundlagen
nur bei äußerst behutsamer Fahrweise zu
früh erarbeitet worden, lange bevor die
halten war, im Idealfall bei langsamem
Marktchancen erkennbar waren. Langfris-
Tempo auf Langstrecken. Aber die Richtung
tige Vorarbeit für eine neue Technologie
erwies sich als richtig. Heute bringt die
im vollen Bewusstsein der Risiken eines
Benzin-Direkteinspritzung in Verbindung mit
kommerziellen Misserfolgs – das kennzeich-
Turbolader und verkleinerten Motoren einen
nete Bosch auch hier. An der elektronisch
scheinbar widersprüchlichen Effekt: weni-
gesteuerten Hochdruck-Dieseleinspritzung
ger Verbrauch und Emissionen bei gleicher
zum Beispiel hatten die Ingenieure rund
Leistung.
Insekt im Größenvergleich zu einem
Mikrochip. Mikromechanische Sensoren
für Smartphones
sind heute nur
1,5 mm mal 1,5 mm
groß – und das mit
integrierten beweglichen Strukturen.
56 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 57
Auf dem Weg zur Auto-Datenautobahn
Nahezu alle Halbleiterhersteller der Welt
Ähnlich visionär wie die Vorarbeit für die
haben eine CAN-Lizenz erworben. Dies ist
Mikromechanik war auch die Forschung an
das erste Bosch-Produkt, das sich nicht im
Datenverbindungen im Auto. Darauf melde-
wörtlichen Sinne greifen lässt. Vielmehr ist
ten Bosch-Forscher 1985 erstmals ein
CAN ein Kommunikationsprotokoll für die
Patent an. Mit immer mehr elektrischen und
Verknüpfung von Regel- und Steuerungssys-
elektronischen Funktionen im Auto drohten
temen in Echtzeit. Es hat sich als Weltstan-
die Kabelstränge schlicht zu schwer zu
dard nicht nur in der Automobilindustrie
werden. Zudem wären die unzähligen
etabliert, sondern auch in zahlreichen ande-
Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ein zuneh-
ren Branchen breite Anwendung gefunden.
Blick ins Innere (2004):
Piezokeramische Komponenten in Einspritzventilen
dehnen sich bei elektrischer
Spannung blitzartig aus.
Dadurch sind bei Dieselmotoren bis zu acht Teileinspritzungen während
eines einzigen Einspritzvorgangs möglich. Das macht
den Motor sparsamer,
laufruhiger, kraftvoller
und emissionsärmer.
mendes Risiko für die Zuverlässigkeit der
Das Datenübertragungsprotokoll Controller Area
Network im Überblick,
1991. CAN schuf den
zeitgemäßen Ersatz für
viele Kabelkilometer durch
eine „Datenautobahn“.
Im Bild:
Motronic (1), Elektrisches
Gaspedal (2), Fahrwerksregelung (3), Getriebesteuerung (4), CAN-Bus (5) und
ABS/ASR (6).
Fahrzeuge geworden. Die Lösung, erarbeitet
TOP-Projekt und Serie
durch ein kleines Team unter der Leitung
Im Herbst 1993 änderte sich die Forschungs-
der Bosch-Forscher Uwe Kiencke und
landschaft bei Bosch nochmals wesentlich.
Siegfried Dais, war ein serielles Bussystem,
Die Geschäftsführung beschloss, einen
das Controller Area Network, kurz CAN
Zentralbereich für Forschung, Verfahrens-
genannt. Dieses System vereinigt eine Reihe
entwicklung und Vorausentwicklung einzu-
herausragender Eigenschaften: eine extrem
richten – heute Corporate Research ge-
hohe Übertragungssicherheit und Verfüg-
nannt. Dort sollte die Forschung wie gehabt
barkeit, auch in einer durch elektromagneti-
mit der Ideenfindung beginnen, aber mög-
sche Impulse gestörten Umgebung sowie
lichst erst mit der Prototypen-Fertigung
ein neuartiges Prinzip zur Verteilung von
enden, bevor die Serienentwicklung im
Informationen an mehrere Empfänger.
Geschäftsbereich begann. Wolf-Dieter
Dabei wurden alle Übertragungsprotokolle
Haecker, der erste Leiter des neuen Be-
so entwickelt, dass sie besonders kosten-
reichs erinnert sich: „Wir hatten eine Vor-
günstig in Form eines Mikrochips realisiert
laufphase von mehr als einem halben Jahr,
werden konnten.
als wir im Oktober 1993 starteten. Es war
unsere Aufgabe, alle Strukturen und Abläufe
severfahren als besonders aussichtsreich
mit dem Ziel der Effizienzsteigerung zu opti-
definiert wurden und trotz der damals
mieren. Mit einer neuen Organisationsstruk-
angespannten wirtschaftlichen Situation
tur startete der zunächst ’FV’ genannte Be-
nicht gefährdet sein durften, selbst wenn
reich dann am 1. Juli 1994.“ Und Haecker
in Forschung und Entwicklung gespart
führt weiter aus: „Alles sollte gut aufeinan-
werden musste. Weil das Modell der
der abgestimmt sein, sobald es auch offizi-
TOP-Projekte erfolgreich war, wurde es
ell losging. Die Aufgabe mutete leichter
dann weitergeführt. Die Beispiele solcher
an, als sie war. Es ging um die dauerhafte
TOP-Projekte lesen sich wie das „Who’s
Herausforderung, Forschung und Entwick-
who“ der technischen Meilensteine bei
lung im stetigen Wechsel der Rahmenbedin-
Bosch. Sowohl die Benzin-Direkteinsprit-
gungen ideal zu gestalten, an Änderungen
zung DI-Motronic (2000) als auch die
in den Geschäftsaktivitäten anzupassen,
piezoelektrische Steuerung der Common-
Parallelarbeit zu verhindern, Kompetenzen
Rail-Dieseleinspritzung (2003) durch blitz-
aus unterschiedlichen Bereichen nach
schnell sich ausdehnende Piezokeramik-
Bedarf zu verknüpfen und zukunftswei-
Elemente begannen auf diese Weise. Wie
sende Ideen konsequent zu verfolgen.“
erfolgreich das Konzept der TOP-Projekte
Dazu entwickelte Haecker mit seiner
offenbar war, zeigte auch die öffentliche
Führungsriege um Otto Holzinger und
Anerkennung: Für die Piezotechnik er-
Gert Siegle beispielsweise das Konzept für
hielt der federführende Bosch-Ingenieur
die sogenannten TOP-Projekte. Dahinter
Friedrich Boecking 2005 den „Preis des
steckten Ideenansätze für Produkte oder
Deutschen Bundespräsidenten für Technik
Verfahren, die nach einem intensiven Analy-
und Innovation“.
58 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 59
Wer die Zahlen sprechen lässt, erkennt
der Druck durch preisgünstige Anbieter,
schnell, welchen Stellenwert Forschung
desto mehr Bedeutung gewannen For-
und Entwicklung bei Bosch in den ver-
schung und Entwicklung – um stets inno-
gangenen vier Jahrzehnten bekommen
vativere Produkte als die anderen zu haben.
haben: Zwischen 1970 und 2000 erhöhte
Zudem verkürzen sich Produktzyklen seit
sich das Forschungs- und Entwicklungs-
Jahren kontinuierlich. Wo der Innovations-
budget von rund 253 Millionen DM (rund
vorsprung vor dem Wettbewerb knapper
130 Millionen Euro) auf rund vier Milliarden
wird, müssen Forschung und Entwicklung
D-Mark (rund zwei Milliarden Euro), der
schneller und weniger kostenintensiv zu
Anteil am Umsatz stieg von 5,4 auf rund
Ergebnissen führen. Ein Beispiel kann das
acht Prozent. Die Zahl der Mitarbeiter in
veranschaulichen: Bei der ABS-Einführung
allen Bereichen von Forschung und Entwick-
1978 hatte Bosch noch sechs Jahre Vor-
lung stieg im gleichen Zeitraum von 5 500
sprung, bevor die Konkurrenz auf den
auf 16 000. Heute sind es über 42 000 Mit-
Markt drängte. Nach der ESP®-Premiere
arbeiter, und die jährlichen Aufwendungen
1995 waren es nur noch zwei Jahre.
lagen 2012 bei rund 4,8 Milliarden Euro.
Bosch meldete im selben Jahr weltweit
Mit Strategie erfinden
rund 4 800 Patente an.
Der zunehmende Wettbewerbsdruck steigert also den Zeitdruck auf dem Weg zum
Bosch auf dem Weg ins Web 3.0
Energieeffizienz und Vernetzung
2006 bis 2013
Herausforderungen im 21. Jahrhundert
Innovationserfolg. Immer mehr geht es
Der Ausbau von Forschung und Entwicklung
darum, die richtigen Ideen und Produkte
ist für Bosch als Anbieter technisch an-
im Fahrwasser richtig erkannter Megatrends
spruchsvoller Produkte und Dienstleistun-
zu platzieren und nicht an gesellschaftli-
gen geradezu überlebenswichtig. Die
chen oder technologischen Zukunftsper-
sprichwörtliche Nasenlänge, die Bosch
spektiven „vorbeizuentwickeln“. Eine kluge
seinen Konkurrenten immer voraus sein
und zielgerichtete Entwicklung – dieses Ziel
wollte – diese Technologieführerschaft
verfolgt das Bosch Engineering System
hat sich in den vergangenen Jahrzehnten
(BES). Martin Hieber, zuständig für das
immer wieder als wesentlicher Faktor für
BES-Innovationsmanagement, umschreibt
den geschäftlichen Erfolg erwiesen. Je
den nötigen Weg bis zum fertigen Produkt:
härter der Wettbewerb wurde, je stärker
„Aus einer Strategie entstehen Suchfelder,
Bild ganz links:
„Open Core Engineering“ von Bosch
Rexroth ermöglicht die Verbindung von
Produktionsmaschine und IT-Welt – ein
Schritt auf dem Weg zur vernetzten Welt
der „Industrie 4.0“, in der Maschinen
selbstständig miteinander kommunizieren
und damit Produktionsabläufe verbessern
können.
Bild inks:
Richtfest beim neuen Forschungs- und
Vorausentwicklungszentrum in Renningen
bei Stuttgart, 2013. Hier forschen einmal
rund 1200 Experten aus allen Unternehmensbereichen interdisziplinär.
60 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 61
in den Suchfeldern Ideen, und aus der Idee
Synergien und regionale Lösungen finden
wird eine Überlegung. Aus der Überlegung
Mehr denn je müssen Forschung und
eine Skizze. Aus der Skizze ein Entwurf. Aus
Entwicklung über die organisatorischen
dem Entwurf ein Muster. Aus dem Muster
Grenzen hinausdenken und die vielseitigen
ein Serienprodukt. Aus dem Serienprodukt
Geschäftsfelder von Bosch vernetzen, um
eine Erfolgsgeschichte.“ Das klingt sehr
Synergieeffekte zu schaffen. Darauf zielte
ambitioniert, setzt auch große Anstrengun-
zum Beispiel die Bündelung der Steuerge-
gen voraus, aber nur so kann es funktionie-
räteentwicklung für Diesel- und Benzinein-
ren. Denn auch in einem Unternehmen wie
spritzsysteme vor wenigen Jahren. Beide
Bosch kann eine gute Idee versanden, bevor
Geschäftsbereiche, Diesel Systems und
sie die Chance zur Umsetzung in ein Pro-
Gasoline Systems, verfolgten bis dahin
dukt hat. „Damit das nicht passiert“ ergänzt
unabhängig voneinander ähnliche technolo-
Im Herbst 2010 starteten die ersten Seminare am Robert Bosch Zentrum für Leistungselek-
Hieber, „haben wir die BES-Bausteine,
gische Ansätze für ähnliche Anwendungen.
tronik an der Hochschule Reutlingen. Bosch unterstützt hier zwei Professuren und eine
Arbeitsweisen und Methoden definiert.
Die gemeinsame Steuergeräteentwicklung
weitere an der Universität Stuttgart. Das Ziel hier wie dort: Forschung und Lehre im Bereich
Damit vermeiden wir, dass aus prinzipiell
war also eine naheliegende Lösung.
der Leistungselektronik zu fördern, einer Schlüsseltechnik zur Entwicklung alltagstaug-
Forschung und Lehre:
Von der Hochschulstiftung
bis zum Stiftungslehrstuhl
licher Elektromobilität. Engagements dieser Art haben bei Bosch Tradition, waren aller-
guten Ideen technische Sackgassen werden, oder die entwickelten Produkte an
Auch zwischen scheinbar weit auseinander
dings zunächst weniger zielgerichtet als heute. Robert Bosch selbst stiftete der Technischen
Kundenbedürfnissen vorbeigehen. Hieber
liegenden Geschäftsfeldern kann Forschung
Hochschule in Stuttgart bereits 1910 über eine Million Mark, die der „Förderung der Wis-
stellt dazu die immer wieder entscheidende
und Entwicklung Synergien schaffen: Im
senschaften und der Forschung“ gewidmet war. In den folgenden Jahrzehnten baute Bosch
Frage: „Braucht der Kunde das überhaupt?
Herbst 2013 kam ein Öl-Heizkessel von
die Kooperationen mit Hochschulen aus. Das Unternehmen erkannte in zunehmendem
Und wenn ja, wie übersetzen wir seine
Buderus auf den Markt, der dank Einspritz-
Maße die Bedeutung universitärer Forschung. Hier konnten unabhängig arbeitende Wis-
Bedürfnisse in technische Anforderungen,
ventil und Lambdasonde aus der Benzinein-
senschaftler visionäre Ideen ohne unmittelbaren Druck der Wirtschaftlichkeit entfalten.
Funktionen und Design?“ In den Antworten
spritztechnik sparsamer und effizienter ist
Dabei entstanden in diesem Forschungsklima Ergebnisse, die in der Unternehmenspraxis
auf diese Frage liegt nach den Worten
als Konkurrenzmodelle. Entwickler der
durchaus nützlich sein konnten. Und nicht zuletzt unterstützte Bosch mit der Forschungs-
Hiebers die Essenz von BES: „der Kreativi-
beiden Bereiche Thermotechnik und Gaso-
förderung die Ausbildung zukünftiger Spitzenkräfte– zum Beispiel mit der Gründung des
tät Perspektiven, aber auch Leitplanken zu
line Systems entwickelten das Gerät mit
Carnegie Bosch Institutes an der US-amerikanischen Carnegie Mellon University.
geben für die Entwicklung von marktgerech-
gebündeltem Know-how.
ten Produkten – damit aus der Idee auch
wirklich eine Erfolgsgeschichte wird!“
Sichtprüfung von Solarwafern,
2008. Perfekter Schutz vor
Verunreinigungen in der Luft
durch antistatische Schutzkleidung und Haarhauben ist
in Reinräumen unverzichtbar.
Bei allem Streben nach Synergie – For-
Technik für den Umweltschutz
schung und Entwicklung müssen auch
Technische Antworten auf ökologische
Spielräume für regional passende Pro-
Fragen zu geben – dieses Ziel gab Franz
duktvarianten lassen. Beispiel ist wiederum
Fehrenbach, Bosch-Chef bis 2012, für die
die Motorsteuerung. Für die preisgünstigen
Forschung und Entwicklung aus: „Wir er-
Fahrzeuge in Schwellenländern ist es die
gänzen den Ausgleich wirtschaftlicher und
beste Lösung, sie in diesen Ländern selbst
gesellschaftlicher Interessen, für den unser
zu entwickeln. Denn die Versionen für den
Firmengründer Robert Bosch stand, heute
europäischen, japanischen oder nordameri-
verstärkt um ökologische Gesichtspunkte.“
kanischen Markt sind den Kunden in auf-
Bosch hatte den Umweltschutz auch bis
strebenden Ländern wie Indien und China
dahin nicht außer acht gelassen. Schließlich
häufig zu kostspielig – sie gelten als „over-
gab es ja schon seit mehr als 30 Jahren das
engineered“. 5 000 Steuerungsparameter
3S-Programm „sicher, sauber, sparsam“ als
für höchste Laufkultur des Motors – das
Leitlinie für die Entwicklung der Kraftfahr-
ist in Schwellenländern weniger ausschlag-
zeugtechnik.
gebend für den Markterfolg als etwa die
Widerstandsfähigkeit gegen Erschütterungen
bei unebenen Straßen.
62 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 63
Aber es kam etwas Neues hinzu. Bosch
entwickeln, das war unsere doppelte Her-
entwickelte nicht mehr nur umweltscho-
ausforderung“, sagt Heinz Eschrich, der als
nende und energieeffiziente Technik – etwa
erster Bosch-Entwickler nach Erfurt ging.
Kraftstoff sparende Diesel- und Benzin-
Was damals niemand wissen konnte:
systeme, Öl und Gas sparende Heizungen
Die Preise der Photovoltaikmodule sanken
oder Strom und Wasser sparende Hausge-
sehr viel schneller als erwartet, bis zu
räte. Hinzu kamen noch Systeme, die rege-
40 Prozent jährlich. Mit diesem rasanten
nerative Energien erschlossen: Solarkollek-
Preisverfall zeigten sich selbst bei Bosch
toren, Wärmepumpen, Anlagen zur Ge-
die Grenzen des Machbaren. Das Unterneh-
winnung von Wind- und Meeresenergie.
men entschloss sich Anfang 2013 zum
Als besonders anspruchsvoll erwies sich
Ausstieg aus dem Geschäftsfeld der kristal-
der Einstieg in die Photovoltaik. Dazu hatte
linen Photovoltaik. Umwelt- und Klima-
Bosch 2008 das Erfurter Solarunternehmen
schutz jedoch bleiben für Bosch wichtig.
ersol übernommen. „Die Wirkungsgrade der
Nach wie vor zielt nahezu die Hälfte des
Solarzellen in der Produktion bei gleichzei-
Forschungs- und Entwicklungsaufwands auf
tiger Kostenreduktion zu erhöhen und
Erzeugnisse, die Umwelt und Ressourcen
parallel neue zukunftsfähige Konzepte zu
schonen.
Das richtige Auge für Nutzer:
User Experience
Ladesäule des E-Mobilitätsprojektes in Singapur. Bosch
setzte sich 2011 gegen prominente Mitbewerber bei diesem
Pilotprojekt durch, das eine
Ladesäuleninfrastruktur für
Elektrofahrzeuge mit allen
dazugehörigen Dienstleistungen
umfasst.
Vorsorgen für die Mobilität von morgen
ein Pionier der Hybridsparte, Matthias
Gerade die Ressourcenschonung ist an-
Küsell. „Der Hybridantrieb schien anfänglich
gesichts der absehbaren Endlichkeit der
nur in urbanen Ballungsräumen erfolgsfähig
Ölreserven unabdingbar. Vor diesem
zu sein, wo er seinen Verbrauchsvorteil
Hintergrund beschäftigt sich Bosch auch
ausspielen konnte. Doch er wurde bald
mit alternativen Antrieben. Seit fast
auch in den USA und manchen Ländern
einem halben Jahrhundert befasst sich
Europas erfolgreich. Das war unser Aus-
die Forschung mit der Elektrifizierung
gangspunkt für den Einstieg.“ Die Entwick-
des Antriebsstranges. Wirklich Fahrt auf-
ler arbeiteten im Schwerpunkt an Parallel-
Mehr und mehr rückt bei Bosch die Nutzersicht im Prozess der Produktentwicklung in den
genommen hat dieses Thema jedoch erst
Hybridantrieben mit der Kombination von
Vordergrund. „User Experience“, wie sie heute bei Bosch verstanden wird, hat aber weit
mit verschärften Klimaschutz-Gesetzen
Elektro- und Benzinmotor, entwickelten
mehr Aspekte im Blick als nur ein technisch gutes und optisch ansprechendes Produkt aus
und steigenden Kraftstoffpreisen. Der rein
parallel aber auch einen Axle-Split Hybrid-
dem Blickwinkel der Kunden: „Sicherlich müssen die Produkte den Nutzer technisch über-
elektrische Antrieb ist der Horizont der
antrieb mit variabel einsetzbarem Frontan-
zeugen“, sagt Peter Schnaebele, Leiter der Abteilung User Experience, „aber sie müssen
Forschung, auf dem Weg dorthin gilt der
trieb mit Diesel- und Heckantrieb mit Elek-
mehr als bisher die Kunden emotional ansprechen und begeistern, weil sie praktisch, schön
Hybridantrieb, die Kombination aus Ver-
tromotor. Nach der Serieneinführung des
und leicht zu bedienen sind. Wir dürfen nicht unterschätzen, wie wichtig diese Faktoren
brennungs- und Elektromotor, als „Brücken-
Parallelhybrids 2010 und des Axle-Split-
für die Begeisterung der Kunden und damit deren Kaufentscheidung sind.“ Nach diesen
technologie“, insbesondere der Plug-in
Hybrid 2012 bleibt E-Mobilität im Fokus
Kriterien hat Schnaebeles junge und bereichsübergreifende Abteilung in Kooperation mit
Hybrid, bei dem die Batterie, aus der der
intensiver Forschungs- und Entwicklungsar-
den jeweiligen Geschäftsbereichen wegweisende Lösungen entwickelt, zum Beispiel eine
Elektromotor seine Energie bezieht, sich
beit. Das gilt für viele Varianten in umfang-
Bedieneinheit für den Bosch E-Bike-Antrieb, ein Radio-Navigationssystem und ein interak-
an der Steckdose aufladen lässt. Noch ist
reichen Anwendungen – vom Hybridantrieb
tives Cockpit für ein Elektroauto – mit besonderer Berücksichtigung der Nutzerperspektive.
die Speicherkapazität der Batterien zu
für Automobile bis hin zum Antrieb für reine
Bosch setzt hier für den Markterfolg wichtige neue Akzente, um die an technischen Krite-
gering, um bei vollelektrischen Fahrzeugen
Elektrofahrzeuge –, für das Auto ebenso wie
rien orientierte Produktentwicklung zugunsten emotionaler Faktoren auszubalancieren.
einen akzeptablen Aktionsradius zu gewähr-
für E-Bikes und Elektroroller. Zusätzlich
Denn diese Faktoren können zu Erfolg oder Misserfolg eines Produkts den Ausschlag
leisten. „2005 haben wir unser ‚Projekthaus
entwickelt Bosch Hydraulik-Hybridantriebe
geben.
Hybrid’ mit Fachleuten aus allen dafür
für Automobile mit Verbrennungsmotoren.
wichtigen Bereichen gegründet“ berichtet
Das erste System ging 2013 in Serie.
64 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 65
Lebensqualität in zunehmend verdichteten
der Fließfertigung. In dieser Zeit begann
urbanen Räumen dienen soll. Die For-
auch der damals noch unabsehbare Weg in
schungs- und Entwicklungsarbeiten an
neue Produktsparten wie Hausgeräte und
Lösungen für autarke Kommunikation von
Elektrowerkzeuge. Dass Bosch dies alles so
Maschinen zielen bei Bosch aber auch auf
gut bewältigte, ist auch der früh ausgepräg-
die industrielle Fertigung. Das Interesse der
ten Offenheit für Forschung und Entwick-
Forscher und Entwickler gilt hier den
lung und ihrer intensiven Anwendung zu
„Cyber-Physical Systems“, intelligenten
verdanken. Das Unternehmen wird sich
Maschinen, Lagersystemen und Betriebs-
auch künftig immer wieder substanziell
mitteln, die mit Hilfe internetbasierter
verändern müssen. Dabei werden For-
Groß war die Herausforderung für Bosch, und doch begann die Geschichte des Internets
Kommunikation eigenständig Informationen
schung und Entwicklung eine treibende
der Dinge und Dienste in der Forschung und Entwicklung eher bescheiden. Davon kann der
austauschen, Aktionen auslösen und sich
Kraft sein.
IT-Experte Stefan Ferber erzählen. Mit einem Forschungsprojekt zu einer weltweit einheit-
gegenseitig selbstständig steuern können.
lichen Softwareentwicklung bei Bosch im Jahr 2007 fing es an. „Dieses Projekt sollte auch
Das ermöglicht flexible Reaktionen, bis hin
Ganz wichtig dafür: das neue Zentrum für
offene Entwicklungsplattformen ermöglichen, also nach dem Prinzip des ‚open source’
zur Berücksichtigung individueller Kunden-
Forschung und Vorausentwicklung, das
funktionieren“, berichtet Ferber, „eine kleine Revolution für Bosch.“ Bald nahm der Zug
wünsche und Einzelfertigung.
Bosch in Renningen bei Stuttgart baut.
Ideen im Showcase:
Vom Anfang des Internet
der Dinge und Dienste
Fahrt auf: Nach einem Beschluss der Geschäftsführung 2008 zeichneten sich bald erste
Hier werden rund 1 200 Menschen inter-
Konturen eines Geschäftsfeldes für internetbasierte Services ab. Noch im selben Jahr über-
Konstant ist nur der Wandel
disziplinär arbeiten – die campusähnliche
nahm Bosch die Software Innovations in Immenstaad am Bodensee. 2009 entstand nach den
Im Lauf seiner mehr als 125-jährigen Ge-
Architektur wird die Kreativität und die
Worten Stefan Ferbers eine Art temporäre Ideenschmiede: „In einem 120 Quadratmeter
schichte musste sich Bosch immer wieder
Vernetzung der Forscher fördern. Beides
großen Raum, den wir ‚Showcase’ nannten, entwickelten wir gute internetbasierte Soft-
neu erfinden. Am Anfang des 20. Jahrhun-
ist nötig, damit Bosch auch in der dritten
wareprodukte, und Leute aus allen Bosch-Geschäftsbereichen und von Innovations bündel-
derts hatte sich das Unternehmen in Europa
industriellen Revolution und darüber hinaus
ten ihr Wissen – eher spielerisch, aber sie zeigten, was machbar ist.“ Und Ferber erzählt von
die Position des führenden Lieferanten für
technologisch führend bleibt. „Forschung
den experimentellen Anfängen: „Ein Thermotechnik-Kollege entwarf eine IT-fähige Hei-
Automobilzündungen erarbeitet. Vom
und Entwicklung“, so drückte es Bosch-Chef
zungsregelung, ein Kollege von Innovations eine virtuelle Wetterstation – und dann kop-
Anfang der 1920er Jahre an musste sich
Volkmar Denner auf der Renninger Baustelle
pelten sie beides für eine intelligente Heizungssteuerung. “ Dies mündete bald in größere
Bosch gegen die aufholende Konkurrenz mit
im September 2012 aus, „schaffen techni-
Projekte. Am 25. Juni 2011 startete Bosch sein erstes Pilotprojekt für das Internet der Dinge
der Modernisierung seiner Produktionstech-
sche Voraussetzungen zur Lösung der gro-
und Dienste: eine Software-Plattform für die Ladesäulen-Infrastruktur zur Elektromobilität
nik behaupten – etwa mit der Einführung
ßen Herausforderungen unserer Zukunft“.
in Singapur.
Die physische und virtuelle Welt verbinden
Man rechnet für das Jahr 2020 mit rund
Mit den wachsenden Möglichkeiten zur
6,5 Milliarden Geräten weltweit, die eine
Nutzung des Internets nimmt die Bedeutung
IP-Adresse haben. Sie alle könnten über
intensiver Forschung und Entwicklung an
das Internet der Dinge und Dienste vernetzt
internetbasierten Lösungen zu. Das „Inter-
werden – zum Beispiel Systeme in Autos,
net der Dinge und Dienste“ gewinnt an Be-
die Daten über das Verkehrsaufkommen in
deutung, die autarke intelligente Kommuni-
ihrer Umgebung sammeln und sich gegen-
kation zwischen Maschinen ohne direkten
seitig über Staus informieren. Die Erkennt-
Eingriff des Menschen. Beispiel ist der
nisse aus solchen Projekten fließen in die
automatische Notruf eCall. Bei einem
Weiterentwicklung vernetzter Systeme, die
schweren Unfall kann das System ohne
sich zu immer größeren Strukturen verbin-
Zutun des möglicherweise bewusstlosen
den – bis hin zur „Connected City“, der
Fahrers einen Notruf auslösen – mit Daten
vernetzten Stadt, in der die Infrastrukturen
über dessen genauen Ort für die Alarmie-
für Mobilität, Gesundheit, Energie und
rung des nächstgelegenen Rettungsdiens-
Kommunikation ineinander verschmelzen.
tes. Das geschieht auf der Basis von analy-
Mit dem Fürstentum Monaco erarbeitet
sierten Sensordaten, etwa einer Airbag-
Bosch bereits eine Machbarkeitsstudie zur
auslösung, die ein sicheres Indiz für einen
Entwicklung einer solchen übergreifenden
schweren Aufprall ist.
Infrastruktur, die vor allem einer besseren
Beide Bilder unten:
Das Internet der Dinge
und Dienste schafft
neue Möglichkeiten.
Heute können nach
Unfällen per eCall automatisch Notrufe abgesetzt werden.
66 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 67
Ausblick
Entwickelt wird bei Bosch seit über 100 Jahren, und auch die ersten For-
Dieser Prozess erscheint sehr komplex, doch ist es ein wirkungsvoller und
schungsarbeiten liegen bereits rund ein Jahrhundert zurück. Ein gewisser Stolz
effizienter Weg, im Zusammenspiel der weltweiten Forschungs- und Entwick-
auf unsere Tradition als innovationsstarkes Unternehmen ist zwar gut, darf aber
lungskompetenz wichtige Resultate zu erzielen, die zur kraftvollen Weiterent-
den Blick auf die künftigen Herausforderungen in Forschung und Entwicklung
wicklung des Unternehmens beitragen. Die Zahlen sprechen jedenfalls dafür:
nicht verstellen, und die sind gewaltig: Der Wettbewerb um Innovationen wird
Forschung und Entwicklung bei Bosch schaffen die Voraussetzungen für
schärfer, Produktzyklen werden immer kürzer, Produkte und Dienstleistungen
19 Patente pro Arbeitstag.
immer komplexer und Geschäftsmodellinnovationen spielen eine immer wichtigere Rolle, wenn es um zukünftige Marktpositionen geht.
Vorsitzender der Geschäftsleitung des Zentralbereichs
Zugleich wird das Erkennen von weltweiten Megatrends für Bosch wichtiger,
Bis 31. März 2014
Ab 1. April 2014
denn aus ihnen lassen sich Ideen für zukunftsträchtige Produkte und Dienst-
Dr. Klaus Dieterich
Dr. Michael Bolle
Forschung und Vorausentwicklung der Robert Bosch GmbH
leistungen ableiten. Allerdings kommt es darauf an, ob ein Trend und die aus
ihm folgenden Produkte zum Unternehmen passen. Der Erwerb und die Vermittlung von Wissen auf dem Weg von der Idee zum Produkt müssen beschleunigt und gebündelt werden, um mit schnelleren Produktzyklen Schritt
halten zu können. Methoden wie internationales „Crowd Sourcing“ und „Open
Innovation“ spielen dabei eine immer größere Rolle, um Wissensfortschritte
konzernweit zu teilen und sie beispielsweise auch in völlig unterschiedlichen
Geschäftsbereichen auf verschiedenen Kontinenten nutzbar zu machen – bei
einem Unternehmen mit über 300 000 Mitarbeitern eine unverzichtbare Bedingung für den Erfolg.
Die Größendimension der Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur bei
Bosch erfordert eine geeignete Steuerung aller Schritte von der Idee zum
Produkt. Der Prozess beginnt mit dem Scouting, der Kooperation mit dem
wissenschaftlichen Umfeld eines zukunftsträchtigen Themas. Dem folgt eine
Ideenprüfung, deren Sinn es ist, den Nutzen für den Kunden und die mögliche
Industrialisierung abzuschätzen. Hält die Idee dieser Prüfung ihrer Tauglichkeit
stand, folgt eine Konzeptstudie, bei der meist außer der Forschung auch schon
Entwicklungsabteilungen interessierter Geschäftsbereiche einbezogen sind.
Dann ist der Zeitpunkt gekommen, in einem Projekt das zukünftige Produkt
vor zu entwickeln, um danach Wissen und Know-how an die einbezogenen
Geschäftsbereiche weiterzureichen. Ihre Aufgabe ist es dann, das Produkt zur
Serienreife weiter zu entwickeln, zu fertigen und zu verkaufen. Gleichzeitig wird
das gesamte Patentumfeld untersucht, um die Idee als geistiges Eigentum des
Unternehmens zu sichern.
Azubis des Forschungszentrums in Waiblingen,
2013. Die jungen Forscherinnen und Forscher von
morgen befassen sich mit Ideen für die Mobilität
der Zukunft.
68 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 69
Forscher und Entwickler im Porträt
Arnold Zähringer:
„Wie eine Kreuzspinne“
August Kazenmaier:
Mehr auf der Landstraße als im Büro
Arnold Zähringer kam 1890 als Mechaniker zu Bosch. Er wurde Betriebleiter,
Erwartungsvoll trat August Kazenmaier 1911 seinen Posten als Laborassistent
alle Abläufe im anfänglich noch kleinen Handwerksbetrieb organisierte fortan
bei Bosch an – und wurde schwer enttäuscht. Als er das provisorische Labora-
er. Als Bosch 1901 in die erste Fabrik übersiedelte, bezog Arnold Zähringer
torium sah, wünschte er sich umgehend an das Elektrotechnische Institut der
dort sogar eine Wohnung und konnte nun rund um die Uhr den Lauf der Dinge
Technischen Hochschule in Stuttgart zurück. Dort gab es gute Geräte in ordent-
beaufsichtigen, „wie ein Kreuzspinne“, so Bosch-Biograf Theodor Heuss.
lichen Räumen. Bei Bosch dagegen war das Labor anfangs in einer ehemaligen
Robert Bosch vertraute ihm uneingeschränkt und ließ ihm deshalb auch viel
Küche mit Veranda untergebracht, die Ausstattung an Instrumenten eher karg.
Freiraum. Dies hatte sich Zähringer besonders dadurch erworben, dass er den
Allerdings beeindruckte Kazenmaier, wie unermüdlich die Kollegen an Inno-
Niederspannungsmagnetzünder für den Einsatz an Fahrzeugmotoren tauglich
vationen arbeiteten. Kazenmaier war sofort „infiziert“ und arbeitete begeistert
gemacht hatte. Er ließ nicht mehr den schweren Anker pendeln, sondern nur
mit. Je größer das Produktportfolio wurde, desto mehr spaltete sich die Ent-
noch eine schmale, leichte Hülse. Auf diese Weise funktionierte der Magnet-
wicklungsabteilung auf. Kazenmaier, ein leidenschaftlicher Motorradfahrer,
zünder auch bei den viel höheren Drehzahlen und schnelleren Zündabfolgen
übernahm zu Beginn der 1920er Jahre das Gebiet der Motorradbeleuchtung
im Automobilmotor. Ob ihm die Idee dazu wirklich auf einem Volksfest gekom-
– bis dahin ein eher stiefmütterlich behandeltes Thema. Er entwickelte unter
men war, wie gerüchtehalber berichtet wurde, sei dahingestellt. Robert Bosch
anderem den Lichtmagnetzünder C1 zur Serienreife – nicht jedoch, ohne das
jedenfalls zahlte Zähringer eine Lizenzbeteiligung an jedem verkauften Hül-
Produkt auch persönlich getestet zu haben. Bei Wind und Wetter jagte er sein
senapparat, wie der verbesserte Magnetzünder genannt wurde. Zähringer
Motorrad über die schlechten Straßen: „Das Wasser lief mir zum Kragen mei-
war ein Autodidakt, seine Kenntnisse verdankte er seiner Erfahrung und
Arnold Zähringer
seiner Lust am Experimentieren.
ner Lederausrüstung hinein und an den Stiefeln wieder hinaus. Ich musste alle
August Kazenmaier
50 bis 100 Kilometer den Keilriemen kürzen und verbrauchte drei Riemen (…).
Die Lichtanlage hatte aber einwandfrei und ohne jeden Defekt gearbeitet.“
Gottlob Honold:
Das Multitalent
Hermann Steinhart:
„Steinhart, Sie hatten recht“
„Wenn Honold mit einer neuen Sache fertig war und sie zur Herstellung frei-
Systematisch und zielbewusst – diese Attribute des Bewerbers überzeugten
gab, dann verlangte die Fachwelt nach dem Bosch-Erzeugnis.“ So würdigte
den Entwicklungsleiter Honold, als er Hermann Steinhart 1910 einstellte.
Robert Bosch seinen langjährigen Entwicklungsleiter, als dieser 1923 über-
Zielbewusst ging Steinhart sogleich an seine Aufgaben, half bei der Entwick-
raschend und nur 46-jährig starb. Viele Innovationen entstammten Honolds
lung der neuen Produkte Licht und Anlasser tatkräftig und kreativ mit. Ziel-
Feder. Es war im Frühjahr 1901 ein glücklicher Zufall, dass der frisch geba-
bewusst war er auch, als er dem zunächst zögernden technischen Vorstand
ckene Ingenieur seinem ehemaligen Lehrherrn Robert Bosch auf den Straßen
Max Rall die Freigabe für das Bosch-Radlicht abtrotzte. Als in der Folge mas-
Stuttgarts wieder über den Weg lief. Die beiden wurden sich schnell einig.
senweise Bestellungen dafür eingingen, musste Rall kleinlaut eingestehen:
Honold sagte die ihm angebotene Assistentenstelle an der Technischen Hoch-
„Steinhart, Sie hatten recht.“ Und Steinhart hatte noch einmal den richtigen
schule ab und wurde stattdessen Entwicklungsleiter bei Bosch. Sein erstes
Riecher, als er sich Ende der 1920er Jahre der Weiterentwicklung des Elektro-
Meisterstück war die Hochspannungsmagnetzündung, mit der er nicht nur
werkzeugs widmete. Als man ihm eine von Ernst Eisemann entwickelte Haar-
nach dem Wort von Robert Bosch „den Vogel abgeschossen“, sondern auch die
schneidemaschine mit Motor im Handgriff vorlegte, behob er sofort die tech-
Zündung an immer schneller laufenden Fahrzeugmotoren revolutioniert hatte.
nischen Mängel, vor allem die fehlende Isolierung. In der Wirtschaftskrise der
In den folgenden Jahren wandte sich Honold der Entwicklung von Lichtsyste-
frühen 1930er Jahre entwickelte er die Haarschneidemaschine zum Schleifer
men und Anlassern zu. Auch das Bosch-Horn geht auf seine Rechnung. Neben
und Kleinschrauber weiter. Immer mehr Elektrowerkzeuge von Bosch, die
der technischen Reife fand das Horn auch wegen seiner schönen Form Beach-
Steinharts Stempel trugen, kamen auf den Markt. Als echter Allrounder schuf
tung. Genau diese Eigenschaften verband Honold in seiner Arbeit und schaffte
Gottlob Honold
es auch noch, dies seinen Mitarbeitern zu vermitteln.
Steinhart noch viele weitere marktführende Produkte für das Unternehmen.
Hermann Steinhart
70 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 71
Gustav Werner:
Der „Kerzen-Werner“
Karl-Ernst Boeters:
Schrittmacher der Mikroelektronik
„Was beim Versuch ganz bleibt, ist nicht erprobt, weil wir seine Grenzen nicht
Bei der Eröffnung des Forschungsinstitutes Berlin (FIB) am 24. März 1965 war
kennen!“ Gustav Werners markiger Ausspruch sagt viel über seine Wesensart.
unter den Gästen auch der 42-jährige Physiker Karl-Ernst Boeters. Ihm war im
Seit 1924 in der Zündkerzenentwicklung tätig und deren Leiter bis 1959,
FIB die Entwicklung monolithisch integrierter Schaltkreise aufgetragen wor-
duldete er keine Kompromisse bei der Produktqualität.
den. Heute, über 90-jährig, erinnert sich Boeters an sein Vorstellungsgespräch:
Als der Mechaniker, den man bei Bosch „Kerzen-Werner“ nannte, in die Ent-
„Es gab einen Merkzettel, der enthielt, was Bosch sich als Arbeitsgebiete vor-
wicklungsabteilung für Zündkerzen versetzt werden sollte, war er zunächst
stellte, ein richtiger Wunschzettel der Geschäftsführung. Eine Aufgabe für das
skeptisch: „Was soll denn an einer Zündkerze noch zu entwickeln sein? Das ist
FIB war die Entwicklung von Schwingquarzen, weil die Bosch-Tochtergesell-
doch einfach ein Stück gebrannte Erde, ein Nagel mittendurch, ein Stück
schaft, die in Berlin Funkgeräte herstellte, hier bisher auf Zulieferer angewie-
Sechskant mit Gewinde und alles angebunden an ein Kabel.“ Er lag falsch mit
sen war. Und so sollte der Aufbau einer Fertigungslinie für Schwingquarze eine
seiner Skepsis und blieb sein ganzes Berufsleben in dieser Entwicklungsabtei-
Art Morgengabe werden, damit sie uns, das FIB, als Nachbarn auf ihrem Grund
lung. Und er „lernte, dass das von mir anfangs so gering geschätzte Element
auch gut behandeln.“ Boeters, später Leiter des FIB bis zu seiner Pensionie-
(die Zündkerze) mehr war, als ich mir vorher träumen ließ.“ Werners wohl
rung 1985, war Teil eines Expertenteams, das sich mit Grundlagenphysik
wichtigste Aufgabe war die Weiterentwicklung der Zündkerzen-Isolatoren.
beschäftigte. Es war dessen Verdienst, dass Bosch technologisch die Mikro-
Unter seiner Regie wurde die „Bosch-Kerze“ mit neuen keramischen Mixturen
elektronik für das Auto vorantreiben konnte. Damit lieferten der Physiker und
für das Herstellungsverfahren so weiterentwickelt, dass sie in Europa eine
seine Mitstreiter weit mehr, als auf dem Wunschzettel der Geschäftsführung
uneinholbare Marktstellung erreichte.
Gustav Werner
gestanden hatte.
Karl-Ernst Boeters
Gerhard Conzelmann:
Ein Pionier der integrierten Schaltungen
Konrad Eckert:
Ein Erfinder und Manager
Die ersten integrierten Schaltungen (IC) markierten eine neue Ära bei Bosch.
Selten gibt es Menschen wie Konrad Eckert, die produktive Erfinder und
Einfache Halbleiterbausteine waren bei Bosch Alltagsgeschäft, und die elek-
gleichzeitig erfolgreiche Spitzenmanager sind. Der promovierte Maschinen-
tronischen Steuerungen im Auto wurden komplexer. Damit erwies sich die
bauer kam 1960 zu Bosch. Von 1971 an in der Geschäftsführung tätig, war er
Integration einer steigenden Zahl von Funktionen in einem Bauteil als unab-
von 1983 bis zu seinem Ruhestand 1989 verantwortlich für den Unterneh-
dingbar, um die Zuverlässigkeit elektronischer Komponenten zu sichern und
mensbereich Kraftfahrzeugtechnik. An den Manager Eckert erinnert sich
zu verbessern. Diese Zielsetzung ist untrennbar mit dem Namen Gerhard
Weggefährte Hermann Scholl als harten, aber fairen Konkurrenten: „Ich war
Conzelmann verbunden. Im Herbst 1966 begann der Physiker für Bosch mit
für die elektronischen Benzineinspritzsysteme zuständig, Eckert für die
der Weiterentwicklung integrierter Schaltungen für den Einsatz im Auto. Die
mechanischen. Unsere Verkaufsabteilungen haben um Kunden konkurriert, es
große Herausforderung: Chips, die bis dahin nur in der Unterhaltungselektro-
gab sogar Preiskämpfe. Aber als Eckert die Gesamtverantwortung Kraftfahr-
nik angewendet worden waren, für den Einsatz in Lichtmaschinenreglern
zeugtechnik übernahm, hat er sofort umgeschaltet, war absolut neutral und hat
geeignet zu machen, für Temperaturen zwischen minus 40 bis plus 120 Grad
von da an auch die Weiterentwicklung der Elektronik stark gefördert.“ Den
Celsius, wie sie am Motorraum herrschten. Conzelmann konnte die Unterneh-
Erfinder Eckert haben die zeitraubenden Managementaufgaben keineswegs
mensführung von der Bedeutung einer eigenen IC-Fertigung überzeugen, ohne
vom Entwickeln neuer Ideen abhalten können. 173 Erfindungsmeldungen
die Bosch nicht zur heutigen Bedeutung gewachsen wäre. Ab 1970 begann die
brachte er seit 1960 hervor, auch grundsätzliche Gedanken: So stellte er an
Serienfertigung im Werk Reutlingen, nachdem die ersten Muster und Kleinse-
einem arbeitsreichen Wochenende ein mathematisches Modell auf – für eine
rien noch in der Pilotfertigung Rutesheim und teilweise auch im ForschungsinGerhard Conzelmann
stitut Berlin (FIB) gefertigt worden waren.
Seitenschlupfregelung mit zwei Querbeschleunigungssensoren. Dies floss
Konrad Eckert
später in die Fahrdynamikregelung ESP® ein, die heute im Auto Standard ist.
72 | Sonderheft 4 | Magazin zur Bosch-Geschichte
Forschung und Entwicklung | 73
Hermann Scholl:
Von der Jetronic zum ABS
Anton van Zanten:
Diesel-Ring für Schleuderschutz
Als promovierter Nachrichtentechniker kam Hermann Scholl 1962 zu Bosch.
„Und dann habe ich ein Angebot von Bosch in der ‚Stuttgarter Zeitung‘ gese-
Drei Jahre später stieg er in die Serienentwicklung der elektronisch gesteu-
hen. Die suchten Leute fürs ABS.“ Bevor der gebürtige Niederländer Anton van
erten Benzineinspritzung Jetronic ein. Die Versuche anderer Kraftfahrzeugzu-
Zanten 1977 zu Bosch kam, war er am Rechenzentrum der Universität Stuttgart
lieferer, die Technik serientauglich zu machen, waren gescheitert. Erst Bosch
als Systemprogrammierer angestellt. „Aber reine Rechenaufgaben waren nicht
gelang das Meisterstück unter der Federführung Scholls. Die Jetronic wurde
meine Sache als Maschinenbauer“, sagt van Zanten, „deshalb habe ich mich
zum Vorbild der heute allgegenwärtigen Elektronik im Automobil. In den
neu orientiert.“ Seine wichtigste Leistung bei Bosch ergab sich aus der Auf-
1970er Jahren rückte Scholl in die Geschäftsführung von Bosch auf, trieb aber
gabe, das ABS so zu verbessern, dass ein Auto auch in extremen Fahrsituati-
auch aus dieser Position ambitionierte Zukunftsprojekte voran, zum Beispiel
onen nicht ins Schleudern kommt – eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Aber es
die Entwicklung des Antiblockiersystems ABS 1978 zur Serienreife. Und er
ist bei van Zanten erkennbar, dass er niemand ist, der locker lässt, wenn es gilt,
hatte dabei offensichtlich den richtigen Spürsinn: Genau wie die Jetronic war
Lösungswege zu finden. Das Ergebnis der gestellten Aufgabe hieß Elektro-
das ABS zwar anfänglich für Bosch ein defizitäres Geschäft, entwickelte sich
nisches Stabilitäts-Programm ESP®, das van Zanten maßgeblich auf den Weg in
aber am Ende der Durststrecke zum kommerziellen Erfolg und zum Standard
die Serienfertigung brachte. Und dafür hat er nicht weniger als 13 zum Teil
in der Automobilindustrie. Scholl, der von Juli 1993 bis Juni 2003 der
internationale Preise bekommen, darunter den Diesel-Ring, der an Persönlich-
Geschäftsführung und anschließend neun Jahre dem Aufsichtsrat vorstand,
keiten vergeben wird, die sich besonders um die Verkehrssicherheit verdient
erhielt für seinen Beitrag zur Entwicklung der Jetronic und des ABS 2012 den
gemacht haben. Immerhin verhindert ESP® 80 Prozent aller Schleuderunfälle
Werner-von-Siemens-Ring für herausragende Leistungen in NaturwissenHermann Scholl
schaft und Technik. Seit dem 1. Juli 2012 ist er Ehrenvorsitzender des Unter-
im Straßenverkehr. Gut, dass van Zanten mehr wollte als rechnen.
Anton van Zanten
nehmens.
Siegfried Dais:
Entwicklung des CAN-Bus
Jiri Marek:
Sensoren auf anderem Terrain
Über das CAN-Protokoll, das er zusammen mit dem späteren Elektrotechnik-
„Schwarze Käfer haben mich schon als Student interessiert“, erzählt Jiri
Professor Uwe Kiencke entwickelte, sagt Siegfried Dais recht trocken: „Wir
Marek. Aber mehr als die an Krabbeltiere erinnernden Mikrochips auf Platinen
waren von den grundlegenden Ideen überzeugt, also haben wir diese konse-
beschäftigten den promovierten Elektrotechniker mikromechanische Struk-
quent umgesetzt.“ Der promovierte Physiker, bis Ende 2012 Geschäftsführer
turen, als er Ende 1986 zu Bosch kam. Winzige bewegliche Strukturen, wie
der Robert Bosch GmbH, denkt optimistisch, gibt aber auch zu bedenken,
sie führende Forschungsinstitute in den USA damals erforschten. Das blieb
was das Forschen ausmacht: „Eine Idee zu verfolgen, mit dem Ziel, aus ihr
die Konstante in Mareks Berufsleben bei Bosch, auch nachdem die ersten
ein erfolgreiches Produkt zu machen, ist wie eine Wette auf die Zukunft.
unter seiner Federführung entwickelten Sensoren vom Band liefen. Er baute
Man steckt viel Arbeit hinein und weiß dennoch nicht von Anfang an, ob es
das Geschäftsfeld als „Vater der Mikromechanik bei Bosch“ aus – Bosch ist
ein Erfolg wird.“ Dais kann das bestens einschätzen, denn er hat bei Bosch
heute der größte Hersteller: Fast zwei Millionen Sensoren werden täglich in
seit 1979 in sehr vielen verschiedenen Bereichen gearbeitet, meistens in
Reutlingen gefertigt. Doch Marek war damit nicht zufrieden. Die Sensoren
Forschung und Entwicklung. Daher kennt er das Metier aus verschiedenen
ließen sich auch in ganz anderer Anwendung einsetzen – bei Smartphones,
Perspektiven, auch die Hürden, die oft für den Erfolg überwunden werden
Laptops oder Spielkonsolen. Daraus folgte konsequent die Gründung der
mussten. CAN, „sein Kind“, ist heute dank einer sehr offensiven Lizenz-
Bosch-Tochtergesellschaft Bosch Sensortec, die seit 2005 mikromechanische
vergabe ein Standard bei fast allen Autoherstellern der Welt. Gemeinsam
Sensoren für die Konsumelektronik entwickelt und verkauft. Für seine
mit Uwe Kiencke erhielt Dais dafür 2008 den Innovationspreis der Eduard-
Verdienste um die Mikromechanik wurde Marek zusammen mit seinen
Rhein-Stiftung.
Siegfried Dais
Kollegen Frank Melzer und Michael Offenberg 2008 mit dem „Preis des
Jiri Marek
Deutschen Bundespräsidenten für Technik und Innovation“ ausgezeichnet.
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Forschung und Entwicklung | 75
Andrea Urban und Franz Lärmer:
„Erfinder des Jahres“
Improvisation kann ein probates Mittel sein, wenn es darum geht, technisch
voranzukommen: Als Franz Lärmer einmal Anfang der 1990er Jahre beim
Experiment eines neuartigen Ätzverfahrens eine Hochvolt-Zündquelle fehlte,
musste eine gewöhnliche Spule aus dem Auto herhalten. Der Physiker eilte
kurzerhand zum Firmenparkplatz und baute das gute Stück aus seinem Wagen
aus. Zusammen mit der Verfahrenstechnikerin Andrea Urban entwickelte
Lärmer das damals revolutionäre Plasmaätzverfahren für Silizium. Ohne
dieses Verfahren, heute „Bosch-Prozess“ genannt, wäre die Serienfertigung
winziger mikromechanischer Sensoren für Smartphones, Laptops oder
Andrea Urban
Handys unmöglich.
Und Lärmer und Urban? Sie wurden vom Europäischen Patentamt und der
Europäischen Kommission 2007 zu den „Erfindern des Jahres“ gekürt, denn
mit ihrem Verfahren ist heute die Fertigung beweglicher Strukturen auf einer
Fläche möglich, die deutlich kleiner ist als ein Stecknadelkopf.
Franz Lärmer
Friedrich Boecking:
Blitzschnell mit Piezo-Technik
Viele Tausend Köpfe: Menschen bei Bosch
in Forschung und Entwicklung heute
In seinem Arbeitsleben hat Friedrich Boecking über 750 Patente angemeldet.
Über 42 000 Menschen forschen und entwickeln für Bosch weltweit.
Eine Erfindung des Maschinenbauingenieurs, der heute die Dieseltechnik-
Einzelne hervorzuheben, wäre schwierig und nicht fair, denn sie tragen
sparte von Bosch in Indien leitet, sticht dabei aber besonders heraus: die
alle zur Zukunftsfähigkeit des Unternehmens bei. Deshalb steht hier auch
Piezo-Technik für Diesel- und Benzineinspritzsysteme in Automobilen.
kein persönliches Porträt, denn die Aufgaben haben sich immer weiter
Eingesetzt wurde die Technik ab 2003 zunächst bei Einspritzventilen in
differenziert. Ragten in der Frühgeschichte von Bosch noch deutlich einzelne
Motoren mit einem Common-Rail-Dieseleinspritzsystem, wo sie ihre Vorteile
Köpfe wie Gottlob Honold heraus, die Forschung und Entwicklung allein
voll ausspielen konnte: Die piezokeramischen Komponenten dehnen sich
bestritten oder dominierten, so sorgte das Wachstum des Unternehmens für
nämlich blitzschnell aus, wenn eine elektrische Spannung angelegt wird.
immer speziellere Einzelaufgaben, die in innovative Gemeinschaftsleistungen
Das Resultat: Sie ermöglichen eine viel schnellere und exaktere Einspritzung
mündeten. Und wenn in der jüngeren Vergangenheit doch wieder einzelne
bei Drücken von über 2000 Bar. Diese technischen Eigenschaften sind
Erfinderpersönlichkeiten hervorstachen, so standen sie für bahnbrechende
entscheidend dafür, Verbrauch und Abgasemissionen bei Automobilen
Entwicklungen, die das Gesicht von Bosch insgesamt verändert haben. Von
signifikant zu senken. Im Herbst 2005 bekam Boecking als Sprecher des
den heutigen Frauen und Männern in der Forschung und Entwicklung wissen
Bosch-Entwicklungsteams für diese wegweisende Technik zusammen mit
wir das noch nicht. Was sie tiefgreifend verändern oder an Neuem auf den
Klaus Egger und Hans Meixner von Siemens-VDO den „Preis des Deutschen
Weg bringen, wird erst der Rückblick aus der Zukunft zeigen.
Bundespräsidenten für Technik und Innovation“.
Friedrich Boecking