CASH-POOL – Baden verboten!
Transcription
CASH-POOL – Baden verboten!
Illustration: Götz Wiedenroth FINANZIEREN & STRUKTURIEREN T I T E LT H E M A CASH-POOL – Baden verboten! Banken und Konzerne grübeln noch über Umgang mit BGH-Urteil Was für viele deutsche Finanzchefs bislang Grund zur Freude war, hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem Handstreich zu einer riskanten Sache gemacht: Mit der richterrechtlichen Verschärfung der Anforderungen an die Vergabe von Darlehen einer GmbH an ihre Gesellschafter steht auch die Cash-Pooling-Praxis deutscher Firmengruppen auf dem Prüfstand. Bei Verletzung des „Kreditvergabeverbotes“ können den Gesellschaftern künftig Schadensersatz und die strafrechtliche Haftung wegen Untreue drohen. Aus der Traum vom verbesserten Zinsergebnis? Von Heike Autschbach S inn und Nutzen von Cash-PoolingSystemen sind unstrittig: Mittels automatischen Clearings der Liquiditätspositionen von Konzerntöchtern können die konzernweiten Finanzierungskosten und der Außenfinanzie48 rungsbedarf einer Unternehmensgruppe beträchtlich gesenkt werden. Pech, dass sich die Liquiditätsströme in und aus dem Pool im rechtlichen Sinn als Darlehen qualifizieren und damit, streng genommen, nur mehr aus dem freien Vermögen der jeweiligen Gesellschaft erfolgen dürfen, „selbst wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig sein sollte“ (Urteil des BGH vom 24.11.2003, II ZR 171/01). November | 2004 FINANCE Ob und inwieweit der meist tägliche „Cash-Sweep“ zugunsten der Konzernmutter das gebundene Vermögen einer Tochtergesellschaft angreift, prüft zurzeit in der Praxis aber fast niemand. Häufigstes Argument: Dies würde einen Kontrollaufwand erfordern, der den wirtschaftlichen Nutzen des Cash-Pooling-Verfahrens überwiegen könnte. Entsprechend groß ist seit dem BGHEntscheid vom vergangenen November die Nervosität in den Finanzabteilungen. Verunsicherung und Ärger allerorten „Leider hat das Urteil mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten zu geben“, klagt Carola Schmitz-Becker, Leiterin des Cash Managements bei der Deutschen Post AG. „Ratlos“ fühlt man sich bei der Bayer AG. Es könne nicht Ziel des BGH sein, dem Thema Cash-Pooling den Todesstoß zu versetzen. Schließlich sei die Verfügbarkeit ausreichender liquider Mittel zu möglichst ge- ringen Kosten in der Wirtschaft von volkswirtschaftlicher Bedeutung. Doch auch Verärgerung macht sich inzwischen breit in den Konzernzentralen: „Die betriebswirtschaftlich gebotene und rechtlich bei Einhaltung bestimmter Spielregeln im Bereich der Verzinsung und der Besicherung nicht zu beanstandende Cash-Pooling-Praxis deutscher Konzerne wird durch das Urteil ohne Not in Frage gestellt“, moniert Dr. Marko Brambach, Syndikus bei der Versicherungsgesellschaft Gerling. Dort hofft man darauf, dass der II. Zivilsenat des BGH seine Rechtsprechung zu dem Thema binnen kurzem auf „das notwendige Maß beschränkt“. „Über das Ziel hinausgeschossen, weltfremd, unglücklich“ Tatsächlich klingt Kritik an der Entscheidung und ihren scheinbar nicht hinreichend bedachten Folgen für die Innenfinanzierung großer Unternehmen und Konzerne unverhohlen von allen Seiten. Über das Ziel hinausgeschossen, weltfremd, unglücklich – das sind nur einige der Reaktionen aus Treasurer-Kreisen. Schließlich galten Darlehen an Gesellschafter bislang als bloßer Aktivtausch bilanzrechtlich neutral und kapitalerhaltungsrechtlich unbedenklich, sofern die Gegenleistung angemessen war und kein Anlass bestand, an der Rückzahlung zu zweifeln. Zum Erstaunen der Finanzfachleute reicht das plötzlich nicht mehr. Der Austausch liquider Haftungsmasse gegen einen zeitlich hinausgeschobenen schuldrechtlichen Rückzahlungsanspruch gilt neuerdings als Verschlechterung der Vermögenslage der Gesellschaft und der Befriedigungsaussichten ihrer Gläubiger. Damit erteilt der BGH dem vorherrschenden bilanziellen Verständnis des § 30 GmbHG eine klare Absage. Künftig reicht eben nicht mehr die Garantie einer „bilanzmäßigen ➜ ANZEIGE Anzeige / Seite 49 Export 21 4c FINANCE November | 2004 49 Rechnungsziffer“, sondern ist die Erhaltung einer die Stammkapitalziffer deckende Haftungsmasse erforderlich. „Eine Fehlentwicklung in der Rechtsprechung“, findet auch Prof. Dr. Andreas Cahn, Leiter des Institute for Law and Finance der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, und erläutert seine Sicht: „Entgegen der Behauptung des BGH besteht das Anliegen der Vermögensbindungsregeln des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts darin, eine Vermögenssubstanz ihrem Wert nach zu erhalten. Insoweit ist eine bilanzielle Betrachtungsweise maßgeblich. Es besteht keinerlei Grundlage für die Annahme, dass Forderungen gegenüber Gesellschaftern grundsätzlich anderen Ansatz- oder Bewertungsvorschriften unterliegen würden als Forderungen gegen Dritte.“ wir Anzeichen für aktives Umgehen mit der neuen Rechtslage.“ Im Vorteil: Unternehmen mit erstklassigem Rating Immerhin hat der BGH ausdrücklich offen gelassen, ob die Gewährung eines Darlehens aus gebundenem Vermögen ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn die Darlehensvergabe im Interesse der Gesellschaft liegt, die Darlehensbedingungen dem Drittvergleich standhalten und die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters „selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht oder die Rückzahlung des Darlehens durch werthaltige Sicherheiten voll gewährleistet ist“. Da die beiden erstgenannten Kriterien einigermaßen unproblematisch Sascha Reuscher, zuständig für die Cash-ManagementProdukte der Fortis Bank, empfiehlt eine genaue Ausarbeitung der Verträge zwischen Konzernmutter und der am Pooling teilnehmenden Töchter. Foto: Fortis Bank Einig sind sich die Kommentatoren der Entscheidung, dass das Urteil sowohl GmbHs als auch AGs betrifft. Entsprechend viele Finanzexperten großer und kleiner Konzerne stehen vor der Frage, wie sie den Geschäftsführern und Vorständen ihrer Konzerntöchter in der neuen Situation eine gewisse Sicherheit verschaffen können, ohne auf CashPooling verzichten zu müssen. „Angesichts der rechtlichen Veränderungen herrscht noch immer starke Ungläubigkeit unter unseren Mitgliedern“, erzählt Prof. Dr. Heinrich Degenhart, Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Treasurer, „erst allmählich spüren 50 nachzuweisen sind, konzentriert sich die Diskussion auf die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters. Im Vorteil fühlen sich die Konzerne mit Agentur-Ratings im A-Bereich. Die Anmerkung des BGH als Forderung eines Triple-A-Ratings zu verstehen, scheint außerhalb jeder vernünftigen Überlegung. „Wir empfinden das Urteil als überinterpretiert“, erklärt Dr. Volker Heischkamp, Chef-Treasurer bei RWE, und beruft sich auf die unzweifelhafte Bonität des mit A+ gerateten Stromversorgers. Dennoch ergreift man auch hier Maßnahmen, um Bewusstsein für die Sachlage und kaufmännische Sorgfalt zu signalisieren: „Unsere Cash-Pool-Verträge mit Tochtergesellschaften sind so aufgebaut, dass das jeweilige Stammoder Grundkapital insofern geschützt ist, als der zur Deckung erforderliche Mindestbetrag der Liquidität dem CashSweep entzogen ist. Darüber hinaus ermöglichen wir unseren Töchtern die fristlose Kündigung der Vereinbarung beim Absinken der Bonität der Muttergesellschaft, für die unsererseits entsprechende Mitteilungspflicht besteht. Damit fühlen wir uns mit unserem Cash-Pooling-System auf einer guten Basis, auch in der neuen Rechtslage.“ Ein anderer großer deutscher Energie-Konzern erwägt darüber hinaus, seinen am Pooling beteiligten Konzerntöchtern mindestens monatlich mitzuteilen, welche Unternehmensteile den Pool mit Liquidität aufgefüllt und welche ihn beansprucht haben und in welcher Weise der Überschuss angelegt wurde. Hintergrund: Man will den Geschäftsführern und Minderheitsaktionären die Möglichkeit geben, selbst zu beurteilen, ob von der Konzernobergesellschaft unnötig risikoreiche Geschäfte gemacht werden. Während diese Maßnahmen darauf abzielen, das gebundene Vermögen der Liquidität abgebenden Gesellschaften zu schützen und die Konzerntöchter mit entsprechenden Beurteilungsmöglichkeiten und Handlungsspielräumen auszustatten, besteht eine andere Strategie darin, die entstandene Rechtsunsicherheit durch den Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen mit den am Pooling teilnehmenden Tochterunternehmen zu überwinden. Nach unbestrittener Ansicht führt dies zumindest bei der AG zu einer Suspendierung der strengen Kapitalerhaltungsvorschriften und damit zu einer zulässigen Darlehensgewährung an Gesellschafter aus dem gebundenen Vermögen. An die Stelle der Vermögensbindung tritt der Verlustübernahmeanspruch gegen das herrschende Unternehmen. „Zufrieden stellend ist eine solche Rechtslage allerdings nicht“, bemängelt Prof. Dr. Cahn, „denn für den Verlustübernahmeanspruch bestehen keine größeren Befriedigungs- ➜ November | 2004 FINANCE Anzeige Seite 51 Cartesis Deutschland 4c Ausweg Notional Pooling? Der rechtlichen Problematik entziehen kann sich ein Konzern, indem er vom realen zum so genannten „Notional Pooling“ wechselt. Dabei erfolgt kein physischer Transfer der Liquidität von den Konten der Gesellschaften auf das Hauptkonto, sondern nur ein fiktives Cash-Pooling auf ein virtuelles Zielkonto. Sabine Fraunholz, bei der HypoVereinsbank im Bereich International Cash-Management tätig, erklärt: „Alle Salden der am fiktiven Pooling beteiligten Konten werden nur kalkulatorisch zusammengefasst. Die Zinsberechnung erfolgt über das Masterkonto. Für die gesamte Kontengruppe wird nur eine Zinsabrechnung durchgeführt, der Kunde erhält jedoch auf Wunsch eine Zinsstaffel für jedes beteiligte Konto.“ Mangels Mittelübertragung stellen sich hierbei keine Fragen der Kapitalerhaltung. Freilich ist in dieser Konstellation das Kreditrisiko der Bank nicht saldiert, sondern besteht in Höhe der Summe aller Sollsalden. Ein Teil des durch die Einrichtung eines Cash-Pools bezweckten Zinsvorteils ist somit nicht zu realisieren. Entsprechend ungern erwägen die Finanzfachleute diesen Weg. Luis Rauch, Leiter der Finanzabteilung des Bauzementherstellers Dyckerhoff: „Notional Pooling kommt für uns nicht in Frage: Wir wollen die tatsächliche Bündelung der Liquidität auf der Ebene der Konzernmutter, und wir wollen den ganzen Zinsvorteil.“ Für die Banken bleibt alles so, wie es ist Während sich die Unternehmen im Thema Cash-Pooling neu orientieren müssen, bleibt aus Banksicht alles beim Alten. „Wir sehen keine Änderungsnotwendigkeit für unsere Produkte. Letztlich können wir außer verschiedener Reports und spezieller Informationsinstrumente nichts beisteuern, was die haftungsrechtliche Gefahr der Gesellschafter bei Verletzung des Kreditvergabeverbots schmälern würde“, erläutert Sascha Reuscher, zuständig für die Cash-Management-Produkte der Fortis Bank, die Situation der Kreditinstitute. „Die Überwachung und Steuerung dieser Sachverhalte obliegt der jeweiligen Firma selbst.“ Wohl werde der Kunde auf die entsprechende Problematik hingewiesen. Reuscher: „Wir empfehlen eine möglichst genaue Ausarbeitung der gruppeninternen Verträge zwischen Konzernmutter und den am Pooling teilnehmenden Konzerntöchtern. Hier sind einige Regelungen hinsichtlich In- formationsrechten und -pflichten, vom Pooling ausgenommene Beträge und Kündigungsmöglichkeiten etc. denkbar, die das Thema deutlich zu entschärfen helfen.“ Die rechtliche und steuerliche Klärung der Fragen müssen am Ende jedoch Anwalt, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater des Unternehmens übernehmen. Am Ende doch alles beim Alten? Trotz aller rechtlichen Unsicherheiten mag auf Unternehmensseite niemand so recht von der international üblichen und wirtschaftlich sinnvollen Form der Konzerninnenfinanzierung durch Cash-Pooling abrücken und die Vorteile des konzerninternen Liquiditätsmanagements aufgeben. Zu wichtig ist im rauen Marktumfeld die Verfügbarkeit ausreichender liquider Mittel zu möglichst geringen Kosten. Wer allerdings weiter gänzlich unbesorgt „im Cash-Pool baden“ möchte, wird sicherstellen müssen, dass eine Kreditvergabe nur aus dem freien Vermögen der Gesellschaft (freie Rücklagen und Gewinnvortrag bzw. Bilanzgewinn) erfolgt. Auch darüber hinaus gibt es verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, doch bleibt dabei vorerst ein leises Kribbeln beim Sprung ins kühle Nass … ➜ aussichten als für den Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens. Damit ist die neue Regelung in mancher Hinsicht angreifbar.“ heike.autschbach@finance-magazin.de CASH-POOLING BGH begrenzt interne Darlehensvergabe Mit einem Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Anforderungen an die Vergabe von Darlehen einer GmbH an ihre Gesellschafter aus dem gebundenen Vermögen wesentlich verschärft (BGH II ZR 171/01 vom 24. November 2003). In der Folge müssen GmbHs, aber auch Aktiengesellschaften ihre bestehenden Cash-Pools überprüfen. Von Peter Erbacher und Dr. Rüdiger Thiele 52 November | 2004 FINANCE