Marcello - Museen, kulturelle Institutionen, Sammlungen

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Marcello - Museen, kulturelle Institutionen, Sammlungen
Marcello
Adèle d’Affry
1836–1879
Herzogin
von
Castiglione
Colonna
Deutsch
museo-vela.ch
SAAL IX
Marcello. Adèle d’Affry (1836–1879),
Herzogin von Castiglione Colonna
Erdgeschoss
VII
VIII
VI
V
XX
VIII
I
IV
VII
VI
III
XXI
XXII
V
II
I
IV
XX
X
XXI
XXII
Erstes Geschoss IX
III
II
XI
XII
X
XIX
XIII
IX
XIX
XI
XIV
XVIII
XVII
bis
XVI
XII
XV
bis
XIII
XIX
XIV
XVIII
XVII
XIX
XVI
XV
Diese Wanderausstellung ist Frucht mehrjähriger Studien,
die das Museo Vincenzo Vela in Zusammenarbeit mit drei
französischsprachigen Museen durchführte: dem Museum
für Kunst und Geschichte Freiburg, dem Musée des Suisses
dans le Monde in Pregny-Genf und den musées nationaux
du palais de Compiègne in Frankreich. Protagonistin
der Ausstellung ist Adèle d’Affry, eine der wenigen Frauen,
denen es gelang, im Bereich der europäischen Bildhauerkunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beachtlichen
Erfolg zu erlangen. Sie war Tochter einer alteingesessenen
Aristokratenfamilie aus Freiburg, Ehefrau eines Mitglieds
des berühmten römischen Geschlechts der Colonna
und Freundin des französischen Kaiserpaares. Obwohl sie
in Paris und Rom wirkte, blieb Freiburg zeitlebens ihr
beständiger Bezugspunkt.
Adèle d’Affry nahm 1863 das Pseudonym Marcello an, um
den Vorurteilen zu entgehen, die damals in der Kunstwelt
im Hinblick auf Geschlecht und Rang herrschten. Marcello
war in ihrer Zeit eine faszinierende und moderne Persönlichkeit; eine Aristokratin, die sich der Kühnheit ihrerLebens­
entscheidungen und der Schwierigkeiten, die sich für sie
daraus ergeben würden, stets bewusst war. Eine Künstlerin,
deren Identität auf halber Strecke zwischen ihrer auf Fotografien zur Schau gestellten und durch Garderobe betonten
Weiblichkeit und der oft androgyn wirkenden Monumentalität der von ihr skulptural porträtierten Heldinnen zu
suchen ist. Dank ihrer Intelligenz und Willenskraft, und
trotz der Zwänge jener Zeit, die ihr den Besuch der École des
Beaux-Arts (und damit den Zugang zu grossen Arbeiten
und Aufträgen aus öffentlicher Hand) verwehrten, gelang
es Adèle einerseits aus ihrer Zugehörigkeit zum Adel den
grössten Nutzen zu ziehen und gleichzeitig auch die
Aufmerksamkeit und Wertschätzung zahlreicher hoch­
rangiger Künstler auf sich zu lenken, die als Bewunderer,
Mentoren oder Verehrer ihr Leben begleiteten: darunter
Clésinger, Carpeaux, Courbet und Fortuny.
SAAL IX
Die Etappe, welche die Ausstellung im Tessin einlegt, rückt
Themen in den Vordergrund, die an anderen Ausstellungsorten lediglich angedeutet werden. Dies sind insbesondere
die Anfangsjahre im römischen Atelier von Heinrich Max
Imhof (1795–1869), einem anerkannten, aber wenig
erforschten Bildhauer aus dem Kanton Uri, und die Nähe
der Freiburgerin Marcello zu dem wesentlich bekannteren
Gustave Courbet. Die Ausstellung präsentiert ausserdem
einen sehr interessanten Dialog mit Skulpturen von
Vincenzo Vela (1820–1891) und Adelaide Maraini-Pandiani
(1836–1917). Letztere hatte denselben Jahrgang wie Marcello
und war in Lugano und ebenfalls in Rom tätig gewesen.
SAAL IX – BIOGRAFIE
1836
Adélaïde Nathalie Marie Hedwige Philippine
d’Affry wird am 6. Juli in Freiburg geboren.
Sie ist die älteste Tochter des Grafen Louis d’Affry
und der Lucie de Maillardoz.
1839
Adèles jüngere Schwester Cécile Marie Philippine
Caroline (1839–1911) kommt zur Welt.
1841
Louis d’Affry stirbt am 26. Juni. Adèle und Cécile
werden von ihrer Mutter erzogen.
1853–54Adèle erhält die klassische Ausbildung für
Mädchen ihres Standes. Dazu gehört Zeichenund Aquarellierunterricht. In Rom besucht
sie Modellierkurse beim Schweizer Bildhauer
Heinrich Max Imhof.
1856
Am 5. April heiraten Adèle d’Affry und Carlo
Colonna in Rom. Die Ehe ist von kurzer Dauer, am
18. Dezember stirbt Adèles Ehemann unvermutet
in Paris an Typhus.
1857
Adèle reist nach Rom, um die Erbschaft ihres
Gattens zu regeln. Ihre künstlerische Berufung
erwacht: sie modelliert die Büste ihres verstorbenen Mannes und ein Selbstbildnis.
1859
Reise nach Paris, Adèle verkehrt in der glanzvollen
Gesellschaft des Second Empire.
1863
Adèle stellt am Salon unter dem Pseudonym
«Marcello» aus. Dank des Erfolgs der Bianca
Capello wird Kaiserin Eugénie auf die Künstlerin
aufmerksam. Marcello ist von nun an am Hofe
eingeladen.
1866
Marcello stellt in London an der Royal Academy
Exhibition aus.
1867
Sie präsentiert acht Plastiken an der Weltausstellung in der Abteilung des Kirchenstaats.
1868
Reise nach Spanien mit ihren Künstlerfreunden
Henri Regnault und Georges Clairin.
SAAL IX – BIOGRAFIE
SAAL IX
1869
Édouard-Théophile Blanchard (1844–1879)
Portrait von Marcello,
Herzogin von Castiglione Colonna, 1877
Nach Rom zurückgekehrt, vollendet sie ihr Meisterwerk, die Pythia, die Charles Garnier für sein
neues Opernhaus in Paris erwirbt.
1870–71 Marcello stellt im Salon von 1870 aus und hält sich
während des Krieges und der Kommune in der
Schweiz auf.
1872
Wieder in Paris setzt sie ihre Malstudien unter der
Leitung von Léon Bonnat fort.
1873
Betroffen vom Tod Napoleons III., begibt sich
Marcello nach England, um der Kaiserin ihre
Anteilnahme auszudrücken. Sie zeigt fünf Büsten
an der Wiener Weltausstellung.
1874
Das von ihr am Salon eingegebene Gemälde
Die Verschwörung des Fiesco wird von der Jury
abgelehnt, was sie zutiefst verletzt.
1875
Teilnahme mit Werken am Salon. Bei der Eröffnung der Oper wird die Pythia vom Publikum und
von der Kritik positiv aufgenommen.
1876
Marcello zeigt am Salon die Büste der Baronin von
Keffenbrinck. Dies bringt ihr nur eine ehrenhafte
Erwähnung ein, was sie verbittert.
1877
Von Husten und Gelenkschmerzen geschwächt,
sucht sie Zuflucht an der Sonne Südfrankreichs
und verbringt den Dezember in Italien.
1878
Reisen zwischen Neapel, der Schweiz und Paris
auf der Suche nach einem Klima, das ihre Schmerzen lindert. Am 2. Januar erstellt sie eine zweite
Fassung ihres Testaments. Sie listet darin
die Plastiken auf, die sie dem Staat Freiburg unter
der Bedingung vermacht, dass ein Museum für
ihre Werke eingerichtet wird.
1879
In Castellammare arbeitet Marcello weiter an ihren
Memoiren. Am 16. Juli stirbt sie an Tuberkulose.
Öl auf Leinwand
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Dieses Portrait gab Marcello 1875 dem jungen französischen
Maler Édouard Blanchard in Auftrag, dem Gewinner
des Prix de Rome, den die Herzogin einige Jahre zuvor in der
Villa Medici kennengelernt hatte. Blanchard gehörte
zusammen mit Henri Regnault und Georges Clairin zu ihren
Künstlerfreunden.
Gemäss Marcellos Wünschen sollte das Portrait «die Erinnerung an eine seriöse und wahrhafte Künstlerin und
zugleich an eine Frau aus bester Gesellschaft» festhalten.
In dem Werk wird jedoch der aristokratische Status Adèles
stärker hervorgehoben als die Tatsache, dass sie Künstlerin
ist. Die als Ganzfigur dargestellte Marcello trägt ein elegantes und tief ausgeschnittenes Kleid aus schwarzem Samt
und eine Visite – eine Jacke, die man bei nachmittäglichen
gesellschaftlichen Besuchen trug – aus violetter Seide,
reich geschmückt mit Stickereien, Perlen und Posamenten.
Die Einrichtung mit edlen Möbeln und kostbaren Stoffen
spiegelt einen erlesenen Geschmack. Nur zwei Gegenstände
sind ein ausdrücklicher Hinweis auf ihr künstlerisches
Schaffen: die Skizzenmappe auf einem Stuhl und eine
Bronzefassung der Gorgo, der Büste, die mit grossem Erfolg
beim Salon von 1865 ausgestellt worden war und hier
rechts hinten im Schatten zu erkennen ist.
Blanchard zeigte das Bild zu Marcellos grosser Zufriedenheit
am Salon von 1877. Sie nannte es «wunderbar und sehr
geeignet, eine gute Erinnerung an mich zu hinterlassen»,
um dann mit selbstironischer Erleichterung hinzuzufügen:
«Jetzt kann ich mich endlich gehen lassen.»
SAAL X
SAAL X
Adèle d’Affry, Künstlerin und Herzogin
Filippo Bigioli (1798–1878)
Vittoria Colonna zu Besuch im Atelier
von Michelangelo, 1850
Öl auf Leinwand
Privatsammlung
Die ersten Kontakte von Adèle d’Affry mit den Colonna,
einem alten und berühmten römischen Patriziergeschlecht,
fanden in Neapel im Sommer 1855 statt. Adèle wurde
mit Carlo Colonna (1825–1856) verlobt; die beiden heirateten
im April des folgenden Jahres in Rom in der Basilica dei
Santi Apostoli. Einen Monat danach erhielten sie den Titel
der Herzöge von Castiglione Altibrandi. Im Herbst reiste
das Paar nach Paris, wo Carlo im Dezember im Alter von nur
31 Jahren unerwartet an Typhus verstarb.
Der jähe Tod des Gemahls brachte die junge Ehefrau in eine
äusserst delikate Situation, auch weil die Colonna den
Ehevertrag zunächst nicht respektieren wollten. Die jährliche Pension, die ihr dann zuletzt doch zugesprochen wurde,
genügte zwar, um ihren Unterhalt zu bestreiten, sie war
jedoch zu bescheiden, um ihr auch eine bedeutende gesellschaftliche Position zu garantieren und sie gleichzeitig
als Künstlerin tätig sein zu lassen. Denn dies war ein tiefer
Wunsch Adèles, den sie trotz einigen Ungemachs mit
nie endendem Engagement umsetzte.
1863 nahm Adèle zum ersten Mal am Pariser Salon teil,
unter dem Künstlernamen Marcello. Die Wahl des Pseudonyms – eine Hommage an den venezianischen Komponisten
Benedetto Marcello (1686–1739) – sollte zum einen Vorurteile wegen ihres Geschlechts gar nicht erst aufkommen
lassen und schien andererseits der Versuch zu sein, ihren
adeligen Status zu verschleiern, der in der Kunstwelt schon
immer recht «den Weg versperrend» sein konnte. In der
Gesellschaft dagegen kultivierte, ehrte und beanspruchte
Adèle ihren Titel als Herzogin. Er garantierte ihr, dass die
Organisatoren der Pariser Salons ihr freundlich geneigt
waren und dass Napoleon III. sie unterstützte. Gleichzeitig
machte die Entscheidung für die Wahl eines Pseudonyms
ihre Anstrengungen weniger glaubhaft, wie alle anderen
Künstler behandelt und bewertet zu werden und um eine
Medaille zu konkurrieren.
Der 1798 geborene Filippo Bigioli wirkte in der Region
zwischen Rom und den Marken als Maler religiöser, mythologischer und historischer Sujets sowie als Illustrator.
Den Auftrag für dieses Bild erhielt Bigioli vom römischen
Fürsten Alessandro Torlonia. Das Werk war gedacht als
Geschenk für dessen Frau Teresa Colonna, Schwester von
Carlo Colonna und somit zukünftige Schwägerin von Adèle
d’Affry. Es ist anzunehmen, dass Adèle das Gemälde auffiel,
denn es betrifft sie zwar nicht direkt, doch versammelt
es in sich einige Motive, die emblematisch für ihren eigenen
persönlichen und künstlerischen Werdegang stehen,
nämlich die Beziehung zu Rom und zum Geschlecht der
Colonna sowie ein leidenschaftliches Interesse für
Michelangelo.
Das Bild stellt Vittoria Colonna dar, die das Atelier des
grossen Meisters besucht. Die Dichterin, eine der faszinierendsten Figuren der italienischen Renaissance, trägt
Witwenkleidung und wird von ihrer Adoptivtochter sowie
weiterem Gefolge begleitet. Michelangelo zeigt ihr den
Moses, während einer seiner Gehilfen an der Madonna für
das Grab von Julius II. arbeitet. Im Hintergrund ist eine
Zeichnung für das Jüngste Gericht dargestellt.
In der schlichten Ausstattung des Ambientes sticht die
eindrucksvolle Statue des Moses durch ein geschicktes Spiel
von Licht und Schatten hervor. Auf ihn sind auch die Blicke
der Anwesenden gerichtet, die dem Meister lauschen.
Die zentrale Figur der Komposition ist jedoch die berühmte
Adelige, deren schwarzes Gewand ihre schneeweisse Haut
kontrastreich unterstreicht.
SAAL X
SAAL X
Die Zeit der Ausbildung zwischen
Rom und Paris
Adèle d’Affry wurde in eine altehrwürdige Freiburger
Familie «von Kriegern, Magistraten und Diplomaten»
hineingeboren, wuchs in einer kultivierten Umgebung auf,
die ihren Hang zu Literatur und Kunst förderte, und nahm
anfangs Unterricht in Zeichnen und Malerei. 1853–54 setzte
sie ihr Kunststudium in Rom im Atelier des Schweizer
Bildhauers Heinrich Max Imhof fort.
Zu jener Zeit war Imhof ein anerkannter Künstler und
hatte sich gut in die deutschsprachige Gemeinde eingefügt,
die in der Stadt tätig war. Er besass einen soliden Bestand
an internationalen Auftraggebern, zu denen auch Vertreter
des gehobenen Bürgertums und des Adels aus Deutschland,
England und Russland zählten. Der Autor von Werken
mit biblischen und mythologischen Sujets und bedeutende
Vertreter des Spätklassizismus war auch als Portraitkünstler
gefragt. In seinen Werken kombinierte er Elemente,
die von seiner römischen Lehrzeit bei Bertel Thorvaldsen
geprägt waren, mit der Bildsprache der Nazarener.
Adèle kehrte 1857 erneut in Imhofs Atelier zurück, kurz
nachdem sie im Alter von nur zwanzig Jahren plötzlich zur
Witwe geworden war. Sie modellierte eine Büste ihres
früh verstorbenen Ehemannes und arbeitete gleichzeitig
an einem Selbstportrait für ihre Mutter, das hier ausgestellt
ist, und an einer kleinen Statue für eine Freundin. Rom,
das Lieblingsziel der Künstler jener Zeit und Wiege der
westlichen Zivilisation, war für Adèle der geeignete Ort, um
ihre Kenntnisse der antiken und italienischen Kunst zu
vertiefen. In ihren mit Skizzen übervollen Notizheften gibt
es unzählige Kopien von Werken Michelangelos, den die
junge Frau verehrte, ja beinahe vergötterte. Sie wurde
Schülerin von Auguste Clésinger, von dem sie sich einige
Jahre später distanzierte, der jedoch die Anfänge ihrer
Karriere als Bildhauerin begleitete.
1859 begannen ihre Aufenthalte in Paris. In der französischen Hauptstadt verbrachte Adèle Zeiten des Vergnügens
und der Arbeit. Sie besuchte den Louvre und die Häuser
der gehobenen Gesellschaft, absolvierte jedoch gleichzeitig
ein strenges Studienprogramm. Um Kurse in Sezieren
belegen zu können, schreckte sie nicht davor zurück,
sich als Mann zu verkleiden. Mit Hilfe ihrer hervorragenden
Beziehungen bewarb sie sich auch an der École des
Beaux-Arts, wurde jedoch abgelehnt, denn damals nahm
das renommierte Institut Frauen generell noch nicht an.
Was die intellektuelle Sphäre betrifft, war sich die junge
Adèle ihrer Wissenslücken sehr wohl bewusst, und ebenso
der Hindernisse, die sie vor allem als Frau überwinden
musste, um diese zu schliessen. So auferlegte sie sich ab
Ende der 1850er-Jahre ein autodidaktisches Studium in
Kunst, Philosophie, Religion, Geschichte und Literatur –
um ihr Wissen mit Hilfe von Lektüre und dem Lernen von
berühmten Lehrmeistern zu perfektionieren.
SAAL X
SAAL X
Heinrich Max Imhof (1795–1869)
Selbstbildnis-Büste, ca. 1835
Heinrich Max Imhof (1795–1869)
Atalante, im Wettlauf die goldenen Äpfel
des Hippomenes aufhebend (Fragment), ca. 1834
Gips
Altdorf, Historisches Museum Uri
Der 1795 in Bürglen im Kanton Uri geborene Imhof erhielt
seine Ausbildung bei Johann Dannecker in Stuttgart
und bei Bertel Thorvaldsen in Rom. 1836 wurde Imhof von
König Otto von Griechenland nach Athen berufen, wo er
als Hofbildhauer und Professor für Bildhauerei an der
neu gegründeten Kunstakademie wirkte; er besorgte die
Restaurierung der Karyatiden des Erechtheions auf
der Akropolis. 1838 kehrte er nach Rom zurück, wo er bis
zu seinem Tod lebte, unter Beibehaltung regelmässiger
Kontakte zu seinem Heimatland.
Der Vertreter eines von den archaisierenden Elementen der
Nazarener gemilderten Klassizismus schuf 1827–28 David
triumphierend mit dem Haupt des Goliath, den wir als
Gipsmodell auf einer Fotografie bewundern können. Eine
Marmor-Version dieses Werkes fand Eingang in die Sammlung des Kronprinzen von Preussen, und dieser Kauf
brachte dem Künstler Anerkennung und neue Auftraggeber.
Das Werk ist inspiriert von Thorvaldsens Jason, zeigt
jedoch einen langsameren Rhythmus, grössere Solidität
und weniger ausgearbeitete Konturen.
Zu den Meisterwerken des Künstlers gehört auch Rebekka
mit dem Armband (1841), eine hier in einer Fotografie
präsentierte Gipsskulptur. Sie ist Teil einer beachtlichen
Serie von Frauenfiguren aus dem Alten Testament, die
Imhof im Verlauf seiner Karriere schuf. Das Werk lässt
die Athener Karyatiden anklingen und ist gekennzeichnet
von der Strenge der Komposition und der feinfühligen
Kalibrierung der Volumen, welche diese biblische Figur
in heiterer Harmonie erscheinen lassen.
Imhof war auch ein fähiger Portraitkünstler, wie das hier
ausgestellte Selbstportrait zeigt, das den etwa vierzigjährigen Künstler darstellt, und die Portraitbüste Heinrich
Pestalozzi (1746–1827), die 1846 im Auftrag des Stadtrats
von Zürich entstand, um den einhundertjährigen Geburtstag des grossen Schweizer Pädagogen zu feiern.
Gips
Kunstmuseum Bern
Das Werk, von dem einzig das hier ausgestellte Fragment
erhalten ist, wurde um 1834 vom Schweizer Heinrich Max
Imhof geschaffen, der es um 1841 dem Staat Bern verkaufte.
Eine Fotografie, die in den 1860er-Jahren im römischen
Atelier des Künstlers aufgenommen wurde und die in
diesem Saal ausgestellt ist, zeigt das Originalmodell integral
in Gips.
In einer Erzählung der griechischen Mythologie erklärt
Atalante, eine jungfräuliche Jägerin, die der Heirat abhold
ist, sie werde nur einen Mann zum Gemahl nehmen, der
sie im Wettlauf besiegen könne. Da sie sehr geschwind ist,
gewinnt sie stets und tötet alle ihre Freier. Hippomenes
dagegen gelingt es mit Hilfe einer List, sie zu schlagen:
Während des Wettlaufs lässt er drei goldene Äpfel fallen,
die Aphrodite ihm geschenkt hat. Atalante verliert, weil sie
die Äpfel einsammelt, und muss ihn nun heiraten.
Atalante wird hier dargestellt, wie sie einen der Äpfel
aufhebt und ihren zufriedenen Blick auf ihn richtet; in der
linken Hand hält sie bereits einen weiteren Apfel.
Bei der Umsetzung dieses wesentlichen Augenblicks der
Erzählung konzentriert Imhof seine Darstellung auf
die Faszination, die von oberflächlichen weltlichen Gütern
ausgeht und den Menschen vom Wesentlichen ablenkt.
Ins Auge fallen besonders die sorgfältige Darstellung der
Frisur der jungen Frau, die in weichen Locken fällt, und
der dichte und fein gearbeitete Faltenwurf ihres Gewandes,
der Bewegung suggeriert. In diesem Sinn stellt die Skulptur
einen der ersten Versuche Imhofs dar, die strengen formalen
Regeln des Klassizismus hinter sich zu lassen, zu Gunsten
einer realistischeren Darstellung der Figur.
SAAL XI
SAAL XI
Weibliche Künstler
Frauen als Bildhauerinnen
Zur Zeit Marcellos bestand die künstlerische Ausbildung
nicht mehr aus einer Lehrzeit bei einem Meister, sondern
es gehörte der Besuch eines Gemeinschaftsateliers unter
Leitung eines Künstlers und einer Kunstakademie dazu.
Bis 1896 war die Kunstschule allerdings ausschliesslich
Männern vorbehalten, und vor Beginn der 1870er-Jahre gab
es kein Atelier, das eine Einschreibung für Frauen vorsah,
die dort die Bildhauerei hätten erlernen können. Sie mussten folglich über die nötigen Beziehungen oder über
Geldmittel für Privatunterricht verfügen, oder eine persönliche Beratung in Anspruch nehmen. Meist stammten diese
Frauen aus einer Künstlerfamilie oder wie Marcello aus
wohlhabendem Milieu. Weibliche Künstler lebten damals
in einer Zeit des Übergangs und konnten manchmal
Breschen schlagen wie Berthe Morisot auf dem Gebiet der
Malerei. Ausstellungen waren für sie unerlässlich, auch
wenn nur ein paar wenige von ihnen Auszeichnungen
erhielten, da sie einem von männlichen Kollegen, Juroren
und Kritikern beherrschten System unterworfen waren.
Mehrere Künstlerinnen gehörten wie Marcello dem Adel
an, unter ihnen Madame de Saulx, Madame de Beaumont
und die Prinzessin Mathilde.
1865 drückte der Kritiker Balthasar Robin sein Staunen aus
angesichts von Marcellos Skulpturen: «Wer hätte gedacht,
dass die Hand einer Frau – eine feine, elegante, geschmeidige, zarte, aristokratische Hand, die nur dazu geschaffen zu
sein scheint, Spitzen und Seide zu raffen – auch den
Marmor behauen, den Modellierstab handhaben und den
schweren Hammer der Bildhauer halten könnte? […] Das
hängt auch damit zusammen, dass die Herzogin Colonna
vor einem Marmorblock nicht mehr Frau, sondern Künstlerin ist.» Indem Robin die Frau der Künstlerin gegenüberstellt, drückt er die Ungläubigkeit und das Missbehagen
der Zeit hinsichtlich der zunehmenden Zahl von Bildhauerinnen aus und zitiert zugleich den Diskurs um die Frage
der Männlichkeit der Kunst und insbesondere der Plastik.
Das tatsächliche Handicap der Bildhauerinnen war nicht
ihre körperliche Schwäche, sondern es war der Zugang zu
den Ausbildungsstätten für Bildhauerei (Schulen, Ateliers,
Baustellen), der ihnen verwehrt war. Marcello beklagte
dies in einem Brief an ihre Mutter: «Man stellt sich nicht
vor, wie sehr das Frausein alles hemmt.»
SAAL XI
SAAL XI
Marcello (1836–1879)
Helena oder Die schöne Helena, 1860
Pietro Tenerani (1789–1869)
Marija Nikolajewna, 1843–46
Gips
Freiburg, Fondation Marcello
Gips
© Roma Capitale – Sovrintendenza capitolina
ai beni culturali – Museo di Roma
Die schöne Helena ist die erste mythologische Figur, die
Marcello schuf. Anfangs arbeitete sie zusammen mit
Clésinger an diesem Werk, beschloss dann jedoch, die Helena
alleine fertigzustellen. Sie überarbeitete sie mehrere Male
und vollendete sie in Paris. 1860 unterzeichnete sie
mit Barbedienne einen Vertrag über eine Reproduktion
des Werkes in Bronze. Marcello begann damit ihre Karriere
als professionelle Bildhauerin und erzielte erste Erfolge.
Ein Bronzeguss der Schönen Helena, hergestellt vom Pariser
Giesser und heute Teil der Sammlung des Museum für Kunst
und Geschichte Freiburg, wird hier neben einem Gips
desselben Sujets ausgestellt, der im Besitz der Fondation
Marcello ist.
Helena, Tochter des Zeus und Ehefrau des Menelaos, war
für ihre aussergewöhnliche Schönheit berühmt. Ihre
Entführung durch Paris war der Ursprung des langen Krieges um Troja. Seit der Antike hat der Mythos der Helena
unzählige Schriftsteller, Künstler und Musiker zu Werken
inspiriert. Marcello folgt dieser Tradition und stellt Helena
in entspannter Haltung auf einem Thron sitzend dar,
mit übereinander geschlagenen Beinen. Das Gewand mit
einem feinen Faltenwurf lässt die Körperformen durchscheinen, die auf eine aufmerksame anatomische Studie
hinweisen. Die Sinnlichkeit der griechischen Heldin wird
jedoch in klassizistischer Gemessenheit dargestellt, ganz
nach der Lehre Imhofs. Die sitzende Position weist ausserdem auf die Nähe zu einigen Skulpturen Clésingers hin –
George Sand im antiken Stil (1847) und die Gruppe Cornelia
und ihre Kinder (1861) –, die Marcello höchstwahrscheinlich
bekannt waren. Deutlich erkennbar ist auch eine Anlehnung
an die klassische Ikonografie der sogenannten Agrippina
in den Kapitolinischen Museen in Rom, die heute allseits
einhellig identifiziert wird als eine Statue der Helena,
Mutter des Kaisers Konstantin, aus dem 4. Jht. Dieser Bildtypus, der von einem spätklassischen griechischen Prototyp
abstammt, war in der Portraitkunst des alten Rom besonders
beliebt, da er eine gelassene Feierlichkeit darstellte.
Für Die schöne Helena liess sich Marcello von der Statue
der Helena aus den Kapitolinischen Museen inspirieren,
die hier in Fotografie wiedergegeben ist. Die Ikonografie
der berühmten Skulptur war im 19. Jahrhundert weit
verbreitet, sie regte grosse Bildhauer wie Canova,
Thorvaldsen und Bartolini zu Arbeiten an. Auch in dem
Ganzfigurportrait der Grossfürstin Marija Nikolajewna
von Russland (1819–1876) von Pietro Tenerani lässt sich
ein Verweis auf die Skulptur der Kapitolinischen Museen
erkennen. 1845 schuf er das Gipsmodell des Werkes, von
dem hier eine fotografische Reproduktion zu sehen ist.
Die einige Jahre später entstandene definitive Bearbeitung
in Marmor befindet sich in den Sammlungen der
Kunstakademie von Sankt Petersburg. Tenerani stellt
die Lieblingstochter von Zar Nikolaus I. auf einem Stuhl
sitzend dar. Die kontemplative Haltung und die fein
gearbeitete Modellierung verleihen der Figur eine Aura
edler Distanziertheit.
SAAL XI
SAAL XI
Marcello (1836–1879)
Portrait der Gräfin Lucie d’Affry
(Mutter der Künstlerin), 1863–64
Marcello (1836–1879)
Mater amabilis (Bildnis Gräfin
Lucie d’Affry, geb. Maillardoz)
Heft XXIX, 1864
Marmor
Freiburg, Fondation Marcello
Wie so viele junge Künstler, die noch keine Aufträge haben,
aber Bestätigung suchen, begann auch Marcello mit Portraits
von Familienmitgliedern. Zu ihren ersten Arbeiten gehört
eine Skulptur ihrer Mutter, der Gräfin Lucie d’Affry.
Adèle vermied bei dieser Büste jegliche Geziertheit und
konzentrierte sich weniger auf den sozialen Status der
Abgebildeten als auf innere Werte. So trägt die Gräfin ein
Kleid, das nur von einer Blume am Ausschnitt verziert
wird, und ihre Frisur ist schlicht. Ihr sanfter Gesichtsausdruck betont das gute Verhältnis zu ihrer Tochter, der sie
mit Herz und Geist tief verbunden war.
In seiner schlichten und gemessenen Gestaltung zeigt das
Werk einige Analogien zu den Portraits des Bildhauers
Pietro Tenerani, von dem wir hier in Fotografie die Büste
der Margareth Canton (1831) zeigen, der Marquise von
Northampton. Tenerani erhielt seine Ausbildung in Carrara
und war, wie Imhof, ein Schüler Thorvaldsens in Rom.
In seinem Werk verbindet sich die klassizistische Lehre
mit der bildhauerischen Tradition der Toskana des
15. Jahrhunderts.
Für Marcello war diese Anlehnung an die römische, im
weiteren Sinne klassizistische Richtung jedoch nicht von
langer Dauer. Ihr Kontakt zu den französischen Bildhauern,
allen voran Carpeaux und Clésinger, ihre Spanienreise
mit Regnault und Clairin, aber vor allem ihre beständige
Bewunderung Michelangelos liessen sie schon bald einen
anderen Weg einschlagen.
Tinte auf Papier
Freiburg, Fondation Marcello
Zu den Empfängern der umfangreichen Korrespondenz,
die Marcello verfasste, gehörte an erster Stelle ihre Mutter,
die Gräfin Lucie d’Affry. Die Briefe an ihre Mutter liefern
wertvolle Informationen zur intellektuellen, künstlerischen
und geistigen Entwicklung der Künstlerin und zeigen
ausserdem, welche bedeutende Rolle Lucie d’Affry spielte,
wenn es darum ging, Strategien zugunsten der Hochzeits­
chancen, gesellschaftlichen Positionierung und künstlerischen Entwicklung ihrer Tochter zu entwickeln. Nach
dem frühen Tod Marcellos kümmerte sich die Gräfin um
den künstlerischen Nachlass und sorgte dafür, dass der
letzte Wille ihrer Tochter umgesetzt wurde, insbesondere
durch die Schaffung des Musée Marcello in Freiburg.
Die Zeichnung Mater amabilis, die 1864 entstand und hier
ausgestellt ist, stellt eine Hommage der Künstlerin an ihre
Mutter dar. Der lateinische Titel spielt auf eines der
beliebtesten Sujets der Marienikonografie an, in dem die
mütterliche Hingabe der Muttergottes hervorgehoben
wird. Lucie d’Affry wird auf einem Sessel sitzend dargestellt
und nimmt trotz der häuslichen Umgebung eine königliche
Pose ein. Die würdevolle Haltung wird noch unterstrichen
durch den Lorbeerkranz, den sie auf dem Kopf trägt.
Das liebevolle Verhältnis, das sie zu ihrer Tochter pflegte,
spiegelt sich in ihrem wohlwollenden Gesichtsausdruck.
SAAL XII
SAAL XII
Paris 1863: Marcello,
«ein Künstler- und Kampfname»
Bianca Capello (1548–1587)
Anlässlich des Salons von 1863 präsentierte sich Adèle neu
unter dem Künstlernamen Marcello. Sie zeigte drei Büsten,
die ihr eine ehrenhafte Erwähnung einbrachten, das Bildnis
des Grafen Gaston de Nicolaÿ, das Bildnis der Herzogin
von San Cesario und vor allem ihre Bianca Capello, die
das Publikum und die Kritik bezauberte. Indem sie unter
einem Pseudonym ausstellte, wollte sich die Herzogin
Colonna ihrem gesellschaftlichen Status entziehen und von
der Kritik wie auch von ihren Kollegen ernst genommen
werden. Ihre Teilnahme am Salon blieb allerdings nicht
unbemerkt, und ihr Geheimnis wurde rasch gelüftet. Einige
Zeitungen publizierten ihren Stammbaum und verkündeten, die Kaiserin Eugénie habe Marcellos Talent bereits bei
der Eröffnung lobend hervorgehoben und sie nach
Fontainebleau eingeladen.
In wenigen Wochen war Marcello zu einer Persönlichkeit
des kaiserlichen Tout-Paris geworden, was ihr Bemühen
um eine vorbehaltlose Anerkennung in der Kunstwelt
kompromittierte, da sie sich nun endgültig von den anderen
Künstlern unterschied.
Marcello widmete der berühmten toskanischen Grossherzogin eines ihrer bekanntesten Werke, das wir in diesem Saal
in verschiedenen Versionen zeigen. Als faszinierende,
doch auch umstrittene Heldin gilt Bianca Capello als eine der
Femmes fatales der Renaissance. Die Geschichte dieser
Adeligen, über die sich die offizielle Geschichtsschreibung
des Grossherzogtums der Toskana anfangs in Schweigen
hüllte, wurde erst im 18. Jahrhundert aufgedeckt und ist
seither bekannt.
Die venezianische Patrizierin Bianca Capello floh im zarten
Alter von nur fünfzehn Jahren aus Liebe zum Florentiner
Kaufmann Pietro Bonaventuri mit diesem nach Florenz.
Ihr Vater setzte die Diplomatie in Bewegung, um sie nach
Venedig zurück zu holen, doch die Hochzeit der beiden
hatte bereits stattgefunden. In Florenz erwarb sich die
junge Frau die Gunst von Francesco de’ Medici und wurde
seine Geliebte. Im Hintergrund dieser Beziehung zwischen
Bianca und dem Grossherzog gab es einige Morde
und wenig klare Umstände, angefangen mit dem Tod ihres
Ehegatten, der 1572 ermordet wurde. Nach dem Tod der
Johanna von Österreich (1578), der ersten Frau von
Francesco I., heiratete dieser Bianca. Sie war bei den Florentinern wenig beliebt und hatte die Familie der Medici stets
gegen sich. Die Geschichte endete tragisch: 1587 starben
Francesco und Bianca unvermutet in ihrer Villa in Poggio a
Caiano; zuerst er, und nur wenige Stunden später auch sie.
Die Gerüchte liessen verschiedene Erklärungen kursieren,
man sprach von einer Vergiftung, einem Selbstmord
und auch von Mord durch die Hand von Francescos Bruder,
dem Kardinal Ferdinando. Eine Untersuchung des Leichnams des Grossherzogs aus dem Jahr 2010 lässt eine
wesentlich banalere Erklärung möglich erscheinen: Die
beiden verstarben wohl an Malaria.
SAAL XII
SAAL XII
Marcello (1836–1879)
Bianca Capello, nach 1879
Marcello (1836–1879)
Bianca Capello, 1863
Marmor
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Bronze, patiniert und vergoldet
Freiburg, Fondation Marcello
Nachdem sie ein männliches Pseudonym angenommen
hatte, das auf Italien und die Renaissance hinwies, stellte
die Bildhauerin 1863 zum ersten Mal beim Salon in Paris
aus. Sie präsentierte dort erfolgreich ihre Bianca Capello.
Mit diesem Werk, das in der französischen Bildhauerei des
19. Jahrhunderts einen wichtigen Platz einnimmt, verlässt
Marcello die klassizistische Tradition und orientiert sich
an der florentinischen Kunst der Spätrenaissance. Von dem
Werk existieren verschiedene Versionen. Das hier ausgestellte Exemplar in Marmor wurde nach dem Tod der
Künstlerin nach ihren testamentarischen Verfügungen
hergestellt, um ihren Nachlass zu Gunsten des Staates
Freiburg zu bereichern.
Was den generellen Charakter der Büste betrifft, liess sich
Marcello von einer berühmten Zeichnung Michelangelos
inspirieren, dem Idealen Kopf, besser bekannt als Zenobia,
Königin von Palmyra (1522). Marcello veränderte die
Vorlage jedoch beträchtlich, indem sie die Brust mit einem
Schleier bedeckte, und indem sie vor allem das orientalische,
olivfarbene Gesicht der Königin durch ein entschieden
griechisches, also klassischeres Profil ersetzte. Ein Hinweis
auf die erlesene Kunst Benvenuto Cellinis und Jean Goujons
findet sich in den reichen und fein ziselierten Ornamenten,
die das Gewand von Bianca Capello schmücken, sowie in
ihrer differenziert ausgearbeiteten Frisur.
Marcello überliess Ferdinand Barbedienne die Reproduk­
tionsrechte für ihre Bianca Capello, weshalb von der
Skulptur verschiedene Versionen existieren. Der Vertrag
mit dem Pariser Giesser sah vor, dass Marcello, als Eigentümerin des Modells, für jeden Guss einen bestimmten
Betrag erhalten würde, und dass jedes Exemplar einzigartig
sein und sich in bestimmten Details von den anderen
unterscheiden müsse. Ausserdem wurde der Künstlerin die
Möglichkeit vorbehalten, an allen Reproduktionen eine
letzte Feinbearbeitung vorzunehmen.
Und so unterscheiden sich die beiden hier ausgestellten
Bronzeexemplare trotz ihrer gleichen generellen Anlage
sowohl in der Patina als auch in der Farbgebung, die im Fall
der Bianca im Besitz der Fondation Marcello schlichter
und zurückhaltender erscheint. Gemäss der Vorliebe der
Epoche für Polychromie zeigt das andere Exemplar dagegen
eine gewagtere Farbgebung, welche die Formen durch
Kontraste verstärkt und gleichzeitig das wertvolle Kleid
und den Schmuck hervorhebt.
Die Skulptur wurde von der Künstlerin zu ihren «heroischen
Büsten» gezählt und vermittelt die Vorstellung von Kraft.
Das ungezähmte Wesen der Heldin kommt in ihrem ernsten
Gesichtsausdruck, dem stolzen Blick, der aufrechten
Haltung und den beeindruckenden Dimensionen zum
Ausdruck. Im Text, den sie für den Katalog der Ausstellung
von 1863 veröffentlichen liess, entschied sich Marcello,
die düstersten Aspekte im Leben der Renaissancefürstin zu
betonen, indem sie ihr zahlreiche Verbrechen zuschrieb.
Sie verlieh damit ihrer Bianca einen sehr zweideutigen
Charakter – als Allegorie der weiblichen Freiheit einerseits,
als Emblem grosser moralischer Ruchlosigkeit andererseits
– und schuf so ein beeindruckendes und immer noch
faszinierendes Bildnis.
SAAL XIII
SAAL XIII
«Italien wurde für mich
zur Wahlheimat»
Das Atelier von «Papa Giulio»
Marcello hielt sich regelmässig in Italien auf, einem ihrer
Lieblingsländer, wo auch ihre künstlerische Karriere
begann. 1869 bezog sie ihr Römer Atelier von «Papa Giulio»,
in dem sie viele Monate verbrachte und wo sie ihre
berühmtesten Meisterwerke schuf: die Pythia, die Charles
Garnier für sein neues Opernhaus in Paris erwarb, und den
Abessinischen Häuptling. In Rom träumte sie von einem
Leben als Malerin, und hier vervollkommnete sie dank der
Ratschläge von Ernest Hébert und Mariano Fortuny y Marsal
ihre Mal- und Zeichenkenntnisse. Auf Streifzügen durch
die römischen Strassen studierte sie mediterrane Menschentypen, die sie faszinierten, ebenso wie auch das Alltagsleben
der Bevölkerung. Schliesslich konnte sie in Rom ihre
Leidenschaft für die Musik mit dem Komponisten Charles
Gounod teilen, der sie sehr bewunderte, und ebenso mit
Franz Liszt, den sie hier kennengelernt und in einer kleinen
Figur verewigt hatte.
1869 richtete Marcello ihr römisches Atelier an einem Ort
ein, der «Papa Giulio» genannt wurde, weil das zwischen
dem Tiber und den Monti Parioli gelegene Grundstück drei
Jahrhunderte zuvor von Papst Julius III. (1550–55) gekauft
worden war, der dort eine Villa bauen liess. Marcellos
Wohnhaus war von der mächtigen Familie der Cesi ganz in
der Nähe der Villa Giulia errichtet worden, mit beinahe
päpstlichem Prunk, grossen Gärten, Nymphäen und Fresken.
Zwischen 1800 und 1817 war die Villa Wohnsitz des Fürsten
Stanislaus Poniatowski, der das gesamte Anwesen von
Giuseppe Valadier umbauen liess.
Diese Pracht war zu Marcellos Zeit bereits dahin, doch der
Ort behielt sein Prestige aufgrund der Lage und seiner
Faszination. Von der mitten im Grünen gelegenen Terrasse
konnte die Künstlerin die Kuppel des Petersdoms bestaunen
und ausserdem erreichte sie von dort in wenigen Minuten
die Villa Medici, wo sie in einem Kreis junger französischer
Künstler verkehrte. Und vor allem befand sich die Herzogin
nur wenige Schritte von der Persönlichkeit entfernt,
die sie zu jener Zeit vielleicht am meisten bewunderte, von
Mariano Fortuny, dessen Atelier sich in den ehemaligen
Stallungen der Villa befand.
Marcello besass weitläufige Räume, wobei die nach Norden
gelegenen am geeignetsten waren um Statuen auszustellen,
denn sie hatten das beste, weil gleichmässigste Licht. Die
Säle auf der Beletage waren mit ägyptischen und indischen
Landschaftsmalereien hinter aufgemalten Fenstern
geschmückt – eine exotische Kulisse, die Marcellos Lust
auf den Orient und alles Orientalische befriedigte. Und es
ist möglich, dass sie sich bei der Schaffung der Pythia
von genau diesen Landschaftsmalereien inspirieren liess.
Marcello benutzte auch die Grotte des Nymphäums zur
Ausstellung der ersten Modelle dieser Statue und schuf so
eine Kulisse, die die grosse Nische unter der monumentalen
Ehrentreppe der Opéra Garnier vorwegnahm, in der die
Skulptur letztendlich ihren Platz fand.
Grégoire Extermann
SAAL XIII
SAAL XIII
Marcello (1836–1879)
Gorgo, nach 1879
Marcello (1836–1879)
Müde Bacchantin, 1869
Marmor
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Marmor
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Im Jahr 1865 präsentierte Marcello beim Salon in Paris
erfolgreich die Gorgo. Von dem Werk existieren mehrere
Marmorversionen, darunter die hier ausgestellte postume
Büste, sowie einige Bronzegüsse des Pariser Giessers
Barbedienne. In dieser Ausstellung wird auch ein Entwurf
in Wachs präsentiert, der eine Vorstufe des Werks zeigt.
Genau wie die Rosina spiegelt auch diese Skulptur die
Liebe Marcellos zum Belcanto wieder. In ihren Mémoires
gibt sie an, die Idee, diese Skulptur zu schaffen, sei von der
Arie der Gorgone in der musikalischen Tragödie Persée
von Jean-Baptiste Lully (1632–1687) inspiriert worden, die
sie in einer Interpretation durch Mary Judith Revirard
erlebt hatte.
Die Gorgone war ein geflügeltes Monster mit grossen Reisszähnen und Schlangenhaar, das jeden zu Stein erstarren
liess, der ihm in die Augen sah. Sie wurde von Perseus
getötet, der eine List anwandte und ihr den Kopf abschlug.
Seit der Antike stellte diese Figur aus der Mythologie eine
ständige Inspirationsquelle für Künstler dar. Im Verlauf
der Jahrhunderte erfuhr ihr Bild dabei eine radikale Veränderung und wurde von der Maske eines Monsters zum
schönen Angesicht einer Frau, das von Unruhe und innerem
Aufruhr verzerrt wird.
Marcellos Gorgo ist mit ihren klassischen Attributen – dem
Schlangenhaar und den Flügeln am Kopf – dargestellt
und zeigt in der Haltung und den Gesichtszügen Verweise
auf Michelangelo. Ihr heldenhafter Charakter wird durch
die Rüstung aus Schlangenhaut unterstrichen, die die Brust
bedeckt, sowie durch das Löwenfell, ein Symbol des
Herakles, auf ihrem Haupt. Marcello stellte die Gorgone in
voller Kraft und ihrer ganzen stolzen Schönheit dar und
hinterlässt uns somit ein Frauenbild von beeindruckender
Prägnanz.
Die Inschrift «Marcello, Roma 1869» auf dem Sockel liefert
uns genaue Hinweise zur Entstehung dieses Werkes.
Die Müde Bacchantin wurde Anfang des Jahres 1869 im
römischen Atelier der Künstlerin vollendet und im Frühling
desselben Jahres beim Salon in Paris vorgestellt. Grundsätzlich hatte das Werk Erfolg, es erhielt jedoch auch einige
Kritik. Die Marmorbüste wurde vom Herzog von Bauffremont erstanden, dessen Sohn später dem letzten Willen
Adèles folgte und sie 1891 dem Musée Marcello in Freiburg
stiftete.
Die Künstlerin schuf das Portrait einer Anhängerin des
Bacchus, die gerade ein ihm gewidmetes Ritual gefeiert hat.
Ihr Kopf ist gemäss der traditionellen Ikonografie mit
Weinreben und Trauben bekränzt; nach dem frenetischen
Tanz ist ihr Gewand in Unordnung geraten und eine Brust
ist entblösst. Augen und Lippen der jungen Frau sind halb
geschlossen und ihr Gesichtsausdruck zeugt von einer
mit Traurigkeit gemischten Erschöpfung. Die leicht geneigte
Haltung des Kopfes und die Sanftheit des Modells erinnern
an den berühmten Bacchus Michelangelos. Das androgyne
Aussehen der Figur kann zum Teil durch die Wahl der
Modelle erklärt werden, denn laut den Überlieferungen der
Familie soll der spanische Maler Eduardo Rosales Marcello
bei der Darstellung der Gesichtszüge der Bacchantin als
Vorbild gedient haben. In einem Brief an ihre Mutter vom
Februar 1869 gibt Marcello jedoch an, für den Hals habe
eine Amerikanerin Modell gesessen.
SAAL XIII
SAAL XIII
Marcello (1836–1879)
Bildnis Franz Liszt , 1869
Marcello (1836–1879)
Rosina, 1869
Originalgips
Freiburg, Fondation Marcello
Terrakotta
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Marcello schuf diese Skulptur im Sommer 1869 in Rom.
Zu jener Zeit war sie mit der Arbeit an einem monumentalen
Werk beschäftigt, der Pythia – ihrem Meisterwerk. Um sich
von dieser anstrengenden Aufgabe abzulenken, schuf sie
verschiedene kleinere Werke, darunter das Bildnis Franz
Liszt und die Rosina.
Franz Liszt lebte seit einigen Jahren zurückgezogen in der
Ewigen Stadt, wo er seine Karriere als Virtuose und
Komponist fortsetzte. In einem Brief an ihre Mutter gibt
Marcello an, Liszt habe sein Abbild gefallen.
Der Komponist ist mit gekreuzten Beinen und verschränkten Armen in einer nachdenklichen und konzentrierten
Haltung dargestellt. Diese Pose und der unbekümmerte und
informelle Ausdruck der Statue finden sich auch im
Monument für einen Gelehrten der ägyptischen Antike
(1857–58), den Vela mehr als ein Jahrzehnt zuvor schuf.
In seinem Aufbau erinnert das Modell Velas wiederum an
das meisterhafte Monument für Tommaso Grossi, das im
Erdgeschoss des Museums ausgestellt ist. In der Wiedergabe
der Physiognomie und in den Attributen jedoch unterscheiden sich die beiden Arbeiten.
Die kleine Statue stellt die Schlüsselfigur aus der RossiniOper Der Barbier von Sevilla dar: Rosina, die schöne und
reiche Waise, um deren Liebe zwei Rivalen kämpfen. Diese
Opera buffa war seit ihrer Erstaufführung 1816 äusserst
erfolgreich. Marcello, eine grosse Liebhaberin von Musik
und besonders der Oper, war mit dem italienischen Komponisten befreundet.
Rosina ist als Ganzfigur dargestellt, mit einem Kleid spanischen Stils; in der heute fehlenden rechten Hand hielt
sie wahrscheinlich einen Fächer, in der Linken einen Brief
an den Grafen d’Almaviva, ihren Liebhaber. Marcello
erfasst das Wesen der Figur ganz genau und unterstreicht
vor allem Rosinas Fähigkeiten als Verführerin, aber auch
ihren Esprit und ihre moderne Entschlossenheit.
Die Gesichtszüge Rosinas sind die der Isabel de Madrazo y
Garreta, einer Schwägerin von Marcellos Malerfreund
Mariano Fortuny, dessen römisches Atelier nur wenige
Schritte von dem Marcellos entfernt war. Adèle bewunderte
den katalanischen Künstler so sehr, dass einer ihrer Vorsätze
war, «in der Bildhauerei das umzusetzen, was Fortuny in
der Malerei macht». Und tatsächlich erinnert die Pose
der Rosina an eine der Figuren der berühmten Spanischen
Hochzeit, die Fortuny in eben jenen Jahren in Rom schuf.
SAAL XIV
SAAL XIV
Die Spanienreise (1868)
Marcello (1836–1879)
Portrait des Generals
Lorenzo Milans del Bosch y Mauri, 1868
rosa Gips
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
(Depositum der Fondation Marcello, Freiburg)
Marcellos Spanienreise von 1868 war für sie ein Wendepunkt in ihrem Leben. So öffneten ihr Mérimées Empfehlungsschreiben die Türen zum Museo del Prado, wo sie
die spanische Kunst bewundern und nach Belieben die
Bilder von Velázquez kopieren konnte, die vor ihr bereits
Édouard Manet fasziniert hatten.
Zudem reiste sie in Begleitung ihrer Künstlerfreunde
Regnault und Clairin, und das Trio erlebte gemeinsam
bewegte Zeiten. In Madrid gerieten die drei in die Wirren
eines politischen Aufstands und lernten den revolutionären
General Milans del Bosch y Mauri kennen, dessen Bildnis
sie modellierten und malten.
Schliesslich berichtet Marcello ihrer Mutter aus Madrid,
sie habe die entscheidende Inspiration zur Weiterentwicklung ihrer Kunst gefunden: «… ich wende mich
augenblicklich bescheideneren Sujets zu. Ich werde mich
kühn mit der Natur befassen, bevor ich mich an die Plastik
der Zukunft wage. […] Niemand ausser den alten und
modernen spanischen Meistern hat diese Gabe in so hohem
Mass von der Natur erhalten, und ich sehe hier ganz deutlich,
was es heisst, es gut zu machen.»
Die Büste, die Marcello von Milans del Bosch schuf, steht
dem Portraitgemälde des Generals gegenüber, das Regnault
begann und nie fertigstellte. In diesem Saal ist noch ein
weiteres Werk des französischen Malers ausgestellt, das
dieser während seines Aufenthalts in Spanien schuf,
nämlich der Spanische Maultiertreiber. Wahrscheinlich
schenkte der Künstler das Bild Marcello als Erinnerung
an die gemeinsame Reise. Marcello integrierte das Gemälde
in ihren Nachlass an den Staat von Freiburg.
Auch das Bild Spanisches Wachkorps (1869) von Georges
Clairin war Teil der Privatsammlung Marcellos. Es zeigt,
wie geschickt der Künstler das Sujet durch ein subtiles und
raffiniertes Spiel mit Licht und Schatten darstellte. Auch
dieses Werk entstand während der Spanienreise und zeigt
die orientalisierenden Tendenzen Clairins.
1868 portraitierten Marcello, Henri Regnault und Georges
Clairin während ihrer Spanienreise den General Lorenzo
Milans del Bosch y Mauri. Dieser war ein Freund des Generals und Politikers Joan Prim und nahm an der Revolution
von 1868 teil, im Zuge derer Isabella II. abdankte.
Marcello war fasziniert vom lebhaften Temperament des
Generals, den sie wie folgt beschrieb: «Geistreich, ein kleiner
alter Soldat, der komischste und lustigste, den man finden
kann […]. Er ist ein heldenhafter, spöttischer, freundlicher
Mephisto, ein rares Exemplar! Der gestiefelte Kater,
ein Condé, eine Kreuzung zwischen alter Schule und einem
Söldnerführer aus dem Dreissigjährigen Krieg, ein wirklich
bizarres Wesen.»
Marcello erfasste die überschäumende Persönlichkeit des
Generals genau, und so schuf sie ein gelungenes, inspiriertes
Portrait. Seine Gesichtszüge gab sie mit besonderer Wirklichkeitstreue wieder: das eingefallene Antlitz, die von dichtem und unordentlichem Haar umkränzte Stirn; unter dem
mächtigen Schnauz stehen die Lippen ganz leicht offen.
Der Kopf ist nach rechts geneigt, und auch der Blick des
Generals geht in diese Richtung. Die sensible und nervöse
Plastizität verleiht, in Kombination mit der leichten
Drehung, durch welche die Halsmuskeln hervortreten,
der Komposition Dynamik und Lebendigkeit.
SAAL XV
SAAL XV
«Orient, Orient! Dort könnte ich schöne
Dinge schaffen»
Marcello (1836–1879)
Abessinischer Häuptling, 1869–70
Marcellos Faszination für den Orient folgt einer Hauptbewegung der Kunst des 19. Jahrhunderts, dem Orientalismus,
der unter Malern, Musikern und Schriftstellern zahlreiche
Anhänger hatte und von Reiseberichten über Ägypten
und Marokko genährt wurde. Zwar hatte Marcello den
Orient selber nie bereist, doch sie träumte immer wieder
davon und suchte in Spanien oder Italien nach männlichen
und weiblichen mediterranen Menschentypen, die sie
zu orientalistischen Zeichnungen inspirierten. Als sie 1869
in Rom weilte, lernte sie einen geheimnisvollen «Araber»
kennen; er wurde ihr Modell für den berühmten
Abessinischen Häuptling, den sie im Salon von 1870
ausstellte.
Zu jener Zeit begannen sich auch die Künstler für die
Darstellung von farbigen Männern und Frauen zu interessieren. Man findet sie im Werk von Charles Cordier ebenso
wie in dem von Jean-Baptiste Carpeaux und Marcello.
Cordier, ein Meister der polychromen Skulptur, war im
Verlauf seiner Reisen nach Afrika und in den Orient
zur Überzeugung gekommen, jede Ethnie habe ihre eigene
besondere Schönheit. Seine «ethnografischen» Büsten –
darunter das hier ausgestellte Werk Neger in algerischem
Gewand (ca. 1860) – sind gekennzeichnet von der stolzen
Noblesse der Modelle und der meisterhaften Hervorhebung
der verschiedenen Materialien.
Auch der Sklavenhändler von Vincenzo Vela steht ganz
im orientalisierenden Stil der Zeit, mit einem besonderen
Verweis auf das Hayez’sche Schaffen zum Thema. Die
Skulpturengruppe besticht durch die naturalistische
Wiedergabe der Pose und der Details. Besonders die Ambivalenz zwischen dem melancholischen Ausdruck der
jungen Sklavin und ihrer unschuldigen Sinnlichkeit ist zu
erkennen und bringt das Werk, wenn auch nur in dieser
Hinsicht, in Verbindung mit dem bekannteren Morgengebet
(1846), das im Erdgeschoss des Museums ausgestellt ist.
Marcello setzte ihr ausgeprägtes Interesse für den Orient
als einen fernen Ort, von dem man träumen kann, in einer
Reihe von Skulpturen und Bildern um, unter denen der
Abessinische Häuptling hervorsticht. Die Büste schuf sie
1869 in ihrem römischen Atelier. In jener besonders fruchtbaren und an Begegnungen und Erfahrungen reichen Zeit
vollendete sie auch die Pythia, ihr Meisterwerk.
In der Ewigen Stadt, ihrer unerschöpflichen Inspirationsquelle, begegnete die Bildhauerin einem Mann, einem
«mediterranen Typen», der angab, Araber zu sein. Von ihm
zeichnete sie verschiedene Portraits und verewigte ihn
dann in dieser majestätischen Büste. Dabei gab er ein
schwieriges und recht streitbares Modell ab. Dann stellte
sich heraus, dass es sich bei ihm in Wirklichkeit um einen
römischen Briganten handelte. 1876 wurde der Mann
erschossen.
Sein Gesicht, das von einem geschickt gestalteten Faltenwurf von Stoffen umgeben und so hervorgehoben wird,
besitzt starke Wangenknochen, einen dichten lockigen
Bart und einen gleichzeitig stechenden und misstrauischen
Blick. Die Haltung ist stolz, und den Mann umgibt eine
geheimnisvolle Aura von einer gewissen Vornehmheit,
was der Titel des Werks noch unterstreicht.
Marcello stellte diese Büste mit grossem Erfolg beim Salon
von 1870 aus. Die hier ausgestellte Marmorbüste wurde
1873 vom französischen Staat erstanden und gehört nun zu
den Sammlungen des musée d’Orsay. Von dem Werk sind
ausserdem verschiedene Versionen in Bronze bekannt,
darunter die in diesem Saal ausgestellte, die im Besitz der
Fondation Marcello in Freiburg ist.
Marmor, mit einer Agraffe aus Bronze und
Lapislazuli auf der Schulter
Paris, musée d’Orsay
SAAL XVI
SAAL XVI
Der Triumph der Pythia
Marcello (1836–1879)
Pythia, 1870
Bronze
Paris, Palais Garnier, Opéra de Paris
© Jean Pierre Delagarde (mit der freundlichen
Genehmigung der Opéra national de Paris)
Der Erwerb der Pythia durch Charles Garnier – er hatte die
Statue in Marcellos römischem Atelier entdeckt – bedeutete
für die Künstlerin eine krönende berufliche Bestätigung.
In der Opéra Garnier befindet sich die Figur an einem
eigens für sie geschaffenen Ort, der durch die beiden Arme
der grossen Ehrentreppe, ein Muschelgewölbe und ein
Wasserbecken begrenzt wird.
Das Werk kündigt eine neue Wahrnehmung des Körpers
an, mit dem die Bildhauerin in einer nie zuvor erreichten
Ausdrucks- und Spannkraft umgeht. Sie liess sich von
den damals neuesten Werken und Tendenzen, insbesondere
von den Arbeiten ihres Freunds Carpeaux, inspirieren.
Marcellos Pythia ist eine orientalistische Skulptur,
eine Frau in Trance, deren sich windender Körper ihre
innere Fiebrigkeit ausdrückt. In einem Brief an Carpeaux
meint Marcello: «…eine Art Zigeunerin, erregt von ihrer
verhängnisvollen Gabe. […] Vielleicht werde ich mich in
Zukunft noch verbessern […], doch ich glaube nicht,
ein kühneres und in seinem Impuls stärkeres Werk schaffen
zu können. Ich wollte die Schutzherrin der Künstler
darstellen, jener Künstler natürlich, die den Geist direkt
beschwören.»
Die 1869 in Rom entstandene und Anfang 1870 vollendete
Pythia stellt ohne Zweifel Marcellos Meisterwerk dar,
aufgrund dessen sie heute vornehmlich bekannt ist.
In ihrer Endbearbeitung in Bronze, die hier in einer fotografischen Vergrösserung reproduziert ist, zeigt die
Skulptur ihren monumentalen Charakter; ist sie doch
beinahe drei Meter hoch. Die Pythia wurde 1870 vom
Architekten Charles Garnier für das neue Pariser Operhaus
gekauft, das sich damals noch im Bau befand, und erhielt
später einen ganz besonderen Platz in einer Nische zu
Füssen der grossen Ehrentreppe.
Dieses Werk stellt in der künstlerischen Entwicklung
Marcellos eine wichtige Etappe dar, da sie bis dahin vor
allem Büsten geschaffen hatte. Die Pythia wurde 1870
im Salon von Paris ausgestellt und schied die Geister
der Kritiker. Sie erhielt grosse Bewunderung, ebenso wie
negative Kommentare wegen ihres antiklassischen
und dramatischen Charakters. Für Marcello war es aber
ein wahrer Triumph der Kritik, als 1875 die Oper eingeweiht wurde und die Pythia in der spektakulären von
Charles Garnier geschaffenen Kulisse ein Leben begann,
das Marcellos Namen verewigte.
SAAL XVI
SAAL XVI
Marcello (1836–1879)
Pythia, ca. 1880
Vom Ton zum Marmor:
die Kunst der Plastik
Verkleinerung in Bronze
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Diese Skulptur wurde um 1880 nach dem testamentarischen
Willen der Künstlerin geschaffen. Sie reproduziert
die monumentale Version der Opéra Garnier in kleinerem
Massstab und mit einigen minimen Änderungen.
Im antiken Griechenland war die Pythia eine Priesterin des
Apollokultes in Delphi. Sie kaute Lorbeerblätter und atmete
Dämpfe ein, die im Heiligtum aus einem Spalt im Boden
austraten, um sodann in Trance zu verfallen und in unzusammenhängenden Worten die Orakel des Gottes zu
verkünden, die ein Priester interpretierte.
Marcello stellt die Priesterin auf einem Dreifuss sitzend dar
und folgt darin der Tradition. Dann aber gestaltet sie die
Figur mit mehr Freiheit, verleiht ihr individuellen Charakter,
eine starke, orientalisch angehauchte Sinnlichkeit und
Gesichtszüge, die an eine Zigeunerin erinnern. Die Wahr­
sagerin wird im Trancezustand dargestellt. Ihre innere
Spannung zeigt sich in einer stark dynamischen Drehung,
die vom dichten und aufgewühlten Faltenwurf ihres
Gewandes noch verstärkt wird. Die auf Michelangelo
verweisende, fast schlangenförmige Körperhaltung wird
noch unterstrichen durch die gewundenen Formen der
tierartigen Figuren, die sich den Beinen des Untersatzes
emporschlängeln – wahrscheinlich als Anspielung auf
den Python, das von Apollo getötete Ungeheuer – und durch
die Schlangen, die sich im dichten und wirren Haar der
Priesterin winden.
Die Künstlerin modellierte die Figur nach einem Gipsabguss
ihres eigenen Oberkörpers, der in dieser Ausstellung
gezeigt wird, sowie nach Abgüssen eines ihrer Füsse und
eines Teils des Beins. Als Modell für die Gesichtszüge
der Pythia diente wahrscheinlich Clémence de Reynold,
eine Cousine von Marcello; in der Familie meint man
jedoch, es bestehe Ähnlichkeit mit der Künstlerin selbst.
Die Bildhauerei ist eine komplexe Kunst, die von der
zündenden Idee des Künstlers bis hin zur endgültigen
Realisation reicht. Sie umfasst mehrere Etappen und
benötigt verschiedene ausführende Hände. Anhand der
Büste der Baronin von Keffenbrinck lassen sich einige
dieser Schritte nachvollziehen: Skizze, Gips, der die
von der Künstlerin gewählte Form zeigt, und schliesslich
die für die Auftraggeberin bestimmte Marmorbüste.
Wie viele ihrer Kollegen war Marcello in erster Linie eine
Modelliererin. Die Phasen des Skizzierens bewältigte sie
alleine. Für die Modellierung grosser Kompositionen,
die komplexe Armierungen benötigten, arbeitete sie mit
Bildhauergehilfen zusammen, die auch die Punktierung
und Rohbehauung des Marmors vornahmen, indem
sie zuerst das definitive Modell punktierten und dann die
Punkte auf den Steinblock übertrugen. Der Bildhauergehilfe
gab der Skulptur auch den letzten Schliff gemäss den
Anweisungen Marcellos, die offenbar nur äusserst selten
den Meissel ergriff, um ein Werk fertigzustellen.
SAAL XVI
SAAL XVI
«Diese bezaubernde Malerei»
Marcello (1836–1879)
Berthe Morisot, 1875
Öl auf Leinwand
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
In ihren Mémoires berichtet Marcello über ihre Leidenschaft
für die Malerei, aber auch über ihre Schwierigkeit, diese
voll auszuüben: «Seit jeher gefiel mir die Malerei besser als
die Plastik. Warum also, wird man mich fragen, haben Sie
sich zuerst der Letzteren zugewandt? Weil ich nicht über
die Mittel verfügte, die Malerei gemäss der Schule, von der
ich mich angezogen fühlte, zu studieren.» Dennoch wendet
sie sich in den letzten Jahren ihres Lebens der Malerei zu,
wobei sie von den Ratschlägen erfahrener Maler wie Alfred
van Muyden oder Léon Bonnat profitieren kann.
Ihre Inspirationsquellen sind vielfältig. Unter den alten
Meistern nennt sie Velázquez, den sie 1868 während ihrer
Spanienreise studierte. Zu erwähnen sind aber auch
Rubens, Tizian und Veronese.
Ihr zeitgenössischer Lehrer ist Delacroix, der die Freiheit
des Pinselstrichs und die Bedeutung der Farbe verteidigt;
er inspiriert sie zu Aquarellen und Ölbildern voller
Stofflichkeit und Emotion. Was die Romantik betrifft,
verweist sie auf ihre Kopien nach Géricault, dessen
Ausdruckskraft sie schätzt.
Zu den Genres der Malerei, in denen sich Marcello versuchte,
gehörte das Portraitgemälde. Bei diesen Übungen verzichtete die Künstlerin meist darauf, die Details auszuarbeiten,
und konzentrierte sich mehr auf eine psychologische
Charakterisierung. Um das Modell noch stärker zu betonen,
verwendete sie einen neutralen Hintergrund. Und was
die Posen anging, liess sie sich manchmal von der Portraitfotografie inspirieren, denn sie besass eine umfangreiche
Sammlung solcher Bilder. Dieses ist auch der Fall beim Bild
von Berthe Morisot, das Marcello 1875 vollendete.
Die Freundschaft der beiden Frauen hatte ein Jahrzehnt
zuvor in Paris begonnen, im Hause des Portraitmalers Léon
Riesener, der Marcello ein Zimmer vermietete.
Die Malerin des Impressionismus, Schwägerin von Édouard
Manet, ist in einem eleganten Abendkleid aus rosa Satin
dargestellt. Sie sitzt auf einem Tanzsaal-Stuhl, den Arm auf
die Rückenlehne gestützt, mit einem Fächer in der rechten
Hand. Die Leuchtkraft des Gewands und der Haut der
Portraitierten wird noch verstärkt durch einen Lichtschein
um Kopf und Oberkörper.
Im gesamten Aufbau entspricht das Bild den Regeln der
traditionellen Portraitkunst. Und doch zeigt Marcello
moderne Sensibilität in der Interpretation der Weiblichkeit
und der Persönlichkeit der Morisot, wie diese in ihrer
ungezwungenen Haltung dargestellt ist. Die Pose, die Wahl
der Attribute, aber auch die Art, wie das Kleid wiedergegeben ist, zeigen ausserdem den Einfluss von Édouard Manet,
der Berthe Morisot zuvor portraitiert hatte.
SAAL XVII
SAAL XVII
Künstlerfreunde: ein professioneller
Austausch
Marcello (1836–1879)
Portrait von Jean-Baptiste Carpeaux, 1875
Delacroix, Courbet, Hébert oder Carpeaux, alle kannten
Marcello und trafen mit ihr zusammen. Jeder war von ihrer
Persönlichkeit, ihrer Unabhängigkeit und ihrer Intelligenz
fasziniert. Was aber erwartete sie selber von diesen Künstlern? In erster Linie einen Austausch unter Gleichgesinnten
und kluge Ratschläge, da sie nie eine – damals den Frauen
noch verwehrte – künstlerische Ausbildung genossen hatte.
Eugène Delacroix, fast 40 Jahre älter als sie, war in allem,
was die Malerei betraf, ihr unbedingter Lehrmeister.
Sie bewunderte seine Werke, sammelte und kopierte sie.
Jean-Baptiste Carpeaux, berühmter Bildhauer des Second
Empire, war ihr Kollege und Freund. Er inspirierte sie in
ihrer Bildhauerei, wie ein Dialog bezeugt, der bei mehreren
ihrer zeitgleich entstandenen Skulpturen zu entdecken ist.
Gustave Courbet schuf ihr Bildnis und war mit einem
Landschaftsbild in ihrer persönlichen Sammlung vertreten.
Ernest Hébert begleitete ihre Rückkehr zur Malerei und
ihre regelmässige Zeichentätigkeit, insbesondere während
ihres Romaufenthalts von 1869.
Jean-Baptiste Carpeaux (1827–1875) war ein herausragender
Protagonist der französischen Bildhauerei der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts und gehörte zu den am Kaiserhof
gerne gesehenen Künstlern. Sein Schaffen weicht vom
klassizistischen und akademischen Ideal ab und bevorzugt
malerische Effekte und das Spiel mit dem Clair-obscur.
Er war Schüler von François Rude und wurde 1854 mit dem
prestigeträchtigen Grand Prix de Rome ausgezeichnet.
Carpeaux begegnete Marcello im Jahr 1861, während seines
Aufenthaltes in der Villa Medici. Die Verehrung für
Michelangelo und Delacroix war beiden gemein, und so
begannen sie eine lange und fruchtbare Freundschaft,
bis zum Tod Carpeaux‘ im Jahr 1875.
In eben jenem Jahr entstand das Portrait von Jean-Baptiste
Carpeaux. Das Gesicht des Bildhauers weist mit seinen
schmalen Wangen Zeichen seiner Krankheit auf. Doch trotz
des körperlichen Leidens ist sein Geist ungebrochen,
und so blickt er in nachdenklicher Haltung in die Ferne.
Die Büste, die zu den gelungensten Portraitarbeiten
Marcellos gehört, zeichnet sich durch Ausdrucksstärke
und introspektive Kraft aus.
In diesem Saal ist als Beleg für die Freundschaft zwischen
den beiden Künstlern auch das feinfühlige Portrait der
Herzogin von Castiglione Colonna ausgestellt, das Carpeaux
bei einem Aufenthalt in Givisiez im Sommer 1864 schuf.
Ausserdem ist eine Fotografie der Marseillaise von
François Rude, dem Meister Carpeaux’, zu sehen, die eine
Widmung an Marcello trägt, als eine Art Augenzwinkern
von Bildhauer zu Bildhauer und zugleich als Anspielung
auf die gemeinsame künstlerische Herkunft der beiden.
Gips
Freiburg, Fondation Marcello
SAAL XVII
SAAL XVII
Adelaide Maraini-Pandiani (1836–1917)
Adelaide Maraini-Pandiani (1836–1917)
Mater dolorosa, ca. 1900
Bronze
Ligornetto, Museo Vincenzo Vela
(Depositum der Schweizerischen Eidgenossenschaft)
Adèle d’Affry und Adelaide Maraini-Pandiani kannten
sich höchstwahrscheinlich nicht, doch ihre Biografien und
beruflichen Werdegänge weisen einige Berührungspunkte
auf. Die gleichaltrigen Künstlerinnen hatten beide eine
hohe gesellschaftliche Stellung inne, wenn auch in
verschiedenen Kontexten: beide besassen ein geistreiches
Temperament und grosse intellektuelle Fähigkeiten, beiden
gelang es, sich in einem traditionell männlichen Kunstbereich durchzusetzen.
Die in Mailand in eine Künstlerfamilie geborene Adelaide
Pandiani erhielt ihre Ausbildung im Atelier ihres Vater
Giovanni, einem erfahrenen Bildhauer der Stadt; sie nahm
auch an Kursen an der Accademia di Brera teil. 1862 heiratete
sie Clemente Maraini, einen Ingenieur und Industriellen
aus Lugano, der der radikalen Linken verbunden war.
Sie zog mit ihrem Mann nach Rom und war dort Gastgeberin eines der lebhaftesten kulturellen Salons der Stadt,
in dem unter anderem Carlo Dossi verkehrte. Sie wohnte
auch regelmässig in ihrer prächtigen Luganeser Villa im
neopompejanischen Stil, die leider abgerissen wurde.
Ihre künstlerischen Qualitäten sind ausser Zweifel, wurden
jedoch noch wenig untersucht. Vor allem zwischen 1870 und
1900 schuf sie literarisch, mythologisch und religiös inspirierte Werke, Grabdenkmäler und Portraits und nahm an
bedeutenden Ausstellungen in Italien und der Schweiz teil.
Genau wie Marcello und Vincenzo Vela beteiligte sie sich
1867 an der Pariser Weltausstellung. Die Bildhauerin aus
Freiburg präsentierte dort acht Werke, darunter die Hekate,
die Napoleon III. in Auftrag gegeben hatte. Vela hatte
viel Erfolg mit seinem sterbenden Napoleon, der dann auf
Befehl des Kaisers vom französischen Staat gekauft wurde
und von dem im Erdgeschoss (Saal II) ein Gipsmodell
ausgestellt ist. Adelaide Maraini dagegen stellte erfolgreich
das Relief im Stil der Neorenaissance Engel des Gebets und
Engel der Auferstehung aus. Später nahm ihre Arbeit spät­
romantische Züge, einen gewissen Naturalismus im Stil des
18. Jahrhunderts und symbolistische Akzente an.
Der Ausdruck Mater dolorosa, der aus der Erzählung der
Passion Christi nach Johannes und aus dem ersten Vers
der Liturgie des Stabat Mater stammt, bezieht sich auf die
schmerzerfüllte Gottesmutter, wie sie zu Füssen des
Gekreuzigten steht. Im 19. Jahrhundert wurden im Zuge
der Romantik die Menschlichkeit und die Gefühle Christi
hervorgehoben und auch der Marienkult erhielt neue
Impulse.
Das Werk war als ex voto für die Königin Margherita nach
der Ermordung von Umberto I. (1900) gedacht. Es folgt der
ikonografischen Tradition der Schmerzensmutter, welche
die Künstlerin mit äusserster Feinfühligkeit interpretiert.
Die Bildhauerin verzichtet dabei auf die klassischen
Marienattribute (die Dornenkrone, das von kleinen
Schwertern durchstochene Herz) und richtet ihre Aufmerksamkeit ganz auf die Figur der Gottesmutter. Die Büste
wird beherrscht von der gemessenen Würde der Madonna,
in deren Antlitz tiefer Schmerz zu sehen ist. Nachdem die
Bronzebüste erfolgreich auf der Genfer Landesausstellung
von 1896 zu sehen war, wurde sie im selben Jahr von
der Eidgenossenschaft erstanden.
Adelaide Maraini-Pandiani stellte auch eine Marmorversion des Werkes her, die heute in der Galleria nazionale d’arte
moderna in Rom ausgestellt ist. Die Skulptur besticht
durch eine virtuose Bearbeitung des Materials und belegt
erneut die Vielseitigkeit und technische Versiertheit der
Künstlerin.
Im Erdgeschoss des Museums, in Saal XX, ist das originale
Gipsmodell der Addolorata zu sehen, die Vincenzo Vela für
die Kapelle d’Adda in Arcore schuf. Velas Werk zeigt ein
Bild der Muttergottes, das von intensiver Anmut und stiller
Sanftheit gezeichnet ist, wie sie sich eng in ihren Mantel
einhüllt und ganz in ihrem Schmerz versinkt.
SAAL XVII
SAAL XVII
Adelaide Maraini-Pandiani (1836–1917)
Portrait des César Thomson, 1884
Georges-Jules-Victor Clairin (1843–1919)
Marcello in ihrem Atelier in Givisiez, 1871
braun bemalter Gips
Collezione della Città di Lugano
Öl auf Leinwand
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Die bedeutende Gruppe an Arbeiten von Adelaide MarainiPandiani im Besitz der Collezione della Città di Lugano
enthält auch das Gipsportrait des berühmten belgischen
Geigers und Komponisten César Thomson (1857–1931)
aus dem Jahr 1884. Von 1874 bis 1877 spielte Thomson die
erste Geige im Privatorchester des Barons Paul von Derwies,
einem vermögenden Mäzen, der in seiner als «Castello di
Trevano» bekannten prachtvollen Luganeser Residenz
einen Konzertsaal hatte einrichten lassen. Thomson heiratete die Luganeser Adelige Luisa Riva und begann, international tätig zu werden. Er behielt jedoch seine engen
Kontakte zum Tessin bei, wo er auch starb. Als kultivierte
Frau mit erlesener Bekanntschaft kannte Adelaide Maraini
Thomson wahrscheinlich über den Kreis der Luganeser
Salons.
Die Bildhauerin hat die Züge des Musikers mit sicherer
Hand dargestellt: den intensiven Blick, den Kinnbart, die
hohe Stirn und das dichte Haar. Die Spontaneität der plastischen Wiedergabe und die technischen Fähigkeiten der
Bildhauerin haben ein ausdrucksstarkes und eindrucksvolles Portrait Thomsons entstehen lassen, als dieser noch
keine dreissig Jahre alt war.
Der französische Maler Georges Clairin und Marcello
waren beide mit dem Künstler Henri Regnault befreundet,
und beide waren zutiefst betrübt über den frühen Tod
ihres Freundes im Januar 1871. Wenig später besuchte
Clairin Marcello in Givisiez, und in der Stille des Ortes fand
er seine Unbeschwertheit wieder und schuf dieses Portrait
seiner Freundin.
Marcello ist in dem Atelier dargestellt, das sie sich im
Familienwohnsitz hatte einrichten lassen. Man sieht sie als
Ganzfigur im Profil, in einer entspannten Pose sitzend
und zeichnend. Als sei sie einen Moment lang von ihrer
Beschäftigung abgelenkt worden, richtet sie einen von
stiller Melancholie durchzogenen Blick auf den Betrachter.
Die Herzogin trägt ein schwarzes, schlicht geschnittenes
Kleid; ihre gesellschaftliche Stellung wird aber von ihrer
eleganten Figur und, in Kontrast dazu, von der Blässe ihres
Gesichts und ihrer Hände hervorgehoben.
Der weitläufige Atelierraum ist von einem Paravent und
einigen Stoffen abgeteilt, die am Boden liegen oder aufgehängt sind und deren helle Farben zum Halbschatten
im Hintergrund kontrastieren. Die Spontaneität der Pose,
in der die Adelige wiedergegeben ist, und die scheinbare
Achtlosigkeit der Einrichtung verleihen der Komposition
Natürlichkeit, die durch die subtile Bohème-Atmosphäre
des Ateliers noch verstärkt wird.
Gemäss der testamentarischen Verfügungen der Künstlerin
kam das Werk 1879 zur Schenkung der Künstlerin an den
Staat Freiburg.
SAAL XVIII
SAAL XVIII
Die 1870er-Jahre: Wendepunkt
und letzte Skulpturen
Gustave Courbet (1819–1877)
Freundschaft – Fortschritt – Einheit, ca. 1875–77
Die 1870er-Jahre sind für Frankreich, aber auch in Marcellos
Leben eine bewegte Zeit. Auf die Niederlage von Sedan (1870)
folgen die Absetzung Napoleons III., der Sturz des Empire,
der Aufstand der Kommune (1871) und die Aus­rufung der
Dritten Republik. Die Künstler, deren Karriere mit dem
Second Empire verknüpft war, müssen sich neue Auftraggeber suchen. Auch das künstlerische Milieu erlebt einen
Wandel. Die Impressionisten gewinnen an Einfluss, und
immer mehr Ausstellungsorte machen dem allmächtigen
Salon Konkurrenz.
Marcellos Privatleben ist von ihrer Krankheit geprägt.
Sie schafft ihre letzten Skulpturen, die in den Salons von
1875 und 1876 gezeigt werden, darunter ihre «verkleideten
Büsten» wie die der Phoebe, welche die Züge von Mélanie
de Pourtalès trägt, oder Die schöne Römerin, für die Olga
de Tallenay Modell stand. Dennoch ist die Künstlerin
weiterhin voller Hoffnung, zeichnet unermüdlich und
entdeckt (erneut) die Malerei.
Gustave Courbet, herausragender Vertreter des Realismus,
ist vor allem für sein bemerkenswertes malerisches Schaffen bekannt. Er schuf jedoch auch einige Skulpturen,
wie jene, die wir in diesem Saal sehen können. Sie entstand
in La Tour-de-Peilz zur Zeit des Schweizer Exils des Künstlers. Aufgrund seiner politischen Einstellung und des
Prozesses, den der französische Staat nach den Vorkommnissen der Pariser Kommune von 1871 gegen ihn angestrengt hatte, war Courbet 1873 in die Schweiz geflohen,
wo er 1877 starb.
1875 stiftete Courbet der Gemeindeverwaltung von
La Tour-de-Peilz eine Statue der Helvetia – später umbenannt in Freiheit – als Dank für die Gastfreundschaft der
Ortschaft im Kanton Waadt. Später schuf er weitere
verschiedene Versionen des Werks, darunter die hier ausgestellte Gipsbüste. Sie unterscheidet sich in einigen Details
von den anderen Exemplaren, nämlich durch die Inschrift
«Freundschaft – Fortschritt – Einheit» auf dem Sockel und
durch das Medaillon mit den Buchstaben «JRS» in einer
aufgehenden Sonne (wahrscheinlich ein Verweis auf eine
Freimaurerloge).
Wer Courbet für die Büste Modell stand, ist nicht geklärt.
Es wurde die Hypothese aufgestellt, es könne sich um die
Marquise Olga de Tallenay gehandelt haben, die Courbet
1874 über ihre gemeinsame Freundin Marcello kennenlernte. Die Adelige wurde von Marcello auf dem in diesem
Saal ausgestellten Gemälde portraitiert, und sie stand auch
für Die schöne Römerin Modell.
patinierter Gips
Bern, Bernisches Historisches Museum
SAAL XVIII
SAAL XVIII
Marcello (1836–1879)
Die schöne Römerin, nach 1879
Marcello (1836–1879)
Frauenkopf, 1873–74
Marmor
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg
Gips
Freiburg, Fondation Marcello
Im Verlauf ihrer Karriere gestaltete Marcello eine Reihe
von Portraits mit den Gesichtszügen von ihr nahestehenden
Menschen. Ab 1875 schuf sie die besten ihrer «verkleideten
Portraits», bei denen sie die Züge ihrer Modelle mit
der Ikonografie oder den Eigenschaften von Figuren aus
Mythologie oder Literatur verschmolz.
Die Büste der Schönen Römerin trägt die Züge von Olga
de Tallenay, geborene Illyne (gestorben 1915). Marcello liess
sich bei der Realisierung dieses Werks von der Freundin
inspirieren, von der sie schon ein Portrait gemalt hatte.
Das Bild, das in diesem Saal ausgestellt ist, zeigt die Marquise
als Standbild, im Profil und elegant gekleidet.
Im Fall der Marmorbüste trägt die Tallenay dagegen ein
Gewand, das an die Frauen aus dem antiken Rom erinnert.
Ihren Hals ziert ein schön gearbeitetes Collier, an dem
das klassische, «cornicello» (kleines Horn) genannte
Amulett in Form einer Chilischote und ein Medaillon mit
feiner Gravierung hängen. Die beeindruckende Grösse der
Skulptur und die stolze Haltung verleihen der Dame eine
gebieterische Note. Wie die Künstlerin in ihrem Testament
verfügt hatte, wurde die hier ausgestellte Büste nach
ihrem Tod von dem für die Grobarbeit an ihren Skulpturen
zuständigen Bildhauer Narcisse Jacques erstellt. Die schöne
Römerin, die beim Salon 1875 ausgestellt wurde, ist heute
im Besitz des musée d’Orsay.
Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Marcello ein Modell mit
anderen Künstlern teilte, und so wurde die Hypothese
aufgestellt, Olga de Tallenay habe nicht nur für die beiden
Werke von Marcello, die in diesem Saal gezeigt werden,
Modell gestanden, sondern auch für Courbets Büste mit
dem Titel Freundschaft – Fortschritt – Einheit. Und in der
Tat weist die Skulptur deutliche Ähnlichkeiten mit dem
Portrait von Mme de Tallenay auf, das Marcello gemalt
hatte, und mit ihrer Schönen Römerin, wie auch mit Portraitfotografien der Marquise.
Die Annahme, Marcello und Courbet hätten dasselbe Modell
gewählt, wird von den beiden Gipsskulpturen gestützt,
welche die Marquise de Tallenay darstellen. Die eine
schenkte ein Cousin Courbets 1916 dem musée d’Orsay, die
andere ist im Besitz der Fondation Marcello in Freiburg.
Beide Werke stammen wohl von derselben Gussform,
die nach einem von Marcello geschaffenen Kopf hergestellt
wurde, der wiederum wahrscheinlich ein lebensechter
Abguss von Gesicht und Hals der Olga de Tallenay war.
SAAL XIX
SAAL XIX
Das kaiserliche Paar
Hof und mondänes Leben
Im Jahr 1863 verschaffte sich Marcello mit ihrer ersten
Teilnahme am Salon einen vielbeachteten Zutritt zum Hof.
Das kaiserliche Paar lud sie nicht nur des Öfteren ein,
sondern gab bei ihr auch Werke in Auftrag. Von 1863 bis
1867 waren die Herrscher und die kaiserliche Verwaltung
ihre Hauptkunden. Sie schuf in diesem Zusammenhang
eine Statue der Hekate für den Park von Compiègne und
eine Büste der Kaiserin.
Eugénie liebte Frauen mit Charakter und schätzte die
Herzogin Colonna. Auch wenn Marcello darauf bedacht
war, bei Hofe eine gute Erscheinung zu machen, fühlte
sie sich kaum zur Kaiserin hingezogen und hielt diese für
oberflächlich. Dagegen hegte sie grosse Bewunderung
für Napoleon III., den «Patron». Nach dem Tod des Kaisers
am 9. Januar 1873 im Exil in Chislehurst (England) kondolierte sie der Kaiserin und ihrem Sohn persönlich. Marcello
selber starb 1879 ein paar Wochen nach dem tragischen
Tod des kaiserlichen Prinzen. Als Eugénie von ihrem Ableben erfuhr, schickte sie der Gräfin d’Affry ein Telegramm
mit den Worten: «Mein tiefer Schmerz versteht und teilt
den Ihren.»
Die Freundschaft, die ihr das kaiserliche Paar bezeugte,
zwang Marcello, ihren gesellschaftlichen Pflichten nach­
zukommen: Bälle, Salons, Einladungen zu den Séries
de Compiègne, in die Tuilerien oder nach Fontainebleau,
Anlässe gab es zuhauf. Teilweise schätzte sie dieses Spiel
des schönen Scheins und genoss die Faszination, die sie
auf ihre Zeitgenossen ausübte.
Allerdings enthalten ihre Schriften auch Passagen, in denen
sie sich die Frivolität und Eitelkeit des mondänen Lebens
eingesteht («eine gut geschneiderte Garderobe ist wichtiger
für mich als eine schöne Büste»). Ihre Lage ist marginal:
In gegensätzlichen Welten zu Hause, kann sie ihren Platz
nicht so recht finden und wechselt zwischen der Einsamkeit
des Ateliers und dem Glanz eines auf Repräsentation ausgerichteten Lebens hin und her. Sie selbst erklärt: «Diese zwei
entgegengesetzten Naturen, die so atemberaubend und
willkürlich in meiner Person vereint sind. Die eine voller
Idealismus, Träumerei und glühendem Willen, die andere
ohne Tiefe, an minderen Vergnügungen Gefallen findend,
auf der Suche nach Lärm, ständiger Bewegung, einem
aktiven, oberflächlichen Leben. Die eine wird die andere
nicht vernichten. Es ist schon viel, wenn sie sie zwingt,
ihr zu folgen.»
SAAL XIX
SAAL XIX
Marcello (1836–1879)
Bildnis I. M. Kaiserin Eugénie, 1866–67
Jean-Baptiste Carpeaux (1827–1875)
Napoleon III., ca. 1872–73
Gips
Freiburg, Fondation Marcello
Marmor (unvollständig)
musées nationaux du palais de Compiègne
Die in Granada geborene Eugénie de Montijo de Guzmán
(1826–1920) heiratete 1853 Kaiser Napoleon III. und ist für
ihre Liebe zum Luxus bekannt, aber auch für die Leidenschaft, mit der sie ihr wichtige Anliegen verfolgte, nämlich
Bedürftigen zu helfen und für die Ausbildung junger Frauen
zu sorgen. Sie schätzte Marcello sehr und lud sie oft nach
Compiègne und Fontainebleau ein. Marcello schuf mehrere
Portraitskulpturen der Kaiserin und pflegte auch nach
dem Fall des Kaiserreichs freundschaftliche Verbindungen
zur kaiserlichen Familie.
1865 erhielt die Künstlerin den offiziellen Auftrag für ein
Portrait der Kaiserin Eugénie, das den Thronsaal des Hôtel
de Ville in Paris schmücken sollte. Von dieser Büste schuf
sie verschiedene Versionen, darunter die beiden in diesem
Saal gezeigten Bildnisse. Im ersten, in Wachs modellierten
– die Künstlerin bevorzugte für ihre Entwürfe dieses
Material – wird der hohe Rang der Portraitierten von einem
Diadem mit dem kaiserlichen Adler hervorgehoben.
Das zweite, in Gips, dokumentiert eine spätere Phase des
Werkes. Beide Skulpturen zeichnen sich durch einen
wohlwollenden Gesichtsausdruck aus, unterscheiden sich
jedoch in der Frisur. Die Marmorbüste, die Marcello dann
der Kommission vorlegte und die heute verschollen ist,
wurde anfangs abgelehnt. Der Künstlerin gelang es aber
Dank ihrer Beziehungen, das Werk doch genehmigen
zu lassen.
Der Neffe Napoleons I., Charles Louis Napoléon Bonaparte
(1808–1873), verbrachte seine Jugend in der Schweiz, in
Schloss Arenenberg. 1832 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft
von Salenstein verliehen, doch er behielt seine französische
Nationalität. 1846 ernannte man ihn zum Präsidenten
der französischen Republik, und sechs Jahre später führte
er das Kaiserreich wieder ein, das er unter dem Namen
Napoleon III. regierte. Marcello, seit 1863 Gast zu Hofe,
hegte grosse Bewunderung für den Herrscher.
Diese unvollendete Hermenbüste entspricht dem Portrait,
das Carpeaux 1872 begann und nach dem Tod des Portraitierten im Januar 1873 vollendete. Das Werk drückt die
gefasste Betrübnis des Kaisers nach der tragischen Niederlage von Sedan aus, welcher dann Exil und gesundheitliche
Probleme folgten. Die meisterlich ausgeführte Skulptur
zählt zu den gelungensten männlichen Portraits Carpeauxs.
Der Kaiser scheint in Gedanken versunken, sein Gesichtsausdruck ist von subtiler Melancholie gezeichnet, und der
beinahe abwesende Blick richtet sich in die Ferne. In einer
geschickten Balance zwischen Wirklichkeitstreue und
Introspektion schuf Carpeaux ein Portrait von beachtenswerter psychologischer Tiefe.
Auch Vincenzo Vela pflegte gute Beziehungen zur Kaiserin
der Franzosen. Eugénie erhielt von einigen Patriotinnen
aus Mailand seine Skulpturengruppe Italien dankt
Frankreich (1861–62) und gab nach diesem gerne angenommenen Geschenk Vela den Auftrag zu einem Monument
für Christoph Kolumbus, das in Panama stehen sollte.
Das Gipsmodell von Italien dankt Frankreich ist im Erdgeschoss des Museums ausgestellt, in Saal XXII.
SAAL XIX
SAAL XIX bis
Albert-Ernest Carrier-Belleuse (1824–1887)
Die Gräfin von Castiglione als Königin
von Etrurien gekleidet, 1864
Der Gebrauch der Fotografie
patinierter Gips
musées nationaux du palais de Compiègne
Albert-Ernest Carrier-Belleuse zählt zu den berühmtesten
und schaffensfreudigsten Künstlern des Second Empire.
Der vielseitig begabte und einfallsreiche Bildhauer und
Maler schuf dekorative Arbeiten, Büsten und Skulpturengruppen. Von 1875 bis 1887 leitete er die künstlerische
Abteilung der Porzellanmanufaktur von Sèvres und gab
dieser neue Impulse.
Virginia Oldoini Verasis (1837–1899), Gräfin von Castiglione,
war eine Femme fatale der Renaissance und berühmt für
ihre Schönheit. Auch auf Napoleon III. wirkte ihr Charme,
und sie wurde seine Geliebte. Die Gräfin, die von ihrem
eigenen Bild besessen war, posierte 1863, nachdem sie im
Gewand der Königin von Etrurien an einem Kostümball
in den Tuilerien teilgenommen hatte, für den Pariser Fotografen Pierson und für Carrier-Belleuse, um so die boshaften
Anspielungen zum Schweigen zu bringen, die über ihre
Bekleidung bei dem Ball kursierten. Die kleine Portrait­
statue wurde in mehreren Exemplaren hergestellt und an
die Freunde der Gräfin verschenkt. Trotz ihrer geringen
Grösse ist es eine Skulptur mit Monumentalcharakter, der
durch die stolze Pose noch unterstrichen wird.
Eine Fotografie Piersons half auch Vincenzo Vela, sein
Portrait der Gräfin von Castiglione (1867) zu vollenden.
Die Büste zeigt die Adelige im Glanz ihrer Jugend;
besonders auffallend sind die mit Perlen und Rosen
geschmückte Frisur und die berühmte fünfreihige
Halskette aus 279 Perlen.
Auch Marcello hatte am kaiserlichen Hof Kontakt zur
Gräfin, was ein von ihr geschaffenes Portrait im Profil
belegt, das 1864 entstand.
Marcello spielte eine Vorreiterrolle in der Ausschöpfung
der Möglichkeiten der Fotografie. Ihre Fotosammlung
umfasst insbesondere eine Reihe von Portraitaufnahmen,
angefertigt von verschiedenen Fotografen in unterschiedlichen Grössen (von der Visitkarte bis zum gerahmten
Papierabzug). Man sieht sie darauf mal als reich geschmückte
Herzogin und mal, eher bohemehaft, in einem bequemen
Tagesmantel.
Marcello nutzte zudem die Fotografie, um Werbung für ihre
künstlerischen Arbeiten zu betreiben: Sie beauftragte
die berühmtesten Fotografen, darunter Nadar, Papierabzüge
ihrer Werke (Skulpturen, aber auch Gemälde und Zeichnungen) aus verschiedenen Blickwinkeln herzustellen, um
sie einer zukünftigen Kundschaft vorteilhaft präsentieren
zu können.
Schliesslich sammelte die Künstlerin auf ihren Reisen
und bei ihren Museumsbesuchen zahlreiche Fotografien,
die zeigen, welche Bilder sie studierte, um sich von ihnen
inspirieren zu lassen.
Hier soll auch eine Fotografie präsentiert werden, die
zum Bestand des Museo Vincenzo Vela gehört. Sie wurde
1856–57 von Pierre-Louis Pierson aufgenommen und
zeigt Virginia Oldoini, Gräfin von Castiglione, in einem
prächtigen Kleid. Die genaue Inszenierung und die
Pose von hinten erinnern an das Portrait der Herzogin
Colonna von Alphonse Maze, das nur einige Jahre später
entstand.
Marcello
Adèle d’Affry (1836–1879)
Herzogin von Castiglione Colonna
23. April–30. August 2015
Texte
Caroline Schuster Cordone
Anita Guglielmetti
Museo Vincenzo Vela
Largo Vela 5
CH-6853 Ligornetto
Tel. +41 58 481 30 40/44
museo.vela@bak.admin.ch
www.museo-vela.ch