unsichtbare gegner
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unsichtbare gegner
MACHTKAMPF IN SANAA WIE ARCHAISCH IST DER JEMEN? MÄRZ / APRIL 2013 DER PREIS DES ERFOLGS WAS DIE TÜRKEI SICH LEISTET SINDBAD VS. SIEGFRIED WAGNER UND DIE ARABER WWW.ZENITHONLINE.DE Online Special Die Wirtschaftsseiten der neuen zenith UNSICHTBARE GEGNER WARUM ES IN ÄGYPTEN IMMER WIEDER KNALLT DEUTSCHLAND EURO 8,20 | ÖSTERREICH EURO 8,90 | BENELUX EURO 8,90 | SCHWEIZ SFR 13,50 ISSN 1439 9660 Iraq Healthcare Conference 2013 Lofoten (Norwegen) IM URLAUB DEN BLICK SCHÄRFEN in Begleitung von taz-KorrespondentInnen taz Reisen mit Umwelt-Schwerpunkt 27th – 28th May Erbil, Iraq Wenn Sie vom Urlaub mehr als Sonne und Freizeit erwarten: taz.die tageszeitung organisiert seit fünf Jahren Reisen in Begleitung von taz-MitarbeiterInnen. Diese ermöglichen Begegnungen mit Menschen, die sich in Projekten und Bürgerinitiativen engagieren. 2013 sind auch vier Reisen mit Umwelt-Schwerpunkt im Angebot – dank einer Kooperation mit dem Umweltmagazin zeo2 bei zwei dieser Reisen. Under the Patronage of the Iraqi Ministry of Health and the Kurdistan Regional Government Ministry of Health Featuring NORDFRIESLAND MIT HELMUT HÖGE Dr. Saif AlJaibeji Iraq Health, Chairman Iraq Healthcare Conference 2013 Chairman Wattenmeer und Windenergie 21. bis 25. Mai 2013; ab 750 € (DZ/HP/ohne Anreise) Veranstalter: Reisebüro Grunert, Husum Salman Al-Rawaf Imperial College London, Public Health Professor and WHO Office, Director SCHWEIZ MIT GERHARD FITZTHUM UND JÜRG MEYER Dr. Finn Goldner Healthcare/Investment Advisor, Former Director of Health System Financing at Abu Dhabi Health Authority Saad Othman Cambridge Academy for Higher Education, President Um intensivere Begegnungen zu ermöglichen, reisen Sie in kleinen Gruppen von max. 16 Personen. Und die Mitreisenden sind wie die meisten taz-LeserInnen: weltoffen und an sozialen Themen interessiert; sie sind gewohnt, auch individuell unterwegs zu sein, wissen aber eine Reiseleitung mit Kontakten zur Zivilgesellschaft zu schätzen: Gruppenreisen für IndividualistInnen. in Kooperation mit OekoGeno e.G., Freiburg Gletscherwelten – Alpenwanderung auf den Spuren des Klimawandels 24. bis 30. August ; ab 1.080 € (DZ/HP/ohne Anreise) Schweiz Veranstalter: tra cultura a natura, Lollar BADEN-WÜRTTEMBERG Dr. Michael Bitzer Daman Health, CEO Dr. Sami Al Amiri Mazars Chartered Accountants, Managing Partner MIT CHRISTIANE GROSSKOPF (ZEO2) UND PETER UNFRIED in Kooperation mit OekoGeno e.G., Freiburg Energiewende im „Musterländle“ – eine Reise zu innovativen Projekten. 16. bis 21. September 2013; ab 980 € (DZ/HP/ohne Anreise) There are open sponsorship opportunities. For more information please contact: laura@iraqhealthcareconference.com LOFOTEN (NORWEGEN) MIT RANVEIG ECKHOFF (ZEO2) Baden-Württemberg Veranstalter: TourSerail, Freiburg Ökosystem Meer: Reise ins bedrohte Reich von Dorsch und Seeadler 2. – 11. März 2014; Preis ab Ende März 2013 im Internet Veranstalter: Lappland Tours, Överkalix Patrons Organizers Partner Academic Partner Alle Infos (Programm, Veranstalter, Preise/Leistungen etc.) zu den taz Reisen in die Zivilgesellschaft unter www.taz.de/tazreisen oder am Telefon (030) 2 59 02-117 CHF 8,50 I USD 8,50 I GBP 5,20 I AED 32,00 I TRY 16,00 I KZT 1.400,00 I EURO 5,80 Nordfriesland ISSN 2193-0333 ZENITH 01/2013 · EDITORIAL Foto: Philipp Spalek ZENITH 1999 als Zeitschrift für den Orient gegründet, ist ein unabhängiges Magazin zum Nahen Osten, Afrika, Asien und der muslimischen Welt. zenith berichtet zweimonatlich über Politik, Wirtschaft und Kultur in einer Welt, die vielen in Europa fremd ist, aber immer näher rückt. Das Wort »zenith« (auch »Zenit«) ist das Ergebnis eines Orient-Imports: Es stammt von »samt«, einem in der arabischen Astronomie des Mittelalters geläufigen Begriff, der die »Richtung des Kopfes« bezeichnet. Wenn die Sonne im zenith steht, werden Schatten kürzer und es fällt Licht dorthin, wo es sonst eher dunkel ist – ein Leitmotiv für die Berichterstattung dieses Magazins. 3 s war einer dieser Tage, an denen eine Demonstration zum TahrirPlatz oder zum Präsidentenpalast zieht. Nichts Besonderes mehr in Kairo. »Beinahe überlegt man mittlerweile sogar, ob man überhaupt hingehen soll«, so unser Fotograf Philipp Spalek, der seit 2009 regelmäßig mehrere Monate in Ägypten verbringt. Sind es nicht am Ende immer wieder die gleichen Bilder? Schreiende Ägypter, die den »Sturz des Regimes« wollen. Soldaten und Polizisten. Tränengas. Dieser Tag jedoch war anders. Seit ein paar Tagen trieb ein mysteriöses Phänomen sein Unwesen in den Straßen Kairos. Alle Fotografen konzentrierten sich auf die vermummten Gestalten, die den Protestzug umkreist hatten, um die Demonstranten zu schützen. Politik und Staatsanwaltschaft nannten sie den Grund für die gewalttätigen Ausschreitungen, die Ägypten ab Ende Januar erneut erschütterten. Sie selbst nennen sich »Schwarzer Block«. Praktisch über Nacht war er berühmt geworden. Die Gruppe ist eine Reaktion auf die gewalttätigen Angriffe von Islamisten auf friedliche Demonstranten im Dezember 2012. Schutz der Demonstranten und Sturz des Regimes sind die Ziele der Aktivisten. Dabei gehen sie radikal und kompromisslos vor. An diesem Tag also stürzten sich alle Fotografen auf die Männer – und Frauen – mit den Kapuzenpullis und den Masken. Die Stimmung war angespannt. Eine Hand griff ins Bild, um Spalek daran zu hindern, Fotos zu schießen, anhand derer die Aktivisten identifiziert werden könnten. Unterdessen fuhren die Sicherheitskräfte Spezialeinheiten auf, um das Büro des Generalstaatsanwalts zu schützen. Eine weitere Radikalisierung in einem radikalen Umwälzungsprozess. Spaleks Bilder der Ausschreitungen in Kairo finden Sie ab Seite 16. In zwei weiteren Beiträgen beleuchten wir das Sicherheitsvakuum auf Ägyptens Straßen und den Kampf der politischen Fraktionen um die Deutungshoheit: Im Interview schildert der ehemalige Polizeioffizier Mahmud Qatari die Missstände im ägyptischen Polizeiapparat. Und Natalie Eiselstein fragt in einem Essay nach der Rolle des Märtyrers für das Gedenken an die Revolution. Ab Seite 28. INHALT MÄRZ/ APRIL 2013 Titel: Philipp Spalek Foto links unten: Philipp Spalek Foto rechts: Daniel Etter Foto rechts unten: Maike Pullo RUBRIKEN 03 06 12 50 52 65 82 100 102 108 111 112 114 »Klar, Wagner war Antisemit«, sagt Zaki Nusseibeh. Aber er habe universelle Fragen gestellt, befand der palästinensische Musikliebhaber im Interview anlässlich des Wagner-Jahres. 104 POLITIK DOSSIER: ÄGYPTEN 16 Schwarz ist die Revolution Auf Ägyptens Straßen nimmt die Anarchie zu 28 »Die Polizei ist schon vor Jahren zusammengebrochen« Ein ehemaliger Polizeioffizier legt Missstände offen 33 Das Blut der Märtyrer Der Kampf um die Toten der Revolution 38 Wird der Jemen morgen anders sein? Ein Gastbeitrag von Herta Däubler-Gmelin 42 Sehnsucht nach dem starken Mann Im Irak erleben Repression, Patronage und Zentralismus ein Comeback 47 Was Syrien jetzt braucht Vier Vorschläge, um noch mehr Blutvergießen zu vermeiden 48 War da was? Die Pressefreiheit im Nahen Osten bleibt bedroht Editorial Unser Bild vom Orient Profile Netzgeflüster Bilanz Almanach der Energien Der Sekretär Basar Neue Bücher Neue Musik Der kleine Arabist Momentaufnahme Kalender / Ausblick / Impressum 16 Trommeln für die Revolution: Seit wenigen Wochen macht in Ägypten eine neue Gruppierung von sich reden: der Schwarze Block. Was wollen die vermummten Revoluzzer? 78 Diese Zahlen sind nicht getürkt Wirtschaftsdaten zur Türkei 80 Ein riskanter Höhenflug Vorsicht ist geboten: Die Türkei kann schnell in eine Strukturkrise geraten KULTUR 84 Ayşe unchained Türkische Frauen zwischen Armut und Establishment 94 »The Kaiser’s spy« Warum Max von Oppenheims Ideen falsch bewertet werden 102 Keinesfalls veraltet Die Geschichten des türkischen Autors Sait Faik Abasıyanık 103 Im Schatten der Verantwortung Nir Barams Roman über Mitläufer im Zweiten Weltkrieg 104 »Der Fliegende Holländer könnte auch Sindbad heißen« Ein Gespräch mit dem arabischen Wagner-Liebhaber Zaki Nusseibeh 110 Die Tränen des Propheten Grenzenlos sind die wirtschaftlichen Ambitionen der Türkei. Doch sie wird Rückschläge verkraften müssen. Und mit dem Erfolg verändert sich auch das Gesicht des Landes. 74 WIRTSCHAFT 54 Roaaar Er kommt: Lykan. Ein Unternehmen – sieben Autos – ein Mann 56 »Die haben keinen Steve Jobs« Hala Fadel fördert junge Unternehmer im Nahen Osten 58 Bis der Arzt kommt Wo es im saudischen Gesundheitssektor zu investieren lohnt 61 Achtung, Sie verlassen den öffentlichen Sektor! In den Emiraten sollen mehr Start-Ups gegründet werden 62 »Es geht hier nicht um die Privatsphäre« Die Aktivistin Maryam al-Khawaja über digitale Spionage in Bahrain 66 Wettlauf gegen das Öl Tansania will seine Wirtschaft rechtzeitig fit machen 70 »Nackte Frauen helfen da nicht« Eine Akademie in Israel bildet orthodoxe Werbeexperten aus 74 Hart im Nehmen Die türkische Volkswirtschaft wächst weiter – mit Mut zum Risiko Muhammads Sohn Ibrahim soll früh verstorben sein – heißt es 84 Welten scheinen die Lebensumstände türkischer Frauen voneinander zu trennen: Denn in kaum einem anderen Land wird der Kampf um Gleichberechtigung so hart ausgefochten. WIRTSCHAFT · BILANZ INSELN MIT ANKER Arabische Händler sollen die Seychellen einst entdeckt haben – nun erobern sie das Archipel im Indischen Ozean abermals: Seit Jahren kaufen wohlhabende Emiratis und Angehörige der Herrscherfamilie von Abu Dhabi dort Grundbesitz und erhöhen die Direktinvestitionsrate. Eine Studie zum ENTWICKLUNG DER SEYCHELLEN HERKUNFTSL ÄNDER VON TOURISTEN IM 1. QUARTAL 2013 1 FRANKREICH 2 DEUTSCHLAND INFLATION 2011 2,5 2012 3,5 2013 3,7 3 ITALIEN REALES BIP-WACHSTUM PRO KOPF 4 RUSSLAND 2011 2,5 5 CHINA 2012 3,5 6 VAE 2013 3,7 (QUELLE: NATIONAL BUREAU OF STATISTICS, SC) / (SCHÄTZUNGEN DES OECD AFRICAN ECONOMIC OUTLOOK) 52 FINANZIERT TARIF AKHRAS HEIMLICH DIE OPPOSITION? Von einem prominenten Mitglied des syrischen Präsidentenclans erwartet man andere Auftritte – vor allem, dass er sich bedeckt hält und sich im Ausland nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigt. Aber Tarif al-Akhras, der 62-jähriige, ältere Bruder der Präsidentengattin Asma al-Assad, erschien Anfang Februar auf einem Branchengipfel der Zuckerindustrie, der »Kingsman Sugar Conference« in Dubai. Akhras, Besitzer mehrere Zuckerraffinerien und Süßwarenfabriken, klagte dort über einen drastischen Konsumeinbruch in Syrien. Der Mann hat Sorgen, mögen sich jene Verwandte des Präsidentenpaars gedacht haben, die derzeit Militär und Sicherheitskräfte kommandieren und ihren Untergang abwenden wollen. Akhras, langjähriger Wirtschaftsverbandsfunktionär, Präsident der Handelskammer der Industriestadt Homs, Großinvestor, Zuckerkönig und Initiator eines »Disney-Parks« in Syrien, stand schon verhältnismäßig früh auf den Sanktionslisten der Europäischen Union. Als Baschar al-Assads Schwager war er ein naheliegender Kandidat – er klagte vergeblich in Straßburg gegen diese Maßnahme; sein Mandant, so erklärte Akhras’ Anwalt, ha- be deshalb sogar Todesdrohungen von Regimegegnern erhalten. Es herrscht wohl Einigkeit darüber, dass Akhras längst kein so ein brutaler Profiteur des Regimes ist wie Assads Cousin Rami Makhlouf. »Gegen Akhras konnte man vor einem syrischen Gericht einen Prozess gewinnen, gegen Makhlouf nicht«, sagt ein Rechtsanwalt, der vor einigen Jahren mehrere gekündigte Mitarbeiter von Akhras vertrat, im Gespräch mit zenith. In Syrien kursierten damals Gerüchte, Akhras habe einen Teil seines Vermögens UNGEMACH FÜR BEIRUTS BANKEN Angesichts lähmender Haushaltsstreits im Kongress sucht das US-Finanzministerium neue Einnahmequellen. Wenn Steuern nicht erhöht, so sollen sie wenigstens effektiv eingetrieben werden – auch im Ausland. Den größten Erfolg verzeichneten die Fiskalbeamten des Internal Revenue Service im Fe- bruar, als die Schweiz sich den Bestimmungen des Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) beugte. Auch der Bankensektor in Nahost muss sich nun auf Druck aus Washington gefasst machen und seinen Kundenbestand prüfen: Die Meldepflicht wird im Januar 2014 wirksam. Wie im während der Embargo-Jahre gegen das Saddam-Regime im Irak verdient: mit Schmuggel -Geschäften. Andere bescheinigen ihm den Leumund eines unbescholtenen Kaufmanns. Als Spitzenvertreter der sunnitischen Elite in Homs, wo der Aufstand gegen Assad schon früh losbrach, steckte Akhras in einer besonders verzwickten Lage – und anscheinend meistert er sie sehr geschickt. Bereits im Sommer 2012 gab es Hinweise darauf, dass Akhras hinter den Kulissen und mit seinen – also finanziellen – Mitteln die Opposition unterstützt. Dabei ist anzunehmen, dass er auf beiden Seiten der Front dringend benötigte Finanzhilfen verteilt, also gewissermaßen auf Rot und Schwarz zugleich setzt. »Er steht voll auf unserer Seite«, sagt ein anderer Unternehmer und Unterstützer der Aufständischen im Gespräch mit zenith. Seinen Aufenthaltsort hält Akhras geheim. Sein lässiger Auftritt beim Dubaier Zuckergipfel, aber auch Hinweise von Oppositionellen lassen darauf schließen, dass Akhras derzeit in den Emiraten residiert. Bis vor wenigen Wochen hieß es noch, er sei in Homs und sorge sich um die Importpreise für Rohzucker. Als wäre sonst nicht viel passiert. Schweizer Fall sollen die Geldinstitute Daten über die Zentralbanken sammeln und übermitteln. Verhandlungen laufen in der Region bisher mit Israel und dem Libanon. Der Zedernstaat steht im Visier der Ermittler, da FATCA nicht nur steuerprellende Expats, sondern auch Netzwerke zur Geldwäsche aufdecken soll. So fallen Doppelstaatsbürger, Greencard-Besitzer und selbst Personen mit US-Wohnsitz unter die Regelung, Illustartion: LeSprenger / Foto: Emirates ROT ODER SCHWARZ BILANZ · WIRTSCHAFT so genannten Performanzindex des GIGA-Instituts von 2012 bescheinigt den Seychellen die besten Leistungsperspektiven Afrikas. Der IWF hält derzeit ein Gesamtwachstum von 3 Prozent für realistisch. Immerhin: Während der Finanzkrise 2008 galten Seychellen-Bonds noch als wertlos. Im August 2012 erhielten die Seychellen endlich ein Breitband-Unterseekabel. Zudem profitieren sie von der liberalen Einreise-Politik: Auch afghanische oder pakistanische Staatsbürger benötigen kein Visum. Was die Regierung in Victoria nicht steuern kann, sind Tourismus-Trends und 53 Energiepreise: Diese treffen ein Land im Ozean naturgemäß. Ein Prominenter suchte im Winter Asyl auf den Seychellen: Sakhr el-Materi, 31, Schwiegersohn von Tunesiens Ex-Diktator Ben Ali. Tunis will die Auslieferung des Millionärs; aber Victoria bleibt gastfreundlich. CHINESEN AM ARABISCHEN MEER Eigentlich würde Emirates gerne nach Berlin und Stuttgart fliegen, aber Warschau ist zunächst auch nicht so schlecht. EK0179 aus Dubai landete im Februar erstmals auf dem Chopin-Airport. Polens Ministerpräsident Donald Tusk ließ dort Protokoll auffahren und schüttelte dem Chef der Emirates Group, Scheich Ahmad bin Saeed Al Maktoum die Hand. 2013 sollen unter anderem Algier und eine weiteres Ziel in Japan angeflogen werden. Allianzen schmieden will der Carrier noch immer nicht – auch keine Beteiligungen auf dem als lukrativ geltenden südamerikanischen Flugmarkt. »Wir konzentrieren uns auf eigenen Stärken«, sagt Hubert Frach, Vice-President und Ex-Lufthansa-Manager gegenüber zenith. Allerdings können nun Emirates-Kunden ihre Bonusmeilen bei der Billig-Airline Easyjet in Europa abfliegen. Steuern, Gebühren und Zuschläge machen dort ohnehin den Großteil des Ticketpreises aus; die Vorteile für Vielflieger bleiben also überschaubar. Der Staatskonzern China Overseas Port Holding Company (COPHC) betreibt den pakistanischen Tiefseehafen Gwadar – seit Januar 2013 auch offiziell. Die Chinesen hatten bereits den Löwenanteil der Baukosten für die 2007 abgeschlossene erste Projektphase gestemmt. Die Konzession ist auf 40 Jahre befristet. 2012 hatte der eigentlich Gewinner der Ausschreibung, die Port of Singapore Authority (PSA), nach einem Streit das Handtuch geworfen. Es heißt, nur der bis 2008 regierende, westlich orientierte General Musharraf habe einst verhindert, dass Gwadar damals schon an die Chinesen ging. Peking wartet noch immer auf ein Freihandelsabkommen mit Pakistan; die Lage zum Golf und Gwadars Ölterminals sind für China aber besonders attraktiv. Das Land könnte seine Westprovinzen über den Karakorum Highway mit Pakistans Küste verbinden – durch einen »Himalaya-Brenner«. Pakistan hingegen braucht Verstärkung für die überlasteten Häfen Karachi und Qasim, die 90 Prozent des Außenhandels umschlagen. Gwadars Lage in der Unruheprovinz Belutschistan ist für das Projekt nicht die größte Sorge. Nur wenige Kilometer entfernt baut Iran den Konkurrenzhafen Chahbahar. Hauptinvestor: Pakistans Erzfeind Indien. als angeblicher Drogen- und Waffenfinanzier der Hizbullah auf die schwarze Liste kam. Washington verdächtigt Beirut weiterhin, als Umschlagsplatz zur Umgehung der Sanktionen gegen Iran und Syrien zu dienen. Die Ausweitung der FATCA-Kriterien würde den US-Fahndern weit häufiger Zugriff auf Kontodaten geben, um »verdächtige Transaktionen« zu prüfen. Weitere Erschütterungen für den Finanzplatz Beirut zeich- nen sich auch im Fall des Sturzes des syrischen Assad-Regimes ab. Nach Erkenntnissen von Finanz-Forensikern haben Mitglieder des Clans und des Sicherheitsapparats in den vergangenen Jahrzehnten Milliardensummen durch den Libanon geleitet. »Prominente Zentralbanker und Politiker in Beirut müssen sich deshalb auf Ärger gefasst machen«, sagt ein Ermittler im Gespräch mit zenith. EMIRATES WILL SOLO BLEIBEN »WIR KONZENTRIEREN UNS AUF EIGENE STÄRKEN« gemeldet werden müssen neben Konten auch Firmenbeteiligungen und Versicherungen. Bei Nichtbefolgung droht ein Strafzoll von 30 Prozent auf Vermögenswerte in den USA. Da im Libanon damit das Bankengeheimnis zur Disposition steht, wird sich die Branche etwas einfallen lassen müssen. Die US-Behörden statuierten 2012 ein Exempel an der Lebanese Canadian Bank: Das Geldinstitut musste schließen, nachdem es 54 WIRTSCHAFT · VAE · AUTOMOBILINDUSTRIE Extravagante Boliden sind beliebt am Golf. In diese Kerbe schlug nun der erste arabische Hypercar-Hersteller WMotors, als er im Januar auf der »Qatar Motorshow« den aggressiven Lykan präsentierte: Gold- und Platinfäden für die Innenausstattung, Kohlefasern für die Karosserie – und 420 15-Karat-Diamanten in den Frontscheinwerfern (die Farbwahl obliegt dem Käufer). Damit dürfte der Gründer von WMotors, Ralph R. Debbas, seine Ankündigung, das »teuerste, exklusivste und luxuriöseste Auto der Welt« zu bauen, einigermaßen erfolgreich umgesetzt haben. 750 PS 0–100 : 2.8 SEKUNDEN 3.4 MILLIONEN US$ AUTOMOBILINDUSTRIE · VAE · WIRTSCHAFT Der Absolvent der School of Art & Design der Coventry University gründete das Unternehmen im Libanon, verlegte dann aber den Sitz in die Vereinigten Arabischen Emirate. Unterstützung für Technik und Design des Hypercars gab es von Magna Steyr Turino sowie RUF, der deutschen Manufaktur für Hochleistungsfahrzeuge. Das 4,3 Millionen US-Dollar teure Auto bringt es auf potente 395 km/h. Ein Geschwindigkeitsrausch, den freilich sehr wenige werden genießen können: Debbas möchte nur sieben Modelle des Lykan bauen lassen. 55 WIRTSCHAFT · LIBANON · PROFIL »Die haben keinen Steve Jobs« Die arabische Welt ist träge – und wer mit Mädchennamen »Frangieh« heißt, setzt sich ins gemachte Nest? Hala Fadel tritt an, um solchen herkömmlichen Weisheiten zu widersprechen VON LAURA GINZEL ƀLJƍY((,LJ"(LJ(!-.LJ0),LJ,/(ŻLJ#LJ%&/!LJ und schön zugleich sind«, sagt Hala Fadel. Das hat man sicher schon einmal gehört – aber angesichts der aktuellen Sexismus-Debatte in Deutschland kann es nicht schaden, es noch einmal zu erwähnen. Schließlich lebt Fadel, 39, im Libanon, wo die Beschäftigungsquoten von Frauen in führenden Positionen zwar nicht mit denen Saudi-Arabiens zu vergleichen, aber ähnlich beschämend sind wie in der Bundesrepublik. Rund ein Viertel der Frauen im Libanon sind berufstätig und machen damit um die 30 Prozent der Erwerbstätigen im Land aus. Sie haben nach Fadels Ansicht aber kaum familiäre Unterstützung für eine Karriere. »Ich habe einen Karriere-Coach. Wir treffen uns einmal die Woche und planen meinen Tagesablauf, sodass ich genügend Zeit für meine Kinder und für meine Projekte habe«, erklärt die dreifache Mutter im Gespräch mit zenith. Sie ist sich bewusst, wie wichtig der familiäre Rückhalt für ihren eigenen Erfolg war: Ihr Mann Robert Fadel ist Abgeordneter im libanesischen Parlament und Direktor einer Stiftung zur Wirtschaftsförderung. Sie selbst stammt aus dem weitläufigen Großgrundbesitzer-Clan der Frangieh aus dem Norden des Libanon, allerdings nicht aus einem der wohlhabendsten Zweige. Dennoch, so mögen Kritiker, einwenden, habe sie leicht reden über die »Trägheit und Energiearmut der Menschen in der arabischen Welt«. Aber sie unternimmt etwas dagegen: Bereits 2005, also mit 32 Jahren, gründete Fadel das »MIT Enterprise Forum of the Pan Arab Region« – einen Ableger der weltweit aktiven MIT-Foren, die »Alles, was junge Unternehmer hier sehen, sind Machthaber, die nicht für ihre Position oder ihren Reichtum kämpfen mussten.« Kapital und Technologie vernetzen wollen. »MIT« steht für »Massachusetts Institute of Technology«, die amerikanische Kaderschmiede, wo die Netzwerke und Ideenwettbewerbe der Foren entstanden. Im Gründungsjahr, so erinnert sich Fadel, bewarben sich 1.500 Teams mit Geschäftside- en für den Wettbewerb, mittlerweile sind es mehr als 5.200 aus 20 Ländern der Nahost-Region. Und der Anteil an weiblichen Team-Mitgliedern wachse rasant: »Wir sind inzwischen bei der Hälfte der Bewerber angekommen – das hätte man von der arabischen Welt gar nicht erwartet!« Die üblichen Verdächtigen: Frauen und Palästinenser Innovation, Skalierbarkeit und Bedeutung des Projekts für die Region – das sind die Hauptkriterien der Juroren. Ziel sei es, Netzwerke zu bilden, auf die junge Unternehmer ein Leben lang zurückgreifen können: »Die haben keinen Steve Jobs, zu dem sie aufschauen können. Alles, was sie sehen, sind Machthaber, die nicht für ihre Position oder ihren Reichtum kämpfen mussten«, kritisiert Fadel. Sie selbst hat im Alter von 16 Jahren angefangen zu jobben und sich ihr Studium in Cambridge und Paris durch Arbeit und Stipendien finanziert. Danach arbeitete Fadel zunächst als Analystin im Fusionsgeschäft bei der Investment-Bank Merill Lynch. Heute verdient sie ihr Geld als Fondsmanagerin und engagiert sich ehrenamtlich im Projekt »Social Challenge«, das ab September 2013 Konzepte zur Armutsbekämpfung in der arabischen Welt prämiert. Ihren Unternehmergeist entdeckte Fadel 1999 während ihres Master-Studiums an der Sloan School of Management des MIT: »Damals hat jeder seine eigene Firma aufgemacht – ich wollte da nicht hinten anstehen«, erzählt sie. Sie bewarb sich bei einem Förderwettbewerb mit der Idee für eine Software zur Minimierung der Telekommunikationsausgaben von Banken, gewann und verkaufte schließlich nach zwei Jahren ihren ersten eigenen Betrieb. Ihr eigenes Forum in der arabischen Welt sieht sich mit vielen bürokratischen Hürden konfrontiert. Die Endrunde des Wettbewerbs findet jedes Jahr in einem anderen Land der Region statt. »Wohl nicht mehr in Saudi-Arabien«, schimpft Fadel: Der Hälfte der Teilnehmer hätten die Saudis 2008 die Einreise zur Eröffnungszeremonie verweigert. Frauen und Palästinenser hätten es besonders schwer gehabt: »Die einen hielten sie für Prostituierte, die an,(LJ į,LJ,,),#-.(źƌLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJƀ Foto: privat 56 73 58 WIRTSCHAFT · SAUDI-AR ABIEN · GESUNDHEITSMARKT Bis der Arzt kommt Saudi-Arabiens Gesundheitsmarkt wächst, und die Politik will den privaten Sektor stärken. Noch ist der Staat Hauptanbieter und Zahlmeister zugleich – dabei fehlen Regulierungen und messbare Qualitätsstandards. Wo lohnen sich Investitionen, und welche Entscheidung gilt es jetzt zu treffen? VON FIRAS EID ƀLJ#.LJ("4/LJŲŰLJ#&&#,(LJƐ)&&,LJ/-!(LJ į,LJ(LJ-/(heitssektor im Jahr 2010 belegte Saudi-Arabien den ersten Platz unter den Golfstaaten – und hält ihn auch weiterhin. In den letzten fünf Jahren erfuhr der Sektor ein Wachstum im zweistelligen Bereich, derzeit wird ein jährliches Wachstum um 12 Prozent prognostiziert. Als Gründe hierfür gelten die Einführung der Krankenversicherungspflicht, eine wachsende, alternde Bevölkerung sowie die rapide Ausbreitung moderner Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Fettleibigkeit. Aber auch ein steigendes Gesundheitsbewusstsein und höhere Einkommen spielen eine Rolle. Neben dem Gesundheitsministerium, welches rund 60 Prozent der saudischen Krankenhäuser besitzt und betreibt, sind andere Regierungsorganisationen wie die Nationalgarde, die Königliche Kommission, medizinische Fakultäten und die Ministerien für Verteidigung, Inneres und Luftfahrt Schlüsselfiguren der nationalen Gesundheitsindustrie. Der Privatsektor verfügt derzeit über 31 Prozent der Krankenhauskapazitäten. Von 2007 bis 2009 stieg der Anteil des Privatsektors im saudischen Gesundheitswesen von 21 auf 33 Prozent Zwischen 2006 und 2010 ging die Regierung entscheidende Schritte: etwa die Einführung einer Versicherungspflicht für Expatriates und Privatfirmen – man nimmt an, dass dies in naher Zukunft für alle Einwohner Saudi-Arabiens gelten wird. Darüber hinaus implementierten die Behörden ein Informations- und Management-System für Patienten, ein ambitioniertes E-Health-Programm, welches 220 Krankenhäuser und weitere rund 2.000 medizinische Zentren im Land vernetzen soll. Der laufende Fünfjahresplan (2010–2014) veranschlagt 9 Milliarden Rial, also 2,4 Milliarden US-Dollar, für verschiedene Gesundheitsinitiativen, darunter auch den Bau von 120 Kliniken. Eine detaillierte Analyse zeigt, dass eine größere Beteiligung des Privatsektors – trotz der inhärenten Vorteile wie Erweiterung und Verbesserung des Angebots – mit Schwierigkeiten verbunden ist: Zunächst einmal ist die Regierung weiterhin der größte Zahlmeister im Gesundheitswesen. So beglich der Staat 2009 rund 70 Prozent der Kosten für Gesundheitsfürsorge; 70 Prozent der 400 Krankenhäuser in Saudi-Arabien liegen in öffentlicher Hand. Allerdings sind die staatlichen Ausgaben für Gesundheit gemessen am BIP relativ gering, zumindest für entwickelte Staaten. 2010 lagen die Ausgaben für Gesundheitsfürsorge bei ungefähr 5 Prozent des BIP – zum Vergleich: in Deutschland bei 9,3 und in Großbritannien sogar bei 11,3 Prozent. Zieht man in Betracht, dass staatliche Krankenhäuser nicht derart kostengetrieben sind und ihre Leistungen zu subventionierten Preisen anbieten, ist eine eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit für Privatkliniken zu befürchten. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsinfrastruktur in den Golfstaaten und Saudi-Arabien nach wie vor nicht mit internationalen Standards mithalten kann und die öffentliche Ordnung bislang wenig Anreize für den Privatsektor geschaffen hat, maßgeblich zur Verbesserung dieser Standards beizutragen. Selbst die angestrebte Anzahl der verfügbaren Krankenhausbetten von 3,2 pro 1.000 Einwohner liegt unter dem globalen Durchschnitt und weit hinter Ländern wie Großbritannien mit 3,89 und Deutschland mit 8,9 Betten pro 1.000 Einwohner. Erschwerend kommt hinzu: Der Aufbau medizinischer Einrichtungen ist kapitalintensiv; Investitionen rentieren sich nur langfristig. Außerdem ist eine Projektfinanzierung auf Basis der konventionellen Eigenkapitalsbeteiligung oft kompliziert: Banken fürchten, das Risiko eines Aktiva-Passiva-Ungleichgewichts tragen zu müssen – und ein Krankenhaus ist keine Fabrik, der man einfach die Kreditlinie streichen oder den Finanzierungsvertrag kündigen könnte. Eine der größten Herausforderungen des saudischen Gesundheitssystems ist indes die starke Abhängigkeit von Expatriates und Knappheit an medizinischem Personal: 2010 leisteten in Saudi-Arabien schätzungsweise rund 67.000 Ärzte und 129.000 Pflegekräfte ihren Dienst am Patienten. Der Anteil von Ausländern liegt bei 67 und 78 Prozent. Ende 2009 kamen im Königreich auf 10.000 Einwohner 21,6 Ärzte und 43,7 Schwestern und Pfleger. Expats weisen eine hohe Fluktuation auf – insbesondere Pflegekräfte bleiben im Durchschnitt nur zwei Jahre lang im Land. Deshalb bemüht sich die Regierung, die Anzahl des saudischen Fachpersonals zu erhöhen. Das Bildungsministerium versucht, diesem Trend durch Ausbau medizinischer Fakultäten und Lehrkliniken entgegenzuwirken. Im gleichen Jahr verkündete Saudi-Arabien eine Trainingskooperation für saudisches Fachpersonal mit Irland. THEMA · LANDISTAN · WIRTSCHAFT VERFÜGBARE KRANKENHAUSBETTEN PRO 1000 EINWOHNER SAUDI-ARABIEN ENGLAND DEUTSCHLAND 3,2 3,89 8,9 ÄRZTE IN SAUDI-ARABIEN 67.000 67% AUSLÄNDISCH PFLEGEKRÄFTE 129.000 78% AUSLÄNDISCH ÄRZTE , SCHWESTERN & PFLEGER PRO 10.000 EINWOHNER ÄRZTE 21,6 PFLEGEKRÄFTE 43,7 7 VON 27 MILLIONEN HABEN EINE KRANKENVERSICHERUNG Mit nur 5 Prozent des BIP liegen die Ausgaben für Gesundheit in Saudi-Arabien weit unter denen entwickelter Industriestaaten Das Versicherungssystem muss überholt werden: Eine Krankenversicherung ist bislang nur für Expats und Privatunternehmen verpflichtend. Ende 2009 hatten somit 7 der 27 Millionen Einwohner einen Versicherungsvertrag, was für eine sehr geringe Marktdurchdringung spricht. Die Krankenversicherungen übernehmen immer mehr Versorgungskosten direkt – absehbar ist, dass zwischen Gesundheitsdienstleistern und Versicherungen Informationslücken entstehen werden: Die bereits sehr ausgedehnten Zahlungsfristen in Saudi-Arabien verlängern sich dadurch, was ein erhöhtes Ausfallrisiko für Gesundheitsversorger impliziert. Da es an einer zentralen Datenbank zur Erfassung von Versicherungskartennutzern mangelt, kann auch der Zugang zu verschiedenen medizinischen Versorgungsquellen nicht nach- 59 60 3,2 WIRTSCHAFT · SAUDI-AR ABIEN · GESUNDHEITSMARKT PRO 1.000 EINWOHNER BETRÄGT DIE KAPAZITÄT AN KRANKENHAUSBETTEN IN SAUDI-ARABIEN. IN DEUTSCHLAND LIEGT DIE QUOTE BEI 8,9 vollzogen werden – somit könnten einige Versicherungen an sie gestellte Forderungen zurückweisen. Investoren in den saudischen Gesundheitsmarkt muss klar sein: Auch wenn die Krankenversicherungsbranche momentan von drei großen Anbietern – Tawuniya, MedGulf und Bupa – dominiert wird, ist zu befürchten, dass mit zunehmendem Wettbewerb der Preisdruck auf Gesundheitsdienstleister steigen wird: Der Preis wird schließlich das Unterscheidungsmerkmal der Versicherungen sein. Mängel in den Regulierungen stellen derzeit eine Gefahr für den Patienten dar: Sofern diese überhaupt durchgesetzt werden, gelten sie auschließlich für private Einrichtungen, staatliche Gesundheitseinrichtungen sind davon vorerst nicht betroffen. Die Qualitätsstandards der privaten Serviceanbieter sind noch undurchsichtig, viele Patienten verstehen sie nicht und treffen ihre Entscheidung auf Basis von Mundpropaganda, Werbung und äußeren Eindrücken, was es Qualitätsanbietern erschwert, durch Leistung zu brillieren. Eine umfassende Reform der Regulierungen scheint notwendig, um Billiganbieter im Zaum zu halten und Sicherheit für Patienten zu garantieren. Nicht zuletzt konzentrieren sich Gesundheitsdienstleister im Königreich auf die urbanen Zentren Riad, Dschiddah, Dammam und Khobar. Vororte und ländliche Gegenden bleiben schlecht versorgt. Die Qualitätsstandards der privaten Serviceanbieter in Saudi-Arabien sind undurchsichtig; viele Patienten verstehen sie nicht Zweifelsohne hat der saudische Gesundheitssektor also viel Raum für Ausbau und Verbesserungen. Eine Gesundheitsreform muss unter anderem eine verstärkte Einbindung qualitativ hochwertiger privater Akteure zum Ziel haben. Des Weiteren sollte sich die Rolle der Regierung schrittweise vom führenden Anbieter und Financier zu der eines Reformbeschleunigers und Regulators wandeln. Um finanzielle Hürden für neue, private Einrichtungen abzubauen, braucht es öffentlich-private Partnerschaften, neue öffentlich-rechtliche Unternehmen und finanzielle Förderungen. Das Preisgefälle zwischen öffentlichen und privaten Anbietern muss schrittweise reduziert werden. Transparente Qualitätsstandards sind unabdingbar. Bereits die Verbesserung der medizinischen Ausbildung in Saudi-Arabien hätte eine Leistungssteigerung zur Folge und könnte zugleich die hohe Fluktuation ausländischen Personals verringern. Das Unternehmen Brighton Hospital, zweitältester Anbieter für die Behandlung von Alkohol- und Drogenmissbrauch in Nordamerika, soll Saudi-Arabien nun beim Aufbau eines Suchtbehandlungszentrums in Riad unterstützen. Der deutsche Anbieter Vivantes zeichnete eine Vereinbarung mit dem saudischen Gesundheitsministerium, um den Medizintourismus zwischen Deutschland und Saudi-Arabien zu stärken. Die renommierten amerikanischen Institutionen Cleveland Clinic and John Hopkins Medicine entwickeln und managen indes bereits seit einigen Jahren Einrichtungen im benachbarten Abu Dhabi. Allein 2011 haben die Golfstaaten sechs neue Kooperationsprojekte mit internationalen Anbietern aus den USA, Indien, Korea und Großbritannien angekündigt. Private Anbieter müssen sich entscheiden: direkt investieren oder Management-Verträge zeichnen? Die Entwicklung des privaten Gesundheitssektors ist nicht zuletzt auch ein Maß für den Entwicklungsstand eines Landes. Die Golfstaaten stehen vor einer Nachfrage, die das Angebot an Gesundheitsleistungen übersteigt. Für private und internationale Anbieter gibt es daher unterschiedliche Möglichkeiten, im Gesundheitsmarkt der Golfstaaten mitzumischen. In Saudi-Arabien werden deutsche medizinische Fertigkeiten und Leistungen geschätzt. Daher stellen Unterstützung in Ausbildung und Training, Beratungsangebote und Managementvereinbarungen zur Effizienz- und Qualitätssteigerung exzellente Möglichkeiten für deutsche Anbieter dar. Um das hohe Risiko direkter Investments zu verringern, bietet sich die Gründung von Joint Ventures mit lokalen Anbietern an. Gleichzeitig können internationale Anbieter ihre Dienstleistungen im Gesundheitstourismus ausbauen: Die Richtgröße von 8.000 saudischen Patienten, die jedes Jahr für Behandlungen nach Deutschland reisen, macht nur einen sehr kleinen Anteil aus. Obwohl es keine offiziellen Zahlen gibt, ist die Gesamtzahl der ins Ausland reisenden Patienten vermutlich viel höher und liegt im sechsstelligen Bereich. Deutschland hat beachtliche Erfahrung mit einem öffentlichen Gesundheitssystem, der Regulierung von Leistungen und der sorgsamen Privatisierung öffentlicher Krankenhäuser seit 1984. Von dieser Erfahrung könnten die Regierungen der Golfstaaten bei der Reform ihrer Gesundheitssysteme maßgeblich profitieren. Zweifellos wollen die politischen Entscheidungsträger in Saudi-Arabien die Rolle der privaten Anbieter stärken. Private Anbieter müssen sich dann entscheiden, ob sie Verwaltungsverträge mit der öffentlichen Hand abschließen, ihre eigenen Einrichtungen betreiben oder sich weiterhin auf Spezialgebiete in der ,.#Y,0,-),!/(!LJ-",Y(%(LJ1)&&(źLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJƀ Firas Eid ist ehemaliger »Strategy Consulting Leader« für Nahost der Beratungsfirma Deloitte und begleitet heute Gesundheitsunternehmen bei strategischer Planung und beim Markteintritt in den Golfstaaten. STARTUPS · EMIR ATE · WIRTSCHAFT 61 ACHTUNG S I E V E R L A S S E N D E N ÖFFENTLICHEN SEKTOR! Die emiratische Jugend soll mehr Start-Ups gründen: Staatliche Programme fördern junge Unternehmer, aber noch fehlt privates Risikokapital VON LAURA GINZEL ƀLJ)/&)/LJ"4(LJ4ŻLJųűŻLJ%((LJ#",LJ&į%LJ()"LJ#'',LJ%/'LJ -- kapitalgeber für Start-Ups unterwegs sind: »Die meisten Grünsen: Sie hat eine Förderung in Höhe von 1 Million Dirham, rund der wissen nicht einmal, wohin sie sich mit ihren Ideen wenden 200.000 Euro, bekommen – gesponsert vom Telefonanbieter können«, machte Al Gurg in der Sendung ihrem Ärger Luft. du und der Beratungsfirma Ernst &Young. Dazu erhält sie für Derzeit kümmern sich vor allem der Khalifa Fund, die ein Jahr Büroräume, Telekommunikations- und Marke- staatliche Fördergesellschaft Dubai SME oder der Mohammed ting-Support. In zwölf Runden hat sich Baz Ende letzten Jah- bin Rashid Fund um junge Gründer. Letzterer wurde erst im res mit ihrer Start-Up-Idee »Nabbesh« durchgesetzt – ein sozi- Dezember 2012 ins Leben gerufen und soll fortan jährlich 100 ales Netzwerk für Freischaffende aus der Kreativbranche. junge Unternehmer und ihre Projekte finanzieren. 2.000 Mitbewerber hatten sich nach Angaben der Veranstalter Dubai SME hat sich auf die Fahnen geschrieben, jungen bei der TV-Show »The Entrepreneur« gemeldet. In den Emira- Emiratis das Unternehmertum als Alternative zur Karriere in ten ansässige Gründer konnten in einer zweiminütigen Vi- staatlichen Behörden schmackhaft zu machen. Das Programm deobotschaft ihre Business-Idee pitchen. Die besten 100 Be- »Young Entrepreneur Competition (YEC)« soll »frühzeitige werber wurden persönlich eingeladen. In der Jury saßen Un- unternehmerische Erziehung« leisten und mit dem Bildungsternehmen wie Virgin Media Mega Stores Middle East und ministerium der Emirate kooperieren. Es richtet sich an Schüler und Studenten zwischen 15 und 25 Jahren. Für 2013 rechPetrochem Middle East. »The Entrepreneur« ist das bislang medienwirksamste ei- nen die Veranstalter mit rund 1.000 Anmeldungen, 15 Prozent ner Reihe von Projekten, mit denen die Emirate ihre jungen Zuwachs im Vergleich zu 2012. Bürger aus dem gemütlichen Alltag locken wollen; Expats und Die Organisation Injaz kooperiert seit zwei Jahren mit dem Gastarbeiter stellen die überwältigende Mehrheit in der freien Khalifa Fund. Insgesamt unterstützt der Khalifa Fund die OrWirtschaft. ganisation mit 1,5 Millionen Dirham, um mehr als 4.000 SchüVon den Einheimischen sind mehr als 85 Prozent der Er- ler und Studenten zwischen 13 und 24 Jahren in Finanzplawerbstätigen bei Ämtern beschäftigt, weitere 8 Prozent arbei- nung, Kommunikationsfähigkeiten und kreativem Denken zu ten in Public Private Partnerships, nur 7 Prozent im privaten schulen – mithilfe eines Mentorennetzwerks aus der PrivatSektor. Arbeitlose Jugendliche wünschen sich laut einer Studie wirtschaft. Bislang habe Injaz bereits mehr als 15.000 junge aus dem Jahr 2011 zu fast 95 Prozent einen Behördenposten, so Emiratis erreicht, freut sich Geschäftsführerin Sulaf al-Zubi: ermittelte Samer Kherfi, Professor für Betriebswirtschaft an »Wir wissen, dass nicht jeder ein Entrepreneur sein kann, aber der American University im Emirat Sharjah: »Der öffentliche die Jugendlichen verstehen jetzt ihre Fähigkeiten und MöglichSektor bietet signifikant höhere Einkommen als private Unter- keiten.« Für Shadi Banna, Mitinhaber der Onlineplattform ponehmen. Hinzu kommen eine entspanntere tential, ist allerdings entscheidend, dass Arbeitsatmosphäre und kürzere ArbeitszeiGründer in den Emiraten nicht bloß Konten. Die Konkurrenz im Privatsektor ist zepte und Ideen anderer Länder importieren. »Wir brauchen eigene Geschäftsmodelgroß, Emiratis sind oft schlechter qualifile und -ideen mit einem starken Bezug zum ziert als Expats«, heißt es in Kherfis Studie. regionalen Markt«, sagt Banna im Gespräch Muna Easa Al Gurg, Mitglied der Jury von »The Entrepreneur« und Geschäftsfühmit zenith. Die Zahl der Interessenten an öfrerin der Easa Saleh Al Gurg Group (ESAG), fentlichen und privaten Förderungsinstrubeklagt, dass gut gemeinte staatliche Initiamenten für Unternehmensgründer steige PROZENT DER ARBEITSLOSEN tiven diese Schieflage nicht allein korrigiezwar, aber die Anreize für private KreditgeJUGENDLICHEN WÜNSCHEN ber und Start-Up-Fonds seien noch längst ren können. Es sei kaum verständlich, dass SICH EINE ANSTELLUNG in den Emiraten noch derart wenige Risikonicht ausgeschöpft. ƀ IM ÖFFENTLICHEN SEKTOR 95 62 WIRTSCHAFT · BAHR AIN · SPYWARE »Es geht hier nicht um die Privatsphäre« INTERVIEW: DANIEL GERLACH Maryam Abdulhadi al-Khawaja, 25, ist Vizepräsidentin der Organisation Bahrain Center for Human Rights. Sie studierte englische Literatur in Bahrain und an der Brown University (USA) und besitzt neben der bahrainischen auch die dänische Staatsbürgerschaft. Ihr Vater, der prominente bahrainisch-schiitische Aktivist Abdulhadi al-Khawaja, verbüßt in Bahrain eine lebenslange Haft wegen angeblicher Gründung einer terroristischen Vereinigung. zenith: Frau Khawaja, Sie führen derzeit eine Kampagne gegen Firmen, denen Sie vorwerfen, sie hätten den bahrainischen Behörden SpionageSoftware geliefert. Gegen wen richtet sich Ihr Zorn? Maryam al-Khawaja: Derzeit ermitteln wir gegen die deutsche Trovicor GmbH, die zu Siemens Nokia gehört. Wir haben Beweise dafür, dass Menschenrechtsaktivisten mit deren Software, sogenannter Spyware, ausspioniert wurden. Danach haben die bahrainischen Sicherheitskräfte diese Menschen verhaftet und gefolter t. Die Orga nisation Ba hra in Watch hat entsprechende Daten gesammelt. Zudem haben wir detaillierte Informationen über die Verwendung von Spyware der britischen Gamma International in Bahrain. Wie haben Sie das herausgefunden? Zahlreiche Aktivisten, darunter ich selbst, erhielten verdächtige E-Mails. In meinem Fall bekam ich von einem angeblichen Journalisten eine Mail mit einem WordDokument im Anhang. Ich wurde geben, das zu öffnen und den darin enthaltenen Artikel gegenzulesen. Ich hatte mit diesem Journalisten aber nicht gesprochen. Abgesehen davon ist das eine ungewöhnliche Verfahrensweise. Im Gegensatz zu anderen habe ich den Anhang gelöscht: Beim Gulf Center for Human Rights haben wir Schulungen in Internetsicherheit durchgeführt. Daher wissen wir, dass E-Mail-Anhänge Trojaner enthalten können. Die Organisation Bahrain Watch hat Internetspezialisten, die infizierte Computer untersuchen konnten. Foto: dge Die bahrainische Aktivistin Maryam al-Khawaja über »digitale Rüstungsgüter« und Ausfuhrkontrollen für Spionage-Software SPYWARE · BAHR AIN · WIRTSCHAFT 63 64 WIRTSCHAFT · BAHR AIN · SPYWARE Verlangen Sie nun ein Verbot von Überwachungsprogrammen? Nein, wir brauchen ein sehr strenges Regelwerk für ihre Verwendung. Und wir wollen, dass Firmen zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie repressive Regime damit beliefern. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Bahrains Behörden systematisch die Menschenrechte verletzen. Sie bezeichnen Spyware als »digitale Rüstungsgüter«. In Deutschland genehmigen Rüstungskontrollbehörden und der Bundessicherheitsrat Waffenexporte. Soll dort demnächst über Spyware getagt werden? Ich verlange ein internationales System, dem wir den Missbrauch solcher Software anzeigen können und das veranlassen kann, dass Unternehmen in ihren Ländern zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar ein besseres System als das der bisherigen Rüstungsausfuhrkontrolle. Es ist doch absurd genug, dass Deutschland Panzer nach Saudi-Arabien liefert, wo systematisch gegen Menschenrechte verstoßen wird und das kein System der Rechenschaft kennt. Es ist zudem eine Brutstätte für Terroristen, und es kann sein, dass die Panzer einmal in völlig andere Hände fallen. Das soll Europas Sicherheit befördern? Wie wollen Sie das rechtlich durchsetzen? Letztendlich können die Firmen argumentieren, dass sie Regierungen beliefern, die in ihren jeweiligen Ländern »legal« sind. Wollen Sie, dass die UNO eine schwarze Liste mit Ländern herausgibt, die keine Spyware bekommen dürfen? Nein, wir wollen die konkreten Fälle offenlegen und erreichen, dass die Firmen zukünftig genau nachdenken, wen sie beliefern und wen nicht. In Ländern wie Bahrain oder Syrien ... Gewiss denken Sie, sofern Sie wirklich stabile Beweise haben, darüber nach, Hersteller von Spyware zu verklagen. Wenn eine Firma etwa in den USA tätig ist, könnten Betroffene dort in einer Sammelklage einen erheblichen Schadenersatz erstreiten. Wir sind noch nicht so weit und prüfen die rechtlichen Fragen. Aber es ist klar, dass wir die Lieferanten von Spyware an repressive Regime an zwei Stellen treffen können: am Marken-Image und am Portemonnaie. ... oder Iran ... ja, ebenso in Iran kann die Verwendung solcher Software den Tod von Menschen nach sich ziehen. Wir reden hier nicht nur über eine Verletzung der Privatsphäre. Andererseits kann man einen Waffenhersteller ja nicht verklagen, wenn jemand mit einer Waffe aus dessen Produktion Amok läuft. Wenn dieser Waffenhersteller weiß oder wissen müsste, dass der Kunde einen Amoklauf plant, schon. Wer repressive Regime am Golf mit Spyware beliefert, weiß, was damit geschieht. Oder müsste es zumindest wissen! Was sagt Gamma dazu? Sie haben behauptet, die bahrainischen Behörden hätten womöglich eine Demo-Version des Programms benutzt; alles sei ohne Wissen der Firma erfolgt. Wir bezweifeln, dass Bahrain die Experten hat, um ausgerechnet einer Spezialfirma für Internetsicherheit Software zu entwenden. Denn sie konnten das Programm offenbar upgraden und Informationen von den ausspionierten Computern auf Server in Bahrain transferieren. »Wer solche Spyware nach Bahrain liefert, weiß, was damit geschieht. Oder müsste es zumindest wissen!« Nun argumentieren die Golfstaaten: Auch europäische Polizeibehörden nutzen Spyware, um verfassungsfeindliche Kräfte zu überwachen, die das System stürzen wollen. Genau das tue man auch. Ich verteidige hier nicht die Überwachungspraktiken in der EU. Aber in Europa sind die Konsequenzen weder Tod noch Folter. Finden Sie nicht, dass das einen Unterschied macht? In den Vereinigten Arabischen Emiraten werden Cyber-Aktivisten ja nicht umge- Der Trojaner kam von einem angeblichen Journalisten bracht. Nein, aber wir haben glaubwürdige Berichte über Folter auch von dort. Die Menschenrechtsbilanz der Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) wird derzeit in der Tendenz nicht besser, sondern schlechter. Finden Sie es in Ordnung, wenn die Golfstaaten Spyware benutzen, um Al-QaidaNetzwerke oder Finanzkriminalität aufzuspüren? Sofern dem ein strikt legales, gerichtlich instruiertes Verfahren zugrunde liegt, das die Grundrechte der Betroffenen achtet, ist das okay. Die Rechtsmentalität in den Golfstaaten basiert ja eher auf der Idee, dass der Staat den Bürger vor seinen eigenen Dummheiten und Leidenschaften schützen müsse. So blockt man bestimmte Web-Inhalte, die für schädlich befunden werden: zum Beispiel Sex-Seiten oder was immer man dafür hält. Es macht einen Unterschied, ob man das Betreiben einer Porno-Seite in einem Land strafrechtlich verfolgt, weil es nach dem Gesetz illegal ist, oder einfach Seiten blockiert. Bei dieser Praxis muss man fragen: Wo beginnt das, und wo hört es auf? Diese Auseinandersetzung mit der Freiheit des Internets ist in den Golfstaaten kaum entwickelt. Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Meinung über Freiheit in den Golfstaaten für eine Mehrheit der Staatsbürger sprechen? Sicher nicht. Die meisten denken, dass bei ihnen die Welt in Ordnung ist. Ich sage auch nicht, dass wir jetzt im GCCRaum die großen Revolutionen erleben werden. Aber in meiner Generation stellen immer mehr Menschen die richtigen Fra!(LJ/(LJ-.,(LJ("LJ,Y(,/(!źLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJƀ KOLUMNE · WIRTSCHAFT ALMANACH DER ENERGIEN Tierische und pflanzliche Kräfte Kamele und Hammel sind seit Jahrtausenden in der arabischen Welt zu Haus – inzwischen betreibt sogar der Wüstenstaat Saudi-Arabien Rinderfarmen und exportiert Milch: Das eröffnet Energiequellen Illustration: Matthias Töpfer VON ACHMED A.W. KHAMMAS ƀLJLJ&&LJ,#-"(LJY(,LJ(1#,.-" .LJ/(LJ#"zucht betreiben, gibt es eine Energieressource, welche insbesondere auf ländlicher Ebene genutzt werden kann: Biogas, das aus der Vergärung organischer Stoffe entsteht. Doch anders als in Ländern wie Indien oder China, in denen eine gewaltige Zahl kleiner »Digister« entstanden ist, bleibt diese Technologie in Nordafrika und dem Nahen Osten weitgehend ungenutzt. Und das, obwohl die klimatischen Verhältnisse überaus geeignet sind, da der Gärungsprozess optimal bei 30 bis 33 Grad Celsius verläuft. Das gewonnene Gas kann zum Kochen, zum Beheizen oder sogar mit Biogas-Generatoren zur Stromerzeugung eingesetzt werden. In Ländern wie Deutschland wird Biogas bereits in großem Maßstab erzeugt – gleichwohl die erste reguläre Biogasanlage der Welt 1859 in Indien erprobt wurde. Die großtechnische Anwendung ist durch die gezielte Ausnutzung von Biomasse-Kulturflächen möglich, wobei auch die Option besteht, besondere Aquakulturen anzulegen – etwa mit Algen und Wasserhyazinthen, die dann als Kompostierungsmaterial dienen. Den Rückstand an mineralischen Nährstoffen kann man der Kulturfläche als Dünger wieder zuführen. Es ist ebenfalls möglich, Industrieabfälle aus der Papierherstellung, der organischen Chemie und der Klebemittelindustrie zu nutzen – und nicht zuletzt Abfälle von Schlachtereien. Eine weitere interessante Alternative sind die sogenannten Pflanzenölkocher. Schließlich kochen noch immer rund zwei Milliarden Menschen an offenen Feuerstellen mit Holz, gefährden dabei ihre Gesundheit und ruinieren die Umwelt. Der WHO zufolge sterben jährlich rund 1,5 Millionen Menschen durch giftige Anteile des Rauchs und durch Rußpartikel (Stand 2007). Die Universität Hohenheim entwickelte daher gemeinsam mit der philippinischen Leyte State University einen Pflanzenölkocher namens »Protos«, der schon 2004 während einer Erprobungsphase in 100 philippinischen Haushalten und Garküchen seine Bewährungsprobe bestanden hat. Berechnungen zufolge lässt sich mit 100 Litern Pflanzenöl die Kochenergie einer durchschnittlichen Familie für ein ganzes Jahr sichern. Mithilfe der Münchner Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH (BSH) wird der Öko-Kocher anschließend in Indonesien produziert und für umgerechnet 30 Euro verkauft. Außerdem sollte eine Infrastruktur für die Gewinnung von Pflanzenölen aus tropischen Gewächsen entstehen. Es gelingt aber nicht, den Kocher einer breiten Nutzerschicht zugänglich zu machen – und das Projekt läuft nun aus. Immerhin stellt die BSH die Konstruktionszeichnungen und technischen Anleitungen kostenlos als Blue Prints zur Verfügung. Womit ihrer Verbreitung in der arabischen Welt nichts mehr im Wege stünde, sofern endlich eine Übersetzung des Materials erfolgt. Eine Technologie, die schon wesentlich erfolgreicher, im Orient aber trotzdem noch nicht weit verbreitet ist, sind die Solaren Kochkisten und Solarkocher, die fast überall lokal und ohne großen Aufwand herstellbar sind. Die einfachsten Geräte sind verglaste Kisten, während die Reflektorkocher aus einem segmentierten, parabolischen Spiegel bestehen, der Sonnenstrahlen bündelt und auf den Boden des Kochgefäßes richtet. Statt Glas- oder Metallspiegeln kann auch eine mit Aluminium beschichtete Polyethylenfolie eingesetzt werden. Und will man es etwas luxuriöser, dann gibt es inzwischen zusammenklappbare Kocher aus polierten Aluminium- oder Edelstahlsegmenten, die vor jedes /#((4&.LJ#((LJ/"LJ/./,#-'/-LJ"#(4/,(źLJLJLJƀ zenith-Kolumnist Achmed A.W. Khammas ist Dolmetscher und Science-Fiction-Autor. In seinem Internet-Archiv buch-der-synergie.de informiert er über Geschichte und Gegenwart der Erneuerbaren Energien. 65 66 WIRTSCHAFT · TANSANIA · IN VESTITIONEN Wettlauf gegen das Öl Gute Wachstumsraten, aber ein mieses Ranking auf dem Index für »menschliche Entwicklung«: Ehrgeizige Unternehmer wollen Tansanias Wirtschaft fit machen – bevor neu entdeckte Rohstoffe die Entwicklung wieder durcheinanderbringen TEXT UND FOTOS: BARBARA OFF IN VESTITIONEN · TANSANIA · WIRTSCHAFT 67 »Lions on the Move« – so nannte das McKinsey Global Institute, die Denkfabrik der Unternehmensberatung McKinsey, ihre Studie zum Wachstums- und Investitionspotenzial afrikanischer Volkswirtschaften im Jahr 2010. Damals sagte das Institut für verschiedene ostafrikanische Länder eine Investitionsrendite voraus, die weit höher lag als in anderen Entwicklungsregionen: Wachstumsraten von durchschnittlich sechs Prozent, zunehmende politische Stabilität, eine wachsende Mittelschicht und eine neue junge, ambitionierte Elite. Tansania kann auf der einen Seite tatsächlich seit mehreren Jahren Wachstumsraten von sechs Prozent und mehr aufweisen. Auf der anderen Seite rangiert das Land 2011 auf dem Human Development Index für »menschliche Entwicklung« der Vereinten Nationen nur auf Platz 152 von insgesamt 187 Ländern. Die Straße zwischen der Küstenstadt Bagamoyo und der Metropole Daressalam wird derzeit vierspurig ausgebaut. Dort pulsiert das Leben: Stau, Staub, Hitze, Lärm, Straßenverkäufer, Geschäftsleute in Anzügen, Baustellen allerorten. Neue Einkaufszentren und Bürogebäude entstehen, Hochhäuser werden aufgestockt. Eine Hauptverkehrsader wird mit einer Schnellbuslinie ausgestattet. Jetzt in Infrastrukturprojekte oder Immobilien zu investieren lohne sich auf jeden Fall, sagt der Unternehmer John Maeda, der sein Geld mit Immobilien und Suchmaschinenoptimierung gemacht hat. »Der nächste Hotspot wird das Viertel Kigamboni, da haben wir gerade 800 Quadratmeter Land gekauft!« Maeda ist zuversichtlich: Sobald die Verkehrsinfrastruktur in dem Gebiet vorhanden sei, werde der Wert um ein Vielfaches steigen. Anfang des Jahres unterzeichneten die Behörden mit chinesischen Baufirmen Verträge in Höhe von 136 Millionen US-Dollar: Bis 2015 soll dort eine Brücke mit City-Anbindung entstehen. Damit könnte Kigamboni zu einem neuen Wohn- und Geschäftsgebiet für die Mittelklasse werden, da vergleichbare Stadtteile wie Massaki, Mikocheni oder Mbzei bereits saturiert sind. Verschiedene US-amerikanische Unternehmen hätten mit den tansanischen Behörden bereits Investitionsabkommen für die Erschließung Kigambonis getroffen, sagt Maeda: »Wenn du Geld hast, kaufst du dort jetzt!« Das Verkehrsaufkommen und die Bau-Aktivitäten lenken den Blick ausländischer Geschäftsleute auf eine prosperierende und konsumfreudige Mittelschicht in Tansania. Investoren seien deshalb geneigt, auf diesen Absatzmarkt zu zielen, sagt Maeda. Dennoch, so ist er überzeugt, spreche die Statistik für sich: »Es gibt in Tansania viel mehr arme Leute als Vertreter der Mittel- oder Oberschicht. Für ein erfolgreiches Unternehmen lohnt es sich, Produkte für die gesamte Gesellschaft anzubieten.« Und erfolgreich sind damit vor allem die Mobilfun- kunternehmen: Heute liegt das Potenzial in mobilen Anwendungen, die das Leben in einem Entwicklungsland wie Tansania erleichtern. Der Mobilfunksektor profitiert so auch von der schlechten Festnetz-Infrastruktur, geringem Bildungsstand und geringer Dichte von Post- und Bankdienstleistungen: Bereits relativ früh, im Jahr 2007, hat die in Kenia entwickelte mobile Anwendung Mpesa das Bezahlwesen in Tansania revolutioniert. Mit Mpesa kann man, ohne über ein Bankkonto zu verfügen, über sogenannte Mpesa-Agents Bargeld auf ein elektronisch geführtes Guthabenkonto einzahlen. Dieses Geld wird dem Empfänger mit dem entsprechenden Code an einem anderen Ort bei einem Mpesa-Agent wieder ausgezahlt. Teddy Qirtu, Managerin beim Marktforschungsund Dienstleistungsunternehmen DataVision International, skizziert die vielfältigen Möglichkeiten, die mobile Dienstleistungen bieten können: »Für das tansanische Parlament haben wir den Service SMS Mtandao implementiert, womit alle Parlamentarier per SMS über Termine informiert werden.« Jetzt könne sich kein Abgeordneter mehr herausreden, wenn er eine Sitzung verpasst. Demnächst soll ein Kommunikationsservice für den tansanischen Baumwollmarkt den Betrieb aufnehmen: Agrarspezialisten in Daressalam sollen darüber mit Baumwollbauern über geeignete Düngemittel oder bevorstehende Witterungsverhältnisse kommunizieren. Teddy Qirtu ist überzeugt von solchen mobilen SMS-Diensten: »Auf dem afrikanischen Markt funktionieren vor allem einfache Technologien«, sagt sie. Im »Entrepreneurship Center« der Universität Daressalam finden heute regelmäßig Workshops für Existenzgründer statt, durchgeführt von der tansanischen Organisation »Support for Entrepreneurship and Enterprise Development« (SEED) und dem BIDNetwork, einer Nichtregierungsorganisation aus den Niederlanden, die Unternehmer aus Entwicklungsund Schwellenländern mit Investoren zusammenbringen will. Deren Matchmaking kann bereits einige Erfolgsgeschichten erzählen: etwa die von Godfrey Mosha und seinem Unternehmen Principal Company, das Backzutaten importierte. Als das Unternehmen groß genug war, begann Mosha, selbst zu produzieren: Principal Company konnte so die Importkosten senken und auf lokale Grundstoffe zurückgreifen. 2020 will Tansania Schwellenland werden – und vor allem zum Nachbarn Kenia aufschließen 68 WIRTSCHAFT · TANSANIA · IN VESTITIONEN Verkehr und Bau-Arbeiten in Daressalam lenken den Blick ausländischer Besucher auf eine prosperierende Mittelschicht. Für Donath Olomi, langjähriger Unternehmer und Berater von Existenzgründern, ist diese Entwicklung typisch für den Aufbau von Betrieben in Tansania. »Die meisten produzierenden Unternehmen starten als Handelsfirmen«, sagt Olomi. »So sammeln sie Erfahrungen, können den Markt und die Lieferketten studieren und Marktlücken erkennen.« Im Regelfall erwirtschafte das Importgeschäft auch ein Basiskapital für den Aufbau einer Produktion. Vor allem im Agrarsektor sehen tansanische Experten Potenzial für Investitionen in die Weiterverarbeitung: 24 Prozent des tansanischen BIP werden dort erwirtschaftet, bislang ist aber erst rund ein Viertel der nutzbaren Flächen erschlossen. Agrarerzeugnisse wie etwa Cashewnüsse werden immer noch im Rohzustand exportiert und erst im Ausland geröstet und weiterver- »Die regionale Integration übt einen positiven Druck auf die Tansanier aus« arbeitet. Seit 2009 verfolgt die Regierung in Daressalam die Strategie »Kilimo Kwanza«, was auf Swahili »Transformation der Landwirtschaft« bedeutet: Ziel ist die Modernisierung und Kommerzialisierung des Agrarsektors. Eines der bedeutenden Projekte ist der »Southern Agricultural Growth Corridor of Tanzania«, wo Regierung, internationale Geber, private Unternehmen und Bauern gemeinsam die landwirtschaftliche Wertschöpfungskette verbessern sollen. Auf Unternehmerseite sind internationale Konzerne aus der Chemie-, Biotechnologie- und Nahrunsgmittelbranche vertreten: etwa Monsanto, Unilever und Dupont. Tansanische Unternehmen wollen aufschließen zum erfolgreicheren Nachbarland Kenia: Dass Tansania wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten ist, erklären viele mit der sozialistischen Prägung des Regimes unter Präsident Julius Nyerere, der über 20 Jahre herrschte. Erst ab 1985 öffnete sich das Land langsam dem internationalen Markt. Die sozialistische Vergangenheit habe immer noch Einfluss auf Arbeitsmoral und Produktivität, sagen tansanische Unternehmer. Auf politisch-gesellschaftlicher Ebene könne das Land hingegen punkten: Ethnische Auseinandersetzungen wie in Kenia kenne man dort kaum. Tansania gilt als eines der friedlichsten Länder Afrikas und als Stabilitätsfaktor der »East African Community« (EAC). Der gemeinsame Markt der EAC bietet langfristig nicht IN VESTITIONEN · TANSANIA · WIRTSCHAFT nur Handelsoptionen und wirtschaftliches Wachstum, sondern erhöht auch den Wettbewerb unter Arbeitnehmern und Unternehmern. »Die regionale Integration übt einen positiven Druck auf die Tansanier aus«, sagt Aggrey Marealle, Regierungsberater und Inhaber einer PR-Agentur namens Executive Solutions. »Wenn sie nicht überrollt werden wollen, dann müssen sie sich bewegen!« Große Hoffnungen setzt Marealle darauf, dass Tansanias Wirtschaft fit und nachhaltig genug entwickelt ist, wenn sie demnächst eine ihrer größten Herausforderungen aufnimmt. Ein nationales Projekt, das Segen, aber auch Fluch sein kann: Anfang 2012 wurden im Süden Tansanias, vor der Küste Mtwaras in Mzani Bay, umfangreiche Öl- und Gasvorkommen entdeckt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Förderung beginnen wird, und es gilt dabei, grobe Fehler anderer afrikanischer Staaten zu vermeiden: »Damit in Zukunft auch die Bevölkerung vom Öl und Gas profitiert, müssen jetzt faire Verträge mit ausländischen Firmen verhandelt werden«, sagt Marealle. Da es in Tansania wenige hoch qualifizierte Fachkräfte wie Ingenieure und Juristen gebe, werde es nicht leicht sein, die nationalen Interessen bei diesem Unterfangen bestmöglich zu wahren. Zudem besteht die Gefahr, dass Tansania sich zu sehr auf die Einnahmen aus fossilen Rohstoffen ver- 69 Tansanias Landwirtschaft führt Rohstoffe aus. Dabei wäre die Verarbeitung lukrativ lässt und dabei andere Wirtschaftssektoren vernachlässigt. Bei einem Bevölkerungswachstum von fast drei Prozent wird vor allem die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten ein immer drängenderes Problem; eines, das der Öl- und Gassektor kaum auffangen wird. Nach der langfristigen Entwicklungsstrategie der Regierung soll Tansania bis 2020 zum Schwellenland werden. Aber noch sind viele Unternehmer unzufrieden mit der politischen Führung. Man habe zwar gute Gesetze, an der Durchsetzung hapere es jedoch, heißt es in Unternehmerkreisen: Korruptionsskandale, Selbstbereicherung von Politikern und Ineffizienz in der Verwaltung stünden einer nachhaltigen Entwick&/(!LJ#(-.1#&(LJ()"LJ#'LJ!źLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJƀ Reine Lippenbekenntnisse glcons.de / Foto: picture alliance (Mirjam Reiter) Der Schriftsteller Bahman Nirumand klagt den Westen an: Durch seine bigotte Menschenrechtspolitik verspielt er den letzten Rest Vertrauen in Nahost. Bahman Nirumand Menschenrechte als Alibi Die Nahostpolitik des Westens muss glaubwürdig werden 100 Seiten|Euro 10,– (D) ISBN 978-3-89684-145-2 Auch als deutsches und englisches E-Book erhältlich. www.edition-koerber-stiftung.de 70 WIRTSCHAFT · ISR AEL · MARKETING »Nackte Frauen helfen da nicht« Wie macht man Werbung für streng religiöse Menschen? Eine Akademie für ultraorthodoxe Juden in Israel hat ihre Antwort gefunden: indem man sie selbst zu Reklame-Experten ausbildet TEXT UND FOTOS: ANDREAS HACKL ƀLJ/,LJ#((LJ#&)'.,LJ(. ,(.LJ0)(LJ(LJ"#**(LJ -LJ und Bars Tel Avivs beginnt eine Enklave des streng religiösen jüdischen Lebens: die Stadt Bnei Brak. Hier tragen die Männer schwarze Anzüge und noble Hüte, die Frauen Kopftuch, Perücken, und knöchellange Röcke. Fernsehen und Internet sind verpönt in der zehntgrößten Stadt Israels, die einzigen Medien sind Zeitungen und Magazine. Dennoch gelten ultraorthodoxe Juden, wie sie hier leben, zunehmend als lukrative Zielgruppe für maßgeschneiderte Werbung. Und wer könnte besser als die Zielgruppe selbst wissen, wie solche Werbung aussehen muss. Der israelische Werbefachmann Eitan Dobkin leitet deshalb einen Studiengang speziell für Ultraorthodoxe. Dieser ist Teil der renommierten Tel Aviver Werbeakademie Habetzefer. Doch statt pulsierender Innenstadt umgeben Autowerkstätten und Lagerhallen das Gebäude am Rande von Bnei Brak, in dem die Seminare abgehalten werden. Derzeit 25 Frauen und Männer lernen hier unter strikter Geschlechtertrennung, wie man Werbung macht. »Diese Rabbis bekommen dafür viel Geld. Das ist Teil des Markts« »Wir machen Ultraorthodoxe zu Werbefachleuten, weil sie am besten wissen, wie man ihre Gemeinschaft für Produkte gewinnt«, sagt Dobkin, während er vor dem Abendkurs letzte Änderungen in seine Powerpoint-Präsentation einfügt. Dann breitet er zur Ansicht einige Magazine auf dem Schreibtisch aus. Eine Titelseite zeigt den Kopf eines Rabbiners mit langem Bart. Das Design ist zurückhaltend und wirkt konservativ. Im Inneren gibt es vor allem eines zu sehen: viel Text. »In diesen Kreisen wird sehr viel gelesen: die Bibel, religiöse Texte, aber auch solche Magazine«, sagt Dobkin. Printmedien seien deshalb der wichtigste Kanal für die Werbung auf dem ultraorthodoxen Markt. Fernsehen, Radio und Internet stellten nach wie vor ein Tabu für viele streng Religiöse dar. So forderten Ende Mai rund 60.000 ultraorthodoxe Juden im New-Yorker Queens-Stadion ein koscheres Internet. Das Web sei ein »Minenfeld der Unmoral«, wetterte ein Rabbiner vor der Menge. Um das Netz trotzdem dieser Zielgruppe zugänglich zu machen, bieten mehrere Firmen Filter an, die unerwünschte Inhalte blockieren und so das Netz koscher machen sollen. Wer streng religiöse Menschen von einem Produkt überzeugen will, sollte eine ganze Reihe von Regeln beachten. Frauen in der Werbung etwa sind nach Ansicht der Haredim oder »Gottesfürchtigen«, wie ultra-orthodoxe Juden auch genannt werden, überhaupt nicht koscher. Deshalb versah die Stadtverwaltung von Bnei Brak vergangenes Jahr einige Plakate mit einem Aufkleber: »illegale Werbung«. Zu sehen waren darauf nicht etwa Models in Unterwäsche, sondern voll bekleidete Lehrerinnen, die sich für eine landesweite Bildungsreform aussprachen. Die Besonderheiten des Markts bergen aber nicht nur Gefahren, sie bieten auch Ansatzpunkte für strategische Zielgruppenansprache. Während Eitan Dobkin durch das Magazin blättert, erklärt er die Ideen hinter erfolgreichen Werbeanzeigen – zum Beispiel der eines israelischen Herstellers von Milchprodukten: »Sie werben damit, dass diese Milch besonders koscher sei, weil sie in einem speziellen Karton verpackt ist.« Auf der nächsten Seite geben mehrere Rabbiner entsprechende Gutachten ab. »Diese Rabbis bekommen dafür viel Geld. Das ist Teil des Markts«, sagt Dobkin. Um in diesem Marktsegment Erfolg zu haben, müssen Firmen die Kunden von zwei wesentlichen Eigenschaften ihres Produkts überzeugen: Es muss gut sein, und es muss koscher sein. Das gelingt nicht immer auf Anhieb. So habe Coca-Cola lange Zeit Proble- 60 MARKETING · ISR AEL · WIRTSCHAFT PROZENT DER ULTRAORTHODOXEN JUDEN IN ISRAEL SIND ARBEITSLOS Coca Cola für ein »glückliches Pessach-Fest und einen Frühling in üppigem Grün«. Die Haredim bekommen viele Kinder und sind eine wachsende Konsumentengruppe 71 72 WIRTSCHAFT · ISR AEL · MARKETING me damit gehabt, sich in der streng-religiösen Gemeinschaft in Israel zu behaupten, erläutert Dobkin. Ein Grund dafür sei der Preis gewesen. Doch anstatt ihn zu senken, habe sich das Unternehmen einen Slogan einfallen lassen: »Tikvat Shabas Kodesh – Zum heiligen Sabbat.« Damit knüpfte Coca-Cola an einen jüdischen Glauben an, nach dem Gott alles, was zum Sabbat gekauft wird, wieder zurückgibt. »Die Kampagne war sehr erfolgreich«, sagt Dobkin. »Gerade weil es so viele Regeln gibt, müssen wir sehr kreativ sein« Dieser »Mad Man« ist ein Gottesfürchtiger: Eitan Dobkin leitet den Studiengang Werbung für Ultraorthodoxe. Mit dem »Minenfeld der Unmoral«, dem Internet, hat er kaum Berührungsängste. »Die Senf-Honig-Vinaigrette von Hellmanns sorgt dafür, dass Sie Ihren Salat nicht wiedererkennen« – das Koscher-Gütesiegel sorgt in jedem Fall dafür, dass ein Haredi nicht danebengreift. Die meisten ultraorthodoxen Studenten der Akademie in Bnei Brak können sich die rund 2.600 Euro für den siebenmonatigen Kurs nicht leisten. Deshalb bekommen viele Stipendien von Stiftungen in den USA, die mehr ultraorthodoxe Juden in Arbeit bringen wollen. Denn etwa 60 Prozent aller Haredim in Israel sind arbeitslos; viele der Familien leben von öffentlichen Geldern. Sie haben im Schnitt rund acht Kinder. Dabei ist die Beschäftigungsrate unter Frauen höher als unter Männern, die meist in Religionsschulen die hebräische Bibel studieren. Die Gegensätze zwischen Ultraorthodoxen und anderen Israelis haben sich in den vergangenen Jahren zugespitzt. So wird in ultraorthodoxen Vierteln in Jerusalem in öffentlichen Bussen Geschlechtertrennung praktiziert, außerdem ein Autoverbot zum Sabbat. Die Forderung, auch dort Frauen von Werbeplakaten zu verbannen, löste einen Aufschrei von Frauenrechtsorganisationen und empörten Bürgern aus. Beispiele wie die Werbeakademie zeigen jedoch, dass beide Welten nicht völlig unvereinbar sind – und dass es durchaus Ultraorthodoxe gibt, die Karriere machen wollen. »Ich bin das, was man einen neuen Haredi nennen kann«, sagt der 22-jährige Ishai Hizkia kurz vor Beginn seiner Seminareinheit in Bnei Brak. Scheu vor neuen Trends und dem Internet hat er nicht. »Ich benutze das Internet. Ich lerne von der neuen Welt und hole mir viele Ideen vom Werbemarkt«, sagt er. »Die wende ich dann am ultraorthodoxen Markt an.« Schon in der Kleidung unterscheidet er sich von den meisten seiner Kommilitonen: Sein Hemd ist nicht schlicht und weiß, sondern farbig und kariert. Anstatt eines Hutes trägt er eine unscheinbare Kippa, die unter männlichen Juden übliche Kopfbedeckung. Bilder von Frauen will aber auch Hizkia nicht in der Werbung sehen – allerdings nicht, weil er sie anstößig fände. »Es ist einfach nicht kreativ, einen nackten Frauenkörper auf eine Plakatwand zu kleben«, sagt Hizkia. »Ich stelle mir eher die Frage: Wie kann ich etwas schaffen, das es noch nicht gegeben hat?« Er hat sein ganzes Leben in Bnei Brak verbracht. Dort ist er aufgewachsen, und dort will er auch Werbung machen. »Gerade weil es so viele Regeln gibt, müssen wir sehr kreativ sein«, sagt ,źLJƍ%.LJ,/(LJ"& (LJLJ(#".źƌLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJƀ The Corporate Gate to a World of Logistics EL FADEL The worldwide specialists for: AIR FREIGHT SEA FREIGHT LAND TRANSPORT WA R E H O U S I N G COMBI - SOLUTIONS S U P P LY C H A I N S O L U T I O N S CUSTOMS I T- S O L U T I O N S BOOKFREIGHT CHEMICALS G R E E N - L O G I ST I C - S O L U T I O N S NEW! 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Die stinkenden Klumpen aus Gummi und Stahl waren einmal Ali Celiks ganzer Stolz. Der Spediteur aus der südtürkischen Stadt Mersin holt nun zurück in die Heimat, was von seinem Reichtum übrig bleib: »Das war’s dann mit dem Wirtschaftsboom in Hatay«, sagt er. Rebellen der Freien Syrischen Armee hatten die Kontrolle eines Zollpostens erkämpft, kurz danach plünderten unbekannte Täter die türkischen Lastwagen und setzten sie in Brand. »Jetzt stehen viele Firmen in der Gegend endgültig vor dem Ruin«, klagt Celik. Die Türkei schloss nach dem Vorfall im vergangenen Sommer ihre Seite der Grenze für den Warenverkehr – der Schritt markierte das vorläufige Ende des ehemals blühenden Grenzhandels. Noch bis vor knapp zwei Jahren galt Hatay als Paradebeispiel für die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Nahostausrichtung der Türkei. Im Zuge der von Außenminister Ahmet Davutoglu vorangetriebenen »Null-Probleme-Politik« schloss Ankara Ende der 2000er Jahre Freundschaft mit dem früheren Problemnachbarn Syrien. Hatay, einst historischer Zankapfel zwischen den beiden Ländern – in den 1920er Jahren hatten die europäischen Mächte die Provinz den Türken zugeschanzt –, galt vor Beginn des Aufstandes in Syrien als Stätte der Versöhnung und erlebte dabei einen ungeahnten Aufschwung. Der florierende Grenzhandel mit Weizen, Baumwolle oder Autoreifen machte viele Geschäftsleute in der Region steinreich; die Markthändler in Hatay wiederum boten seitdem erstklassige Gewürze, Datteln und Seifen aus dem syrischen Aleppo feil. Auch der GESCHÄFTSKLIMA · TÜRKEI · WIRTSCHAFT Tourismus kam in Schwung – heute sind Konfliktreporter und syrische Flüchtlinge die einzigen verbliebenen Gäste. »Es ist eben riskant, enge Handelsbeziehungen mit instabilen Regimen einzugehen«, sagt Sumru Altug, Professorin für Wirtschaft an der Istanbuler Koc-Universität, eher ungerührt von der Geschichte. »Neue Märkte zu erschließen ist schön und gut, aber wenn die Türkei sich zu sehr auf ihre Handelspartner im Osten verlässt, wird es immer wieder Probleme geben«, doziert sie. »Nehmen Sie Iran. Die Türkei bezieht einen Großteil ihrer Energie von dort. Aber was ist, wenn die Iran-Krise eskaliert und die Energiepreise in die Höhe schnellen? Das würde die türkische Wirtschaft noch viel härter treffen als der Konflikt in Syrien.« Die in Pennsylvania ausgebildete Ökonomin schlug für ihren Posten an der privaten Nobel-Hochschule etliche Jobangebote aus England und den USA aus und erlaubt sich gerne kritische Bewertungen der türkischen Handelspolitik. Die Abwendung von Europa etwa ist in ihren Augen ein großer Fehler, denn politische Stabilität sei ein zu hohes Gut, Schuldenkrise hin oder her: »Die meisten Europäer haben immer noch mehr Geld, das sie für türkische Produkte ausgeben können, als der Durchschnittsbürger in, sagen wir, Aserbaidschan.« Dass die türkische Außenpolitik durch den Krieg in Syrien an ihre Grenzen gestoßen ist, steht außer Zweifel. Eine einflussreiche Regionalmacht mit guten Beziehungen zu allen Nachbarn und Gewicht auf dem internationalen Parkett wollte die Türkei sein, so jedenfalls sah es die von Außenminister Ahmet Davutoglu entwickelte Doktrin der »Strategischen Tiefe« vor. Schließlich sei die Türkei durch ihre Lage als Bindeglied zwischen Europa, Asien und Afrika wie geschaffen für eine solche Rolle; und schließlich beherrschten noch vor weniger als hundert Jahren osmanische Sultane von Istanbul aus einen Vielvölkerstaat im Nahen Osten. Die ehrgeizigen Ziele der grenzenlosen Führungsmacht wurden von den arabischen Revolutionen und den daraus entstehenden Krisen vorerst durchkreuzt – obwohl es zunächst aussah, als könne die Türkei als Vorbild der »islamischen Demokratien« auftreten und aus den Umbrüchen Profit schlagen. Weder gelang es der türkischen Regierung, auf das immer brutaler gegen das eigene Volk vorgehende Assad-Regime einzuwirken, noch, Probleme mit ihren anderen Nachbarn zu vermeiden. Stattdessen gab es Streit mit Israel und Zypern und Stress mit Iran. Ganz zu schweigen von dem im eigenen Land brodelnden Kurdenkonflikt. Zunächst sah es so aus, als trage die Strategie Früchte. Die Kooperationen mit Iran etwa sind ein gutes Beispiel dafür, wie flexibel die Türkei zwischen Ost und West hin- und her jonglieren konnte. Trotz politischer Querelen zog die Türkei viele iranische Unternehmen an, die sich dem Druck internationaler Sanktionen entziehen wollen. Iraner stehen noch immer an der Spitze der Statistik ausländischer Firmengründungen in der Türkei, allein 2012 ließen sich rund 650 registrieren. Und dann ist da auch noch die raffinierte Tauschkette »Energie gegen Gold«, mit der die Türkei die Wirtschaftssanktionen gegen Iran umgeht, ohne ihnen direkt zuwiderzuhandeln: Nachdem Teheran im Zuge der Sanktionen 2012 aus dem weltweiten Interbanken-System SWIFT verbannt wurde, deponierte die Türkei für Öl- und Gasimporte Türkische Lira auf iranischen Konten; Zahlung mit Devisen war nicht mehr möglich. Von dem Geld wiederum kaufte der iranische Staat in rauen Mengen Gold auf dem türkischen Markt ein. Der sprunghaft ansteigende Goldhandel verschönerte ganz nebenbei noch die tür- 75 Die lukrative Zusammenarbeit mit Iran hätte sich die Türkei als EU-Mitglied nicht leisten können. Links: Die Region Istanbul erreicht eine Wirtschaftsleistung, die den Vergleich mit der europäischen Konkurrenz nicht scheuen muss. Unten: Konzernerbin Dogan Yalcindag hier beim Foto-Termin mit zenith, hat sich mit den politischen Gegnern ihres Vaters diplomatisch arrangiert. 76 WIRTSCHAFT · TÜRKEI · GESCHÄFTSKLIMA kische Leistungsbilanz – ein Trick, den sich die Türkei als Mitglied der Europäischen Union nicht hätte leisten können. Und die Folgen eines Standortvorteils, wenn man überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört. Das türkische Wirtschaftswunder der letzten Jahre speist sich, da sind sich die Experten einig, aus dem enormen Improvisationsgeschick und der Anpassungsfähigkeit türkischer Unternehmen. Sie mischen dort mit, wo sich andere nicht ohne Weiteres hintrauen, gelten als aufgeschlossen für »Provisionen« an Staatsbeamte und haben wenig Scheu vor Risiken. Türkische Firmen bauen heute Einkaufszentren im Sudan, Fabriken in Usbekistan und Flughäfen im Irak. Gleichzeitig lockt die Türkei Kapital aus der Region auf ihre Märkte und treibt erfolgreich Handel über alle Grenzen. Und aus der globalen Finanzkrise sind die Türken einstweilen sehr glimpflich herausgekommen. »Ja, die Türkei hat ein sehr gutes Jahrzehnt hinter sich«, sagt Arzuhan Dogan Yalcindag und lächelt beinahe zärtlich, während sie die Erfolge der letzten Jahre rekapituliert. »Wir haben schon zu Beginn der 2000er Jahre unsere eigene Finanzkrise gemeistert und unseren Finanzhaushalt in Ordnung gebracht, während der Rest der Welt langsam in die Krise schlitterte. Wenn man die Russen mit ihren Öl- und Gas-Exporten mal beiseitelässt, sind wir heute die größte Wirtschaftsmacht in der Region!« Am Ende sei die Stoßrichtung doch richtig gewesen, hätten sich die Risiken und Rückschläge rentiert. Und wenn eine Frau wie Arzuhan Dogan Yalcindag die Politik der gemäßigt-islamistischen Regierung in Ankara lobt, muss wohl etwas dran sein. Denn kulturell liegt sie von Premier Erdogan und seiner Clique in etwa so weit entfernt wie der Bosporus vom Fuß des Kaukasus-Gebirges. Und überdies hätte sie mit Erdogan noch eine Rechnung zu begleichen. Die 48-Jährige ist Vorstandschefin des größten türkischen Medienkonzerns Dogan Medya Holding und eine der mächtigsten Bosse im Land. 2007 wurde sie zur ersten weiblichen Vorsitzenden des türkischen Unternehmerverbandes TÜSIAD gewählt, ein Posten, den sie 2010 aufgeben musste, um den familieneigenen Mammutkonzern aus der Krise zu führen. Dogan Yalcindag, die zwei Kinder erzieht und – zu Recht – von türkischen Frauenzeitschriften stets für ihr perfektes Styling Lobpreisungen erntet, ist eine der »Superfrauen« der türkischen Wirtschaftswelt, wie man sie in Deutschland vergeblich sucht: Güler Sabanci etwa, Chefin der gleichnamigen Holding, die den zweitgrößten Konzern des Landes lenkt, Museen und Forschungsinstituten vorsteht und in ihrer Freizeit einen von Kennern hochgeschätzten Wein anbaut. Oder Ümit Boyner, die aktuelle Präsidentin von TÜSIAD, die außerdem im Finanzvorstand des boynerschen Familienkonzerns sitzt. Diese Frauen der Business-Welt stellen europäischen Lebensstil zur Schau und entstammen Industrie-Clans, die in der türkischen Wirtschaft den Ton angaben und deshalb von früheren Regierungen gehätschelt wurden. Sie haben sich inzwischen auch mit der islamisch-konservativen Camarilla um Erdogan arrangiert: Allein die Dogans lieferten sich einen wahrhaften Kulturkampf mit den neuen Herrschern. Arzuhan Dogan Yalcindag ist die älteste Tochter des Tycoons Aydin Dogan, Begründer eines Konglomerats aus Energiekonzernen, Autofirmen, Finanz- und Medienunternehmen, darunter die auflagenstarke Zeitung Hürriyet. Die Geschichte der Dogan Holding steht beispielhaft für einen Wandel, der sich in den letzten Jahren in der türkischen Geschäftswelt abgespielt hat, ein verändertes unternehmerisches Klima, das zum Aufstieg neuer Akteure führte. Aber war es auch, wie manche Beobachter behaupten, ein Kampf um die Ost- oder West-Ausrichtung der Türkei? Patriarch Aydin Dogan hielt wenig von dem Islamisten Erdogan, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte; 2007 ging der Showdown in die erste Runde. Nicht zuletzt, weil seinen Konzernen einige rentable Staatsaufträge durch die Lappen gingen, führte Dogan einen Medienkrieg gegen den Regierungschef. Im Frühjahr 2009 fuhr Erdogan schweres Geschütz auf und hetzte seinem Erzfeind die Steuerbehörden auf den Hals. Die verlangten Nachzahlungen in Höhe von 2,3 Milliarden US-Dollar – auch für den Giganten Dogan Holding hätte das den sicheren Ruin bedeutet. Der alte Dogan pfiff seine Kampfhunde zurück und entließ einige Chefredakteure und Kolumnisten. Dann zog er sich aus dem Vorstand zurück und überließ seiner ältesten Tochter Arzuhan die Rettung seines Lebenswerkes. »Wir steckten damals völlig im Chaos. Viele Menschen haben nicht daran geglaubt, dass die Holding die Krise überstehen würde. Aber es geht uns heute besser als je zuvor«, sagt Dogan Yalcindag und nippt an ihrem Capuccino. Das Bewusstsein, dass man am Markt bestehen kann, hat das Land mehr verändert als die AKP Tatsächlich ist der Machtkampf zwischen Dogan und Erdogan in einem größeren Kontext zu betrachten. Lange begegneten die alten Istanbuler Eliten dem hemdsärmeligen Aufsteiger mit Geringschätzung. Seine Gerechtigkeits- und Fortschrittspartei AKP versprach Wohlstand für alle: Erst kommt das Fressen, dann kommt der Islam – so könnte man die Ideologie der AKP beschreiben. Mit dieser Mischung aus Religion und Business verschob sich das wirtschaftliche Bewusstseinszentrum der Türkei ein Stück weit nach Osten – und es eröffneten sich Horizonte an den Ostgrenzen. Nach einigen Jahren Erdogan sahen viele Türken ihr Land nicht mehr als Bittsteller, der von den Türstehern der Europäischen Union nicht in den Club gelassen wird. Den Türken war indes auch klargeworden, dass der Traum vom EU-Beitritt in weite Ferne rückte – Erdogan führte zwar die Verhandlungen mit Brüssel brav weiter, legte allerdings auch einen forschen Tonfall gegenüber den Europäern an den Tag. Gab es im Osten nicht längst auch lukrative Märkte zu erschließen? Hinter der AKP stand nicht nur der »kleine Mann«, sondern auch Unternehmerverbände, Industrielobbyisten, aufstrebende Konzerne, Großhändler und Baulöwen in der Provinz. Und nirgendwo lässt sich diese Spezies so gut beobachten wie in Kayseri. Rund 800 Kilometer von Istanbul entfernt, im Zentrum Anatoliens, liegt die religiös geprägte Industriestadt, die mit der Metropole am Bosporus noch weniger gemein hat als Ludwigshafen mit Berlin-Mitte. Ein Bier nach Feierabend trinkt dort anscheinend niemand, und manche Beobachter gestehen den fleißig-frommen Bewohnern Kayseris schon eine »protestantische Arbeitsethik« zu. Mustafa Boydak, ein kleiner, dicker Mann mit Igelfrisur und Vor- GESCHÄFTSKLIMA · TÜRKEI · WIRTSCHAFT liebe für grell gemusterte Krawatten, ist dort Präsident der Handelskammer und Vizechef der Boydak Holding mit ihren Möbelmarken Bellona und Istikbal: billiger als Ikea und vom Design her den Geschmack des Verbrauchers in Nahost, Zentralasien und der Ukraine treffend. Inzwischen haben die Boydaks auch Metall- und Textilfabriken sowie eine Bank, die nach islamischen Grundsätzen wirtschaftet. Mustafa Boydak Senior war Tischler und konnte 1957, als er den ersten Laden öffnete, weder lesen noch schreiben. Seine Söhne lernten es. Die erste Werkstatt war 35 Quadratmeter groß, heute produziert man auf 1,25 Millionen Quadratmetern. »Fromme Menschen sind fleißiger – abgesehen davon, dass wir fünfmal täglich beten«, sagt Boydak. Für seine Stadt sei Arbeit eine Art Gottesdienst. Doch die islamischen Kapitalisten von Kayseri sind auch pragmatisch – sie profitierten von den Ost-Exporten, hatten aber gleichwohl nichts gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Schon 1976 reisten die Brüder Boydak zu Messen nach Europa erkannten dort die Chancen der industriellen Möbelfertigung. Im selben Jahr entstand in Kayseri das erste Industriegebiet. Finanziell gesehen müssen die Boydaks keine Komplexe gegenüber den GlamourClans vom Bosporus haben: Mit einem Jahresumsatz von zuletzt 5,3 Milliarden Türkische Lira spielen sie heute in derselben Liga. Ob die Tage der europäisch-orientierten, alten Clans angesichts der Konkurrenz der neuen Schwergewichte aus Anatolien gezählt sind? Sumru Altug von der Privatuniversität Koc hält die Debatte um den Kulturkonflikt zwischen alten und neuen Eliten oder Ostund Westanbindung ihrer Heimat für erledigt: »Am Ende bekommen die Islamisten der AKP ihre Wählerstimmen nicht wegen ihrer konservativen Ideologie, sondern weil sie die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen«, erklärt sie. Zudem habe der Aufstieg der neuen Akteure nicht nur interne Gründe, sondern hänge mit den Erkenntnissen des internationalen Wettbewerbs zusammen. »Nachdem die Türkei etwa der Europäischen Zollunion beitrat, mussten türkische Unternehmen plötzlich lernen, in einem internationalen Markt mit anderen zu konkurrieren«. Nicht nur der »Aufbruch nach Osten« türkischer Firmen habe neue Akteure hervorgebracht, sondern das Bewusstsein, dass man im Wettbewerb bestehen kann. Zu den türkischen Exportschlagern der letzten Jahre gehören übrigens nicht nur Windeln oder Haushaltselektronik, sondern aufwendig produzierte Herzschmerz- und Heldenserien: Rund 150 türkische Soaps werden derzeit in 73 Länder verkauft – vor allem nach Asien, Nordafrika und in die arabische Welt. Im Abspann stehen dabei nicht selten Namen von Produktionsfirmen der Dogan Medya Holding. Der Boom begann 2008 mit der türkischen Serie »Gümüs«, die in der arabischen Welt Quotenrekorde brach. Seitdem hat sich die Zahl der Besucher aus dem Nahen Osten an den Originalschauplätzen Istanbuls angeblich vervierfacht: »Soap-Tourismus« heißt das im Fremdenverkehrswesen. Und manche gehen sogar so weit, den türkischen Serien einen politischen Einfluss zuzusprechen: Der Kulturexport mache die Türkei jenseits ihrer Grenzen überaus beliebt und vermittle türkische Tugenden: In Gümüs verlieben sich zwei junge, schöne Menschen und führen eine Beziehung auf Augenhöhe – allerdings erst nach ihrer Zwangsheirat. Es geht )"źLJ,!(1#źLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJ LJ LJ LJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJƀ 77 Die islamischen Kapitalisten von Kayseri sind nicht gegen einen EU-Beitrtt. Aber sie glauben nicht daran. Industrielle Fertigung in Anatolien. Eine fast »protestantische« Arbeitsethik bescheinigen manche Beobachter den neuen »Ruhrbaronen« der Türkei. 78 WIRTSCHAFT · TÜRKEI · DATEN Diese Zahlen sind nicht getürkt 26% 25% 10% ANTEIL DER TÜRKISCHEN FRAUEN, DIE NICHT LESEN UND SCHREIBEN KÖNNEN ANTEIL DER FRAUEN AN DEN FÜHRUNGSKRÄFTEN IN DER TÜRKEI ANTEIL DER BERUFSTÄTIGEN FRAUEN AN DER WEIBLICHEN GESAMTBEVÖLKERUNG 22,9 IMPORTVOLUMEN DER TÜRKEI IN MILLIARDEN DOLLAR (1992) 152,6 271,8 IMPORTVOLUMEN DER TÜRKEI IN MILLIARDEN DOLLAR (2012) 14,7 EXPORTVOLUMEN DER TÜRKEI IN MILLIARDEN DOLLAR (1992) 27,02 EXPORTVOLUMEN DER TÜRKEI IN DEN NAHEN OSTEN IN MILLIARDEN DOLLAR (2012) 2,3 1,2 EXPORTVOLUMEN DER TÜRKEI IN MILLIARDEN DOLLAR (2012) 58,02 MILLIARDEN EURO JAHRESUMSATZ DER BOYDAK HOLDING (2012) Redaktion: yer MILLIARDEN EURO JAHRESUMSATZ DER DOGAN HOLDING (2011) Illustration: LeSprenger EXPORTVOLUMEN DER TÜRKEI NACH EUROPA IN MILLIARDEN DOLLAR (2012) 45 % DATEN · TÜRKEI · WIRTSCHAFT 973 TL (408 EURO) GESETZLICH FESTGELEGTER BRUTTO MINDESTLOHN IN DER TÜRKEI 894 TL (375 EURO) Ø MONATSEINKOMMEN IN K AYSERI (2010) 1429 TL (598 EURO) Ø MONATSEINKOMMEN IN ISTANBUL (2010) 901 TL (377 EURO) Ø MONATSEINKOMMEN IN K AYSERI (2010) 2622 TL (1100 EURO) Ø LEBENSHALTUNGSKOSTEN IN DER TÜRKEI IN DEN STÄDTEN: 1670 TL (700 EURO) Ø LEBENSHALTUNGSKOSTEN IN DER TÜRKEI AUF DEM LAND 1500 TL (628 EURO) Ø MONATSGEHALT EINES LASTWAGENFAHRERS 4000 TL (1675 EURO) Ø GEHALT EINES KRANKENHAUSARZTES 45000 TL (18853 EURO) MONATSGEHALT VON IBRAHIM TURHAN, VORSTANDSCHEF DER ISTANBUL STOCK EXCHANGE UND EINER DER BESTVERDIENENDEN MANAGER DER TÜRKEI 79 DER TÜRKEN GEBEN ANGEBLICH MEHR GELD AUS, ALS SIE VERDIENEN 11,6 Mio MENSCHEN IN DER TÜRKEI LEBEN UNTERHALB DER ARMUTSGRENZE (2011) 80 WIRTSCHAFT · TÜRKEI · LEISTUNGSBILANZ Ein riskanter Höhenflug Die türkische Wirtschaft ist über die letzten Jahre so erstarkt, dass Deutschland Ende letzten Jahres die bilaterale Entwicklungskooperation mit der Türkei beendete. Doch die Zahlen trügen: Das Land kann schnell in eine Strukturkrise geraten VON WOLFGANG MOUSIOL ƀLJ(.,LJ,LJ!#,/(!LJ,)!(LJ".LJ#LJį,%#LJ#(LJ(/-LJ Selbstbewusstsein gewonnen – nicht nur in der internationalen Politik. Kontinuierliches Wirtschaftswachstum in der letzten Dekade hat weltweit Ökonomen veranlasst, eine strahlende Zukunft für die türkische Volkswirtschaft zu prognostizieren. Problematisch dabei ist jedoch, dass das Wachstum sich nicht gleichmäßig über die gesamte Türkei verteilt. So gibt es nicht nur starke regionale Disparitäten in Wirtschaftsstruktur und Wachstumsentwicklung zwischen Westen und Osten des Landes, sondern auch zwischen ländlichen Gebieten und urbanen Ballungszentren. Am wenigsten profitieren die ländlichen Gebiete und die Osttürkei vom Aufschwung. Im Vergleich mit anderen OECD-Staaten ist die Türkei Spitzenreiter in der Kategorie »nachhaltige regionale Unterschiede«, was sich auf die Verteilung der Produktionsstrukturen zurückführen lässt: Industrie im Westen, Verwaltung im Zentrum und Landwirtschaft im infrastrukturell schwachen Osten. Die türkische Landwirtschaft leistet einen Beitrag von 9 Prozent zum BIP – sehr viel mehr als in den europäischen Nachbarländern. Trotzdem wird der Sektor häufig übersehen, liegt der Fokus der Politik doch auf der Industrialisierung. Die Vernachlässigung durch die Politik hat ihren Preis: Der Agrarsektor ist geprägt von Subsistenzwirtschaft und einer sehr geringen Produktivität. Dem Mangel an Lagerungs- und Veredelungskapazitäten kann das Land nur durch kapitalintensive Investitionen entgegentreten. Doch genau an Kapital fehlt es; die Landwirtschaft ist somit ohne europäische Unterstützung langfristig nicht konkurrenzfähig. Eine weitere Schwäche des türkischen Wirtschaftswachstums offenbart sich im durchschnittlichen Einkommen: Trotz stetigen Wachstums seit 2001 betrug das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen des Jahres 2009 gerade einmal 45 Prozent des europäischen Durch- schnitts. So verdienten lediglich 3,5 Prozent der Türken 1.500 Euro und mehr, 70 Prozent verdienten 500 Euro und 27 Prozent der Arbeitnehmer hatten ein Einkommen von weniger als 250 Euro. Die offizielle Armutsrate für das Jahr 2010 lag bei 16,9 Prozent, die Dunkelziffer dürfte jedoch weit höher sein. Auch hier werden regionale Unterschiede deutlich: In der Region Istanbul erreicht man etwa drei Viertel des europäischen Durchschnitts, in der Osttürkei lediglich ein Sechstel. Die Armutsrate liegt in Ost- und Südostanatolien bei 46,6 Prozent. Die türkische Landwirtschaft ist ohne europäische Unterstützung langfristig nicht konkurrenzfähig Eine der Ursachen für Armut und hohe Arbeitslosigkeit besonders unter Jugendlichen sind das unzureichende Bildungswesen und die geringe Sensibilisierung für Forschung und Entwicklung in der Türkei. Der aktuelle Fachkräftebedarf wird auf 400.000 geschätzt. Sollte sich das Wirtschaftswachstum wie bisher entwickeln, weist die Türkei bald einen mittelfristigen Fachkräftebedarf von über einer Million auf. Speziell in Technik- und Ingenieurwesen fehlt es an Nachwuchskräften, woran besonders die Innovationskraft der türkischen Wirtschaft leidet. Wirft man einen Blick auf das Verhältnis von Importen und Exporten, ist festzustellen, dass die Türkei seit Jahren mehr Güter importiert, als sie ausführt. Dies führt zu einem jährlich wachsenden Leistungsbilanzdefizit und einem enormen Abfluss dringend benötigter Devisen. Dass die türkische Wirtschaft trotz geringer Exporte wächst, erklärt sich aus einer überhitzten Binnennachfrage nach Konsumgütern, die mangels Eigenkapital fremd- LEISTUNGSBILANZ · TÜRKEI · WIRTSCHAFT finanziert werden muss; die Gelder hierfür stammen aus dem Ausland. Die Wirtschaftskrisen der Jahre 2001 und 2008 waren unter anderem eine Folge des Abzugs ausländischen Kapitals aus der türkischen Wirtschaft. So beruhten 2001 rund 40 Prozent des türkischen BIP-Wachstums auf Krediten. Schon damals finanzierten die türkischen Konsumenten ihren privaten Verbrauch mit aus dem Ausland zur Verfügung gestelltem Fremdkapital. 6, 2 5,3 9,4 8,4 6,9 4,5 1,1 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2, 2 – 5,7 2000 – 3,7 6,8 BIP — ENTWICKLUNG (RATE) Quelle: Trade & Invest 2009 2010 11,5 2006 2007 2008 2009 10,33 10,1 2005 10,1 9,9 2004 2011 2012 9,8 10,6 2003 11,9 10, 2 2002 14,8 10,5 ARBEITSLOSENENTWICKLUNG (QUOTE) Quelle: Statista (Jahre 2011 und 2012 geschätzt) 2010 43, 3 54 2004 2005 2006 2007 105,8 34 2003 71,6 22,1 2002 38,8 15,5 2001 70 10,1 LEISTUNGSBILANZDEFIZIT IN MRD. US-DOLLAR Quelle: EUROSTAT, Germany Trade & Invest (Daten für 2011 geschätzt) 2008 2009 2010 2011 4 BILECIK IZMIR DÜZCE MERSIN 3,9 6, 2 ANK ARA 6,5 ISTANBUL 6,6 8,5 27, 2 ANTEIL AUSGEWÄHLTER REGIONEN AM BIP IN PROZENT BURDUR AUSGABEN (IN PROZENT VOM BIP 2011) Quelle: Germany Trade & Invest Bruttoinvestitionen 20,5 Staatskonsum 13 Privatverbrauch 66,5 Der Konsum wird mit ausländischem Kapital finanziert – das macht die Wirtschaft sehr verletzlich Der Staatshaushalt finanziert sich hauptsächlich aus Einkommens- und Konsumsteuer. Die zukünftige Höhe der Einkommensteuer ist abhängig von einem weiteren Wirtschaftswachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Da die türkische Wirtschaft jedoch immer noch stark binnenmarktorientiert ist, hängen Arbeitsplätze an einer zunehmenden Nachfrage im Konsumbereich. Genau dieser ist allerdings durch die fremdfinanzierte Beschaffung für private Haushalte krisenanfällig. Dies um so mehr, als das benötigte Fremdkapital aus dem Ausland kommt. Ziehen die ausländischen Kapitalgeber ihr Geld zurück, bricht der Konsummarkt zusammen – die erforderliche Nachfrage bleibt dementsprechend aus und die Steuereinnahmen gehen zurück. Zusätzlich wird der türkische Staatshaushalt durch die Transferzahlungen ins Ausland stark belastet. Grund ist die kurzfristige Auslandsverschuldung, die im Jahr 2010 um 58 Prozent stieg. Diese hohe Abhängigkeit von kurzfristigem ausländischem Kapital macht die Türkei besonders empfindlich. 2009 lagen die türkischen Vermögenswerte bei rund 29 Prozent des BIP, wohingegen sich die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland auf über 70 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung beliefen. Damit zählt die Türkei global zu den Ländern mit dem höchsten ausländischen Finanzierungsbedarf. All dies spricht dafür, dass die türkische Wirtschaft »überhitzt« ist. Es hat sich eine »Blase« gebildet, die sich nur über Ausweitungen der Exporte, eine gleichzeitige Dämpfung der Inlandsnachfrage nach Konsumgütern sowie eine verstärkte Investitionstätigkeit in allen Sektoren schadensfrei verkleinern kann. Will der anatolische Tiger nicht nur maunzen, sondern sich an die Spitze der aufstrebenden Industriestaaten setzen, muss er also schleunigst in eine nachhaltige gesamtwirtschaftliche Entwicklung investieren, die eine Umstrukturierung des Bildungssystems, eine Modernisierung der Landwirtschaft, die Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften und eine Anpassung des privaten )(-/'-LJ/' --(LJ-)&&.źLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJLJƀ Prof. Wolfgang Mousiol ist Wirtschaftswissenschaftler, Politologe und Studiendekan an der European Management School (EMS) in Mainz. 81 82 WIRTSCHAFT · SEKRETÄR BERICHT AN DEN VORSTAND Jobwunder Iran? Der Sekretär IHRE TERMINE DAG Wirtschaftsfrühstück 5. April, Berlin, PWC Building, Potsdamer Platz 11 Angesichts der saudischen Hochbau-Projekte ist der von Renzo Piano entworfene debis-Tower in Berlin eine passende Location: Um 9 Uhr morgens laden die Deutsch-Arabische Gesellschaft und PricewaterhouseCoopers zu einem Wirtschaftsfrühstück mit Experten aus Riad: Es geht um Steuerrecht und Vertragsgestaltung im Königreich. »Nur Rüstungsgeschäfte werden bei uns nicht verhandelt«, kommentiert DAG-Generalsekretär Harald Moritz Bock. d-a-g.org Turkish-Arab Economic Forum 4. und 5. April, Istanbul, Türkei Nach Deutschland ist der Irak der wichtigste Handelspartner der Türkei. Türkische Unternehmen haben den Arabischen Frühling gut überstanden – die Konkurrenz kritisiert allerdings das burschikose Geschäftsgebaren der Anatolier, die angeblich sehr flexibel mit Compliance-Regeln umgehen. Premier Erdogan lädt persönlich ein. Es lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen des türkischen Exportwunders. Auf der Website wird das Event im Four Seasons Hotel als »most excited« – also: »höchst aufgeregt« – beworben. turkisharabeconomicforum.com Business and Investment in Qatar Forum 15.- 16. April, Berlin »Wenn alle kommen, die angekündigt sind, wird Doha an diesen Tagen kaum regierungsfähig sein«, heißt es aus Kreisen der Veranstalter. Tatsächlich wartet die Roadshow der Kataris in Berlin mit höchster Prominenz auf: Katars Premier Hamad Bin Jassim soll gemeinsam mit der Bundeskanzlerin eröffnen. Auch viele Minister sind mit von der Partie. Bilateraler Gedankenaustausch steht jedoch nicht im Vorder- grund: »Die Kataris werden dort zeigen, was sie alles vorhaben«, ist zu vernehmen. Katars Außenministerium, die Bundesregierung und die Qatari Businessmen Association veranstalten das Event, Partner ist unter anderem die Deutsch-Arabische Handelskammer Ghorfa. ghorfa.de | qatarberlinforum.com Iraq Healthcare Conference und Iraq Medicare 27. bis 29. Mai, Erbil, Irak Der Irak will im Jahr 2015 mehr Geld für Gesundheit ausgeben als Saudi-Arabien – 2012 erklärte der irakische Gesundheitsminister im zenith-Interview, dass die Städte bereits um die besten Versorgungszentren und Zuwendungen der Zentralregierung wetteifern. Die staatliche Agentur KIMADIYA für Einkauf und Distribution von Medikamenten und Equipment rückt in den Fokus von Unternehmen. Während der Messe Medicare findet erstmalig eine Healthcare-Konferenz für Experten statt. Mancher stößt danach im »Deutschen Hof« zu Erbil an. Denn (frei nach Heinrich Lübke) können die Kurden auch Oberbayern sein. www.iraqhealthcareconference.com 7. Deutsch-Afrikanisches Energieforum 7. bis 10. April in Hamburg und Hannover Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft rechnet mit 500 Teilnehmern, darunter Staatssekretäre und Verbandsfunktionäre aus den Ländern, die zu den rohstoffreichsten der Welt gehören: Nigeria, Algerien, Angola. Der blutige Anschlag auf eine Gas-Förderanlage im algerischen In Amenas steckt der traditionellen risikofreudigen Öl- und Gas-Branche allerdings noch in den Knochen. Neben den fossilen Bodenschätzen stehen auch neue Themen wie Energy IT und „ländliche Elektrifizierung“ auf dem Programm. energyafrica.de Schreiben Sie uns: termine@zenithonline.de In den »aktuellen Hinweisen« an seine Mitglieder präsentierte der Nah- und Mittelostverein (Numov) jüngst einige erfreuliche Meldungen aus der iranischen Wirtschaft. Erstaunlich: Die Arbeitslosigkeit sei gar gesunken. »Sie lag im Herbst 2012 bei 11,2 Prozent, während sie ein Jahr zuvor noch bei 11,8 Prozent lag«, verkündete der Numov unter Berufung auf die Nachrichtenagentur MehrNews. Wenn Unternehmen solche Meldungen ungefiltert als Indiz für ein vorgeblich besseres Wirtschaftsklima präsentiert bekommen, lohnt sich ein Blick auf die Hintergründe. Gewiss hat die Islamischen Republik kein Monopol auf das Schönfärben von Arbeitsmarktstatistiken – aber derzeit einigen Grund dazu. Laut der iranischen Statistikbehörde stieg die Quote der Erwerbslosen im Sommer 2012 im Vergleich zum Vorjahr in insgesamt zwei Drittel der Provinzen – und in traditionellen Wirtschaftszentren: OstAserbaidschan mit der Metropole Tabriz (von 7,5 auf 14,8 Prozent), Ardebil (von 8,5 auf 13,6 Prozent), Teheran (von 10,8 auf 12,2 Prozent), Khuzestan (von 9,3 auf 13,2 Prozent), Zanjan (von 7,5 auf 13,6 Prozent), Isfahan (leicht von 13,9 auf 14,3 Prozent). Zehn Provinzen, darunter Gilan und Mazandaran, Sistan-Belutschistan und Hormozgan am Persischen Golf, verbuchten laut Statistik einen Rückgang. Die iranischen Behörden haben indes eher eigenwillige Interpretation der Standards der International Labor Organization (ILO): Kinder über zehn Jahren, die verstärkt im Niedrigstlohnsektor arbeiten, zählen in Iran zur wirtschaftlich aktiven und damit erwerbstätigen Bevölkerung. Dazu kommt: Eine einzige bezahlte Wochenstunde Arbeit genügt, um als beschäftigt zu gelten. Insgesamt wächst die Zahl derjenigen rapide, die sich aufgrund der desolaten Lage überhaupt nicht mehr um Jobs bemühen – da sie auf kaum Unterstützung hoffen können, melden sie sich nicht als arbeitssuchend und verschwinden aus der Statistik. Hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure und mittleres Management wurden in zahlreichen privaten Unternehmen auf Teilzeit umgestellt – sofern sie die Entlassungswellen der vergangenen Monate überstanden haben. Raha Namwar MACHTKAMPF IN SANAA WIE ARCHAISCH IST DER JEMEN? TANGENTE MÄRZ / APRIL 2013 DER PREIS DES ERFOLGS WAS DIE TÜRKEI SICH LEISTET SINDBAD VS. SIEGFRIED WAGNER UND DIE ARABER WWW.ZENITHONLINE.DE 01 / 2013 UNSICHTBARE GEGNER WARUM ES IN ÄGYPTEN IMMER WIEDER KNALLT In der Tradition von Eames: GOOD DESIGN Award für Tangente Datum. Wie bereits im Vorjahr ging der weltweit angesehenste Preis für Produktdesign auch diesmal an NOMOS Glashütte. Der GOOD DESIGN Award, von Charles und Ray Eames, Eero Saarinen und Edgar Kaufmann, Jr. 1950 erstmals vergeben, schmückt bis heute nur weltbeste Formen. Mit entsprechenden inneren Werten: feinsten Kalibern aus Glashütter NOMOS-Manufaktur. Tangente-Modelle gibt es ab 1180 Euro etwa bei: Augsburg: Bauer & Bauer; Berlin: Christ KaDeWe, Lorenz; Bielefeld: Böckelmann; Bonn: Hild; Bremen: Meyer; Darmstadt: Techel; Dortmund: Rüschenbeck; Dresden: Leicht; Düsseldorf: Blome; Erfurt: Jasper; Hamburg: Becker; Koblenz: Hofacker; Köln: Berghoff, Kaufhold; Ludwigsburg: Hunke; Lübeck: Mahlberg; München: Bucherer, Fridrich, Kiefer; Münster: Freisfeld, Oeding-Erdel; Ulm: Scheuble. Überall: Wempe. www.nomos-store.com und www.nomos-glashuette.com UNSICHTBARE GEGNER WARUM ES IN ÄGYPTEN IMMER WIEDER KNALLT DEUTSCHLAND EURO 8,20 | ÖSTERREICH EURO 8,90 | BENELUX EURO 8,90 | SCHWEIZ SFR 13,50 ISSN 1439 9660