Eine haarige Angelegenheit
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Eine haarige Angelegenheit
5 Prozent 10 Prozent 15 Prozent 20 Prozent 95 Prozent STIL LEBENSART 29 Rheinischer Merkur · Nr. 9 / 2009 Eine haarige Angelegenheit PELZ Lange waren Felle in der Mode verpönt. Diese Zeiten sind vorbei. Heute entdecken immer mehr Designer Fuchs und Nerz neu. Und so manches Model mit einstmals grünem Gewissen behängt sich mittlerweile öffentlich erneut mit totem Tier Von Susanne Balthasar V ielleicht sind die kratzigen Kunstfellzotteln schuld. Oder das viele Geld der letzten Jahre. Der Hang zu Luxus und Natur könnte die Ursache sein, die Sehnsucht nach Geborgenheit. Oder es war einfach mal wieder Zeit für etwas ganz Verrücktes: das Comeback des Pelzes. In diesem Spätwinter sind sie alle wieder da, die Persianer, Waschbären, Lämmer und Nerze. Die Füchse, die Iltisse, die Hermeline. Da greifen nicht nur Zahnarztgattinnen und Direktorenwitwen zu, nein, jetzt stolzieren die Fashionistas in den mondänen Mäntelchen und Mützen über die Straßen. Die Russifizierung der Wintermode scheint überall zu sein: Fendi, Valentino, ja selbst Avantgarde-Designer wie Rick Owens oder Julien McDonald zeigen die teuren Echthaarklamotten, mit denen sich dann Stars wie Madonna und Sharon Stone ungeniert behängen. Früher hätten ihnen die Fans dafür einen Farbbeutel ins Mäntelchen geklatscht. Die letzten zwanzig Jahre waren die Fronten klar gesteckt: Pelzträger sind böse. Die Oma im Persianer, die Mutti im Nerz und die Moskaumützentypen auch. Weil Ozelot und Schneeleopard wegen ihres schönen Fells fast ausgerottet und Chinchillas auf Farmen gequält worden sind. Für den gesellschaftlichen Bann des Pelzes haben die Tierschutzkampagnen seit den Achtzigerjahren gesorgt. FOTO: FRANK MAY/DPA Und wozu das? Damit die Designer den Tieren wieder das Fell über die Ohren ziehen. Um elf Prozent ist der weltweite Umsatz mit Pelz im Jahr 2007 gestiegen, das entspricht nach den Zahlen der International Fur Trade Federation (IFTF) einem Verkaufswert von 15 Milliarden US-Dollar. Es ist, als wäre nie etwas gewesen. Cindy Crawford modelt für die US-Pelzfirma Blackglama. 1994 war das Supermodel noch in der Peta-Kampagne „Lieber nackt als im Pelz“ zu sehen. Giorgio Armani, der kürzlich zusagte, keine Pelze mehr zu verarbeiten, hat es sich diese Saison anders überlegt. Sogar Baby-Schneeanzüge mit Echtfellbesatz haben die Tierschützer von „People for the Ethical Treatment of Animals“ (Peta) ausgemacht und sind mit Armani-PinocchioPlakaten vor seinem Mailänder Stammhaus aufmarschiert. Es sind nicht nur die gesetzten Designer und Promi-Damen, die auf dicke Jacke machen. Wandelnde Trendbarometer wie die 22-jährigen Zwillinge Mary-Kate und Ashley Olsen sind quasi nicht mehr ohne tote Tiere am Hals zu sehen. Die Reichen, na klar, die müssen ja bei jedem Luxustrend mitziehen. Die Armen aber auch. Wer in diesen kalten Tagen durch Berlin-Mitte läuft, sieht überall Studentinnen und Modemädchen in SecondhandPelzen, meistens mit einem breiten Gürtel um die Taille. Wer als Kind nicht mit der Pelzmama gesehen werden wollte, lässt sich heute Muttis Mantel kürzen. Kann es denn schlecht sein, alte Sachen aufzutragen? Vielleicht ist das auch gar nicht mehr so wichtig. Der Trend zum guten Gewissen beschert Steaks von glücklichen Schweinen schließlich steigende Absatzzahlen, aber gleichzeitig haben die Bioladen-Leute kein Problem damit, in die Ferien zu fliegen. Erlaubt ist, was bequem ist. Oder schön macht. Dass man mit Pelz heute besser denn je aussieht, glaubt Schutzfunktion: Zuchtpelze von Tierfarmen schonen den Wildbestand und helfen, die Wilderei in der freien Natur einzudämmen. Sie sind außerdem von besserer Qualität. Lamm würde ich nicht verarbeiten.“ Die politische Korrektheit hat die Pelzmode erfasst. Pelz-Lobbyisten und Designer arbeiten daran, das TierquälerImage abzustreifen. Da ist zuallererst einmal Nikolas Gleber mit seinem Label „Friendly Fur – Happy Nature“. Das ist kein Witz, sondern politisch korrekte Pelzmode aus Berlin. Sagt jedenfalls Gleber, der weder gelernter Kürschner noch Designer ist, sondern sich als Konzeptkünstler bezeichnet. In seinem Büro in der Zuckerbäckerstil-Magistrale Karl-Marx-Allee hängen büschelweise tote Tiere über der KleiderBianca-Maria Keil, Assistenz-Designerin stange. Alles Vulpes vulpes, deutscher bei Laurèl: „Es hat sich unheimlich viel Rotfuchs. Mal in der Form der Handbei der Verarbeitung getan. Es gibt jetzt tasche Danger-Clutch mit abnehmbaren geschorene Pelze mit kurzen Haaren, die Pfötchen als Henkel, mal als Champaganz leicht und weich sind. Insgesamt gner-Bottle-Bag für St. Moritz, als flaurückt der Pelz immer mehr an den Stoff schiges Nackenkissen für den Flieger heran. Es gibt heute zum Beispiel Pelz- oder als klassischer Kragen mit Schwanz blousons in bunten Farben.“ Seit Keil und Kopf. Full-Body-Concept heißt das 2007 in Mailand den Remix-Preis der bei Gleber: „Wir lassen nichts verkomPelzindustrie für ein weißes Eggshape- men, selbst aus dem kleinsten Fellfitzel Cape aus weißem Swakara-Persianer ge- machen wir noch einen Schlüsselanhänwonnen hat, arbeitet sie immer wieder ger.“ Nachhaltige Dekadenz aus heimit dem Material. Pelz ja oder nein, sagt mischen Wäldern. „Der Vulpes vulpes Bianca-Maria Keil, die Frage stellt sie sich hat so einen bodenständigen Glamour“, so nicht: „Wenn ich weiß, dass die Tiere schwärmt Nikolas Gleber, und seiner ist von einer guten Farm kommen, habe ich auch noch grün. Unübersehbar klemmen kein Problem damit. Ein asiatisches neongrüne Etiketten in den glänzenden Die Pelzindustrie gibt sich Mühe, das moralisch verwerfliche Produkt durch strenge Herkunftsnachweise wieder kaufbar zu machen. Rotfuchshaaren, manche groß wie Riesenbuttons. Die Botschaft des Trägers ist deutlich: Ich trage einen guten Pelz, für mich musste kein Tier sterben. Gleber sagt, dass er Füchse aufkauft, die von Jägern und Förstern erlegt wurden, um die Population stabil zu halten. Wildware ist der Fachbegriff, davon gibt es in Deutschland jedes Jahr eine halbe Million allein unter den Füchsen. Mit seinen Öko-Pelzen hat der Förstersohn Nikolas Gleber in den letzten Monaten, gutem Marketing sei Dank, ziemlich viel Aufmerksamkeit bekommen. Tatsächlich setzt der alteingesessene Münchner Pelzhändler Loringhoven schon seit Jahren auf Felle von glücklichen Tieren. Darunter Possums und Rotfüchse, die sich, irgendwann mal in Australien eingeschleppt, dort zu einer Landplage entwickelt haben und nun gejagt werden. Beim neuseeländischen Curly Lamb gibt die Website sogar an, dass nur natürlich gestorbene Tiere verarbeitet werden. Auch die Pelzindustrie gibt sich Mühe, das moralisch verwerfliche Produkt wieder kaufbar zu machen. Seit zwei Jahren gibt die IFTF das OA, das Origin-Assured-Label, heraus. Das sagt dem Käufer, ob das Produkt aus einem Land stammt, das sich an die Tierschutzverordnungen hält. François Poncet, Dozent für Design an der Berliner Modeschule Esmod, hat FÜNFPROZENTHÜRDE Dieser Tage hat mir ein Freund erzählt, dass er kürzlich zu einem Chardonnay aus dem Burgund eingeladen war, von dem die Flasche beim Händler um die 50 Euro kostet, und der unter Kennern gleichwohl als echtes Schnäppchen gilt. Mein Freund trinkt durchaus gerne und leidenschaftlich, aber – wie sehr viele – kaum einmal einen Wein, der beim Winzer mehr als 30 Euro kostet. Den Chardonnay fand er „sehr beeindruckend“, aber, so sein Einwand, „ich weiß nicht, ob ich den Unterschied zu einer halb so teuren Flasche wirklich zu würdigen weiß“. Tatsächlich ist das Trinken großer Weine auch eine Sache der Erfahrung. Ich vergleiche das gerne mit dem Hören von Musik. Auch da braucht es, bis man die anspruchsvollen Werke zu schätzen lernt und ihnen nicht die verführerischen Schmeichler oder wuchtigen Säbelrassler vorzieht. Anders gesagt: Bartok oder Bach haben einfach mehr Ecken und Kanten als Mozart oder Wagner. Aber gerade das kann man mit der Zeit kennen und verstehen und dann meistens ganz besonders CYAN MAGENTA zudem beobachtet, dass die Felle von Nutztieren wie Kaninchen, Kuh und Lamm zunehmend die Frauen behängen. Tatsächlich werden nach Angaben der IFTF jährlich 647 000 Tonnen Überreste der Fleisch- und Fischindustrie der EU verwertet. Solche Produkte sind günstiger für Geldbeutel und Gewissen, meint François Poncet: „Es geniert weniger, wenn man Tiere trägt, die man isst.“ Und nachhaltig ist das ja auch noch. Grünes Licht also für Pelzliebhaberinnen? Vonseiten der Tierschützer nicht. Magnus Herrmann vom Naturschutzbund findet es zwar in Ordnung, wenn im Rahmen des Forstmanagements geschossene Tiere verwertet werden. Aber auf der Straße sollte man sie deshalb noch lange nicht zeigen. Die Argumentation: Schicke Pelze finden Nachahmer, und wenn die Nachfrage steigt, dann sind auch bald wieder die Wilderer unterwegs. çois Poncet die Wildware nicht empfehlen: „Die Qualität ist nicht so gut. Oder warum tragen die Schafherden für Armani-Felle wohl Mäntelchen im Regen?“ Am Ende ist das Thema Pelz komplexer, aber nicht einfacher geworden. Ein junges deutsches Label, dessen PR-Mitarbeiterin erst davon geschwärmt hat, dass die Firma nur Pelze von artgerechten Farmen verwendet, lässt wissen, dass die Designer zum Thema Pelz lieber nichts sagen möchten. Vielleicht hat sich die Sache 2010 ohnehin erledigt. Dann war der Pelzboom im Winter 2008/09 nur der letzte Gipfel der Dekadenz vor der Wirtschaftskrise, und im nächsten Jahr kommen karierte Wolle oder Steppjacken wieder groß heraus. Zwar gibt es genug Theoretiker, die gerade in dürren Zeiten die Kundinnen opulent gekleidet sehen wollen. Oder wie Nikolas Gleber den Pelzkauf für die Ewigkeit propagieren, weil das auf lange Sicht Und auch unter den Farmern gibt es weltweit günstiger ist. Wem das trotzdem zu teuer noch so viele schwarze Schafe, dass Magnus ist, der kann es wie die Kollegin von BianHerrmann zu dem Fazit kommt: „Natür- ca-Maria Keil machen und sich ein Stück lich ist alles geregelt, aber das ist für die Kaninchenfell in die Büroschublade leVerbraucher nicht nachvollziehbar. Die gen. Zum Streicheln, wenn’s stressig Rahmenbedingungen sind zu schwierig, wird. Aber am Ende ist und bleibt ein als dass man in Deutschland guten Ge- Pelz doch Luxus. Vor allem, wenn man wissens Pelz tragen könnte.“ Neben der ihn mit gutem Gewissen kaufen Gewissensperspektive gibt es noch die äs- will. Denn das ist natürlich noch ein thetische. Von der aus kann auch Fran- bisschen teurer. LÖFFELSTIL die schonend und durchschätzen lernen: große gegoren ausgebaut werKomplexität, Differenden und lange auf der ziertheit, auch EigenwilHefe lagern, alle Zeit, die ligkeit – in der Musik ganz sie brauchen, um herangenauso wie beim Wein. zureifen. Allen, die wie mein Das aktuelle ParadebeiFreund dahin unterwegs, spiel ist für mich der aber vielleicht noch nicht 2005er Weiler Schlipf Piangekommen sind, will not noir, der erst kurz vor ich heute einen ganz ausWeihnachten letzten Jahgezeichneten Etappen- Fritz Keller, Weingut, res auf die Flasche kam. wein empfehlen. Er Weinhandel, Restaurant Bestimmt nicht Everykommt, was für mich „Schwarzer Adler“, body‘s Darling, ein Roter durchaus eine Über- Oberbergen. für Fortgeschrittene, der raschung war, aus Weil am Rhein, das im äußersten Südwesten neben einer komplexen Struktur und des Markgräflerlandes direkt an der der sehr, sehr schönen Mineralität auch ein wunderbares Säurespiel besitzt. Schweizer Grenze bei Basel liegt. Dort hat er von den warmen Win- Dass er – nach meiner Einschätzung – den profitiert, die durch die Burgun- mindestens doppelt so viel wert ist wie dische Pforte aus Frankreich herüber- die 20 Euro, die er auf dem Weingut wehen, und von dem relativ unge- kostet, verkleinert den Reiz auch nicht wöhnlichen Untergrund der Süd-Süd- unbedingt. west-Steillage Weiler Schlipf. Schwere, kalkhaltige Lehmböden sorgen bei den 2005er Pinot noir, Weiler Schlipf des Weinen von dort für eine ausgeprägte Weinguts Schneider, Weil am Rhein. Mineralität. Dazu geben Claus und Preis: 20 Euro. Bezug: Weinhandel Susanne Schneider ihren Weinen, Schneider, Tel. 07621/728 17. Nummer: 09, Seite: 29 „Und warum dürfen wir nicht ›Geschwisterchen‹ zu dem Kleinen sagen?“ „Weil ihr mir mit dieser Verniedlichung nur vorgaukeln wollt, es würde sich um etwas Harmloses handeln.“ YELLOW BLACK