Schlafstörungen bei Kindern:

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Schlafstörungen bei Kindern:
SERIE PÄDIATRIE
Schlafstörungen bei Kindern:
Prävention und therapeutische Ansätze
INITIATIVE PÄDIATRIE: Tipps gegen die eigene Hilflosigkeit
gegenüber Symptomen, für deren Behandlung die ärztliche Ausbildung
wenig gerüstet ist
MITBETEILIGUNG DER ELTERN
BEACHTEN
Außer bei gewalttätigem externen
Schlafentzug (z.B. als Foltermethode) ist die Schlaf-Wach-Biorhythmik des Menschen autonom reguliert. Jede kognitive und emotionale
Mitbeteiligung kann diese Autoregulation stören. Unregelmäßigkeiten kindlichen Schlafens haben oft schwer wiegende Auswirkungen auf die Eltern. Daher ist als Schlafstörung im Kindesalter jede
Schafstörung zu werten, unabhängig davon, ob sie von Seiten des
Kindes oder/und einer Bezugsperson berichtet wird. Ein Grundwissen über die normale Schlafphysiologie und einige häufige
Störungen kann geplagte Eltern und deren Helfer dabei unterstützen, ein neues Kompetenzgefühl zu entwickeln und der Thematik
positiver und mit weniger Leidensdruck zu begegnen.
AUFMERKSAMKEIT UND FINGERSPITZENGEFÜHL GEFORDERT
Die meisten Babys werden dem Arzt wegen nicht erfüllter elterlicher Erwartungen punkto Schlafdauer und Art vorgestellt. Die
typische Erstvorstellung zeigt ein waches, gut entwickeltes, fröhliches Baby mit erschöpften, verunsicherten und vom Schlafmangel gezeichneten Eltern. Da die Eltern sich oft mitschuldig am
Problem fühlen, sind hier Behutsamkeit, Aufmerksamkeit, Diplo34 ÄRZTE KRONE 6/08
matie und Fingerspitzengefühl gefragt. Die Diskrepanz zwischen
elterlichem Leidensdruck und objektivierbarem kindlichen
Befund überfordert Helfer seltsamerweise. Dadurch besteht die
Tendenz, den kleinen Patienten wegzuschicken: entweder zum
Psychologen (wohin die wenigsten Mütter geschickt werden
möchten) oder in die Apparatewelt. EEG, Polysomnographie,
MRT etc. sowie serologische
Untersuchungen
beschäftigen
Mutter und Kind dann einige
Wochen, in denen sich die Situation entweder von selbst beruhigt
oder derart zuspitzt, dass eine Krisenintervention notwendig wird.
© Julia Dunitz, www.flickr.com/photos/bluegallery
IN SÜDÖSTLICHEN, meist deutlich ärmeren Regionen dieser
Welt kennt man keine Schlafstörungen bei Kindern. Bei Begegnungen mit ärztlichen Kollegen aus diesen Ländern ernten Europäer und Amerikaner bestenfalls ein mitleidiges Lächeln, wenn
von kindlichen Schlafstörungen die Rede ist. Diese werden meist
als wohlverdiente Folge einer überhöhten Erwartung überehrgeiziger
oder ängstlicher Eltern erstgeborener Kinder interpretiert. Ein Baby
in einem eigenen ruhigen Raum
zum Einschlafen bringen zu wollen
wird sogar als bindungsgestörte
Vernachlässigung, ja fast als brutales, unangemessenes und unsensibles elterliches Verhalten angesehen. Was ist hier los?
UNTERSCHIEDLICHE WAHRNEHMUNG VON SCHLAF
Es ist entscheidend zu wissen,
dass die Wahrnehmung normalen
Schlafens bei sich selbst wie auch
bei nahestehenden Mitmenschen
rein subjektiv ist. Wer seine tägliche Befindlichkeit über die
Betrachtung der Schlafqualität
definiert, gerät leicht in einen Teufelskreis der Schlaflosigkeit, während Menschen ohne diese Problemwahrnehmung selbst in
ungünstigsten Situationen irgendwann einschlafen. Ihnen fehlt oft
das Verständnis dafür, wie schwer schlafen sein kann. Unbedachte Scherze über die Schlaflosigkeit können aber zu unnötigen
Kränkungen führen.
FAKTOR SCHLAFBEDÜRFNIS VON MUTTER UND KIND
In den ersten zwölf Lebensmonaten geht das neonatale Schlafmuster (längere Schlafdauer/24 Stunden, bis zu 85% REM-Muster) langsam in das adulte Schlafmuster (kürzere Gesamtschlafdauer, ca. 15% REM-Muster) über. Babys und Erwachsene durchlaufen mehrere Schlafzyklen pro längerer Schlafeinheit. Der
Übergang zwischen den Schlafzyklen wird autonom reguliert und
ist durch kleine, unkoordinierte Bewegungen gekennzeichnet. Die
genetisch determinierte Gesamtschlafdauer schwankt individuell
sehr stark.
SERIE PÄDIATRIE
KINDERSCHLAF, ELTERNSCHAFT UND DIE BINDUNGSTHEORIE
Das heutige Erziehungsziel in der westlichen Kultur ist bereits
früh leistungsorientiert. Das gilt auch für den Schaf. Eltern sind
stolz und erleichtert, wenn die Kleinen in Gitterbetten (eigentlich
Kinderkäfigen) im eigenen Zimmer möglichst frühzeitig alleine
einschlafen. Selbst mit zusätzlicher Ausstattung mit hochsensiblen Überwachungsgeräten (technische Relikte aus früheren,
durchaus erfolgreichen Kampagnen gegen den plötzlichen Kindstod) kann man jedoch einmal entstandener Angst nur schwer
begegnen. Mit Ratgebern wie „Jedes Kind kann schlafen lernen“
wird aus einer biologischen Selbstverständlichkeit ein Problem
gebastelt, dessen Lösung gut verkauft wird.
nommen, jemals wieder heraus?
Welche Rolle hat der Vater als
Ermöglicher der Triade (im
Gegensatz zur Mutter-KindDiade) während der Nacht? Wie
beeinflussen elterliche Sexualpraktiken und der kindliche
Schlafplatz einander? Wird dem
Baby vielleicht ungewollt die
Aufgabe zugewünscht, die Mutter vor sexuellen „Übergriffen“
des Vaters zu schützen? In der
internationalen Literatur wird
dem „Co-Sleeping“ das westliche „Single Sleeping“ gegenübergestellt. Weltweit wachsen
85% aller Babys und Kleinkinder mit dem Modell des CoSleeping auf; das heißt, sie lernen, auf, neben und mit ihren
primären Bezugspersonen zu
schlafen.
Die Bindungstheorie besagt,
dass sichere Bindungsverhältnisse das selbstverständliche autoregulierte Schlafen fördern. Bei in der Praxis geschilderten Schlafproblemen finden sich häufig Unsicherheiten und Ängste, vor
allem Verlustängste, wie sie bei Eltern nach erlebten Traumata
vorkommen. Die emotionale Verunsicherung führt zu unsicherem
Handling, zum zunehmenden Verlust der Autoregulation beim
Kind und zur elterlichen gut gemeinten, aber störenden „Einmischung“. Das Baby wacht auf, die Eltern reagieren bereits auf das
leiseste Bewegungssignal, nun sucht das Baby aktiv Beistand und
wird zunehmend von dessen Verfügbarkeit abhängig. Die interaktive Eskalation ist vorprogrammiert, negative Erwartungs- und
Interaktionsschleifen beginnen. Dies geschieht aber nur, wenn das
Baby alleine liegt und aufpassen muss, dass sich seine Bezugsperson nach seinem Einschlafen nicht unbemerkt entfernt. Liegt es
im Menschenverband, so hört es Rede- und Atemgeräusche, spürt
die Nähe seiner Bezugswelt und autoreguliert leichter.
Von der autoregulationsgestörten Durchschlafstörung des Säuglings im ersten Lebensjahr ist die mit zunehmender Raffinesse
zelebrierte Einschlafproblematik 1- bis 3-Jähriger zu unterscheiden. Diese ist eine von vielen Bühnen eines Machtkampfes zwischen Kind und Eltern. Dieses Trotzäquivalent kann sich bei fehlendem elterlichen Anpassungsvermögen zu einer massiven und
angstbesetzten Einschlafproblematik steigern.
© Julia Dunitz, www.flickr.com/photos/bluegallery
Folglich kann es zwischen
Mutter und Kind zu einem
guten „fit“ oder einem „misfit“ kommen. So wird eine
Kurzschlafmutter (z.B. 6–7
Stunden/24 h) eines Langschlafbabys (z.B. anfangs
16/24 Stunden) ausgeruht und
gelassen die vielen Veränderungen der neuen Mutterschaft erleben. Zwischen
Langschlafmutter
(10–12
Stunden/24 h) und Kurzschlafbaby (auch 10–12 Stunden/24 h) muss die Situation
zwingend bald eskalieren, da
die Mutter sich nicht einmal
von der postpartalen Erschöpfung erholen kann.
Mütter sind heutzutage mit
einer Fülle von zusätzlichen
Aufgaben nebst dem emotionalen Übergang in die
„Motherhood Constellation“ (DANIEL STERN) beschäftigt und
– nicht zuletzt aufgrund des Fehlens einer stützenden und Modell
bietenden Großfamilie – oft überfordert. So wird die Zeit tagsüber, wenn das Baby zwischendurch schläft, für vieles „genützt“,
nicht aber, um sich auszuruhen. Die übliche Erstvorstellung zeigt
häufig eine von wochenlangem massiven Schlafdefizit gezeichnete Mutter, die oft unmittelbar bei der Frage „Wie geht es
Ihnen?“ zu weinen beginnt.
SICHERHEIT ALS SCHLAFFÖRDERER
Nur ein Mensch, der sich sicher fühlt, schläft gut. Kontrollverlust
und Verlustangst hemmen den Schlaf oder verhindern ihn sogar.
In der westlichen Kultur ist die räumliche Distanz zum kindlichen
Bett eine wichtige Variable, die mit Bindungsfaktoren korreliert.
Eine stillende Mutter wird ihr Kind selten mehr als wenige Meter
vom eigenen Schlafplatz haben wollen. Sie will hören, wie ihr
Kind schläft, und möchte das nächtliche Stillen mit möglichst
wenig Aufwand organisieren.
Die Problematik beginnt bereits bei der Einmischung von Verwandtschaft und Marktlage in dieses intime Gleichgewicht. Soll
das Baby im oder neben oder außerhalb des elterlichen Bettes
schlafen? Wie kommt das Baby, einmal ins elterliche Bett mitge36 ÄRZTE KRONE 6/08
KINDLICHE SCHLAFPROBLEME LÖSEN
In den letzten 30 Jahren hat die geänderte Familienstruktur wie
auch der Verlust der intuitiven Autoregulation zwischen kindlichem Schlafen und elterlichem Beistand zu vielen, teils widersprüchlichen psychologischen Lösungsansätzen geführt.
Im Wesentlichen gibt es zwei ideologische Lager: Verhaltenstherapie (VT) versus Tiefenpsychologie. Die einen predigen psychische Distanzierung, Struktur und klare Regeln und unterstützen
das Konzept des „regulating parent“; die anderen setzen auf Einfühlung, Signalwahrnehmung und Geduld, was dem Konzept des
„facilitating parent“ entspricht (LIT LEEF-RAFFAELSON). Die
Schulen zeigen wenig bis kein Verständnis füreinander und die
bereits ohnehin verunsicherten Eltern werden oft noch weiter verwirrt und erhalten letztlich subjektiv wenig Unterstützung.
die ärztliche Ausbildung nur wenig gerüstet ist. Einige praktische
Tipps dazu sind im Kasten zusammengefasst.
FACHLICHE STELLUNGNAHME ALS DIFFERENZIERTER BALANCEAKT
Ähnlich wie bei Sexualproblemen, Beziehungsfragen und vergleichbar sensiblen Themen ist jegliche fachliche Stellungnahme
ein differenzierter Balanceakt zwischen dem Bemühen, die Lage
durch hilfreiche Angebote nicht noch mehr zu verunsichern, und der
eigenen Hilflosigkeit gegenüber Symptomen, für deren Behandlung
Univ.-Prof. Dr. Marguerite DUNITZ-SCHEER,
Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Graz,
Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für
Kinder- und Jugendheilkunde,
marguerite.dunitz@klinikum-graz.at
Kindliche Schlafprobleme lösen
1. Den Kindesvater mit einbeziehen! Gemeinsam klären, ob
eine stationäre Aufnahme von Mutter und Kind als akute Krisenintervention notwendig ist. Das Angebot ist als Arzt an
beide Eltern auszusprechen. Diese Dynamik kann evtl. auch
durch einen räumlichen Wechsel des Schlafbereichs erreicht
werden, z.B. einige Nächte im Freundeskreis oder erweiterten
Familienkreis verbringen. In schweren Fällen Melatonin zur
Anstoßtherapie über zwei bis drei Wochen. In den meisten
Fällen genügt jedoch ein „Tapetenwechsel“ zur Deeskalation.
Warum? Schutz des Kindes vor unbeabsichtigter Misshandlung.
2. Dokumentation der störenden Schlafproblematik (SchlafWach-Zyklus-Tagebuch), Betrachtung der dysbalancierten
Schlafarchitektur und Planung eines ersten Interventionsschrittes zur Minderung des Chaos. Dies ist ein erster Schritt
in Richtung emotionale Entstrickung und Deeskalation bei
gleichzeitiger Objektivierung des Symptoms.
Warum? Ausgangsdokumentation als erste Objektivierungsintervention.
3. Verordnen von Ausruhen und zumindest Schlafversuch für
die Mutter bei jedem kindlichen Schlaf. Die Order heißt:
Mutter und Kind in die Horizontale! Geschirr, Wäsche, Aufräumen verbieten. Geschirr hat keine Gefühle und kränkt
sich nicht, wenn es erst in einer Woche abgewaschen wird!
Warum? Die Mutter muss auch ihr eigenes Schlafdefizit vermindern.
4. Die Fantasie und Kreativität des Vaters sind für das Thema
zusätzlicher Unterstützungs- und Entlastungsmaßnahmen
einzufordern. Freunde, Babysitter, Großeltern etc. sollten für
mindestens zwei bis drei Wochen eingebunden werden, um
die Akutphase zu entschärfen.
Warum? Ohne Unterstützung ist es schwer, dem Teufelskreis
zu entkommen.
5. Nun kann man mit der eigentlichen vertieften Anamnese von
möglichen Stressfaktoren beginnen: Wie sicher bzw. verunsichert fühlen sich die Eltern? Welche Gedanken und Fantasien werden mit der Schlafproblematik in Verbindung
gebracht? Wie ist der Übergang vom Paar zur Elternschaft
verlaufen? Welche sekundären Folgen (z.B. veränderte
Schlafgewohnheiten des berufstätigen Vaters) bewirkt das
kindliche Symptom? Welche Ängste und Befürchtungen
bestehen?
Warum? Längerfristige Besserung muss mit Stressabbau einhergehen.
6. Eine baldige nächste Kontrolle innerhalb von drei bis fünf
Tagen vermittelt Halt und Wertschätzung. Dies kann bereits
genügen, einen kleinen ersten Schritt zu tun in Richtung
Übernahme der elterlichen Verantwortung für ihr Kind, Minderung ihrer subjektiven Hilflosigkeit, Abgabe und Übernahme der ärztlichen Verantwortung, dass es sich „nur“ um ein
lästiges Problem, nicht aber um eine gefährliche Erkrankung
handelt und damit ein langsames Erholen aus dem chronischen und enorm belastenden Schlafdefizit ermöglicht wird.
Warum? Frühe Kontrolle gibt mehr Rückhalt und beruhigt
die Eltern.
7. Zwischenbilanz nach drei bis fünf Tagen: „If things get better: continue; if things get worse, back to 1.!“
Warum? Die Einsicht, dass es sich um eine zyklische Dynamik handelt, tröstet.
8. Die Einschaltung von nicht-ärztlichen Kollegen (Psychologe,
Familientherapeut, Kinderpsychotherapeut, Physiotherapie,
Körpertherapie, Ergotherapie) sollte erst vorgeschlagen werden, wenn
die Akutsituation überwunden ist und gemeinsam mit beiden Eltern an
der Wahrnehmung bestehender Stressfaktoren
und konkreten Vorstellungen bezüglich Veränderungsmöglichkeiten
gearbeitet werden kann.
Warum? Jede Vertiefung
kann helfen, aber
nicht im AkutstaWeitere Informationen finden Sie
dium.
unter www.kinderpsychosomatik.at
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