Untersuchungen zur Musik von Weather Report
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Untersuchungen zur Musik von Weather Report
Lena Maria Spannring Untersuchungen zur Musik von Weather Report Masterarbeit im Rahmen der Studienrichtung Instrumental- und Gesangspädagogik, an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz Betreuer: O. Univ. Prof. Dr. Franz Kerschbaumer Matrikelnummer: 0873178 Graz, am 17. Februar 2015 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- Vorwort Ursprünglicher Auslöser und Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Themenstellung der vorliegenden Arbeit war mein Interesse am österreichischen Jazzpianisten Joe Zawinul. Seine Lebensgeschichte, seine Bodenständigkeit und die ebenso pragmatische Art, Musik zu machen, haben meine Neugier geweckt. Themen, welche die Auseinandersetzung mit diesem Musiker besonders spannend machen, sind: Seine Kindheit in der österreichischen Kriegsbzw. Nachkriegszeit; wie die Eltern ihrem hochbegabten, aber rotzfrechen Sohn, trotz tiefer Armut einen Flügel finanzierten und ihm den Instrumentalunterricht ermöglichten; wie dieser sich, entgegen aller Bemühungen seitens der Erwachsenen, gegen die Schule, das Üben und Lernen wehrte; seine Zeit im Wien der 1950er Jahre, als Joe Zawinul begann, sich in der heimischen Jazzszene als Pianist zu etablieren; der Aufbruch nach Amerika und der Einstieg in die dortige Musikwelt; das Kennenlernen großer Musikerpersönlichkeiten wie Miles Davis und Cannonball Adderley; nach ersten Jahren als Pianist bei Dinah Washington und einem anschließenden Engagement von neun Jahren in der Band bei Cannonball Adderley schließlich die Gründung von Weather Report. Wichtiger Begleiter in dieser Zeit und eine Hauptfigur bei Weather Report war Musikerkollege, Gründungsmitglied, enger Freund und Vertrauter Wayne Shorter. Ein Kapitel widmet sich seinem, zu Zawinul völlig konträrem, Charakter und Werdegang. In einem weiteren Kapitel wird die Zusammenarbeit des gegensätzlichen Duos, deren Ergebnis letztendlich zum Weltruhm führte, beschrieben. Neben der Auseinandersetzung mit den beiden genannten Musikern bildet die Band Weather Report das Herzstück der folgenden Arbeit. Die Zeit von den Anfängen um 1970 bis hin zum absolutem Durchbruch und der anschließenden Hochphase gegen Ende der 1970er Jahre wird genauer beleuchtet. Die jährlich erschienenen Alben werden zur Grundlage der Untersuchungen herangezogen, wobei Aspekte wie die Besetzung, die Entwicklung der Musik, Kritikermeinungen und Auszeichnungen besprochen werden. Ein abschließendes analytisches Kapitel stellt ein Notenbeispiel aus den Anfangsjahren und eines aus der Hochblüte der Band gegenüber. Mit dem Fokus auf die zentrale Figur Joe Zawinul führt die vorliegende Arbeit durch eine ereignisreiche Zeit. Im Durchlaufen jener wurden mit unterschiedlicher Intensität Themen 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- beleuchtet, die relevant und für die Leserschaft interessant erschienen. Wörtliche Zitate sollen einen möglichst realitätsnahen Einblick gewähren. 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- Einleitung Der folgende Text ist in fünf große Kapitel gegliedert. Das Erste beschreibt die Situation des Musikbusiness im Amerika der 1960er Jahre. Im Popbereich waren die Beatles an vorderster Spitze vertreten, im Jazz galt Miles Davis als die Kultfigur schlechthin. Eine neue Musikrichtung, Fusion, etablierte sich und gewann, nach Auflösung der Beatles, zunehmend an Bedeutung. Diese drei Eckpfeiler bilden den musikgeschichtlichen sowie sozialen Kontext zur Gründungsgeschichte von Weather Report. Eine Biographie von Joe Zawinul sowie von Wayne Shorter sind Gegenstand des zweiten Kapitels in welchem auch eine Beschreibung ihrer Zusammenarbeit und der Beziehung zueinander ihren Platz findet. Das dritte große Kapitel, „die Anfänge“, befasst sich mit einem Überblick über die ersten fünf Alben. Einige Stücke werden mit Kurzbeschreibungen hervorgehoben, der ursprüngliche, experimentelle Grundgedanke der Musik wird dabei herausgearbeitet. Im Laufe der ersten fünf Jahre werden bereits erste Veränderungen in Richtung einer kommerziellen Schiene erkennbar. Besetzung der Musiker und personelle Hintergrundinformationen werden ebenfalls besprochen. Das vierte Kapitel befasst sich mit der Hochblütezeit der Band. Es sind die Jahre in welchen der Bassist und Publikumsliebling Jaco Pastorius zur Gruppe stieß und ihr zum absoluten Durchbruch verhalf. Mit dem meistverkauften Album Heavy Weather 1977 und der Titelnummer Birdland erlangte Weather Report Weltruhm. Anfang der 1980er Jahre neigte sich die Blütezeit langsam ihrem Ende zu. Mit Jaco Pastorius’ und Peter Erskines (Schlagzeug) Ausstieg wird das Kapitel abgeschlossen, das letzte besprochene Album heißt Weather Report 1982. Anschließend folgt ein analytischer Teil, in welchem zwei Musikbeispiele aus zwei verschiedenen Epochen in der Ära von Weather Report verglichen werden. In einer Einleitung und einer Zusammenfassung wird die thematisierte Fragestellung zu den musikalischen Untersuchungen erklärt. Abschließend beschreibt ein „Ausblick“ wie die Geschichte der Band ab 1983 bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1986, weiterverlief. 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- Inhaltsverzeichnis Vorwort 1 Einleitung 2 1. Die Situation in Amerika nach den Beatles 3 1.1. Miles Davis 4 1.2. Fusion 4 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. Zur Entwicklung der Fusion-Music Musikalische Entwicklung der Fusion-Music durch Weather Report Charakteristika der Musik von Weather Report 5 6 6 2. Joe Zawinul und Wayne Shorter 8 2.1. Joe Zawinul 8 2.2. Wayne Shorter 14 2.3. Die ersten Begegnungen von Joe Zawinul und Wayne Shorter 19 2.4. Gründung von Weather Report 20 2.5. „Leadership“ von Zawinul und Shorter 24 3. Die Anfänge: Die ersten fünf Alben 26 3.1. Weather Report 1971 26 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.3.1. 3.1.3.2. 3.1.3.3. 3.1.3.4. 3.1.3.5. 3.1.3.6. Besetzung Publikum Musik Milky Way Umbrellas Seventh Arrows Orange Lady Morning Lake Waterfall 26 26 27 28 29 29 29 29 30 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- 3.1.3.7. 3.1.3.8. Tears Eurydice 30 30 3.1.4. 3.1.5. 3.1.6. Kritik Auszeichnungen und Awards Weather Report 1971; Die DVD 31 31 31 3.2. I Sing The Body Electric (1972) 32 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.2.6. 3.2.6.1. 3.2.6.2. Besetzung Der Durchbruch Instrumente Titel Cover Musik Unknown Soldier The Moors 32 32 33 33 35 35 35 35 3.3. Sweetnighter (1973) 37 3.3.1. 3.3.2. 3.3.2.1. 3.3.3. 3.3.3.1. 3.3.4. 3.3.5. 3.3.6. Besetzung Boogie Woogie Waltz Rhythmus 125th Street Congress „Sampling“ Kritik Awards und Reihungen Synthesizer 37 38 39 40 40 41 42 42 3.4. Mysterious Traveller (1974) 45 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4. 3.4.5. 3.4.5.1. 3.4.5.2. 3.4.6. Besetzung Cover Kompositionen Instrumente Musik Nubian Sundance Jungle Book Awards und Reihungen 45 46 47 47 47 48 48 48 3.5. Tale Spinnin’ (1975) 49 3.5.1. 3.5.2. 3.5.3. 3.5.4. Besetzung Die Arbeit im Studio Kritik Awards 49 49 50 51 4. Die Hochblüte: 1976 bis 1982 1 52 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- 4.1. Black Market (1976) 52 4.1.1. 4.1.2. 4.1.2.1. 4.1.2.2. 4.1.3. 4.1.4. Besetzung Musik Black Market Cannonball Alphonso Johnson und Jaco Pastorius im Vergleich Awards und Reihungen 52 53 54 54 55 55 4.2. Jaco Pastorius 56 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5. 4.2.6. Jugend Der bundlose Bass Werdegang bis Weather Report Jaco bei Weather Report Die Zeit nach Weather Report Tod 56 57 57 58 60 60 4.3. Der Durchbruch 62 4.4. Heavy Weather (1977) 63 4.4.1. 4.4.2. 4.4.3. 4.4.4. 4.4.4.1. 4.4.4.2. 4.4.5. 4.4.6. Besetzung Tour Neuer Sound Birdland Der Club Das Stück A Remark You Made Kritik 63 63 64 64 64 65 66 66 4.5. Mr. Gone (1978) 67 4.5.1. 4.5.2. 4.5.3. 4.5.4. 4.5.4.1. 4.5.4.2. 4.5.4.3. 4.5.5. 4.5.6. Besetzung Musik Die Disco Welle Die Bereiche der Musiker Joe Zawinul Jaco Pastorius Wayne Shorter Medien Awards und Reihungen 67 68 68 69 69 70 70 71 72 4.6. 8:30 (1979) 73 4.6.1. 4.6.2. Besetzung Awards und Reihungen 73 73 4.7. Night Passage (1980) 74 4.7.1. 4.7.2. 4.7.3. Management Besetzung Musik 74 74 75 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- 4.7.4. 4.7.5. Kompositionen Reihungen 75 75 4.8. Weather Report (1982) 76 4.8.1. 4.8.2. 4.8.3. 4.8.3.1. 4.8.3.2. 4.8.4. Jacos Ausstieg Peters Ausstieg Musik When It Was Now Dara Factor One/Two Reihungen 76 77 78 78 78 78 5. Analysen 79 5.1. Einleitung 79 5.2. Unknown Soldier 80 5.2.1. 5.2.2. 5.2.3. 5.2.4. 5.2.5. 5.2.6. 5.2.6.1. 5.2.6.2. 5.2.6.3. Synthesizer Gegenüberstellung Synthesizer und akustische Elemente Perkussion Hintergrundgeschichte Jazzelemente Ablauf unter Berücksichtung des formellen Aspektes Einleitung Mittelteil Schlussteil 80 80 80 81 82 83 83 83 83 5.3. Black Market 86 5.3.1. 5.3.2. Formale Analyse Instrumentierung 86 88 5.4. Zusammenfassung 89 6. Ausblick bis 1986 90 Zusammenfassung 93 Quellenverzeichnis 94 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- . Die Situation in Amerika nach den Beatles Die 1960er Jahre standen ganz im Zeichen der Rock`n`Roll-Revolution. Neben den Beatles bestimmten Musikgruppen wie The Rolling Stones, The Who, Deep Purple, The Doors, Cream und Led Zeppelin die Popszene. Der Hype um die Beatles war enorm, sie zogen ein Massenpublikum an und lenkten die Aufmerksamkeit vieler unterschiedlicher Alters- und Gesellschaftsgruppen auf sich. Bei den Fans lösten sie einen nahezu fanatischen Begeisterungssturm aus, den es zuvor nur bei Frank Sinatra oder Elvis Presley gegeben hatte. Neben Gruppen wie The Rolling Stones wurden sie aber als „brave Jungs“ gehandelt, auch textlich blieben sie relativ harmlos dem Schlager treu. Mit mehr als einer Milliarde verkaufter Tonträgern zählen die Beatles zur erfolgreichsten Band der Musikgeschichte überhaupt. Die musikalischen Ursprünge der Band liegen im Rock`n`Roll der 1950er Jahre, die dann sehr bald mit Elementen aus der Liverpooler (Heimatort der Band) Beatmusik angereichert wurden. Die Beatles leisteten auch Pionierarbeit in der Entstehungsgeschichte des Musikvideos. Sie drehten für neue Single-Erscheinungen kurze Filme, die sie dann an diverse Fernsehsender verschickten. Der Erfolg der Beatles brachte eine allgemeine Fokussierung auf die Popmusik mit sich. Das Publikum interessierte sich kaum mehr für Jazzmusik. Miles Davis begründete das mangelnde Publikum im Jazz folgendermaßen: „Jazz does not have a strong or driving enough motor that get into people`s bones. That same old ding-ding-da-ding-ding-ding-da-ding is kind of boring and all used up.“ 1 Als sich die Beatles Anfang der 1970er Jahre trennten, löste das einen Schock aus, der rund um den Globus zu spüren war. Die blühende Rock`n`Roll-Szene verlor langsam an Schwung und die bedeutendsten Bands ihrer Zeit hatten den Höhepunkt ihrer Karriere bereits hinter sich. Die Situation lechzte nach neuen Ideen, die Plattenlabels waren auf der Suche nach innovativen Klängen. Zu dieser Zeit wurden Stile wie Fusion, Rockjazz und Crossover populär. Jazzgrößen wie Miles Davis, Herbie Hancock und Chick Corea waren wieder am Zahn der Zeit, aber auch Ensembles aus der Rockszene wie Frank Zappas Mother Of Invention oder Blood, Sweet & Tears versuchten sich in der Sprache des Jazz’. 1 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. London, 2004, S. 124 -3- 1.1. Miles Davis Der Trompeter ist neben Louis Armstrong, Duke Ellington und Charlie Parker eine Musikerpersönlichkeit, die die Entwicklung der Jazzmusik maßgeblich beeinflusst hat. Sein voller Name lautete Miles Dewey Davis, er kam mit 18 Jahren 1944 aus seiner Heimatstadt St. Louis nach New York. Bevor er 1948 seine eigene Band gründete, spielte er mit Charlie Parker und Dizzy Gillespie zusammen Bebop. Seine Platten wiesen der Musik den Weg: Mit Birth Of The Cool erfand er Mitte der 1950er Jahre mehr oder weniger den Cool Jazz. In Kind Of Blue (1959) legt er die Liedform ab und eröffnet den Weg zum modalen Spiel. Mit In A Silent Way hat sich Davis im Jahre 1969 endgültig von den dichten Improvisationen, wie sie in den Mittsechzigern praktiziert wurden, verabschiedet. Das modale Spiel und der gesamtmusikalische Ausdruck rücken in den Vordergrund. Das Album ist das erste Fusionalbum von Miles Davis, die Titelnummer von Joe Zawinul geriet zur Signatur des Jazzrock. Auf dem nächsten Album Bitches Brew, welches ebenfalls 1969 erschien, werden Rockrhythmen und Elektronik zu Stilmitteln des Jazz. Die Platte löste eine regelrechte „Fusionwelle“ aus. Bitches Brew war für viele Musiker der initiierende Zündstoff, im Bereich der Fusion-Music aktiv zu werden. Unter ihnen Wayne Shorter und Joe Zawinul, die auf beiden Fusionalben von Miles Davis gemeinsam in der Band gespielt hatten. Zwei weitere nennenswerte Musiker, für welche Miles Davis ein wichtiger Wegbegleiter gewesen war, sind der Gitarrist John McLaughling (John McLaughling`s Mahavishnu Orchestra) und der Pianist Chick Corea, welcher vor allem durch seine Fusionband Return to Forever bekannt wurde. 1.2. Fusion Der Begriff Fusion ist eine Wortschöpfung der Schallplattenindustrie in den USA und bedeutet eine Verschmelzung von Jazz- und Rockmusik. Elemente aus der elektronischen und der indischen Musik sind typisch für den Stil. Die Stilbezeichnung Fusion-Music kam in -4- den 1970er Jahren in den USA auf. Rock-Jazz oder Electric-Jazz hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits etabliert. Fusion-Music und Jazz-Rock sind bezeichnend für einen Jazzstil, in dem Charakteristika aus dem Rock übernommen werden. Der Electric-Jazz bezieht sich hauptsächlich auf sekundäre Komponenten wie zum Beispiel die Instrumentalisierung. Die Aufnahme von Rock- bzw. Popelementen in den Jazz fand in den USA seit Anfang der 1960er Jahre statt. Folgende Gruppen und Musiker haben den Stil mitentwickelt: Das Herbie Hancock Quintett (Watermelon Man), die Ensembles von Gary Burton und George Benson (Summertime), Joe Zawinul bzw. Weather Report, John McLaughling mit seinem Mahavishnu Orchestra und Miles Davis. Weiters das Charles Lloyd Quartett und das John Handy Quintett sowie Larry Coryell und Jeremy Steig. Folgende Merkmale zeichnen den Stil der FusionMusic aus: Elektrifizierung eines Großteils des Instrumentariums Festhalten an einem durchlaufenden Fundamentalrhythmus. Dies geschieht entweder in Form eines binären Rockbeat oder in Form von abgewandelten Elementen aus der indischen Musik wie z.B.: komplexe und ungeradzahlige Patterns (John McLaughling). Eine dritte Variante stellt eine Form der Verbindung von lateinamerikanischen Rhythmen mit dem Rockbeat und dem Jazz- Begleitrhythmus dar. Einfache harmonische Strukturen und eindeutige tonale Bezüge, die instrumentale Virtuosität rückt in den Vordergrund. Teilweise Bezüge zur abendländischen Musik des 19. Jahrhunderts im Sinne eines harmonisch-melodischen Schönklanges (z.B.: in den Soloaufnahmen von Chick Corea und Keith Jarrett mit Einflüssen von Debussy) In die Kompositionen und Improvisationen fließen Melodiken aus dem Jazz und aus der Rock- und Popmusik mit ein. 2 1.2.1. Zur Entwicklung der Fusion-Music Nach der Entstehungs- bzw. Übergangsphase ab 1962 entwickelte sich die Fusion-Music zu einem eigenständigen Stil. Einige Alben, die diese Entwicklung ausgelöst haben und für den Stil richtungsweisend waren, sind: 2 vgl.: Franz Kerschbaumer: Jazzgeschichte 4 Skriptum an der KUG. Graz, 1995 -5- Die erste Rock-Jazz LP vom Gitarristen Larry Coryell John McLaughlings LP Extrapolation Die Platten Bitches Brew und In A Silent Way von Miles Davis Herbie Hancock (langjähriger Pianist im Miles Davis Ensemble) spielte seine erste vollständige Fusion-LP Fat Albert Rotunda ein. Zuvor hatte er etwa zehn Jahre lang im Hard Bop-Stil gespielt. Der Trompeter Randy Brecker nahm sein erstes Album unter eigenem Namen auf. Es beinhaltet bereits voll ausgeprägte Fusion Nummern wie z.B.: Score. Erste Einspielungen der Jazz-Rock Gruppe um Randy und Michael Brecker sowie Billy Cobhams Dreams entstehen. 3 1.2.2. Musikalische Entwicklung der Fusion-Music durch Weather Report Neben den Ensembles von Miles Davis ist Weather Report die einflussreichste Band für den Stil. Zunächst war die Idee der Zusammenschließung jene der (Gruppen-)Improvisation. Die Integration von Improvisation und Komposition wurde in der Jazzgeschichte bis zu diesem Zeitpunkt nicht praktiziert und war damals absolut neuartig und innovativ. Zawinul: „Manchmal improvisieren wir sehr wenig, weil es gefährlich sein kann, über etwas zu improvisieren, was bereits Improvisation ist. Das meine ich wenn ich sage, dass man bei uns immer solo und zugleich nie solo spielt. Wenn Wayne und ich zusammen improvisieren, werden Solo und Begleitung ein und dasselbe…wir verweben Melodien und setzen die Bühne unter Feuer.“ 4 3 4 vgl.: Franz Kerschbaumer: Jazzgeschichte 4 Skriptum an der KUG Franz Kerschbaumer: Jazzgeschichte 4 Skriptum an der KUG -6- 1.2.3. Charakteristika der Musik von Weather Report Die Gruppe spielte neuartige Musik ohne dabei irgendwelche Trends zu verfolgen. Ohne je wirklich kommerzielle Produktionen präsentiert zu haben, verkauften sie Platten im Ausmaß wie es im Popbusiness üblich war. Weather Report sammelte eine Reihe von Auszeichnungen, darunter u.a. einen Grammy. Die Stimmen werden oft unter den Instrumenten ausgetauscht, ihre Platzierung ist genau kalkuliert. Akustische und elektronische Klangquellen werden gemischt. Konzentration von Polyrhythmik- bzw. Metrik mit Melodien und Motiven Themenstücke stehen kontrapunktisch zueinander 5 6 Georg Lenger: Der Jazzmusiker, Komponist und Arrangeur JOE ZAWINUL. Graz, 1995, S.1 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. Wien, 2002, S. 15 8 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 23 7 -8- 2. Joe Zawinul und Wayne Shorter 2.1. Joe Zawinul Josef Erich Zawinul wurde am 7. Juli 1932 in Wien Erdberg geboren. Er war Sohn eines Arbeiterehepaares. Sein Zwillingsbruder Erich verstarb im Alter von vier Jahren. Zawinul: „An das erste, was ich mich überhaupt erinnere, ist wie mei Bruder und i im Kinderwagerl g’leg’n san. Er war irgendwie immer der stärkere und g`scheitere von uns beiden. Leider Gottes is er mit vier Jahr’ g’storb’n und i’ hab’ immer nur g’fragt, wo da Erich jetzt is’.“ 6 Die Familie Zawinul lebte in tiefer Armut, im Land herrschte nach Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monarchie die blanke wirtschaftliche Not. Zawinul: „Wir hatten nie genug zu essen. Meine Mutter verzichtete manchmal aufs Essen, damit ich etwas bekomme. Ich verbrachte viel Zeit auf dem Land in Oberkirchbach im Wienerwald, bei der Familie meiner Mutter. Obst haben wir immer gehabt, Äpfel oder Birnen. Doch ein Stück Fleisch, das war sehr, sehr selten. Aber wir kannten kein anderes Leben, also war es ein glückliches Leben.“ 7 Im Alter von fünf Jahren bekam Josef Zawinul von seinem Großvater Simon Zawinul ein Akkordeon geschenkt. Er hatte ein absolutes Gehör und konnte einfache Melodien sofort nachspielen. Von nun an nahm er regelmäßig Unterrichtsstunden bei einem Musiklehrer. Nach einem dreiviertel Jahr empfahl dieser Zawinuls Mutter dringend, den Buben auf das Konservatorium zu schicken. Durch sein hervorragendes Gehör bekam Josef Zawinul einen Freiplatz am Konservatorium, wo er Klavier lernen sollte. Da die Eltern kein Klavier hatten, übernahm die Mutter einen zusätzlichen Job. Sie arbeitete teilweise sechzehn Stunden am Tag, um einen Stützflügel für ihren Sohn kaufen zu können. Zawinul über seinen Klavierunterricht: „…des is mir scho’ damals unhamlich auf’d Nerven ‚gangen.“ und „das Klavier hat mir im Grunde nie getaugt. Weil ich nichts machen konnte damit, soundmäßig. Ich hatte ja zum Beispiel bei meinem zweiten Akkordeon schon einige Register, die es mir erlaubten, den Klang zu ändern. Das hat mir etwas gegeben, so konnte ich spielen. Das Klavier, kam mir vor, hatte nur einen Sound.“ 8 ………………………………………………………………………………………………………………... 6 Georg Lenger: Der Jazzmusiker, Komponist und Arrangeur JOE ZAWINUL. Graz, 1995, S.1 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. Wien, 2002, S. 15 8 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 23 7 -8- Joe Zawinul mit seinem ersten Instrument in Oberkirchbach. 9 Als Zawinul sieben Jahre alt war, brach der zweite Weltkrieg aus. Das Konservatorium wurde in ein Ausweichlager nach Jamnitz verlegt. Dort wurden die Kinder von invaliden SS-Lehrern unterrichtet. In dieser Zeit erlebte Zawinul sein Schlüsselerlebnis mit dem Jazz: Ein anderer Schüler spielte Honeysuckle Rose auf dem Klavier. Diese Musik gefiel ihm und er wollte lernen so zu spielen. Zawinul: „[…]er sagte dass das die wahre Musik sei, aber sie ist nicht lernbar. Klassische Musik könne jeder lernen, doch den Jazz, den müsse man verinnerlicht haben. Das hat mir einen Ansporn gegeben. Denn ich wollte das lernen.“ 10 Die Eltern hätten in ihrem Josef gerne den klassischen Pianisten, ganz nach dem Vorbild des gerade berühmt gewordenen Friedrich Gulda gesehen. Doch anstatt fleißig zu üben, schwänzte Josef Zawinul monatelang die Klavierstunde. So lange, bis seine Lehrerin bei ihm zu Hause an die Tür klopfte und die Eltern informierte. In der Schule war Josef Zawinul ebenfalls kein besonders engagierter Schüler. Wegen mangelndem Interesse musste er die Schule wechseln. Thomas Klestil, der 1992 zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt wurde, war ein Schulfreund von Joe Zawinul. Beide erzählten später über gemeinsame Lausbubenstreiche wie etwa kostenlose Besuche im Freibad oder im Kino. Der Musicalfilm Stormy Weather hinterließ bei Zawinul bleibenden Eindruck. Als 9 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 16 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 23 10 -9- Fünfzehnjähriger sah er sich den Film 1947 nach eigenen Angaben vierundzwanzig Mal an und verliebte sich dabei in die Hauptdarstellerin Lena Horne. Damals hegte er schon den Wunsch, irgendwann nach Amerika zu gehen. 1977 benannte Zawinul eine LP von Weather Report nach dem Film Heavy Weather. Mit sechzehn Jahren begann Zawinul eine Lehre als Schriftsetzer, die er aber bereits nach drei Monaten wieder abbrach. 1949 meldeten ihn seine Eltern und seine Klavierlehrerin beim Genfer Klavierwettbewerb an. Drei Jahre zuvor hatte Friedrich Gulda, er war nur ein Jahr älter als Zawinul, den Bewerb gewonnen. Für die Eltern Zawinul war das die Chance, ihren Sohn ganz nach oben, an die Spitze der klassischen Musikszene, zu bringen. In diesem Sommer fuhr Josef Zawinul nicht wie üblich nach Kirchbach, um bei seinen Großeltern die Ferien zu verbringen, sondern blieb in Wien und übte sieben oder acht Stunden für den Bewerb. Eines Tages, als er genug vom Üben hatte, ging er auf die Straße hinaus und traf dort die Brüder Fast, zwei sehr gute Musiker einer Hillbilly-Band. Sie luden Josef Zawinul ein, mit ihnen nach Wels zu kommen, um dort in einem amerikanischen Club zu spielen. Ohne zu zögern, ließ Zawinul die Sache mit der Klassik fallen und ging für einen Monat mit der Hillbilly- Band nach Wels. Zawinul: „Ich ließ von einem Moment auf den anderen die ganze Idee mit dem Klavierspielen fallen, mit der Klassik, […] Ich schaute nie mehr zurück. An diesem Tag hat mein professionelles Leben wirklich begonnen.“ 11 Gulda und Zawinul, die Wiener Pianowunderkinder der Nachkriegszeit, begegneten einander erstmals 1952 im Wiener Art Club. Dort wurde gemeinsam „gejamt“ und es entwickelte sich eine Künstlerfreundschaft, in der es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen kam. Der Kontakt zwischen den beiden wurde immer wieder abgebrochen. Die beiden hatten eine Wette laufen: Wenn einer von beiden sterben würde, geht der andere zum Sarg und klopft dreimal an. Als Gulda starb, hatten die beiden wieder einmal einige Monate lang nicht miteinander geredet. Zawinul ging dennoch zum Begräbnis. Er klopfte dreimal an den Sarg mit den Worten: „Pfiad di Gott, Gulda.“ 12 Als Zawinul seine Anfänge in Wien als Jazzmusiker machte, war Gulda bereits ein Weltstar. Er war für die Wiener Jazzszene ein wichtiger Mann, da er sie mit Jazzplatten und Material aus aller Welt versorgte. In späteren Jahren konnte Josef Zawinul mit Weather Report ein weiteres Mal von Guldas Bekanntheit profitieren. Sie gingen gemeinsam auf Südamerikatournee, wo Gulda bereits ein Star war. Weather Report hingegen war noch komplett unbekannt und konnte durch Guldas Namen vor ausverkauftem Publikum spielen. In 11 12 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 28 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 32 - 10 - diesen Konzerten spielte Gulda solo, Weather Report spielte einen Teil und ein Stück spielten Zawinul und Gulda immer zusammen. Durch diese Tournee wurde Weather Report zu einer der populärsten Bands in Südamerika. Noch Jahre später konnte die Band dort Hallen mit bis zu achtzehntausend Leuten füllen. In seinen Jahren in Wien spielte Zawinul in verschiedenen Gruppen und konnte zu dieser Zeit bereits von der Musik leben. Sein erstes Jazztrio war jenes mit Johnny Fischer. 1952 hatte Zawinul ein einmonatiges Engagement beim damals führenden europäischen Tenorsaxophonisten Hans Koller. Mit dieser Band spielte er meistens im „Grabenkaffee“ in der Wiener Innenstadt. Ab 1954 wirkte Zawinul in der Band von Johannes Fehring mit. Diese Band spielte im Stile von Glenn Miller. Aus dieser Formation bildeten sich die Austrian All Stars heraus. Diese Tanzband gilt bis heute als wegweisend für die österreichische Jazzszene. Eine weitere wichtige Band aus dieser Zeit ist die Fatty-George-Two-Sound-Band. Fatty George war als Solist und als Interpret von verschiedensten Jazzstilen wie z.B.: Dixieland, Chicago oder Bebop bekannt. In dieser Band spielte Zawinul gelegentlich Basstrompete. 1958 wurde an der Berklee School Of Music in Boston in den USA ein viermonatiges Stipendium ausgeschrieben. Zawinul entdeckte die Anzeige im Downbeat Magazine und schickte seine Bewerbung nach Boston. Mit einem Live-Mitschnitt des Stückes Red Top, welches mit der Fatty-George-Two-Sound-Band in Hamburg aufgenommen wurde, gewann er das Stipendium. Dieses Stipendium kam für ihn wie gerufen, in Wien fühlte er sich ohne Perspektive: „Wir waren gute Freunde in der Fatty-George-Band, aber mir ging es auf die Nerven, dass die anderen immer diese depperte Zufriedenheit hatten. Ich wollte mehr üben und zwang die anderen mehr oder weniger dazu, dass wir jeden Tag proben. […] Wir sind nichts, wir sind Anfänger. Wir sind gut für Österreich, weil hier außer uns niemand ist. Wenn wir mit dieser Musik nach Amerika gehen, lachen sie uns aus.“ 13 Mit nicht mehr als einem Koffer, einem löchrigem Hut, einer Basstrompete und achthundert Dollar reiste Zawinul 1959 nach Amerika. Das unabhängige Berklee College of Music wurde 1945 von Lawrence Berk gegründet. Die Schule erwarb schnell einen Weltruf, den es bis heute innehat. Studienplätze sind auf der ganzen Welt begehrt, das College besitzt den höchsten Ausländeranteil aller Colleges in den Vereinigten Staaten. Joe Zawinul wurde 1991 der Ehrendoktor des Berklee College of Music verliehen. 13 Gunther Baumann: Zawinul- ein Leben aus Jazz. S.37 - 11 - Zwei Wochen, nachdem Zawinul in Amerika angekommen war, spielte er als Ersatzmann einen Abend mit Ella Fitzgerald, da der Pianist des Haustrios krank geworden war. Jake Hanna, der Schlagzeuger dieser Band und Lehrer in Berklee, empfahl Zawinul an Maynard Ferguson weiter. Ferguson war zu dieser Zeit auf der Suche nach einem Klavierspieler und er lud Zawinul ein, einen Abend mit seiner Band zu spielen. Der erste Versuch mit dieser Band fand nicht etwa bei einer Probe statt, sondern gleich bei einem Auftritt vor Publikum. In derselben Show traten übrigens noch Dinah Washington, Sonny Rollins und das GerryMulligan-Quartett auf. Bei diesem ersten Auftritt konnte Zawinul nicht überzeugen. Doch er bekam eine zweite Chance und Maynard Ferguson engagierte ihn. Zawinul brach das Studium in Berklee ab und ging nach New York, um sich ganz der Arbeit mit der Band widmen zu können. Er blieb für drei Monate. Bald tauchten interne Probleme auf und Zawinul musste die Band verlassen. Danach blieb er allerdings nicht lange ohne Engagement, im Birdland lief er Dinah Washington über den Weg, die ihn schon von der Maynard Ferguson Band kannte. Sie lud ihn zu einem Konzert ein, wo sie ihn aufs Podium bat, um gemeinsam ein Stück zu spielen. Sie engagierte ihn quasi auf der Bühne. In dieser Band blieb Zawinul fast zwei Jahre lang. Nach dieser Zeit kündigte er, weil er genug vom Blues hatte und wieder Lust auf „straighten Jazz“ 14 bekam. Zawinul: „Ich hatte zu jener Zeit eine kleine Wohnung in der West 4th Street im Village in Manhattan. Nach einem harten Monat mit Joe Williams auf Tour kam ich wieder nach New York zurück. Gerade, als ich den Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür steckte, läutete drinnen das Telefon. Cannonball Adderley war dran: „Joe, warum kommst du nicht in meine Band?“ 15 Der Pianisten-Posten in der Band von Cannonball Adderley zählte zu den begehrtesten Jobs in der amerikanischen Jazzszene. Julian Cannonball Adderley, geboren 1928 in Florida, wurde nach dem Tod von Charlie Parker als „the new bird“ bezeichnet. Er spielte das Altsaxophon auf eine außergewöhnliche Art und Weise. Bevor er seine eigene Band gründete, spielte er unter anderem mit dem legendären Miles Davis Sextett und nahm Alben wie Kind Of Blue auf. Joe Zawinul blieb neuneinhalb Jahre in der Cannonball Adderley Band. In dieser Zeit lernte er seine Frau kennen und gründete mit ihr eine Familie. In diesem Lebensabschnitt begann er selbst zu komponieren. Zawinul: „Am Anfang war ich noch nicht so sehr am Komponieren interessiert, ich wollte das Leben leben und nicht daheim sitzen auf meinem Arsch. […] Jetzt kam Verantwortung dazu, weil wir 14 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 62 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 62 16 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 70 15 - 12 - eine Familie gründeten.“ 16 1966 komponierte Zawinul Mercy, Mercy, Mercy. Die Nummer wurde zum Welthit und kam bis auf Platz elf in den Billboardcharts. Die Cannonball Adderley Band bekam mit diesem Stück einen Grammy für die beste Perfomance. Während der Aufnahmen zu In A Silent Way mit Miles Davis entschied Zawinul, die Band zu verlassen. Bald darauf wurde Weather Report.gegründet. Weather Report hatte seine Blütezeit in der Besetzung mit dem Schlagzeuger Peter Erskine und dem Bassisten Jaco Pastorius. Mit dem Einstieg von Jaco Pastorius 1976 begann der weltweite Erfolg, die sogenannten „Jaco-Jahre“ kennzeichnen diese bedeutenden Jahre von 1976 bis 1982. Bis 1985 konnte die Band große kommerzielle Erfolge feiern, unter anderem 1977 mit dem von Zawinul komponierten Welthit Birdland. 1986 löste sich die letzte Weather Report Formation auf. Nach dem Ende von Weather Report investierte Zawinul einige Zeit in Soloprojekte. 1986 erschien sein Soloalbum Dialects auf dem Markt. Bei den Live-Auftritten mit seinem Soloprogramm kam es öfters zu technischen Problemen mit den Keyboards, die in der Band nicht so sehr aufgefallen wären. Desöfteren wurde Zawinul in dieser Phase vom Publikum ausgepfiffen. Wegen dieser Schwierigkeiten entschied sich Zawinul, wieder mit Band aufzutreten. Er gründete The Zawinul Syndicate. Mit dieser Band nahm er drei Alben auf. Verkaufsmäßig blieben diese aber deutlich unter den Werten von Weather Report. Als LiveBand etablierte sich das Zawinul Syndicate jedoch rasch in der internationalen Jazzszene. Mehr als hundert Konzerte im Jahr waren die Regel, die Band konnte gar nicht alle Tourneeangebote wahrnehmen. An seinem 60. Geburtstag, dem 7. Juli 1992, bekam Zawinul das goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich für seine Verdienste für die Republik vom damaligen Bundespräsidenten, seinem alten Schulkollegen, Dr. Thomas Klestil, verliehen. Zawinuls letztes Album Faces&Places wurde 2002 veröffentlicht. Joe Zawinul Faces & Places (ESC 2002) Zawinul (keyb, voc), Amit Chatterjee (g, voc), Dean Brown (g), Etienne M’Bappè (b), Richard Bona (b), Victor Bailey (b), Alex Acuna (perc), Manolo Badrena (perc), Zakir Hussain (perc), Richard Page (voc), Maria Joao (voc) u.a. - 13 - Joe Zawinul lebte bis an sein Lebensende in Amerika, die österreichische Staatsbürgerschaft behielt er jedoch bei. Er war ein sehr traditionsbewusster Mensch und eng verbunden mit seiner Heimatstadt Wien. Im Jahr 2000 übersiedelte er ein letztes Mal von New York nach Malibu in Kalifornien in ein Haus am Strand. Josef Zawinul starb am 11. September 2007, nur wenige Wochen nach seiner Frau Maxine an den Folgen einer Hautkrebserkrankung. Die beiden hatten drei gemeinsame Söhne. 2.2. Wayne Shorter Wayne Shorter kam 1933 in Newark, New Jersey, zur Welt. In den 1920er Jahren stieg der schwarze Bevölkerungsanteil in Newark erheblich. Louise und Joseph Shorter waren Teil dieses Zuwanderungsstromes. Joseph war Schweißer in Elizabeth, New Jersey, und Louise arbeitete für einen Pelzhändler. Nebenbei nahm sie immer wieder kleine Jobs als Schneiderin an, um ein zusätzliches Einkommen zu verdienen. Die beiden hatten zwei kleine Söhne: Wayne und der um ein Jahr ältere Alan. Die Familie Shorter hatte ein Stockwerk in einem Mehrparteienhaus gemietet. Shorter: „We didn’t have nothing. I mean, the house was clean, well scrubbed, lysoled, but the important thing is that I had a lot of dreams in that house.“ 17 Der Bildungsstand der Eltern war ein niedriger, doch Louise legte großen Wert auf die Erziehung und Bildung ihrer Kinder. Sie unterstützte sie in ihrer Kreativität, wo sie nur konnte und brachte ihnen Ton, Wasserfarben und Pinsel von der Arbeit mit nach Hause. Der kleine Wayne war künstlerisch sehr begabt. Er hörte gerne Radio, was in der Zeit bevor das Fernsehgerät erfunden wurde, eine übliche Freizeitbeschäftigung war. Hauptsächlich wurde Country- und Westernmusik gespielt. Mehr interessierte sich Wayne aber für Filmmusik, die er bei den Kinobesuchen mit seinem Bruder hörte: „Film scores - what we called ´soundtracks´ or ´background´ - are the earliest recollections of music staying inside of me“.... 18 Als Wayne zwölf Jahre alt war, gewann er einen Kunstwettbewerb der Stadt mit einem selbst gemalten Bild, das er „The Football Game“ nannte. Ein Lehrer empfahl ihm daraufhin die Newark Arts High School zu besuchen. Diese Schule wurde 1931 gegründet und war die erste Kunstschule in den Vereinigten Staaten. Die Sängerin Sarah Vaughan oder der Trompeter 17 18 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 13 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 15 - 14 - Woody Shaw sind zwei berühmte Absolventen dieser Schule. Die Schüler konnten aus den Schwerpunkten Bildende Kunst, Tanz, Schauspiel oder Musik wählen. Wayne malte wahnsinnig viel, sein Berufswunsch war es, Maler oder Illustrator zu werden. Seine zweite Leidenschaft galt dem Film. Mitte der 1940er Jahre hörte Wayne das erste Mal Bebopmusik im Radio: „ […]he played Thelonius Monk´s ´Off Minor´, then something by Charlie Parker, and then Bud Powell […] My ears perked up when I heard it, and something must have clicked […]“ 19…………………………………………………………………………………………………………………………………………………… 1947 siedelte Herman Lubinsky mit seinem einflussreichen Jazzlabel Savoy Records nach Newark. Dadurch kamen viele Musiker in die Stadt und Wayne kam langsam in Berührung mit der Jazzmusik. Bald verspürte er den Drang, Musik machen zu wollen: „First I got a Tonette, a small plastic instrument with eight holes. I bought it for a dollar, and it looked like a submarine.“ 20 Wayne brachte sich das Spiel auf diesem Instrument selbst bei. Erst im Alter von fünfzehn Jahren kaufte ihm seine Mutter eine Klarinette und er bekam seinen ersten Unterricht. Zu dieser Zeit hörte er die Bigbands von Count Basie, Stan Kenton, Woody Hermann, Jimmie Lunceford sowie Bebopgruppen von Dizzy Gillespie, Charlie Parker und Lester Young. Er schwänzte die Schule und hatte eine Menge Fehlstunden. Zur Bestrafung wurde er vom Direktor in einen Musiktheoriekurs versetzt. Der Kurs beinhaltete Teilgebiete wie Notation, Transkription und Gehörschulung. Waynes Begabung war herausragend: „ I walked home with a new awareness of music, with a vague but deeply felt sense that music was the direction I was supposed to go.“ 21 Alan, Waynes Bruder, lernte Altsaxophon und wechselte dann zur Trompete. Die beiden übten gemeinsam. Sie stürzten sich auf komplexe Kompositionen wie in etwa jene von Lennie Tristano und verzichteten auf elementare Übungen. Waynes Hauptinteresse galt dem Bebop und der Musik von Charlie Parker: „Everyone was into dancing and rhythm - and-blues and pop, but I said, bebop is interesting, it has some of that and some of the stuff from classical music going on in it.“ 22 Er wechselte zum Tenorsaxophon und wurde Mitglied im Orchester von Jackie Bland. In seinen letzten Jahren an der Arts High School mutierte Wayne vom Schulschwänzer zum hochmotivierten Musiker. Die Musikkurse, welche ursprünglich zur Strafe gedacht waren, hatten das Feuer in ihm entfacht. Er schrieb die besten Noten in Harmonielehre, Musiktheorie und Orchestration. Angeregt durch seinen schulischen Höhenflug fasste Wayne den 19 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 27 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 28 21 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 31 22 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 32 20 - 15 - Entschluss, Komposition zu studieren. Nach seinem High School-Abschluss nahm er einen Job in einer Nähmaschinenfabrik als Lagerarbeiter an. In derselben Fabrik war auch sein Vater angestellt. Dort blieb er für ein Jahr, das Geld sparte er für das Studium. 1952 fing Shorter sein Studium an der New York University an. Neben einigen Musikkursen (Klavierstunden, Musikgeschichte, Harmonielehre, Orchestrierung und Musiktheorie) besuchte er auch geisteswissenschaftliche Fächer wie Psychologie, Soziologie und Geowissenschaften. Er war Mitglied einer College-Band und an den Wochenenden verdiente er sich mit kleinen Gigs rund um Newark ein kleines Taschengeld. Zusätzlich arbeitete er einige Jahre mit der Band von Nat Phipps. Mit dem Bassisten Eddie White und der Pianistin Jacqueline Rollins aus dieser Gruppe gründete er später seine eigene Band. Diese Gruppe gewann den ersten Preis einer Talenteshow im Apollo Theater mit der Nummer September in the Rain. 1956 schloss Shorter sein Studium mit dem universitären Grad der music education ab. Gleich nach dem Abschluss lehnte er einen Job an einer Schule in Florida ab. Das Gehalt war nicht hoch genug, um ihn von seinen Möglichkeiten als Musiker in New York wegzulocken. Er nahm seinen ersten Job als Studiomusiker an, bei welchem er gemeinsam mit Johnny Eaton, einem Princetonstudenten, den er durch Eddie White kannte, spielte. Shorter konnte durch seine Ausbildung gut mit den Musikern mithalten, doch sein Herzblut galt der Hardcore BopSzene in den Clubs. Zu dieser Zeit machte er sich in Newark einen Namen. Man nannte ihn „The Newark Flash“. Gerade als er sich als Musiker einen Ruf aufbaute, wurde er zum Militärdienst einberufen. In den 1950er Jahren war der Militärdienst in Amerika verpflichtend für junge Männer. Nach Beendigung seines Militärdienstes arbeitete Shorter für kurze Zeit mit Horace Silver zusammen. 1958 begann er mit Count Basie Jam-Sessions zu spielen. In Folge dieser Zusammenarbeit traf Shorter wiederum auf Freddie Hubbard. Shorter spielte zu dieser Zeit so viel er konnte, er wollte die Zeit, die er beim Militär „verloren“ hatte nachholen. Ein sechswöchiger Gig in der Hausband im sogenannten Minton’s Playhouse fiel ebenfalls in diese Zeit. Shorter: „Dizzy was there, and Monk came in, to see the young blood. I was the youngest one.“ 23……………………………………………………………………………………………………………………………………… Shorter lernte John Coltrane und Sonny Rollins kennen. Gemeinsam mit Coltrane, Hubbard und einigen anderen Musikern spielte er seinen ersten Gig im Birdland. Dort traf er erstmals auf Joe Zawinul der eben erst in Amerika angekommen war. Zawinul: „Everybody was already talking about Wayne as the new kid on the block, the young lion. We met at Ham and 23 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 58 - 16 - Eggs, a place on Fifty-second Street just down from Birdland. The place we´d go to a lot was called the Green Lantern. We used to drink there, and that´s when it started. It´d be me and Wayne and Booker Little. When I first met Wayne, I couldn´t speak English that well, but we had such amazing communication.“ 24 Ab 1959 stieß Shorter zu Art Blakey's Jazz Messengers, deren musikalischer Leiter er später wurde. 1964 wurde er, auf Empfehlung von John Coltrane, von Miles Davis abgeworben. Von 1964 bis 1969 war Shorter - neben Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams Mitglied im zweiten „klassischen“ Miles Davis Quintett. Sein Vorgänger in diesem Ensemble war niemand geringerer als John Coltrane. Für diese Gruppe schrieb Shorter einige Kompositionen, darunter Klassiker wie Footprints und Nefertiti. Nebenbei veröffentlichte er hoch gelobte Alben unter eigenem Namen z.B.: 1964 Night Dreamer als sein erstes Album für Blue Note (Plattenfirma für Jazzmusik). In etwa zur selben Zeit spielte er mit McCoy Tyner und Elvin Jones, beide waren Begleiter von John Coltrane, eine Quartett-Platte bei Blue Note ein. Im Jahr 1970 gründete er gemeinsam mit Joe Zawinul Weather Report. In die Zeit des frühen Weather Report fällt auch Shorters weitgehender Wechsel vom Tenorsaxophon, das er bis 1968 ausschließlich gespielt hatte, auf das Sopransaxophon und Lyricon. 1961 heiratete Wayne Shorter seine erste Frau, Irene Nakagami. Sie war japanischer Abstammung und wurde in Chicago geboren. Shorter: „I never really had a girlfriend. My first date became my first wife. We met, and before I knew it I was married; […]“ 25 Privat hatte Wayne Shorter schwere Schicksalsschläge zu verkraften. Seine Tochter Iska Maria (*1971) litt seit ihrem ersten Lebensjahr an einem Gehirnschaden, der durch eine Schutzimpfung ausgelöst wurde. Iska starb 1983 knapp nach ihrem vierzehnten Geburtstag nach einem epileptischen Anfall. Wayne Shorter war zum Zeitpunkt ihres Todes mit Weather Report auf einer der letzten Tourneen unterwegs. In gewisser Weise beschleunigte der Tod Iskas das Ende von Weather Report. 1996 kamen Shorters zweite Ehefrau Ana Maria (*1947) und ihre siebzehnjährige Nichte Dalila Lucien beim TWA-800-Flugzeugabsturz vor Long Island ums Leben. 1999 heiratete Shorter in dritter Ehe die brasilianische Sängerin Carolina Dos Santos, eine enge Freundin seiner verstorbenen Frau. Shorter begann in seiner Zeit bei Weather Report zu trinken. Zawinul sagte einmal, in der ganzen Zeit bei Weather Report nicht einmal nüchtern auf der Bühne gewesen zu sein. 24 25 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 60 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 87 - 17 - Shorters Problem war gewesen, dass er nach dem Auftritt nicht aufgehört habe zu trinken. Er fühlte sich auf Tour einsam und hatte das Gefühl, seine Frau mit der kranken Tochter im Stich zu lassen. Mitte der 1970er Jahre begann Shorter sich intensiv mit dem Buddhismus auseinanderzusetzen. Dadurch veränderten sich seine Werte, er verlor den Fokus auf die Musik. Auch der Umstand, dass der Jazz immer mehr an kultureller Bedeutung verlor, trug zu seiner Ernüchterung bei. Der Jazz hatte nicht mehr den Einfluss, den er einmal hatte. In den 1940er Jahren, als Shorter im Bebopbereich den Einstieg in die Jazzwelt machte, war der Jazz die Musik einer sozialen Revolution. In den 1950er und 1960er Jahren galt der Jazz vor allem durch die Musik von Miles Davis als künstlerisches Kulturgut. „With Miles, we were spelling out the details of how the world was changing around us, we were part of something larger than ourselves.“ 26 In den 1970er Jahren aber verlor die soziale Funktion der Musik an Bedeutung. Es ging zunehmend darum, sich als Musiker selbst darzustellen. Shorter fühlte sich in dieser Atmosphäre nicht wohl. „I stopped worrying about whether or not originality would be subsumed within the crushing wheels of music business. Music took second place for me.“ 27 Nach der Auflösung von Weather Report arbeitete Shorter solistisch. Sein erstes Soloalbum nach Weather Report, Atlantis, kam 1985 auf den Markt. Die Platte war keine traditionelle Jazzplatte, vielmehr klingt sie nach einem Soundtrack. Mit dieser Platte machte Shorter einen Schritt in Richtung Eigenständigkeit. Ab nun war er nicht mehr der stille Partner, dessen Rolle er bei Weather Report stets eingenommen hatte. Er begleitete Carlos Santana und die Rolling Stones auf Tourneen und spielte auf mehreren Alben von Joni Mitchell und mit Steely Dan. Seit mittlerweile über zehn Jahren leitet er das hochgelobte Wayne Shorter Quartett mit Danilo Pérez (p), John Patitucci (b) und Brian Blade (dr) (CDs: Footprints Live!, Beyond the Sound Barrier und Without a Net). 2003 und 2005 erhielt Shorter für die Alben Alegría und Beyond the Sound Barrier jeweils einen Grammy in der Kategorie Best Jazz Instrumental Album. Im Jahr 2003 gewann er die alljährliche Kritikerabstimmung der Zeitschrift Down Beat Magazine in gleich fünf Kategorien: Footprints Live! wurde zum Album des Jahres gewählt, Shorter gewann als Jazzmusiker des Jahres, als bester Sopransaxophonist sowie als Komponist. Sein Quartett wurde zur Akustischen Jazzgruppe des Jahres gewählt. Bei der Kritikerabstimmung 2013 lag 26 27 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 157 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 158 - 18 - Wayne Shorter erneut in vier Kategorien vorne: Mit Without a Net als Album des Jahres, als Jazzmusiker des Jahres und als bester Sopransaxophonist sowie mit dem Quartett als Jazzgruppe des Jahres. Das Stück Orbits gewann einen Grammy für die beste Jazzimprovisation. ………………………………………………………………………. 2.3. Die ersten Begegnungen von Joe Zawinul und Wayne Shorter Wayne Shorter und Joe Zawinul begegneten einander erstmals 1959, beide waren damals Mitglieder in der Maynard Ferguson Band. Walter „Maynard“ Ferguson war ein kanadischer Trompeter. Geboren 1928, verließ er mit neunzehn Jahren seine Heimat Montreal, um ein Engagement in der Bigband von Stan Kenton anzunehmen. Ferguson galt als Spezialist für sogenannte High Notes und war bekannt für einen extrem weiten Tonumfang. Seine Leidenschaft galt der Bigband. Als Leader verschiedener Jazzorchestren bereiste er die ganze Welt, eines seiner bekanntesten Ensembles war die Big Bop Nouveau Band. Mit Gonna Fly Now, dem Titelsong zum Kino Welterfolg Rocky, gelang ihm sogar ein Top-Ten-Hit in der amerikanischen Hitparade. Maynard Ferguson starb 2006 im Alter von achtundsiebzig Jahren an den Folgen eines Leber- und Nierenversagens. Die Maynard Ferguson Band war zu Shorters und Zawinuls Zeiten eine erstklassige Band mit entsprechend gutem Ruf. Musiker wie der Trompeter Bill Chase und Don Ellis sowie der Schlagzeuger Frankie Dunlop waren ebenfalls Musiker in Fergusons Band. - 19 - Das Foto zeigt die Maynard Ferguson Band im Birdland 1959. Maynard steht in der ersten Reihe und spielt die Trompete, rechts neben ihm sitzt Wayne Shorter, Joe Zawinul spielt Klavier. 28 Shorter stieß direkt im Anschluss an seinen Militärdienst zur Maynard Ferguson Band. Für Zawinul war es das erste Engagement seit seiner Ankunft in Amerika. Die beiden spielten einen Monat gemeinsam in der Band, bevor Zawinul aufgrund interner Probleme gehen musste. In der darauf folgenden Zeit blieben Shorter und Zawinul in Kontakt und jammten öfters gemeinsam. Musiker wie Eric Dolphy (Saxophon), Freddie Hubbard (Trompete) oder Wes Montgomery (Gitarre) gehörten ebenfalls ihrer Gruppe an. Die Idee von einem gemeinsamen Projekt kam auf, umgesetzt wurde diese jedoch erst zehn Jahre später. 2.4. Gründung von Weather Report Im Rahmen der Arbeiten an In A Silent Way und Bitches Brew bei Miles Davis trafen Shorter und Zawinul wieder aufeinander. 1969 fasste Zawinul den Entschluss, die Cannonball Adderley Band zu verlassen, um sich seinem Soloprojekt Zawinul zu widmen. Sein Bassist Miroslav Vitous arbeitete auch mit Wayne Shorter zusammen und war gewissermaßen der Vermittler zwischen den beiden. Vitous: „I`am the trigger man, like the trigger on a gun in bringing Wayne and Joe together.“ 29........................................................................................................................................ Shorter war sehr erfolgreich in der Miles Davis Band. Zawinul: „Wayne und ich waren ja 28 29 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. Bildband Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 141 - 20 - unheimlich erfolgreich in dieser Zeit. Das meiste, was die Miles-Davis-Band spielte, waren Waynes Stücke und das meiste was die Adderley-Band spielte waren meine Stücke. Diese Popularität 30 konnten wir nutzen. Downbeat Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 105 - 21 - berichtete über unsere Pläne.“ 30 ZAWINUL QUITS CANNON TO CO-LEAD NEW GROUP trip in January, with concerts, radio and TV work in Austria, concerts in Austria, concerts in Germany, and a probable stint at Ronnie Scott’s Club in London. „Needless to say“, Zawinul pointed out, „the parting with Cannon is friendly. In fact, we´re still in the - 22 - publishing business togehter, and perhaps I´ll play with him now and then. I´ll love him forever. It´s been a beautiful association.“ 31 Zawinul: „ […] Da sagten wir, machen wir doch eine Band die ohne viel Worte auskommt. Die auf intuitivem Verständnis füreinander basiert.“ 32 Von nun an saßen Zawinul, Shorter und Vitous täglich in der Wohnung von Zawinul in New York zusammen, um Pläne zu schmieden. Shorter und Zawinul organisierten die Band als Partner. Miroslav Vitous war anfangs ebenfalls Mitglied dieser geschäftlichen Partnerschaft. Als diese Verbindung aber nicht besonders gut funktionierte, übernahmen Shorter und Zawinul zu zweit die Organisation. Die weiteren Musiker waren vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachtet Angestellte. Am Schlagzeug wurden Alphonse Mouzon (er hatte zuvor viel am Broadway gespielt) und Airto Moreira engagiert. Alle Musiker hatten zuvor mit Miles Davis gearbeitet. Nachdem die organisatorischen Fragen geklärt waren, fehlte noch ein Name für die Band. The Wayne Shorter- Joe Zawinul- Miroslav Vitous Group klang zu langweilig. Es wurde nach einem einfachen Namen, der beim Publikum unterbewusst Eindruck hinterlassen würde, gesucht. Wayne Shorter: „Let`s have something that people are confronted with every day, like `the Six O`Clock News`. Something they naturally tune into, like the Weather Report.“ 33 Sofort einigte sich die Band auf den Namen Weather Report. Der Entschluss wurde anschließend im österreichischen Restaurant „Wienerwald“ am Broadway mit einem Wiener Backhendel gefeiert. Weather Report engagierte einen Manager: Sid Bernstein, der Mann, welcher die Beatles nach Amerika gebracht hatte. In Zusammenarbeit mit ihm konnte die Band ihren ersten Plattenvertrag bei der Plattenfirma Columbia Records an Land ziehen. Dieser Vertrag verpflichtete sie für fünf Jahre. Die Zusammenarbeit mit Bernstein erwies sich allerdings nur wenig erfolgreich. Er hatte wenig Einfluss auf das Geschäft, alle Angebote kamen direkt zu Shorter und Zawinul. Die Verbindung mit ihm wurde wieder gelöst, als Nachfolger kam Bob Devere. Auch diese Zusammenarbeit sollte scheitern. Zawinul: „Wir hatten anfangs ziemliche Probleme mit dem Management, doch das war keine große Sache, weil wir eh noch kein Geld verdienten. 31 Wir ham no immer gekämpft.“ Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 106 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 105 33 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 141 34 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 108 32 - 23 - 34 2.5. „Leadership“ von Zawinul und Shorter Neben ihrer gemeinsamen „Leadership“ bei Weather Report verband Joe Zawinul und Wayne Shorter eine tiefe Freundschaft. Sechzehn Jahre lang leiteten die beiden das gemeinsam entwickelte Konzept, ohne sich dabei jemals ernsthaft gestritten zu haben. Zawinul beschreibt die beiden verschiedenen Charaktere in einem Satz treffend: „I was the bad guy, and Wayne was the good guy.“ 35 Zawinul war derjenige, der die geschäftlichen Angelegenheiten mit Managern und Produzenten regelte, während Shorter eher der ruhige Mann im Hintergrund war. Meistens kümmerte sich Zawinul, wenn es darum ging, bandinterne Probleme mit Musikern zu lösen. Miroslav Vitous beschreibt Shorters Charakter folgendermaßen: „Wayne was a thinker, always thinking, thinking, thinking.[…] a lot of Wayne Shorter is about waiting. I have never seen a musician who could wait more than Wayne Shorter.“ 36 Zawinul beschäftigte sich in der ganzen Zeit von Weather Report ausschließlich mit diesem Projekt. Er investierte mehr Zeit und Arbeit in die Band als Shorter, welcher nebenher noch an anderen Projekten arbeitete. (z.B.: Aufnahmen mit Joni Mitchel oder Milton Nascimento). Dadurch hatte Zawinul die dominantere Position und mehr Kontrolle über die Band. Hal Miller, ein Schreiber und Freund der Band, begleitete Weather Report öfters auf Tour. Eine lustige Erzählung von ihm dokumentiert die Unterschiedlichkeiten der Bandleader: „ I remember once I asked Wayne for the time. He started talking to me about the 35 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 144 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 143 37 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 144 36 - 24 - cosmos and how time is relative. Joe came over and said, ‚You don’t ask Wayne shit like that. It’s 7:06 p.m.’“ 37 Auf den Konzerten von Weather Report stand ein Duett mit Zawinul und Shorter immer am Programm. Bei diesen Darbietungen wurde ohne vorherige Absprachen rein improvisiert. Zawinul spricht immer wieder von einer besonderen musikalischen Verbindung, die ihn mit Wayne Shorter verband. So frei und selbstverständlich wie mit ihm konnte er mit keinem anderen Musiker musizieren. Shorter hatte dieselbe ruhige Art Saxophon zu spielen, wie sie auch seinem Charakter entsprach. Er stand oft bewegungslos auf der Bühne, gleichzeitig brachte er dem Zuhörer aber eine unglaubliche Energie entgegen. Mit Zawinuls kurzer und prägnanter Spielweise und seinen oft schrulligen Melodien harmonierten ihre Spielweisen perfekt. Auch in ihrer Art zu komponieren unterschieden sich die beiden. Zawinul setzte sich selten hin, um etwas aus dem Kopf zu komponieren. Sein Prinzip war es, sich selbst bei Improvisationen aufzunehmen und die Musik im Nachhinein zu editieren und aufzuschreiben. Zawinul: „I just turn on the tape recorder and play my instrument, and when a moment of inspiration comes I keep playing, and transcribe from the tape later on. You don’t concentrate on one little element or another; just open up and let it all come through you.” 38 Shorters Musik dagegen war gut durchdacht und in den meisten Fällen durchkomponiert. Seine Stücke waren üblicherweise sehr lang. Zawinul erzählte von Musikstücken, die sich über einen ganzen Raum ausbreiteten, wenn man die Notenblätter am Boden auflegte. Auch hier übernahm Zawinul die Editionsarbeit: „All of it was good, fabulous stuff. I’d play it on the piano like classical music. It was very intricate, beautiful and well thought out. Wayne could sit with chords for a long time, but when he was done, it was masterful. I played all of his music for hours, and he’d say cut where it needed to be cut, when it was too long. I never changed a note, a chord or anything. But he trusted me to edit it down, because the only thing I did was cut it down so we could put it on the record.“ 39 Die Familien Zawinul und Shorter standen einander auch im privaten Bereich sehr nahe. Nach der Auflösung von Weather Report blieb eine gute Freundschaft und der Kontakt wurde aufrecht erhalten. Zawinul: „Wayne und ich haben uns dann auch einmal in der Wiener Staatsoper getroffen, wo wir beide beim Jazz Fest Wien spielten. Es war unser erstes Wiedersehen nach langer Zeit. Wir gingen zu Boden und krabbelten auf den Knien aufeinander zu, bis wir, boom, mit den Köpfen zusammenstießen. Dann sprangen wir auf und haben uns umarmt…Wayne is mei Bruader, hearst, forever.“ 40 - 26 - 3. Die Anfänge: Die ersten fünf Alben 3.1. Weather Report 1971 Die Aufnahmen zur ersten LP fanden im März 1971 statt. Die Plattenfirma setzte die Band unter Druck, sodass für die Studioarbeiten nur drei Tage Zeit blieben. Bereits im darauf folgenden Mai erschien die Platte auf dem Markt. Unmittelbar danach startete die erste Tournee durch Europa. (Das Album wird auch mit Orange Lady betitelt, um Verwechslungen mit der gleichnamigen CD aus dem Jahre 1982 zu vermeiden.) 3.1.1. Besetzung Für das erste Album wurde ein zusätzlicher Perkussionist, Airto Moreira, engagiert. Der Brasilianer war wie Mouzon ebenfalls ein Freund der beiden Bandleader. Er beherrschte seine Instrumente meisterhaft und hatte sich in der Fusionszene einen Namen gemacht. Zawinul hatte sich zuvor für die Perkussionistin Barbara Burton entschlossen. Sie ist auf dem ersten Album zu hören, auf dem Plattencover wird sie aber nicht erwähnt. (Don Alias, ein weiterer Schlagzeuger, der ebenfalls auf der Platte spielt, am Cover aber namentlich nicht erwähnt wird.) Airto Moreira blieb jedoch nicht lange. Er hatte sich zusätzlich in der Band von Chick Corea verpflichtet und konnte daher nicht mit auf Tournee gehen. Sein Freund Dom Um Romao sprang für ihn ein und übernahm in weiterer Folge den Part des Perkussionisten. 3.1.2. Publikum Ein gemeinsames Bestreben der Musiker war es, dem anstrengenden Leben der Jazzclubszene zu entfliehen. Shorter: „We didn’t want to work five nights a week until four in the morning. Sometimes five sets over the weekend with a matinee on Sunday. And of course you fill in the - 26 - blanks and the spaces of set breaks with drinking.“ 41 Ihre Musik sollte ein großes, gemischtes Publikum ansprechen. Anfangs entsprachen das Auftreten und die übermittelte Stimmung der Band eher den Gepflogenheiten der Jazzszene. Später gingen diese Entwicklungen zunehmends in eine kommerzielle Richtung. Ein Beispiel für diesen Trend bereits in frühen Jahren gibt Dom Um Romao. Der Perkussionist der ersten Europatournee bekam seinen Job unter anderem durch sein interessantes Aussehen. Er war Native American und brachte Leben auf die Bühne. 3.1.3. Musik Die Musik des frühen Weather Report hat einen abstrakten, impressionistischen Charakter. Zawinul: „Our music is sort of a little fairy tale. We’re trying to make music happen for the people…The music is soundtrack for your imagination and head…Weather Report music is music for films that will never be made.“ 42 Die Kompositionen des ersten Albums stammen von Shorter, Zawinul und Vitous. Jeder der Musiker schrieb einige Linien, über die dann ganz einfach improvisiert wurde. Zawinul: „Wir wollten einfach nur spielen und schauen, was passiert. Wir wollten nichts pushen. Die Sache musste sich erst einmal entwickeln.“ 43 Ein Anliegen Zawinuls war es, eine Musik zu spielen, die über die Grenzen der Liedform hinausgeht. Der Fokus lag auf der Gruppenimprovisation, die Musik sollte spontan auf Basis von vorher komponiertem Material geschehen. Die Strukur der Kompositionen ist weitaus weniger ausgearbeitet als bei späteren Alben. Zawinul: „unsere Idee war es einfach alles einmal auszuprobieren“ 44 Hört man das Album durch, so kann man diesen Satz durchaus nachvollziehen. Die Experimentierfreude und der Ideenreichtum sprechen aus der Musik. Die Band verwendet unterschiedliche Elemente und lotet ihre Möglichkeiten aus. Die Platte ist sozusagen das Dokument eines lebendigen Work-inProgress. Jedes Stück behandelt ein Thema, welches durch die Musik ausgedrückt wird. (Programmmusikcharakter) Meist werden Natureindrücke mittels verschiedener musikalischer 41 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. S. 142 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. Cornwall, 2012, S. 68 43 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 108 44 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 106 42 - 337 - Materialien dargestellt. Zawinul vertritt das musikalische Prinzip, den Klängen genug Raum zu geben, um den Zuhörer noch Teil der Musik sein lassen zu können. Zawinul: “Dass man nicht immer - boom,boom - bombardiert wird mit Sounds. Das ist ja nicht gut. Wir wollten immer Klarheit und Transparenz in unserer Musik.” 45 Um diese Beschreibung zu veranschaulichen, seien die Stücke im Folgenden kurz beschrieben: 3.1.3.1. Milky Way Shorter beschreibt die Idee dieser einleitenden Klangkollage in einem Interview mit Morgenstern folgendermaßen: “We had to start somewhere before we got to the idea of weather and atmosphere and all that, so we thought of coming from a vacuum–nothing from something–and then we thought about our galaxy–we’re on the outer edges of the Milky Way. So we thought of ourselves as seen from some all-seeing, mythical perspective, and then panning in and coming in closer, into the next cut and to humanization and reality.” und Zawinul fügte dem hinzu: “It’s like a soundtrack to your mind. You can put yourself where you want; there’s enough room in space.” 46 Beim Zuhörer entsteht ein Gefühl von unendlicher Weite und Barrierefreiheit. Diesen Eindruck vergleicht Shorter mit der Unendlichkeit des Weltalls. Diese erste Nummer zeigt von Zawinuls Ideenreichtum und Fantasie, sie erweckt beim Zuhörer denselben Eindruck einer Idee, den die Musiker bei ihrem Zusammenschluss hatten. Es gibt keinen vorgegebenen Weg, kein Konzept. Die Band begibt sich auf eine Reise, wo sie hinführen soll, ist unklar. Beim Durchhören des Stückes scheint es kaum fassbar, dass der Sound tatsächlich mit akustischen Instrumenten erzeugt wurde. Man könnte meinen, der Klang stammt von einem Synthesizer oder von mehreren Gongs. In einem Interview 1984 erklärt Zawinul die Vorgehensweise bei den Aufnahmen dieser Klangkollage: Zawinul drückte am Klavier einen Akkord, ohne dabei die Saiten anzuschlagen. Shorter hat das Arpeggio des gleichen Akkordes in das offene Klavier gespielt. Das Aufnahmegerät startete nicht während er spielte, sondern erst am Ende des Echos seines Klanges. Auf diese Weise spielten die beiden verschiedenen Akkorde und und stückelten sie hinterher zusammen. Das Saxophon ist nur ein einziges Mal zu hören. 45 46 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 111 www.weatherreportdiscography.org, Weather Report 1971 - 28 - 3.1.3.2. Umbrellas Das Stück (Melodie von Miroslav Vitous) lebt vom Rhythmus. Umbrellas vermittelt eine positive Stimmung, wie sie ein Regen in der heißen Jahreszeit auslöst. Die häufigen Wechsel im Tempo und im Rhythmus könnte man als verschiedene Regenarten interpretieren. Zu Beginn prasseln einzelne Tropfen in einer Unregelmäßigkeit nieder, bevor der Rhythmus gerade wird und ein nahendes Unwetter ankündigt. Der Sturm legt sich wieder, eine ruhige Passage folgt. Über einen längeren Abschnitt bleibt die Musik ruhig, die Spannung bleibt erhalten und kündigt einen abermaligen Wechsel an. Das Stück endet in einer unruhigen, aufgewühlten Stimmung. 3.1.3.3. Seventh Arrows (Miroslav Vitous) Das Stück besteht aus vielen aneinandergereihten Motiven. Diese Motive sind durchkomponiert, das Stück ist daher keine reine Improvisationsnummer. 3.1.3.4. Orange Lady Die Komposition stammt von Joe Zawinul. Er schrieb sie im Winter 1966/67 in Österreich, wo er einige Zeit mit seiner Familie verbrachte. Aus dieser Zeit stammen einige weitere wichtige Kompositionen wie In A Silent Way, Directions oder Pharao’s Dance (Bitches Brew). Das Stück ist ebenfalls auf dem Miles Davis Album Big Fun und auf The Complete Bitches Brew Session zu hören.…………………………………………………………………………………. 3.1.3.5. Morning Lake Zawinul: “Morning Lake creates the feeling in you of being somewhere very early in the morning on a nice day, maybe in spring, and it’s still a bit cold – a mountain lake… You can see that the - 29 - water is cold, because you can see through it so well that it has to be cold.“ 47 Dieses Stück stellt eine Naturszene akustisch dar. Perkussionsinstrumente imitieren Vogelstimmen, das Blubbern von Wasser, ein Geräusch von einem Specht, etc. Diese Geräuschkulisse dient einleitend für die Melodie und wirkt dann begleitend durch das ganze Stück. Die Naturgeräusche, das im Hintergrund gehaltene Schlagzeug, die einfache Melodie und hohe Synthesizerklänge erzeugen eine unberührte, schwerelose und reine Atmosphäre. 3.1.3.6. Waterfall Die Szene von Morning Lake wird weitergesponnen. Der ruhige, klare See entwickelt sich langsam zu einem Wasserfall. Das Stück ist rein improvisiert und erzeugt eine derart stimmige Atmosphäre, es ist kaum zu glauben, dass die Musiker dieses ohne vorherige Absprachen eingespielt haben. 3.1.3.7. Tears In der Komposition von Shorter wird die menschliche Stimme (von Alphonse Mouzon) erstmals als zusätzliches Instrument eingesetzt. Auf späteren Alben werden gesungene Passagen häufiger zu hören sein. Shorter: „The image I get is human: tears, blood, skin – a human being. The voice came out of that, the human voice.” 48 Neben den bisher behandelten Naturthemen sollte dieses Stück den Mensch ins Zentrum stellen.…………………………………………………………... 3.1.3.8. Eurydice Dieses Stück ist die einzige Nummer auf der Platte, die swingt und somit am ehesten der Jazztradition zuzuordnen ist. Alle anderen Stücke haben einen geraden Rhythmus, ein Merkmal, das dem Jazzrock entspricht. Der durchgehende Walking-Base und die Improvisationen erinnern 47 48 www.weatherreportdiscography.org, Weather Report 1971 www.weatherreportdiscography.org, Weather Report 1971 - 30 - ebenfalls an eine traditionelle Jazznummer. Hier wird nicht kollektiv improvisiert, wie es auf dem Album bisher meist geschah. Jedes Instrument soliert über einen festgelegten Abschnitt. 3.1.4. Kritik Das Album wurde von den Kritikern hoch gelobt. Im Down Beat Magazine wurde es mit fünf Sternen ausgezeichnet. “The music of Weather Report is music beyond category. All I can add to what has been said by the men who made it is that it seems to me music unlike any other I’ve heard, music that is very contemporary but also very warm, very human, and very beautiful… The forecast, if there is justice, must be clear skies and sunny days for these four creative men and their associates.” 49 ★★★★★ 3.1.5. Auszeichnungen und Awards Jazz Album of the Year; Leserabstimmung im Down Beat Magazine Swing Journal Magazine Grand Prix Award; Leser- und Kritikerabstimmung Best Band of the Year, und Best Selling Jazz Album of the Year; Swing Journal Magazine 3.1.6. Weather Report 1971; Die DVD Von Weather Report 1971 gibt es eine Musikaufnahme, die 2010 als DVD veröffentlicht wurde. Die Aufnahme wurde für das deutsche Fernsehen mit dem Titel Weather Report - Live in Germany 1971 produziert. Der Titel erweckt den fälschlichen Eindruck, die Aufnahme zeige einen Live-Mitschnitt von einem Konzert vor Publikum. Tatsächlich dokumentiert das Band aber die Musiker bei den Studioaufnahmen zum Album. Dieser Mitschnitt ist insofern besonders, weil 49 www.weatherreportdiscography.org, Weather Report 1971 - 31 - hier das Konzept der Gruppenimprovisation klar ersichtlich wird. Die einzelnen Titelnummern gehen nahtlos ineinander über, was ihrer Einzigartigkeit und Erkennbarkeit jedoch keinen Abbruch nimmt. Es gibt keine Untertitel, welche die gerade laufende Nummer ankündigen würden. “No one solos, everyone solos.” Dieser berühmte Satz von Zawinul findet in diesem Mitschnitt seine Begründung - Zawinul übersetzt folgendermaßen “Sogar die Begleitung, Sogar das Wenigste, was man spielt ist schon ein Solo.” 50 Dieses Konzept entwickelte sich aus der Ablehnung der traditionellen Form, wie sie im Jazz häufig verwendet wird, heraus. (Zawinul und Shorter verweigerten die Abfolge von Themen und Soli, die Liedform A-A-B-A, zwei Achttaktchorusse, ein Mittelteil und wieder ein Achttaktchorus.) Die Praktik der Gruppenimprovisation wird in der folgenden Entwicklung von Weather Report zum übergeordneten Prinzip. 3.2. I Sing The Body Electric (1972) 3.2.1. Besetzung Auf der ersten Europatournee stellte sich heraus, dass der Schlagzeuger Alphonse Mouzon doch nicht so gut in die Band passte, wie anfangs von den beiden Leadern geglaubt. Seine Nachfolge trat Eric Gravatt an. 3.2.2. Der Durchbruch Als das zweite Weather Report Album erschien, hatte die Band den Durchbruch in New York noch nicht geschafft. Auf den Tourneen durch Europa und Japan, wo die Konzerte meist ausverkauft waren, wurden sie zeitgleich bereits mit enthusiastischen Begeisterungsstürmen empfangen. Üblicherweise trat die Band in internationalen Jazzclubs auf. Zawinul: „The audiences over there are hungrier for real good music. They can hear […]Our first album wasn’t 50 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 112 - 32 - out but four months and when we arrived at Tokyo airport there were hundreds of people waiting to greet us. I still love American audiences, but it takes a little longer to gain acceptance over here” 51 Die erste Show nach der Europatournee zurück in New York besuchten gezählte vierzehn Zuhörer. Ron Jefferson, ein Schlagzeuger, wurde bei diesem Konzert auf die Band aufmerksam und bewarb Weather Report in den Jazzclubs der Stadt. Die folgenden Performances wurden immer besser besucht und bald bildeten sich Warteschlangen vor dem Eingang. Der endgültige Durchbruch gelang kurze Zeit darauf, als Weather Report einen Job im Beacon Theatre bekam. Dort spielte die Band in einem Programm mit Tina Turner und der Steve Miller Band. Die Reaktionen des Publikums waren gemischt. Wo die eine Seite „Buh“-Rufe ausrief, brüllte die andere Seite „Bravo! Bravo!“. In der nächsten Ausgabe der Village Voice brachte Robert Palmer einen Artikel heraus, in welchem er diesen Auftritt in höchsten Tönen lobte: „Ich war bei einem Konzert von Tina Turner und erlebte dort die größte Band, die ich je gehört habe.“ 52 Dieser Artikel lenkte die Aufmerksamkeit auf die Band und bedeutete den Durchbruch. 3.2.3. Instrumente Zu den Anfängen hatte Zawinul lediglich ein akustisches Klavier und ein Fender-Rhodes-Piano zur Verfügung. In der nächsten Zeit erweiterte er sein Equipment. Im ersten Stück Unknown Soldier wird erstmals ein Synthesizer verwendet, um Soundeffekte zu erzeugen. 3.2.4. Titel Das Zitat „I Sing The Body Electric“ stammt aus einem Gedicht von Walter Whitman. Walter Whitman war ein US-amerikanischer Dichter. Er gilt als einer der Begründer der modernen amerikanischen Dichtung und daher als einer der einflussreichsten amerikanischen Lyriker des 19. Jahrhunderts. Sein Schaffen ist auch in der Folgezeit von großer literarischer Bedeutung, das 51 52 www.weatherreportdiscography.org, I Sing The Body Electric Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 111 - 33 - berühmteste ist sein Lebenswerk Leaves of Grass. I Sing The Body Electric ist ein Gedicht aus dieser Sammlung. Es besteht aus neun Strophen. Die Erste sei hier beispielhaft angeführt: I Sing the Body Electric I sing the body electric, The armies of those I love engirth me and I engirth them, They will not let me off till I go with them, respond to them, And discorrupt them, and charge them full with the charge of the soul. Was it doubted that those who corrupt their own bodies conceal themselves? And if those who defile the living are as bad as they who defile the dead? And if the body does not do fully as much as the soul? And if the body were not the soul, what is the soul? Ray Bradbury, der Science-Fiction-Autor, veröffentlichte 1969 ein Buch mit demselben Titel. Es enthält mehrere kurze Science-Fiction-Geschichten, eine davon ist nach dem Gedicht von Walter Whitman I Sing The Body Electric benannt. Zawinul ist sich selbst nicht ganz sicher, von wem der beiden sie nun den Titel übernommen haben. Fakt ist jedenfalls, dass Wayne Shorter den Einfall dazu hatte: Zawinul: „Hey, Wayne. Are you coming for a beer? Wayne! Stop staring out of the window and come for a beer. WAYNE!“ Shorter: „What’s that?“ Zawinul: „Are Shorter: „I sing the body electric.“ Zawinul: „HEY MAN! What a great title for the album…“ 53 53 you coming for a beer Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 69 - 34 - now we’ve finished the recording? 3.2.5. Cover Das Coverbild des Albums zeigt einen Körper, der halb Mensch, halb Roboter ist. Im Inneren kann man menschliche Organe und ein Skelett, aber auch technische Systeme erkennen. Der Körper ist elektrifiziert und leuchtet wie eine Glühbirne. Dieses Bild repräsentiert die Fusion von traditioneller Jazzmusik mit elektronischer Musik. Die Platte besteht aus zwei Teilen, einer Studioaufnahme und einem Live-Mitschnitt aus Tokyo. (Der komplette Mitschnitt aus diesem Konzert wurde 1972 als Doppel-CD mit dem Titel Weather Report Live In Tokyo veröffentlicht.) Diese Teilung stellt wieder die zwei Parallelen gegenüber. Der erste Teil steht für die künstliche, elektrische Seite einer Studioaufnahme, im zweiten Teil kommt die Natürlichkeit und Energie eines Live-Mitschnitts zu tragen. 3.2.6. Musik Die Musik auf diesem Album ist ein Mix aus akustischen und elektronischen Klängen. Die Studiotracks haben den Charakter von Programmmusik, ähnlich wie am ersten Album Weather Report 1971. 3.2.6.1. Unknown Soldier Dieses Stück dokumentiert den erstmaligen Einsatz von Synthesizern bei Weather Report. - 35 - 3.2.6.2. The Moors Das Stück beginnt mit einem akustischen Gitarrensolo von Ralph Towner. Weather Report spielte bis auf einige Ausnahmen immer ohne Gitarristen. Andere bekannte Fusionbands dieser Zeit, wie etwa Chick Coreas Return To Forever oder John McLaughling’s Mahavishnu Orchestra, spielten mit Gitarristen. Weather Report war diesbezüglich die Ausnahme. Zawinul: „Ich wollte wegen der Akkorde nicht mit einem Gitarristen spielen. Denn wenn ein Gitarrist Akkorde spielt - was mach dann ich? Ich habe ein super Akkordkonzept, und für mich war ein Gitarrist immer ein Problemfall. Bis später, als ich entschied, dass ein Gitarrist bei mir nur Linien spielt. Also Melodien im weitesten Sinn.“ 54 Ralph Towner wurde nur für die Aufnahme dieses Stückes von Wayne Shorter eingeladen. Er spielte bei der Gruppe Oregon und war Shorter und Zawinul durch sein Spiel auf der zwölfsaitigen Gitarre bekannt. 55, 56 www.weatherreportdiscography.org, Sweetnighter - 37 - 3.3. Sweetnighter (1973) Dieses Album repräsentiert die erste große Veränderungsphase bei Weather Report. Das bisher dominierende Prinzip der Kollektivimprovisation und des Experimentellen rückt zunehmends in den Hintergrund. Die Kompositionen werden strukturierter und ein durchgehender, funkiger Beat wird hörbar. Das Album beinhaltet zum einen Stücke, die in ihrem Stil an die bisherigen Weather Report Alben erinnern, sowie neuartige Nummern, die richtungsweisend für die kommende Zeit sind. Zawinul entschied sich aus zweierlei Motivation ganz bewusst für diese Neuerungen in der Musik: Das Konzept der Gruppenimprovisation gab keinen Garant für die Qualität der Musik. Er sprach davon, an manchen Abenden wie die weltbesten Musiker gespielt zu haben und an anderen Tagen, wenn „die Magie fehlte“, wären sie „herumgeschwommen“: “Sometimes we were very creative, but often it would happen that if we were not totally on, absolutely nothing! I didn’t want that. I didn’t want to search, the composition’s got to be there.” 55 Zawinul wollte mehr Struktur in die Musik bringen, um sie berechenbarer für die Konzertsituation zu machen. Shorter und Zawinul waren mittlerweile beide Familienväter geworden. Die ersten beiden Platten brachten nicht genug Geld ein. Mit dem Funky-Touch sollte ein größeres Publikum erreicht werden. Miroslav Vitous: “Improvisation was the mark of the band, but Joe Zawinul wanted to get more commercial, in a sense. It’s a question of money in the U.S., and what the music business is doing to music. The band had to change – it was in a bad financial situation. It moved into a steady rhythm section, black funk type of thing.” 56 3.3.1. Besetzung Um die musikalischen Veränderungen umzusetzen, wurde die Band neu strukturiert. In der folgenden Zeit arbeiteten Zawinul und Shorter mit vielen verschiedenen Musikern und 55, 56 www.weatherreportdiscography.org, Sweetnighter - 37 - probierten unterschiedliche Konstellationen aus. Um ihre Pläne verwirklichen zu können, musste ein neuer Mann am Bass sowie eine neuer Schlagzeuger gefunden werden. Zawinul: “Eric Gravatt was not the drummer on these tunes; not that he couldn’t have done it, but with him it was a mental thing. He just didn’t have his heart in it. As a plain jazz drummer, I think he’s the greatest we have ever had, with perhaps the exception of Peter Erskine or Omar Hakim. So we had to hire a drummer and a bassist to play the grooves we wanted.” 57 Eric Gravatt verließ die Band nach Sweetnighter. Er war sehr verletzt durch diese Auflösung. Jahre später sprach Zawinul noch über ihn: “I think Eric Gravatt was a genius, but he had such a small little bass drum, we couldn’t play the things I wanted to play. That’s what broke that up. It wasn’t that he didn’t play good enough. He was a bad dude, man. From the jazz side, Eric Gravatt was my favorite of them all.” 58 Nach seiner Zeit bei Weather Report wurde Eric Gravatt Gefängniswärter in einem Hochsicherheitsgefängnis in Minneapolis. Er arbeitete dort fünfundzwanzig Jahre lang bis zu seiner Pensionierung. Schlagzeug spielte er nur noch nebenbei, zum Beispiel beim Pianisten von John Coltrane, McCoy Tyner. Nach dem Abgang von Eric Gravatt gab es über eine relativ lange Zeitspanne von eineinhalb Jahren keine richtige Live-Band bei Weather Report. Es folgten mehrere Schlagzeuger, die aber alle nicht lange blieben: Greg Errico, Ishmael Wilburn, Skip Hadden, Daryl Brown und Dom Um Romao. Die Aufnahmen zum Album wurden von verschiedenen Schlagzeugern eingespielt. Der rhythmische Part ist hier oft so komplex, dass ein Musiker allein ihn kaum bewältigen konnte. Herschel Dwellingham übernahm gemeinsam mit Eric Gravatt den Schlagzeugpart; Dom um Romao und Muruga die Perkussionsinstrumente. Auf Sweetnighter wurde als zusätzliches Melodieinstrument das Englischhorn eingesetzt (gespielt von Andrew White). Zu hören ist es bei den Stücken Manolete und Boogie Woogie Waltz. Auf einigen Nummern bediente Andrew White auch den elektrischen Bass: Adios, 125th Street Congress und Will. 3.3.2. Boogie Woogie Waltz Diese rhythmische, funkige Nummer steht für den Wandel in der Musik. Zawinul: “In the 57, 58 www.weatherreportdiscography.org, Sweetnighter - 38 - beginning, Weather Report was almost a completely improvisatory band, and I wanted a little more structure. And we weren’t selling enough records. So I wrote ‘Boogie Woogie Waltz’ to get us off the ground.” 59 Diese Nummer wurde zu einem Hit und vor allem an den amerikanischen Colleges viel gespielt. Es ist mit dreizehn Minuten relativ lang. Ken Trethewey: “Grooves are traditionally long when they are good because musicians like playing them and audiences like listening to them.” 60 Greg Errico, der Schlagzeuger der Rockband Sly & The Family Stone, spielte in der Zeit zwischen Sweetnighter (Sweetnightertournee) und Mysterious Traveller bei Weather Report. Laut Zawinul hätte er den Boogie Woogie Waltz besser als jeder andere Schlagzeuger gespielt: “Greg war von Kopf bis Fuß ein Rhythm & Blues Drummer, aber so modern, dass es großen Spaß machte mit ihm zu arbeiten […] Die Tatsache, dass Greg Errico nicht gut genug Jazz spielte, verhinderte, dass wir länger miteinander arbeiteten.” 61 Errico hatte in der Rockszene eine gewisse Bekanntheit erlangt und zog das jüngere Publikum an. Dreizehn-, Vierzehnjährige kamen mit ihren Eltern zum Konzert und das Weather Report Publikum begann zu wachsen. 3.3.2.1. Rhythmus Im bezeichnenden Titel Boogie Woogie Waltz sind zwei gegensätzliche Komponenten vereint; ein funkiger Sound mit dem Walzer. Das Markenzeichen eines Walzers ist der Dreivierteltakt. Funk wird per Definition in einem Vierertakt gespielt. Diesen besonderen Rhythmus, der weder als Walzer noch als Funk funktioniert, beschreibt Zawinul als “a hip hop in 3”. sollte später zur Grundlage des Hip Hop und Rap 62 Er werden. Zawinul beschreibt die Struktur des Stückes im Jazz Forum Magazine folgendermaßen: “There are only five sentences. There is an indroduction, an interlude and a dance at the end. And in between, everything is free.” 63 59 www.weatherreportdiscography.org, Sweetnighter Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 73 61 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 115 62 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 72 63 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 72 60 - 459 - 3.3.3. 125th Street Congress “I wanted the band to get stronger rhythmically, but there was just one thing, I just didn’t like the backbeat, that two and four backbeat, it destroys any sensibility of rhythm because it is not rhythm, it is time, and time and rhythm in music are two different things. A groove is a groove, but time doesn’t give you a groove, time gives you a certain exactness. ’125th Street Congress’ is a groove and that is what I wanted. ” 64 3.3.3.1. „Sampling“ Sampling oder Soundsampling bezeichnet den Vorgang, Teile aus einer bereits vorhandenen Musik wie zum Beispiel einen Rhythmus, Geräusche oder Melodien herauszunehmen und neu zu bearbeiten. Die entnommenen Elemente werden in einem anderen musikalischen Kontext wiederverwendet und auf verschiedene Arten verändert. Diese Praktik wird häufig im Hip Hop und im Rap angewendet. Die Vorgehensweise erfolgt mittels elektronischer Geräte. Rechtlich gesehen ist die Verwendung von Samples ein umstrittenes Thema in der Musikindustrie, sämtliche Rechtsfragen sind weithin ungelöst. Trotzdem ist die Verwendung von Samples weitverbreitet und kann mittlerweile als eigene Stilrichtung angesehen werden. Zawinuls Boogie Woogie Waltz wurde zur Grundlage für rund sechzig Samplings verschiedener Rap- und Hip Hop-Künstler. Einige Beispiele: Passin' Me By von The Pharcyde (1992) Regiments of Steel von Chubb Rock (1990) Roosevelt Franklin von Organized Konfusion (1991) Phunky Az Phuck von Def Jef (1990) Jede dieser Versionen verwendet das rhythmische Grundpattern von Zawinul. Über diese Grundlage werden entweder elektronische Melodien oder ein gesprochener Rap gelegt. Zawinuls Groove bleibt trotzdem erkennbar. 64 www.weatherreportdiscography.org, Sweetnighter - 40 - 3.3.4. Kritik Die Kritikermeinungen über Sweetnighter spalteten sich in zwei Lager. Die eine Seite war hellauf begeistert vom neuen Groove, die andere Seite tat die Musik als „nichts besonderes“ ab. In einer Sache waren sich aber alle einig: Weather Report lässt sich in keine Kategorie einordnen: “Weather Report isn’t the first band to try the multi-percussion trip but so far it has been the most successful. The Gravatt-Dewllingham-Romão-Muruga team plays more than polyrhythms. It blows percussion with the same inventiveness and crispness that Shorter brings to his horns, Zawinul to his keyboards, Vitous to the bass. Perhaps to even the number of melody players versus percussionists, Andrew White has been added on English horn… One interesting thing about Weather Report is that this is a band that lives between categories. There are things here, as on the previous albums, that will grab a jazz audience, a rock audience, or an audience that is into classical music. And yet Weather Report is of none of these worlds–truly a band for which there is no pigeon hole.” ★★★★★ – Joe H. Klee, Down Beat, 1973 “It’s funky and it’s slick and somehow the whole thing doesn’t really have a great deal of meaning. Here’s a group that had great advance notice, a sort of jazz supergroup. Yet, though the group’s first two albums got awards and critical acclaim they didn’t say very much. Nice records, but hardly great. It’s the same here, just different. A nice record, grooving, but… There’s no doubt that the group has its own bag. But there’s not that much in this bag.” 65 ★★★ – 65 Will Smith, Down Beat, 1973 www.weatherreportdiscography.org, Sweetnighter - 41 - 3.3.5. Awards und Reihungen Jazz Group of the Year, achtunddreißigste Leserabstimmung Down Beat Magazine Platz zwei in der Kategorie Jazz Albums bei den Billboard Charts 3.3.6. Synthesizer Joe Zawinuls Vorliebe an Klängen zu basteln zeichnete sich schon im Kindesalter ab. Eine Anekdote erzählt davon, wie er als junger Bub in einem Cafè nahe seinem Elternhaus einen grünen Filzstreifen zum Überziehen eines Billiardtisches klaute, um damit sein Akkordeon zu präparieren. “Des hab i grapst weil ich so etwas suchte, ein Material mit dem ich das Soundboard des Akkordeons verpicken kann, auf beiden Seiten, wo der Klang herauskommt.”.66 Später, als er schon als Musiker arbeitete, präparierte Zawinul sein Klavier mit verschiedenen Materialien wie in etwa Klebestreifen, Wäscheklammern oder Tambourins. Er interessierte sich für alle Instrumente, auf denen man Soundvarianten ausprobieren konnte: Kirchenorgeln, Hammondorgeln oder elektrische Klaviere. Zawinuls erster Synthesizer nannte sich “Sputnik”. Dieses Instrument kaufte er um 1970 in New York gemeinsam mit einem benachbarten Musiker. “Der Sputnik sah aus wie eine altmodische Hotel-Telefonschaltzentrale, mit vielen Buchsen. Wenn man die Buchsen mit Kabeln und Steckern verband, bekam man eine Oszillation, also einen Ton. .” 67 Die ersten Weather Report Aufnahmen mit einem Synthesizer dokumentiert das Stück Unknown Soldier vom Album I Sing The Body Electric. Zawinul verwendete hier einen Synthesizer der Marke Arp, den ARP 2500.………………………………………………… Die ARP Instrument Company wurde 1969 von Alan R. Pearlman gegründet und brachte 1970 ihr erstes Instrument, den ARP 2500, auf den Markt. Der analoge Synthesizer hatte ein sehr komplexes Aussehen. Er bestand aus einem Synthesizer und einem separaten Keyboard. Die beiden Teile waren in einer Plastikbox miteinander verbunden, was die Handhabung und den Start etwas erleichterte. Zu dieser Zeit wurden diese Instrumente hochgeachtet und viel gespielt, heute zählen sie zu den Klassikern unter den „Oldtimern“.……………………………………………………………………………… 66 67 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 11 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 119 - 42 - ARP 2600 Synthesizer Der Arp 2600 funktionierte ähnlich wie der “Sputnik”. Zawinul: “Ich hatte Kabel um den Hals hängen, und ähnlich wie beim Sputnik musste ich verschiedene Buchsen verbinden.” 68 Anfangs wurden die Synthesizer nur für Studioaufnahmen verwendet, bei Live-Auftritten spielte Zawinul ein elektrisches “Rhodes Piano”. Es dauerte eine Weile, bis er die Synthesizer in die Live-Performance miteinbinden konnte. Zawinul: “Die Geräte wurden anfangs für den Einsatz im Studio gebaut-aber gewiss nicht dafür um im harten Tournee-Einsatz um die ganze Welt geschleppt zu werden […]” 69………………………………………………………………………………………….. 1974 schaffte sich Zawinul ein zweites Instrument dieser Marke an. Ursprünglich war dieses als Reserveinstrument, für den Fall eines technischen Defektes, gedacht. Zawinuls Techniker kam auf die Idee, die beiden Instrumente zusammenzuschließen. Zawinul: “Having two ARPs lets me play one keyboard while I set the controls on the other.” 70 68 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 120 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 121 70 www.weatherreportdiscography.org, Mysterious Traveller 69 - 43 - Zawinul: “I want orchestral sounds from a synthesizer; the kind of realism beyond imitation. I can make the 2600 sound like Coltrane, just like Coltrane… or change it to soft, haunting flutes. My first 2600, ‘Eins,’ is my soft synthesizer, with a clear, clean sound I have never heard on any other. ‘Zwei,’ my second 2600, gives me a harder edge, so they are complementary.” 71 Die Instrumente damals waren sehr langsam und es gab keine Möglichkeit, Soundeinstellungen zu speichern. Jeder unterschiedliche Sound musste im Spiel neu eingestellt werden, was sich durchaus aufwändiger gestaltete als bei Instrumenten aus der heutigen Zeit. Zawinul: “I have my own ‘magic book’ of sounds I’ve created on the 2600. 71, 72 www.weatherreportdiscography.org, Mysterious Traveller - 44 - Melody lines from ‘Black Market’, ‘Scarlet Woman’ and lots of music and sound effects from other albums I’ve done. I tape some nice stuff just playing around. With the 2600, you never have to listen to the same sound twice, if you don’t want to.” 72 Bei der jährlichen Kritiker- und Leserabstimmung des Down Beat Magazines wurde Joe Zawinul in der Keyboard-Kategorie in siebenundzwanzig Jahren sechsundzwanzig Mal zum Gewinner ernannt. Sein Können im Umgang mit den Synthesizern hat er sich durch ständiges Ausprobieren selbst beigebracht. Seine unstillbare Neugierde trieb ihn an, immer weiterzutüfteln und sich immer weiterzuentwickeln. So wurde er auf diesem Gebiet zu einem Ausnahmekönner, der auf diesem Niveau keine Konkurrenz kannte. 73 74 www.weatherreportdiscography.org, Mysterious Traveller Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 116 - 45 - 3.4. Mysterious Traveller (1974) 3.4.1. Besetzung Nach Sweetnighter kam es zum Bruch mit dem Bassisten, Gründungsmitglied und Co-Leader Miroslav Vitous. Seine Art, den Bass zu spielen, passte nicht mehr in das Konzept der Band. Greg Errico, der Boogie Woogie Waltz- Schlagzeuger, sagte über ihn: “Miroslav loved funk, and he tried to play it, but he wasn’t a funk player. It wasn’t where he came from. He didn’t connect up with how to go there. He could listen to it, talk about it, and he admired it, but that’s not what came out of him, so that was something that held back where Joe wanted to go at the time I was with them.[…] ” 73 Der Abschied von Miroslav Vitous war vor allem durch die geschäftliche Partnerschaft mit Zawinul und Shorter nicht ganz einfach. Er schloss sich mit dem Manager Bob Devere zusammen und verklagte Weather Report auf 100 000 Dollar. Die beiden Parteien einigten sich auf eine Summe von 50 000 Dollar, doch auch dieser Betrag war mehr als die Band verkraften konnte. Als Nachfolger von Vitous kam Alphonso Johnson. Er war Mitglied bei der Chuck Mangione Group. Zawinul wurde bei einem gemeinsamen Gig auf ihn aufmerksam. Er lud ihn zum Vorspiel und engagierte ihn als neuen Bassisten. Die Einspielungen auf Mysterious Traveller stammen bereits von Johnson. Miroslav Vitous ist auf der zweiten Nummer American Tango noch ein letztes Mal am Bass zu hören, Johnson spielt hier den elektrischen Bass. Am Schlagzeug gab es ebenfalls Veränderungen. Greg Errico verließ den Drumchair und wechselte zu der Band Sly And The Family Stone. Ishmael Wilburn, ein Cousin von Shorter, wurde angeheuert und spielte einige Nummern auf Mysterious Traveller ein. Wilburn hätte als Drummer gut in die Band gepasst, doch er litt unter starkem Lampenfieber und hatte Bühnenangst, sodass er als fixes Mitglied nicht in Frage kam. Nach seinem Engagement bei Weather Report entwickelte er sich zu einem gefragten Studiomusiker. Daryl Brown ersetzte seinen Platz, doch auch er blieb nicht lange. Zawinul: „Mit Daryl Brown ging es eine Zeit lang gut, obwohl wir alle spürten, dass er, bei aller Qualität, ein bissl zu…leicht war, um auf Dauer unser Drummer zu sein.“ 74………………………………………… Daryl Brown studierte Medizin und setzte sein Studium auch während seiner Zeit bei Weather Report fort. Nach seinem Engagement widmete er sich ganz der Medizin und wurde ein 73 74 www.weatherreportdiscography.org, Mysterious Traveller Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 116 - 45 - prominenter Neurochirurg in Amerika. Auf Mysterious Traveller ist er nicht zu hören. Einige Nummern auf dem Album haben einen sehr anspruchsvollen Drum-Beat, sodass Zawinul einen zweiten Schlagzeuger engagierte. Skip Hadden unterstützt Wilburn auf drei Tracks: Nubian Sundance, Misterious Traveller und Miroslav’s Tune. An den Perkussionsinstrumenten sind wie auf Sweetnighter wieder Dom Um Romao und Muruga zu hören. Ein zusätzlicher Perkussionist hieß Ray Barretto. Steve Little, Don Ashworth und Isacoff sind weitere Perkussionisten, die auf einzelnen Tracks zu hören sind. Für die erste Nummer auf der Platte Nubian Sundance wurden einige Vokalisten engagiert: Edna Wright, Marti McCall, Jessica Smith, James Gilstrap und Billie Barnum. 3.4.2. Cover Das Titelbild ist hier, ähnlich wie das metaphorische Cover von I Sing The Body Electric, sinnbildlich zur Musik zu verstehen. - 46 - Das Bild zeigt einen Kometen über Madagaskar, der scheinbar auf die Erde fällt. Es spielt auf das in den Medien übermäßig gehypte Phänomen “Kohoutek” an. Der “Kohoutek” war ein Komet, der 1973 das Sonnensystem durchquerte. In der Fachwelt sowie in den Medien wurde “Kohoutek” viel beachtet und diskutiert. Die Bild Zeitung schrieb beispielsweise am 20. Juni 1973: “Rießiger Komet rast auf unsere Erde zu…” 75 Das Phänomen entwickelte sich jedoch viel schwächer als erwartet. Shorter: “It was a mystery about where was it born, and that means our life too, here we are: all mysterious travellers.” 76 Ken Trethewey schreibt: “[...] if you sit and listen to this record without concentrating on it, you would certainly be left with the impression that something otherwordly is going on.” 77 3.4.3. Kompositionen Ein Großteil der Musik auf Mysterious Traveller stammt aus der Feder von Joe Zawinul. Auf diesem Album entwickelte er seine Kompositionstechnik. Komponieren hieß für ihn in den meisten Fällen, ein improvisiertes Musikstück aufzunehmen, um dieses hinterher aufzuschreiben und zu editieren. Die meisten seiner Stücke entstanden im Spiel, aus dem Moment heraus. ………………………………………………………………………………. 3.4.4. Instrumente Hatte Zawinul die Synthesizer auf den vorhergehenden Alben nur spärlich benutzt, so spielen sie auf diesem Album eine vorherrschende Rolle. Charakteristisches Beispiel dafür ist das Stück Scarlet Woman. 3.4.5. Musik Eine CD-Rezension von Gunther Baumann beschreibt die Musik auf Mysterious Traveller folgendermaßen: „Tanzbare Rhythmen und Melodien, die leicht den Weg ins Ohr finden, sind 75 www.wikipedia.org, C/1973 E1 (Kohoutek) www.weatherreportdiscography.org, Mysterious Traveller 77 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 75 76 - 47 – eingebettet in durchstrukturierte Kompositionen von großer Komplexität. Gleich das erste Stück, Zawinuls bis heute strahlender ‚Nubian Sundance’, stellt so extreme Anforderungen an den Schlagzeuger, dass die Band deren zwei einsetzte.“ 78 3.4.5.1. Nubian Sundance Bei diesem Stück ist im Hintergrund Publikum zu hören. Es entsteht der fälschliche Eindruck einer Live-Aufnahme. Das Publikum ist jedoch nicht echt, es wurde im Studio dazugemischt. Einzigartig sind auch die Singstimmen, die in einer chorartigen Form eingesetzt werden. Jungle Book und American Tango sind zwei weitere Titel auf dem Album, bei welchen Singstimmen zu hören sind. 3.4.5.2. Jungle Book Diese Nummer birgt eine Vielzahl an Sounds. Eine Klangkulisse, wie sie in einem Urwalddorf herrschen könnte, zieht sich durch das ganze Stück. Zawinul hat diese Improvisation bei sich zu Hause aufgenommen und nachträglich mit verschiedenen Sounds versehen. Er erzählt die Geschichte, wie sein Sohn ihn bei der Arbeit gestört hat, weil er mit ihm aus dem Dschungelbuch lesen wollte. Zawinul wollte sich die Zeit nicht nehmen und der Kleine begann zu weinen. Das Kindergequängel hat Zawinul mithilfe seiner Synthesizer in das Stück eingebaut. 3.4.6. Awards und Reihungen Jazz Album of the Year, neununddreißigste Leserabstimmung Down Beat Magazine Jazz Group of the Year, neununddreißigste Leserabstimmung Down Beat Magazine Platz zwei in der Kategorie Jazz Albums Platz einunddreißig bei den R’n’B Albumcharts 78 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 198 - 558 - bei den Billboard Charts 3.5. Tale Spinnin’ (1975) 3.5.1. Besetzung Für dieses Album wurde die Band erneut umstrukturiert. Zawinul erklärt diese ständigen Unruhen folgendermaßen: „The fact that we change the rhythm section often does not mean we have problems with them. We are moving, we are in the world, we are not standing still. Wayne and me, we’ve been together for many years, and friends for 17 years, and have had similar ideas about how things should be, and that’s our privilege. We change as many times as we feel like changing, but today is another day. Sometimes the rhythm section are not able to execute new ideas or sometimes unwilling to accept new things.” 79 1975 hatte Weather Report im Grunde keine richtige Band. Die beiden Leader waren unter Druck, denn das nächste Album musste produziert werden, um den Vertrag mit der Plattenfirma einzuhalten. Nachdem Dom Um Romao die Band verlassen hatte (Zawinul: “Ich war zu jener Zeit auch mit unserer Percussion unzufrieden, Dom Um Romao spielte immer dasselbe […] 80 ), folgte ein Perkussionist aus Brasilien. Sein Name war Alyrio Lima. Er übernahm den Perkussionpart auf Tale Spinnin’. Der neue Mann am Schlagzeug war James “Ndugu” Chancler. Er war erst dreiundzwanzig Jahre alt, für sein Alter schon sehr erfolgreich und viel herumgekommen. Er spielte zu dieser Zeit bei Carlos Santana. Sein Einstieg bei Weather Report geschah zufällig. Chancler war im Tonstudio mit Jean Luke Ponty, einem französischen Fusion-Jazz-Violonisten (Mahavishnu Orchestra u.a.), wo Weather Report nebenan für die Aufnahme probte. Zawinul lud Chancler zu einer gemeinsamen Session ein. Diese Session sollte ein paar Tage dauern. Das Resultat daraus dokumentieren die Aufnahmen von Tale Spinnin’. Zawinul hätte James Chancler gerne als fixes Mitglied in der Band gehabt, doch dieser zog sein Engagement bei Santana vor. Weather Report blieb also weiterhin auf der Suche nach der richtigen Rhythmusgruppe. 3.5.2. Die Arbeit im Studio In Brian Glassers Zawinul Biographie In A Silent Way beschreibt Zawinul seine Art, 79 80 www.weatherreportdiscography.org, Tale Spinnin Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 117 - 49 - Aufnahmen als Leader zu gestalten. Das Aufnahmemodell, dem er auf Tale Spinnin’ gefolgt war, ist jenem von Miles Davis sehr ähnlich. Zawinul lernte dieses Modell bei den Aufnahmen zu Bitches Brew kennen. Davis’ Ideen in dieser Hinsicht hatten ihn stark beeinflusst: “[…] but from the way Miles handled a recording session I learned a whole lot. They had the tapes running constantly, not to lose certain things. The best things are usually happening when you just get together and try this shit, you know. Miles is a leader, but in such a relaxed way that you never feel like someone is trying to tell you something. There was very little talking going on. It was more just a vibe.” 81 Alphonso Johnson und Ndugu beschreiben die Art, wie im Studio gearbeitet wurde, mit ähnlichen Worten. Johnson: “There was a lot of freedom in how it was put together. That was part of what made the music so special. It was very reminiscent of how I imagine Miles used to record. They would just start rolling tape and the song would start immediately from the first note. Then later Joe and Wayne would go back and splice the tape[…]” 82 Ndugu: ”There wasn’t a lot of dialog about what they were trying to do musically. We would go in and just start playing, and they would roll the tape, or they would give me a sketch of a tune, which would be eight bars or something.” 83…………………………………………………………… 3.5.3. Kritik Um einen kurzen Einblick in die Musik des Albums zu geben, seien an dieser Stelle einige Kritiken aus Zeitschriften zitiert: “Tale Spinnin’ sets up a hypnotic groove, loose and funky with more than a touch of AfroLatin in the rhythm section and engaging melodic detail on top. The compressed lyric intensity and experiments in acoustic/electric orchestration which lent Weather Report’s recent Mysterious Traveller its intriguing surface and structural intricacy are largely missing, and only Josef Zawinul’s “Man in the Green Shirt” and “Five Short Stories” have themes which leave lasting impressions… Despite its relative lightness, Spinnin’ convinces once again that Weather Report is the most adventurous, meticulous and consistently stimulating band working in the electric-jazz idiom.” – Bob Palmer, Rolling Stone, 190 81, 82, 83 www.weatherreportdiscography.org, Tale Spinnin’ - 50 - “After several years of experimentation–both successful and unsuccessful–Weather Report has arrived, so to speak, at the crossroads of space conceptualization, a magical point at which all the musicians seem to feel each other without effort. The result is this brilliant album, Tale Spinnin’, a mixture of folk song and sophisticated jazz in a charming, unpretentious synthesis…” ★★★★★ – Eric Kriss, Down Beat, September 11, 1975 “Although it tales off slightly towards the end of the second side, Tale Spinnin’ contains some of the greatest Weather Report material ever produced, which is all the more treasurable for being in a style that the group was never to revisit. Inexplicably, it has tended to be passed over in historical overviews, perhaps because it was sandwiched between the particularly famous Mysterious Traveller and Black Market.” – Brian Glasser, In A Silent Way, 2000 3.5.4. Awards Jazz Album 84 of the Year, vierzigste 84……………………………………………………………………… Leserabstimmung www.weatherreportdiscography.org, Tale Spinnin’ - 51 - Down Beat Magazine Jazz Group of the Year, vierzigste Leserabstimmung Down Beat Magazine Platz drei in der Kategorie Jazz Albums bei den Billboard Charts Platz zwölf bei den R’n’B Albumcharts 85 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 84 www.weatherreportdiscography.org, Black Market 86, 87 - 52 - 4. Die Hochblüte: 1976 bis 1982 4.1. Black Market (1976) Im Jahr 1975 ging Weather Report mit dem Album Tale Spinnin’ auf Europatournee. In dieser Zeit gab es viele persönliche Unruhen unter den Musikern, ein Umstand, der erneut zu Umbesetzungen führte. Gegen Ende des Jahres wurde das nächste Album Black Market in einer komplett neuen Besetzung aufgenommen. Zawinul: „We’re always happy with the group, because if we’re not happy, we change it. There are a lot of musicians out there in the world. All the people who have played with us are great mother-fucking musicians. They have fantastic skills. But sometimes they’re going in one direcion and we’re going in another one, so we have to make a change. Changing musicians gives us fresh blood, new ideas.“ 85 Die neuen Mitglieder in der Band waren Jaco Pastorius (b), Chester Thompson (dr), Narada Michael Walden (dr), Alejandro Acuna (perc) und Don Alias (perc). 4.1.1. Besetzung Der Schlagzeuger Chester Thompson stieß Anfang des Jahres, auf Empfehlung von Alphonso Johnson zur Band. Er brachte Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Musikrichtungen mit (u.a. hatte er bei Frank Zappa gespielt). Gemeinsam mit Johnson bildete er das perfekte Team. Alyrio Lima unterstützte die beiden an der Perkussion. Zawinul: “This was a great period in a way […] and it was a powerful, modern rhythm and blues band.” 86 Im Oktober 1975 ersetzte Alejandro („Alex“) Acuna Alyrio Lima an der Perkussion. Acuna hatte zuvor mit Elvis Presley und Tina Turner gespielt. Zawinul hatte von ihm gehört und engagierte ihn ohne vorherige Audition. Im Dezember 1975 wurden die ersten Aufnahmen für das Album gemacht. Nach einer Pause über die Weihnachtsfeiertage verkündete Johnson, er würde Weather Report verlassen: „I knew that my time with ‚Weather Report’ was coming to an end […]“ 87 Er gründete eine Band mit George Duke (Keyboarder in der Fusion-Jazz-Szene und später Produzent) und Billy Cobham (Schlagzeuger in der Fusion-Jazz-Szene und Komponist). Nachdem er sich 85 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 84 www.weatherreportdiscography.org, Black Market 86, 87 - 52 - ausschließlich diesem Projekt widmen wollte, wurde der Platz am Bass frei und Jaco Pastorius kam zum Zug. Auf Black Market sind beide Bassspieler angegeben. Die meisten Nummern spielt allerdings noch Alphonso Johnson. Nachdem Johnson gegangen war, funktionierte die Rhythmusgruppe nicht mehr wie zuvor. Thompson und Pastorius harmonierten nicht miteinander. Zawinul beschloss einen neuen, beziehungsweise einen zusätzlichen Schlagzeuger zu suchen, Narada Michael Walden wurde engagiert. Er wurde durch John Mc’Laughling’s Mahavishnu Orchestra bekannt. Nach seiner Zeit bei Weather Report produzierte er Aufnahmen mit Whitney Houston, Mariah Carey und Aretha Franklin. Zu hören ist er auf den ersten beiden Nummern Black Market und Cannonball. Thompson erzählte in einem Interview 2002 über Walden: „In the end, I guess they really didn’t like his playing as much as they thought, so I finished out the album. He played on a track and a half. […] Unfortunately, at that point, the vibes were just all gone.“ 88 Thompson und Walden verließen also ebenfalls die Band. Alex Acuna wechselte zum Schlagzeug und Don Alias sprang für ihn an der Perkussion ein. Durch das ständige Wechseln der Bandmitglieder konnte sich keine beständige Gruppe entwickeln. Die Musiker hatten keine Zeit, sich aufeinander einzustellen und das wirkte sich auf die Musik aus. 4.1.2. Musik Das Prinzip der Gruppenimprovisation kam gänzlich abhanden. Die Band experimentiert mit verschiedenen Sounds, die Klänge aus aller Welt mit amerikanischem Jazz verschmelzen lassen. So sind z.B.: Soundeffekte wie der eines Zuges (Barbary Coast), eines Schiffes (Gibraltar), einer lärmenden Menschenmenge oder einem Feuerwerk (beide Black Market) zu hören. Merkmale aus verschiedenen Kulturen, Eindrücke aus aller Welt fließen in die Musik mit ein; das Album hat Weltmusikcharakter. Der Schlagzeugpart entwickelt sich auf diesem Album stark weiter. Die Sounds sind eingehend und der Perkussionspart ist stark ausgedehnt. 88 www.weatherreportdiscography.org, Black Market - 53 - 4.1.2.1. Black Market Die Komposition von Joe Zawinul beginnt mit dem Hintergrundgeräusch vieler Menschenstimmen, die das Getümmel auf einem afrikanischen Marktplatz darstellen sollen. Tatsächlich stammen diese Aufnahmen aus dem Privatbesitz von Alex Acuna (Schlagzeug/Perk.). Er hatte bei sich zu Hause ein Band aufgenommen, auf dem seine Familie und Kinder im Hintergrund zu hören sind. Dieses Band nahm er mit auf Tour, wo Joe Zawinul zufällig davon hörte. Zawinul gefielen diese Aufnahmen und er bastelte daraus den Beginn der Titelnummer. In diese Klangkulisse setzt ein afrikanischer Rhythmus (Bongos und Schlagzeug) ein. Am Schlagzeug sind hier Chester Thompson und Michael Walden zu hören. Alex Acuna und Don Alias spielen Perkussion. Der Synthesizer beginnt mit einer Bassphrase, die sich wiederholend fortspinnt. Später wird diese Phrase vom Bass (Alphonso Johnson) übernommen. Der Fokus der Basslinie liegt hier aber im Synthesizer. Dieses Merkmal (Zawinul spielt mit seiner linken Hand Basslinien am Synthesizer) tritt an dieser Stelle zum ersten Mal auf und kommt von nun an häufiger vor. Die Struktur des Stückes ist einfach. Der durchgehende Rhythmus macht es tanzbar und die Titelmelodie verleiht einen hohen Wiedererkennungswert. Black Market endet, gleich wie es begonnen hat, mit einem Soundeffekt. Diesmal sind Geräusche eines Feuerwerkes zu hören. 89 www.weatherreportdiscography.org, Black Market - 54 - 4.1.2.2. Cannonball Am achten August 1975 verstarb Joe Zawinuls ehemaliger Bandkollege und Freund Cannonball Adderley. Für ihn komponierte er dieses Stück. Jaco Pastorius wurde eingeladen, für die Aufnahme nach Los Angeles zu kommen. Zawinul: “Cannonball was from Florida too, and I wanted that Florida sound on this particular track. Plus, I remembered how much Jaco loved Cannonball’s music, so I figured he might be the right guy to use. We brought him in, and that was more or less his audition. Wayne and I talked it over, and we both agreed that this kid could play.” 89 Der neue Sound ist, im Vergleich zur ersten Nummer mit Alphonso Johnson am Bass, deutlich hörbar. Johnson spielt rhythmisch, seine Töne klingen sauber, präzise und exakt. Auf Cannonball hört man einen lyrischen Basston. Der Sound schwingt wie bei einem Melodieinstrument. Ken Trethewey schreibt über dieses Phänomen: „As soon as the track begins, the music lights up, as if someone has switched on a powerful new spotlight.“ 90 4.1.3. Alphonso Johnson und Jaco Pastorius im Vergleich Johnsons Art den Bass zu spielen entsprach ganz der üblichen Manier, wie sie von Bassspielern in den Jahren bisher gepflegt wurde. Die Hauptaufgabe des Basses war es, die Band rhythmisch zu unterstützen. Hinzu kam der Trend, den Schwerpunkt mehr auf den Sound zu verlagern, der den Rhythmus funkiger klingen lassen sollte. Mit Jaco Pastorius begann ein Umbruch in dieser Tradition. Er kreierte einen eigenen Stil, dem sehr viele Instrumentalisten nacheiferten. Pastorius ist bis heute ein großes Vorbild für Bassspieler in der ganzen Welt. Bei ihm verlor der Bass die Stellung eines rein unterstützenden Instrumentes und wurde immer öfter als Leadinstrument eingesetzt. Zeugnisse dafür sind seine Soloalben (siehe Kapitel „Jaco Pastorius“), sein siebzigminütiger Soloauftritt bei den Berliner Jazztagen 1979 und viele seiner Kompositionen, die er für Weather Report geschrieben hatte. Jacos Spiel war neuartig in der Verwendung von Akkorden und Harmonien. Er setzte perkussive Effekte ein, aus welchen sich später eine Technik entwickelte, die sich slap bass nennt. Eine weitere Besonderheit in seinem Spiel war die Verwendung des Glissando (der Finger rutscht von einer Position zu einer anderen). Seine Fähigkeit, den Bass als - 56 - Soloinstrument gleichermaßen wie als rhythmisches, die Band unterstützendes Begleitinstrument einzusetzen, war verblüffend. Mühelos konnte Jaco beide unterschiedliche Arten gleichzeitig spielen. 4.1.4. Awards und Reihungen Jazz Album of the Year, einundvierzigste Leserabstimmung Down Beat Magazine Jazz Group of the Year, einundvierzigste Leserabstimmung Down Beat Magazine Platz zwei in der Kategorie Jazz Albums bei den Billboard ChartsPlatz zwanzig bei den R’n’B Albumcharts 4.2. Jaco Pastorius Der E-Bassist spielte erstmals 1975 für das Album Black Market mit Weather Report. Er blieb bis 1982 in der Band, die sogenannten „Jacojahre“ wurden zu den erfolgreichsten in der Karriere von Weather Report. 4.2.1. Jugend John Francis Pastorius wurde am ersten Dezember 1951 in Norristown, Pennsylvania, geboren. Er hatte zwei jüngere Brüder, Rory und Greg. Sein Vater war Musiker, auch die Mutter interessierte sich für Musik. Sie nahm ihre Kinder immer wieder zu Jam-Sessions mit. So kam Jaco schon in frühen Jahren in Kontakt mit Jazz- und Soulmusik. Als er sieben Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach Fort Lauderdale in Florida. Jaco lernte mehrere Instrumente gleichzeitig, er spielte Schlagzeug, Klavier, Saxophon und Gitarre. Erst mit sechzehn Jahren begann er mit dem E-Bass. Er brachte sich das Spielen selbst bei. Verschiedene Höreindrücke aus seiner Umgebung beeinflussten ihn: Die Musik der ortsansässigen Jazzmusiker sowie durchreisende Musicalshows und Bands Die kubanischen Rhythmen der nahegelegenen Insel Kuba Folgende Musikrichtungen fanden dadurch Einfluss in sein Spiel: - 56 - Raggae Soul Calypso Country- und Westernmusik Jacos Familie hatte nie viel Geld. Er spielte schon sehr früh verschiedene Jobs, wodurch er viel lernen konnte. Als er achtzehn Jahre alt war, heiratete Jaco seine erste Frau Tracy, die ein Kind von ihm erwartete. Er arbeitete einige Zeit in einer Autowaschanlage, um Geld für die Familie zu verdienen. Nebenher war er an der University of Miami inskribiert. Nach einem Semester entschloss sich Jaco aber gegen das Studium............................................................ 4.2.2. Der bundlose Bass Mit neunzehn Jahren erfand Jaco den bundlosen Bass. Er war der Meinung, die Bundstäbe am Bass würden den Ton in seiner Entwicklung stören. Er entfernte sie und setzte in die entstandenen Fugen Holzstücke so ein, dass sie mit dem Griffbrett eine Ebene bildeten. Dieses Instrument war nun bundlos, hatte zur Orientierung aber trotzdem Markierungen am Griffbrett. Es bot mehrere Möglichkeiten in der Tonbildung (Glissando und Vibrato) und erleichterte zudem die Intonation. Das Instrument hatte einen ganz eigenen Klang und wurde von einer Vielzahl von Bassisten kopiert. Jacos Ton klang unverkennbar weich. Er spielte den Bass wie ein Melodieinstrument. Auf seine makellose Intonation und unglaubliche Schnelligkeit angesprochen antwortete er stets mit: „Üben, üben, üben!“ 4.2.3. Werdegang bis 91……………………………………………………………………………………………………… Weather Report Nach der Geburt seiner Tochter wurde Jaco Mitglied in mehreren Bands: Das Olas Brass, Jubilee Roll Band, Tommy Strand & The Upper Hand, Uptown Funk All-Stars, Woodchuck und Soul Incorporated. Zusätzlich begann er auf Touristenschiffen, die von Fort Lauderdale aus den karibischen Raum bereisten, zu arbeiten. Am Schiff spielte er an sechs Abenden in der Woche, wobei er eine Menge für sein Spiel und für das Schreiben und Arrangieren von Musik lernen konnte. In diese Zeit fiel auch ein Engagement mit den C.C. Riders. Mit dieser Band tourte er neun Monate entlang der Ostküste. Seine Frau und die kleine Tochter hatte er - 56 - bei diesen Reisen immer mit dabei. Dieses Leben wurde jedoch bald zu anstrengend für die junge Familie und Jaco entschloss sich, in Fort Lauderdale zu bleiben, um mehr Zeit zu Hause verbringen zu können. Er begann als Bassist in der Big Band von Peter Graves. Graves hatte diese Band formiert, um junge Musiker für Musikkurse an der Universität anzuwerben. Diese Band spielte in den Clubs von Miami Beach, ein Haupttreffpunkt war der Nachtclub Bachelors III. In dieser Zeit begann Jaco mit dem Komponieren von Musik. Ein Freund von ihm, der Gitarrist Larry Warrilow, arrangierte Jacos Ideen und brachte sie für die Band zu Papier. 2003 brachte die Band um Peter Graves ein Big Band-Fusionalbum heraus das mehrere von Jacos Arrangements beinhaltete; Word of Mouth Revisited. 1973 spielte Jaco einen einmonatigen Gig mit dem Jazzpianisten Paul Bley, Pat Metheny (git) und Bruce Ditmas (dr). Paul Bley gefiel das Ergebnis dieses Zusammenschlusses so gut, dass er ein Album mit dem Titel Pastorius/Methenea/Ditmas/Bley aufnahm. Eine Nummer auf dem Album nannte er Jaco und eine weitere harmonisch und technisch anspruchsvolle Nummer Overtoned widmete er ihm. 1975 folgten einige Gigs im Trio mit Pat Metheny (git) und Bob Moses (dr). 1976 brachte das Trio die erfolgreiche Jazz LP Bright Size Life heraus. Mitte desselben Jahres traf Jaco auf Bobby Colomby, den Musikproduzenten und früheren Schlagzeuger der Rock-Fusionband Blood, Sweat & Tears. Colomby bot Jaco die Produktion einer Solo-LP an. Nach seinem Vorspiel bei der Plattenfirma Epic in New York wurde Jaco unter Vertrag genommen. Das Soloalbum Jaco 1976 stellt Jacos meisterhafte Technik unter Beweis. Der bundlose E-Bass wird hier als Solo- bzw. Melodieinstrument eingesetzt. Besonders beeindruckend sind Donna Lee von Charlie Parker durch seine Virtuosität sowie Portrait of Tracy, eine Solonummer für den E-Bass, welche hauptsächlich aus Flageolett-Tönen besteht. Mit diesem Album schaffte Jaco den Einstieg in die Jazzszene; er konnte einige der besten Musiker für sein Album gewinnen: Herbie Hancock (p), Wayne Shorter (sax), Randy Brecker (tp), Michael Brecker (ts), Lenny White (dr) und Don Alias (perc). 4.2.4. Jaco bei Weather Report Noch während der Arbeit an seinem Soloprojekt traf Jaco auf Joe Zawinul. Die beiden hatten sich schon zwei Jahre zuvor in Miami bei einem Konzert von Weather Report kennengelernt. Nach der Show stand Zawinul mit der Veranstalterin beim Hallenausgang. Das Konzert war wegen eines Problems mit dem Schlagzeuger schlecht gelaufen. Jaco ging auf die beiden zu und sagte: „Mr. Zawinul, ich mag Ihre Musik, auch wenn die Show heute nicht so gut war, aber Sie sind ein großer Musiker. Übrigens heiße ich John Francis Pastorius III. und ich bin der beste Bassist der Welt.“ 92 Zawinul reagierte genervt und schickte Jaco weg. Erst auf den Rat der Promoterin, „Check this guy out! Er ist ein bissl crazy, aber ein phänomenaler Musiker.“ 93, entschuldigte sich Zawinul bei ihm und die beiden vereinbarten ein Treffen für den nächsten Tag. Bei diesem Treffen spielte Jaco seine Aufnahme von Charlie Parkers Donna Lee vor. Joe Zawinul war sehr angetan von Jacos Musik, doch die Band war zu diesem Zeitpunkt mit Alphonso Johnson am Bass gut versorgt. Als Alphonso Johnson zwei Jahre später Weather Report verließ, um mit Billy Cobham und George Duke eine Band zu gründen, kontaktierte Joe Zawinul Jaco Pastorius. Es war im Juli 1975, Cannonball Adderley war gerade verstorben. Zawinul hatte Cannonball für die Band komponiert: „Jaco hatte mir immer gesagt, dass sein Vater ein großer Adderley-Fan sei. Also dachte ich, es wäre doch eine gute Idee, Jaco bei diesem Stück mitspielen zu lassen. Als er ankam, wir waren im Devonshire-Studio in Los Angeles, fiel er uns erst einmal durch seinen komischen Gang auf. Wayne und ich sagten, „pass auf, mit so einem Typ können wir doch nicht auf der Bühne sein“. Aber er hatte eine Ausstrahlung. Und er spielte von Beginn an diesen wunderbaren Jaco-Pastorius-Balladenton.“ 94 Jaco Pastorius fiel besonders durch sein Auftreten und seine Ausstrahlung auf. Zawinul: „er strahlte dieses Ich-kann-alles-ich-bin-der-Beste-Selbstgefühl aus. Das war nicht aufgesetzt, es kam bei ihm von innen.“ 95 Jaco ging gerne mit nacktem Oberkörper auf die Bühne, er trug bunte Kleider, auf dem Kopf hatte er meist ein buntes Stirnband oder eine gehäkelte Mütze, manchmal bemalte er sich bunt im Gesicht. Sein Wesen war heiter und locker, er hatte die Ausstrahlung eines Rockstars. Dieses Gefühl übertrug sich auf die Band und zog das Publikum an. Bei Weather Report begann Jaco Alkohol zu trinken. Zuvor hatte er lange Zeit fast gänzlich darauf verzichtet. Mit der Zeit wurde sein Konsum immer stärker und es kam regelmäßig zu brutalen, unkontrollierten Ausbrüchen. Er kam öfters betrunken auf die Bühne, sodass er manchmal nicht mehr richtig spielen konnte. Diese Aussetzer häuften sich und passierten später fast wöchentlich. Dieser Zustand machte die Zusammenarbeit mit ihm schwierig. Hinzu kam seine psychische Krankheit, Jaco war manisch depressiv und seine Stimmung wurde unberechenbar. Trotz des Rates der Ärzte und seiner zweiten Frau Ingrid verzichtete er aber auf eine medikamentöse Behandlung. 92, 93 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 117 - 58 - 1978 wurde Jaco im Down Beat Magazine zum Best Bass Player gewählt. 1981 brachte er seine zweite Solo-LP Word Of Mouth heraus. Auf dieser Platte arrangierte Jaco für eine größere Band mit ausgeweiteter Perkussion- und Bläserbesetzung im Stil einer Big Band. Hier stellt er sein kompositorisches Können unter Beweis. Für diese Platte konnte er hochkarätige Musiker wie in etwa Herbie Hancock (p), Jack De Johnette (dr), Peter Erskine (dr), Don Alias (perc), Michael Brecker (ts), Wayne Shorter (ts) u.a. gewinnen. 94 95 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 117 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 130 - 59 - 1981 wurde das Live Album The Birthday Concert aufgenommen. Jaco veranstaltete dieses Konzert zum Anlass seines dreißigsten Geburtstages am ersten Dezember 1981. Er tourte immer häufiger mit seinem eigenen Programm und die Zusammenarbeit mit Weather Report wurde mühsam. Sein Ausstieg kam im April 1982. 4.2.5. Die Zeit nach Weather Report 1983 brachte Jaco seine letzte Solo-LP Invitation heraus. Diese CD dokumentiert einen LiveMitschnitt der Japantournee mit der Word Of Mouth Big Band. Neben Big Band-Musik sind auch einige Solostücke von Jaco auf der Bassgitarre zu hören. Nach der Zeit bei Weather Report kehrte Jaco nach Fort Lauderdale, Florida, zurück. Im Juni 1982 gebar seine Frau Ingrid die Zwillinge Julius Josef und Felix Xavier. Jacos Probleme mit seiner Krankheit und mit Alkohol und Drogen wurden in dieser Zeit massiv. Er bekam immer weniger Aufträge, viele Musiker wollten nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Auch im familiären Bereich gab es Probleme, Jaco wurde seiner Frau Ingrid und den Kindern gegenüber brutal. 1985 wurde die Ehe mit Ingrid geschieden. Jaco verlor jeden Halt und lebte als Obdachloser in den Parks von Fort Lauderdale. 4.2.6. Tod Zawinuls Erzählungen beschreiben Jacos frühen Tod: „ Am 11. September 1987 spielte Carlos Santana in Fort Lauderale, Florida. Jaco kam zur Show, wollte hinauf auf die Bühne und einsteigen. Alphonso Johnson, sein Vorgänger bei Weather Report, spielte Bass. Doch die Security-Leute beim Konzert erkannten Jaco nicht und warfen ihn von der Bühne. Er tat sich nicht weh dabei, aber er war sehr traurig und ging weg. Danach machte er noch in einem Hotel Station, wo er rabiat wurde, und ging zu einem Nachtclub, der zwei Koreanern gehörte. Die wollten ihn nicht mehr im Lokal haben, weil er dort schon oft einen Wirbel gemacht hatte. Man ließ Jaco also nicht in den Club, und er trat aus Wut die Tür ein. Dort wurde er dann so verprügelt, dass er ins Koma fiel. Ingrid blieb Tag und Nacht an seiner Seite. Jaco hatte ein starkes Herz, weil er so sportlich war, doch da war nichts mehr zu 105 106 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 97 www.weatherreportdiscography.org, Mr. Gone - 67 - machen. Auf einmal rief seine Mutter an und sagte: ‚Joe, wir müssen die Apparate abdrehen, es gibt keine Hilfe mehr. Jaco is brain-dead, sein Gehirn ist tot.’ Wayne und ich flogen sofort nach Florida. Wir haben beim Begräbnis seinen Sarg mitgetragen. Es war ein schwerer Abschied.“ 96 105 106 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 97 www.weatherreportdiscography.org, Mr. Gone - 67 - 4.5. Mr. Gone (1978) Nach dem Erfolg von Heavy Weather verkaufte sich das Folgealbum Mr. Gone in rasender Geschwindigkeit. Bei den Kritikern wurde es jedoch schwer durch den Kakao gezogen und als „geflopptes Album“ gehandelt. Die Kritik im Down Beat Magazine wurde mit nur einem von fünf Sternen bewertet, was unter den Bandmitgliedern für helle Aufregung sorgte. Zawinul: „There is no way in the world that a record like this could get a one star review…We played it very well; we worked hard on this record. Anybody who gives this record one star has got to be insane.“ 105 Nach Heavy Weather strebte die Band eine neue musikalische Richtung an. Auf keinen Fall sollte die neue Platte eine Kopie ihrer eigenen Musik werden. Zawinul: „Since ‘Birdland’ was a successful piece of music, a lot of people thought we would do something on the next record just like it. We didn’t. We did something different but just as powerful. […] That was one thing about this album that I really love us for – that we did not try to jump on the bandwagon of ‘Birdland.’ Because that was suggested to us. ‘Hey man, write another ‘Birdland’ and you’ll sell a million fuckin’ records.’ Fuck you, man – we’re gonna do what we’re gonna do.”106 4.5.1. Besetzung Alex Acuna hatte Frau und Kinder. Er war ein gefragter Studiomusiker und bekam viele lukrative Angebote. Bei diesen Jobs verdiente er mehr und konnte zudem mehr Zeit zu Hause verbringen als bei Weather Report. Er beschloss daher, die Band zu verlassen. Der Perkussionist Manolo Badrena wurde aus persönlichen Gründen entlassen. Auf Mr. Gone sind insgesamt vier Schlagzeuger evident: Tony Williams, Steve Gadd, Jaco Pastorius (auf zwei Nummern) und Peter Erskine. Peter Erskine stieß 1978 zur Band und blieb für die nächsten drei Alben. Der erst dreiundzwanzigjährige Musiker brachte viel Erfahrung aus dem Big Band-Bereich mit und hatte bereits mit Persönlichkeiten wie Stan Kenton und Maynard Ferguson gespielt. Das Engagement bei Weather Report ergatterte er durch Jaco Pastorius. Die beiden hatten sich bei einem 105 106 Konzert von Maynard Fergusons Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 97 www.weatherreportdiscography.org, Mr. Gone - 67 - Band kennengelernt. Erskine ist heute nach wie vor als Schlagzeuger aktiv. Er spielte neben verschiedenen Projekten im Jazzbereich auch bei unterschiedlichen Pop- und Rockproduktionen mit. Erskine gilt als einer der am vielbeschäftigsten Schlagzeuger der letzten Jahrzehnte. 4.5.2. Musik Die Musik auf Mr. Gone lässt sich mit jener des zweiten Albums Mysterious Traveller vergleichen. Sie ist komplex und anspruchsvoll, bleibt zugleich aber zugänglich für den Zuhörer. Zawinul: “The music is happy, sunshine – I can’t really describe it – it’s like a Mediterranean feeling, not necessarily rich but a lot of fun […] in fact, it even sounds simple, it’s easy to feel, but if you want to be an analytical musicologist there is a lot to check out“ 107 Was im Vergleich zu den vorhergehenden Alben deutlich hervorsticht, sind die technischen Neuerungen, die sich vor allem in Zawinuls Synthesizersounds und in der Orchestrierung bemerkbar machen. Mr. Gone ist so vielfältig orchestriert wie kaum ein anderes Album von Weather Report. 4.5.3. Die Disco Welle Der Discotrend entstand um das Jahr 1978 und wurde durch verschiedene Popgruppen wie zum Beispiel ABBA oder Boney M. forciert. Kennzeichen dieser Musik sind: Einfache, gerade Rhythmen mit klarer Betonung auf eins und drei, meist von Schlägen der Basedrum gekennzeichnet. Einfache Harmonien Einfache Bewegungen am Bass Auffallend tiefer Klang der Snaredrum, welche oft mit zusätzlichen Bassfrequenzen versehen wurde. Diese Merkmale hatten sicherlich auch ihren Einfluss auf die Musik der Jazzrock-Szene und sind 107 ansatzweise auf Mr. www.weatherreportdiscography.org, Mr. Gone - 68 - Gone zu erkennen. 4.5.4. Die Bereiche der Musiker 4.5.4.1. Joe Zawinul Mr. Gone ist stark von Zawinuls Einfluss und Arbeit dominiert: „I was working on a solo album at the time, so we used most of this material for Mr. Gone. This was the first album I cut at home. It was an experimental album for me.“ 108 Ende der 1970er Jahre entwickelte sich die Technik im Keyboard- und Synthesizerbereich rasend schnell. Die damaligen Sounds wurden noch analog erzeugt, die Technologie stand kurz vor der Digitalisierung. Auch auf Zawinuls Equipment hatten diese Fortschreitungen ihre Auswirkungen. Er erweiterte sein Set-up, welches bisher aus einem akustischen Piano, zwei Synthesizern der Marke ARP 2600 (siehe Kapitel Synthesizer), einem elektrischen Rhodes Piano und einem polyphonen Synthesizer der Marke Oberheim (er verwendete ihn seit Black Market) bestand. Das neue Instrument war ein weiterer polyphoner Synthesizer, welcher Prophet genannt wurde. Dieses Instrument konnte pro Taste fünf verschiedene.Töne.wiedergeben..Der.Unterschied zum Oberheimsynthesizer war, dass die Sounds gespeichert und auf Knopfdruck abgerufen werden konnten. Zawinul: “I feel that Mr. Gone was my solo album with Weather Report. I was after new sounds, discovering new sounds, so it was a different kind of album to the others.” 109 Unter Beobachtern der Band wurden immer wieder Stimmen laut, die Zawinuls Dominanz in der Zusammenarbeit mit Shorter kritisierten. Zawinuls Statement zu diesem Thema lautete: „In the beginning let’s say Weather Report was a joint thing. Then, after the second album there’s no question about it, it became more and more my group. Wayne wanted it like that, but we were always ‘partners in crime.’ No Wayne, no Weather Report“ 110 Die Musik spiegelte Zawinuls Dominanz wieder. Dies ist durch zweierlei Aspekte erklärbar: Jedes Instrument hat einen anderen Charakter, der die jeweilige Rolle und den Einflussbereich in der Gruppe definiert. Das Keyboard hat harmonisch sowie rhythmisch große Kapazitäten und dadurch die Möglichkeit, alle verschiedenen Parts in der Band zu übernehmen.………………………………………………….. 108 www.weatherreportdiscography.org, Mr. Gone Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 100 110 www.weatherreportdiscography.org, Mr. Gone 109 - 69 - Die Vorliebe für Synthesizer und Technik erweiterte Zawinuls Einflussbereich zusätzlich. Zawinuls bereits erwähnte Vorliebe, den Bass zu unterstützen oder gar zu übernehmen, wurde stärker und er griff mit dieser Technik in einen musikalischen Bereich ein, der normalerweise nicht dem Keyboard zuzuschreiben ist. Jaco und Zawinul waren im ständigen Wettkampf miteinander. Sie maßen sich abseits der Bühne, z.B. beim Sport, gleichermaßen wie beim gemeinsamen Musizieren. Leute aus dem Publikum meinten einen Lautstärkenkontest zwischen Synthesizer und Bass gehört zu haben. Es kam desöfteren vor, dass die beiden dieselben Basslinien spielten und sich mit den Lautstärkenreglern einen Kampf lieferten. 4.5.4.2. Jaco Pastorius Jaco wehrte sich gegen die konventionelle Art, den Bass zu spielen. (Der Bass legt die Grundlage und einen soliden Boden für die Band.) Seine dynamischen Melodien waren oft sehr hoch und gesanglich. Sie hatten nichts von einem standhaften, tiefen Bassspiel. Mit dieser melodiösen Art trat er in das Territorium des Saxophons ein. Jaco war zu dieser Zeit extrem erfolgreich, es war aber auch die Zeit, in der er massiv mit seiner Alkohol- und Drogenabhängigkeit zu kämpfen hatte. Seine psychische Krankheit und private Konflikte machten ihm zusätzlich zu schaffen. Hier setzten die Probleme mit der Band und auf der Bühne ein. 4.5.4.3. Wayne Shorter Shorters musikalischer Rückzug ergab sich durch die Dominanz von Zawinul und Jaco fast zwangsläufig. Er dachte in seinen Improvisationen wie ein Komponist oder Orchestrator, wobei er versuchte, sich an Jacos flexible Art anzupassen. Shorter spielte lange Töne, sodass den anderen Musikern genügend Raum für ihre Improvisationen blieb. Herbie Hancock: „I heard people saying, Wayne’s not playing a lot, so I checked it out […] What I heard was that if he played more, it wouldn’t fit. Joe Zawinul had a way of doing things that could be pretty busy, so if Wayne was busy too, that would be a lot of busyness. Besides, Jaco was playing the saxophone part […]“ 111…………………………………………………………………………………………………………….. - 70 - Um sich Jaco anzupassen, spielte Shorter manchmal Lyricon. Das Lyricon war ein Synthesizer, der durch Luftzufuhr kontrolliert wurde. Es sah aus wie ein elektronisches Saxophon und hatte einen großen Tonumfang. Shorter konnte damit verschiedene Parts übernehmen. Manchmal benutzte er es, um den Bass abzulösen. Jaco war dadurch frei, um in höheren Registern zu spielen. Wayne Shorter begann sich intensiv mit dem Buddhismus auseinanderzusetzen. Seine Religion war mit dem Leben auf Tour nur schwer zu vereinen und er zog sich musikalisch wie menschlich zurück. Der Konflikt zwischen seiner geistigen Seite und den beruflichen Verpflichtungen als Musiker beschäftigte ihn. In dieser Zeit wurde sein Alkoholproblem wieder massiv. Ende der 1970er Jahre stürzte Shorter in eine tiefe Inspirationskrise, in welcher er eine innere Leere verspürte, die ihn in seinem kompositorischen Schaffen hinderte. Dies macht sich auf den Alben dieser Zeit bemerkbar, indem der Anteil an seinen Kompositionen deutlich geringer wird. 1978 schrieb der Schlagzeuger Jack DeJohnette eine Melodie mit dem Titel Where Or Wayne?. Das Stück sollte eine Widmung für Shorter sein. Fans und Kritiker bezogen den Songtitel allerdings auf seinen Rückzug. So wurde der Titel Mr. Gone bei seiner Veröffentlichung von vielen als Statement für Shorters Abwesenheit interpretiert. Tatsächlich war Shorter aber in einem anderen Kontext für den Titel des Albums verantwortlich. Als Zawinul die Nummer zur Probe mitbrachte und Shorter zum ersten Mal die Melodie hörte, sagte er: „That’s gone! That’s so gone, it’s Mr. Gone!“ Bebopzeit, der von Musikern verwendet 112 wurde, (Gone war ein Ausdruck aus der um ein ganz besonders gut klingendes.Stück.zu.beschreiben.)................................................................................................ ................... 4.5.5. Medien Mit Miles Davis hatte die Geschichte von Weather Report begonnen, er trug maßgeblich zur Gründung bei (siehe Kapitel Miles Davis). In den Medien wurde der Erfolg von Weather Report immer wieder auf Miles Davis zurückgeführt. Shorter: „Miles was the source for it all, for me and Joe going on to do Weather Report, for John McLaughling’s Mahavishnu Orchestra, and for Chick Corea and Return to Forever. We were all in the studio with Miles as he was going in that direction, and - 71 - then we took off from there.“113 Zawinul und Shorter waren mit Miles Davis nach wie vor befreundet. Journalisten wussten davon und fragten in Interviews häufig nach ihm. Die Band störte es, immer wieder auf Miles Davis angesprochen zu werden. Es kam zu folgendem Ereignis: Bei einer Pressekonferenz vor einem großen Konzert in Rom verabredete die Band, keine Fragen nach Miles Davis zu beantworten. Prompt kam die erste Frage: „Wie geht’s Miles Davis?“. Die Musiker schauten einander an, standen auf und verließen den Raum, ohne die Frage zu beantworten. Mit dieser Aktion setzte Weather Report ein klares Statement. 114 In ihren erfolgreichsten Jahren gaben Weather Report kaum Interviews. Zawinul. „Wir hatten zu oft das Gefühl, missverstanden zu werden.“ 115 Die Abschirmung zur Presse erhöhte den Starfaktor der Band zusätzlich. Die scheinbare Unerreichbarkeit machte sie noch interessanter. Zawinul betont allerdings, dies nie bewusst provoziert zu haben. 4.5.6. Awards und Reihungen Best Jazz Group, dreiundvierzigste Leserabstimmung Down Beat Magazine Platz eins in der Kategorie Jazz Albums bei den Billboard Charts 116 www.weatherreportdiscography.org, Night Passage - 74 - 4.6. 8:30 (1979) Nach der Veröffentlichung von Mr. Gone startete Weather Report eine Konzerttour, die sie nach Europa, Japan und Südamerika führte und Ende 1978 in den USA abgeschlossen wurde. Der Großteil des Materials von 8:30 besteht aus Live-Mitschnitten dieser Tour. Viele der Aufnahmen stammen von einem Konzert, das im November 1978 im Terrace Theater in Long Beach, Kalifornien stattgefunden hat. Der Titel 8:30 bezieht sich auf die Uhrzeit des Konzertbeginns. Neben diesen Live-Aufnahmen befinden sich auch einige Studioaufnahmen auf dem Album: 8:30, Brown Street, The Orphan und Sightseeing. Die Musik ist auf zwei doppelseitige Platten aufgeteilt. Die meisten Titel auf dem Album sind aus dem Weather Report Repertoire bekannt. 4.6.1. Besetzung Nachdem der Schlagzeuger Alex Acuna gegangen war und der Perkussionist Manolo Badrena entlassen wurde, engagierten Zawinul und Shorter keinen neuen Perkussionisten mehr. Die Band trat von nun an im Quartett auf. Durch die stabile Formation mit Peter Erskine am Schlagzeug wuchs der Zusammenhalt in der Gruppe und somit die Qualität bei den LiveAuftritten. Für viele Fans ist diese Periode die Beste, die Weather Report je hatte. 4.6.2. Awards und Reihungen Grammy in der Kategorie Best Jazz Fusion Performance, Vocal Or Instrumental Best Jazz Group, vierundvierzigste Leserabstimmung Down Beat Magazine 116 www.weatherreportdiscography.org, Night Passage - 74 - 4.7. Night Passage (1980) Anfang der 1980er Jahre tourte Weather Report häufig durch Europa und Japan. Um 1980 stand die Gruppe am Höhepunkt ihres Ruhmes. Robert Thomas jr. erzählt von einem seiner ersten Erlebnisse mit der Band: „ […] we hit Japan, and then I saw all the groupies scratching on the limo windows like we were rock stars, that’s when I realized, ‘Hey, this is a big deal.“ 116 Night Passage wurde in einem Studio in Los Angeles, welches Earth, Wind & Fire und den Managern Cavallo&Ruffalo gehörte, aufgenommen. Ein Publikum von ungefähr zweihundertfünfzig Leuten war bei den Aufnahmen mit dabei. Vieles der Musik von Night Passage wurde bereits auf der Releasetour von 8:30 gespielt. Im Gegensatz zu 8:30 befindet sich auf Night Passage ausschließlich neues Material (ausgenommen Rockin’ Rhythm). 4.7.1. Management Zu dieser Zeit trennten sich Shorter und Zawinul von ihrem Management. Das Managerduo Cavallo & Ruffalo war damals sehr erfolgreich und konzentrierte sich derart auf die Arbeit mit Earth, Wind & Fire und Prince, sodass Weather Report ein wenig in Vergessenheit geriet. Zawinul gefiel das nicht und der Entschluss zur Trennung fiel. Als Nachfolgerin wurde eine Frau, die zuvor bei Cavallo & Rufallo im Sekretariat angestellt war, engagiert. Dieser Zusammenschluss funktionierte nicht gut und Zawinul entschied, ohne Management weiterzumachen. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete er mit Agenten, die Konzerte und Tourneen abschlossen. 4.7.2. Besetzung Nach eineinhalb Jahren ohne zusätzlichen Perkussionisten wurde Robert Thomas jr. in die Band geholt. Jaco Pastorius hatte ihn Ende der 1970er Jahre in Florida, Miami Springs, bei 116 www.weatherreportdiscography.org, Night Passage - 74 - einem gemeinsamen Gig gehört. Er war erstaunt vom Können des Perkussionisten und lud ihn zur Audition ein. Thomas wurde engagiert und ging sofort mit auf eine einmonatige Tour. Er war stark jazzorientiert und hatte sich im Bebop-Bereich einen Namen gemacht. Die neue Band mit Robert Thomas jr. spielte wunderbar zusammen und blieb für ein weiteres Album, Weather Report 1982, bestehen. 4.7.3. Musik Die Musik auf Night Passage ist gleichermaßen rockend wie swingend und gewinnt an Jazzcharakter (Duke Ellingtons Klassiker Rockin’ Rhythm). Im Vergleich zu früheren Alben, wo die Musik viel wilder und freier wirkt, ist das Material hier weitaus strukturierter. Durch diese Struktur und Disziplin wussten die Musiker genau Bescheid wohin die Musik geht und wo Platz für Freiheiten bleibt. Zawinul beschreibt dieses Bandgefühl: “ […]we are as free now as we’ve ever been” 117 Die neuen Elemente in der Musik verlangten nach der Wiederaufnahme eines Perkussionisten. Die Viererbesetzung passte nicht mehr zum neuen Konzept der Musik. Die Handtrommeln wurden aus dem Repertoire entfernt, um die anderen Instrumente nicht durch zu viele Rhythmusinstrumente zu erdrücken. 4.7.4. Kompositionen Die Kompositionen auf diesem Album stammen zum Großteil aus Zawinuls Feder. Eine Nummer von Duke Ellington, Rockin’ in Rhythm, ist außerdem mit im Programm. Wayne Shorter hat hier nur eine Komposition, mit dem Titel Port Of Entry, beigetragen. 4.7.5. Reihungen Platz zwei in der Kategorie Jazz Albums bei den Billboard Charts - 76 - 4.8. Weather Report (1982) Dieses Album trägt denselben Titel wie die Debütplatte, die elf Jahre zuvor erschienen war. Ursprünglich sollte dieses Album das Letzte sein. Für ein abschließendes Werk schien dieser Titel passend zu sein. Als die Gruppe sich am Höhepunkt ihrer Karriere befand, tauchten im internen Kreis Probleme auf. Die Musiker hatten nebenher eigene Projekte und der Enthusiasmus für die Band fehlte. Die beiden Leader, ebenfalls mit Soloprojekten beschäftigt, dachten an eine Auflösung von Weather Report. Da auch der Plattenvertrag auslief, schien jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein. Auslöser für Konflikte waren sicherlich auch private Schwierigkeiten bei Zawinul und Shorter. Zawinuls Mutter war an Krebs erkrankt und erlag nach einigen Monaten schließlich ihrem Leiden. In dieser Phase pendelte Zawinul zwischen Los Angeles und Wien hin und her, was sehr viel Zeit und Kraft in Anspruch nahm. Auch der Tod von Shorters Mutter fiel in diese Zeit. Er war wie Zawinul stark auf seine Familie konzentriert und die Arbeit mit Weather Report rückte in den Hintergrund. Für November 1981 wäre eine Tour geplant gewesen, welche aber aufgrund der familiären Situation bei Zawinul und Shorter abgesagt werden musste. Sie wurde auf Frühling 1982 verschoben. Über den Winter ergaben sich einige Änderungen und es kam zum Ausstieg von Jaco Pastorius und Peter Erskine. 4.8.1. Jacos Ausstieg Jaco hatte im August 1980 mit der Arbeit an seinem Album Word Of Mouth begonnen. Er investierte viel Arbeit in dieses Projekt und konnte dadurch nur wenig Zeit in Kalifornien verbringen. Zwischen ihm und Zawinul hatten sich einige Spannungen entwickelt. Es gab sowohl im privaten Bereich wie auch in musikalischer Hinsicht einige Konflikte zwischen den beiden: Jacos Drogen- und Alkoholproblem wurde Anfang der 1980er Jahre massiv. Er war depressiv und unter Alkoholeinfluss wurde er aggressiv. Sein Verhalten wurde zunehmend unberechenbar und die Aussetzer auf der Bühne häuften sich. Es wurde nahezu unmöglich, produktiv mit ihm zu arbeiten.…………………………………….. - 76 - Als Bandleader konnte Zawinul diese Zustände nicht länger akzeptieren, die enge Freundschaft der beiden bewahrte Jaco aber vor dem Rausschmiss. Zawinul: „I could never fire the boy. Instead, I tried to keep him occupied all the time. By then, he was drinking heavily on the band’s bus. I tried to distract him with sports, pool, anything.”.118 Die Kompositionen auf Weather Report 1982 stammen zum Großteil von Zawinul. Er geht hier einen großen Schritt in eine neue musikalische Richtung. Die Stücke sind sehr strukturiert und zumeist durchkomponiert. Bei Jacos Rückkehr nach Kalifornien wartete viel Arbeit und neues Repertoire auf ihn. Die neuen Stücke waren komplex und schwierig zu lesen, Jacos Arbeit gestaltete sich aufwändiger als gewohnt. Ein weiterer Konfliktpunkt war Zawinuls Technik, den Bass am Synthesizer zu verdoppeln. Jaco fühlte sich dadurch in seinem musikalischen Bereich eingeschränkt und übergangen. Er distanzierte sich von der Gruppe und vergrub sich in seine eigenen Projekte. Jacos Ausstieg bei Weather Report ergab sich, als im April 1982 die nächste Konzerttour ins Haus stand. Jaco war zu diesem Zeitpunkt mit dem Programm seines Albums Word Of Mouth auf Tour. Weather Report brauchte dringend einen Bassisten und konnte nicht auf ihn warten. Für Zawinul und Shorter kam diese Gelegenheit gerade richtig, so konnten sie den Zusammenschluss mit Jaco in aller Freundschaft lösen.……………………………………… 118 www.weatherreportdiscography.org, Weather Report (1982) - 77 - 4.8.2. Peters Ausstieg Peter Erskine verließ die Band um mit Steps Ahead im März 1982 auf Tour zu gehen. Die perfekt eingespielte Rhythmusgruppe Jaco und Erskine war somit Geschichte. 4.8.3. Musik Die Kompositionen auf Weather Report 1982 stammen (mit der Ausnahme einer Nummer von Shorter) allesamt von Zawinul. Auf Weather Report 1982 wird das musikalische Konzept, das auf Mr. Gone begonnen wurde, weiterentwickelt. Die Musik ist strukturiert und größtenteils durchkomponiert. Rhythmische und swingende Elemente stehen im Vordergrund. (siehe „Disco Welle“ im Kapitel Mr. Gone) Die Platte klingt nach einem Rockalbum, die Titel haben Ohrwurmpotential und laden zum Tanzen ein. 4.8.3.1. When It Was Now Diese Nummer ist Shorters einzige Komposition auf dieser Platte. Wie bereits bei Mr. Gone wurden auch unter den Kritiken dieses Albums Stimmen laut, die behaupteten, Zawinul und Jaco würden Shorter in ihrer dominierenden Art ins Abseits drängen. Anfang der 1980er Jahre fand Shorter einen Weg aus seiner Krise heraus. Er wurde musikalisch wieder aktiv, seine Kreativität und Inspiration kam zurück. Diese Nummer ist beispielhaft dafür, sie sticht unter all den Kompositionen von Zawinul hervor. 4.8.3.2. Dara Factor One/Two - 80 - Diese beiden Stücke sind Gruppenimprovisationen. Die Studioaufnahmen zu Weather Report 1982 gingen rasch voran. Die Band nützte die gewonnene Zeit für eine Jamsession im Studio. Aus den Aufnahmen dieser Session entstanden die beiden Nummern, sie wurden im Nachhinein bearbeitet. 4.8.4. Reihungen Platz fünf in der Kategorie Jazz-Albums bei den Billboard Charts - 80 - 5. Analysen 5.1. Einleitung In diesem Kapitel werden zwei Stücke von Weather Report analysiert, die in ihrer Gegenüberstellung die musikalische Entwicklung der Band im Hinblick auf eine Kommerzialisierung zeigen. Das erste Stück, Unknown Soldier vom Album I Sing The Body Electric aus dem Jahr 1972, steht beispielhaft für den experimentellen Ansatz, den die Band anfangs verfolgte. Es wird sowohl mit einer Vielzahl von Sounds und Geräuschen wie auch in der Art des Zusammenspiels variiert. Als übergeordnetes Prinzip fungiert hier die Gruppenimprovisation. Ein durchgehender Rhythmus bildet die Basis, die improvisierten Aktionen der anderen Instrumente darüber passieren sehr frei. Als Grundlage für die Improvisation dient eine Kriegsgeschichte. Mittels einiger künstlicher Sounds vom Synthesizer werden Szenarien eines Kriegsschauplatzes dargestellt. Musikalische Abläufe, festgelegte Formen oder durchkomponierte Themen sind hier nicht zu finden. Anstatt eines Leadsheets wurde eine Zeitleiste zur Analyse herangezogen. Alle beschriebenen, musikalischen Ereignisse sind in einem ungefähren Abstand von fünfzehn Sekunden gekennzeichnet. Thematisiert wurden dabei folgende Parameter: geräuschhafte Elemente zur Darstellung der Hintergrundgeschichte, Besonderheiten in der Instrumentierung, vereinzelte typische Elemente aus der traditionellen Jazzmusik, Abschnitte, in welchen frei improvisiert wird. Das zweite Stück Black Market entstammt dem gleichnamigen Album aus dem Jahr 1976. Das Konzept der Gruppenimprovisation kommt hier gänzlich abhanden und die musikalische Form ist klar strukturiert. Das Stück ist in einer vierteiligen Form, A-A-B-A, aufgebaut. Am Ende steht, genau wie in der Einleitung zum Stück, ein Soundeffekt. Die Instrumentierung hat im Vergleich zur früheren Musik von Weather Report an Vielfältigkeit verloren, die Band verzichtet auf Experimente und beschränkt sich auf die übliche Besetzung Keyboard/Synthesizer, Saxophon, Bass, Schlagzeug und Perkussion. Der Part des Schlagwerkes ist derart ausgeprägt, sodass hier jeweils zwei Schlagzeuger und Perkussionisten zum Einsatz kommen. Die festgelegte Form macht die Verwendung eines Leadsheets für die Analyse sinnvoll. Die beschriebenen Erläuterungen werden im folgenden Kapitel anhand eines solchen dargestellt. - 80 - 5.2. Unknown soldier 5.2.1. Synthesizer Bei diesem Stück kam erstmals in der Geschichte von Weather Report ein Synthesizer zum Einsatz. Das Instrument wurde hier hauptsächlich verwendet, um Geräusche eines Kriegsschauplatzes zu imitieren: Der Wind pfeift durch kalte Steingemäuer (Minute 1:15), Sirenen heulen auf (Minute 3:03), Soldaten marschieren über den Asphalt (Minute 3:30), ein Maschinengewehr feuert ab (Minute 4:10), Bomben schlagen ein (Minute 4:20) und eine Rakete geht in die Luft (Minute 4:30). Eine charakteristische Phrase, die kein Ereignis darstellen soll, deren künstlicher Sound aber klar vom Synthesizer kommt, findet sich ab Minute 5:05. 5.2.2. Gegenüberstellung Synthesizer und akustische Elemente Neben diesen künstlich erzeugten Sounds wird eine Vielzahl akustischer Instrumente verwendet. Die übliche Besetzung vom elektrischen Piano, Saxophon, Schlagzeug/Perkussion und Bass wird durch folgende Instrumente erweitert: Chorgesänge (Minute 0:06, 4:57), Flöten (Minute 0:25, 1:57, ab 2:18, ab 6:30), Klangstäbe (Minute 0:27), Trompete (Minute 0:30, 2:13, 6:25 ), akustisches Klavier (ab Minute 1:20, 2:08, 3:50), Schellenkranz (Minute 1:47, 3:37), Alarmglocken (Minute 3:00), Bongos (Minute 5:50), gesprochene Gebete von Frauenstimmen (Minute 5:18) und Cabasa (Minute 6:10, 7:03). Die Fusion von elektrischen bzw. künstlich erzeugten Sounds mit akustischen Klängen ist ein Markenzeichen der frühen Musik von Weather Report und des Albums I Sing The Body Electric. Die Band hatte sich bisher in keinem Stil festgelegt und brachte ihre Offenheit mit dieser Nummer, Unknown Soldier, im Besonderen zum Ausdruck. 5.2.3. Perkussion Der Part der Perkussion spielt in der Musik von Weather Report eine tragende Rolle. Die Analyse weist auf den Entwicklungsstandpunkt, an dem sich die Band zu diesem Zeitpunkt befand, hin: Ein durchgehender Swingrhythmus - 80 - bildet die Basis. Dieser wird zweimal durch einen Militärmarsch (einleitend, bei Minute 1:08 und 2:45) unterbrochen, kehrt aber beide Male im selben Tempo wieder zurück. Weather Report vertritt das Idiom einer Jazzband, die keine Experimente scheut und relativ frei im Umgang mit Formen ist. Der Swingrhythmus steht für den traditionellen Jazz ein, die gestalterischen, perkussiven Elemente für das Avantgardistische. Das grundlegende, rhythmische Pattern wird durch Einwürfe von akustischen Perkussionsinstrumenten verziert. Ein breitgefächertes Kontingent an (Perkussions-) Instrumenten ist im Vergleich zu späteren Aufnahmen auffallend: Bongos (Minute 0:10, 1:36, 2:50, 5:50), Holzblock (Minute 0:18, 1:20), Windspiel (Minute 0:25), Glöckchen (Minute 3:00), Zimbel (Minute 5:57, 6:14, 7:24), Kuhglocken (Minute 1:10, 1:40, 2:04, 2:45) Schellenkranz (Minute 0:43, 1:48, 2:38, 3:40, 4:55) und Cabasa (Minute 6:13, 6:30, 7:04). 5.2.4. Hintergrundgeschichte In dieser komplexen Komposition verarbeitete Joe Zawinul folgendes Kriegserlebnis aus seiner Jugendzeit; Zawinul: „ In 1945 my cousin and I buried two German soldiers who had been dead a long time, in very bad shape. One guy was rolled over by a tank. We opened their uniforms to break off their name tags, but on one of them there wasn’t any tag. It’s that same old concept of the unknown soldier. That’s what I thought when I wrote this, with the prayers in there – it’s partially a recall of that night I told you about, September 10, 1944, when Vienna was burning, people were crying, buried underneath the ruins.” 119 Diese Hintergrundgeschichte ersetzt eine festgelegte musikalische Form. Das Stück gewinnt dadurch den Charakter von Programmmusik. Der Ablauf der Erzählung könnte folgendermaßen interpretiert werden: Die Szenerie eines im Krieg lebenden Volkes wird dargestellt (Einleitung durch Militärmarsch, klagende Menschenstimmen durch den Bass unterstützt), eine kalte, unruhige Atmosphäre wird erzeugt (das Pfeifen von Wind wird hörbar, abermaliger Militärmarsch, Spannung wird aufgebaut), längerer, friedlicher Abschnitt des Wartens (Swingrhythmus, verschiedene Instrumente spielen kleine Melodien, Einwürfe von diversen Perkussionsinstrumenten, Abschnitt endet in einer gemeinsam gespielten Melodie) wird durch Lärm von Sirenen und Alarmglocken unterbrochen (Militärmarsch setzt ein, verschiedene Effekte vom Synthesizer). Nach kurzer Ruhe wird es abermals laut 119 www.weatherreportdiscography.org, I Sing The Body Electric - 81 – (Soldaten marschieren ein), die Unruhe steigert sich (Bass spielt schnelle Bewegungen, das nächste.Solo.vom Saxophon ist in schnellen Sechzehntelbewegungen ebenso aufbrausend, ein Rhythmus vom Schellenkranz verstärkt die lärmende Atmosphäre. Die Einsätze der Instrumente münden in einer gemeinsamen Improvisation, deren aufgewühlter Charakter durch den Einsatz von Soundeffekten noch unterstrichen wird.) und eine aufgeregt, hektische Stimmung kündigt den nahenden Angriff an. (Schüsse eines Maschinengewehres und Bombeneinschläge werden hörbar, eine Rakete wird abgefeuert) Nach dem Angriff setzen wieder die Gesänge des Volkes ein und Frauenstimmen sprechen leise Gebete, nach einem ereignisreichen Mittelteil kommt die Musik zur Ruhe (keine schnellen Notenwerte mehr, durchgehender Swingrhythmus kehrt zurück, Gruppenimprovisation mit melodischen Themen setzt ein). Der düstere Eindruck weicht und das Stück geht in einer friedlichen Stimmung zu Ende. (Fanfarenartiges Thema an der Trompete verkündet Frieden und gibt Hoffnung) Die folgende Zeitleiste kennzeichnet die beschriebenen Ereignisse im Stück. 5.2.5. Jazzelemente Neben stark avantgardistischen Zügen sind in diesem Stück auch eindeutige Kennzeichen aus dem traditionellen Jazz zu finden: Der grundlegende Rhythmus ist durchgehend im Swing. Das gestalterische Konzept ist jenes der Gruppenimprovisation -> die Band erzählt gemeinsam eine Geschichte. Das Stück beinhaltet kollektivimprovisatorische Stellen sowie Themen, die sich mit Soli unterschiedlicher Instrumente abwechseln. Einige Soli im Mittelteil erinnern an Improvisationen aus dem Bebopbereich (ab Minute 3:45 bis Minute 6:00). Walking Base (Minute 3:40). - 82 – 5.2.6. Ablauf unter Berücksichtung des 5.2.6.1. formellen Aspektes Einleitung Militärmarsch leitet das Stück ein; Thema Bass und Gesang (ab Minute 0:15), Blasinstrumente steigen in das Thema mit ein; Solo Bass (Minute 1:00) mit Klavierbegleitung, Unterbrechung durch Militärmarsch (Minute 1:16); Kollektivimprovisation durch Saxophon (Minute 1:40), Bläser d.h.: Trompete, Saxophon, Flöte (Minute 2:05) und Klavier (Minute 2:15) münden in gemeinsames Thema (Minute 2:46). Einsatz von Lärm beendet den Abschnitt, „Angriff“ beginnt (Minute 2:52). 5.2.6.2. Mittelteil Walking Base-Einsatz leitet den Abschnitt ein (Minute 3:40); lärmende Kollektivimprovisation, die sich bis zu ihrem Höhepunkt steigert; Einsatz vom Anfangsthema am Bass (Minute 4:52), Gesang (Minute 5:02) und Klavier (Minute 5:20). Ein Klagethema am Saxophon beendet den Abschnitt (Minute 5:39). 5.2.6.3. Schlussteil Trompetensolo leitet den dritten und letzten Abschnitt ein (Minute 6:05). Bläser, Perkussion und Klavier gestalten ein gemeinsames Thema. Eine Kollektivimprovisation (ab Minute 7:02) mit solistischen Einwürfen vom Saxophon (Minute 7:15) beendet das Stück. - 83 - Einleitung Einleitung durch Militärmarsch, Gesänge und betende Frauenstimmen -> klagendes 0:00 Volk. 0:30 1:00 kalte Atmosphäre Militärmarsch ruhiger Abschnitt setzt ein 1:30 2:00 2:30 gemeinsam gespielte Melodie, Lärm setzt ein, Militärmarsch Mittelteil 3:00 Sirenen, Alarmglocken 3:30 Soldaten marschieren ein schnelles Saxophonsolo - 84 - Klavier setzt ein Maschinengewehr, Bombeneinschläge, 4:00 4:30 Höhepunkt der Unruhe und Lautstärke -> Angriff Rakete 5:00 Gesänge setzen ein 5:30 Gebete der Frauen Klagethema am Saxophon Schlussteil 6:00 Trompetenthema setzt ein, Hoffnung, Friede 6:30 Musik beruhigt sich, geht friedlich zu Ende 7:00 120 vgl.: Georg Lenger: Der Jazzmusiker, Komponist und Arrangeur JOE ZAWINUL. S. 34 - 85 - 7:30 120 - 86 - 5.3. Black Market Die Titelnummer des gleichnamigen Albums Black Market, welches 1976 auf dem Markt erschien, lässt eine deutliche Entwicklung in Richtung Kommerzialisierung erkennen. Das Stück erscheint in der Gegenüberstellung mit Unknown Soldier, unter Berücksichtigung mehrerer musikalischer Parameter, stark vereinfacht. So ist die Komposition weitaus weniger komplex und klar strukturiert. Das Prinzip der Gruppenimprovisation findet hier keinen Platz mehr. Black Market ist durchkomponiert, wobei sich Themen und Soli, wie bei einem traditionellen Jazzstück, abwechseln. 5.3.1. Formale Analyse Soundeffekt: Menschenstimmen, die das Getümmel eines afrikanischen Marktplatzes darstellen sollen, leiten das Stück ein. Thema A: zwei Chorusse (zwölftaktig) Überleitung zum ersten Solo Solo: Synthesizer, ein Chorus Thema A: ein Chorus CODA Thema B: zwei Chorusse, zwölftaktig Solo: Tenorsaxophon, drei Chorusse Thema A: fade out Soundeffekt: Feuerwerk, Raketen beenden das Stück - 86 - Thema A und B sind jeweils durch ein achttaktiges Motiv gekennzeichnet, Thema A: Thema B: - 87 - Eine einleitende Bassfigur tritt immer in Zusammenhang mit Thema A auf: Alle drei Motive gehen leicht ins Ohr, sodass sie dem Zuhörer in Erinnerung bleiben. Weather Report setzt mit dieser Nummer ganz klar auf Publikumswirksamkeit. 5.3.2. Instrumentierung Ein weiterer Aspekt, der auf die Vereinfachung der Musik hinweist, ist die Instrumentierung. Das Ensemble ist hier auf Synthesizer/Keyboard, Tenorsaxophon, Bass, Schlagzeug und Perkussion reduziert. Im Vergleich zur Besetzung bei Unknown Soldier und allgemein zur früheren Musik bei Weather Report werden hier keine zusätzlichen akustischen Instrumente verwendet. Vor allem der Bereich des Schlagwerkes ist deutlich verändert. Durch eine Reduzierung an Instrumenten klanglich weniger vielfältig, jedoch rhythmisch hochkomplex und anspruchsvoll für den Musiker, wird dieser Bereich zum Herzstück der Musik. Die Konzentration auf den rhythmischen Part machte die Musik von Weather Report einem breiteren Publikum zugänglich. Sie wurde in Clubs und auf diversen Collegeveranstaltungen gespielt und war durchaus als Tanzmusik geeignet. - 90 - 5.4. Zusammenfassung Aus den Analysen geht eine Reduzierung der Musik in folgenden Parametern hervor: Vielfältigkeit der Orchestrierung: Im Vergleich zu Unknown Soldier fallen bei Black Market sämtliche zusätzliche Blasinstrumente, Sänger und Handtrommeln weg. Die Besetzung beschränkt sich auf das Quartett Saxophon, Keyboard/Synthesizer, Bass und Schlagzeug bzw. Perkussion. Komplexität der Komposition: Black Market unterscheidet sich von Unknown Soldier durch eine einfache Form und durch klare, melodische Linien. Das Stück ist durchkomponiert, einige Abschnitte wiederholen sich. Kleine Motive oder Rhythmen kennzeichnen die verschiedenen Teile im Stück. Unknown Soldier ist dagegen sehr frei gestaltet und der Ablauf ist für den Zuhörer undurchsichtig. Es treten kaum wiedererkennbare Melodien auf und es wird durchwegs frei improvisiert. Repertoire der Perkussionsinstrumente: Unknown Soldier bietet ein breites Spektrum an geräuschhaften Rhythmusinstrumenten, wogegen die Instrumentierung in diesem Bereich bei Black Market stark reduziert ist. (Was aber nicht bedeuten soll, dass der Schlagzeugpart deshalb an Komplexität verliert.) Struktur: Black Market ist durchkomponiert und in der Form klar definiert, wogegen Unknown Soldier durchgehend frei gestaltet ist und keinerlei Struktur unterliegt. Wo die frühe Musik von Weather Report nach idealistischen Maßstäben einer Jazzband konzipiert ist, zielt die später entstandene Musik darauf ab, ein größtmögliches Publikum anzusprechen. Diese Feststellung soll keine Abwertung der Qualität ausdrücken; im Gegenteil: Auch am Höhepunkt ihrer Karriere, d.h. zu einem Zeitpunkt, an dem die Musik kommerziellen Richtlinien folgte, schafften es Joe Zawinul und Co, ihrem Ideal einer experimentellen Jazzband treu zu bleiben. Die Musik ist im Vergleich zu früheren Aufnahmen zwar leichter, bei genauem Hinhören steht die Qualität der Kompositionen und der Musik jedoch nicht in Frage. - 90 - 6. Ausblick bis 1986 Nachdem Joe Zawinul und Wayne Shorter die Tour im November 1981 abgesagt hatten, wurden sie von der Plattenfirma zu hohen Schadensersatzzahlungen verurteilt. Hätte sich die Gruppe zu diesem Zeitpunkt tatsächlich aufgelöst, wären die beiden Leader mit einem großen Schuldenberg ausgestiegen. Ursprünglich war der Vertrag mit der Platte Weather Report 1982 ausgelaufen, doch die Plattenfirma nutzte eine versteckte Klausel und forderte ein weiteres Album von der Band. Die Forderung kam in dieser Situation nicht ungelegen, da Zawinul und Shorter mit der Produktion einer weiteren Platte ihre Schulden abzahlen konnten. Nachdem Jaco Pastorius und Peter Erskine Weather Report im Frühling 1982 verlassen hatten, gab es im Grunde keine bestehende Gruppe mehr. Auch Robert Thomas jr. war gegangen. So mussten innerhalb kürzester Zeit neue Musiker für die anstehenden Konzerte gefunden werden. Drei Wochen vor Tourstart setzte sich Zawinul mit Michael Urbaniak in Verbindung. Urbaniak war Jazzviolonist und hatte gute Kontakte zur New Yorker Jazzclubszene. Er empfahl den Schlagzeuger Omar Hakim, welcher im damaligen New York ein gefragter Musiker war. Hakim zögerte anfangs, da er gerade ein eigenes Projekt entwickelte, schlussendlich sagte er aber zu. Zawinul und Shorter hatten Hakim zu diesem Zeitpunkt noch nie getroffen, trotzdem beauftragten sie ihn mit der weiteren Suche nach einem Bassisten und einem Perkussionisten. Hakim empfahl Victor Bailey am Bass und Josè Rossy als Perkussionisten. Zawinul und Shorter nahmen alle drei Musiker unter Vertrag, ohne einen von ihnen vorher gesehen zu haben. Sie hatten keine andere Wahl, als Omar Hakim zu vertrauen. Diese Besetzung tourte einen Monat lang gemeinsam durch die USA, bevor das nächste Album Procession aufgenommen wurde. Wie sich herausstellte, funktionierte die neue Zusammensetzung sehr gut. Victor Bailey hatte eine große Aufgabe damit, in Jacos Fußstapfen zu treten. Laut Zawinul übte er wie besessen und beherrschte das gesamte Repertoire innerhalb kürzester Zeit. Eine Besonderheit auf Procession ist die Nummer Where The Moon Goes. Die Band wird hier von der Vokalgruppe The Manhattan Transfer, welche zuvor eine Vokalversion von Birdland veröffentlicht hatte, unterstützt. Der Wunsch nach einer gemeinsamen Aufnahme mit Weather Report wurde laut und im Rahmen der Arbeiten zu Procession verwirklicht. - 90 - Nach den Albumaufnahmen verstarb Zawinuls Mutter, dies bedeutete für die Band eine Pause für den Rest des Jahres. Erst im Jahre 1983 wurde wieder heftig getourt, es gab um die sechsundachtzig Konzerte. Nach diesem Konzertmarathon wurde im Februar 1984 das nächste Album Domino Theory aufgenommen. Die Gruppe war gut zusammengespielt und die Aufnahmearbeiten zu diesem Album gestalteten sich außergewöhnlich mühelos. Nach Domino Theory verließ Josè Rossy die Band. Zawinul: „Den mussten wir gehen lassen. Er war ein wirklich guter Musiker, doch er stellte ein paar Blödheiten an. Also brauchten wir einen Neuen, […]“ 121 Der „Neue“ war Mino Cinelu. Er stammte aus der Karibik und hatte zuvor drei Jahre bei Miles Davis gespielt. Er stieß am letzten Tag, bevor die nächste Tour startete, zur Gruppe. Im Frühling 1985 wurde das nächste Album Sportin’ Life veröffentlicht. Die Rhythmusgruppe bildeten wieder Omar Hakim und Victor Bailey, an der Perkussion war erstmals Mino Cinelu zu hören. Zusätzlich wurden vier Sänger engagiert, die die Band bei einigen Nummern unterstützten. Darunter waren auch Gaststars wie Bobby Mc Ferrin und Carl Anderson. Anderson kam bereits bei der Soulballade Can It Be Done auf dem Album Domino Theory zum Einsatz. Nach fünfzehn Jahren gemeinsamer Arbeit hatten Zawinul und Shorter beschlossen, es sei nun Zeit, ans Aufhören zu denken. Shorter hatte einige kammermusikalische Werke geschrieben, die sich mit Weather Report schlecht umsetzen ließen. Er arbeitete mit seiner neuen Wayne Shorter Band bereits an der Platte Atlantis. Zawinul hatte ein Soloprojekt in Aussicht, er konzipierte ein Soloalbum mit dem Titel Dialects. Nach Sportin’Life gingen auch die anderen Musiker ihre Wege. Omar Hakim spielte bei Sting, Victor Bailey fokussierte sich auf die Produktion von R’n’B-Platten und Mino Cinelu ging zu Miles Davis. Die Band löste sich auf, Sportin’ Life sollte das letzte Album gewesen sein. An dieser Stelle machte die Plattenfirma den Leadern abermals einen Strich durch die Rechnung und verpflichtete sie zur Produktion einer weiteren Platte. Zawinul war den Sommer über mit seinem Soloprogramm in Europa unterwegs gewesen, Shorter tourte im Herbst mit seinem Album Atlantis durch die USA und Europa. Als die Aufnahmen für This Is This beginnen sollten, hatte die Gruppe fast ein Jahr lang nicht zusammengespielt. Die Musiker mussten aus aller Welt eingeflogen 121 Gunther Baumann: Zawinul – Ein Leben aus Jazz. S. 147 - 91 - werden. Die Besetzung zur letzten Platte war letztendlich dieselbe wie jene auf Sportin’ Life: Joe Zawinul (keys, synth), Wayne Shorter (sax), Peter Erskine und Omar Hakim (dr), Victor Bailey (b), Mino Cinelu (perc). Vier Vokalisten unterstützten die Band zusätzlich. Peter Erskine löste Omar Hakim ab, weil dieser terminliche Schwierigkeiten hatte. Er spielte bei allen Nummern ausgenommen Consequently. Hier bediente Omar Hakim das Schlagzeug. Als kleine Attraktion engagierte Zawinul Carlos Santana: „Ich hatte Carlos Santana eingeladen und meine große Hoffnung war, dass er die Stücke tragen würde.“ 122 Das Stück Man With The Copper Fingers hatte er speziell für ihn geschrieben. Wayne Shorters Beitrag zu diesem letzten Album war gering. Er konnte kein neues Material einbringen, da er seine Kompositionen für das eigene Programm benötigte. Zu den Aufnahmen kam er für einige Tage in die Stadt, sein Saxophonspiel ist bei lediglich drei Nummern zu hören. Das letzte Weather Report-Album This Is This wurde im Juni 1986 veröffentlicht. Die Platte wurde bei den Kritikern schlecht aufgenommen und hatte auch unter den Musikern keinen guten Ruf. Zawinul. „Nun, irgendwie war’s eine Scheiß-Platte. Doch trotzdem, wenn man sich die Musik heute anhört, sind enorm gute Sachen drauf. […] Alle Arrangements waren sehr schwierig, die Studiozeit lief uns davon, und man merkte, dass alles zusammengestückelt wurde. Wir waren eben keine Band mehr. […] dieses Album war sowieso, da kann man sagen was man will, ein schwaches Ende für eine große Band. Es war die schlechteste Platte aller Weather Report Produktionen.“ 123 Zu der neuen Platte verlangte die Plattenfirma natürlich auch eine Tour. Wayne Shorter hatte die Band bereits im Februar 1986 verlassen und Joe Zawinul entschied, die letzte Tour ohne ihn abzuwickeln. Durch den Ausstieg von Shorter entstanden rechtliche Probleme mit dem Bandnamen. Shorters Management untersagte ein weiteres Bestehen der Band unter dem Namen Weather Report. So wurde der neue Name, Weather Update, gefunden. Folgende Musiker bildeten diese Gruppe: Joe Zawinul (p, synth), Victor Bailey (b), Peter Erskine (dr), Robert Thomas jr. (perc.) und Steve Khan (git). Diese Band spielte eine letzte Tour, danach war die Ära Weather Report bzw. Weather Update endgültig vorbei. Mitte der 1990er Jahre kamen Gerüchte zur Wiedervereinigung von Weather Report auf. Die Plattenfirma CBS hätte gerne eine neue Platte herausgebracht und eine Tour veranstaltet. Für Zawinul und Shorter wäre diese Tour, rein finanziell gesehen, ein großer Gewinn gewesen. Promoter auf der ganzen Welt bemühten sich, Weather Report auf die Bühne zu bekommen. 90 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 86 - 55 - Der Tod von Shorters Frau 1996 durchkreuzte jedoch alle Pläne in diese Richtung und es kam auch danach nie zu einem Comeback von Weather Report. 90 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 86 - 55 - Zusammenfassung Neben der Hauptfigur dieser Arbeit, Joe Zawinul, werden noch zwei weitere Musiker, Wayne Shorter und Jaco Pastorius, genauer besprochen. Kurzbiographien und Informationen zu ihrem musikalischen Schaffen zeichnen ihre Persönlichkeiten nach. Die wörtlichen Zitate dienen der lebendigen Beschreibung von einzelnen Personen und Charakteren. Die chronologische Auflistung der Alben im Zeitraum von 1971 bis 1982 gibt einen Überblick über Weather Report als Gruppe und über ihre Musik. Dabei werden Informationen zu den Musikern, den Instrumenten, Aufführungsorten, Management, dem Publikum, Kritikermeinungen und Auszeichnungen gegeben. Die Analyse der Musikbeispiele konzentriert sich auf die musikalische Entwicklung der Band und beleuchtet auch den Aspekt der Kommerzialisierung. 90 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 86 - 55 - Quellenverzeichnis Bücher: Gunther Baumann: Zawinul - Ein Leben aus Jazz. Residenz Verlag, Salzburg, Frankfurt am Main, Wien, 2002 Michelle Mercer: Footprints: the life and work of Wayne Shorter. Penguin Group, London, 2004 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. Jazz-Fusion Books, Cornwall, 2012 Diplomarbeiten: Dieter Kari: Der Elektrobassist und Komponist JACO PASTORIUS Musikalische Biographie und stilistisch-strukturelle Untersuchungen seines Schallplattenwerkes, Graz, 1988 Georg Lenger: Der Jazzmusiker, Komponist und Arrangeur JOE ZAWINUL Biographie, Diskographie und Analyse seines späteren Schallplattenwerkes, Graz, 1995 Internet: www.weatherreportdiscography.org www.wikipedia.org Notensammlung: BEST OF WEATHER REPORT Saxophone, Keyboards, Bass & Drums/Percussion. Third Earth Productions und Hal Leonard Publishing Corporation, Milwaukee, 1988 Skriptum: Franz Kerschbaumer: Jazzgeschichte 4. Skriptum an der KUG, Graz 1995 90 Ken Trethewey: WEATHER REPORT: Electric Red. S. 86 - 55 -