Programmbuch

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Programmbuch
7. MEDIEN UND ARCHITEKTUR
BIENNALE GRAZ 2005 – 2007
Internationaler Medien und
Architektur Preis 2005
Kuratorin: Charlotte Pöchhacker
Inhaltsverzeichnis / Contents
Vorwort / Preface
Dank / Credits
6
11
Katalog / Catalogue
Chain
Jem Cohen
72
Channel 14 (Single Version)
David Bickerstaff / Chris Wainwright
80
Chats perchés
Chris Marker
86
Alpi / Alps
Armin Linke / Pietro Zanini
12
Concrete Wall
Edgar Endress
92
a.m. / p.m.
Herman Asselberghs
18
Cultural Quarter
Mike Stubbs
98
D’Annunzios Höhle / D’Annunzios Cave
Heinz Emigholz
22
Dammi i colori
Anri Sala
102
Architecture of Riot (Trilogy)
Erika Philhower Vogt
28
Domino
Lotte Schreiber
110
Atomic Park
Dominique Gonzales-Foerster
34
Gegen-Musik / Counter-Chant
Harun Farocki
114
Ausziehen
Jochen Dehn / Monika Gintersdorfer
40
La gher sur le toit / The Ger on the Roof
Michèle Pédezert / Céline Pétreau
120
Bei tempi / Good Times
Alessandro Cassigoli / Dalia Castel
44
I’d rather be at Newington
Wiebke Grösch / Franz Metzger
124
BerlinBeirut
Myrna Maakaron
50
Invisible Cities 1
Jonas Dahlberg
128
The Block#1
Fabrizio Gallanti / Francisca Insulza
54
Jutro U mojoj ulici / The Morning in my Street
Mario Caušić
134
Buildings and Grounds
Ken Kobland
58
The Light at the Edge of a Nightmare
David Lamelas
138
La bulle et l’architecte
Julien Donada
64
Living Megastructures
Sabine Bitter / Helmut Weber
142
Buren et le Guggenheim / Buren and the Guggenheim
Stan Neumann
68
Los Angeles
Sarah Morris
150
Los Angeles Plays Itself
Thom Andersen
St Denis
John Pilson
220
Lucharemos hasta anular la ley / We Will Fight until Annulling the Law
Sebastian Diaz Morales
160
Suburbs of the Void
Thomas Köner
224
Magnetic {eye} – Jerusalem
Gunter Krüger
Territórrio vermelho / Red Territory
Kiko Goifman
230
Territory: I (White Lies), II (The Kissing Point),
III (Alkdereh House, Ramallah)
Marine Hugonnier
234
Walk
Toshi Fujiwara
238
Wall
Catherine Yass
240
Where a Straight Line Meets a Curve
Brad Butler / Karen Mirza
246
Worst Case Scenario
John Smith
250
Index
254
Impressum / Imprint
256
My Address is neither a House nor a Street
my Address is a Shopping Centre:
I (Privacy Protection), III (As Tight as in Wardrobe)
Egle Rakauskaite
Parcours
Margarete Jahrmann / Max Moswitzer
Les passagers d’Orsay / Passengers of Orsay
Sandra Kogut
Pessac – Leben im Labor / Pessac – Life in a Laboratory
Claudia Trinker / Julia Zöller
156
166
170
174
178
184
Phantom fremdes Wien / Phantom Foreign Vienna
Lisl Ponger
188
Radio Ghost
Laurent Grasso
194
Rosa coeli
Josef Dabernig
200
Scena
Deimantas Narkevicius
204
Silberhöhe
Clemens von Wedemeyer
208
Site Specific_Roma 04
Olivo Barbieri
212
The Sound of Microclimates
Semiconductor
218
4
5
Internationaler Medien und Architektur Preis 2005
Dies bedeutet hinsichtlich der Durchführung des Medien und Architektur
Preises, dass die für den Medien und Architektur Preis ausgewählten Arbeiten
Architektur und Raum in urbanen und urbanisierten Konfigurationen
im Kontext des Eröffnungsfestivals der 7. Medien und Architektur Biennale
unter
philosophischen
Graz vom 1. – 4. Dezember 2005 öffentlich präsentiert und reflektiert
und ästhetischen Aspekten zu betrachten, mit anderen Worten, das
werden. Im Folgenden werden im Jänner 2006 aus diesen Arbeiten die
zeitgenössische Verständnis und Verhalten im und zum gebauten Raum im
Preisträger von einer internationalen Jury ausgewählt. Die Preise werden
Zusammenhang von Gesamtverhältnissen zu reflektieren ist Anspruch und
anlässlich eines den ausgezeichneten Arbeiten gewidmeten Symposions
Anliegen des internationalen Medien und Architektur Preises.
am 26. April 2006 an die Künstler und Filmemacher verliehen.
Seit 1993 akzentuiert sich das gegenüber herkömmlichen Praktiken spezifisch
Im Rahmen des Medien und Architektur Preises 2005 stellen wir 49
widerständige Profil von Artimage / Medien und Architektur Biennale
visuelle Arbeiten von Künstlern und Filmemachern aus 20 Ländern
Graz durch eine gezielte Suche nach neuen Formen der künstlerischen
vor, die auf unkonventionelle und innovative Weise mit ausgeprägter
Zusammenarbeit und der Wissensproduktion in interdisziplinären Zu-
individueller Handschrift Fragen zum gebauten Raum und dem Handeln
sammenhängen. Der international renommierte Medien und Architektur
in diesen Räumen aufwerfen und ausloten. Die Arbeiten des Medien und
Preis nimmt im Rahmen dieser von Artimage / Medien und Architektur
Architektur Preises 2005 führen einerseits bekannte Architekturen und
Biennale Graz aktiv gesetzten Politik der Verbindung von unterschiedlichen
urbane Situationen durch ungewöhnliche filmische Blicke neu vor Augen.
Arbeitsgebieten und Denktraditionen eine zentrale Bedeutung ein.
Andererseits beschäftigen sich viele Arbeiten mit ganz besonderen, zu
sozialpolitischen,
kulturellen,
ökonomischen,
Unrecht unbekannten oder in Vergessenheit geratenen Architekturen und
Mit dieser Ausrichtung unternimmt der Medien und Architektur Preis der
mit auf den ersten Blick unscheinbaren Räumen, um diese wieder in das
Medien und Architektur Biennale Graz die aktive Förderung von unerwarteten,
Blickfeld der Aufmerksamkeit zu rücken.
zukunftsorientierten Formulierungen von architektonischen Räumen sowie
die Reflexion und Vermittlung von dringenden gesellschaftspolitischen
Neben Arbeiten, die sich mit spezifischen Architekturen auseinandersetzen,
Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Auffassung von Architektur als
recherchiert eine große Anzahl der im Medien und Architektur Preis 2005
Dispositiv für gesellschaftliches Handeln stellen.
vertretenen Arbeiten die gesellschaftspolitischen und ökonomischen
Umbrüche und deren Auswirkungen im urbanen Kontext in allen Teilen
Der Medien und Architektur Preis wird jedes zweite Jahr international
der Welt.
ausgeschrieben und ist konzeptionell in der Form seiner Durchführung in
die „Architektur des Bienniums“ der Medien und Architektur Biennale Graz
So unterschiedlich die Arbeiten auch in ihrer visuellen Sprache und den
eingebunden. Im Rahmen des zehnjährigen Bestehens der Medien und
spezifischen Fragestellungen sind, so ist ihnen allen gemein, dass sie dem
Architektur Biennale Graz im Jahr 2003 war der Biennalegedanke neu
Betrachter Raum geben zur Reflexion.
formuliert worden. Die neue „Architektur des Bienniums“ zeichnet
Die Arbeiten zeigen unterschiedlichste Aspekte auf, unter denen es wichtig
sich nunmehr durch eine progressive und prozessorientierte inhaltliche
und notwendig erscheint, Architektur und Raum heute zu betrachten. Mit
Bespielung des Zweijahreszeitraumes des Bienniums aus.
dieser spezifischen Auswahl und Gegenüberstellung sehr unterschiedlicher
Arbeiten im Rahmen des Medien und Architektur Preises 2005 ist gleichzeitig
6
7
die Intention verbunden, Fragen der Bild- und Blickstrategien hinsichtlich
Through this alignment the Media and Architecture Prize of the Media
der uns vermittelten Realität immer wieder aufs Neue zu hinterfragen.
and Architecture Biennale Graz has undertaken the active promotion of
unexpected, future-oriented formulations for architectonic spaces as also
Wir danken allen Filmemachern und Künstlern für ihre eingereichten
the reflection and the mediation of urgent social policy questions that
Arbeiten und dem interessierten Publikum für die aktive Beteiligung an der
are presented within the context of the conception of architecture as an
Rezeption und Diskussion, die im Sinne des Leitmotivs T.S.V.P. der Medien
anticipatory force for social action.
und Architektur Biennale Graz für die gemeinsame kulturelle Produktion
The Media and Architecture Prize is announced internationally biennially
von Bedeutung sind.
and is linked conceptually in the form of its implementation in the
“Architecture of the Biennium” of the Media and Architecture Biennale
Charlotte Pöchhacker
Graz. The thinking behind the Biennale has been newly formulated within
Kuratorin des Medien und Architektur Preises 2005
the scope of marking the ten year existence of the Media and Architecture
Biennale Graz in 2003. The new “Architecture of the Biennium” is now
characterised by a progressive and process-oriented playing through of the
Biennium’s two year period.
What this means in respect to the implementation of the des Media and
International Media and Architecture Prize 2005
Architecture Prize, is that the selected work for the Media and Architecture
Prize will be presented and reflected in public in the context of the
Architecture and the spatial context in urban and urbanised configurations
opening festival to the 7th Media and Architecture Biennale Graz from
considered from the social policy, cultural, economic, philosophic and
1 – 4 December 2005. Subsequently the prize winners will be selected from
aesthetic aspects; or put in other terms, the reflection on the contemporary
this work by an international jury in January 2006. The prizes will then be
understanding of and the relationship both in and to constructed space in
awarded to the artists and film makers on the occasion of a symposium
its universal context is both the claim and the objective of the international
dedicated to one of the prize winning works to be held on 26 April 2006.
Media and Architecture Prize.
We are to present 49 visual works of artists and film makers from 20
Ever since 1993 The specifically resilient profile of the Artimage / Media
countries within the framework of the Media and Architecture Prize
and Architecture Biennale in Graz has been accentuated in juxtaposition to
2005, each of which projects and sound out in an unconventional and
common practices by a targeted search for new forms in artistic collaboration
innovative manner and a distinctively individual signature, questions related
and the production of knowledge in inter-disciplinary contexts. The Media
to constructed space and manners of dealing with it. The work for the
and Architecture Prize with its international reputation has taken on a
Media and Architecture Prize 2005 presents on the one hand familiar
central significance in the linking of various areas of work and different
architectural and urban situations in a new light by means of unusual
traditions of thought within the scope of this policy actively established by
filmed glimpses. On the other hand much of the work concerns highly
the Artimage / Media and Architecture Biennale Graz.
unusual and unjustly unknown or forgotten architecture and what at first
8
9
sight appear to be inconspicuous spaces, to bring these once again into the
Dank / Credits
field of attention.
In addition to work dealing with specific architectures, a large number of
the works represented in the Media and Architecture Prize 2005 research
radical social and economic changes and their effects in an urban context
in all parts of the world.
As different as the work is in its visual language and in the specific questions
it poses, it all shares one point in common in that it provides the observer
Artimage / Internationale Medien und Architektur Biennale bedankt sich für die
kontinuierliche Unterstützung / Artimage / International biennial on media and
architecture acknowledges the continuous support thankfully
KUNST. Bundeskanzleramt
Land Steiermark – Kulturabteilung
Stadt Graz Kultur
Stadt Graz – Amt für Stadtentwicklung und Stadterhaltung
Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten
with space for reflection.
The work presents the most varied aspects under which it appears to be
both important and essential to observe architecture and space today.
Through this specific selection and juxtaposition of very varied work within
the scope of the Media and Architecture Prize 2005 the simultaneous
intention is linked of examining afresh ever and again questions of image
Wir bedanken uns für die gute und inhaltlich kongeniale Zusammenarbeit bei der
Neuen Galerie Graz.
We would like to extend our special thanks to the Neue Galerie Graz for a
collaboration that has been both congenial and a great material success.
and strategies for the perspective taken in respect to the reality presented
to us.
Weiteres bedanken wir uns ganz herzlich bei / Many thanks also to
We thank all the film makers and artists for the work they have submitted
and the committed public for their active participation in the reception and
discussion, which is of significance for the common cultural production to
the terms of the T.S.V.P. leitmotif of the Media and Architecture Biennale
Graz.
Charlotte Pöchhacker
Curator of the Media and Architecture Prize 2005
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Alison Jacques Gallery (London, UK) Andana Films (Lussas, France) Antidote International Films Inc. (New York, USA) Argosarts (Brussels, Belgium) David Bickerstaff &
Chris Wainwright Sabine Bitter & Helmut Weber Brancolini Grimaldi – Arte Contemporanea (Florence / Rome, Italy) Mario Caušić Camera Lucida (Paris, France) Jochen
Dehn & Monika Gintersdorfer Edgar Endress Filmgalerie 451 (Berlin, Germany) Films
du Jeudi (Paris, France) Forma (London, UK) Freunde der Deutschen Kinemathek
(Berlin, Germany) Toshi Fujiwara Galerie Nordenhake (Berlin, Germany) Gallerie
Brancolini Grimaldi (Florence / Rome, Italy) Gallerie Chez Valentin (Paris, France) Fabrizio Gallanti & Francisca Insulza Gotanda Film (Rome, Italy) Wiebke Grösch & Frank
Metzger Harun Farocki Filmproduktion (Berlin, Germany) Hauser & Wirth (Zurich,
Switzerland) Margarete Jahrmann & Max Moswitzer Ken Kobland Thomas Köner
Gunter Krüger Armin Linke & Pietro Zanini LUX (London, UK) Myrna Maakaron Max
Wigram Gallery (London, UK) Montevideo (Amsterdam, NL) Deimantas Narkevicius
Netherlands Media Art Institute – Montevideo / Time Based Arts (Amsterdam, NL)
Paleotv (São Paulo, Brazil) Michèle Pédezert & Céline Pétreau Petzel Gallery (New
York, USA) Les Poissons Volants (Paris, France) Prince Claus Fund (Den Haag, NL)
Egle Rakauskaite Sixpackfilm (Vienna, Austria) TS Productions (Paris, France) Vivo
Film (Rome, Italy) Erika Vogt Clemens von Wedemeyer
11
Alpi / Alps
Italy, 2005, 22’
Armin Linke (*1966 in Milan) lives and works in Milan and Piero Zanini (*1966
in Trento) lives and works in Trento
Sound: Renato Rinaldi
Die Alpen sind eines der größten natürlichen Ökosysteme des europäischen
Kontinents und seine Hauptreserve an Biodiversität. Sie sind auch das anthropogenste Berggebiet und eines der wichtigsten Erholungs- und Tourismusziele
auf der Welt. Mit dem Bild der Alpen als reiner, unberührter Ort, an dem das
Leben im perfekten Einklang mit der Natur steht, verschmelzen im Laufe des
19. Jahrhunderts andere wichtige Bilder: Das der Alpen als Ort der Entspannung und der Ablenkung. Die Alpen als Vergnügungspark, als „playground of Europe“, waren zunächst das Ziel einer kleinen und auserwählten Elite, dann – ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – zunehmend
ein Ort für „Jedermann“.
Alpentouristen aus aller Welt werden mit einem hochmodernen Zug auf
den 3000 Meter hohen Schweizer Berg Jungfrau transportiert. Auf dessen
Spitze erwartet sie nicht nur ein atemberaubendes Panorama, sondern
auch ein Restaurant namens Bollywood. Dieser Name bezieht sich auf die
indische Filmindustrie, die die Alpen oft als Drehort für Kinofilme und Musikvideos benützt.
Die Alpen waren schon immer ein reges Durchzugs- und Tauschgebiet.
Durch den Tauschhandel entstand eine geographische Verbundenheit
zwischen den Einwohnern dieses Gebiets und den nördlich und südlich liegenden Großstädten. Heute zählt die Bevölkerung der Alpen 14 Millionen
Menschen, von denen die meisten in den größeren Ballungsgebieten, wo
Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, leben.
Die Alpen sind trotz der Dominanz der herkömmlichen (romantischen) Darstellung ein Schlüsselort der Moderne.
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Alpi ist ein Film „in progress“, ein Installationsessay. Der Film erkundet ein
Alpine tourists from all parts of the world are transported by railway to the
europäisches Klischee und einen komplexen, anthropologischen Raum:
lofty height of 3000 metres on the Jungfrau Mountain in Switzerland. On
–
der dargestellte Berg; die Alpen, wie sie in der Werbung, in Museen,
this towering peak they are not only awaited by an absolutely breathtaking
in den touristischen Orten und in der Wissenschaft dargestellt werden;
panorama view, but also by a restaurant with the name Bollywood. The
–
–
–
–
die klischeehafte Seite der Berge
name refers to the flourishing Indian film industry that often uses the Alps
der bezwungene Berg; der Versuch den Berg zu kontrollieren und zu
as a location for cinema films and music videos.
zähmen (Lawinen, Erdrutsch)
The Alps have always been a busy trading route- and a trading location.
der bewohnte Berg; die Berge als Urlaubsort oder als bleibende Re-
The exchange of goods resulted in a geographical dependence between
sidenz, Ort der Arbeit, der Erholung und des Spaßes; aber auch der
the inhabitants of this area and the people in the great cities to the north
unbewohnte Berg als fiktiver Ort
and the south of the Alps. The Alps have a population of 14 million people
der unterirdische Berg; die Alpen von Innen betrachtet (Tunnel, Bunker,
today, most of them in the larger urban centres where jobs are available.
Bergwerke, Labore)
Despite the dominance of a standard (romantic) representation, the Alps
der Berg mit dem sich seine Bewohner identifizieren; ein Ort, an dem
are in fact a key location of the modern movement.
Jahrtausende alte Bräuche wie die Bergviehwanderung und alte religi-
Alpi is a film in progress, an installation essay. The film explores a European
öse Praktiken ausgeübt werden
cliché and a complex anthropological space:
Alpi befasst sich mit Themen, die weit über die natürlichen Grenzen der
–
Alpenregion hinweg Bedeutung haben. Die Alpen dienen als Modell, an
advertising, in museums, in the centres of tourism and as they are
dem beispielhaft für andere Regionen die Veränderungen eines Gebiets
und seiner Landschaft, wie auch deren Wahrnehmung durch seine Einwoh-
the landscape of the mountain; the Alps as they are presented in
presented in science; the cliché aspect of the mountains
–
ner und Besucher gezeigt wird.
the conquered mountain: the attempt to control and to tame the
mountains (avalanches, land-slips)
–
the inhabited mountain; the mountains as a vacation location or as a
permanent place of residence, a place of work and recreating and of
The Alps are the largest natural ecological system on the European
Continent and also represent the continent’s major reserve of biodiversity.
fun; but the uninhabited mountain too as a fictitious location
–
the underground mountain; the Alps regarded from within (tunnels,
–
the mountain the inhabitants identify themselves with; a location
They are also the most anthropogenic mountainous area and one of the
most important recreation and tourism areas in the world. The original
bunkers, mines, underground laboratories)
image of the Alps as a pure and undisturbed location in perfect harmony
where customs that are thousands of years old, such as the high Alpine
with nature began to fuse with other important images during the course
pasturing of animals and ancient religious practices still survive
of the 19th century: the notion of the Alps as a place of relaxation and
Alpi deals with subjects that are of significance far beyond the natural
diversion; the Alps as a pleasure park, the “playground of Europe”, initially
borders of the Alpine region. The Alps serve as a model and an example for
the preferred destination of a small and exclusive elite, but then – from
other regions of the change an area and its landscape has passed through
the second half of the 20th century onwards – increasingly a location for
and the perception of it by both its inhabitants and visitors is shown.
“every-man and woman”.
14
15
a.m. / p.m.
Belgium, 2004, 45‘45‘‘
Herman Asselberghs (*1962 in Mechelen, Belgium) lives and works in Brussels
Photography: Els Opsomer, Soundtrack: David Shea, Sound: Boris Debackere
Photographien von Großstadtlandschaften werden systematisch gescannt
und zeigen Ansichten von Bürogebäuden, Wohnhäusern, dunklen Ecken,
beleuchteten Fenstern und Wolkenkratzern. Auf der Tonspur hört man
eine Frauenstimme, die ihre Geschichte und die der Welt erzählt, die von
aktuellen Bildern und einer Reise spricht. Sie berichtet über ihre Ängste,
die von Katastrophenmeldungen ausgelöst werden, über die emotionale
Erschöpfung als Folge der Bilder aus Grosny, Kabul, Bagdad, New York,
Oklahoma City oder Tokio. Die Stimme berichtet auch über Déjà Vu-Erlebnisse der nicht abreißenden Katastrophenmeldungen, die sich nur durch
die steigende Anzahl der Amateuraufnahmen unterscheiden, die aus allen
erdenklichen Perspektiven das Ereignis dokumentieren. Ein Leben in einer
Umgebung der ständigen Beobachtung, der Kontrolle durch eine permanente Kameraüberwachung.
Ihr Monolog ist die fiktionalisierte Version der Eindrücke, die Asselberghs
auf einer Reise nach Palästina sammelte. Ganz bewusst wählte er das Medium Film, um in einem absolut minimalistischen audiovisuellen Zugriff die
explosive und mediatisierte Situation in dieser Region zu zeigen. Die Tatsache, dass er eine distanzierte Perspektive schafft, indem er anstatt seiner
eigenen Stimme die einer Frau verwendet, und die Abkehr vom gängigen
dokumentarischen Stil ermöglichen einen komplexen Zugriff auf seine Ansichten und Gefühle bezüglich des israelisch-palästinensischen Konflikts.
In den Hochhäusern wechselt nur das Licht von der Nacht zum Tag. Wir
sehen keine Menschen, nichts regt sich in dieser leblosen, urbanen Welt,
die dem Auge keinen Halt gibt. Von den Bildern, wie von der Stimme der
Protagonistin geht eine Un-Eigentlichkeit aus, die Suche nach Identität in
einer Welt der seriellen Katastrophe. a.m. / p.m. ist ein minimalistischer
audiovisueller und gleichzeitig ein komplexer Kommentar zu Fragen der
durchdringenden Medialisierung und des sich darin verlierenden Subjekts.
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19
Photos of cosmopolitan cityscapes are systematically scanned and display
views of office blocks, flats, dark corners, illuminated windows and
skyscrapers. On a soundtrack you hear a woman’s voice recounting her
story and that of the world; about images of today, about a journey. She
tells of her anxieties, triggered by reports of catastrophes, and of emotional
exhaustion as a consequence of seeing images from Grozny, Kabul,
Baghdad, New York, Oklahoma City or Tokyo. The voice also reports about
déjà vue experiences of the never-ending reports of catastrophes, which
can only be distinguished by the increasing number of amateur footage
that documents the event from all conceivable perspectives. A life in an
environment of constant observance, of control through permanent video
surveillance.
Her monologue is a fictionalised version of the impressions that Asselberghs
picked up during his trip to Palestine. He consciously chose for the film
to show the explosive and mediatized situation in the region by taking
an absolutely minimalist audio-visual approach. The fact that he creates a
detached view by using a female voice instead of his own, coupled with
deviating from a run-of-the-mill documentary style, produces a complex
approach to his ideas and feelings on the Israeli-Palestinian conflict.
In the skyscrapers the light only changes from night to day. We see no
people, nothing moves in this lifeless, urban world, in which the eye has
nothing to rest upon. Both the images and the voice of the protagonist
emanate a non-essentiality, the search for identity in a world of serial
catastrophes.
a.m. / p.m. is a minimalist, audio-visual and, at the same time, a complex
commentary on issues of piercing mediatisation, and on the subject lost
therein.
20
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D’Annunzios Höhle / D’Annunzios Cave
Germany, 2004 / 2005, 52’
Heinz Emigholz (*1948 in Achim, Germany) lives and works in Berlin
Cinematographers: Irene von Alberti, Heinz Emigholz, Elfi Mikesch,
Klaus Wyborny, Editing: Jörg Langkau, Sound Design: Frank Kruse
Der Film D‘Annunzios Höhle mit Untertitel Lifestyle als Autobiographie –
Gabriele d‘Annunzio (1863-1938) zeigt fünfzehn Räume der 1921 von
Gabriele d‘Annunzio bezogenen und bis zu seinem Tod bewohnten Villa
Cargnacco in Gardone am Gardasee. Die Villa ist Bestandteil des Vittoriale,
eines musealen Themenparks zu Ehren d‘Annunzios, mit dessen Gestaltung
und Ausstattung d‘Annunzio selbst zusammen mit seinem Leibarchitekten
Giancarlo Maroni fast zwei Jahrzehnte lang befasst war.
Am 24. Juni 2002 fand in der Villa Cargnacco eine kinematografische
Jam-Session statt, in der vier befreundete Kameraleute und Filmemacher
(Irene von Alberti, Elfi Mikesch, Klaus Wyborny und Heinz Emigholz) in
ihren jeweils sehr spezifischen Stilen die Räume der Villa und ihr Inventar
zeitlich versetzt gleichzeitig dokumentierten. Der Film D‘Annunzios Höhle
ist aus der Fülle des so gewonnenen Materials heraus entstanden. Eine
DVD-Ausgabe des Films wird neben dem fertigen Film die Aufnahmen auch
nach Kamerapersonen getrennt zeigen, um ein Studium ihrer sehr unterschiedlichen Kameraarbeit zu ermöglichen.
D’Annuzios Höhle ist der neueste Film in der Reihe Photographie und jenseits von Heinz Emigholz. „Diese Filme – und das ist jetzt schon fast das
‚Mission Statement‘ der Photographie und jenseits-Serie – könnten Teile
eines neuartigen Denkgebäudes bilden. Es sind Filme, die es ermöglichen,
in dem vorgeführten Raum zu denken.“
Heinz Emigholz schreibt über seinen Film: „Anders als Goff in der Wüste
bildet der Film D’Annunzios Höhle seinen Gegenstand nicht nur ab, sondern
setzt ihn in den Zusammenhang politischer Monologe über Lifestyle als
geschmackspolizeiliche Anstrengung. Der Grund für die sehr unterschiedliche Form der beiden Filme liegt in der Verschiedenheit der aufzuzeigenden
Phänomene.
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Die von Gabriele d’Annunzio errichtete Welt besteht zum großen Teil nur
respective very specific styles. The film D’Annunzio’s Cave resulted from the
aus Projektionen und Kulissen, die ohne mitgelieferte Interpretationen ihr
wealth of material thus produced. A DVD edition of the film will show, along
Dasein als Gerümpel offenbaren. Er gestaltete eine Abfolge von Räumen,
with the completed film, the footage of each cameraperson individually, to
denen er Gefühle und Tätigkeiten per Verordnung zuwies. Durch innen-
enable the viewer to study their quite disparate camerawork.
architektonische Maßnahmen wird versucht, die ideale Umgebung für
D’Annuzios Cave is the most recent film in the series Photography and
einen Schriftsteller zu erschaffen. Die Konzentration des ‚Schreibens‘ soll
beyond by Heinz Emigholz. „These are films which – and this is almost the
sich dabei in einer Sammlung von Büchern, Objekten, Kultgegenständen
‘mission statement’ of the Photography and beyond series – could build
und Fetischen objektivieren. Wie kleine Schocks sollen diese Gegenstände
parts of a new kind of thought structure. These are films which make it
den ständigen Fluss der Erinnerungen und die Aktualität von Kultur wach
possible to think in the space being shown.”
halten. Sie werden zum Statthalter der Schriftstellerei. Diese Repräsenta-
Heinz Emigholz writes about his film: “Unlike Goff in the Desert,
tion des menschlichen Geistes ist dabei nicht als eine ‚private‘ gedacht,
D’Annunzio’s Cave not only depicts its object, but also places it in the
sondern steht für eine politische Offensive in die Welt der zu Erleuchten-
context of political monologues about lifestyle as an effort to police taste.
den. D’Annunzios ‚Privatheit‘ wird zu einem politischen Raum und zum
The reason why the two films have such different forms is the difference
Propagandavehikel eines bestimmten Seins. Dieses Sein leitet sich von einer
between the phenomena shown.
politischen Machtsphäre ab - einer eindeutigen Interpretation des Wirk-
The world erected by Gabriele d’Annunzio, consists primarily of nothing but
lichen, die sich der Gewalt verdankt und darin übergeht.“
projections and backdrops that, if no interpretations are provided, reveal
D’Annunzios Höhle folgt in seinem Ablauf der Abfolge der Räume in der
their existence as hodgepodge. He designed a sequence of rooms to which
Villa Cargnacco: Vestibül, Zimmer des Maskenverkäufers, Musikzimmer,
he allotted feelings and activities by fiat. Interior architecture measures the
Zimmer der Weltkugel, Zambracca, Apollinische Veranda, Zimmer der Leda,
attempt to create the ideal surroundings for a writer. The concentration
Blaues Bad, Zimmer des Aussätzigen, Reliquienzimmer, Dalmata-Oratorium,
of ‘writing’ is thereby supposed to be objectified in a collection of
Schreibzimmer des Verstümmelten, Werkstatt, Zimmer der Cheli und
books, objects, cult objects, and fetishes. Like little shocks, these objects
Küche.
are supposed to keep awake the constant flow of memories and the
timeliness of culture. They become the plenipotentiaries of authorship. This
The film D‘Annunzios Cave with the subtitle Lifestyle As Autobiography –
representation of the human spirit is not conceived as ‘private’, but stands
Gabriele d‘Annunzio (1863-1938) shows fifteen rooms of the Villa
for a political offensive into the world of those who are to be enlightened.
Cargnacco in Gardone on Lake Garda, where Gabriele d’Annunzio moved
D’Annunzio’s ‘private sphere’ becomes a political space and a vehicle of
in 1921 and lived until his death. The villa is part of the “Vittoriale”, a
propaganda for a particular way of being. This way of being is derived from
museum-like theme park honoring d’Annunzio that d’Annunzio himself
a sphere of political power – an unambiguous interpretation of reality born
and his personal architect Giancarlo Maroni spent almost two decades
of and becoming violence.”
designing and furnishing.
D’Annunzio’s Cave is structured according to the sequence of rooms in
On June 24, 2002 a cinematographic jam session ensued in the Villa
the Villa Cargnacco: vestibule, mask merchant’s room, music room, globe
Cargnacco; four friends – camerapeople and filmmakers (Irene von Alberti,
room, Zambracca, Apollinian veranda, Leda’s room, blue bath, leper’s
Elfi Mikesch, Klaus Wyborny, and Heinz Emigholz) – documented the villa’s
room, reliquary room, Dalmata Oratorium, the maimed one’s writing room,
rooms and inventory at the same time, but temporally staggered and in their
workshop, room of the Cheli, kitchen.
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Architecture of Riot (Trilogy)
USA, 2001-2005, 35’
Erika Philhower Vogt (*1973 in New Jersey) lives and works in Los Angeles
Die Trilogie handelt von ideologischen Dualitäten. Sie vergleicht Sehnsüchte
mit Enttäuschungen, Hoffnung mit Versagen und Verzweiflung. Alles wird
innerhalb der modernen Institution, der Zwischen-Stadt und dem projizierten Bild reflektiert und ist diesen gleichzeitig eingeschrieben. Mit dem Film
sollen in gleichem Maße das Medium Video, das Bild und der Stadtraum
untersucht werden.
Die Trilogie besteht aus drei Teilen. Jeder Teil stellt einen sich entfaltenden
architektonischen, urbanen und filmischen Raum dar. Der erste Teil – eine
5 Minuten lange Aufnahme aus einem Zug heraus – beginnt mit absoluter
Stille, so dass sich das Filmische erst mit Abfahrt des Zuges konstituiert und
schließlich mit der unerwarteten Richtungsänderung durchsetzt, indem es
den Blick auf die Landschaft und auf das entfernt liegende, gespenstisch
wirkende Los Angeles freigibt. Der zweite Teil handelt vom ehemaligen California State Building in Downtown LA, in dem einst zahlreiche Sozialeinrichtungen und Ämter untergebracht waren. Obwohl es mehrere Jahre
leer stand, war das Gebäude bis April 2002 intakt. Für den dritten Teil der
Trilogie wurden Aufnahmen aus fünf Gebieten entlang des Passaic River
außerhalb von Manhattan zu einer fiktiven Vorstadt montiert.
Das Video gibt nicht den tatsächlichen Grundriss der dargestellten Räume
wieder, sondern ist ebenso konstruiert wie die Gebäude und städtischen
Räume, die es zeigt. Es wurde ausgehend von bestimmten Vorstellungen
von Institutionen oder einer Stadt im Schneideraum produziert. Die Bedeutung des Videos hängt eng mit der Erfahrung des sich in einer bestimmten
Zeit entfaltenden Raumes zusammen. Die Bedeutung des ehemaligen California State Building beispielsweise erfährt man erst durch das Ummontieren der Räume und den Umgang mit Bewegung im Standbild. Wie wichtig
die Institution war, wird erst erkennbar, wenn das Gebäude aus großer
Entfernung im Kontext der äußeren Stadt sichtbar ist.
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Die Trilogie ist in mehrfacher Hinsicht sowohl dem Text als auch der Mon-
The video does not represent the actual plan of the represented spaces. The
tage nach eine Zusammenfügung von „cut-aways“; der Versuch, etwas
video is as constructed as the buildings and urban spaces that it puts forth.
mit Nichts zu sagen, indem man das Fragmentarische und die „cut-aways“
It was created in the editing room based on the ideas about the institution
zusammenfügt. Im traditionellen narrativen Film sind die „cut-aways“ oft
and the city. The video’s meaning is married to this experience of space
ein rein visuelles Moment, um einen flüssigen Erzählraum zu schaffen. Sie
unfolding in time. In the former California State Building, for example, one
füllen die Zeit von einer Handlung zur nächsten. Während des Schneidens
gets a sense of the building through the reassemblage of its rooms and the
kann man jedes „cut-away“ durch ein anderes austauschen, weil in diesen
positioning of movement within stillness. However, the implications of the
Aufnahmen keine Handlung vorkommt. Der Begriff des „cut-away“ an
institution are not fully realized until the building is seen from miles away
sich bedeutet, dass man darüber verfügen, es wegwerfen kann. Die damit
and situated in the context of the external city.
verbundene Geringwertigkeit erinnert mich an die vorherrschende Einstel-
In many ways, in both what I tape and how it is put together, the Trilogy
lung zu Video an sich.
is an assemblage of “cut aways”; of trying to say something with nothing
Der Titel – Architecture of Riot – suggeriert einen zukünftigen rebelli-
by editing together the fragmentary and disposable. In traditional narrative
schen Staat: einen, der im Verlust gegenwärtiger Hoffnungen wurzelt.
film, the “cut away” is often a purely visual moment used to create a fluid
(Erika Vogt)
narrative space. It fills the time from one action to the next. During the
editing process, you can often exchange one for another since there is
no dramatic action in the shot. The very idea of the “cut away” implies
This Trilogy is about ideological dualities. It juxtaposes aspiration with
something disposable. This notion of expendability reminds me of the
disillusionment, hope with dysfunction and despair. All are reflected by
prevailing attitude towards video.
and inherent within the modernist institution, the interstitial city, and the
The title – Architecture of Riot – suggests a future state of rebellion: one
projected image. It is as much a study of video and the image as it is of the
that has its beginnings in the loss of contemporary hopes. (Erika Vogt)
urban environment.
The Trilogy is comprised of three sections. Each section presents an unfolding
architectural, urban, and filmic space. The first section – a five minute long
shot from a train – starts with a pervasive stillness so that when the train’s
movement begins the film is established and ultimately re-established as
it unexpectedly changes direction, revealing the landscape and a distant,
spectral Los Angels in the process. The second section is about the former
California State Building, located in downtown LA, which once housed
many social service agencies and state offices. Although vacant for several
years, the building remained greatly intact until April 2002. For the third
section of the Trilogy, shots from five areas along the Passaic River located
outside of Manhattan where edited together to construct one fictitious
outer city.
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Atomic Park
France, 2004, 8‘47’’
Dominique Gonzalez-Foerster (*1965 in Strasbourg) lives and works in Paris
Visual animation: Yanis Lerochereuil, Sound: Christian Manzutto, Mix: Mickaël
Barre
Atomic Park ist ein Nationalpark, eine weiße Wüste, ein natürlicher Ausstellungsraum, in dem jede Präsenz, jede Bewegung unterschiedliche
Interpretationen und unterschiedliche Betrachtungsweisen des Rahmens
hervorrufen kann. Wie ein weit entferntes Echo: der anklagende und verzweifelte Monolog Marilyn Monroes über die Gewalt der Männer in Nicht
gesellschaftsfähig.
Die international bekannte Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster ist
daran interessiert, wie Räumlichkeiten die Gefühle im Allgemeinen und das
Begehren im Speziellen strukturieren. In einer Reihe von Arbeiten beschäftigt sie sich mit “tropical modernity“ (tropischer Modernität), die aussagt,
was passiert, wenn modernistische Architektur in der Peripherie landet.
Während mehrere frühere Arbeiten den Fokus darauf richten, wie eine
komplexere Modernität entsteht, mit Gefühlen und Schönheit als wichtigen Komponenten im Gegensatz zu Autorität und Kontrolle, bewegt sich
Atomic Park (White Version) auf einer anderen “fehlenden“ Ebene von Modernität. Atomic Park (White Version) wurde in White Sands, dem Teil einer
Wüstenregion in Neu Mexiko, gedreht, wo der fast blendende, weiße Sand
nichts davon erzählt, dass hier einmal eine Atombombe gezündet wurde.
Permanent auf Reisen, haben sich in Gonzalez-Foersters Arbeiten die Architekturen, Design, Stadt- und Parkanlagen, in denen die Moderne weltweit
Spuren hinterlassen hat, zu einem hybriden Amalgam geformt, das an den
beweglichen, prozesshaften, subjektiv aufladbaren Aspekten dieser Manifestationen interessiert ist, an den „tropischen“ Aspekten, die den Orten
Potenzialität verleihen. So wie die Künstlerin die Kunst als „Metabolismus
des Realen versteht“, ist auch in ihren Arbeiten die Erfahrung von Raum
und Zeit „metabolisch“. Wir befinden uns in einem Prozess des ständigen
Austauschs und Wandels, aber auch der „Erwärmung“ durch individuelle
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Erfahrungen, die sich in den Filmen und Fotografien der Künstlerin durch
reflects the transmutable, processual aspects of these manifestations,
Fiktionen, Begehren, Wünschen und Träumen angesichts der Bildwelten
highlights their subjectivity and testifies to her interest in the tropical aspects
von Mega-Großstädten und Landschaften erfahren lässt. Copacabana, Rio
that lend places potential. In the same way that she understands art as the
de Janeiro, Acapulco, Mexiko City, Kyoto, Tokio, Hong Kong und auch Tai-
metabolism of the real, the experience of space and time in her works is
peh, Chandigarh und Istanbul sind Orte, die Dominique Gonzalez-Foerster
also metabolic. We find ourselves in a process of constant exchange and
bereist hat. Aber auch mentale Reisen liegen dem Schaffen der Künstlerin
change but also of warming up through individual experiences that can be
zugrunde, das ebenso stark Literatur (Joris-Karl Huysmans, Virginia Woolf,
experienced in the artist’s films and photographs through fictions, desires,
Paul Auster, Haruki Murakami, Adolfo Bioy Casares, Marguerite Duras, Paul
wishes and dreams inspired by the visual worlds of mega-metropolises
Bowles, Raymond Roussel u.a.) wie Film (Rainer Werner Fassbinder, Tsia
and landscapes. Copacabana, Rio de Janeiro, Acapulco, Mexico City,
Ming-Liang, Takeshi Kitano, Alain Resnais, Chantal Akerman, Abbas Kia-
Kyoto, Tokyo, Hong Kong but also Taipeh, Chandigarh and Istanbul are
rostami, Michelangelo Antonioni u.v.a) als Bezugspunkte kennt und so ein
places Dominique Gonzalez-Foerster has visited. Yet the artist’s work also
Raum-Zeit-Fiktion-Realität-Kontinuum realisiert, das in einem permanenten
references inner journeys, giving equal weight to literature (Joris-Karl
Wechsel von Verortung und Entortung von Landschaften, Narrationen und
Huysmans, Virginia Woolf, Paul Auster, Haruki Murakami, Adolfo Bioy
Charakteren Zwischenräume als offene Bereiche anbietet.
Casares, Marguerite Duras, Paul Bowles, Raymond Roussel and others)
and film (Rainer Werner Fassbinder, Tsia Ming-Liang, Takeshi Kitano, Alain
Resnais, Chantal Akerman, Abbas Kiarostami, Michelangelo Antonioni
Atomic park is a national park, a white desert, a natural exhibition site
and many more), and thus creates a space-time-fiction-reality continuum
where each presence, each movement can provoke different interpretations
that permanently alternates between rooting and uprooting landscapes,
and a re-reading of the frame. Marilyn Monroe’s accusatory and desperate
narrations and characters, offers in-between spaces as public areas.
monologue about male violence in The Misfits sounds like a distant echo.
The international wellknown artist Dominique Gonzalez-Foerster is
interested in how space structures feelings in general and desire in particular.
In a series of works she has focused on “tropical modernity”; that is what
happens when modernist architecture lands in the periphery.
Whereas several earlier works have focused on how a more complex
modernity emerges, with feelings and beauty as important components,
despite authority and control, Atomic Park (White Version) moves within
another “missing” side of modernity. Atomic Park (White Version) was
filmed in White Sands, a section of a desert in New Mexico, where the
almost blinding white sand keeps quiet about the fact that an atomic bomb
was detonated there.
Forever on the road, Gonzalez-Foerster has incorporated into her work
the architectures, design, cityscapes and park landscapes in which vestiges
of Modernity are to be found. The art thus forms a hybrid amalgam that
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Ausziehen
Germany, 2004, 6‘58‘‘
Jochen Dehn (*1986 in Kiel, Germany) lives and works in Hamburg and Paris
and Monika Gintersdorfer (*1967 in Lima, Peru) lives and works in Hamburg and
Abidjan, Côte d’Ivoire
Mit Ausziehen, einer Liebesgeschichte für Körper und Wohnzimmer,
With Ausziehen, a love story for body and living room, we began to work
haben wir im Oktober 2003 in Hamburg angefangen, an Rekolonisation
on Rekolonisation in Hamburg in October 2003.
zu arbeiten.
We imagine that there is a membrane separating public space from the
Wir stellen uns vor, dass zwischen öffentlichem Raum und Privatsphäre eine
private sphere
Membran ist.
We get to know it when we tear this membrane. If we know this membrane,
Durch Verletzungen dieser Membran lernen wir sie kennen. Kennen wir die
we also know the contours of the room.
Membran, kennen wir auch die Umrisse der beiden Räume.
We are able to reduce distance.
Wir verringern Distanz.
Penetration, implosion and sickness are the possibilities that exist for an
Penetration, Implosion und Krankheit sind Möglichkeiten des Umgangs mit
encounter with this thing that is forever imposing itself as a barrier. They
diesem Ding, das immer dazwischen ist. Als Metaphern sind sie uns lieber
are more attractive metaphors for us than destruction, since they always
als Zerstörung, da sie weniger rebellisch klingen. (Jochen Dehn)
sound less rebellious. (Jochen Dehn)
Rekolonisation, ein wechselndes Team um Monika Gintersdorfer und
Rekolonisation, a constantly changing team around Monika Gintersdorfer
Jochen Dehn, ist eine Gruppe von Interventions- / Performance- und Video-
and Jochen Dehn, is a group of intervention / performance and video
künstlern aus Hamburg, die vor allem im öffentlichen Raum arbeiten. Mit
artists from Hamburg, the focus of whose work is always public space.
anarchistischem Humor, Selbstironie und Poesie rekolonisieren sie regulier-
They re-colonise regulate and controlled locations in the city with a mixture
te und kontrollierte Orte in der Stadt. Ausziehen zeigt Jochen Dehn und
of anarchic humour, self-irony and a feeling for the poetic. Ausziehen – the
Monika Gintersdorfer, wie sie eine verwohnte Mietswohnung renovieren,
title is a German word play on moving house and removing everything –
bevor sie diese schließlich abzureißen beginnen und letztendlich vollständig
shows Jochen Dehn and Monika Gintersdorfer, as they busy themselves
zertrümmern.
with the renovation of an ordinary rented flat, before beginning to pull it
apart and finally destroying it completely.
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Bei tempi / Good Times
Italy, 2004, 31’
Alessandro Cassigoli (*1976 in Florence) and Dalia Castel (*1975 in Jerusalem)
live and work in Berlin
Soundtrack: Luca Corrado, Gabriele Di Majo, Editing: Dalia Castel, Sound Editing:
Antonio Chiaramonte, Marino Marolili
Abu Dis ist ein arabisches Dorf im Schatten des Jerusalemer Ölbergs. Nach
Beginn der zweiten palästinensischen Intifada beschloss die israelische Regierung, mitten im Dorf eine zwei Meter hohe Mauer zu errichten, die
Abu Dis in zwei Hälften trennte. Viele Dorfbewohner wohnten ab da auf
der einen Seite und ihr Geschäft oder Unternehmen befand sich auf der
anderen.
Wir begleiteten drei von ihnen in ihrem alltäglichen Leben um die Mauer
herum: Isaak, einen jungen palästinensischen Kaffeehändler, Neta, einen israelischen Aktivisten aus Machsomwatch (Checkpoint Watch) und Yousef,
Tankstellenbesitzer.
Eineinhalb Jahre nach ihrem Bau war die Mauer nicht mehr die trennende
Grenze, als die sie geplant war. Männer, Frauen, Kinder und Alte kletterten jeden Tag über die Mauer, um nach Jerusalem zu kommen. Denn de
facto war es nicht mehr verboten, über die Mauer zu klettern. Die Mauer
war einfach da, um im Alltag gewöhnlicher Leute Frustration und Leid zu
erzeugen. Aber in Abu Dis hatten sich die Leute auch an das gewöhnt. Die
Mauer war ein Teil ihres Lebens geworden.
Ein weiterer Aspekt der durch die Mauer hervorgerufenen Situation war,
dass die jungen israelischen Soldaten, die am Checkpoint beinahe 2 Jahre
lang Dienst versahen, mit vielen ansässigen Palästinensern Freundschaft
schlossen.
Abu Dis spiegelt das allgemeine Chaos des israelisch-palästinensischen
wider, für den keine Regeln gelten und der höchst verwirrend ist. Ob man
von der einen Seite auf die andere kommt, das kann sich von einem auf
den anderen Augenblick ändern, ebenso wie die Dokumente an einem Tag
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gültig und am nächsten Tag ungültig sind. Nichts ist sicher und alles ist so
Another aspect of the situation the wall has created is that the young Israeli
kompliziert, dass man manchmal überhaupt nichts mehr versteht.
soldiers that have been on guard at the checkpoint for almost two years
Als wir Yousef, Isaak und Neta begleiteten, erkannten wir, dass diese
have become friends with many of the local Palestinians.
Situationen, die zunächst absurd und unerklärlich erscheinen, komplett
Abu Dis reflects the general chaos of the Israeli-Palestinian conflict in which
normal werden, wenn Menschen tagein tagaus mit ihnen zurecht kommen
well-defined rules don’t exist and confusion is standard. One moment you
müssen.
can get through to the other side, the next moment you can’t, today your
Anfang Jänner 2003 wurde in nur fünf Tagen aus 8,5 Metern großen
documents are valid, tomorrow they’re not, nothing is certain and everything
Betonplatten eine neue Mauer gebaut. Für Isaak, Yousef und die übrigen
is so complex that sometimes it seems impossible to understand.
Bewohner von Abu Dis bedeutete die Errichtung dieser Mauer, dass sie von
Spending time with Yousef, Isaac, and Neta we realized how these daily
nun an definitiv in einem echten und eigenen Getto leben mussten – mit
situations, which initially seem absurd and inexplicable, can become
allen Konsequenzen. Es sind nun alle Geschäfte geschlossen und das Ge-
completely normal as people need to function and live, day by day, no
biet, in dem unsere Protagonisten arbeiteten, ist komplett verwaist. Dort,
matter what the situation.
wo es mit dem geschäftigen Treiben in nur ein paar Tagen aus und vorbei
At the beginning of January 2003, in only five days time, a new wall was
war, erinnern wir uns nun an die alte zwei Meter hohe Mauer: Ja, das
built by eight and a half meter slabs of concrete. For Isaac, Yousef, and
waren noch Good Times! (Cassigoli / Castel)
the rest of the population of Abu Dis, the construction of this barrier
meant their definitive closure in a real and proper ghetto with all of the
consequences. All shops are closed now, the area where our protagonists
Abu Dis is an Arab village situated in the shadow of Jerusalem’s Mount
worked is completely deserted. And as silence replaces the bustle of the
of Olives. Following the start of the second Palestinian Intifada, the Israeli
community living there just a few days before, we remember the old two
government decided to build a two-meter wall right in the middle of the
meter wall. Yes, those were Good Times. (Cassigoli / Castel)
village that divided Abu Dis into two sides. Many village residents found
themselves living on one side of the town, while their shop or business was
on the other.
We followed the day to day life that surrounds the wall through three
main people: Isaac is a young Palestinian coffee vendor; Neta is an Israeli
activist from Machsomwatch (Checkpoint Watch) and Yousef the owner of
a gas-station.
A year and a half after its construction, the wall is no longer a dividing
border as it was intended to be. Today, men, women, children, and the
elderly tiresomely climb the wall every morning in order to get to Jerusalem.
In fact, climbing the wall nowadays is no longer prohibited. The wall is
left there to create frustration and suffering in the daily lives of ordinary
people. But in Abu Dis, people have got used to this too. By now, it is part
of everyday life.
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BerlinBeirut
Germany, 2003 / 2004, 23’
Myrna Maakaron (*1974 in Beirut) lives and works in Berlin
Music & Sound: Frank Maakaron, Editing: Simone Klier, Camera: Jutta Trankle
In ihrem filmischen Essay BerlinBeirut stellt die libanesische Filmemacherin
In her film essay BerlinBeirut the Lebanese film maker Myrna Maakaron
Myrna Maakaron die Gemeinsamkeiten und Kontraste der beiden Städ-
juxtaposes the common points and the contrasts of the two cities. In doing
te gegenüber. Dabei lässt die Regisseurin und Autorin die Handlungsorte
so the director and writer allows the locations where the action takes place
durch Parallelmontage scheinbar ineinander verschmelzen. Auf Maakarons
to apparently melt into each other through use of a parallel film editing
Erkundungstour mit dem Fahrrad spielen neben ihren sehr persönlichen
technique. On Maararon’s bicycle tour of discovery it is in addition to her
Betrachtungen der Städte, die beide mit „B“ anfangen und sechs Buchsta-
very personal observations, above all the similarly turbulent pasts of these
ben haben, vor allem deren ähnliche, bewegte Vergangenheit eine große
two cities both of which begins with a B and has six letters in its name,
Rolle. Berlin und Beirut wurden durch Kriege völlig zerstört, in Ost und
which plays the major role. Berlin and Beirut were both totally destroyed by
West geteilt und wieder aufgebaut.
war, divided into east and west zones and were then reconstructed.
Mit zauberhaftem Charme und einer sehr persönlichen und phantasievol-
Myrna Maakaron narrates her life in Berlin and Beirut with an enchanting
len Filmsprache erzählt Myrna Maakaron von ihrem Leben in Berlin und
charm and using a very personal film language that is full of fantasy. She
Beirut. Sie vermittelt uns auf humorvolle Weise, was es heißt, mit einer
lets us know in a very humorous manner what it means to live with both an
alten und mit einer neuen Heimat zu leben. Die Spuren des Krieges und die
old and a new home. The traces of war and the peculiarities of the people
Eigenheiten der Menschen an beiden Orten vermischen sich und am Ende
in the two cities mix and at the end of the film we share Myrna Maakaron’s
geht es uns wie Myrna Maakaron: Beirut ist uns so nah wie Berlin.
feeling: Beirut is as close to us as Berlin.
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The Block#1
Chile, 2003, 25‘
Fabrizio Gallanti (*1969 in Genoa, Italy) and Francisca Insulza (*1970 in Ann
Arbor, USA) live and work in Santiago de Chile
Camera & Sound: Sebastián Varela, Editing: Titi Viera-Gallo
Ein Gebäude kann für die Stadt, in der es steht, repräsentativ sein. Nicht
nur hinsichtlich seiner Architektur, sondern auch hinsichtlich der Gesellschaft, die in der Stadt lebt, und des Wandels, der dort stattfindet. Das ist
die zentrale Hypothese des Projekts The Block.
The Block#1 ist die erste Episode einer geplanten Reihe und ist den Bewohnern des Gebäudes Augustinas Moneda in Santiago de Chile gewidmet. Es
soll damit eine Situation aufgezeichnet werden, die entgegen der augenscheinlichen Stabilität vorübergehend und vergänglich ist; auf diese Weise
soll ein Ausschnitt aus Zeit und Raum im Zentrum einer sich rasch ändernden Metropole festgehalten werden. Und Santiago ändert sich rasch. Wie
in anderen lateinamerikanischen Städten ziehen Funktionen und Bewohner
aus dem Zentrum in reichere Vorstädte um. Der langsame Niedergang hat
direkte Auswirkungen auf die Bausubstanz und die Bewohner.
Das Augustinas Moneda Gebäude, ein Monolith aus den 20er Jahren, ist
eine eigene riesige Welt mit dunklen Innenräumen. Angestellte – manche
arbeiten bereits seit 35 Jahren in dem Gebäude – Bewohner, Passanten,
kleine Gauner, Prostituierte, pittoreske Vereine und Verbände, altmodische
Geschäfte drängen sich in mehr als 100 winzigen Büros und Wohnungen
entlang eines über 100 m langen Korridors. Mehrere Interviews mit einigen
Angestellten der 35 Sicherheits- und Hausverwaltungsangestellten und mit
Geschäftleuten im Haus bilden das erzählerische Rückgrat des Films, das
durch Aufnahmen des materiellen Zustandes und der Räumlichkeit des
Baus unterbrochen wird. Der Dokumentarfilm hat die Absicht, eine Übergangssituation, einen Zustand der Erwartung und Nostalgie zu beschreiben,
die für die beschleunigten Prozesse in ganz Santiago charakteristisch sein
könnten. Der Film folgt den stillen, riesigen, gut erhaltenen Innenräumen
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und hält fest, wie sich der Bau nach und nach leert und aufgegeben wird,
hilflos verdeckt unter dem Mantel veralteter Respektabilität.
A building can be representative of the city that contains it: not only in
terms of its architecture but also of the society that lives in said city and
the transformations that take place there. This is the central hypotheses
of the project The Block. The Block#1 is the first episode within a possible
series. It is dedicated to the community of the Augustinas Moneda Building
in Santiago de Chile and intends to record a condition that in spite of an
appearance that seems stable could be transitory and ephemeral; to freeze,
in this way, a fragment of time and space in the center of a metropolis that
is rapidly transforming. Santiago is rapidly changing: its center, as it occurs
in several other Latin-American cities, is loosing activities and population,
which are moving towards the more affluent suburbs. This slow decadence
affects directly the built matter and its population.
In the case of the Agustinas Moneda Building, a massive hunk of built matter
dating from the late 20s, a whole world is contained within its vast and
gloomy inner spaces. Staff – some working in that building since 35 years –
users, occasional passer-bys, small-time crooks, professionals, picturesque
associations and organisations, out of time shops are compressed within
more than 100 tiny offices and apartments, spanned along over a 100
meters long corridor. Several interviews, realised with different members
of the 35 persons personnel dedicated to the security and maintenance of
the building and with some of the shopkeepers installed in the premises
constitute the narrative backbone of the movie, intersected by takes
aimed to picture the material conditions and spatiality of the building.
The documentary intends to describe a transitory situation, a state of
expectation and nostalgia, which appears to summarise the accelerated
processes that are affecting the entire city of Santiago. Wandering through
the silence of its gigantic and preserved interiors, the movie fixes on tape
the estrangement of a creeping abandonment, feebly concealed below a
crust of outdated respectability.
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Buildings and Grounds
Das Gedicht von Walt Whitman, das mit den Worten ‚Buildings and
Grounds‘ beginnt und endet, ist ein Teil seiner großen Gedichtsammlung
USA, 2003, 45’
Ken Kobland (*1946 in New York) lives and works in New York
Leaves of Grass; es ist für mich eine Hymne an das Gespinst des menschlichen Bewusstseins und an die umfassende Kontinuität der menschlichen
Erfahrung im Verlauf der Zeit. Eine sehr schöne, tief empfundene, die
Koblands ruhiges, meditatives Video ist eine philosophische Erkundung,
Zeit negierende Umarmung ‚unserer‘ gemeinschaftlichen (und hier denkt
ein Reisefilm über Schicksale und letztlich ein Filmessay in der Tradition
Whitman an uns alle) Existenz auf der Erde. In meinem Film ist dieses Ge-
Alexandr Sokorovs oder des späten Godards. Buildings and Grounds
dicht zugleich ein rettender Psalm und eine ironische Klage. Auf eine Art
verbindet lange, schöne Ausschnitte aus Stadtszenen, Industrieanlagen,
ist der ganze Film so etwas wie eine ironische Klage, eine Erzählung voll
Wüsten und anderen sinnträchtigen Landschaften mit einer Reihe frag-
von Zweifeln und Widersprüchen, verdrängter Bedeutung, verdrängten
mentarischer Ruminationen aus Filmen solcher Koryphäen wie Fassbinder,
Erscheinungen. Wenn am Ende die Ordnung der Dinge quasi mit chirurgi-
Fellini, Bergman und Tarkovski. Der Text wird als einheitliches tagebuchar-
schen Mitteln wiederhergestellt ist und Ansprüche auf göttliche Wahrheit
tiges Begleitwerk zum Bild dargestellt und materialisiert sich einerseits als
und Rechtschaffenheit mit der Befähigung zu katastrophal zerstörerischer
englischsprachige Untertitelung, andererseits als Stimmen aus dem Off aus
Gewalt (und einer Bereitschaft, sie zu nutzen) gekoppelt sind, wenn wir
den Originalfilmen. Koblands Fragen und Abschweifungen schweben über
wissentlich und nur um unsere ‚Bedürfnisse’ zu befriedigen, den Planeten,
dem Bildmaterial, aus der jede menschliche Gestalt oder Bewegung ent-
auf dem wir leben, mit Abfall zudecken und uns buchstäblich neu erschaf-
fernt wurde, und entwerfen eine schöne, melancholische Welt.
fen – dann frage ich mich, ob vielleicht selbst die simple Gewissheit von der
Buildings and Grounds ist für Ken Kobland „ein Grübeln, eine Aneinander-
Kontinuität und Gemeinsamkeit des Bewusstseins nichts als eine süße, aber
reihung geborgter ‚Dialoge’, die dem ständigen Gespräch entstammen,
welkende Illusion ist...“
das ich mit mir selbst führe.“ Der Film mäandert, im geistigen wie im physischen Sinne, während er über die Bedingungen des Menschseins, über
Vergänglichkeit, Bewusstsein und Sehnsucht reflektiert. Landschaften tau-
Kobland‘s quiet, meditative video is a philosophical investigation, a
chen darin als Provokation und als Orte der Kontemplation auf. Zwischen
travelogue of sorts, and, ultimately, a probing essay-film in the tradition of
Landschaft und Gedanken, das heißt zwischen der radikalen Präsenz der
Aleksandr Sokorov or late Godard. Buildings and Grounds pairs lingering,
physischen Welt und der Idee, gibt es häufig Distanz, Zweifel oder Ironie.
beautifully framed shots of urban scenes, industrial installations, deserts,
„Ganz besonders interessierte ich mich für die philosophischen und ethi-
and other evocative landscapes with a series of fragmentary ruminations
schen Dilemmata dieser technologischen Zukunft, dieser neuen Welt und
drawn from film luminaries such as Fassbinder, Fellini, Bergman and
ihren Themen wie Autorität, Legalität und Verantwortung; Themen, mit
Tarkovsky. Presented as a unified diaristic acompaniment to the image, the
denen wir teilweise schon heute konfrontiert sind, mit denen wir aber
text comes to us both as English-language ‘subtitles‘ and, simultaneously, as
früher oder später in einem gigantischen Ausmaß rechnen müssen, wenn
voice-off appropriated from the original films. Floating over an image track
biotechnogenetische Manipulation ein technisch fantastisch ausgereiftes
virtually evacuated of all human form or movement, Kobland‘s questions
und allgegenwärtiges Verfahren sein wird.
and digressions call up a beautiful and melancholy world.
Also begann ich zu lesen: wissenschaftliche Abhandlungen, ethische Texte,
For Ken Kobland “Buildings and Grounds is a rumination, a series of
futuristische Entwürfe und utopische und distopische Szenarios.
borrowed ‘dialogues’ out of an on-going argument with myself.” It
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meanders, mentally and physically, reflecting on the conditions of being
human; on transience, consciousness and desire. It uses landscapes as
provocations, as sites of contemplation. And between the landscape and
the thought, i.e. between the radical presence of the physical world and
the idea, there is, more often than not, a distance, disbelief, or irony.
“I was particularly interested in the philosophical and ethical dilemmas of
this technological future, of this new world, with its issues of authority,
legality, and responsibility; issues which we already face now in circumscribed
ways, but which we will face sooner or later on a gigantic scale, as biotechnogenetic manipulation becomes fantastically skillful and ubiquitous.
So I began reading from various sources, scientific extracts, ethical texts,
futuristic schemes, and utopian and dystopian scenarios.
The Walt Whitman poem that begins and ends ‘buildings and grounds’ is
a chapter from his very long poem Leaves of Grass, and is, to me, a hymn
to the web of human consciousness and to the enfolding continuity of
human experience over time. A very beautiful, deeply felt, time-negating
embrace of the commonalty of ‘our’ (and here Whitman is thinking of
all of us) existence on earth. And in my film it is both a saving psalm and
an ironic lament. In a way all of Building and Grounds is a kind of ironic
lament, a ‘narrative’ of doubts and contradictions, displaced meaning and
appearances. In the end, I wonder, as the order of things is unwound and
surgically remade, and as claims to divine truth and righteousness become
coupled with the capability for catastrophic destructive violence (and a
willingness to use it), as we consciously lay waste to the planet we walk
on in the name of satisfying our ‘needs’, and literally fabricate ourselves
anew, perhaps even the simple, dependable certainty of continuity and
commonalty of consciousness is no more than a sweet but withering
illusion...”
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La bulle et l’architecte
France, 2003, 52’
Julien Donada (*1969 in Antibes, France) lives and works in Paris
Montage: Mélanie Braux, Music: Pascal Trystram
Mit seiner Idee, die Architektur an die einzelnen Menschen anzupassen,
With his idea to adapt architecture to individuals, Pascal Häusermann
hat Pascal Häusermann Bauten erfunden, deren runde Formen beliebig
invented structures whose round forms match anyone’s expectations:
kombinierbar sind. Der Erfolg seiner Blasen war so groß, dass er sie im
his bubbles were so successful that he started mass production in the
Laufe der 60er Jahre serienmäßig herstellte. Julien Donada zeigt sie uns
60s. Julien Donada introduces us to buildings situated chiefly in the East
hauptsächlich im Osten Frankreichs in Begleitung des Erfinders, der die in
of France, in the company of their author who comments the ideas still
seinem Werk noch immer vorhandenen Ideen kommentiert.
present in his work.
Das Prinzip ist einfach: Die ökonomischste Form der Natur ist die Kugel,
The principle is simple: to use the most economical form of nature, the
und mit ihr baut man am billigsten. Durch die Erfindung benutzerfreundli-
sphere, is sufficient for somebody who wants to build the cheapest of
cher Räume kann Pascal Häusermann die Baukosten so weit senken, dass
all buildings. By inventing user-friendly spaces, Pacal Häusermann cut
seine Blasen leistbare Waren werden. Die besuchten Häuser zeigen die
down the construction costs in order to produce a commodity affordable
verschiedenen Aspekte, die die auf dem Boden oder auf Pfeilern stehenden
for everyone. The houses visited show all aspects of these organic forms
organischen Formen aus einer Betonhülle mit Plastikhaut angenommen
consisting of a concrete envelope with plastic skin and standing on the
haben. Sein eigenes Wohnhaus ist Ausdruck einer gewissen Lebensfreude
ground or on piles. His own house is an expression of a certain “joie de
und kann entsprechend den Bedürfnissen jedes Familienmitglieds erweitert
vivre” and can be extended to cater for the needs of each member of the
werden.
family.
Die Aufstellung dieser freien Bauten hat die Verwaltung damals ziemlich
The creation of his free structures deeply disturbed the straitjacket of
gestört. Paul Häusermann brachte nämlich die herkömmlichen Lebens- und
administration at that time. Paul Häuserman upset the standards by
Bauweisen durcheinander. In rund 15 Jahren baute er Dutzende Häuser,
inventing ways of living and building. For some 15 years, he built dozens
eine Tagesklinik, ein Restaurant, ein Wandertheater, ein Hotel. In den 70er
of houses, a polyclinic, a restaurant, a mobile theatre, a hotel. In the 70s,
Jahren war es für seine Kunden zunehmend schwierig, eine Baugenehmi-
his clients found it increasingly difficult to get a building permit. So he was
gung zu bekommen. So war er gezwungen, diese Art Häuser aufzugeben
forced to stop building this kind of houses and turned instead to urbanism
und sich dem Städtebau und anderen Berufen zuzuwenden. Heute lebt
and other professions. Today, Häuserman shares his time between Geneva
Häusermann in Genf und Madras, wo er wieder Häuser baut. Der Film
and Madras where he is again building houses. The film follows him on his
folgt ihm auf seinen Reisen in die Schweiz, nach Frankreich, New York und
trips to Switzerland, France, New York and India. Through his architecture,
Indien. Durch ihn erfahren wir, dass man mit seiner Architektur in dieser
the film shows us another way to live in society.
Gesellschaft auch anders leben kann.
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Buren et le Guggenheim / Buren and the Guggenheim
France, 2005, 52‘
Stan Neumann (*1949 in Prague) lives and works in Paris
Im März 2005 widmete das Guggenheim Museum New York Daniel Buren
eine außergewöhnliche Ausstellung. Die Vorbereitungen dazu dienen als
Raster für den Film. Wir sehen, wie sich der Künstler der Architektur des
Museums bemächtigt, wie er im Schaffensprozess laut denkt und uns so an
seiner spezifischen Betrachtungsweise von Raum und Form Teil haben lässt.
Die Vorbereitungen zur Ausstellung im März 2005 dienen uns als Raster
wie die Werke Burens selbst, um die komplexe Landschaft, die sie gleichzeitig entdecken und verbergen, zu zerteilen, in Form zu bringen und zu
interpretieren.
Der erste Ausstellungsversuch Burens 1971 im Guggenheim endete in
einem spektakulären Akt der Zensur. Seitdem rufen Burens Projekte mit
schöner Regelmäßigkeit Polemiken und Skandale hervor. Dabei ist sein
Werk weder blasphemisch, noch hat es mit Sex oder Blut zu tun. Es besteht
aus einfachen „optischen Anordnungen“, die die Routine des Blicks stören.
Was aber haben diese einfachen strengen Streifen an sich, dass sie die
Angepassten so sehr durcheinander bringen?
In March 2005, the Guggenheim Museum in New York dedicated an
exceptional exhibition to Daniel Buren. The preparation of this event forms
the grid of the film. We see the artist taking possession of the architecture
of the museum, thinking aloud in his creative process, and sharing with
us his particular way of seeing space and form. Just as Buren’s columns
reveal and at the same time conceal the landscape, the preparation of
the exhibition in March 2005 will form our grid, for cutting, shaping and
interpreting the complex landscape.
The first exhibition project at the Guggenheim in 1971 ended in a
spectacular act of censorship. Since then, Buren has continued to provoke
polemics and scandals with a remarkable consistency. Yet his work is neither
blasphemous nor sexual nor bloody. It is just about “visual arrangements”
that disturb the routine of the view. But what are they all about, these
simple chaste stripes, how come that they disturb right-thinking people?
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Chain
auf den Gedanken gebracht, das ganze Material zu einer Superlandschaft
zu montieren.“
USA / Germany, 2004 / 2005, 99‘
Jem Cohen (*1962 in Kabul, Afghanistan) lives and works in Brooklyn
Music: Godspeed You! Black Emperor
Durch diese kaum besiedelte Superlandschaft nun streifen die beiden Protagonistinnen von Chain. Amanda (Mira Billotte), eine junge Amerikanerin,
die in einem Abbruchhaus an den Rändern einer Shopping Mall lebt und
bald hier bald dort schwarz Hilfsarbeiten verrichtet. Sie führt ein Tagebuch
Jem Cohens außergewöhnlicher Spielfilm Chain ist ein Blick in die Zukunft
in Form eines Videobriefes, den sie für ihre Schwester zusammenstellt.
im Hier und Heute, den der Autor Chris Marker und Humphrey Jennings
Tomiko (Miho Nikaido) ist eine leitende Angestellte, die von ihrer Firma
widmet. Er zitiert Walter Benjamins Passagenwerk und Barbara Ehrenreichs
auf die Straße gesetzt wird, während sie Recherchen über die internati-
Nickel and Dimed in der Literaturliste. Nennen wir ihn einen „momentanen
onale Themenparkindustrie anstellt. Sie ist auf einer Fact-Finding-Mission
Schock“. Eine melancholische Fotocollage von Geschäften, Malls und be-
für eine nicht weiter bekannte japanische Firma, die ein Stahlwerk in einen
tonierten Raumkonglomeraten ballt sich zu einer anonymen Atmosphäre,
Freizeitpark umbauen möchte; als die Firma aus unerklärlichen Gründen
einer desolaten spirituellen Vorhölle zusammen, die überall sein könnte.
den Kontakt mit Tomiko abbricht, liegt sie untätig in ihrem Hotelzimmer
Überall. Jem Cohens Film entfaltet erst dann seine ganze Kraft, wenn man
herum und streift ziellos an Rändern breiter Straßen, die nur für Autos
im Nachspann liest, dass die anonymen Landschaften der Filialen großer
gebaut wurden, entlang. Beide Frauen haben gleichermaßen Entfremdung
Handelsketten und Autobahnauffahrten aus 11 amerikanischen Bundes-
erfahren und erzählen in Chain abwechselnd in einem irritierenden Tonfall,
staaten und Frankreich, Deutschland, Polen, Australien und Kanada zu
der ebenso monoton und flach ist wie die Räume, in denen sie wohnen.
einer Landschaft montiert wurden. Chain hat die homogenisierten Zwi-
Cohen sagt: „Wenn ich ein Filmprojekt habe, gehe ich oft von einem
schenräume zwischen den privaten und öffentlichen Räumen zum Inhalt
politischen Abstraktum aus, wie ‚Kapitalismus‘ oder ‚Globalisierung‘, um
und zum Schauplatz: Shopping Malls, Hotelkomplexe, Themenparks, die
es von Grund auf zu analysieren. Aber nicht in einem akademischen oder
multinationale Konzerne entsprechend ihrem global vermarkteten Logo
politischen Sinne, sondern nur, um herauszufinden, wie die Leute in und
und Image umgebaut haben, wodurch die regionale Farbe zu einem Beton-
mit dieser Abstraktion leben. Ungefähr alle vier Tage wird irgendwo auf der
grau verkommen ist. Chain ist ein Hybrid aus Sach- und Dokumentarfilm
Welt eine Wal-Mart-Filiale eröffnet, und doch bleiben die eigentlichen Orte
und eine brillante, unbehagliche Verdrehung des „location shoot“, Chain
dieser Entwicklungen oft merkwürdig unsichtbar. Langsam erscheint es uns
hat aber auch etwas von einer Horrorgeschichte à la Ballard an sich.
unvermeidlich oder geradezu natürlich, von Einkaufszentren umgeben zu
Mit dem Verschwinden des Regionalen und der Vereinheitlichung unserer
sein. Anstatt sich diesem Phänomen in der Art eines klassischen Dokumen-
Stadtlandschaften durch den Einfluss der Konzernkultur ist es zunehmend
tarfilms mit Fakten, Experten und Argumenten zu nähern, erzählt Chain
schwieriger zu sagen, wo man sich befindet. In Chain verschmelzen die-
die Geschichte zweier Frauen, deren Leben von dieser besonderen Art der
se Gebäude multinationaler Konzerne in der ganzen Welt zu einer ein-
Umgebung gestaltet wird.
zigen monolithischen Gegenwarts-Superlandschaft, die das Leben zweier
Während ich an dem globalen Projekt arbeitete, aus dem sich Chain entwi-
darin aufgenommener Frauen bestimmt. „Mitte der 90er Jahre habe ich
ckelte, begann die US-amerikanische Regierung ihre eigene globale Vision
begonnen diese Landschaften zu sammeln, und ich kam darauf, dass ich
zu erarbeiten. Beschrieben wird sie als eine Mission, mit der ‚Freiheit und
überallhin auf dieser Welt reisen und lange filmen konnte, ohne dass man
Demokratie’ auf der Welt verbreitet werden sollen. Chain handelt nicht
herausfand, aus welcher Gegend die Aufnahmen stammten. Das hat mich
‚von Amerika’, aber ich begann mich damals zu fragen, inwieweit die Mis-
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this
underpopulated
superlandscape
are
Chain‘s
sion meiner Regierung etwas mit der Entstehung einer Welt zu tun hat, die
Wandering
der in meinem Film beschriebenen mehr und mehr ähnelt.
protagonists. Amanda (Mira Billotte) is a young American, a young drifter,
two
Genauso wichtig war mir das Leben der beiden sehr unterschiedlichen, von
living and working illegally on the fringes of a shopping mall in abandoned
der Gesellschaft auf einmal im Stich gelassenen Frauen, die mich immer mehr
housing, floating between menial jobs; she keeps a diary in the form of
interessierten. Wie ist es, ganz und gar unvoreingenommen Zeit mit ihnen
the video-letter she composes for her sister. Tomiko (Miho Nikaido) is a
zu verbringen? Wofür kämpfen sie? Was haben sie erlebt? Woran erinnern
businesswoman set adrift by her corporation while she researches the
sie sich? Was tun sie, wenn sie allein sind? Chain ist mein erster Film mit
international theme park industry. She is on a fact-finding mission for an
Handlung. Chain ist ein Dokumentarfilm. Chain ist ein politischer Film.“
unidentified Japanese company that wants to convert a steel mill into a
leisure park; when the firm unaccountably ceases contact with Tomiko, she‘s
Dedicated to Chris Marker and Humphrey Jennings, and namechecking
left idling in her hotel room and roaming the edges of vast roads built solely
Walter Benjamin’s Arcades Project and Barbara Ehrenreich’s Nickel and
for cars. The two women, equally alienated, take turns narrating Chain in
Dimed in the end credits, Jem Cohen’s extraordinary feature Chain is a
tones as unnervingly flat and featureless as the spaces they inhabit.
glimpse of the future, here and now. Call it “Present Shock”. A melancholy
Cohen says: „Often with my filmmaking I take a political abstract, like
photo collage of chain stores, malls, and conglomerated concrete spaces
‘capitalism’ or ‘globalization’, and look at it from ground level, rather than
unfurls as a single, anonymous ambiance, a desolate spiritual limbo that
an academic or political point of view. Just to see how people are living this
could be anywhere. Anywhere and everywhere, in fact. The full power
abstraction. Somewhere, Wal-Mart opens a new store roughly every four
of Jem Cohen‘s feature film doesn‘t hit until the closing credits, which
days and yet the actual sites of such developments often take on a strange
reveal that the movie‘s anonymous landscape of chain stores and highway
invisibility. Their presence can begin to seem inevitable and even natural.
interchanges was shot in 11 American states and in France, Germany,
Rather than examining such phenomena through the facts, experts, and
Poland, Australia, and Canada. Chain takes as its subject and setting the
arguments of the traditional documentary, Chain tells the stories of two
homogenised interzones of privately owned public space – shopping malls,
women as their lives are shaped by this environment.
hotel complexes, theme parks – that multinational corporations have
While I worked on the global project that became Chain, the U.S.
remade in their own global-branded image, letting regional colour fade
government began to define a global vision of its own. They have described
to a concrete grey. A hybrid of fiction and documentary, and a brilliantly
it as a mission to ‘spread freedom and democracy’ throughout the planet.
discomfitting twist on the “location shoot”, Chain is also something of a
Chain is not ‘about America’, but I began to wonder how my government’s
Ballardian horror story.
mission is related to the creation of a world that looks increasingly like the
As regional character disappears and corporate culture homogenizes
one in my film.
our surroundings, it‘s increasingly hard to tell where you are. In Chain,
Just as importantly, I became more and more fascinated with the lives of
these buildings of multinational corporations worldwide are joined into
the two very different women who find themselves adrift in this world.
one monolithic contemporary superlandscape that shapes the lives of
What is it like to spend time with them, without judgments or preconceived
two women caught within it. “In the mid-1990s, I started to collect these
ideas? What are their struggles, their histories and memories? What do
landscapes, and I found that I could travel anywhere in the world and shoot
they do when they’re alone? Chain is my first narrative feature. Chain is a
footage that you couldn‘t identify in terms of where it came from. I thought
documentary. Chain is a political film“.
I could join all of that material together into a ‘superlandscape’.“
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Channel 14 (Single Version)
wird Träger dieser Erfahrung: dem Ende der Welt, in der die Lichter noch
UK, 2004, 7‘30’’
David Bickerstaff (*1959 in Melbourne, Australia) and Chris Wainwright (*1955
in Sheffield, UK) live and work in London
brennen und noch ein paar Vögel vor dem Vollmond fliegen.
Running through London’s centre is the once majestic arterial river Thames.
Now it is a vastly depopulated stretch of tidal water with isolated industry
Durch Londons Zentrum fließt die einst majestätische und wichtige Them-
and little commercial traffic other than that concerned with leisure. It is no
se. Der den Gezeiten unterworfene Fluss zieht sich durch ein verlassenes
longer a vital trade route and its wharves, warehouses and factories are
Gebiet mit einzelnen Industrieanlagen und wird kommerziell nur mehr für
rapidly making way for exclusive residential conversions. The apparent calm
den Tourismus genutzt. Er stellt keine wichtige Handelsroute mehr dar und
is misleading. This is a river in a terminal state as witnessed by its contingent
seine Uferpromenaden, Lagerhäuser und Fabriken werden rasch in exklusi-
and empty spaces.
ve Wohnviertel umgewandelt. Die Ruhe täuscht. Die Themse ist ein Fluss im
Channel 14 is a narrative work. The individual shots of this work are mostly
Endstadium, wie die flussnahen und unbebauten Grundstücke zeigen.
still photographs with small movement – smoke from a chimney, waves
Channel 14 ist eine Erzählung. Die einzelnen Einstellungen der Arbeit sind
on the water, birds flying. The camera is mostly static stressing horizontals
hauptsächlich fixe Bilder mit kleinen Bewegungen – Rauch aus einem
over diagonals, or when it moves this is a small formal movement that
Kamin, Wellen auf dem Wasser, fliegende Vögel. Die Kamera ist meist
does not follow action or stress one part of the image over another. With
statisch und unterstreicht die Horizontalen auf Kosten von Diagonalen.
the exception of repeated tracking shots in a deserted traffic tunnel, the
Wenn sie sich bewegt, dann im Sinne einer kleinen formellen Bewegung,
camera always stresses its “neutrality”, its lack of personality. Despite all
die unabhängig von der Handlung passiert und keinen Einfluss auf die
the images being from within the city – factories, radar masts, satellite
Bedeutung eines bestimmten Bildes nimmt. Mit Ausnahme wiederholter
dishes, apartment blocks – there are no people. Again we experience
Kamerafahrten in einem menschenleeren Autobahntunnel betont die Ka-
the quality of the photograph, just the photographer and the image, the
mera immer ihre „Neutralität“, ihre Objektivität. Obwohl alle Bilder aus
dispassionate observer. This is a universe with no smell, no touch, just
der Stadt sind – Fabriken, Sendemasten, Satellitenschüsseln, Wohnblocks
vision. Though there is a soundtrack, it is not the live sound of the image
– sind sie menschenleer. Das erinnert wiederum an das Foto, verweist auf
but musical tones that increase our separation from tactility and underline
das Verhältnis zwischen Fotograf und Bild, auf den Fotografen als unbe-
the mysterious visual separation of the image. In this evocative work we are
teiligten Beobachter. Es ist ein Universum, das nicht riecht, nicht berührt,
the only ghostly inhabitants of a desolate city. The isolation of image from
sondern nur gesehen werden kann. Obwohl es einen Soundtrack gibt, sind
context that is intrinsic to photography here becomes attached to – carries
es nicht die Bildgeräusche, sondern ist es die Musik, die unsere Trennung
– an experience of emotional isolation - the end of the world where the
vom Haptischen verstärkt und die geheimnisvolle visuelle Trennung vom
lights have not yet been switched off and where a few birds continue to fly
Bild unterstreicht. In dieser vieldeutigen Arbeit werden wir zu Geisterbe-
beneath a full moon.
wohnern einer desolaten Stadt. Die Abtrennung des Bildes vom Kontext,
die ein Wesensmerkmal der Fotografie ist, wird hier mit dem Ende der Welt
assoziiert – mit der Erfahrung emotionaler Abtrennung oder Isolation –,
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Chats Perchés
France, 2004, 58‘
Chris Marker (*1921 in Neuilly-sur-Seine, France) lives and works in Paris
Music: Michel Krasna
Der geheimnisvolle Monsieur Chat („Herr Kater“) – eine grinsende gelbe
Katze, die mysteriöserweise in den Wochen nach dem 11. September
2001 auf den Dächern von Paris auftauchte – bewog den Filmemacher
Chris Marker, ihn auf seinen Wegen zu verfolgen und Entwicklungen in
der französischen Politik und Kultur von dieser einzigartigen Perspektive
zu interpretieren. Chris Marker hält nach Hinweisen auf Monsieur Chat,
den anonymen Künstler (oder das anonyme Künstlerkollektiv) Ausschau,
die in den Straßen verschiedener französischer Städte Grinsekatze-Graffitis
hinterlassen haben. Das Katzengraffiti wird zum roten Faden, der Marker
durch die gegenwärtige französische Landschaft führt. Er bildet ausgehend
vom seltsamen Grafittis die jüngste französische Geschichte ab – Wahlen,
Demonstrationen, politische Skandale, etc.: von Le Pens Qualifizierung für
die Präsidentschaftswahl im April 2002 über Demonstrationen gegen den
Irakkrieg, die Demonstrationen der freien Dienstnehmer in der Filmindustrie und an den staatlichen Bühnen im Jahr 2003 bis zum Prozess Bertrand
Cantats. Marker will wissen, was die Menschen an- und umtreibt. Es ist
ein Filmtagebuch, in dem er gerne von frühen Filmtechniken, von der zum
Allgemeingut gewordenen Datenverarbeitung zu den neuesten digitalen
Bildverarbeitungsprozessen umschaltet, wobei er sich einer hintergründigen Dialektik bedient, die das unzähmbare Tier entlang der Energie der
Jugend in der Welt von heute aufstellt.
So wie sie sich den öffentlichen Raum zurückerobert haben, nehmen die
Tiere im Bild Platz, besetzen sie die Leerstellen. Die vom Dokumentarfilmer
neu eingeführte kindliche Taktik macht sich darüber lustig: Fixeinstellungen
über mehrere Sekunden, während derer der Zuschauer ins Spiel hineingezogen wird und die Katze auf dem Bild sucht, dann die Entdeckung durch
den Kunstgriff (zunächst ein Zoom, dann bleibt das Bild stehen) und der
Schnitt. Anders als bei einem einfachen informativen Dokumentarfilm, der
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sich mit einer platten Abfolge der Graffitis begnügen würde, spielt Marker
Vielseitig und gebildet, ist Marker auch Schriftsteller, Herausgeber, Kame-
und fordert den Zuschauer auf, mitzuspielen, die Augen offen zu halten.
ramann und Produzent.
In weiterer Folge wird sich herausstellen, dass seine Neugier belohnt wird.
Sobald man sich nämlich mit dem Schattenriss der Katze vertraut gemacht
hat, wird man, sofern man seine Sinne besonders schärft, den wirklichen
The enigmatic Monsieur Chat – a grinning yellow cat who appeared
Namen des Monsieur Chat entdecken!
mysteriously on the rooftops of Paris in the weeks after September 11th,
Monsieur Chat sieht ein letztes Mal, wie die Zeit vor seinen Augen vergeht
2001 – prompted filmmaker Chris Marker to trace its steps and explore
(und ein Bus das Bild von links nach rechts durchquert), ehe er seinerseits
developments in French politics and culture from its singular point of view.
mit seinem verheerenden Wüten konfrontiert wird: die Kamera dreht sich
Chris Marker goes looking for signs of “M. Chat”, the anonymous artist
zum Himmel, eine verkürzte Überblendung – und Monsieur Chat war ein-
(or collective) that has been leaving grinning graffiti felines on the streets
mal (unter Zutun der wachsamen Pariser Müllabfuhr, nota bene).
of French cities. The cat-tag becomes the unifying thread that leads Marker
„Erinnert Sie dieser Obskurantismus an etwas?“ fragt uns Marker damit.
through the contemporary French landscape. He is depicting the very recent
Sind wir noch im Spiel? Nicht wirklich: gefilmte, rohe, dreckige von durch-
French history – elections, demonstrations, state scandals etc. – through the
dringenden Geräuschparasiten infizierte Archive erinnern unser fernseh-
perceptive eye of this strange graffiti: From Le Pen’s April 2002 qualification
geschultes Gedächtnis an die jüngste Zerstörung der Jahrtausende alten
for the final round of the presidential election, to demonstrations against
riesigen Buddhastatuen. „Erinnern Sie sich, das war im letzten März!“, eine
the Iraq war, to the 2003 protests of seasonal film and theatre workers,
Ewigkeit also, weil wir das ja schon vergessen hatten. Wir haben jetzt eine
to the Bertrand Cantat trial. Marker is on a quest for whatever it is that
Vorstellung davon, wenn auch in kleinem Maßstab, was das bedeutet, dass
keeps people going. In the recording of his film diary, he enjoys switching
auch die Statuen sterben. Aus drei blutsverwandten Themen nährt sich
between early film techniques, the now commonplace DV, and the latest
Chris Markers Filmschaffen: Vergessen, Geschichte, Gedächtnis. Aus dem
digital effects, in a mischievous dialectic that lines up the untameable
kollektiven Gedächtnis, der Zeit und dem Film, dem abgekarteten Spiel der
animal alongside the energy of youth in today’s world.
kleinen Dinge, die „das Herz schneller schlagen lassen“, und den großen
Just as they re-appropriated the public space, the cats try to conquer the
Ereignissen…
frame and to fill empty spaces. The documentary maker plays with the new
Marker, der seit 1952 Dokumentarfilme dreht, ist Mitglied der „Left Bank“
naive means he introduced: static shots of several seconds, during which
der New Wave, wegen seiner linken Einstellung und seiner Arbeit, in der
the spectator takes part in the game and looks for the cat in the picture,
er soziale Themen mit formalen Experimenten verknüpft. Er hat in vielen
are interrupted by editing tricks (first, a zoom, then the picture freezes).
Ländern Filme gedreht, aber sein berühmtester Film, Le Joli Mai (1963), ein
Unlike as it is with simple informative documentary films about grafitti,
Porträt von Parisern im Mai 1962, ist ein Klassiker des realistischen Kinos,
which would lead to a flat sequence of tags, Marker makes his film for
weil es ethnographische Interviews mit dem auktorialen Selbstporträt ver-
fun and invites the spectator to enjoy them as such, but also to keep eyes
bindet. Für Marker, wie für Jean-Luc Godard, ist 1968 ein Wendepunkt:
open. The film further shows that curiosity is always worthwhile. Once the
Marker wendet sich dem kollektiven Filmemachen zu und gründet SLON. In
spectator has become familiar with the shape of the cat, and provided that
den 80ern und 90ern sind seine Filme, insbesondere Sans soleil (1983) und
he has sharpened his mind, he will be rewarded with a glimpse of the real
L’Héritage de la chouette / Das Vermächtnis der Eule (1988) komplexe Re-
name of Monsieur Chat!
flexionen über die Bildkultur (Film, Video, Fotografie) in der Postmoderne.
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Monsieur Chat sees time (a bus from left to right) passing by for the last time,
before he is confronted with what he has ravaged: the camera topples over,
showing the sky, a fade-in/fade-out used as an ellipsis, and Monsieur Chat
is no more (also because of the vigilance of the Parisian garbage collectors).
“This obscurantism – does it remind you of something?” asks Marker. Are
we still in the game? Not really: primitive, dirty TV archives, polluted by an
interfering strident sound, remind our selective cathodic mind of the recent
destruction of the thousand-year-old giant Buddha statues. “Remember,
that happened in March last year”, in other words, an eternity ago. Now
we can imagine, albeit on a smaller scale, what that means that “statues
also die”. Three intertwining subjects nourish Chris Marker’s films: oblivion,
history and memory. Collective memory, time and cinema, the collusion of
all those small things that “make your heart beat”, and of great events…
Marker, who has been making documentaries since 1952, is considered
a member of the “Left Bank” of the New Wave for his left-wing politics
and the way his work combines social issues with formal experiment.
He has shot films in many countries, but perhaps his most famous film,
Le Joli Mai (1963), is a portrait of Parisians in May 1962, a classic of cinémavérité in its blend of ethnographic interviews with the auteurist self-portrait.
For Marker as for Jean-Luc Godard, 1968 marked a turning point; Marker
turned to collective film-making with the founding of SLON. In the 1980s
and 1990s, his films, especially Sans soleil / Sunless (1983) and L‘Héritage
de la chouette / The Legacy of the Owl (1988), were complex reflections on
image culture (film, video, photography) in the post-modern era. Versatile
and cultured, Marker is also a writer and has worked at various times as
editor, cameraman and producer.
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Concrete Wall
Beton ausdrücken, die jene, die als „Andere“ wahrgenommen werden,
abtrennen und in bestimmten Situationen für jene durchlässig werden,
Israel / Germany / USA, 2005, 14‘
Edgar Endress (*1970 in Osorno, Chile) lives and works in Manassas, USA
die als dem Kontinuum zwischen „wir“ und „die da“ näher Stehende angesehen werden. Der wirtschaftliche Bedarf an Landarbeitern, der früher
mit Palästinensern gedeckt wurde, verursachte eine Neudefinition entlang
Das Video Concrete Wall war ein Versuch, sich auf dingliche und visuelle
dieses Kontinuums, und Immigranten finden einen Grenzraum zwischen
Darstellungen von Grenzen einzulassen. Die Trennmauer wird nicht nur
der ausschließenden Grenze und der einschließenden Gruppe der Einhei-
zum physischen Ort, an dem der palästinensisch-israelische Konflikt Gestalt
mischen, vom israelischen Standpunkt aus betrachtet. Die Schlägerung der
annimmt, sondern auch zu einer sozialen und politischen Repräsentation
Obstbäume steht für das Ende von Utopia und fällt zeitlich mit den errich-
des Endes der westlichen und des Anfangs der moslemischen Welt. Die
teten geistigen und physischen Mauern zusammen.
Mauer ist der Ausdruck einer zusätzlichen Bedeutung: jener als Denkmal
Concrete Wall ist Teil einer breiteren persönlichen Auseinandersetzung mit
für eine Geschichte der Trennung und der Ablehnung.
Grenzen in der ganzen Welt. Gegenstand dieser Auseinandersetzung sind
Das Video wurde während einer Fahrt durch das Westjordanland konstru-
beispielsweise haitianische Einwanderer in den Vereinigten Staaten und
iert. Der wichtigste Gedanke bestand darin, die Akkumulation der Zeit
peruanische Einwanderer in Chile. (Edgar Endress)
darzustellen, die zum Ereignis des Mauerbaus hin- und davon wieder weg
führt. In diesem Kontext verstehe ich „Ereignis“ als Abbildung durch die
Nachrichten oder durch die Medien, die die tatsächlich stattfindenden
The video Concrete Wall was an attempt to encounter tangible and visual
Prozesse erst in synchrone Ereignisse umwandeln. Diese aggressive Praxis
representations of borders. The dividing wall becomes not only the physical
schaltet die diachronen Prozesse aus, die aber ganzheitliche kontextuelle
place resulting from the Palestine-Israel conflict, but also a socio-political
Wesensbestandteile des Ereignisses sind. Die Akkumulation der Zeit vor
representation of the end of the West and the start of the Muslim world.
und nach dem Ereignis repräsentiert im Deleuze’schen Sinne „die Ellipsen“,
The wall expresses additional meaning as a monument to the history of
die das eigentliche Ereignis sind.
separation and denial.
Die Bilder werden mit Erzähltext durchsetzt, einer Geschichte eines israe-
The video was constructed in the process of driving throughout the West
lischen Bauern aus der Perspektive seiner Frau. Der Bauernhof lag an der
Bank of Israel. The main idea is to portray the accumulation of time that
Grenze zwischen Israel und Palästina. Der Bauer arbeitete eines Tages in
leads to and from the event. In this context, I understand the “event” as
seinem Obstgarten, als er plötzlich von palästinensischen Männern über-
the news or media portrayal, which essentialities the processes that are
fallen, niedergeschlagen und bepinkelt wurde. Ein philippinischer Landar-
taking place into synchronic events. This aggressive practice eliminates the
beiter fand ihn und half ihm. Wegen der schmerzlichen Erinnerungen an
diachronic processes that are integral contextual elements of the event. The
den Angriff schlägerte der Bauer die Bäume seines Obstgartens, den er so
accumulation of time prior to and after the event represents “the ellipses”
sehr geliebt hatte. Die Stichwörter in der Erzählung liefern einen wichtigen
that actually become the event, following the idea of Deleuze.
Hinweis auf die Art und Weise, wie die nebeneinander wohnenden Grup-
The images are layered with narrative text that provides the story of an
pen einander wahrnehmen. Die Palästinenser wurden als „Terroristen“
Israeli farmer from the perspective of his wife. The farm was located at
bezeichnet, der Filipino als „keiner von uns“, obwohl er dem israelischen
the border between Israel and Palestine. The farmer was working in his
Bauern half. Das ist das Echo innerer Mauern, die sich nach außen hin in
orchard one day when he was assaulted by Palestinian men who beat him
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and urinated on him. A Filipino worker found and assisted him. Ultimately,
as a consequence of the painful associations it held for him, the farmer
cut down the beloved orchard where he was attacked. The linguistic
cues in the narrative provide an important index to how these juxtaposed
groups perceive each other. The Palestinians were labelled “terrorists” and
the Filipino man was described as “not one of us”, although he aided
the Israeli farmer. These are verbal reflections of interior walls that gain
outward expressions in concrete, separating those perceived as “other“ and
becoming situationally permeable for those who are perceived as closer on
the continuum of “us“ and “them”. The economic need for field workers,
formerly filled by Palestinians, caused a redefinition along this continuum
and immigrants find a limited space between the exclusive border and
inclusive native group, from an Israeli perspective. The demolition of the
orchard represents the end of utopia that coincides with the erected mental
and physical walls.
Concrete Wall forms part of a broader personal exploration of borders and
limits throughout the world. This exploration includes immigrants from Haiti
to the United States and Peruvian migration into Chile. (Edgar Endress)
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Cultural Quarter
UK, 2003, 10‘
Mike Stubbs (*1958 in Bedford, UK) lives and works in Melbourne
Images: Schedule D Productions, Text: Dan Norton, Mike Stubbs, Editing: Pernille
Spence, Music & Audio: Dreams of Tall Buildings
In Cultural Quarter ist für Mike Stubbs der Traum einer kulturellen Stadt-
In Cultural Quarter, Mike Stubbs provides the dream of cultural city
renovierung eine negative Gleichung. In einem heruntergekommenen Vier-
renovation with a negative equation. In a run-down district full of the
tel voller abbröckelnder Reste eines Stadtentwicklungsideals einer früheren
crumbling remains of the urban-developmental idealism of an earlier period
Periode – Sozialwohnungen aus den 70ern – beobachten wir wie durch
– council flats from the 1970s – we observe, as if through a surveillance
eine Überwachungskamera aufgenommen den Tagesablauf einer Gruppe
camera, a group of inhabitants who pass their days on the street. Children
von Bewohnern, die ihre Tage auf der Straße verbringen. Kinder, die mit
having a ball with a broken-down car, while adults are standing around
einem kaputten Auto spielen, Erwachsene, die mit Biergläsern in der Hand
with glasses of beer in their hands and blank expressions on their faces. It
mit ausdruckslosem Blick herumstehen. Es ist genau das Bild, das Visionäre
is precisely the image that the visionaries of cultural renovation are aiming
kultureller Erneuerung zum Verschwinden bringen möchten.
to wipe out.
Stubbs zeigt uns, dass es nicht so sehr um die Szene selbst als vielmehr
Stubbs shows us that it is not so much the scene itself as the intercession
um unseren Blick geht, der sich dazwischenschaltet und unsere Wahr-
of our glance that determines our perception of it. These people are being
nehmung bestimmt. Diese Menschen werden beobachtet. Die Gesichter
observed; the faces of some of the inhabitants are “scrambled”, and now
mancher Einwohner sind zerknautscht, und hier und da sind die Bilder von
and then the images are accompanied by dramatic sounds. In this way,
dramatischer Musik begleitet. Auf diese Art und Weise begibt sich Stubbs
Stubbs enters into social mechanisms that will not come up for debate
in soziale Mechanismen hinein, die in den Sitzungszimmern der Planer nie
in the meeting rooms of the planners, but are certainly part of these
zur Sprache kommen, sicher aber Teil der Entwicklungen sind.
developments.
Die Arbeit greift ethische Fragen im Zusammenhang mit der Überwachung,
The work tackles ethical questions surrounding surveillance, the look and
dem Blick und dem menschlichen Verhalten auf. Das Video deckt auf, wie
human behaviour. The video reveals some of the gaps between the dreams
weit die Träume der Planer und die Meinung der Stadtbewohner bezüglich
of developers and the opinions of urban dwellers about what cultural space
der Bedeutung des kulturellen Raumes und seiner Nutzung auseinander-
means and how it should be used.
klaffen.
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99
Dammi i colori
Albania, 2003, 15’24’’
Anri Sala (*1974 in Tirana, Albania) lives and works in Paris
Anri Salas facettenreiche Arbeit besteht aus Fotografien und hervorragenden Filmen in digitaler Technik. In seinen Videoarbeiten erzählt Sala mit
äußerst sparsamen Mitteln vom Randgeschehen und Abseitigen. Es sind
Beobachtungen jenseits der geläufigen medialen Aufmerksamkeit.
Es ist die unspektakuläre Beiläufigkeit, die die Qualität seiner Bilder ausmacht.
Anri Sala dokumentiert in Dammi i colori ein urbanistisches Projekt in
seiner Heimatstadt Tirana, das über eine exzessive Farbgestaltung die
Wiederaneignung der Stadt durch ihre Bewohner zum Thema macht. Die
Arbeit entstand während einer Autofahrt mit dem derzeitigen Bürgermeister
Edi Rama, der selbst Künstler ist, und hinterfragt die aktive Rolle von Künstlern und Politikern im zeitgenössischen Urbanismus. Anri Sala unterlegt die
Bilder einer schier endlosen Kamerafahrt entlang der an sich trostlosen,
aber plötzlich bunt angemalten Häuserblocks in Tirana mit den Worten des
Bürgermeisters, der sich das Projekt mit den Farben ausgedacht hat.
Anri Salas Videoprojekt Dammi i colori entspricht keineswegs den unausgesprochenen Regeln und Vorgaben der „bewegten“ Medien. Es zeigt Tiranas sich verändernde Stadtfassaden, an denen sich das sich verändernde
soziale und politische Klima ablesen lässt. Die Arbeit ist um den Begriff des
Luxus eines gewöhnlichen Alltags herum konstruiert, der die zuvor herrschende Tyrannei ersetzt hat.
Das 15-minütige Video ist ein Streifzug durch die Straßen Tiranas in Begleitung des Bürgermeisters, der von der Leidenschaft der Stadt für Farbe erzählt, und sie in ihrer Neuerfindung als geeinte Gemeinschaft darstellt. Die
großen, halb verlassenen Wohnblöcke und Überbleibsel der Straßenzüge
werden durch den freizügigen Gebrauch farbiger Muster an den Hauswänden wiederbelebt. Zwar sind diese Muster nicht so stilisiert wie jene Gaudis
in Barcelona oder jene Hundertwassers in Wien, aber es steckt dahinter
102
sicherlich mehr Energie, Leidenschaft und Kraft als bei beiden Künstlern
Wiederholung als Stilmittel hat etwas Beunruhigendes, Einschläferndes
zusammen!
an sich. Sie ist nicht nur die Grundlage von Wiegenliedern, sondern auch
Die Farbmuster im Video werden nicht so präsentiert, als ob ein Slum aus
mancher Hypnosetechniken. Manchmal allerdings wird die Monotonie der
seinem Dornröschenschlaf erwachen und zu Starruhm gelangen würde.
Wiederholung irritierend, unerträglich, quälend. Der in Paris lebende alba-
Der Film ist eher grob. Da meistens bei Dunkelheit und in der Stille der
nische Künstler Anri Sala ist ein Meister in der Erzeugung hypnotisierender
Nacht gedreht wurde, erleuchtet die starke, künstliche Beleuchtung die
Formen der Wiederholung, die seltsame Zustände hervorrufen, er geht
Stadtlandschaft, ihre Erscheinung, Farbigkeit und Gliederung. Die fahle
aber nie so weit, dass er Schmerz bereitet.
geisterhafte Nacktheit der Bäume im Vordergrund erscheint wie ein Ge-
In seiner Arbeit erforscht Anri Sala politisches Potenzial, ohne die ästheti-
flecht aus Venen und Arterien eines negativen Raums und kontrastiert mit
sche Bedeutung aufzugeben. Während in seinen früheren Videos sein Blick
dem vibrierenden, mutigen Gebäude im Hintergrund.
auf individuelle Erfahrungen gerichtet war, in denen indirekt sozialpoliti-
Dammi i colori geht über einen narrativen Dokumentarfilm über den
sche Ereignisse mitklangen, ruft seine jüngere Kunst ein Zusammenfließen
Übergang vom Kommunismus oder die Erneuerung einer Stadtlandschaft
von Distanz und Intimität hervor, was sich in einer subtilen Mischung aus
hinaus. Der Film handelt von der Fähigkeit des Menschen, die Freiheit zu
Licht, Schatten und Ton ausdrückt.
genießen, sich mit pulsierendem Leben zu umgeben, und von unserer tie-
Anri Sala hat 2001 mit seinen ruhig-melancholischen, immer auch politi-
fen Liebe zum physischen und geistig-seelischen Raum, den wir „Heimat“
schen Videoarbeiten aus dem Schattenreich seltsam unbekannter Welten
nennen.
auf der Biennale in Venedig den Spezialpreis der Jury als bester junger
Mehr noch: Der Film verweist vorübergehend auf den Kulturzynismus. Edi
Künstler erhalten.
Rama spricht stolz vom künstlerischen Auftrag von Dammi i colori. Es gehe
darum, sagt er, zu beschreiben, dass „eine Stadt mit Wahlmöglichkeiten
eine Utopie ist, nicht eine Stadt des Schicksals.“ Es ist tatsächlich viel leich-
His multi-facetted work consists of photographs and striking films using
ter, die Integrität seiner Arbeit in Zweifel zu ziehen, als es sich zuzugeste-
digital technology. In his video works Sala uses very sparse means to tell
hen, für die unterschwellige Naivität dieser Arbeit offen zu sein. Die Arbeit
about the marginal, the remote. They are about observations beyond the
verlangt dem Betrachter ab, die grundlegende Bedeutung der Farbe als
usual attention of media. It is this unspectacular banality which makes his
Hommage an das Individuelle und an das Kollektive zu akzeptieren. Sie
shots so valuable.
postuliert, in die Bemühungen einer Gemeinschaft, sich ihre Straßen durch
Dammi i Colori is Anri Sala’s documentary of an urban project in his city,
solch einfache Maßnahmen wieder anzueignen, Hoffnung zu setzen.
Tirana, a project which has the excessive colours and the re-appropriation
Die Bilder des Künstlers stammen von vollkommen unterschiedlichen Orten
of the city by its inhabitants as subject. The film was shot during a car drive
der ganzen Welt, sei es von seinem Geburtsort, Tirana, sei es von North
in the company of Tirana’s mayor Edi Rama, who is an artist himself, and
Carolina oder dem Senegal. Obwohl seine Erzählungen in einer bestimmten
questions the active role of many artists and politicians in contemporary
Zeit und in einem bestimmten Ort verwurzelt sind, stellt die Verwendung
urbanism. Anri Sala underpins the shots of an almost endless camera
der Filmsprache, seine Feinabstimmung und Reduzierung dieser Orte, sicher,
tracking shot along the desolate, but now colourful painted blocks in Tirana
dass ihre Bedeutung allgemeingültig ist. Als konzentrierter, teilnehmender
with the mayor’s comment who has figured out the colour project.
Beobachter antwortet der Künstler auf die „Mini-Drehbücher“ der Realität,
Anri Sala’s video project, Dammi i colori, works against the unspoken rules
ohne dass er sie jemals einem richtigen narrativen Prozess unterzieht. Die
and formulas for creating “moving” media. It shows Tirana’s changing
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urban facades as a manifestation of its changing socio-political climate.
meaning is one of general validity. As a concentrated, involved observer the
The work is formed around the notion of the luxury of the banal quotidian
artist responds to the “mini-scripts” of reality without ever committing them
replacing the tyranny that had previously prevailed.
to a true narrative process. There is something soothing and even soporific
This 15-minute video traverses the streets of Tirana in the company of its
about repetition; it is, after all, the foundation not only of lullabies but
mayor, as he unfolds his account of this city’s passion for colour throughout
also of certain hypnotic techniques. Sometimes, however, the monotony of
its re-invention as a united community. The large semi-derelict apartment
repetition becomes irritating, unbearable, indeed, eventually torturous. The
blocks and remnants of city streets are being revitalized by liberal use of
Paris-based Albanian artist Anri Sala is an expert in creating mesmerizing
vivaciously coloured patterns on the walls; not as highly stylised as Gaudi’s
forms of repetition that produce strange states of mind, but he never goes
Barcelona or Hundertwasser’s Vienna but certainly with more energy,
so far as to cause pain.
passion and purpose than both put together!
In his work, Anri Sala explores political potential without abandoning
The colour patterns in the video are not presented in a manner that seeks
aesthetic significance. While in his earlier videos his gaze was directed
to cash-in on a Cinderella-style slum to stardom status. Rather, the filming
towards individual experiences that indirectly revealed socio-political events,
is executed in a rough-cut style. As it was mostly filmed in the darkness and
his more recent art causes detachment and intimacy to coincide by means
stillness of night, the video’s strong, artificial lighting clarifies the cityscape’s
of a subtle mix of light, shadow and sound.
shape, colour and pattern. The pale, ghostlike bareness of the trees in the
In 2001, Anri Sala’s quiet and melancholic, albeit political video works from
foreground appears as organically shaped veins and arteries of negative
the shadowy sphere of strange worlds were rewarded the special Jury price
space, contrasting with the vibrant, bold buildings behind them.
for the best young artist at the Venice Biennial.
Dammi i colori is about more than a documentary narrative concerning the
passing of communism or the regeneration of a cityscape. It speaks of the
human’s ability to rejoice in the freedom to surround ourselves with vibrant
life, and of our deep love for the physical and mental space that we call
“home”.
What is more, the film makes a passing reference to cultural cynicism. Edi
Rama speaks proudly of Dammi i colori’s artistic mission: to describe “a city
of choice and not a city of destiny is a utopia in itself”. Indeed, it is much
easier to be sceptical of the integrity of this work than to allow yourself to
be open to its underlining naivety. The work asks the viewer to accept the
fundamental importance of colour as a celebration of the individual and
the collective. It posits a manifestation of hope into a community’s efforts
to reclaim their streets through such simple measures.
The artist derives his images from totally different locations around the
world – be it his place of birth, Tirana, or North Carolina or even the Senegal.
Although his narratives are anchored in a specific time and place, his use
of cinematic language to carefully calibrate and reduce them ensures their
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Domino
Austria, 2005, 12’
Lotte Schreiber (*1971 in Mürzzuschlag, Austria) lives and works in Vienna
Sound: Stefan Németh
„Wenn man aus einem Ort bestimmte Assoziationen herauslöst, wenn
man sich unmittelbar mit seiner visuellen Erscheinung befasst, mit dem,
was Roland Barthes das ‚Simulakrum des Objekts‘ nennt, so ist“ – laut
Robert Smithson – „das Ziel, eine neue Art von Bauten als eine Gesamtheit
zu verstehen, die neue Bedeutungen erzeugt.“
Domino bezeichnet ein Konstruktionssystem aus Stahlbeton, das 1914 von
Le Corbusier entwickelte wurde. Diese Bauform revolutionierte die Architektur der Moderne, da die Wände von ihrer tragenden Funktion befreit
wurden und sich dadurch völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten auftaten.
Die Medienkünstlerin Lotte Schreiber begab sich für dieses Projekt auf
eine winterliche Reise durch Griechenland, um anonyme Architekturen,
jene dort häufig anzutreffenden Betonskelette, filmisch aufzuzeichnen. In
kargen Berg- und Küstenlandschaften findet sie diese unvollendeten, als
Wohnhäuser oder Hotelanlagen konzipierten Raumfragmente, die sich als
geometrische Fremdkörper in die mediterrane Umgebung einschreiben.
Sie nutzt mittels streng kadrierter Schwarzweißaufnahmen diese „primären
Strukturen“ als Rahmen und geografisches Bezugssystem für die umliegende Landschaft. Während die Betonkuben systematisch auf Super 8 Film
abgetastet werden, dokumentiert Schreiber die Autofahrt rund um den
Peloponnes und auf der Insel Kreta mit einer Digitalvideokamera. In der
metrischen Montage läßt sie die filmischen Materialien aufeinander treffen
und konstruiert eine exakte zeitliche Struktur. Während bei den stakkatoartig geschnittenen Videosequenzen der O-Ton zu hören ist, sind die Filmaufnahmen mit elektronischen Sounds von Stefan Németh unterlegt.
Dieses außergewöhnliche „Roadmovie“ ist der dritte Teil einer Versuchsreihe von Lotte Schreiber zur Erstellung von „filmischen Kartografien“.
(Norbert Pfaffenbichler)
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As Robert Smithson said, “if you trigger specific associations from a site, if
you deal directly with its visual appearance, with that which Roland Barthes
calls the ‘simulacrum of the object’, then the goal is to understand a new
type of structure as a whole, which generates new meanings”.
Domino describes a construction system of reinforced concrete developed
by Le Corbusier in 1914. This form of construction revolutionized modern
architecture, freeing the walls of their carrier function and thereby opening
up entirely new possibilities for design. For this project, the media artist
Lotte Schreiber undertook a journey in winter through Greece to film
anonymous architectures; the commonly found concrete skeletons.
These incomplete spatial fragments, conceived as residences or hotel
complexes, inscribe themselves into the Mediterranean surroundings as
foreign geometric bodies and are found in barren mountain and coastal
landscapes. Schreiber uses these “primary structures” as a framework and
geographical reference system for the surrounding landscape by means of
strictly framed black-and-white photographs. While the concrete cubes
are systematically scanned on Super-8-film, Schreiber uses a digital video
camera to document the car journeys around Peloponnesus and on the
island of Crete. In the metric montage, she allows the filmic material to
meet and constructs an exact temporal structure. Whereas the original
sound is audible in the staccato-cut video sequences, the film recordings
are set to electronic sounds by Stefan Németh.
This unusual “road movie” is the third part of a series of attempts by Lotte
Schreiber to create “cinematic cartographies”. (Norbert Pfaffenbichler)
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Gegen-Musik / Counter-Chant
Germany / France, 2005, 26‘
Harun Farocki (*1944 in Nový Jicin, in German-annexed Czechoslovakia) lives
and works in Berlin
Der neue Film von Farocki greift präzise und ohne Betulichkeit die Tradition der Stadtsymphonie wieder auf. Er huldigt damit Regisseuren vor ihm,
etwa Walter Ruttman mit Berlin. Die Sinfonie der Großstadt (1927) oder
Dziga Vertov mit Der Mann mit der Kamera (1929). Vergangenheit und Gegenwart begegnen sich auf dem zweigeteilten Bildschirm, in dessen Ausschnitten die Bilder miteinander zu sprechen scheinen. Der vorgegebenen
zeitlichen Logik folgend, so Thomas Elsässer, von in der Früh bis zur Nacht,
vergleicht Farocki seine Aufnahmen mit jenen Vertovs und Ruttmans.
„Ich erinnerte mich an die Städtefilme von Ruttmann und Vertov. Beiden
gelang es, die Stadt zu lesen und lesbar zu machen. Sie griffen alltägliche
Vorgänge auf, zeigten kaum etwas, das nicht jeder schon einmal gesehen
hatte. Sie schilderten nicht einen besonderen Tag, sondern einen wie jeden
anderen. Und dennoch waren die Filme erregend. Sie dramatisierten die
Gegenwart, indem sie in den unbestimmten Ereignissen die Kraftlinien
entdeckten und herausstellten.
Als Thomas Schadt in Berlin vor ein paar Jahren ein Remake von Berlin. Die
Sinfonie der Großstadt machte, versuchte er eine Rekonstruktion, suchte
für jede Sequenz bei Ruttmann eine ähnliche im heutigen Stadtbild. Man
kann auch heute Menschen zeigen, die aus den Verkehrsmitteln zur Arbeit
strömen, es ist aber zu deutlich, dass es heute die große Industrie in den
Städten kaum noch gibt. Und aus dem Maschinen-Rhythmus wird keine
Melodie mehr. Die Massengesellschaft ist nicht mehr staunenswert. Die
Entzerrung der Arbeitszeiten, die Unanschaulichkeit der meisten Arbeit, die
geringer gewordene Wohndichte, das nimmt den Nachbildern zu Ruttmann
die Kraft. Die Stadt ist heute ebenso rationalisiert und geregelt wie ein Produktionsprozess. Die Bilder, die heute den Tag der Stadt bestimmen, sind
operative oder Kontrollbilder: Repräsentationen zur Regelung des Verkehrs,
mit Auto, Eisenbahn, Metro, Repräsentationen zur Bestimmung der Höhen,
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auf denen die Transmitter der Funktelefon-Netze aufgestellt werden, zum
divided into two frames in which the pictures communicate with each
Erkennen der Löcher in den Funknetzen. Bilder aus Thermo-Kameras, mit
other. According to the same time frame, from dawn until night, Farocki’s
denen der Wärmeverlust der Häuser untersucht wird. Und digitale Nachbil-
film shows a contemporary equivalence of Vertov’s and Ruttman’s pictures.
dungen der Stadt, dargestellt mit weniger Haus- oder Dachformen, als im
(Thomas Elsässer)
19 Jh. zur Anwendung kamen, als die geplanten Industriestädte errichtet
“I was reminded of Ruttmann and Vertov’s city films. Both of these film
wurden, so auch die Agglomeration Lille. Trotz der Boulevards, der Prome-
makers succeeded in creating a reading of the city while at the same time
naden, Marktplätze, Arkaden und Kirchen sind diese Städte schon Wohn-
making it legible and accessible to their audience. They examined everyday
und Arbeitsmaschinen.
processes, scarcely ever showing anything that everyone had not already
Auch ich will also ein ‚Remake‘ der Stadtfilme, allerdings mit anderen Bil-
seen. It wasn’t the special day that they presented, but a day like any
dern. Schon die wenige Zeit und die beschränkten Mittel gebieten, sich auf
other. The films they made were nevertheless exciting. They dramatised the
ein paar wenige, exemplarische Kapitel zu beschränken. Fragmente, oder
present by discovering and focussing on the lines of force they detected in
Vorstudien.“ (Harun Farocki)
vague and indefinite events.
Farocki hat für uns bemerkt, wie Gefängnisse und Supermärkte, Videospiele
When Thomas Schadt made a remake of Berlin: Symphony of a Great City
und Kriegsschauplätze zu „Arbeitsplätzen“ von Personen und Waren wer-
in Berlin a few years ago, what he attempted was a reconstruction seeking
den. Es sind Räume, die sich überschneiden, sobald man erkennt, dass sie
a similar image from the city of today for every sequence in Ruttmann’s
alle derselben neuen Pragmatik der Zeit-Raumlogik der optimierten Erschlie-
film. It is of course possible to show people streaming to work from public
ßung, des optimierten Flusses und der optimierten Steuerung unterworfen
transport, but what is far clearer to us is that there are scarcely any major
werden. Von diesen Orten muss der Filmemacher Kenntnis nehmen und er
industries left in the cities of today. More than this: there is no longer
muss erkennen, dass er darin verfangen ist, aber das Gleiche gilt für den
melody in the rhythm of the machines. We are no longer astounded by a
Zuschauer, dessen Rolle sich so stark verändert hat. Wenn man durch die
society of the masses. Flexible working hours, the lack of a clear structure in
Arbeiten Farockis, die zu unseren Welten geworden sind, wandert, erkennt
most of the work done, lower population densities, all of these factors have
man, dass er heute möglicherweise einer der wenigen Filmemacher ist, die
combined to rob copies of Ruttmann’s images of their strength. The city of
in der Lage sind, die Logik dieser Überschneidung zu verstehen, indem sie
today is equally as rationalised and regulated as the production process.
die Unvermeidbarkeit bestreiten und genügend Vertrauen haben, weiterhin
The images that determine the day in the city of today are operative ones,
an den Witz, die Weisheit und die Poesie der Bilder zu glauben. Das genau
or control images. Representations of traffic regulation, either car, rail or
macht Harun Farocki zu einem wichtigen Filmemacher und möglicherweise
metro; representations of determining the heights at which transmitters for
zu Deutschlands bekanntestem Filmemacher. (Thomas Elsässer)
the mobile phone network are set up, for recognising holes in the mobile
network. Images from thermal cameras, which examine the heat loss of
buildings. Plus digital copies of the city displayed with fewer building or roof
Farocki’s most recent film has taken up the tradition of the urban symphony,
structures than were used in the 19th century when the planned industrial
but with great precision and without complacency. Farocki pays homage to
city was erected, as in the case of the Lille urban agglomeration. Despite
the film-makers before him, to Walter Ruttman with his Berlin: Symphony
the boulevards, the promenades, marketplaces, arcades and churches,
of a Great City (1927) and to Dziga Vertov with his Man with a Movie
cities have already become machines for living and working in.
Camera (1929). The past and the present meet on the screen which is
116
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I would like to do a ‘remake’ of the city film, but with different images.
The limited time and restricted funds available demand a focus on a few
exemplary chapters. Fragments or initial studies.” (Harun Farocki)
Farocki has noticed for us how prisons and supermarkets, video-games and
theatres of war have become “work-places” – of subjects as much as of
commodities. They are spaces that are converging, once one appreciates how
they all fall under the new pragmatics of the time-space logic of optimising
access, flow, control. These sites a filmmaker has to take cognisance of
and recognise him/herself implicated in, but so has the spectator, whose
role has changed so much. As one walks through Farocki‘s works, which
have become our worlds, one realises that he may be one of the few
filmmakers today capable of understanding the logic of this convergence,
contesting its inevitability and yet feeling confident enough to continue to
believe in the wit, wisdom and the poetry of images. This certainly makes
Harun Farocki an important filmmaker: probably Germany‘s best-known
important filmmaker. (Thomas Elsässer)
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La gher sur le toit / The Ger on the Roof
gezeigt, dass sie an das Klima besser angepasst und bequemer war als die
France, 2003, 58’
Michèle Pédezert (*1967 in Salies-de-Bearn, France) and Céline Pétreau (*1972
in Niort, France) live and work in Bordeaux
abgewohnten, schlecht beheizten Wohnblöcke.
Schließlich wird sie symbolisch in das Stadtzentrum zurück gebracht, sie verlässt die Peripherie mit ihren von den Chinesen oder den Russen gebauten
Vorstädten, wohin sie verdrängt worden war, wo die nolens volens sesshaft
gewordenen Nomaden in ihren Zelten „geparkt“ wurden. Die verachtete
Die mongolische Bevölkerung, die seit tausenden von Jahren nomadisch
Wohnform einer verachteten Gesellschaft rückt wieder ins Zentrum, ins
lebte, machte „eine große Reise“, die wahrscheinlich überhaupt nicht nach
Herz. Die Nomaden hatten sich ohnehin niemals davon losgesagt.
ihrem Geschmack war: Innerhalb von einigen Jahren nur führte die Grün-
Diese beiden Pole der menschlichen Verrichtungen stehen noch im Mit-
dung von Städten zu einer Konzentration der Bevölkerung um sie herum.
telpunkt der bevorzugten Lebensweise der Mongolen. Viele, die in der
Die Nomaden mussten sesshaft werden und ihr Land- und Hirtenleben auf-
Stadt wohnen, bedauern es, nicht immer wieder auf das Land fahren zu
geben. Mit der Gründung der Städte ist die Urbanisierung in der Mongolei
können, um dort Viehzucht zu betreiben. Die Ger wird so zum Symbol für
zu einer Karikatur ihrer selbst geworden. Überall in der Welt bestehen Städ-
die modernen Probleme, die willkürlich an eine Gesellschaft herangetra-
te aus Zement, Beton, Ziegel, Wohnblöcken, Sozialwohnungen. Wenn Sie
gen werden, die diese – noch – nicht als zu ihr gehörig betrachtet: Grund-
in einem Wohnblock wohnen, können Sie Besitzer des Grund und Bodens
eigentum, Suche nach städtischer Dichte wie im Westen, Veränderung des
sein, aber wenn Sie in einem Zelt, einer Jurte, einer Ger wohnen, wird der
Gemeinschaftswohnens, öffentliche Räume. Ein wesentlicher Anteil an der
Boden nie Ihnen gehören. Mit ihrem originellen Projekt La gher sur le toit
Arbeit von Céline Pétreau und Michèle Pédezert ist, dass sie mongolische
unterstreichen Céline Pétreau und Michèle Pédezert diese Paradoxa und
Architekten und Stadtplaner zu Wort kommen lassen. Sie zeigen welch
Absurditäten der Urbanisierung in Ulan Bator. Eine in einem Wohnblock
wichtige Rolle die Architekten gegenwärtig spielen. (Alice Laguarda)
wohnende Familie hat eine Ger auf dem Dach des Wohnblocks gebaut
und hat damit das System überlistet: Die Ger hat jetzt (erst seit 1999!) den
Status einer Wohnung und der Boden, auf dem sie errichtet ist, kann zu
Nomads for thousands of years, the Mongolian people have taken part
einem privaten Grundstück werden.
during the past century in a “huge displacement” scheme which they
Céline Pétreau und Michèle Pédezert Aktion geht weit über eine Geste
probably did not much care for at all. Within a matter of a very few years,
hinaus. Sie zeigen zunächst, dass die Ger als Basis der mongolischen Archi-
cities were created and people gathered around them; a nomadic people
tektur seit 3000 Jahren ihren Status als Wohnung großer Nomadenlager,
had been obliged to become sedentary and to abandon their rural and
in denen sich die Zelte um die königliche Ger („Ord“) herum gruppierten,
pastoral way of life. When these cities came into being, the urbanism it
beibehalten kann. In solch einem „Khuree“, wohnten bis zu 20.000 Perso-
brought appeared to go too far in caricaturing a city: because anywhere
nen. Die Ger ist ein künstlicher Raum, kreisförmig, nach Süden hin offen,
else, a city is mass of cement, concrete, bricks – of housing blocks, of public
aus mehreren Schichten Filz, und es wohnen Großfamilien darin, die sich
housing projects and furthermore the city dweller may even become the
nach Belieben um das Feuer herum einrichtet.
owner of the ground the house is built on, in stark contrast to the owner
Auf dem Dach eines Betonbaus hat die Ger zu einem Zeitpunkt, zu dem
of a tent – the yurt or ger of the nomads – who can never own the ground
sich entsprechend der Überlieferung die Hirten in die Herbstlager begeben,
it is pitched upon. With their original project The Ger on the Roof, Céline
Pétreau and Michèle Pédezert highlight these paradoxes and absurdities of
120
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urbanisation in Ulan Bator. A family living in a block of flats erects a ger on
the roof of their block and closes the circle: the ger becomes a flat (and has
been acknowledged as such only since 1999). The ground on which it is
built can be privately owned.
Beyond this gesture in the literal sense of the word, Céline Pétreau‘s and
Michèle Pédezert’s film has a reach that extends still further. They show
that the ger has been the basis of any Mongolian architecture for over
3000 years and that it can preserve its status as a dwelling place. In the
great nomad camps, tents were stood in concentric circles around the royal
ger (“ord”). The site was termed the “khuree” and was home to up to
20,000 people. It was open to the south and arranged in a circle. The
artificial space thus created by the felt layers sheltered extended families
the members of who gathered around the fireplace.
The ger - erected on the roof of a concrete block of flats at a time when
traditionally shepherds would move to their autumn camps – proves also
to be better suited for the Mongolian climate and with more comfort than
the run-down and badly heated flats.
Finally the ger has come back to the city centre, it has left the periphery to
which it found itself relegated. Nomads who had been obliged to become
sedentary, whether they liked it or not, had been parked in their tents in
the suburbs of the cities that were built by the Chinese or the Russians.
The despised dwellings of a despised society have returned to the centre
of focus, right back into the heart of their being, because they had in fact
never truly left the nomads’ hearts in the first place.
The two poles of human occupation are still at the centre of the preferred
way of life of Mongolians. Many city-dwellers regret that they cannot
go back again periodically to the countryside, in order to raise cattle, as
they used to. Hence the ger becomes a symbol of all these modern and
seemingly arbitrary problems their society has to fight against, and which
it does not yet acknowledge as such: property, urban density as in the
western world, transformation of community dwelling, the public sphere.
A considerable part of Céline Pétreau’s and Michèle Pédezert’s work is
devoted to the reactions of Mongolian architects and the strategic role of
the architects in the current context. (Alice Laguarda)
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I’d rather be at Newington
Germany, 2003, 10‘57‘‘
Wiebke Grösch (*1970 in Darmstadt, Germany) and Franz Metzger (*1969 in
Gross-Gerau, Germany) live and work in Frankfurt on the Main
Anlässlich der olympischen Spiele in Los Angeles 1932 wurde das erste
olympische Dorf in der Geschichte der Spiele der Neuzeit errichtet. Mit der
Errichtung wurde neben praktischen Gründen wie der kostengünstigen
Unterbringung der Sportler auch die idealistische Hoffnung verbunden,
einen Ort zu schaffen, an dem sich Menschen unterschiedlicher nationaler
und kultureller Herkunft kennen lernen und für einen begrenzten Zeitraum
miteinander leben können, sozusagen als Beispiel für eine funktionierende
multikulturelle Gesellschaft im Kleinen.
Doch diesem idealistischen Bild steht der hohe sicherheitstechnische Aufwand gegenüber, der während der Spiele betrieben wird, um Störungen
von außen fernzuhalten. Die Isolierung des Dorfes während der Spiele kann
eine Gettoisierung des Dorfes und seiner BewohnerInnen nach den Spielen
zur Folge haben. I’d rather be at Newington zeigt am Beispiel des ehemaligen olympischen Dorfes in Sydney (2000) die Widersprüche zwischen
den Ansprüchen olympischer Utopie und der städtebaulichen Realität der
Dörfer nach den Spielen auf. Das mittlerweile in „Newington“ umbenannte ehemalige olympische Dorf weist zahlreiche Ähnlichkeiten mit einer
„Gated Community“ auf. (Wiebke Grösch / Frank Metzger)
The first Olympic Village in the history of the Olympic Games in modern
times was erected for the 1932 Games in Los Angeles. In addition to
purely practical considerations such as inexpensive accommodation for the
competitors, there was also an idealistic hope of creating a location where
people of different national and cultural origins would be able to get to
know each other and also live together for a limited period of time, it was,
in a manner of speaking, an example of a functional multi-cultural society
on a small scale.
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But this ideal image was contrasted with a high level of investment in
security that needed to be maintained throughout the games in order to
keep away any disturbances from the outside world. The isolation of the
village during the Games can result in a ghetto effect for this village and its
inhabitants after the end of the sporting event. I’d rather be at Newington
shows up the contradictions between the intentions of the Olympic utopia
and the reality of urban planning in the villages once the Games are over
through the example of the former Olympic Village in Sydney, Australia
(2000). The former Olympic Village that has now been named “Newington”
shows numerous parallels with a “gated community”. (Wiebke Grösch, /
Frank Metzger)
126
Invisible Cities 1
Sweden, 2004, 23‘ loop
Jonas Dahlberg (*1970 in Borås, Sweden) lives and works in Stockholm
In den letzten paar Jahren hat Jonas Dahlberg mit seinen komplexen
genreübergreifenden Kunstwerken, seinen interdisziplinären Architektur-,
Film- und Videoinstallationen und seinen Plastiken zu Recht Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In vielen seiner Werke wird Dahlbergs Interesse für
die Kombination sorgfältig gebauter Modelle mit wechselnden Film- und
Darstellungstechniken sichtbar, um Räumlichkeit im Allgemeinen und verschiedene existenzielle Zustände vorzustellen, die diese Orte im Besonderen
haben. Das Ergebnis ist beeindruckend.
In den Arbeiten werden die Fragen der aktiven und passiven Überwachung,
die psychische Desorientierung, die die Kamerafahrten durch große Systeme künstlicher Räume hervorrufen, und die mehrdeutige Position des
Selbsts angeschnitten.
Das Video Invisible Cities beschreibt eine unbekannte Kleinstadt irgendwo
auf der Welt, die weder Investoren noch Touristen anzieht. Jonas Dahlberg
wurde in solch einer Stadt geboren: Borås. Für ihn sind Städte mit 10.000
bis 50.000 Einwohnern nicht groß genug, um die Aufmerksamkeit der
Massenmedien, Architekten, Planer, Soziologen und anderer Experten auf
sich zu ziehen, und sind – anders als Metropolen, dicht besiedelte Großstädte und sich fortwährend ausbreitende städtische Ballungszentren –
unsichtbar.
Invisible Cities wurde in einer tatsächlich existierenden Stadt gedreht, aber
das Ergebnis ist anonym. Jonas Dahlberg hat eine mittlere Stadt gesucht,
von der Art, in der der Großteil der Weltbevölkerung lebt. Trotzdem sind
diese Bewohner unsichtbar. Wer sind die Leute eigentlich, die in solchen
Städten wohnen? Wovon träumen sie? Der Schaulustige fährt durch die
Straßen, ohne die Bewohner eines Blickes zu würdigen. Der Blickpunkt des
Beobachters und jener des Beobachteten sind in Jonas Dahlbergs Werk
von zentraler Bedeutung. Die Städte, von denen Dahlberg erzählt, sind
tatsächlich von außen unsichtbar, aber es ist unser Blick, der sich anderswo
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festmacht, der sie unsichtbar macht. Dahlberg hat seine Arbeit am Projekt
other specialists, are – unlike the metropolises, the hyper-populated and
mit der Fotoserie Location Studies – Bilder von „unsichtbaren Städten“
ever-expanding urban agglomerations – invisible.
begonnen, aus denen Zeichen der Identifikation und Kommunikation wie
Invisible Cities was shot in a real city – but the result is anonymous. Jonas
Verkehrszeichen und Werbetafeln, Nummernschilder und Fenster von Häu-
Dahlberg has sought a medium-sized city of the kind that most of the
sern digital herausgelöscht wurden.
world‘s population live in. And yet they remain invisible. Who are the
Dahlberg entlehnte den Titel seiner Arbeit Calvinos berühmtem Buch, und
people who dwell here, and what do they dream of?
unter den zahlreichen Verweisen auf die Theorie des Schriftstellers erkennt
The onlooker travels the streets without a glimpse of the inhabitants. Being
man eindeutig sein Bemühen, sein Werk als Architektur zu konstruieren,
an observer or being observed is a key aspect of Jonas Dahlberg‘s work.
als „einen Raum, in den die Leser eintreten müssen, den sie erforschen und
The cities narrated by Dahlberg are in fact invisible only from the outside; it
in dem sie möglicherweise verloren gehen, aus dem sie aber auch wieder
is our gaze, fixed elsewhere, that makes them so.
hinaus finden können.“ Wie so oft beschwört Dahlberg einen Moment der
Dahlberg started the work on this project with a photographic series Location
Verfremdung herauf, indem er die alltäglichen Erfahrungen in Raum und
Studies – images of “invisible cities” – from which clues to identification
Zeit, die wir so oft als gegeben hinnehmen, in Frage stellt.
and communication such as road signs and advertising billboards, car
Jonas Dahlberg stellte in Schweden und 2004 bei der Biennale in Sao Paulo
license plates and the windows of houses, have been digitally eliminated.
aus.
Dahlberg borrowed the title of his work from Calvino’s famous book, and
among the various references to the writer’s theory is undoubtedly his
desire to construct his work as architecture, as “a space which readers
During the last couple of years Jonas Dahlberg has stirred a well-deserved
must enter, explore and maybe get lost in, but eventually find their way out
attention with his intricate trans-generic artworks, encompassing
of”. Like so often, Dahlberg evokes a moment of deep estrangement by
architecture, film, sculpture and video installations. In many of his works
challenging our everyday experiences of time and space, that we so often
Dahlberg manifests his interest in combining meticulously constructed
take for granted.
models with varying film and monitoring techniques in order to present
Jonas Dahlberg represented Sweden at the Sao Paolo Biennial in 2004.
spatiality in general, and the different existential states these locations
harbour in particular. The result is often awe-inspiring.
In these works the problematic of active and passive surveillance, the
psychological disorientation caused by camera movements through large
systems of artificial spatiality, and the ambiguous position of the self appear
as basic questions.
The video Invisible Cities describes a small, anonymous city somewhere in
the world, which attracts neither capital nor tourism. Jonas Dahlberg himself
was born in such a city: Borås. For him cities with populations between
10,000 and 50,000, and not big enough to be the focus of attention by
the mass media and architects, planners, sociologists and miscellaneous
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Jutro U mojoj ulici / The morning in my street
Croatia, 2004, 6’
Mario Čaušić (*1972 in Osijek, Croatia) lives and works in Osijek
Der Spiegel vor dem Gesicht des Autors verbirgt dessen Identität. Auf diese Weise stellt er seine Wahrnehmung zufällig ausgewählter Orte in der
Stadt der Wahrnehmung eines potenziellen Beobachters auf der anderen
Seite der flachen Spiegelreflexion gegenüber. Durch die Widerspiegelung
entsteht ein anderes, verzerrtes und beinahe surreales Bild – nur eine unter
vielen möglichen visuellen und emotionalen Erfahrungen der Stadt. Die
Wahrnehmung seiner eigenen Umwelt reflektiert die „persönliche“ und damit eine andere Realität des Autors, die von neuen Beobachtern mit deren
eigenen Spiegeln vervielfacht wird. Die Alltagsumwelt und die gleichzeitige
Beobachtung derselben werden in dieser Videoarbeit von der eigenen Erfahrung des Autors bestimmt und sind somit subjektiv. Einen Augenblick
lang werden diese ziemlich persönliche Realität und dieser Standpunkt mit
einem Beobachter geteilt, was auf die Möglichkeit schließen lässt, dass die
Erfahrung ein und desselben Stadtbildes endlos wiederholt werden kann.
The mirror set up against the author‘s face is hiding his identity confronting
in this way his own perception of randomly chosen city sites and the
perception of a potential observer on the other side of the flat mirror
reflection. The reflection is a different, distorted and almost surreal image
– only one among multiple possible visual and consequently emotional
experiences of the city. Perception of his own environment reflects the
author‘s “personal” and by this a different reality being multiplied by new
observers using their own mirrors. Everyday environment and observing of
the same is in this video work determined by the author‘s own experience
and it is therefore subjective. For a moment this quite personal reality and
point of view are shared with an observer suggesting a possibility to repeat
the experience of the same city image endlessly.
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The Light at the Edge of a Nightmare
Argentina / USA / Germany / France / UK, 2002-2005, 85‘
David Lamelas (*1946 in Buenos Aires) lives and works in Los Angeles, Brussels
and Berlin
The Light at the Edge of a Nightmare ist ein Film noir aus verschiedenen
in Buenos Aires, Hollywood, Berlin, London, Brüssel und Paris aufgenommenen Episoden. Die Charaktere verwenden die Leinwand als Achse. Eine
Frau kommt aus der Vergangenheit zurück, um eine Liebesgeschichte, die
unglücklich ausgegangen ist, noch einmal zu erleben. Die Figur reist von
Stadt zu Stadt, aber dieselbe Erinnerung bestimmt jeden Ort.
Die Auswahl der Schauplätze korrespondiert mit der Biografie von David
Lamelas, der in jeder dieser Städte gelebt hat. Die eigens komponierte Musik, die häufigen Zeitwechsel und die stilisierte Kameraführung versetzen
den Zuschauer in die Autorenperspektive.
Der Film besteht aus einer fortlaufenden Ansammlung von Szenen, aus
denen hervorgeht, dass die Manipulation einer narrativen Entwicklung zu
weit reichenden politischen und ästhetischen Konsequenzen führen kann.
David Lamelas ist hauptsächlich wegen seiner legendären strukturalistischen
Filme und Medieninstallationen bekannt, die er in den 60ern und 70ern in
Belgien, London und Los Angeles produzierte, wo er auch lebte, nachdem
er seine Heimat Argentinien verlassen hatte, um 1968 an der Biennale Venedig teilzunehmen. Diese ikonischen Projekte sind eine Herausforderung
für die Grenzen der Zeitlichkeit der Kunst, ihre Kapazität, Bedeutung und
Information zu bilden und ihre Fähigkeit, Fakten mit Fiktion zu verbinden.
In den gegenwärtigen Diskussionen über das Verhältnis zwischen Kunst,
Medien und Politik hat sein Werk nichts von seiner Relevanz eingebüßt.
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The Light at the Edge of a Nightmare is a film noir with various episodes
shot in Buenos Aires, Hollywood, Berlin, London, Brussels and Paris. The
characters use the screen as directional axes. A woman returns from the
past to relive a love story that did not prosper. The character travels from
city to city, but the same memory informs each location.
The selection of sites corresponds with David Lamela’s life insofar as he lived
in each of these cities. The music he composed for the movies, frequent
time changes and the stylised camera put the spectator in the author’s
perspective.
The film presents a running accumulation of scenes that indicate how
the manipulation of narrative development can have wider political and
aesthetic consequences.
David Lamelas is best known for the legendary structuralist films and
media installations that he produced while living in Belgium, London and
Los Angeles in the 1960s and 70s, after he left his native Argentina to
participate in the 1968 Venice Biennial. These iconic projects question the
limits of art‘s temporality, its capacity to construct meaning and information,
and its ability to collapse fact with fiction. Within current discussions on the
relationship between art, the media, and politics, his work has lost none
of its relevance.
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Living Megastructures
Venezuela / Germany / Austria, 2003 / 2004, 23’
Sabine Bitter (*1960 in Aigen, Austria) lives and works in Vienna and Vancouver
and Helmut Weber (*1957 in Dorf/Pram, Austria) lives and works in Vienna
In collaboration: Katharina Rohde and Osvaldo Michelli
In der auf geschätzte fünf Millionen EinwohnerInnen angewachsenen, von
informellen Wohnsiedlungen geprägten lateinamerikanischen Metropole
Caracas finden in den letzten Jahren städtische Aneignungs- und Umgestaltungsprozesse statt, die maßgeblich von jenen BewohnerInnen bestimmt
werden, die noch vor wenigen Jahren von politischen Entscheidungen
weitgehend ausgeschlossen waren. Bemerkenswert an diesen Formen eines
transformativen Urbanismus – wie urbane Landwirtschaftsprojekte und
Bildungsprogramme – ist, dass sich in ihnen die „von unten“ entwickelten
Initiativen der BürgerInnen, Landkomittees und Stadtteilorganisationen auf
produktive Weise mit dem von der Regierung Chávez „von oben“ initiierten Reformprojekt der „Bolivarianischen Revolution“ verbinden.
Der Stadtteil 23 de Enero, der vermeintliche Clash aus Barrios und Superblocks, ist ein exemplarischer Schauplatz eines transformativen Urbanismus, der die Versprechen der Architektur und Planung mit politischem
Anspruch und Willen verknüpft. Während der Diktatur von Marco Péres
Jiménes (1948 – 1958) wurde unter der Leitung von Architekt Carlos Raúl
Villanueva das Wohnbauprojekt in einer für Lateinamerika einzigartigen
Größenordnung realisiert. Von 1952 bis 1958 entstand im Westteil der
Stadt eine modernistische Megastruktur – Superblocks gemischt mit kleiner
dimensionierten Wohnblocks und Schulbauten, Kindergärten und einem
Krankenhaus – die das Aussehen von Caracas grundlegend änderte.
Das Stadtbild und die Architektur schienen den politischen Modernisierungsversprechen der Diktatur zu genügen. Die soziale Lage war allerdings
prekär: ein Volksaufstand bereitete der Diktatur 1958 ein Ende. Im Zuge
des Aufstandes wurden in einer Massenbesetzung 4.000 der 9.000 Apartments von der mittellosen Unterschicht in Besitz genommen.
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Seither gilt dieser Stadtteil – auch aufgrund seiner zentralen Lage und Nähe
were largely excluded from political decision making just a few years earlier.
zum politischen Zentrum Miraflores, dem Palast des Präsidenten bzw. dem
The remarkable thing about these forms of transformative urbanism – such
Regierungssitz – als sozial und politisch rebellisch. Seine BewohnerInnen,
as urban agricultural projects and education programmes – is that they
organisiert in aktivistischen Vereinen, unterstützen massiv die neue Regie-
productively combine the “bottom-up” initiatives of the citizens, rural
rung von Hugo Chávez, der seit 1998 die Politik in Venezuela bestimmt.
committees and district organisations with the Chávez administration’s
Die 1999 verabschiedete Bolivarianische Verfassung war die erste große
“top-down” “Bolivarian Revolution” reform project.
Anstrengung der neuen Regierung, die sich auf eine Umgestaltung der ge-
The 23 de Enero district, the supposed clash of barrios and superblocks,
sellschaftlichen Verhältnisse konzentrierte. Sie wurde landesweit diskutiert,
is an exemplary site of transformative urbanism, linking the promises of
einem nationalen Referendum unterzogen und 1999 verabschiedet. Unter
architecture and planning with political demands and will. The housing
anderem werden hier anti-neoliberale Politikvorstellungen, die Autonomie
project was built on a scale unique for Latin America under the supervision
indigener Bevölkerungsgruppen oder die Anerkennung der Hausarbeit
of the architect Carlos Raúl Villanueva during the dictatorship of Marco
als Mehrwert produzierende Tätigkeit festgeschrieben. Beteiligungs- und
Péres Jiménes (1948 – 1958). Between 1952 and 1958, a modernist
Gestaltungsmodelle für die Kommunen, Basisinitiativen und BürgerInnen
megastructure evolved in the west of the city, fundamentally changing the
sollen die partizipative Demokratie weiterentwickeln.
face of Caracas – superblocks mixed with smaller-scale apartment blocks
Speziell die auf dieser Verfassung basierenden Gesetze der urbanen und ru-
and school buildings, kindergartens and a hospital.
ralen Landreform ermöglichen es, die überholten Programme einer repressi-
The urban appearance and the architecture seemed to meet the political
ven wirtschaftlichen Modernisierung durch neue Praktiken zu ersetzen und
promises of modernisation of the dictatorship. However, the social situation
den Weg für eine breitere soziale Partizipation, für eine „Demokratisierung
was precarious, with a national uprising putting an end to the dictatorship
der Stadt von unten“ zu öffnen.
in 1958. In what was a mass occupation, the impoverished lower class took
Panoramafahrten durch die Wohngegend von 23 de Enero umkreisen die
possession of 4.000 of the 9.000 apartments during the uprising.
Gespräche der BewohnerInnen, ArchitektInnen und AktivistInnen, die nach
Since then the district has had the reputation of being socially and politically
den Möglichkeiten und Grenzen von Aneignungsprozessen sowohl von
rebellious – also because of its central location and proximity to the political
Architektur als auch von politischen Strukturen fragen: Wie wurden Wohn-
centre Miraflores, the presidential palace and the seat of the government.
raum und Stadt in den 1950ern modernistisch geplant und hergestellt?
Its inhabitants, organised in activist groups, lend massive support to the
Wie wurden Teile dieser Megastrukturen in Besitz genommen? Und wie
new government of Hugo Chávez, who has been shaping Venezuelan
wird durch diese Aneignung das Leben hier bis heute beeinflusst? Welches
politics since 1998.
Potenzial stellt die neue Verfassung für die Wiederaneignung von städti-
The Bolivarian Constitution passed in 1999 was the first major effort of
schem Terrain und Wohnraum bereit?
the new government focusing on rearranging social conditions. It was
subjected to a nation-wide discussion, put to a national referendum, and
finally passed in 1999. Among other things, it codified anti-neoliberal
In recent years, the Latin American metropolis of Caracas, now grown
politics, the autonomy of indigenous segments of the population, and the
to an estimated five million inhabitants and characterised by informal
recognition of housework as producing surplus value. Participation models
housing estates, has undergone processes of urban appropriation and
for communes, grass-roots initiatives and citizens are intended to further
redevelopment that are substantially influenced by those inhabitants who
develop participative democracy.
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Specifically, the urban and rural land reform legislation based on this
constitution helps replace the outdated programmes of repressive economic
modernisation with new practices and pave the way for broader social
participation, for a “bottom-up democratisation of the city”.
Panoramic views on the 23 de Enero housing area, revolve around
conversations of the inhabitants, architects and activists, who discuss the
possibilities and limits of processes of appropriation of architecture and of
political structures: How was housing and the city modernistically planned
and created in the 1950s? How were parts of these “megastructures”
appropriated? And how has this appropriation impacted on life here so far?
What potential does the new constitution hold for the re-appropriation of
urban terrain and housing?
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Los Angeles
USA, 2004, 26‘
Sarah Morris (*1967 in Kent, UK) lives and works in New York and London
Soundtrack: Liam Gillick, Copyright: s Ï Parallax, Photo credit: Sean Dack
Sarah Morris wurde in den 1990er Jahren bekannt mit großformatigen
Sarah Morris, one of the most important contemporary painters on the
Gemälden, die sich mit der Komplexität architektonischer Strukturen und
international scene, became known in the 1990s with large-scale paintings
ihren schillernden Oberflächen beschäftigten.
which were concerned with the complexity of architectural structures and
In ihrer aktuellen Serie Los Angeles untersucht Morris die Formen und
their sparkling surfaces.
Strukturen der städtischen Landschaft und urbaner Konstruktionen als
In her current series Los Angeles, Morris investigates the forms and
Basis unseres sozialen Netzwerkes. Morris selbst beschreibt ihre Filme als
structures of urban landscapes and metropolitan constructions as the basis
Ergänzung ihrer Malerei und als Möglichkeit, den komplexen psychologi-
of our social network. Morris herself views her films as an addition to her
schen Raum eines Ortes zu erfahren. Die in New York und London lebende
painting and as opportunities for experiencing the complex psychological
Künstlerin setzt so ihre Auseinandersetzung mit der Psychologie und Ästhe-
space of a site. Thus the artist, who lives in New York and London, continues
tik amerikanischer Städte fort.
her investigation of the psychology and aesthetic of American cities.
Irgendwo zwischen Dokumentation und (Selbst-)Inszenierung fängt der 26
Situated somewhere between documentation and (self-)staging, the film
minütige Film in kühlen Hochglanzbildern die narzisstische und scheinbar
catches for 26 minutes, in coolly perfected and glossy images, the likewise
perfekte Welt der Filmmetropole Los Angeles ein. In wechselnden Bild-
perfect and narcissistic world of the film metropolis Los Angeles. In varying
sequenzen, zusammengehalten von dem pulsierenden Soundtrack des
sequences of images, held together by the pulsing soundtrack of the British
britischen Künstlers Liam Gillick, zeigt Sarah Morris die einzigartige Archi-
artist Liam Gillick, Morris portrays in its most extreme aspect, namely the
tektur und die Menschen einer sich selbst inszenierenden Stadt in ihrem ex-
week of the Oscar awards, the unique architecture and the inhabitants
tremsten Moment: der Woche rund um die Oscarverleihung. Sterile urbane
of a city which constantly stages and celebrates itself. Sterile urban
Szenen und architektonische Details einer dezentralisierten Stadtlandschaft
scenes and architectural details of a decentralized metropolitan landscape
wechseln mit dem Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik Hollywood. Ak-
alternate with a view behind the scenes of the dream factory Hollywood.
teure der Filmindustrie, Schauspieler, Starlets, Produzenten und Regisseure
Protagonists of the film industry, artists, starlets, producers and directors
wie Dennis Hopper, Brad Pitt oder Uma Thurman werden ohne Kommentar
such as Dennis Hopper, Brad Pitt, Uma Thurman and Bob Evans are shown
und Erzählung gezeigt, in von ihnen selbst bestimmten Situationen. Ein Film
without commentary and narration, in situations which they themselves
auch über das Filmemachen, der mit einem nur scheinbar objektiven Blick,
have selected. A film which is also about filmmaking and which succeeds,
ungewöhnlichen Kamerastandpunkten und desavouierenden Close-Ups
by means of a seemingly objective viewpoint, unusual camera perspectives
die Künstlichkeit dieser glamourösen Scheinwelt zu enttarnen vermag.
and disclaiming close-ups, in revealing the artificiality of this glamorous but
illusory world.
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Los Angeles Plays Itself
USA, 2003, 169’
Thom Andersen (*1943 in Chicago) lives and works in Los Angeles
Camera: Deborah Stratman, Editing: Yoo Seung-Hyun, Sound: Thor Moser, Craig
Smith
Es gibt Orte, von denen wir tausende Bilder im Kopf haben, ohne je selbst
dort gewesen zu sein, und für viele ist Los Angeles – eine der meist gefilmten Städte der Welt – ein solcher. Das Kino hat von Los Angeles eine eigene
urbane Mythologie entwickelt, einen fantastischen Stadtplan erfunden,
den der Filmemacher und Historiker Thom Andersen in seinem filmischen
Essay auf wunderbare Weise nachzeichnet, durchkreuzt und neu zusammensetzt. Eine Stadt spielt sich selbst in einem vielschichtigen Puzzle aus
Szenen, Filmausschnitten und Aufnahmen, wie sie das Kino in zahllosen
Werken überliefert hat. Thom Andersen nennt seinen Essay darüber, wie
Filme Los Angeles darstellen, eine „Stadtsymphonie im Rückwärtsgang“.
Die Phrase ist evokativ, wenn auch bescheiden, denn Los Angeles Plays
Itself ist in Wirklichkeit eine Symphonie mit vielen Stilrichtungen und Tempi.
Geleitet von seiner aufmerksamen, nachdenklich stimmenden Erzählung
(auf drollige Weise von Encke King kommentiert), trägt Andersen, mit Hilfe
von Ausschnitten aus einer eklektischen Reihe von Filmen, eine kritische
Geschichte und Gegengeschichte von Los Angeles zusammen. Viele der
Filme sind bekannt (Chinatown, Blade Runner, L.A. Confidential); andere
sind seltenere Fundstücke (The Exiles, Bush Mama, Killer of Sheep). Der
Titel ist eine frech korrigierende Ableitung von Fred Halsteds schwulem
Pornoklassiker L.A. Plays Itself. Andersens Film ist eine wahre Fundgrube
an Schätzen über die Stadt und ihre Filme. Die rigorose Verfolgung der
verschiedenen „Rollen“, die spezifische Wahrzeichen und Bezirke über die
Jahre spielten, darunter das Bradbury Building, Frank Lloyd Wrights Ennis
House und Bunker Hill, ist wahrlich beeindruckend und reich an Einblicken
in Film, Architektur, Transport, Rassismus und Gesellschaft. Häufig höhnisch, manchmal komisch in seiner Ausdrucksweise, fallen Andersen Dinge
über diese Filme auf, die andere vermutlich nicht bemerken würden. Der
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Gesamteffekt ist faszinierend und provokativ eine Schärfung der Sinne.
(Sean Farnel)
There are places where you may never have been, but which are familiar
thanks to thousands of pictures. Los Angeles for instance, one of the most
filmed places in the world. In an “upside-down urban symphony”, Los
Angeles plays itself in this film by Thom Andersen in a puzzle of more and
less familiar scenes, fragments and individual shots. With the hypothesis
that fiction film basically has a great documentary value, Andersen tries to
convince us that we can also look at film in a different way. The result is
a provocative honing of our skills at watching film. Andersen reconnoitres
the city as a background, as a character and as a subject. For instance we
see how buildings and locations are used and distorted, the way in which
Los Angeles can be a co-conspirator (for instance in Billy Wilder‘s Double
Indemnity) or how the city, as in Roman Polansky‘s Chinatown, can be
a subject in itself. Anderson shows that the city hardly ever plays itself
in major Hollywood productions, but is cast in specific roles. Los Angeles
seems more itself in experimental work and in films by (independent)
foreign makers. In combination with the dry, amusing and even cynical
voice-over by the New York film maker Encke King, this three-hour long
essay is surprisingly entertaining.
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Lucharemos hasta anular la ley /
We Will Fight until Annulling the Law
manche sind experimentell, andere halb dokumentarisch. Im Allgemeinen
haben die Produktionen eine Erzählstruktur und der Künstler entwickelt aus
Argentina, 2004, 10’
Sebastian Diaz Morales (*1975 in Comodoro Rivadavia, Argentina) lives and
works in Amsterdam / NL and Argentina
Camera: Emanuel Diaz
kleinen, einfachen Ideen eine Geschichte. Die Umstände oder Geschichten,
die vom Schirm in unser visuelles Bewusstsein übertragen werden, sind niemals bequem oder tröstend. Mit mehr oder weniger Anteilnahme werden
wir zu Beobachtern einer aufgeregten Welt, die uns immer näher an sich
heranzieht, nur um uns dann in einem Takt zurückzustoßen, der schon von
Anfang falsch ist. Verglichen mit der jüngsten Richtung gegenwärtiger visu-
In Buenos Aires, Argentinien, rottet sich vor dem Parlament eine Menge
eller Kultur sind Sebastian Diaz Morales Filme weder langsam noch schnell,
zusammen, um gegen ein neues Gesetz zu demonstrieren. Das Gesetz
sondern wie auf einer schnell gespielten Tonleiter der Langsamkeiten auf-
fordert strengere Sanktionen für Demonstranten und Händler, deren Über-
gebaut, die sich zusammen zu einem heterotopischen Anderswo öffnen.
leben mit dem neuen Gesetz bedroht ist. Das audiovisuelle Material für
Wir werden Zeugen, wie Sebastian Diaz Morales mit verschiedenen Gattun-
Lucharemos hasta anular la ley wurde mit einer Fernsehkamera aufgezeich-
gen flirtet: Dokumentarfilm, epischer Film, narratives Pamphlet, Kurzfilm,
net und überarbeitet.
Filmessay und Poesie überlagern sich in sich fortwährend verändernden
Das Phänomen von Bürgern, die sich nichts mehr gefallen lassen, verbreitet
Anteilen, die zwischen Realität, Fiktion und subjektiv erfahrener, gefilterter
sich in immer mehr Ländern, auch im Westen. Argentinien hat darunter
und analysierter Realität schwanken. Mit einer wirbelnden Geste vermischt
nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch 2001 sehr gelitten. Menschen
er diese Schichten zu einem sehr persönlichen Gegenwartsfilm. Sein Reich-
haben die Neigung, sich zusammen zu tun, wenn sie glauben, dass ihr
tum erscheint uns noch bedeutender, wenn wir entdecken, dass das, was
kollektiver Gerechtigkeitssinn verletzt ist oder wenn Angst vor Armut und
wir vor uns haben, Heimkino ist, etwas technisch nicht sehr Anspruchvolles,
Niedergang sie eint. Sie werden darin nicht von den herkömmlichen Inter-
was mit einer Videokamera und einem Computer, also etwas, was man in
essensvertretern – Politikern und Gewerkschaften – gestützt, im Gegenteil;
jedem Haushalt findet, hergestellt werden kann. In Sebastian Diaz Mora-
das Misstrauen gegen diese nimmt zu. Sie werden fortlaufend über die
les Filmen ist die Kamera für alle Zufälle offen, obwohl wir nur vermuten
Medien informiert, und sie verwenden die Medien so gut sie können, um
können, wo die Fakten sind und wo der Regisseur seine Hand im Spiel
ihre Botschaft deutlich zu machen, Druck zu erzeugen und andere zum
hat. Seine Filmpraxis besteht darin, die Realität mit einem distanzierten,
Mitmachen aufzumuntern. Sie sind immer weniger naiv, wenn es um die
konfliktträchtigen Schnitt kurzzuschließen, sie fiktiv durch selbstreflexive
Solidarität der Medien mit ihrem Anliegen geht, die sie erst dann als bewie-
Spekulationen und narrative Drehbücher zu filtern und zum Filmmaterial
sen betrachten, wenn die Einschaltquoten bekannt sind. Wie viele andere
hinzuzufügen, oder sie diesem zu entnehmen, um unser visuelles Bewusst-
Künstler projiziert Sebastian Diaz Morales sich als engagierter Bildermacher,
sein mit einem komplexen Gewebe aus Konzentrationen und Kontrapunk-
der Stellung nimmt und dies als seine soziale Aufgabe betrachtet. In
ten zu überziehen.
Lucharemos hasta anular la ley verwendet er bestehendes Nachrichten-Film-
Die perfekte Mischung aus einander überlagernden Bedeutungen ermög-
material, um vor allem den Gründen der Unzufriedenheit nachzuspüren:
licht es Diaz Morales Kamera offenbar, Drehbücher rückblickend auf die
dem Gefühl eines Einzelnen, irrelevant zu sein. (Vinken & Van Kampen)
Realität zu projizieren.
Den Filmen und Videos des argentinischen Künstlers haftet etwas ungewöhnlich Bedrohliches an. Bis jetzt hat der Künstler ca. 40 Videos produziert,
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In Buenos Aires, Argentina a crowd gathers in front of the house of
from a rapid succession of a gamut of slownesses that together open onto
parliament to contest a new law. The law implements more rigorous
a heterotopian elsewhere.
sanctions for demonstrators and vendors whose survival is threatened by
We find Sebastian Diaz Morales flirting with different distinct genres:
the more strict regulations. The audiovisual material for Lucharemos hasta
documentary, epic film, narrative pamphlets, short film, filmic essay and
anular la ley was registered with a TV camera and transformed.
poetry overlap in continuously shifting balances sorted out between reality,
The phenomenon of civilians who refuse to take it anymore is flaring up
fiction and reality as it is subjectively perceived, filtered or analyzed. In a
in many countries, even in those in the Western world. Argentina suffered
vortex, he is able to blend these layers into a very personal contemporary
greatly from this after the economic crash there in 2001. People tend to
film practice. Its richness is astonishing, the more so when we discover that
unite when they feel that their collective sense of justice is being insulted,
what is being presented to us are home movies that technically require little
and when they share a fear of poverty and decay. In this they are not guided
more than what can be found in an average household: a video camera
by the traditional representatives of their interests, the politicians and the
and a computer.
unions; on the contrary, they come to distrust these more and more. They
In Diaz Morales’ films the camera is open for chance although we can
are kept informed via the media, and to the best of their ability they make
only guess where the facts seamlessly converge and where the director’s
use of the media to give shape to their message, to bring pressure to bear,
hand was needed. His film practice is precisely rooted in short-circuiting
and to incite others to join them. They are less naive when it comes to
calculated coincidence with a more distant and conflicting montage of
the media‘s solidarity with the cause, which will not be proved until the
fictional filters, self-reflexive speculations and narrative scripts added to the
viewing ratings are known. As with many other artists who see this as their
filmed material, or elicited from them to imprint our visual consciousness
social role, Sebastian Diaz Morales certainly projects himself as an image
with a complex meshwork of concentrations and contra points.
maker who takes sides. In Lucharemos hasta anular la ley, he makes use
The perfect blend of layered meanings retrospectively seems to enable Diaz
of existing news footage to depict notably the origins of the upsurge of
Morales’ camera to project scripts onto reality.
discontentment: an individual‘s feeling of being irrelevant. (Vinken & Van
Kampen)
There is something unusually ominous about the films and videos of the
Argentinean artist. So far, Sebastian Diaz Morales has completed around
40 video productions. Some are experimental, others seek recourse to a
semi-documentary approach. In general the productions have a narrative
structure and the artist develops a story from small, simple ideas. The
circumstances or stories that from the screen are transmitted to our visual
consciousness are never comfortable or comforting. With varying degrees
of involvement we observe a feverish world that incessantly draws us in
tighter, only to throw us back again in a rhythm that is syncopated by false
starts. Compared to the fast lane of contemporary visual culture, Sebastian
Diaz Morales’ films are neither slow nor fast seeming rather to emerge
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Magnetic {eye} – Jerusalem
Germany, 2000-2004, 50’
Gunter Krüger (*1971 in Henningsdorf, Germany) lives and works in Berlin
Sound: Martin L. Funk
Ausgangspunkt für Gunter Krügers Filme und Experimente sind mediale
The starting point in Gunter Krüger’s films and experiments are media
Bruchstücke – vorgefundene und aufgelesene Dokumente, die er in seine
fragments – documents that have been found and read and which he
Programmierungen hineinzieht und später mit eigenen, spontanen Vide-
includes in his programming and later mixes with spontaneous video images
oaufnahmen des Fundortes vermischt. Der Film Magnetic {eye) – Jerusa-
of the location where they were found. The film Magnetic {eye} – Jerusalem
lem versammelt 36 Fundorte von Ton- und Videotapes in Jerusalem. Mit
gathers 36 finder locations of sound and video tapes in Jerusalem. Gunter
den seit dem Jahr 2000 gefilmten und mit den restaurierten Fundstücken
Krüger creates a portrait of this city using the video tapes filmed since the
zusammengeschnittenen Videotapes erzeugt Gunter Krüger das Portrait
year 2000 plus the cut up and restored found items. “A more precise portrait
dieser Stadt. „Ein Porträt“, so Heinz Emigholz, „wie man es sich genauer
that this can scarcely be imagined” – despite the apparent arbitrariness of
kaum vorstellen kann“ – trotz dieses scheinbar willkürlichen Verfahrens.
the procedure – as Heinz Emigholz comments.
Die Realität gelangt in der filmischen Komposition zu einer merkwürdig
Reality in this film composition achieves an extraordinarily displaced vividness
verschobenen Eindringlichkeit, und zugleich scheint der Begriff „Realität“
as a result of Krüger’s method, while the term “reality” itself appears at
selbst durch Krügers Verfahren jedes reale Substrat zu verlieren. Der Film
the same time to have entirely shaken off any substrata of the real. The
hat nicht den Anspruch einer vollständigen topographischen Darstellung
film does not purport to give a complete topographic representation of
Jerusalems und entzieht sich mittels seiner strengen formalen Struktur ei-
Jerusalem, and because of its strict formal structure there is no political
ner politischen Wertung des neu aufgebrochenen Konflikts. Vielmehr geht
assessment of the ongoing conflict in the middle-east. The main aim of
es darum, die Stimmungen einer fragilen und gleichzeitig herben Stadt zu
Magnetic {eye}– Jerusalem is a representation of the atmosphere of this
transportieren.
equally fragile and austere city.
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My Address is neither a House nor a Street my Address is
a Shopping Centre: I (Privacy Protection), III (As Tight as in
Wardrobe)
von Macht sind, ohne Überwachung und Disziplin gar nicht lebensfähig.
Rakauskaite zeigt, dass wir sowohl als Voyeure als auch als Exhibitionisten
klammheimlich Lust an der Vermehrung peinlich überwachter Konsumflächen haben. Der Künstler bringt Licht in die geheimnisvolle Verbindung
Lithuania, 2004, 2‘50‘‘, 3‘56‘‘
Egle Rakauskaite (*1967 in Vilnius, Lithuania) lives and works in Vilnius
Voice over: Dalia Stonyte, Music: Bobby Trafalgar
zwischen Macht und Lust im Raum eines Einkaufzentrums.
Privacy Protection and As Tight as in Wardrobe are part of the series of video
works My Address is neither a House nor a Street my Address is a Shopping
Privacy Protection und As Tight as in Wardrobe sind Teile der Videoreihe My
Centre for which Egle Rakauskaite filmed several largest supermarkets.
Address is neither a House nor a Street my Address is a Shopping Centre,
“Want to protect your privacy? Find an umbrella in our shopping centre,
für die Egle Rakauskaite mehrere riesige Einkaufszentren filmte.
open it, and surveillance cameras will fail to spot you“, proposes Rakauskaite
“Sie möchten nicht gefilmt werden? Kaufen Sie sich einen Regenschirm in
in Privacy protection. The work can be interpreted not only in the context
unserem Einkaufszentrum, spannen Sie ihn auf, und die Überwachungska-
of space, place and spatialization but in terms of gaze, gazing, surveillance,
meras können Sie nicht mehr aufnehmen“, schlägt Rakauskaite in Privacy
power and pleasure.
protection vor. Die Arbeit kann nicht nur im Kontext von Raum, Ort und
In publicising the power structures of surveillance through her art works,
Räumlichkeit interpretiert werden, sondern auch nach Blick, Blicken, Über-
Rakauskaite proposes a kind of counter gaze that may work against the
wachung, Macht und Lust.
discourses and practices of consumer and medical surveillance. The work
Durch das Öffentlichmachen der Überwachungs- und Machtstrukturen mit
contests surveillance in the way that it mimics it and at the same time
ihrer Kunst entwirft Rakauskaite eine Art Gegenblick, der vielleicht gegen
reclaims it into the realm of art work. Although such resistances may only
die Diskurse und Praktiken der Konsumenten- und medizinischen Überwa-
be temporal and may be ultimately reclaimed by power, they reveal the
chung wirkt. Die Arbeit kämpft gegen die Überwachung an, indem sie diese
power structures, contingencies and contradictions of surveillance.
gleichzeitig nachahmt und sie in den Bereich von Kunst hinein reklamiert.
However, it is impossible to escape an inspecting gaze of a camera that each
Obwohl solche Widerstände möglicherweise nur vorübergehend sind und
of us have internalised to the point that we became our own supervisors,
letztendlich wieder der Macht anheim fallen, decken sie die Machtstruktu-
thus exercising this surveillance over, and against, ourselves.
ren, Zwänge und Widersprüche der Überwachung auf.
In her videos My Address is neither a House nor a Street my Address is
Es ist jedoch möglich, dem Röntgenblick der Kamera zu entkommen, den
a Shopping Centre Rakauskaite analyses this dialectic demonstrating that
jeder von uns so sehr verinnerlicht hat, dass wir uns selbst zu überwachen
surveillance, in a shopping centre, not only ensures control and order but
beginnen, wodurch wir die Überwachung gegen uns selbst richten.
also engenders our excitement and exhilaration. We are actors produced
In ihrem Video My Address is neither a House nor a Street my Address is
by surveillance. On the other hand, our consumerist performances that
a Shopping Centre analysiert und weist Rakauskaite dialektisch nach, dass
are themselves articulations of power, surveillance and discipline bring
Überwachung in einem Einkaufszentrum nicht nur Kontrolle und Ordnung
supermarket spaces into being. Rakauskaite reveals that both as voyeurs
gewährleistet, sondern auch Aufregung und Euphorie erzeugt. Wir sind
and exhibitionists we experience unofficial pleasures in the proliferation
die Akteure der Überwachung. Andererseits wären Einkaufszentrums-
of closely observed consumer reality. The artist explores the mysterious
räume ohne unsere Konsumentenleistung, die wiederum Artikulationen
conjunction of power and pleasure in the space of a supermarket.
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Parcours
Recherche in Progress zwischen Kunst und Wissenschaft, die die Gameworld und ihre Implikationen zum Gegenstand hat. Fast zeitgleich mit der
Austria / Switzerland / Spain, 2005, 4,19’ loop
Margarete Jahrmann (*1968 in Vienna) lives and works in Zürich and
Max Moswitzer (*1968 in Graz) lives and works in Vienna
Rebellion der Neoavantgarde gegen die Imperative des Funktionalismus
entstand eine subkulturelle Szene in Frankreich, die sich vergleichbar den
künstlerischen Praktiken von „Dérive“ und „Détournement“ die Stadt als
Spielparcours aneignet. Aus den Dokus auf den Websites von Le Parkour
Ob wir an Business-Krieger, Spitzensportler oder an Gamer als Ego-Shooter
wählten Jahrmann und Moswitzer Sequenzen aus, die „eingepixelt“ das
Monster denken – der Autor eines Kommentars zu den Ausschreitungen
Wechselverhältnis von Games und subkulturellen Praktiken anzeigen sollen.
in den Banlieues bringt es auf den Punkt, wenn er meint, dass eine bei-
Diese Schnittfolgen werden durch Fernsehbilder aus der Berichterstattung
nahe meditative Versenkung in die Aggression längst der allgemeinen
über die derzeitigen Unruhen in den Pariser Vorstädten konterkariert. Vor-
Anforderung in der modernen Gesellschaft entspricht. Immerhin geht es
geführt mit der Syntax von Video-Clips, ist die Arbeit auch eine Reflexion
darum, wie sich auf den postfordistischen Marktplätzen zu behaupten. Der
über Identität und Differenz, über die soziale Konstruktion von Wirklichkeit
Architektur der 60er und 70er Jahre sei es nicht anzulasten, dass soziale
zwischen unterschiedlichen Virtualisierungsbereichen.
Verlierer nachfolgender Modernisierungsschübe ihrer Frustration Ausdruck
Mit der Etablierung neuer Technologien hat auch „das Künstliche“ im
geben, lauten übereinstimmend Aussagen aus der Fachwelt. Neben den
„Real Life“ an Relevanz gewonnen. Der quasi „zweiten Natur“, die soziale
Auswirkungen der gesellschaftlichen Entsolidarisierung und einer entspre-
Organisation als Virtualisierung zweiter Ordnung, ist eine dritte angewach-
chenden Sozialpolitik ist zwar auch ein städtebauliches Problem mit Schuld
sen, die die elektronisch kybernetischen Räume umfasst. Es ist die digitale
daran. Nichts aber, was Städteplanern zum Vorwurf gemacht werden kann,
Codesphäre, in der die globale Industrialisierung der Codes in der Bio- und
denn die damals mitkonzipierte Infrastruktur – immer auch ein Faktor für
Mediensphäre stattfindet. Die Unterscheidung in Schein und Wirklichkeit
Wohnqualität – existiert mittlerweile einfach nicht mehr. Die statische
ist längst nicht mehr in einer Subjekt / Objekt-Schematik der Erkenntnisthe-
räumliche Zonierung in der Fläche, die den linearen repetitiven Zeittakten
orie verankert. (F. E. Rakuschan)
der fordistischen Produktion entsprach, verlor in den Prozessen räumlicher
und zeitlicher Flexibilisierung an Bedeutung. Die Logik der Dienstleistungs-
Whether we think of business warriors, top athletes or gamers as ego-
gesellschaft in einer postgeografischen Ära generiert mehrdimensionale,
shooter monsters – the author of a commentary on the riots in the
global vernetzte, zeitlich oft nur kurzfristige Intensitätszonen. Und die idi-
banlieues hit the nail on the head when he said that an almost meditative
osynkratischen Stilübungen einer dezidiert postmodernen Architektur, wie
immersion in aggression has long corresponded to the general demands of
sie in den 80er Jahren aufkamen, stehen für die Ratlosigkeit, wie denn die
modern society. What matters is how one asserts oneself in the post-Fordist
neuen Leitbilder zu repräsentieren seien. Während heute der Computer wie
market places. The architecture of the 60s and 70s is not to blame that
in allen Bereichen auch in der Entwicklung von Architektur einen fixen Platz
those who have lost out in society in the course of subsequent waves of
hat, leben die Ausprägungen einer „internationalen Disneyworld“ in den
modernisation express their frustration, as all the statements from the world
3-D-Welten der Computergames weiter fort.
of experts agree. In addition to the effects of a decrease in social solidarity
Das Video-Loop Parcours von Margarete Jahrmann und Max Moswitzer ist
and corresponding social policies, a problem of urban planning is also to
Teil der Installation Ludic-Society-Traces, die gegenwärtig in der Ausstel-
blame. Yet no reproach can be made to the urban planners themselves,
lung Postmediale Kondition präsentiert wird. Es ist zugleich die Spur einer
because the infrastructure that they had figured into their concept – which
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is always also a factor of living quality – has meanwhile simply ceased to
exist. The urban zoning that corresponded to the linear repetitive rhythm
of Fordist production lost their significance in the processes of spatial and
temporal flexibilization. The logic of the service society in a post-geographic
era generates multidimensional, globally networked, often only temporary
zones of intensity. And the idiosyncratic style exercises of an explicitly
postmodernist architecture, as they emerged in the 1980s, stand for a lack
of ideas about how the new models should be represented. Whereas the
computer has a fixed place in the development of architecture, as in every
other area, the impacts of an „international Disneyworld“ live on in the 3D
worlds of computer games.
The video loop Parcours by Margarete Jahrmann and Max Moswitzer is part
of the installation Ludic-Society-Traces, currently presented in the exhibition
Postmediale Kondition. It is simultaneously a trace of an investigation
in progress between art and science, which deals with the game world
and its implications. A sub-cultural scene arose in France almost at the
same time as the rebellion of the neo-avant-garde against the imperative
of functionalism, which appropriates the city as a game course in a way
comparable with the artistic practices of “dérive” and “détournement”.
Jahrmann and Moswitzer selected sequences from the documentaries
on the websites of Le Parkour, which were to show by the artistic means
of „pixelation“ the interplay of games and sub-cultural practices. These
sequences are counterpointed with TV images from news reports on the
current unrest in the Parisian suburbs. Displayed with the syntax of video
clips, the work is also a reflection on identity and difference, on the social
construction of reality between different fields of visualisation.
With the establishment of new technologies, the „artificial“ in real life
has increased in relevance. „Second nature“, so to speak, the social
organisation as a second-order virtualisation has sprouted a third nature
comprising electronic cybernetic spaces. It is the digital code-sphere, in
which the global industrialisation of codes takes place in the bio and media
spheres. The separation into illusion and reality has long since ceased to be
anchored in a subject / object schemata of epistemology. (F. E. Rakuschan)
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Les passagers d’Orsay / Passengers of Orsay
France, 2003, 52‘
Sandra Kogut (*1965 in Rio de Janeiro) lives and works in Paris
Montage: Monica Almeida
„Darf ich ein Porträt von Ihnen mit Ihrem Lieblingskunstwerk machen?“
Diese Frage stellt Sandra Kogut Besuchern des Musée d’Orsay in Paris, die
sie mehr oder weniger zufällig auswählt. Die Antworten waren oft ziemlich
genau: „Mein Lieblingsbild hängt im ersten Stock. Gehen Sie mit hinauf?“
Oder: „Ich zeige Ihnen ein Bild, das mein eigenes Leben widerspiegelt.“ So
begannen Koguts oft kilometerlange Spaziergänge auf ihrer Suche nach
diesen Bildern. Koguts Arbeit fragt, wohin die Besucher uns führen und
wohin die Kunstwerke die Besucher führen. Die Filmemacherin kehrt die
Konventionen um, indem sie die Kamera nicht auf die Kunstwerke, sondern
auf die Museumsbesucher richtet. Ihr bezaubernder poetischer Film folgt
einer Anzahl Besucher durch die Hallen des ehemaligen Bahnhofs. Auf dem
Weg zum Lieblingskunstwerk vertrauen sich die Charaktere der Kamera
an, entdecken ihre Persönlichkeit und werden ebenso zum Objekt unserer
Aufmerksamkeit wie die Kunstwerke, die sie beschreiben. Die Charaktere
sind einnehmend: ein Exzentriker, der die Schritte der Passanten misst; ein
Pariser Snob, der zwar das Museum, nicht aber die Besucher liebt, die für
ihn „in Fetzen gekleidet“ sind; drei männliche Teenager, die sich gerne die
weiblichen Akte und die hübschen Touristinnen zu Gemüte führen; ein Gefühlsbetonter, der vor einer Skulptur Camille Claudels in Tränen ausbricht;
und schließlich ein Mädchen, das ewig nach einem Bild sucht, von dem sie
möglicherweise träumte, dass es im Orsay hängt. In einer Reihe witziger,
berührender Sequenzen wirft Les Passagers d’Orsay einen originellen, anziehenden Blick auf Museen und ihre Besucher. Les Passagers d’Orsay ist
ein Video, das das Musée d’Orsay in Auftrag gegeben hat und zufälligen
Kunden durch die riesigen Räume folgt, bis diese vor ihrem Lieblingsbild
oder ihrer Lieblingsplastik stehen.
Durch die Verwebung von Elementen des Dokumentarfilms mit Fiktion, experimentalfilmischer und essayistischer Mittel und des Persönlichen mit dem
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Kollektiven hat Sandra Kogut sich einen ganz großen Namen als aktuelle
Passengers of Orsay offers an original, appealing perspective on museums
Kunstfilmmacherin gemacht. Ihre Filme sind gleichzeitig schräg, poetisch
and their visitors. Passengers of Orsay is a commissioned video for Paris‘s
und ganz leicht ironisch, fröhlich und spielerisch, aber auch mit ernsten
Musee d‘Orsay, following random patrons through the huge museum until
Momenten durchsetzt. Als Brasilianerin ungarischer Herkunft, die nun in
they arrive at their favourite painting or sculpture.
Paris lebt, überquert Sandra Kogut mit ihren Arbeiten, in denen sie nicht
Interweaving elements of documentary and fiction, of the experimental
nur die Konstruktion mehrfacher Identitäten untersucht, sondern auch den
and the essayistic, and of the personal and the collective, Sandra Kogut has
Begriff dieser Mehrfachheit als solcher erweitert, anscheinend mühelos
emerged as one of the most distinctive cultural filmmakers at work today.
Grenzen persönlicher, kultureller und nationaler Identität. Durchdrungen
Her films are by turns whimsical, lyrical, and finely ironic-lighthearted and
von einer sanftmütigen Zuneigung zu ihren Personen – ein Gefühl, das
playful, yet also momentous and serious. A Brazilian of Hungarian descent
in modernen Dokumentarfilmen sehr selten zum Ausdruck kommt – kon-
who now resides in Paris, Sandra Kogut, with seeming effortlessness,
struiert Kogut hybride Räume, in denen sie die vielfältigen Beziehungen
traverses and transgresses boundaries of personal, cultural, and national
zwischen Menschen und Bildern mit Witz erhellt.
identity in works that not only explore the construction of multiple
affiliations but expand our conception of multiplicity itself. Infused with
an elusive tenderness toward their subjects – a sentiment altogether rare
„Can I do a portrait of you with your favourite work of art?“ This is the
in contemporary non-fiction – Kogut’s frames become hybrid spaces that
question Sandra Kogut puts to gallery-goers, chosen more or less at
wittily illuminate the manifold relationships between individuals and their
random, in the famed Musée d’Orsay in Paris. The responses were often
images.
quite precise: „My favourite is on the top floor; do you mind going up
there?“ or „I’m going to show you a painting that reflects my own life.“
Thus began the walks she made, some of them miles long, in search of
these images. Kogut’s work asks where these people will lead us and where
these works of art are leading them.
The filmmaker reverses convention by turning her camera not on the
works, but on the museum visitors. Her charming, poetic film follows a
number of them through the halls of the former railway station. As they
lead her to the place where their favourite work is hung, the characters
confide to the camera, reveal their personalities, and become objects of
our attention like the artworks they describe. The characters are engaging:
an eccentric who measures the steps of passers-by; a Parisian snob who
likes the museum but not its visitors “dressed in rags”; three teenaged
boys who like to look at the nudes and the pretty tourists; an emotional
type who bursts into tears before a sculpture by Camille Claudel; not to
mention a young girl who searches endlessly for a painting that she may
have dreamed was there. In a series of humorous and touching sequences,
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Pessac – Leben im Labor / Pessac – Life in a Laboratory
Austria, 2004, 51’24’’
Claudia Trinker (*1974 in Hallwang, Austria) lives and works in Vienna and Julia
Zöller (*1973 in Freiburg, Germany) lives and works in Munich
Cinematography: Afra Hämmerle
Für den Architekten Charles-Edouard Jeanneret, der sich Le Corbusier
For the architect Charles-Edouard Jeanneret, who called himself Le
nannte, war die Siedlung Pessac die erste Gelegenheit, Architektur für „ganz
Corbusier, the Pessac housing complex was the first opportunity to design
normale“ Menschen zu entwerfen. Gezeichnet hatte er bereits Städte
architecture for “entirely normal” people. He had already drafted cities
mit bis zu drei Millionen Einwohnern, in der Realität aber waren seine
for up to three million inhabitants, but his actual clients were all wealthy
Bauherren stets vermögende Bürger. So auch Henry Frugès, dem er ein
citizens. One of these was Henry Frugès, for whom he had built a private
Privathaus gebaut hatte und von dem er im Anschluss daran den Auftrag
home and from whom he was subsequently awarded a contract to construct
bekam, in der Nähe von Bordeaux eine Siedlung für die Arbeiter seiner
a housing complex for the workers at his sugar factory near Bordeaux. The
Zuckerfabrik zu errichten.
fifty-one houses, built between 1925 and 1929, are still inhabited today,
Die zwischen 1925 und 1929 entstandenen einundfünfzig Häuser werden
with differing levels of respect shown to the famous architect.
noch heute bewohnt – mit mehr oder weniger großem Respekt vor dem
Claudia Trinker and Julia Zöller let the inhabitants of Pessac tell their
berühmten Architekten.
stories: about windows whose panes burst at night with a loud bang,
Claudia Trinker und Julia Zöller lassen die Bewohner von Pessac berichten:
cracks in the walls, and the conditions set by the office for the protection
über Fenster, deren Scheiben nachts mit lautem Knall zerspringen, Risse
of historic monuments, which intends to recreate the original state. At first
in den Wänden, die Auflagen des Denkmalamtes, das erwartet, den ur-
the architecture seems to be an inhumane experiment, a negative living
sprünglichen Zustand wieder herzustellen. Anfangs erscheint die Architek-
environment against which the inhabitants have revolted for decades and
tur als menschenverachtendes Experiment, als lebensfeindliche Umgebung,
which they have only managed to control through reconstruction and
gegen die sich die Bewohner seit Jahrzehnten auflehnen und die sie nur mit
additions. The film’s captions – all quotes from the architect who dreamed
Um- und Anbauten in den Griff bekommen. Die Zwischentitel des Films,
of the new human and the “machine for living” – show the gap between
alles Zitate des Architekten, der vom neuen Menschen und der „Wohn-
intention and realization. However, over the course of the film, others also
maschine“ träumt, zeigen die Kluft zwischen Anspruch und Umsetzung.
have a say. An architect who lives in one of the houses says that she needed
Aber im Laufe des Films kommen auch andere zu Wort. Sie habe sehr lange
a long time to discover Le Corbusier’s poetic side and her admiration for
gebraucht, sagt eine Architektin, die eines der Häuser bewohnt, bis sie die
him is now even greater.
poetische Seite Le Corbusiers entdeckt habe, jetzt sei ihre Bewunderung
Pessac is gradually transforming back to its original state; more and more
noch größer.
houses are being restored. That which was conceived for simple workers
Allmählich verwandelt sich Pessac wieder in den Ursprungszustand zurück,
attracts mainly architects today. (Oliver Elser)
immer mehr Häuser werden restauriert. Was für einfache Arbeiter gedacht
war, zieht heute vor allem Architekten an. (Oliver Elser)
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Phantom fremdes Wien / Phantom Foreign Vienna
Austria, 2005, 26’50’’
Lisl Ponger (*1947 in Nuremberg, Germany) lives and works in Vienna
Sound Design: Dietmar Schipek, Music: Hakan Gürses, Viennasi MC
Ein taiwanesisches Tanzfest, ein nigerianischer Erntedank, eine türkische
A Taiwanese celebration, a Nigerian Harvest thanksgiving, a Turkish
Hochzeit, der Staatsfeiertag der Elfenbeinküste, ein thailändisches Neujahr,
wedding, the official state holiday of the Ivory Coast, a Thai New Year,
ein Treffen der Roma, ein Saufgelage unter Tschechen: Nahezu jedes Land,
a Roma meeting, a Czech booze up. Almost every country, every culture,
jede Kultur, jede Ethnie ist in einer mitteleuropäischen Großstadt wie Wien
every ethnic group is represented in a large Middle European city such as
vertreten, verfügt über Formen und Konventionen der Zusammenkunft
Vienna, and has its own forms and conventions for preserving its identity.
und der Bewahrung von Identität. Die Menschen treffen einander in Kon-
People meet each other in congress centers and backrooms, in restaurants
gresshallen und Hinterzimmern, in Restaurants und Gotteshäusern. Lisl
and places of worship. In the years 1991 and 1992 Lisl Ponger undertook a
Ponger hat in den Jahren 1991 und 1992 eine systematische Suche nach
systematic search for “Foreign Vienna”. She kept a diary of her encounters.
dem „Fremden Wien“ unternommen. Über ihre Begegnungen hat sie ein
Eleven years later she edited a film out of the material in which the results
Tagebuch geführt. Elf Jahre später schneidet sie aus ihrem Material einen
of her participatory observation (usually with a Super-8 camera, sometimes
Film, in dem die Ergebnisse ihrer teilnehmenden Beobachtung (meistens
only with a sound recorder) are ordered according to different categories
mit einer Super-8-Kamera, manchmal nur mit einem Tonaufnahmegerät)
– visual and technical as well as “anthropological” motifs play a role. Off
nach verschiedenen Kategorien geordnet werden: Visuelle wie technische
screen the filmmaker herself speaks the commentary about her ordering
wie „anthropologische“ Motive spielen eine Rolle. Aus dem Off spricht die
of cultural things, which she proves are simply “constructed” – a monk
Filmemacherin über ihre Ordnung der kulturellen Dinge, die sich als funda-
beats a drum, a river rushes by, the pictures and the sound come from two
mental „zusammengesetzt“ erweist: Ein Mönch schlägt die Trommel, ein
different areas. Phantom Foreign Vienna is a deconstruction of common
Fluss rauscht, das Bild und der Ton entstammen unterschiedlichen Feldern.
“book illustrations of different peoples”. The focus of attention is not
Phantom Fremdes Wien ist die Dekonstruktion geläufiger „Völkertafeln“:
occupied by the characteristic gesture, the typical costume or the distinctive
Nicht die charakteristische Geste, das typische Kostüm, das unverwech-
music (the proof of the essence of a group) but the multifarious forms of
selbare Musikstück stehen im Zentrum (der Beweis für die Essenz einer
transition and montage. Representation becomes an open process, foreign
Gruppe), sondern die vielfältigen Formen des Übergangs und der Monta-
Vienna remains, despite its nearness, a phantom. (Bert Rebhandl)
ge. Repräsentation wird zu einem offenen Prozess, das fremde Wien bleibt
– bei aller Nähe – ein Phantom. (Bert Rebhandl)
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Radio Ghost
China / France, 2003, 32‘
Laurent Grasso (*1972 in Mulhouse, France) lives and works in Paris and Rome
Montage: Ariane Michel, Music: Jean-Michel Jeudy
Als neugierigem Besucher ist es Laurent Grasso gelungen, in Hongkong
seltsame Geschichten aufzuschnappen, die man sich in der Stadt erzählt.
Geschichten von Geistern, die in den Filmstudios und im Radio die Runde
machen. Jeder Hongkonger und jeder, der sich lange in Hongkong aufhält,
weiß, dass es viele davon gibt. Manche sind komisch, manche aber auch
tragisch, weil sie mit schwarzer Magie in Zusammenhang stehen. Laurent
Grasso hat von diesen Geistern gehört, die sich an den Drehorten einfinden, als ob sie Filmen als virtuelle Handlung besonders anziehen würde.
„Mir gefällt die Vorstellung sehr“, sagt er, „dass sich am Ort, wo man Fiktion
produziert, magische Erscheinungen einfinden. Ich hatte Lust, Räume zu
erzeugen, die eine andere Zeitlichkeit, einen Rückzug der Außenwelt ermöglichen, indem ich sinnliche und geistige Vorkehrungen traf. Es war mir
ein persönliches Anliegen, die Räume so zu verändern, dass eine Distanz zur
Welt hergestellt wurde. Das Video und der Ton haben mir dabei geholfen.
Und genau um diese Immaterialität geht es mir, weil die Gegebenheiten,
die ich manipulieren möchte, unsichtbar sind: die Zeit, die Magnetwellen,
die Anspielung auf andere zeitlich-räumliche Kategorien.“
Ein weiterer Aspekt, der ihn fasziniert, ist die Dichte des städtischen Gewebes Hongkongs, seine extreme Modernität und Vertikalität; der Kontrast
zwischen einer Stadt, die sich äußerlich ultramodern gibt, und dabei im
Inneren der Tradition, dem Aberglauben und der Magie verhaftet ist. Dies
hat Laurent Grasso in Ghost Story inszeniert: „Ich hatte die Möglichkeit,
die Stadt aus der Vogelperspektive zu filmen, aber aus sehr geringer Höhe,
was nur selten möglich und anderswo überhaupt unmöglich ist. Die Stadt
verwandelt sich in ein Modell, in buntes Spielzeug, das sich nach dem Bild
einer Realität belebt, über die wir immer weniger Macht haben“.
Tatsächlich hat Grasso Hongkong von einem niedrig fliegenden Hubschrauber aus aufgenommen. Man überfliegt eine sehr futuristische Stadt, die
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wie ein Architekturmodell gefilmt ist. Die mit Farben übersättigten Bilder
of coloured toys which come to life as in a reality which we are less and
erzeugen eine irreale Atmosphäre. Die Kamera bewegt sich langsam, ver-
less able to control.”
weilt über einem Grundstück, auf dem sich Menschen bewegen, nähert
In reality, Grasso filmed Hong Kong from a low-flying helicopter. You fly
sich frontal dem Bauch der Hochhäuser, fliegt weiter über Dächer und
over a very futuristic city filmed as a model, images over-saturated by
unbebautes Gelände mit tiefen Baugruben. Auf diese Art verliert die Stadt
color create a somehow unreal city. The camera moves very slowly, stands
jede wiedererkennbare Identität, und wird zu einem riesigen Spiel mit Bau-
still above a piece of land in which people move, moves close to the
klötzen, bei dem man mitspielen möchte. Es ist auch das Bild einer Stadt,
belly of skyscrapers, and further on over roofs and wasteland. From this
die dem Passanten am Boden verborgen bleibt. Der Künstler verharrt bei
point of view, the city looses its recognizable identity. It becomes a huge
herrlichen farbigen Einstellungen, rätselhaften abstrakten Ölbildern gleich,
construction you can see from above, tempting you to intervene. It is also
die uns plötzlich in einen anderen Raum hinübertragen.
the city invisible for the passer-by who has his feet on the ground. The artist
frames splendid colored views, abstract indecipherable paintings, which
transport us to another space.
A curious visitor to Hong Kong, Laurent Grasso managed to lend an ear
to some of those strange stories told there. Stories about ghosts told in
particular in cinema and broadcasting circles. Every Hongkongnese and
whoever has lived there for a long time knows that there are many many
such stories, of which some are funny and others tragic, because they can
be linked with black magic practices. Laurent Grasso had heard talking
about ghosts who are said to settle on film sets, as if the virtual character
of films were of particular attraction to them.
“I liked the idea a lot”, he said, “that where fiction is produced, magic
appearances come to live. I wanted to create sites which project a new
temporality, a withdrawal from the exterior world by providing adequate
sensorial and mental means. This was a personal need of mine to change
the spatial setting in a way that there is a distance to the world. Video and
sound helped me to change spatiality. That immateriality is of particular
interest for me, since all data that I want to manipulate are invisible: time,
magnetic waves, allusion to other space and time frameworks.”
Another aspect which fascinates Grasso is the density of the urban fabric, its
extreme modernity and verticality. It is the contrast between the high-tech
city and its traditions that root in superstition and magic, which Laurent
Grasso shows in his work Ghost Story: “I had the possibility,” he says, “to
film the city from the sky, but from a small distance, which is hardly possible
there, and impossible everywhere else. The city becomes a model, a series
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Rosa coeli
Austria, 2003, 23’11’’
Josef Dabernig (*1956 in Kötschach-Mauthen, Austria) lives and works in
Vienna
Words: Bruno Pellandini, Camera: Christian Giesser
Der Film beginnt abrupt: das erste Bild zeigt halbnah einen Mann, er sitzt
lesend in einem Zug. Dann sehen wir den Mann von nahem. Ein Ich-Erzähler aus dem Off sagt: „Man bildet sich ein, dass man das braucht: eine
Erinnerung an die Kindheit.“ Über all dem liegt eine Art Rauschen, es abstrahiert Geräusche einer Zugfahrt und öffnet zugleich einen Raum jenseits
des Sichtbaren: akustisch führt uns Josef Dabernigs Rosa coeli in eine Höhle
oder Röhre – den Schlund der Erinnerung, die Abgründe des Vergessens.
Der Mann kehrt an den Ort seiner Kindheit zurück, ein mährisches Dorf.
Sein Vater ist gestorben, das ist der Anlass der Reise. Sie löst einen Strudel
von Assoziationen aus, über das Zurückkehren, über die Familie. Es treibt
Geschichten aus der Kindheit an die Oberfläche; und wenig später ist das
Kind zu groß geworden, um sich mit dem Ringelspiel in einen glücklich
machenden Schwindel zu versetzen, vergleichbar dem Effekt des Slibowitz.
Das Erzählen gerät in einen Sog, in einen Rausch der Erinnerung. Wie durch
ein Medium steigen durch den aus dem Off sprechenden Mann immer
tiefer liegende Schichten der Vergangenheit empor, die sich lange vor der
eigenen Geschichte zugetragen haben.
Die Bilder dagegen bewegen sich an Oberflächen, rund um die Faktizität
der Erscheinungen: der Blick bleibt an Zimmerpflanzen hängen oder an den
Unterschriften der Darsteller auf ein paar Blatt Papier. Wenn die Kamera
auf die Tiefe des Raumes fokussiert oder durch ein Fenster filmt, sehen wir
dahinter – wie davor – nichts: nichts Besonderes. Der Blick ist ziellos, was
er uns zeigt, ist unvorhersehbar: eine Abfolge schmuckloser Interieurs im
Stil der 50er und 60er Jahre; Ansichten einer industrialisierten Kleinstadt in
Nebel und Kälte. Die Zeit ist eingefroren. Der Mann sitzt und wartet. Es ist
ein Aussitzen, ein Warten auf das Weggehen. (Sylvia Szely)
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The film begins abruptly: the first image is a medium-range shot of a man.
He is sitting in a train, reading. Then we see a close-up of the man. A
first-person narrator says from off-camera: “We convince ourselves that we
need it: a memory of childhood.” Sounding over everything is a drone, it
makes abstract the sounds of a train ride and at the same time opens up a
space beyond that which is visible. Acoustically, Josef Dabernig’s Rosa coeli
leads us into a cave or a pipe – the chasm of memory, the dark abyss of
forgetting. The man returns to the site of his childhood, a Moravian village.
His father has died, which is the occasion for his journey. This sets off a
whirl of associations; about returning, about the family. It draws childhood
stories to the surface and a short time later, the child has grown too old
to lose himself in the merry-go-round’s pleasurable spin, an effect similar
to that of slivovitz. The narrative is caught in a slip-stream, in a frenzy of
memory. As though through a medium, deeper and deeper levels of the
past are brought forth by the off-camera voice, from a time long before the
main character’s own story.
The images, on the contrary, move on the surface, around the factual
nature of the phenomena: the gaze remains fixed on potted plants or on
the actors’ signature on a few pieces of paper. When the camera focuses
into the depths of the room, or films through a window, we see nothing
– nothing behind, nothing out in front: nothing special. The gaze is aimless,
what it shows us is unforeseeable: A succession of plain interiors in the
styles of the 1950s and 1960s; views of a small industrial town in the fog
and cold. Time has frozen. The man sits and waits, waiting to leave. (Sylvia
Szely)
202
Scena
Lithuania, 2003, 9‘30’’
Deimantas Narkevicius (*1965 in Utena, Lithuania) lives and works in Vilnius
Camera: Audrius Kemezys
In Scena geht es immer wieder um die Abbildung eines Ortes und den
symbolischen Wert einer spezifischen Zeit und einer Ideologie. Der Film ist
von der Architektur des Ausstellungspalastes beeinflusst, eines Gebäudes
im Zentrum von Wilna, das in den 60er Jahren zur Feier des 50. Jahrestages der Oktoberrevolution erbaut wurde. Während die Kamera ihren Blick
auf die Architektur und die leeren Ausstellungsräume richtet, enthält der
Soundtrack Reflexionen über die Kunst, das Gebäude und seine Funktion
von Personen, die in irgendeiner Weise mit dem Gebäude verbunden sind.
Bis zu Beginn der 90er Jahre wurden dort offizielle Kunstausstellungen
veranstaltet. Im letzten Jahrzehnt begann die zuvor sehr angesehene Institution aus irrationalen Motiven damit, Werke von Gegenwartskünstlern
und experimentellen Künstlern auszustellen, die alles andere als repräsentativ sind. Hinter dieser Entwicklung stand ein Ehrgeiz, der stark von der
Architektur des Gebäudes selbst beeinflusst war. Die Dimension des Raums,
seine minimale Ästhetik, die jener öffentlicher Bauten mit gesellschaftlichem Auftrag entspringt, wurde zu einem Katalysator für die gesamte
Künstlergeneration.
Deimantas Narkevicius sieht zwischen der Skulptur und seinen Filmen einen
Zusammenhang. Auf die Frage Hans Ulrich Obrists in einem Interview über
den Prozess des Filmemachens antwortete dieser: „Es ist möglicherweise
mit dem Schaffensprozess eines Bildhauers vergleichbar, obwohl es nicht
um die Formgebung von Objekten geht. Wie ein Bildhauer muss man jedoch einen Bereich aussuchen, den man bearbeiten wird. Es ist mehr wie
eine Plastik für einen bestimmten Ort. Innerhalb dieses Bereiches, den man
selbst festlegt, beginne ich nach einer bestimmten Struktur Ausschau zu
halten. Wegen der Besonderheit des Mediums gibt es immer Dinge, die ich
dem Zufall überlasse, Bauten und Personen, die ich filme, Flächen, die ich
so nicht erwartet habe.“
205
Narkevicius ist einer der konsequentesten und anerkanntesten litauischen
Künstler der internationalen Kunstszene. Er war 2001 der Vertreter seines
Landes bei der 49. Biennale Venedig und stellte 2003 bei der Biennale Venedig in der von Molly Nesbit und Hans Ulrich Obrist kuratierten Utopia
Station aus.
In Scena the depiction of a place and the symbolic value of a specific time
and ideology recur. The film is inspired by the architecture of The Palace of
Exhibitions, a building in the centre of Vilnius, which was built in the 1960s
to celebrate the 50th anniversary of the October Revolution.
While the camera directs its gaze towards the architecture and the empty
exhibition spaces, the soundtrack is filled with reflections about art, the
building and its function expressed by people in some way connected to
the building.
By the beginning of the 90’s it was the stage for official art exhibitions.
During the last decade, due to some irrational matters, this former very
prestigious institution gradually started to show works of contemporary,
experimental artists, which are far from being representative. The ambition
of this evolution was very much influenced by architecture of the building
itself. The dimension of the space, its minimal aesthetics of social public
architecture became a catalyst place for the generation of artists.
Deimantas Narkevicius sees a connection between sculpture and his films.
Asked by Hans Ulrich Obrist in an interview about his process in making
a film he answered the following: “It’s probably like making a sculpture,
though not in the sense of modelling objects. Rather it is a matter of
choosing an area in which you’re going to work. It’s more like a sculpture
for a specific location. Within this area that you yourself define, I start to
look for a certain structure. Because of the specificity of the medium, there
are always things that I leave to happen in unexpected ways within the
filmed objects and people, the unexpected surfaces.
Narkevicius is one of the most consistent and widely recognised Lithuanian
artists on the international art scene. He represented his country at the
49th Venice Biennale in 2001 and exhibits at the 50th Venice Biennale in
2003 in Utopia Station curated by Molly Nesbit and Hans Ulrich Obrist.
206
Silberhöhe
Germany, 2003, 10‘
Clemens von Wedemeyer (*1974 in Göttingen, Germany) lives and works in
Berlin and Leipzig
Camera: Frank Meyer, Sound recording: Dirk Sommer, Sound mastering: James
Welburn
Die Hallenser Plattenbausiedlung „Silberhöhe“ wurde zwischen 1979 und
1989 für 40.000 Bewohner erbaut. Ihre Geschichte zeigt, mit welchen
Turbulenzen eine zunehmend unbeherrschbar gewordene sozialistische
Stadtplanung seit den späten 70er Jahren zu kämpfen hatte. Auch ist der
Stadtteil, der seit 1990 mehr als die Hälfte seiner Einwohner verloren hat,
Indiz für den politisch ungelösten Strukturbruch in Ostdeutschland.
„Das Gefühl, wenn man durch eine moderne, hermetische Geisterstadt
fährt“, so Clemens von Wedemeyer, „hat mich beeindruckt. Deshalb finde
ich auch, dass man die Plattenbauten alle stehen lassen sollte, um unterschiedliche Situationen zu schaffen. Man sollte nichts planen. Wenn man
das erlebt hat, kann man etwas über Bilder von de Chirico oder ähnlichen
sagen, bzw. die Texte der Situationisten über das Umherschweifen oder die
Psychogeografie begreifen.“
In der Videoarbeit Silberhöhe wird das Viertel – wie Frank Müller in seinem Aufsatz beschreibt – zum Schauplatz eines Geschehens, das sich in
langen Kamerafahrten durch spannungsgeladene verlassene Straßen und
durch Blicke in unheilschwangere Wohnzimmer ankündigt und das dann
irgendwie nie passiert. Indem das Video Kameraführung und Schnitttechnik der Schlussszene aus Michelangelo Antonionis Film L´eclisse (1962)
zitiert, transportiert es die der Vorlage eigene, besondere und ganz ohne
Menschen auskommende Dramatik ins Hier und Jetzt des verödenden
Stadtteils und schafft so eine gedankliche Linie zwischen beiden Enden der
Zeitspanne, in der die moderne Stadtutopie entwickelt, gebaut, gelebt und
verworfen wurde. Graue Leere, abgebrochene Wohnblöcke, fernsehflackernde Gardinen – Momentaufnahmen einer schrumpfenden Stadt, die
unter der kalten Oberfläche mit gärender Anspannung auf das Eintreffen
ihrer Zukunft – oder ihres Endes – wartet.
209
The new suburb estate “Silberhöhe” in the East German city of Halle was
built with blocks of flats to house 40,000 people in the decade between
1979 and 1989. The history of this settlement has clearly shown the
turbulence with which an increasingly uncontrolled socialist urban planning
has had to struggle since the late 1970’s. The new suburb, which has lost
over half of its inhabitants since 1990, is also a clear indicator of the extent
of the politically still unsolved structural change that has taken place in East
Germany.
“What impressed me was the feeling of travelling through a modern,
hermetically sealed ghost town” – Clemens von Wedemeyer commented.
“This is the reason why I feel that all the tower blocks of flats should be
left standing, with the aim of deliberately permitting different situations to
be created. Nothing should be planned. If you have once experienced this
then you have something to say about de Chirico paintings or the like and
you can understand the texts of the situationists on wandering around or
on psycho-geography.”
In the video Silberhöhe this urban area – as it is described by Frank Mueller
in his essay – is turned into the scene of an event that is announced in
the long and tense camera explorations of abandoned streets and by
glimpses into living rooms that appear rich in potential for that catastrophe
that then, somehow or other never happens. By quoting the final scene
of Michelangelo Antonioni’s film L´eclisse (1962) in the video camera and
cutting techniques used, the special drama of the presentation making no
use whatsoever of people, transports us into the here and now of this
abandoned area of town and succeeds in creating a line of thought that
lies between the two ends of the period in which the modern city utopia
was developed, constructed, experienced and cast aside. Grey, empty,
broken fronted blocks of flats, curtains illuminated by the flickering light
of television – snap-shots of a shrinking city, that waits in seething ferment
beneath an ice-cold surface for its future – or its final destruction – to
arrive.
210
Site Specific_Roma 04
Italy, 2004, 12’8’’
Olivo Barbieri (*1954 in Carpi, Italy) lives and works in Carpi
Erforschung der urbanen Landschaften, Analyse der architektonischen
Strukturen, Untersuchung der umkreisenden Gebiete: Das sind die wichtigen Merkmale der Studien von Barbieri. Er selbst deutet: „Der gewählte
Blickwinkel stellt ein Limit dar. Wenn wir ihn auswechseln, dann finden wir
zahlreiche, immer neue Deutungen. Durch das Anwenden von fließenden,
geschmeidigen Perspektiven gegenüber der Realität und Ereignissen konnte das Risiko von vorgekauten und vorangekündigten Aussagen vermieden
werden.“
Der Künstler besitzt tiefe Kenntnisse von der optischen Bank und kann sie
daher auf besondere Verfahren anwenden: er stellt sie vor das Objektiv
der Videokamera, stellt nur jenen Teil des Bildes scharf, auf den er die
Aufmerksamkeit lenken will, während alles Andere undefiniert und vage
bleibt. Gerade der Kontrast zwischen Deutlichkeit und Verschwommenem,
die Beziehung zwischen dem unbegreiflichen und reellen Raum steht als
Fundament der Arbeit dieses Künstlers. Barbieri verfolgt eine schwierig zu
erzielende poetische Entfremdung, die in der Realität eine physische Distanz vom dargestellten Objekt ergibt; diese Wahl gibt dem Betrachter die
irreale Dimension der Welt wieder.
Durch die Anwendung der Vogelperspektive und raffiniert verschwommener Bilder versetzt Barbieri in Site Specific_Roma 04 Gegenstände der Realität in eine gekünstelte und zum Teil träumerische Atmosphäre. Rom wird
in den Bildern des Künstlers aus Carpi ein überdimensionales Modell, eine
unwirkliche und fantastische Metropole, in der die bedeutende Geschichte,
das Leben der Bewohner, die städtische Struktur und die architektonischen
Zeichen ihre Körperlichkeit verlieren und die Bühne Installationen mit starken ideellen Komponenten überlassen.
Diese Denkeinstellung spiegelt sich deutlich im Kurzfilm Site Specific_Roma
04 wider, der die schöpferische Gesinnung Barbieris ausdrücklich aufzeigt. In Luftaufnahmen auf einer festdefinierten Route schmelzen Plätze
212
213
und Straßen ineinander, Paläste und Denkmäler, Altstadt und Vorstadt,
By means of aerial perspective and fading effects in Site Specific_Roma 04,
architektonische Wunder und unsagbare bauliche Verbrechen. Die kühle
Barbieri offers us the main elements of an artificial, somehow dreamlike
Zusammenstellung dieses Labyrinths bringt ein unsichtbares menschliches
reality. In the pictures of the artist from Carpi, Rome seems to become an
und soziales Geflecht zum Vorschein. Diese Bilder vermitteln einem auch
over dimensional plastic model, a unreal, fantastic metropolis, where the
die Erkenntnis einer grandiosen und zugleich delirierenden Künstlichkeit
importance of the history, the life of the citizens, the urban structure and
der menschlichen Ordnung, welche sowohl eine komplexe Artikulation des
the architectonic signs fade and loose substance, leaving the floor to a kind
Raumes schafft, als auch architektonische Abnormitäten, die zur Zerstö-
of installation with strong conceptual components.
rung der Landschaft führen.
This conception can be easily recognized in the short film Site Specific_Roma
Olivo Barbieri scheint sich stets zu fragen „Was gibt es eigentlich Reales in
04, where Barbieri’s creative ideology takes clear shape. Aerial views –
unserem Lebenssystem?“ oder auch „Wieviel von dem, das uns umgibt,
taken on a well defined path – show melting images of city squares and
begreift tatsächlich unser Blick?“. Fragen, die höchstwahrscheinlich keine
streets, palaces and monuments, the historical town centre and suburbs,
ausführliche Antwort finden können, die aber die logische und erforderli-
architectonical beauty and inconceivable awfulness. The coolness of this
che Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Handeln zur Diskus-
compound labyrinth evokes an invisible social and existential texture; at
sion stellen. Der Lebenssinn wird in den Bildern Barbieris zum Gegenstand
the same time you realize through this film, how great and deliriously
kritischer Überlegungen, zur philosophischen Einstellung, wodurch die
artificial the human organisation can be, which is able to systematically
menschliche „Ansicht“ ihrer Subjektivität entsagt und sich in bedrücken-
articulate space but also to create monstrosities that led to the destruction
der, tiefgehender, verzweifelter und zynischer Objektivität übt.
of landscapes.
Olivo Barbiere seems to ask continuously, how much reality exists in our
living system, or again, how far our perspective is able to comprehend
Exploring the urban landscape, analysing its architectural structure,
what surrounds us. Probably these are questions without an exact answer,
examining the surrounding background: These are the main elements in
but they allow calling into question the logical relation that should subsist
the artistic research of Barbieri. He explains: “The setting of a point of
between the human being and his activities. In the end the sense of living
view is the first limitation. Changing it you open your vision to several new
that we detect in the pictures of Barbieri becomes the topic of a critical
meanings. Adopting a shifting perspective towards reality and occurrences
assessment, of a philosophical approach where the human view negates its
abridged the risk to put across unavoidable and predictable assertions.”
subjectivity and seeks for a painful, deep, desperately cynical objectivity.
Thanks to his knowledge and experience with the optical bench, the artists
is able to make the best out of it: he puts it before the camera, focuses just
that part of the image, where he want us to concentrate our attention,
keeps everything else blurred and vague. On the contrast between smart
and undetermined, between real and fictive space bases the artist’s
work. Barbieri pursuits a poetic dissociation – not easy to obtain – which
corresponds in fact to a physical distance from the represented item; a
choice which consents the observer to experience the world’s “unreal”
dimension.
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The Sound of Microclimates
UK, 2004, 10‘
Semiconductor: Ruth Jarman (*1973 in Fareham, UK) and Joseph Gerhardt
(*1972 in Oxford) live and work in Brighton
The Sound of Microclimates gibt optische und akustische Hinweise auf
ungewöhnliche Wetterentwicklungen im heutigen Paris. Die Architektur ist
verflochten mit den natürlichen Prozessen der geografischen Landschaft.
Als kaum beachtete Momentaufnahmen erscheinen extreme Mikro-Klimata in städtischer Umgebung als Blick in die Zukunft und zeigen uns die
unsichtbaren Stadtlandschaften von morgen. Wie die vorübergehenden,
inszenierten Veranstaltungen bei einer Weltausstellung heben die Wettermuster öffentliche Plätze und Architektur in der Stadt Paris hervor. Als eine
Reihe von meteorologischen Beobachtungen setzen sie die Evolution des
unbelebten Stadtbildes in Gang. Dabei sind jeder klimatischen Veränderung eigene akustische Frequenzen zugeordnet; die Geräusche der jeweiligen Umgebung setzen Bewegung in Gang und enthüllen die einzigartige
Geschichte jedes einzelnen Ortes.
The Sound of Microclimates reveals the sights and sounds of a series of
unusual weather patterns in the Paris of today. Here, architecture has become
interwoven with the natural processes of the geographical landscape. Set
within the unnoticed moments in time, extreme microclimates are presented
as the future in city accessories, revealing the unseen urban terrain of
tomorrow. Like the temporary staged events at a world fair these weather
patterns highlight public spaces and architecture within the City of Paris.
They exist as a series of weather observations that animate the evolution of
the inanimate urban condition. Each microclimatic intervention has its own
audible frequencies, where the sound from each environment animates the
movement and reveals each site‘s unique narrative.
218
St Denis
Harvey Oswald. Duchamp hatte ein geheimes Atelier im 4. Stock, in dem
seine letzte Arbeit, Etant Données, entdeckt wurde, und Oswald arbeitete
USA, 2003, 25‘
John Pilson (*1968 in New York) lives and works in New York
kurz für einen anderen Mieter im St. Denis. Seine gegenwärtigen Bewohner
sind beinahe ausnahmslos Psychoanalytiker und Massagetherapeuten. Vor
vielen Bürotüren stehen Lärmmaschinen, die weißes Rauschen erzeugen,
John Pilson ist hauptsächlich für seine Videos bekannt, die den Zusam-
damit von den Gesprächen drinnen kein Laut nach außen dringt. St Denis –
menhang zwischen der Ordnung, die das in zahlreichen zeitgenössischen
ein Reisebericht über Schicksale – navigiert über langsame und abrupte
Bauten vorhandene moderne Raster auferlegt hat, und der oft irrationalen
Übergänge, zwischen Straße und Korridor, sich brechendes Sonnenlicht
und chaotischen Emotionalität seiner Bewohner untersuchen.
und schattenlose Leuchtstoffröhren, Außenansichten aus dem 19. Jahr-
Er macht seit einigen Jahren Videos, für die er ausgehend von der Beob-
hundert und Interieurs des 20. Jahrhunderts.
achtung der Arbeitswelt in den aseptischen neutralen großen New Yorker
John Pilson erhielt für seine Teilnahme an der Biennale Venedig 2001 einen
Büros eine eigene visuelle Welt erzeugt. Er interessiert sich vor allem für
der „Preise für junge Künstler“. Vor kurzem wurde er bei Die Modernen
die Zwischenräume, für die Pufferorte wie Gänge, Badezimmer oder Auf-
im Castello di Rivoli in Turin, Italien und bei Moving Pictures im Solomon R.
züge, Durchgangsräume und Vektoren einer bestimmten Intimität. Pilson
Guggenheim Museum in New York ausgestellt.
inszeniert dort kleine „Events“ oder „Aktionen“ am Ende des Tages, in
der Nacht oder am Wochenende, wenn die Vertreter der Macht abwesend
sind.
John Pilson is mainly known for videos that explore the relationship
In seinen jüngsten Arbeiten erstreckt sich seine Faszination für Architektur
between the order imposed by the modernist grid present throughout many
auf die Erfahrung der Zeit, die in den Spuren der Vergangenheit zu finden
contemporary structures and the often irrational and chaotic emotionality
ist, die neben dem Hier und Jetzt existieren, ebenso geht er den Effekten
of the peoples it frames.
von Licht und Dunkel nach und wie sie unser Raumverständnis und unsere
For some years he has been making videos for which he has created a visual
Reaktion auf den Raum bestimmen.
universe based upon his observation of people working in neutral aseptic
Die realen und imaginären Ereignisse, die in Pilsons Einkanalarbeit,
New York offices. He is particularly interested in interspaces, in buffer
St Denis, dargestellt sind, erzählen von der Vergangenheit und der Gegen-
spaces such as corridors, bathrooms or elevators, transit areas and areas or
wart eines Gebäudes. Das St. Denis wurde in den 60er Jahren des 19. Jahr-
rooms which convey a certain intimacy. There Pilson stages small “events”
hundert an der Ecke 11. Straße und Broadway errichtet und war zunächst
or “actions” which take place at the end of the day, at night or during the
ein gut gehendes Hotel, das Abraham Lincoln und Ulysses S. Grant zu
weekend, when the officials are absent.
seinen Gästen zählte. Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Hotels
In recent works his fascination with architecture extends into the experience
war – besonders in den Augen des Künstlers – Alexander Graham Bells
of time registered in traces of the past, which exist alongside the present
erste öffentliche Vorführung des Telefons auf der 2. Etage.
everyday and how the effects of light and dark can affect our understanding
Mit der Zeit veränderte sich das Viertel und damit auch das Hotel ganz
and response to space.
dramatisch. Die umgebenden Auslagenfronten wurden von Antiquitäten-
The events, both real and imagined, depicted in Pilson’s single channel
händlern übernommen und das St. Denis wurde zu einem Bürohaus umge-
work, St Denis, are inspired by a building’s past and present. Built in the
baut. Zu seinen bekanntesten Nutzern gehörten Marcel Duchamp und Lee
1860s at the corner of 11th and Broadway, the St. Denis was originally
220
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a thriving hotel boasting both Abraham Lincoln and Ulysses S. Grant as
one-time guests. Another notable event in the hotel’s history – especially to
the artist – was Alexander Graham Bell’s first public demonstration of the
telephone on the 2nd floor.
Over time both the neighbourhood and the building dramatically changed:
the surrounding storefronts were taken over by high-end antique stores
and the St. Denis was converted into office space. Among the buildings
famous occupants were Marcel Duchamp and Lee Harvey Oswald.
Duchamp maintained a secret studio on the 4th floor where his last work,
Etant Données, was discovered and Oswald briefly worked for another
of the St. Denis’ tenants. Its current occupants consist almost entirely
of psychoanalysts and massage therapists. White noise sound machines
appear outside many of the office doors to insure the privacy of the
conversations inside. St Denis becomes a travelogue of sorts; a navigation
of daily transitions both gradual and abrupt, between street and corridor,
refracted sunlight and shadow-less fluorescents, 19th Century exteriors
and 20th Century interiors.
John Pilson was a recipient of one of the “Prizes for a Young Artist” for
his participation in the 2001 Venice Biennial. Most recently, the artist was
in part of The Moderns at the Castello di Rivoli in Turin, Italy and Moving
Pictures at the Solomon R. Guggenheim Museum in New York City.
222
Suburbs of the Void
lassen müssen. Wir bleiben irgendwo zwischen Kindheit und Mündigkeit
hängen, in einer ewigen Pubertät, und die zeichnet sich durch Langeweile
Germany, 2004, 14‘
Thomas Köner (*1965 in Bochum) lives and works in Dortmund, Germany
aus.“ Köner erzählt, dass er als Kind selbst in einer dieser Vorortsiedlungen
aufgewachsen sei, wo die Nacht sich nährte von dem Wunsch auf einen
besseren morgigen Tag. (Dr. Holger Birkholz)
Die Ansicht einer Straßenkreuzung, flankiert von Häusern, die Köner uns
in seinem Video Suburbs of the Void bietet, ist völlig gesichtslos. Nichts
The sight of a crossroad surrounded by houses, which Köner shows in his
weist darauf hin, wo sich dieser Ort befindet. Keine Straßenschilder, nicht
video Suburbs of the Void, is absolutely faceless. There is no hint where this
einmal Werbetafeln sind erkennbar. Kaum, dass Spuren von Menschen
place could be. There are no street signs, not even billboards. Also, there
auszumachen sind. Einzelne erleuchtete Fenster und zeitweise undeutliche
are hardly any traces of human life. Some illuminated windows and blurry
Lichtspuren auf der Straße weisen auf die Anwesenheit von Menschen hin.
light spots on the street give a hint to existence of people. The picture is
Das Bild ist still, es erzählt keine Geschichten. Es ist lediglich das Bild eines
mute, it tells no stories. It is just the picture of a town. A street, a parking
Ortes. Eine Straße, ein Parkplatz ist zu sehen. Manchmal wechselt das Wet-
lot can be seen. The weather changes now and then. Wafts of mist move
ter. Nebelschwaden ziehen über die Szene hin, ganz langsam. Nirgendwo
over the scene, very slowly. There is nobody.
sind Menschen zu sehen.
The sequence of pictures results from single images, indicating a temporal
Die Bilderfolge entsteht aus Einzelbildern, die einen zeitlichen Verlauf nur
course but won’t stick to it in the final analysis. Köner used 2.000
andeuten, ihn in letzter Konsequenz aber nicht einlösen. Für Suburbs of the
photographs for Suburbs of the Void. The visual material belongs to a
Void hat Köner 2000 Fotos benutzt. Das verwendete Bildmaterial stammt
traffic security camera. It transfers the pictures via the Internet, where
von einer Kamera, die zur Verkehrsüberwachung aufgestellt wurde. Sie
Köner collected them and arranged them into a video. The town is situated
sendet ihre Bilder über das Internet, wo Köner sie aufgesammelt und zu
in Northern Finland near the polar circle. Permafrost and, in the current
einem Video zusammengestellt hat. Der Ort liegt in Nordfinnland, dicht am
season, darkness dominate the sight most time of the day.
Polarkreis, hier bestimmen Dauerfrost und zu dieser Jahreszeit Dunkelheit
For Thomas Köner, the permanent cold is connected with a general slowing
über weite Strecken des Tages das Bild.
down leading to a sharpened attention. Also, the detection of sounds is
Für Thomas Köner ist die permanente Kälte verbunden mit Verlangsamung
clearer. In this way boredom comes up, like a door, rooms are entered
und einer damit zusammenhängenden Schärfung der Wahrnehmung.
through. The sound track of Suburbs of the Void supports this aspect.
Auch das Gehör nimmt die Töne klarer wahr. Auf diese Weise entsteht eine
Sometimes one can hear slight noises of playing children in the background.
Langeweile, die wie eine Tür ist, durch die man Räume betrete. Die Tonspur
In front of the complete emptiness, these sounds must appear like memories,
zu Suburbs of the Void unterstützt diesen Aspekt, manchmal hört man leise
hardly discernible telescoping from the distance into the picture.
im Hintergrund die Geräusche spielender Kinder. Vor dem Bild absoluter
For Lars Svendsen boredom results from the mourning over a lost childhood.
Leere müssen diese Klänge wie eine Erinnerung erscheinen, die sich von
“We refuse the acceptance that we have to leave little by little the magical
fern kaum erkennbar unter das Bild schieben.
world of childhood, which contains so much new and exciting. We stay
Für Lars Svendsen resultiert Langeweile aus der Trauer um die verlorene
somewhere between childhood and adulthood, in an eternal puberty,
Kindheit. „Wir weigern uns, zu akzeptieren, dass wir die magische Welt
which is marked by boredom.” Köner tells us, that he himself grew up in
der Kindheit, die so viel Neues und Spannendes enthält, nach und nach ver-
one of these suburbs, where the night is fostered by the wish for a better
morning. (Dr. Holger Birkholz)
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Territórrio Vermelho / Red Territory
Brazil, 2004, 12’
Kiko Goifman (*1970 in Belo Horizonte, Brazil) lives and works in São Paulo
„Wie ein Strom, wie ein Fluss aus ununterscheidbaren Wesen, die wir Men-
“Like a Stream, the streets move always in a flux of indistinguishable and
schen oder Masse nennen, sind die Straßen in fortwährender Bewegung
undistinguished beings that we call people or mass. (...) On the streets,
(…). Auf den Straßen verrinnt, fließt, stirbt die Zeit (…). Für uns Brasilianer
time runs, flies, passes away. (...) To us, Brazilians, the street forms a kind of
bilden die Straßen eine Art Perspektive, aus der die Welt gelesen und inter-
perspective from which the world can be read and interpreted.” (Roberto
pretiert werden kann.“(Roberto da Matta)
da Matta)
Território Vermelho ist ein 12-minütiger Experimentaldokumentarfilm, der
Red Territory is an experimental documentary, 12-minute long, produced
gemeinsam mit Menschen produziert wurde, die an den Ampeln in Sao
together with people who work or beg for money at the traffic lights in the
Paulo, der größten brasilianischen (und weltweit fünftgrößten) Stadt, ar-
city of Sao Paulo, the largest Brazilian city (and the fifth largest city in the
beiten oder betteln. Es geht um soziale Interventionen und soziale Ästhetik,
world). It is about social intervention and aesthetics, where vendors and
wenn Verkäufer und Bettler mit digitalen Videorekordern die an den roten
beggars, equipped with digital camcorders, approach the cars that stop
Ampeln haltenden Autobesitzer um ein schnelles Interview bitten. Die
before the red light, asking for a quick interview.
Arbeit wurde von Kiko Goifman und seinem Team in verschiedenen Ab-
The work was developed in different steps by Kiko Goifman and his crew.
schnitten entwickelt. „Wir gingen durch verschiedene Stadtregionen und
“We went to different regions of the city, looking for people who work
hielten nach Leuten Ausschau, die bei den Ampeln arbeiten oder um Geld
or beg for money at the traffic lights. The first step of this project was
betteln. Der erste Abschnitt war abgeschlossen, wir wählten die Leute aus
completed, we chose the people who will be equipped to collect the
und statteten sie mit den für die Interviews erforderlichen Geräten aus.
interviews.
Wir arbeiteten in vier verschiedenen Regionen der Stadt: im Osten (einem
We worked on four different regions of the city: The East Side (considered
Stadtentwicklungsgebiet), im Geschäftsviertel (das von großer Vielfalt, aber
to be a developing area), Downtown (plural, marked by violence and the
auch von Gewalt und unglaublich vielen Straßenkindern geprägt ist), im
great number of children living in the streets), South Side (the poorest and
Süden (dem Teil mit der größten Armut und den meisten gewalttätigen
most violent area of the city) and the rich West Side. We met a plural
Konflikten) und im reichen Westen. Wir trafen auf eine Welt voller Vielfalt
universe and we took a lot of pictures. We made contacts, explained the
und machten viele Bilder, knüpften Kontakte, erklärten unser Projekt und
project to them and asked for their participation. Then we started shooting
baten um Teilnahme. Dann begannen wir, unsere Großstadthelden bei ihrer
our Urban Heroes performing with their cameras.”
Kameraarbeit zu filmen.“
Throughout his career, Kiko Goifman has combined academic anthropo-
In seiner Karriere hat Kiko Goifman seine akademische anthropologische
logical research with the creation of art works in different formats, including
Forschertätigkeit immer mit kreativer künstlerischer Arbeit in verschiedenen
documentaries, video creations, installations and works on CD-ROM and
Formaten verbunden, darunter Dokumentarfilme, Videoarbeiten, Installati-
for the Internet.
onen und Arbeiten auf CD-ROM und für das Internet.
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Territory: I (White Lies), II (The Kissing Point), III (Alkdereh
House, Ramallah)
1865 errichtet und ist eines der ältesten der Stadt. Es war lange Zeit ein
Gemeindezentrum, ehe es vor zwei Jahren geschlossen wurde. Das Flach-
UK, 2004, 24‘50‘‘
Marine Hugonnier (*1969 in Paris) lives and works in London
Image: Marine Hugonnier, Nadav Arowitz, Sound: Christian Manzutto, Montage:
Helle Le Fevre
dach, die hohen Räume, dicken Wände und Hufeisenbogen-Fenster sind
die Hauptmerkmale des traditionellen arabischen Baustils.
The three black-and-white movies Territory I, II and III reflect Marine
Die drei zusammengehörenden Schwarzweißfilme Territory I, II und III spie-
Hugonnier’s continuous dealing with politically controversial and occupied
geln Marine Hugonniers kontinuierliche Auseinandersetzung mit politisch
territories. After her film Ariana, in which she explored Afghanistan and
umstrittenen und belegten Gebieten wider. Nach ihrem Film Ariana, in dem
took pictures of the unfinished war, she went to the controversial territories
sie Afghanistan erkundete und Bilder des unbeendeten Krieges aufnahm,
in Israel. She explores architecture as a symbol of power, dominance and
wandert ihr Blick nun über die umstrittenen Gebiete Israels. Sie untersucht
threat, as well as its function as a means for strengthening identity.
Architektur als Symbol von Macht, Beherrschung und Bedrohung, doch
Territory I (White Lies) is named after a text by Sharon Rotbard, an architect
auch ihre Funktion als Mittel zur Stärkung der Identität.
and writer living in Tel Aviv. This film looks at the way Tel Aviv wants to see
Territory I (White Lies) ist nach einem Text von Sharon Rotbard, Architekt
itself, a modernist heritage city in the Bauhaus style, the so-called “White
und Schriftsteller aus Tel Aviv, benannt. Der Film untersucht, wie sich Tel
City”. In 2003, UNESCO’s acceptance of this image reveals the way an
Aviv, die Stadt der Moderne, die Bauhaus-Stadt, die so genannte „Weiße
urban myth can enter a collective belief system and how a city changes
Stadt“ selbst sehen möchte. 2003 wird durch die Annahme dieser Selbst-
with the rewriting of its history.
darstellung durch die UNESCO sichtbar, wie ein urbaner Mythos in ein kol-
Territory II (The kissing point) was produced in collaboration with Eyal
lektives Glaubenssystem eindringen kann und wie sich eine Stadt mit der
Weizman, an architect living in London. The film was made during a bus
Neuschreibung ihrer Geschichte ändert.
tour organised around the West Bank. It focuses on the situation between
Territory II (The kissing point) wurde in Zusammenarbeit mit Eyal Weizman,
Har Homa (which means “mountain of the wall” in Hebrew) and Sur
einem Londoner Architekten, produziert. Der Film wurde anlässlich einer
Baher, which is a Palestinian town. The film observes the geographical
Busreise im Westjordanland gedreht und handelt von einer Situation zwi-
complexities of the conflict through the architecture of the settlers and
schen Har Homa (was im Hebräischen „Werk der Mauer“ bedeutet) und
that of the Palestinian towns. It reveals how the landscape is constructed to
Sur Baher, einer palästinensischen Stadt. Der Film betrachtet die geogra-
embrace political ends. How a logic of appropriation manifests itself when
phischen Aspekte des Konflikts ausgehend von der Stadtarchitektur der
traditional Arab architecture inspires builders of both the settlements and
Siedler und der Palästinenser. Man erkennt, wie eine Landschaft gestaltet
Palestinian towns to mimic modernist architecture.
werden kann, damit sie politischen Zwecken dienlich ist, wie sich eine Logik
Territory III (Alkdereh House, Ramallah) was filmed during a walk through
der Aneignung durchsetzen kann und sich die Baumeister der Siedler von
the Alkdereh district of Ramallah in Palestine. This house built in 1865
traditioneller arabischer Architektur inspirieren lassen, während die palästi-
is one of the oldest in town. It was a community centre for many years
nensischen Städte moderne Architektur nachmachen.
before it closed two years ago. The flat roof, high ceilings, thick walls, and
Territory III (Alkdereh House, Ramallah) wurde auf einem Spaziergang
horseshoe-arched windows are the main characteristics of traditional Arab
durch den Bezirk Alkdereh in Ramallah, Palästina, gefilmt. Das Haus wurde
style.
234
235
Walk
Japan / Germany, 2003, 9‘
Toshi Fujiwara (*1970 in Yokohama, Japan) lives and works in Tokyo
Music: Simon Stockhausen
Der Film zeigt Füße verschiedener Menschen, die in einem extrem dicht
bevölkerten Viertel Tokios herum gehen. Die Menschen sind anonym,
verschiedenen Alters und Geschlechts und arbeiten in unterschiedlichen
Berufen. Trotzdem scheinen alle gleich zu gehen. Begonnen hat der Film
als Studie über den Einfluss der Umgebung auf das menschliche Verhalten
auch in körperlicher Hinsicht.
Aber auch, wenn alle dasselbe tun, nämlich gehen, drückt jeder von ihnen
mit seiner Kleidung, seinen Schuhen und sogar durch leichte Unterschiede
im Rhythmus seine Unverwechselbarkeit aus.
Walk ist ein Film mit einem zweideutigen Inhalt. Einerseits geht es um die
Homogenität der städtischen Umgebung, andererseits zeigt er deutlich,
dass jeder und jede von uns einzigartig ist.
The film depicts feet of various different, anonymous people walking in
an extremely urbanised corner of Tokyo. On surface, people, though they
are different age, gender and professions, seem to walk almost exactly the
same way. In a way, it started as a study of how an urban environment
affects our human behaviour, even in a physical sense.
But even though they are doing the same action which is walking, each of
them still expresses his/her own individuality through the clothing, shoes
and even the subtle differences of rhythm in which people walk.Walk is a film that has an ambiguous, double-sided subject. At the same time
that it is about the homogeneity of the urban environment, it also clearly
shows how each of us is different with his/her own strong individuality.
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Wall
UK / Israel, 2004, 32‘50’’
Catherine Yass (*1963 in London) lives and works in London
Producer:Osnat Trabelsi, Camera: Philippe Bellaiche
Langsam rollt die Kamera an den Betonscheiben vorbei; schneller treibt ein
Patrouillenwagen durchs Bild; die Kamera aber bleibt auf stetem Kurs und
rahmt die Mauerstücke dreißig Minuten lang tonlos ein.
Der Film ist eine Reise entlang der Mauer bzw. des Zaunes, die Israel von den
besetzten Gebieten trennt. Die Trennlinie besteht aus Zäunen und Mauern.
Die Mauer wird dort gebaut, wo zwei Städte eng nebeneinander liegen,
damit der eine Teil den anderen nicht sehen muss und kann. Der Rest der
Struktur besteht aus Zäunen. „Insbesondere der Mauerteil der Trennlinie
hatte schwerwiegende psychische und emotionale Folgen für mich, und ich
musste irgendwie darauf reagieren.“
Der Film wurde von einem Auto aus gedreht; die Kamera ist auf die Mauer
gerichtet. Das Bild der Mauer zieht kontinuierlich vorbei, so dass der Film
selbst zu einer Mauer aus kontinuierlicher Bewegung wird und sich das Gefühl der Blockade, das die Mauer erzeugt, auf den Betrachter überträgt.
Im Weitwinkelformat hat sich Yass auf die Materialität der Wand konzentriert, auf ihre Windung durch die Gemeinden und ihre Erstreckung durch
die Landschaft. Seiner Länge nach wird der Film in separate Sequenzen
unterteilt, die den letzten Bauabschnitten Baqa, Qalqilya und Jerusalem
entsprechen. „Der Prozess des Filmens der Mauer führt zu der Frage, ob ein
Bild solch eine Situation überhaupt vermitteln kann, und was es aussagen
kann. Ich hoffe, dass der Film die Diskussion über die Mauer und über die
Funktion von Bildern in solch einer Situation anregen kann. Gleichzeitig
schwingen mit dem Bild von der Mauer innere psychische Mauern und
Barrieren mit, und es stellt sich die Frage, wie das mit den sozialen und
politischen Faktoren verschränkt ist, die zum Bau dieser Mauer geführt
haben.“
Yass hat eine eigene Sprache entwickelt, die ihre eigene persönliche Antwort kommuniziert. Wie in ihrem vorherigen Film Descent, der ihr eine No240
241
minierung für den Turner Prize an der Tate Britain einbrachte (2002), ist die
Yass has developed a distinctive language which conveys her own personal
einfache Kameraeinstellung und die insistierende Kameraführung sowohl
response. As with her previous film Descent, for which she was nominated
subjektiv als auch mechanisch. Die Mauer füllt den Bildabschnitt beinahe
for the Turner Prize at Tate Britain (2002), the single viewpoint and insistent
aus, so dass Gebäude und Minarette dahinter kaum sichtbar sind. Das ein-
camera movement are at once subjective and mechanical. The wall almost
geschränkte Sichtfeld der Kamera inszeniert die von der Mauer auferlegte
fills the frame, so buildings and minarets are only just visible behind it.
beschränkte Sicht neu und reflektiert die Unfähigkeit, die andere Seite zur
The restricted viewpoint of the camera re-enacts the limited view imposed
Kenntnis zu nehmen. Im Film wird nicht nur ein reales Bauwerk dargestellt,
by the wall, and reflects the inability to see the other side. As well as
sondern auch, wie sich psychische Grenzen konkret manifestieren.
representing a physical structure, the film shows the wall as, literally, a
concrete manifestation of psychological barriers.
The camera passes slowly by the concrete slabs; the patrol car moves faster
through the frame; the motion of the camera is steady and silently frames
the pieces of the wall for thirty minutes.
This film is a journey along the wall, or separation fence, dividing Israel
and the Occupied Territories. The separation barrier is made up of fence
and wall. The wall is built where two towns are very close on either side,
obstructing the view between them. The rest of the structure is fence. “The
wall part of the separation fence in particular had a physical and emotional
impact on me and I felt that it demanded a response”.
The film is shot from a car, looking directly out at the wall going by, on and
on. The image of the wall passing across the frame is continuous, so that
the film itself becomes a wall of continues motion, and gives the feeling of
blockage that the wall engenders.
Using a widescreen film format, Yass has concentrated on the physicality
of the wall as it winds through communities and stretches across the
landscape. The footage is structured in separate sequences, corresponding
to recently constructed sections of the wall in Baqa, Qalqilya and Jerusalem.
“The process of filming the wall raises questions about the ability of an
image to convey such a situation and what it can say. I hope the film will
encourage discussion both about the wall and the function of images in
such a situation. At the same time the image of the wall resonates with inner
psychological walls or barriers, raising questions about how this intertwines
with the social and political factors which led to its construction”.
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243
244
245
Where a Straight Line Meets a Curve
UK, 2004, 30’
Brad Butler (*1973 in London) and Karen Mirza (*1969 in Evesham, UK) live and
work in London
Where a Straight Line Meets a Curve ist eine dauerbezogene Skulptur re-
Where a Straight Line Meets a Curve is a durational sculpture, of real
aler und imaginierter Aktivität, zur Gänze in nur einem Raum gedreht. Ein
and imagined activity shot entirely in one room. It is a film concerned
Film, der sich mit der objektiven Reduzierung des Raums beschäftigt, ein
with the objective reduction of space, a film “about” the recording and
Film „über“ das Aufzeichnen und Darstellen von Raum und die Politik des
representation of space and the politics of the viewing space of film itself.
Betrachtungsraums des Films selbst.
As a double projection on one screen, the visual material is constructed so
Als Doppelprojektion auf eine Leinwand ist das visuelle Material so kon-
that light and colour form relationships between and across the projections
struiert, dass Licht und Farbe laufend Beziehungen zwischen und über die
continuously, redefining the viewer‘s perception of the space presented
Projektionen hinweg herstellen und so die Wahrnehmung des Betrachters
through the images. Time is measured out in ways analogous to the coming
des Raums, der durch die Bilder dargestellt wird, neu definieren. Zeit wird
and going of the everyday, exposing the passing of time to a (continuous)
auf eine Art und Weise vermessen, die dem Kommen und Gehen des All-
present. The work questions the usual strategies of the viewer, mediating
täglichen analog entspricht und so das Vergehen der Zeit einer (kontinuier-
between the mental image, the dimension of physical space, and the
lichen) Gegenwart gegenüber gestellt. Die Arbeit hinterfragt die üblichen
illusionistic space of cinema.
Strategien des Betrachters, das Vermitteln zwischen dem Bild in der Vor-
The sound is constructed from the speech of the filmmakers within the
stellung, der Dimension des physischen Raums und dem illusionistischen
space broken down by a process of re-amplification and re-recording to
Raum des Kinos.
a point where the resonant frequencies of the space have an equal value
Der Ton wird aus der Sprache der Filmemacher innerhalb des Raums er-
to any spoken content. A structure of loops and phase patterns internally
zeugt, aufgebrochen durch Wieder-Verstärkung und Wieder-Aufzeichnung
resonating both within the filmic space and in parallel with the textual
bis zu einem Punkt, an dem die mitschwingenden Frequenzen des Raums
content of the intertitles.
einem gesprochenen Inhalt gleichwertig sind - eine Struktur von Schleifen
Through the framing and re-framing of images and the constructed
und Phasenmustern –, die innen sowohl im filmischen Raum als auch par-
relationship of sound, text and image, the film creates perceptual shifts and
allel zum textlichen Inhalt der Zwischentitel schwingt.
unexpected confrontations that confound our usual way of distinguishing
Durch die immer neue Rahmung von Bildern und die konstruierte Bezie-
between the actual and the representational.
hung zwischen Ton, Text und Bild schafft der Film Perspektivenverschiebungen und unerwartete Konfrontationen, die die Art und Weise, auf die wir
sonst zwischen dem Tatsächlichen und dem Dargestellten unterscheiden,
durcheinander bringen.
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Worst Case Scenario
UK, 2001-2003, 18‘
John Smith (*1952 in London) lives and works in London
Worst Case Scenario beginnt als Reihe von Standbildern vom Alltag an einer
Worst Case Scenario starts out as a series of still photographs depicting
Wiener Straßenecke. Der Film ordnet eine Auswahl dieser Bilder um und
daily life on a Viennese street corner. The film re-orders and manipulates a
manipuliert sie, und die statische Welt beginnt, sich langsam zu beleben.
selection of these images, and as it progresses the static world slowly and
Wenn Sigmund Freud seinen langen Schatten über die Stadt wirft, kommt
subtly comes to life. As Sigmund Freud casts his long shadow across the
es zu einer immer unwahrscheinlicheren Verkettung der Ereignisse und
city, an increasingly improbable chain of events and relationships starts to
Beziehungen. Scherze, optische und akustische Wortspiele, erzählerische
emerge. Multiple layering of jokes, visual and aural puns, narrative tricks,
Tricks, Kunststücke bei der Bearbeitung und atemberaubend scharfe Struk-
editing feats and breathtakingly sharp structural analyses obscure and
turanalysen verhehlen und enthüllen schließlich eine zutiefst persönliche
ultimately reveal an intensely personal root. Unreliable narrators variously
Herleitung. Unzuverlässige Erzähler fungieren bald als Subjekt und Objekt,
figure as subject and object, character, camera and editor as the dynamics
Charakter, Kamera und Cutter, während die Dynamik der Erzählung die
of narrative repeatedly confound expectation.
Erwartungen immer wieder durchkreuzen.
This new work by John Smith looks down onto a busy Viennese intersection
Diese neue Arbeit von John Smith ist der Blick auf eine belebte Wiener
and a corner bakery. Constructed from hundreds of still images, it presents
Kreuzung und eine Bäckerei an einer Straßenecke. Aus hunderten Stand-
situations in a stilted motion, often with sinister undertones. Through
bildern konstruiert, wirken die Situationen oft gekünstelt und manchmal
this technique we‘re made aware of our intrinsic capacity for creating
bedrohlich. Durch diese Technik werden wir auf die uns innewohnende
continuity, and fragments of narrative, from potentially (no doubt actually)
Fähigkeit Kontinuität und Erzählfragmente aus (vorerst zweifellos) unzu-
unconnected events.
sammenhängenden Ereignissen zu erzeugen aufmerksam gemacht.
„The films of John Smith conduct a serious investigation into the
„Die Filme von John Smith sind genaue Untersuchungen von Kombinatio-
combination of sound and image, but with a sense of humour that reaches
nen aus Ton und Bild, aber mit einem Sinn für Humor, der über das traditio-
out beyond the traditional avant-garde audience. His films move between
nelle Avantgardepublikum hinausgeht. Seine Filme bewegen sich zwischen
narrative and absurdity, constantly undermining the traditional relationship
Narration und Absurdität und unterminieren das traditionelle Verhältnis
between the visual and the aural. By blurring the perceived boundaries of
zwischen dem Visuellen und dem Akustischen. Durch das Verwischen der
experimental film, fiction and documentary, Smith never delivers what he
anerkannten Grenzen zwischen Experimentalfilm, Fiktion und Dokumen-
has led the spectator to expect.“ (Mark Webber)
tarfilm liefert Smith nie, was sein Publikum erwartet.“ (Mark Webber)
John Smith‘s film, video and installation works have been screened at over a
John Smiths Filme, Videos und Installationen wurden bei über hundert inter-
hundred international film festivals and art galleries throughout the world.
nationalen Filmfestivals und in Kunstgalerien der ganzen Welt gezeigt.
250
251
Index
Andersen, Thom
Asselberghs, Herman
Barbieri, Olivo
Bickerstaff, David / Wainwright, Chris
156
Marker, Chris
86
18
Morris, Sarah
150
Narkevicius, Deimantas
204
212
80
Neumann, Stan
68
Bitter, Sabine / Weber, Helmut
142
Pédezert, Michèle / Pétreau, Céline
120
Butler, Brad / Mirza, Karen
246
Pilson, John
220
44
Ponger, Lisl
188
Rakauskaite, Egle
170
Sala, Anri
102
Cassigoli, Alessandro / Castel, Dalia
Caušić, Mario
Cohen, Jem
134
72
Dabernig, Josef
200
Schreiber, Lotte
110
Dahlberg, Jonas
128
Dehn, Jochen / Gintersdorfer, Monika
Diaz Morales, Sebastian
Semiconductor
218
40
Smith, John
250
160
Stubbs, Mike
98
Donada, Julien
64
Trinker, Claudia / Zöller, Julia
Emigholz, Heinz
22
Vogt, Erika P.
Endress, Edgar
92
Wedemeyer, Clemens von
208
Farocki, Harun
114
Yass, Catherine
240
Fujiwara, Toshi
238
Gallanti, Fabrizio / Insulza, Francisca
Goifman, Kiko
Gonzales-Foerster, Dominique
54
230
34
Grasso, Laurent
194
Grösch, Wiebke / Metzger, Franz
124
Hugonnier, Marine
234
Jahrmann, Margarete / Moswitzer, Max
174
Kobland, Ken
58
Kogut, Sandra
178
Köner, Thomas
224
Krüger, Gunter
166
Lamelas, David
138
Linke, Armin / Zanini, Piero
12
Maakaron, Myrna
50
254
255
184
28
Impressum / Imprint
7. Medien und Architektur Biennale Graz
Kurator / Curator:
Charlotte Pöchhacker
Katalog / Catalogue
Herausgeber / Editor:
Charlotte Pöchhacker
Redaktion / Editing team:
Nina Horstmann, Evi Scheller
Übersetzung / Translation:
Maria Nievoll
Recherchen / Research:
Christian Kircher
Visuelles Konzept & Layout / Visual concept & design:
Kadadesign
Druck / Printing:
Print & Art Faksimile, Graz
Veranstalter / Organiser:
ARTIMAGE
Hallerschlossstrasse 21
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Tel. +43 316 35 61 55
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© 2005 ARTIMAGE, den Künstlern und den Autoren