Umsatzsteuer aktuell 07/2014
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Umsatzsteuer aktuell 07/2014
www.pwc.de/de/steuern/umsatzsteuerberatung.jhtml Informationen zu Entwicklungen im Umsatzsteuerrecht Umsatzsteuer aktuell Ausgabe 7, Oktober 2014 Europäischer Gerichtshof entscheidet über Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in Organschaftsfällen Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (oder von Betriebsstätten desselben Stammhauses untereinander) sind grundsätzlich nicht umsatzsteuerbare Innenumsätze, weil sie innerhalb eines Unternehmens stattfinden. Handelt es sich dabei um sonstige Leistungen, so gilt das (zumindest aus deutscher Sicht) auch dann, wenn diese Leistungen grenzüberschreitend erbracht werden. Für den Fall allerdings, dass eine im Ausland ansässige Gesellschaft sonstige Leistungen an eine inländische Betriebsstätte erbringt, die Teil einer Mehrwertsteuergruppe (in Deutschland: einer umsatzsteuerlichen Organschaft) ist, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil nunmehr mit diesem Grundsatz gebrochen. Die Konsequenzen dieses Urteils sind weitreichend und können insbesondere Unternehmer betreffen, die nicht oder nicht vollständig zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Der Sachverhalt Eine in den USA ansässige Gesellschaft war in ihrem Konzern auf globaler Ebene für den Einkauf von IT-Dienstleistungen zuständig. Sie vertrieb extern erworbene IT-Dienstleistungen im Konzern sowie an ihre Zweigniederlassung in Schweden, über die sie in diesem Land ihre Tätigkeit ausübte. Diese Zweigniederlassung war in Schweden Teil einer Mehrwertsteuergruppe. Die Aufgabe der Zweigniederlassung bestand darin, die extern erworbenen Dienstleistungen zu einem als „IT-Produktion“ bezeichneten Endprodukt weiterzuverarbeiten, das sodann verschiedenen Gesellschaften des Konzerns innerhalb und außerhalb der Mehrwertsteuergruppe zur Verfügung gestellt wurde. Das schwedische Finanzamt wollte für die Leistungen des Stammhauses an die Zweigniederlassung Mehrwertsteuer erheben. Das Urteil Auch der EuGH kam zu dem Schluss, dass Mehrwertsteuer auf die Leistungen des Stammhauses an die Zweigniederlassung zu erheben war. Zwar war der Gerichtshof der Auffassung, dass die schwedische Zweigniederlassung gegenüber dem ausländischen Stammhaus unselbstständig war. Er entschied allerdings: Eine Mehrwertsteuergruppe ist ein einziger Steuerpflichtiger. Ist die Zweigniederlassung Teil dieser Gruppe, so ist sie auch Teil dieses Steuerpflichtigen. Als solcher sei nur dieser einzige Steuerpflichtige befugt, Steuererklärungen abzugeben. Somit seien die von einem Dritten zugunsten eines Mitglieds der Mehrwertsteuergruppe erbrachten Dienstleistungen nicht als zugunsten dieses Mitgliedes, sondern als zugunsten der Mehrwertsteuergruppe erbracht anzusehen. Da folglich die amerikanische Gesellschaft und ihre Zweigniederlassung nicht als ein Steuerpflichtiger angesehen werden konnten, lagen steuerbare Dienstleistungen des amerikanischen Stammhauses an seine schwedische Zweigniederlassung vor. In einem weiteren Schritt urteilte der EuGH, dass die Leistungen des Stammhauses in Schweden dem Reverse-Charge-Verfahren unterlagen. Umsatzsteuer aktuell Ausgabe 7, Oktober 2014 2 Rechtliche Bedeutung Nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland ist eine Betriebsstätte im Inland sowohl Teil der Organschaft als auch Teil des Unternehmens des im Ausland ansässigen Stammhauses. Das gilt auch für eine Organgesellschaft im (umgekehrten) Fall, dass sich die Organgesellschaft im Inland und ihre Betriebsstätte im Ausland befinden. Die beiden Zugehörigkeiten zu verschiedenen Unternehmen überlappen sich nach deutschem Recht also. In beiden Verhältnissen können nicht umsatzsteuerbare Innenleistungen bewirkt bzw. empfangen werden. So sieht ein bislang im Umsatzsteuer-Anwendungserlass angeführtes Beispiel vor, dass ein Organträger seiner Organgesellschaft Waren überlässt, die diese (als in Deutschland nicht umsatzsteuerbare Drittlandsverbringung) in einem zweiten Schritt an ihre Schweizer Betriebsstätte verbringt. Durch diesen Zwischenschritt sind beide Transaktionen als Innenumsätze nicht umsatzsteuerbar. Hätte dagegen der Organträger die Waren ohne diesen Zwischenschritt an die schweizerische Betriebsstätte der Organgesellschaft geliefert, so hätte es sich um eine umsatzsteuerbare Ausfuhrlieferung gehandelt. Der EuGH hat in seinem Urteil entschieden, dass die inländische Zweigniederlassung, die Anlass für den Streitfall gab, nicht zwei Unternehmen angehören kann. Da er im nächsten Schritt die Zweigniederlassung einem der beiden infrage kommenden Unternehmen zuzuweisen hatte, gab er der inländischen Mehrwertsteuergruppe den Vorzug vor dem Unternehmen des ausländischen Stammhauses. Mögliche Konsequenzen Alle Fälle, in denen ein Leistungsaustausch zwischen einem Stammhaus und Betriebsstätten (oder auch Betriebsstätten desselben Stammhauses untereinander) stattfindet und entweder der leistende oder der empfangende Teil des Unternehmens (oder auch beide) einer Mehrwertsteuergruppe (Organschaft) angehört, sollten überprüft werden. Im Einzelnen sollen nachfolgend einige Beispiele für die Implikationen des Urteils angeführt werden. Wenn sowohl das Stammhaus als auch die Betriebsstätte in ihren jeweiligen Ländern einer Organschaft angehören, unterfällt eine sonstige Leistung zwischen den beiden der Wertung des Urteils zufolge der Umsatzsteuer. Auch zwischen einer inländischen Organgesellschaft und ihrer ausländischen Betriebsstätte würden demnach umsatzsteuerbare Leistungen ausgetauscht werden. Zumindest aus deutscher Sicht könnten aber Leistungen zwischen dem Organträger und seinen (organschaftlich nicht gebundenen) ausländischen Betriebsstätten auch weiterhin als nicht umsatzsteuerbar gelten. Denn diese Betriebsstätten sind ebenso Teil des Unternehmens des Organträgers wie die (inländischen) Organgesellschaften. Aus europäischer Sicht ist das allerdings nicht zwingend. Denkbar ist, dass in anderen EU-Mitgliedsstaaten eine Mehrwertsteuergruppe als ein eigenständiges Gebilde angesehen wird, welches als eigene Rechtspersönlichkeit gilt. Dann läge es nahe, dass sonstige Leistungen und Warenbewegungen an eine solche Organschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit der Umsatzsteuer unterfallen, unabhängig davon, ob die im anderen Land ansässigen Betriebsteile einem Organträger oder einer Organgesellschaft zugerechnet werden. Ein vom Bundesfinanzhof am EuGH bereits anhängig gemachtes Vorabentscheidungsersuchen, das sich unter anderem mit der Frage der Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers befasst, gewinnt nach alldem zusätzliche Brisanz. Dieselben Überlegungen gelten umgekehrt für den Fall, dass ein ausländischer Organträger an seine inländische Betriebsstätte leistet. Das Urteil wirft besonders für den Fall eines Leistungsaustauschs zwischen Organgesellschaften und Betriebsstätte weitere Fragen auf. In Fällen, in denen die Leistung nicht beim Leistungsempfänger, sondern in Deutschland zu besteuern ist, ist unklar, ob – beispielsweise – Deutschland ausländische Mehrwertsteuergruppen anerkennt; es käme dann für die Beurteilung, ob beispielsweise eine Rechnung zwischen einer Betriebsstätte und ihrem Stammhaus deutsche Umsatzsteuer ausweisen darf, auf den umsatzsteuerlichen Status des Betriebsteils im Ausland an. Es fragt sich, wie die Umsatzsteuer aktuell Ausgabe 7, Oktober 2014 3 deutschen Finanzbehörden das (z. B. im Wege eines Nachweises durch das den Vorsteuerabzug begehrende Stammhaus?) überprüfen. In gleicher Weise fragt sich, was in Deutschland in Fällen gelten soll, in denen eine Leistung aus einer ausländischen Mehrwertsteuergruppe heraus erbracht wird. Unklar ist schließlich, wie andere EU-Mitgliedsstaaten (oder auch Drittstaaten mit Mehrwertsteuergruppen) mit diesem Thema umgehen werden – zum Beispiel (im Fall von Drittstaaten) dann, wenn deutsche Steuer ausgewiesen wird und für Zwecke des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens keine Gegenseitigkeit mit Deutschland besteht. Wird nach alldem aus einer nicht umsatzsteuerbaren eine umsatzsteuerbare Leistung, zieht das zahlreiche Konsequenzen nach sich. Die gravierendste Auswirkung betrifft umsatzsteuerliche Organschaften, die nicht oder nicht vollständig zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Aus dem Ausland bezogene Leistungen an inländische Betriebsstätten oder Stammhäuser könnten sich für sie erheblich verteuern. Dasselbe gilt zum Beispiel für Betriebsstätten, die sonstige Leistungen aus einem ausländischen Organkreis beziehen. Weitere Konsequenzen betreffen den Nachweis für Steuerbefreiungen sowie Meldepflichten. Warenbewegungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte über EU-Binnengrenzen hinweg waren zwar schon bislang als innergemeinschaftliche Verbringungen umsatzsteuerbar. Finden sie aber nunmehr zwischen verschiedenen Unternehmern statt, so dürften sie als innergemeinschaftliche Lieferungen anzusehen sein. Warenbewegungen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus in das Drittland würden nach diesen Grundsätzen statt als (nicht steuerbare) Drittlandsverbringungen als Ausfuhrlieferungen anzusehen sein. In beiden Fällen sollte der Nachweis der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung in vorgeschriebener Weise erbracht werden können. Sind innergemeinschaftliche sonstige Leistungen zwischen Gesellschaft und Betriebsstätten nach diesem Urteil als umsatzsteuerbare Leistungen zu behandeln, kann das bedeuten, dass sie künftig als innergemeinschaftliche Dienstleistungen in der Zusammenfassenden Meldung anzumelden sind. Der EuGH sah im Streitfall den amerikanischen Unternehmer nicht mehr als in Schweden ansässig an, weshalb er entschied, dass die Leistung in Schweden dem Reverse-Charge-Verfahren zu unterwerfen sei. Ist somit ein Stammhaus nicht mehr im Inland ansässig, kann dies weitere Folgen nach sich ziehen. Denkbar wäre es, dass diejenigen Vorsteuern, die nicht auf die Zweigniederlassung entfallen, im VorsteuerVergütungsverfahren geltend zu machen sind. Praxishinweise Es sollte davon ausgegangen werden, dass die deutsche Rechtsprechung und Finanzverwaltung das Urteil des EuGH in absehbarer Zeit in der Praxis umsetzen. Auf die anstehenden umfangreichen Maßnahmen sollten betroffene Unternehmer sich möglichst umgehend gründlich vorbereiten. So könnten Vereinbarungen zwischen den Konzerngesellschaften infolge des Urteils anfallende, nicht abziehbare Vorsteuer zu berücksichtigen haben und könnten neu auszuhandeln sein. Möglicherweise lassen sich aber auch die Leistungsströme oder der Konzern selbst in einer Weise umstrukturieren, die nicht abziehbare Vorsteuer vermeidet oder zumindest reduziert. Hier können – etwa für das Bankenwesen – zusätzlich regulatorische Vorschriften zu beachten sein. Im Einzelfall mag es auch vorteilhaft sein, die Organschaft zu beenden (oder ihren Umfang zu modifizieren), wenn die Vorsteuerbelastung ohne Organschaft unter den Kosten liegt, die eine Organschaft unter den neuen Bedingungen verursacht. In Fällen, in denen eine definitive Vorsteuerbelastung durch Änderungen am Entgelt reduziert werden soll, sollten – abgesehen etwa von der Mindestbemessungsgrundlage, die es in ähnlicher Form auch in anderen EUMitgliedsstaaten gibt – stets auch die Transfer-Pricing-Vorschriften beachtet werden. Alle diese Änderungen können sich unter zahlreichen Aspekten – vom Nachweis für Steuerbefreiungen über die Voraussetzungen für das Reverse-Charge-Verfahren bis 4 Umsatzsteuer aktuell Ausgabe 7, Oktober 2014 hin zum Meldewesen – auf die beteiligten Gesellschaften auswirken, und zwar mitunter in mehreren Ländern (zumindest) der Europäischen Union. Die Buchhaltungen und Steuerabteilungen müssen zu diesem Zweck Aufzeichnungen und Meldepflichten in Leistungsbeziehungen beachten, die ihnen bislang geringere oder keine Aufmerksamkeit abverlangten. Auch formellen Aspekten könnte Aufmerksamkeit zu schenken sein. Unter Umständen könnte es etwa nötig werden, die Rechnungstellung zu ändern (z. B. Name und Anschrift des leistenden Unternehmers und/oder des Leistungsempfängers, Steuernummer). Fundstelle: EuGH C-7/13 „Skandia“, Urteil vom 17. September 2014, abrufbar unter curia.europa.eu Ihre Ansprechpartner Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung und vermitteln Ihnen auf Wunsch auch einen Ansprechpartner in Ihrer Nähe. StB Frank Gehring Tel.: +49 211 981-2771 frank.gehring@de.pwc.com RA StB Martin Diemer Tel.: +49 711 25034-1258 martin.diemer@de.pwc.com Bestellung und Abbestellung Wenn Sie den PDF-Newsletter Umsatzsteuer aktuell bestellen möchten, senden Sie bitte eine leere E-Mail mit der Betreffzeile „Bestellung“ sowie dem genauen Namen Ihres Unternehmens an SUBSCRIBE_Indirect_Tax_Information@de.pwc.com. Wenn Sie den PDF-Newsletter Umsatzsteuer aktuell abbestellen möchten, senden Sie bitte eine leere E-Mail mit der Betreffzeile „Abbestellung“ an UNSUBSCRIBE_Indirect_Tax_Information@de.pwc.com. Die Beiträge sind als Hinweise für unsere Mandanten bestimmt. 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