Stability Filmed In Front Of A Live Studio Audience

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Stability Filmed In Front Of A Live Studio Audience
Stability Filmed In Front Of A Live Studio Audience
Eine Auseinandersetzung mit Inhalt und Form der Sitcom
von Christian Richter
(fertiggestellt im Juni 2013)
-- AUSZUG --
für eine vollständige Version wenden Sie sich bitte an:
Christian Richter
mail@christv.net | www.christv.net
Jegliche weitere, auch teilweise, Veröffentlichung ist mit dem Autor abzusprechen!
1
I hate Sitcoms. I never liked them. […] Sitcoms are the lowest form of
entertainment. I mean, it’s just stupid jokes and canned laughter!
You don’t know why it’s there, but it’s there.1
1
Jim Carrey als Andy Kaufman im Film «Man On The Moon» (1999) von Milós Foreman
2
1. Cold Open
1.1 Eine erste Annäherung
I recently spent a week working in the lightning department on the sitcom «Mike
and Molly», which shoots on the Warner Brothers lot. «Mike and Molly» is shot
the way traditional three-camera sitcoms have all been shot since time eternal:
live audience, proscenium-style sets, and lightning that supports simultaneous
camera coverage. […] The lightning style of these sitcoms hasn’t really changed
in the past 60 years. «I Love Lucy» is lit basically the same style as «Friends»
or «Mike and Molly».2
Mit diesem Blog-Eintrag deutet Kameramann Thomas Burns zwei Eigenheiten
von Sitcoms an, die eine nähere Auseinandersetzung mit ihnen lohenswert
erscheinen lassen, denn einerseits existieren sie mit ihren Ursprüngen im
Radio3 bereits so lange wie das Medium Fernsehen besteht und andererseits,
haben sie sich in ihrer Geschichte ästhetisch kaum gewandelt. Aktuell
produzierte Sitcoms wie «Two And A Half Men», «The Big Bang Theory», «2
Broke Girls», «Hot In Cleveland» oder «Mike & Molly» unterscheiden sich kaum
von «I Love Lucy» oder «The Honeymooners», den ersten Vertretern dieser Art.
Sie mögen heute zeitgemäßere Themen behandeln, schneller geschnitten sein
und häufigere Szenenwechsel aufweisen, aber im Kern blieben die Optik und
die wichtigsten Merkmale unverändert. Diese Beobachtung teilt auch die
Autorin Daniela Holzer in ihrem Buch „Die deutsche Sitcom“. Dort formuliert sie:
Seit Jahrzehnten funktioniert sie [die Sitcom] nach immer demselben Muster,
präsentiert sich durch kleine oberflächliche Variationen in zeitgemäßem Antlitz
und dient sich so, nicht selten mit großem Erfolg, einem konsumwilligen
Publikum an.4
Diese Aussage lässt sich ebenfalls vom britischen Autor Brett Mills in dessen
Abhandlung „The Sitcom“ finden. Er schreibt:
Sitcom has often been defined as 'remarkably stable' (Hartley 2001: 65), and
the genre has been seen as less experimental - particularly in terms of its
aesthetics - than other programming. And it's certainly the case that the
traditional sitcom exists and continues to flourish.5
2
Burns 2011
die ersten Fernsehsitcoms waren Adaptionen oder Fortsetzungen von beliebten
Radioformaten; z.T. traten darin die selben Darsteller und Figuren auf.
4
Holzer 1999, 34
5
Mills 2009, 127 – er verweist darin auf: Hartley, John (2001): “'Situation Comedy, Part 1', In:
Glen Creeber (Hrsg.): The Television Genre Book.” London: British Film Institute, S. 64 - 67.
3
3
1.2 Ein Genre dominiert das Programm
Sowohl Daniela Holzer als auch Brett Mills deuten in den zitierten Passagen
nicht nur eine hohe Stabilität der Sitcom an, sondern auch ihre anhaltende
Popularität beim Publikum. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Genre nicht
nur um eines der ältesten des Fernsehens, sondern zugleich auch um eines der
beliebtesten. So war bereits in den Jahren 1952 bis 1956 die Serie «I Love
Lucy» das meistgesehene Programm im amerikanischen Fernsehen und zog
zahlreiche Nachfolger wie «The Jackie Gleason Show» (insbesondere deren
Rubrik «The Honeymooners»), «The Andy Griffith Show»6, «The Beverly
Hillibillies»7, «The Dick van Dyke Show», «My Favorite Martian», «Bewitched»,
«Gilligan’s Island», «Family Affair», «All In The Family»8 und «Happy Days»9
nach sich, die ebenfalls zu den beliebtesten Sendungen ihrer Zeit gehörten. Im
Jahr 1979 befanden sich in den USA neun Sitcom-Produktionen unter den zehn
meistgesehenen Serien des Jahres10 und ab 1985 wurde mit «The Cosby
Show» ein weiterer Vertreter des Genres zum meistgesehenste Programm des
Jahres11. In den 1990er Jahren nahm diesen Platz zunächst die Serie
«Cheers»12 ein, bevor sie von den Sendungen «Seinfeld»13 und «Friends»14
beerbt wurde. Zu den zehn meistgesehenen Final-Episoden von Serien oder
Shows im amerikanischen Network-Fernsehen gehören mit «Family Ties» (dt.
Titel: «Familienbande»), «All In The Family», «The Cosby Show», «Friends»,
«Seinfeld», «Cheers» und «M*A*S*H» sieben zum Genre der Sitcoms15. Doch
nicht nur in der Vergangenheit erzielte das Genre große Quotenerfolge, denn
auch die zeitgenössischen Vertreter «The Big Bang Theory», «Two And A Half
6
meistgesehene Sendung in der Season 1967/1968
meistgesehene Sendung in den Seasons 1962/1963 und 1963/1964
8
meistgesehene Sendung in den Seasons von 1971/1972 bis 1975/1976
9
meistgesehene Sendung in der Season 1976/1977
10
Winzenburg 2004, 11
11
Birungi 2007,122
12
meistgesehene Sendung in der Season 1990/1991
13
meistgesehene Sendung in den Seasons 1994/1995 und 1997/1998
14
meistgesehene Sendung in der Season 2001/2002
15
Sastry 2012 – zählt man die Miniserie «Roots» als Mehrteiler und nicht als echte Serie, rückt
mit «Home Improvement» (dt. Titel: «Hör’ mal, wer da hämmert») eine weitere Sitcom nach.
7
4
Men», «2 Broke Girls» und «Mike & Molly» gehören derzeit zu den
meistgesehenen Sendungen in den USA16.
Die
Beliebtheit
der Formate
spiegelt
sich
nicht
nur in
den hohen
Zuschauerzahlen bei ihren Erstausstrahlungen wider, sondern auch in ihrer
Fähigkeit nahezu unbegrenzt wiederholt werden zu können, ohne dass sich
größere Abnutzungserscheinungen abbilden. In Großbritannien erreichen
beispielsweise Wiederholungen der Sitcom «Two Pints Of Lager» regelmäßig
höhere Zuschauerzahlen als parallel gesendete Erstaufführungen17 anderer
Sendungen. Die deutschen Kanäle ProSieben und kabel eins strahlten im Jahr
2012 von der Sitcom «Two And A Half Men» insgesamt 1.513 Episoden aus,
unter denen nur 27 Erstausstrahlungen waren. Ähnlich verhielt es sich bei «The
Big Bang Theory», wo das Verhältnis 1.360 gezeigte Episoden zu lediglich
zwölf Premieren betrug18. Im Schnitt war jede Ausgabe damit etwa zehn Mal
pro Jahr zu sehen und dennoch erzielten die Serien sowohl im Abend- als auch
im Nachmittagsprogramm gute Marktanteile.
«The Big Bang Theory» dominierte im Jahr 2012 nicht nur die Prime-Time des
US-Fernsehens, sondern auch das dortige Tagesprogramm19, wodurch es sich
für TV-Kanäle lohnt für Zweitausstrahlungsrechte hohe Summen zu zahlen. So
soll der US-Kabelsender TBS für diese Rechte von «The Big Bang Theory» pro
16
In der ersten KW des Jahres 2013 erreichte «The Big Bang Theory» eine durchschnittliche
Sehbeteiligung von 19,25 Millionen Zuschauern und war damit nach einer Football-Übertragung
die zweitmeistgesehene Sendung und das beliebteste fiktive Format der Woche. «Two And A
Half Men» lag mit 15,4 Millionen Zuschauern auf Platz vier in der Wochenauswertung und war
damit das drittmeistgesehene fiktive Format. In dieser Woche waren keine Ausgaben von «2
Broke Girls» und «Mike & Molly» zu sehen. Bei deren Rückkehr in der 3. KW erreichten sie eine
Sehbeteiligung von 12,4 Millionen bzw. 11,5 Millionen Zuschauern und belegten die Plätze 9
und 13 im Wochenranking. Damit war «2 Broke Girls» das fünftbeliebteste fiktive Format,
während «Mike & Molly» in dieser Kategorie den achten Platz belegte. Obwohl in jener Woche
von «The Big Bang Theory» und «Two And A Half Men» nur Wiederholungen zu sehen waren,
erzielten diese Reichweiten von fast 12 Millionen Zuschauern («Big Bang Theory») bzw. neun
Millionen Zuschauern («Two And A Half Men»), wobei sie im Wochenranking trotz
Wiederholung auf den Plätze zehn und 23 lagen. (Bible 2013a und Bible 2013b)
17
Mills 2009, 134
18
Mantel 2012
19
In den Syndicated Ratings war «The Big Bang Theory» in der letzten Woche des Jahres 2012
und den ersten beiden Wochen des Jahres 2013 das Format mit den höchsten
durchschnittlichen Zuschauerzahlen. «Two And A Half Men» bewegte sich in dieser Auflistung
zwischen dem fünften und achten Platz und war stets das zweitbeliebteste fiktive Format. (Bible
2013c, Bible 2013d und Bible 2013e)
5
Episode geschätzt zwei Millionen US-Dollar ausgegeben haben20. Durch den
Verkauf der Wiederaufführungs-Rechte der «Cosby Show» erzielten die an der
Produktion beteiligten Firmen mit einem Preis von einer Million Dollar pro Folge
in den 1990er Jahren einen bis dato nicht erreichten Höchstwert21, der im Jahr
1996 durch den Verkauf der «Friends»-Wiederholungen für vier Millionen USDollar pro Episode noch einmal deutlich gesteigert wurde22.
Dieser enorme Zuspruch für die Produktionen bei ihren Erstausstrahlungen als
auch ihre scheinbare unbegrenzte Wiederholbarkeit machen sie für die
beteiligten Firmen trotz ihrer kurzen Laufzeit und damit geringen Anzahl an
Werbeunterbrechungen äußerst lukrativ. Allein mit der Serie «Seinfeld» soll der
Sender NBC im Jahr 1997 einen Rein-Gewinn von 200 Millionen Dollar
erwirtschaftet haben23. Daher ist es auch erklärbar, wieso es regelmäßig
Sitcom-Darsteller sind, welche die Liste der bestbezahlten Schaupspieler_innen
anführen.
Sowohl Bill Cosby («The
Cosby Show»)24,
Jerry Seinfeld
(«Seinfeld»)25, Tim Allen («Home Improvement»; dt. Titel «Hör’ mal, wer da
hämmert»)26, Kelsey Grammar («Frasier»)27, Charlie Sheen («Two And A Half
Men»)28, Ashton Kutcher («Two And A Half Men»)29 als auch die
Hauptdarsteller von «Friends»30 führten mit Gagen von bis zu anderthalb
Millionen US-Dollar pro Episode zumindest zeitweise diese Liste an.
20
Szalai 2011
Holzer 1999, 73
22
Sandell 1998, 142
23
CNN.com 1997
24
Reufsteck; Niggemeier 2005, 154
25
CNN.com 1997
26
Honitz 1997
27
Reufsteck; Niggemeier 2005, 410f
28
Martinez 2008
29
Pomerantz 2012
30
Zucker 2002, 1
21
6
2. Methodische Anmerkungen
2.1 Zentrale Fragestellung
Angesichts ihrer beschriebenen ästhetischen Unveränderbarkeit und ihrer
hohen Rentabilität stellt sich die Frage, worin die anhaltende Anziehungskraft
von Sitcoms begründet sein könnte. Kann man eine Erklärung dafür finden,
wieso diese Form der Fernsehserie in den vergangenen Dekaden trotz
zahlreicher aufkommender Trends nahezu unverändert bestehen konnte?
Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang ihre markante Form? Kann
die Sitcom etwas leisten, das anderen Formaten nicht (in gleichem Ausmaß)
gelingt?
Kurz, sind Sitcoms trotz oder gerade wegen ihrer Form erfolgreich?
Die nachfolgende Argumentation wird über die bloße Auseinandersetzung mit
dieser Fragestellung hinausgehen und sich nicht scheuen, einige Aspekte der
möglichen sozialen Funktion von Sitcoms zu erläutern. Daher soll zusätzlich
beleuchtet werden, welchen Beitrag sie aufgrund ihrer spezifischen Form zu
gesellschaftlichen Veränderungsprozessen leisten können.
2.2 Methodische Einschränkungen
Im Folgenden wird für diese Fragen der Versuch einer Erklärung entwickelt und
vorgeschlagen. Ob die entsprechenden Schlussfolgerungen tatsächlich die
Phänomene erschöpfend erläutern können, ist unwahrscheinlich. Sicherlich
lassen sich weitere Mechanismen identifizieren, die parallel oder gegensätzlich
verlaufen oder durch den hier dargestellten Ansatz ergänzt werden. Wichtig
erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass sich die Arbeit nicht mit
Lachtheorien oder Erklärungen des Komischen auseinandersetzen wird.
Zweifelsfrei haben diese Aspekte bei einem komödiantischen Format, wie es
die Sitcom eines ist, eine zentrale Bedeutung, doch wirken diese auch bei
Filmkomödien
und
anderen
Comedyformaten.
Weil
aber
gerade
die
7
Besonderheiten
der
Sitcom
untersucht
werden
sollen,
wird
diesem
Gesichtspunkt keine allzu große Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Genauso wenig werden Erklärungsmuster und Interpretationsmöglichkeiten
einzelner Serien oder Folgen Gegenstand der Arbeit sein. Vielmehr versucht sie
einen gemeinsamen Bogen über die verschiedenen Vertreter zu schlagen und
allgemeine Trends aufzuzeigen. Das Formulieren von allgemeingültigen
Aussagen, die restlos auf jede Serie zutreffen oder sich nicht durch ein
Gegenbeispiel widerlegen lassen, wird sich als umso schwieriger gestalten, als
dass
die
Sitcom
in
ihrer
bisherigen
Geschichte
unzählige
Vertreter
hervorgebracht hat, die jeweils ästhetische und inhaltliche Besonderheiten
aufwiesen. Da zudem viele Serien ihre typischen Erzählweisen und Ästhetiken
in
vereinzelten
Episoden
absichtlich
durchbrochen
haben,
folgt
die
anschließende Auseinandersetzung den Empfehlungen von Stanley Cavell, der
feststellt:
Nicht das einzelne Werk ist unvergesslich, kostbar oder wert, untersucht zu
werden, sondern die Sendung, das Format; nicht dieser oder jener Tag von I
Love Lucy, sondern die Sendung als solche. [...] Wenn man behauptet, dass
der eigentliche Bezugspunkt eines ästhetischen Interesses am Fernsehen nicht
das individuelle Werk, sondern das Format ist, bedeutet dies, dass das Format
seine elementare individuelle Instanz von ästhetischem Interesse ist.31
Diese Beschränkung auf Formate und grundsätzliche Entwicklungsverläufe der
Sitcom geschieht im vollen Bewusstsein, dass davon nicht ausnahmslos jeder
Einzelfall, jede Produktion oder jede Szene erfasst werden kann. Nur unter
Inkaufnahme solcher Verluste lassen sich jedoch Aussagen über die Sitcom als
solche überhaupt ermöglichen.
Dabei beziehen sich die Untersuchungen ausschließlich auf Produktionen aus
den USA, weil diese nicht nur die bekanntesten und weltweit verbreitetsten
Beispiele sind, sondern die Fernsehsitcom auch dort ihre unmittelbaren
Ursprünge erlebt hat.
31
Cavell 2001, 129 und 131
8
3. Das Genre Sitcom
Offenbar besteht Einigkeit darüber, dass das Genre eine gewisse Beständigkeit
in der bisherigen Fernsehgeschichte bewiesen hat. Bevor dieser erste Eindruck
mit konkreteren Belegen unterfüttert werden kann, stellt sich zunächst die Frage
was genau sich hinter dem Begriff Sitcom verbirgt.
3.1 Ein offensichtliches Genre
Auch
wenn
man
sich
bisher
noch
nicht
mit
der
Materie
intensiv
auseinandergesetzt hat, dürfte es nicht schwierig sein, eine Sitcom bereits
wenige Sekunden nach dem Einschalten identifizieren zu können, denn sie
verfügt über eine spezifische Art der Inszenierung und markante Merkmale, die
Brett Mills zufolge dazu führen, dass sich die Produktionen von allen anderen
fiktiven Formaten des Fernsehens unterscheiden. Einige ihrer spezifischen
Kennzeichen sind derart untypisch für das restliche Programm, dass sie fast
ausschließlich nur mit diesem Genre verbunden werden32. Im Vergleich zum
restlichen Fernsehprogramm wirkt die Sitcom daher oft wie ein Fremdkörper.
Demzufolge bezeichnen laut Brett Mills die Autoren Susan Murray und Laurie
Ouelette sowie Su Holmes sie als „one of the most obvious and consistent
televisions forms“33, während Barry Curtis sie als „a self-evident category which
has a discernible formula“ beschreibt34. Joshua S. Wachman und Rosalind W.
Picard schätzen die Formel, auf der Sitcoms basieren, als derart eindeutig ein,
dass sie sogar von Computern erkannt werden würde35.
32
Mills 2009, 14f
Ebd., 43 – dort verweist er auf: Murray, Susan and Ouellette, Laurie (Hrsg.) (2004): Reality
TV: Remaking Television Culture, New York and London: New York University Press; und auf
Holmes, Su (2008): A term rather too general to be helpful: struggling with genre in reality TV,
In: Lincoln Geraghty and Mark Jancovich (Hrsg.): The Shifting Definitions of Genre: Essays on
Labeling Films, Television Shows and Media, Jefferson, NC: McFarland, S. 159-180.
34
Ebd. – dort verweist er auf: Curtis, Barry (1982): Aspects of sitcom. In: Jim Cook (ed.), BFI
Dossier 17: Television Sitcom, London: British Film Institute, pp. 4-12.
35
Wachman, Joshua S.; Picard, Rosalind W. (2001): Tools for browsing a TV situation comedy
based on content specific attributes, Multimedia Tools and Applications, 13: 3, S. 257 – zitiert
nach Mills 2009, 43
33
9
Vor dem Hintergrund dieser Aussagen lassen sich auch die Worte, die der
Richter Potter Stewart im Jahr 1964 bei dem Versuch, eine Definition für
filmische Obszönitäten vorzunehmen, sprach, auf Sitcoms übertragen:
I shall not today attempt further to define the kinds of material I understand to
be embraced within that shorthand description; and perhaps I could never
succeed in intelligibly doing so. But I know it when I see it.36
Mit Sitcoms, und dies scheint bereits eine wesentliche Erkenntnis zu sein,
verhält es sich offenbar wie mit Pornographie. Man erkennt sie, wenn man sie
sieht.
3.2 Anmerkungen zum Begriff Genre
So offensichtlich erkennbar Sitcoms zunächst sein mögen, wird diese naive
Herangehensweise für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der
Thematik kaum einen nennenswerten Ansatz liefern, weswegen diese Form der
Fernsehunterhaltung dennoch eine gründlichere Beschreibung erfahren soll.
Dazu wird die Sitcom in der nachfolgenden Ausführung als Genre verstanden
und auch als solches betrachtet.
Der Begriff des Genres hat in der Vergangenheit unterschiedliche Versuche
einer Bestimmung und Zuschreibung erfahren. Auch wenn eine vollständige
Auseinandersetzung mit dieser Problematik an dieser Stelle ausbleiben muss,
soll festgehalten werden, dass der Begriff im Rahmen der vorliegenden Arbeit in
gleicher Weise verstanden wird, wie ihn der britische Autor Brett Mills in seiner
Sitcom-Abhandlung verwendet. Dort schlägt er mit Verweis auf Steve Neale
vor, ein Genre als eine Zuordnung zu verstehen, die auf Wiederholungen und
Differenzen basiert:
[…] all media texts must be similar enough to existing ones to be understood,
while different enough from existing ones in order to be interesting.37
36
37
in der Urteilsbegründung des Falls „Jacobellis gegen den Staat Ohio (378 U.S. 184)
Mills 2009, 25, er verweist auf Neale, Steve (1980): Genre, London: British Film Institute, S. 48.
10
Eine ähnliche Erklärung, die sich ebenfalls sowohl auf Gemeinsamkeiten als
auch auf Abgrenzungen stützt, bietet Stanely Cavell an. Er schreibt:
Intern wird ein Genre von seinen Angehörigen gebildet, über die gesagt werden
kann, dass sie etwas teilen, was man als ihre gemeinsamen Merkmale
bezeichnen kann. In der Praxis bedeutet dies, dass ein Genre, wenn ein
Angehöriger vom Rest abweicht, diese Abweichung ‚kompensieren’ muss. Das
Genre ist einer ständigen Definition und Redefinition ausgesetzt, wenn neue
Angehörige neue Elemente der Kompensation ins Spiel bringen. Extern
unterscheidet sich ein Genre von anderen und insbesondere von denen, die ich
als angrenzende Genres bezeichne, wenn ein konstitutives, gemeinsames
Merkmal eines Genres ein von allen Angehörigen eines anderen Genres
geteiltes Merkmal ‚negiert’.38
Anders ausgedrückt, ein Genre wird sowohl durch eine Gruppe von
Eigenschaften definiert, die eine bestimmte Anzahl an Vertretern gemein
haben, als auch durch Eigenschaften, welche diese Vertreter wiederum von
anderen Elementen unterscheiden.
3.3 Das Genre und seine Form
3.3.1 Definitionsversuche und Erkennungsmerkmale
Auch wenn mit diesen Ausführungen eine Vorstellung geformt werden konnte,
was unter einem Genre zu verstehen ist, ist damit noch keine exaktere
Charakterisierung
Ausarbeitung
der
zugrunde
Sitcom
vorgenommen
liegenden
Literatur
worden.
lassen
In
sich
der
dieser
diesbezüglich
verschiedene Erklärungsansätze finden. So schlägt der Autor Jürgen Wolff, der
an den Drehbüchern zahlreicher Sitcom-Episoden beteiligt war, folgende
Beschreibung vor:
Der Begriff Sitcom steht für »Situation Comedy«, also Situationskomödie, und
bezeichnet damit eine halbstündige Fernsehsendung, deren Protagonisten sich
in vergleichsweise witzigen Situationen wiederfinden.39
38
39
Cavell 2001, 136
Wolff 1997, 15
11
Wolffs Definition schließt unmittelbar an die der traditionsreichen Guinness
Television Encyclopedia an, denn in dieser heißt es:
Situation comedy, a humorous, episodic series of programmes in which a welldefined cast of characters, confined in one location or set of circumstances,
respond predictably to new events.40
Beide zitierten Erläuterungen kommen darin überein, dass die Sitcom stets
einen humoristischen Schwerpunkt hat, wie es der Begriff bereits vermuten
lässt. Immerhin handelt es sich bei einer Sitcom um eine „situation comedy“,
wodurch das Vorhandensein von Komik als ein inhärentes Element des Genres
angesehen werden muss. Auch wenn über Art und Weise der Umsetzung
zuweilen Uneinigkeit bestehen kann und nicht jeder Zuschauer jede Serie als
witzig einstufen muss, scheint zumindest die Absicht einer Komik einen
notwendigen Faktor darzustellen. Brett Mills schlussfolgert daher:
A sitcom with no jokes is not a sitcom and instead becomes something else.41
Eine weitreichendere Erläuterung des Begriffs leistet Lawrence Mintz in seinem
Beitrag zum Buch „TV Genres: A Handbook and Reference Guide“. Anstatt
eines einzelnen prägnanten Satzes, präsentiert er darin einen Katalog an
Erkennungsmerkmalen, der für die nachfolgenden Ausführungen als Grundlage
angenommen werden soll:
A sitcom is a half-hour series focused on episodes involving recurring
characters within the same premise. That is, each week we encounter the same
people in essentially the same setting. The episodes are finite; what happens in
a given episode is generally closed off, explained, reconciled, solved at the end
of the half hour (the exceptions might be significant individually, but they have
not altered the formula in any substantial or permanent way). Sitcoms are
generally performed before live audiences, whether broadcast live (in the old
days) or filmed or taped and they usually have an element that might almost be
metadrama in the sense that since the laughter is recorded (sometimes even
augmented), the audience is aware of watching a play, a performance, a
comedy incorporating comic activity.42
40
Evans, Jeff (1995): The Guiness Television Encyclopedia, Enfield: Guinness, 1995, S. 479 –
zitiert nach Holzer 1999, 36
41
Mills 2009, 5
42
Mintz 1985, 108 – die Unterstreichungen stammen nicht aus dem Originaltext, sondern
wurden für die vorliegende Arbeit vorgenommen
12
In seiner Beschreibung des Genres nennt Mintz eine wiederkehrende, feste
Anzahl an Figuren als ein wichtiges Merkmal von Sitcoms. Darin stimmt er
sowohl mit der Definition der Guinness Television Encyclopedia als auch mit
der des American Heritage Dictionary43 überein. Auch wenn sich dieses
Kennzeichen an nahezu allen Vertretern nachweisen lässt und damit
zweifelsfrei eine wesentliche Bedeutung für das Genre hat, stellt das
Vorhandensein eines festen Figurenensembles keine spezifische Eigenschaft
von Sitcoms dar. Vielmehr handelt es sich dabei um ein Wesensmerkmal, das
alle Fernsehserien eint – unabhängig davon, aus welchem Genre sie stammen.
Dementsprechend hat Umberto Eco die feststehende Anzahl an Hauptpersonen
als eine Eigenschaft herausgearbeitet, die sowohl in der Literatur der
Kriminalromane als auch in der Endlosserie zu finden ist, wobei er darunter
ausdrücklich die verschiedenen Genres „von der Seifenoper über die
Situationskomödie bis zum Detektivfilm“ zusammenfasst.44 Weil ein fester Cast
eben keine Eigenschaft ist, die nur Sitcoms beschreibt, soll dieser Aspekt
nachfolgend nur einen untergeordneten Stellenwert einnehmen, wenngleich die
Beschaffenheit und Art der Figuren im weiteren Verlauf der Arbeit noch eine
nähere Betrachtung finden wird.
Ebenso verhält es sich mit der Beobachtung, dass Sitcoms auf einer
episodenhaften Struktur basieren, denn auch dies gilt nicht nur für dieses
Genre, sondern für alle Serien und kann daher nachfolgend ebenfalls
unbeachtet bleiben.
3.3.2 Erkennungsmerkmal: Episodenhafte Struktur
Entscheidender ist daher das von Lawrence Mintz genannte Merkmal, dass die
einzelnen Episoden meist eine standardmäßige Länge von einer halben Stunde
aufweisen. Dies deckt sich mit den Aussagen sowohl von Daniela Holzer45,
43
dort heißt es: “[…] a humorous television series having a regular cast of characters.” – zitiert
nach Savorelli 2010, 21
44
Eco 2001, 159
45
Holzer 1999, 14 – die Aussage stützt sich auf eine Definition der New York Times
Encyclopedia of Television von Les Brown (New York: Times Books, 1977, S. 398)
13
Jürgen Wolff46 und Brett Mills47 als auch mit der vom amerikanischen Autor
Antonio Savorelli48. Die einzelnen Folgen erzählen zudem in der Regel
abgeschlossene Handlungen und zeigen sowohl Beginn als auch Auflösung
des jeweiligen Konflikts innerhalb einer Ausgabe49. Ausnahmen bilden zuweilen
Doppelepisoden oder einzelne Handlungsstränge, die zwar über mehrere
Folgen gespannt, aber dennoch meist mit kleineren abgeschlossenen
Geschichten kombiniert werden.
3.3.3 Erkennungsmerkmal: Theaterhafte Inszenierung
Mintz’ Definition zählt ebenfalls auf, dass es sich sowohl bei früheren als auch
bei zeitgenössischen Sitcoms oft um Studioproduktionen handelt, bei denen
das Geschehen vor einem Live-Publikum auf einer Bühne abläuft und
aufgezeichnet wird. Der Umstand, dass Zuschauer das Geschehen auf der
Bühne verfolgen können müssen, verlangt einerseits eine annähernd
chronologische
Aufzeichnung
der
Handlung
sowie
andererseits
eine
nachvollziehbare Struktur der Episoden ohne umfangreiche Rückblenden,
Einschübe oder sprunghafte Orts- und Zeitwechsel innerhalb einer Szene. Die
Kulissen besitzen zudem meist mehrere Ausgänge, Treppen oder Türen, die je
nach Notwendigkeit einen Auf- und Abgang der Protagonisten innerhalb einer
Szene zulassen. Bei manchen Produktionen erhalten die Darsteller dabei einen
Auftritts- oder Szenenapplaus50. Um dem vorhandenen Publikum die Sicht auf
die Spielhandlung ermöglichen zu können, ist die benutzte Bühne vorwiegend
nur von drei Seiten mit Kulissen umgeben und zu der Seite geöffnet, wo sich
sowohl das Publikum als auch die Kameras während der Aufzeichnung
befinden. Dieses Arrangement führt gemäß Brett Mills zu einer Situation, wie
man sie sonst aus dem Theater kennt:
46
Wolff 1997, 15
Mills 2009, 33 – die Aussage stützt sich auf eine Definition der Britischen Rundfunkaufsicht
Ofcom
48
Savorelli 2010, 35
49
vgl. dazu auch: Holzer 1999, 17
50
z.B. in «Married… With Children», (dt. Titel: «Eine schrecklich nette Familie») beim jeweils
ersten Auftritt von Ed O’Neil und Christina Applegate oder in «Unhappily Ever After» (dt. Titel:
«Auf schlimmer und ewig») beim jeweils ersten Auftritt von Nikki Cox
47
14
Many sitcoms are filmed in a manner which mirrors the theatrical experience, in
front of a studio audience. This results in a shooting style which differs from that
of much television fiction as all the cameras have to be placed on one of side of
the action. Because of the studio audience, actors in sitcom are required to offer
a performance which is appropriate for theatre, ensuring that their lines and
gestures can be seen by everyone present. 51
Aus der spezifischen räumlichen Anordnung resultiert nicht nur eine
eingeschränkte Beweglichkeit der Kameras52 und damit ein vergleichsweise
statisches Bild, das in der Regel den Blick der Zuschauer vor Ort widerspiegelt,
sondern auch eine Notwendigkeit für die Schauspieler ihre Aktionen zum
Publikum geöffnet auszuführen, wodurch der Eindruck einer theaterhaften
Inszenierung noch verstärkt wird. Daher schreibt der Autor Herbert Schwaab
den Sitcoms sogar eine „überdeutliche Theatralität“53 zu.
3.3.4 Erkennungsmerkmal: Verwendung mehrerer Kameras
Obwohl das Genre seine unmittelbaren Ursprünge im Radio hat, ist ihm ebenso
anzusehen, dass seine Wurzeln bis zum Aufkommen des Theaters
zurückreichen54. Letztlich repräsentiert es für Antonio Savorelli daher...
[…] an established reference model, backed by a history of several decades
rooted in a pre-televisual world, in radio and theater.55
Deswegen war es weniger die Nutzung einer Studiobühne oder die
Anwesendheit eines Publikums, was die innovative Produktionsweise der
ersten Fernsehsitcom bestimmte, als vielmehr die gleichzeitige Verwendung
mehrerer Kameras. Entwickelt wurde dieses Verfahren im Jahr 1951 vom Team
der Serie «I Love Lucy», die daher als Prototyp des Genres56 gilt:
51
Mills 2009, 14f
Savorelli 2010, 25
53
Schwaab 2008, 8
54
Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Sitcom würde an dieser Stelle den Rahmen
sprengen und muss daher entfallen. Ohnehin ist dies bereits zuvor von vielen Autoren,
insbesondere von Brett Mills und Daniela Holzer, vorgenommen worden, auf die in diesem
Zusammenhang verwiesen wird.
55
Savorelli 2010, 32
56
vgl.: Wolff 1997, 16
52
15
The classic' form of sitcom shooting is generally seen as the 'three-headed
monster' (Putterman 1995) developed by the cinematographer Karl Freund for I
Love Lucy (CBS, 1951-7). Freund used three cameras to capture a scene
involving two characters: the first covered a wide, establishing shot while the
other two were each mid-shots of each performer. These shots allowed for fast
editing between the two performers in any conversation scene, and also meant
that the text offered as much weight to reaction shots as it did to those of
speech.57
Mit der Möglichkeit, zwei Darsteller gleichzeitig aufnehmen und deren
gegenseitige Reaktionen im Schnitt miteinander kombinieren zu können, brach
man nicht nur die Starrheit des Theaters etwas auf, sondern fand darin auch
eine effektive Möglichkeit die gespielte Komik besser einfangen zu können.
Dabei hat sich diese Anordnung offenbar als derart leistungsfähig erwiesen,
dass sie trotz weiterentwickelter Aufnahmetechniken noch immer eines der
wesentlichsten Erkennungs- und Unterscheidungsmerkmale des Genres ist, wie
auch Brett Mills bemerkt:
In remaining 'a peculiar, theatrical hybrid' (William 2005), much sitcom not only
acknowledges its heritage, it also distinguishes itself from the majority of
television programming.58
3.3.5 Erkennungsmerkmal: Laugh Track
Obwohl die tatsächlich vorhandenen Zuschauer in den fertigen Episoden in der
Regel nicht zu sehen sind, ist ihr Lachen, ihr Applaudieren, ihr Kreischen und
ihr Pfeifen auf der akustischen Ebene dennoch wahrzunehmen. Die Tonspur,
auf dem die Reaktionen der Zuschauer zu hören sind, ist von Beginn an dem
Genre zugehörig und gemäß Brett Mills derart stark mit der Sitcom verwachsen,
57
Mills 2009, 39, er verweist darin auf Putterman, Barry (1995): „On Television and Comedy:
Essays on Style, Theme, Performer and Writer.“ Jefferson, NC: McFarland; das Prinzip
beschreibt auch Daniela Holzer: „Dies galt ebenso für die ersten Sitcoms, bis dieses Verfahren
1951 erstmals mit I Love Lucy maßgeblich variiert und damit langfristig revolutioniert wurde.
Zwar fand dort die Darbietung ebenfalls auf einer Studiobühne und vor einem Live-Publikum
statt; auf Anregung des Kameramannes wurde jedoch nicht direkt übertragen, sondern mit vier
35-mm-Filmkameras aus unterschiedlichen Blickwinkeln gedreht und dann im Schneideraum
ein sendefähiger Film zusammengeschnitten. Alsdann ließ man die Endfassung der Episoden
dem auftraggebenden Sender zukommen.“ (Holzer 1999, 14f)
58
Mills 2009, 14 – dabei bezieht er sich auf ein von ihm durchgeführtes Interview mit dem
Controller of Comedy at ITV, William, Sioned im Jahr.
16
dass ein Vorhandensein eines solchen Laugh Tracks eines ihrer zentralsten
Merkmale geworden ist:
[…] the laugh track is quite at odds with the realist tendency of the majority of
broadcast fiction; that it is such a central and consistent characteristic of the
sitcom is testament to the nation that genre expectations become normalised
and help create future expectations for genre series.59
Dabei dient der Laugh Track nicht nur als ästhetisches Stilmittel, sondern laut
Mills auch als Beweis dafür, dass echte Menschen die gezeigten Szenen witzig
fanden60. Er unterstreicht damit nicht nur den humoristischen Schwerpunkt, den
jede Sitcom in sich tragen muss, sondern auch jenen Aspekt eines
Metadramas, den Lawrence Mintz in seiner Definition hervorhebt.
Wie auch die zuvor genannten Merkmale wird der Laugh Track im Verlauf der
nachfolgenden Ausführungen noch näher betrachtet werden. An diesem Punkt
der Argumentation soll es jedoch zunächst ausreichen, festzuhalten, dass er mit
allen anderen aufgeführten Eigenschaften, das Genre der Sitcoms beschreibt.
3.4 Zwischenbilanz
Bis hierher lässt sich festhalten, dass das Genre der Sitcoms mithilfe folgender
gemeinsamer Merkmale beschreibbar ist:
-
Ca. halbstündige Dauer
-
(meist) in sich abgeschlossene Episoden
-
inhaltlich komischer Schwerpunkt
-
theaterhafte Inszenierung (3-Wand-Kulissen, bühnenhaftes Schauspiel,
Pausen in der Handlung für Publikumsreaktionen etc.)
-
gleichzeitige Verwendung mehrerer Kameras bei der Aufzeichnung
(mind. drei Stück)
59
60
-
Vorhandensein eines Live-Publikums bei der Produktion
-
Hörbarer Laugh Track in der Endfassung
Mills 2009, 102
Ebd.
17
Diese Erkennungsmerkmale dienen hervorragend zur Erfüllung der inneren
Definition des Genres, denn sie stellen jene Gemeinsamkeiten dar, die jeder
Vertreter erfüllen muss, um dem Genre zugeordnet werden zu können.
Allerdings ist darunter keines, welches das Genre eindeutig bestimmt und zu
anderen Genres abgrenzt, denn auch Gameshows sind beispielsweise
Studioproduktionen, die vor einem Live-Publikum aufgezeichnet werden
können, genauso wie auch viele Krimiserien über in sich abgeschlossene
Episoden verfügen und eine Vielzahl von anderen Programmtypen existieren,
die ebenfalls einen komischen Schwerpunkt aufweisen. Es ist daher die Summe
aller Kriterien, die das Genre auch nach außen abgrenzt, denn wird eines
dieser Elemente nicht erfüllt, bliebe es nur schwer vorstellbar, dass das
Ergebnis weiterhin als Sitcom erkannt würde.
3.5 Two And A Half Forms of Sitcom
Nachdem nun eine umfangreiche Aufzählung von Bedingungen erarbeitet
wurde, die allesamt von einer Produktion erfüllt werden müssen, um als Sitcom
anerkannt zu werden, stellen sich aktuelle Formate wie «The Middle», «The
Officer», «Scrubs» oder «Arrested Developement» als problematisch heraus,
denn obwohl sie gewöhnlich ebenfalls mit dem Begriff Sitcom bezeichnet
werden, unterscheiden sich diese in ihrer Erzählweise und Erscheinungsform
stark von Serien wie «Friends», «Seinfeld» oder «Roseanne». Dass zwischen
den traditionellen (oder klassischen) und den anderen Sitcoms eine
Abweichung besteht, wird darin am deutlichsten, dass bei letzteren kein Laugh
Track zu hören ist, wodurch sie aus Mintz’ Katalog herausfallen. Wendet man
jedoch die eingangs erwähnten Definitionen von Jürgen Wolff sowie der
Guinness Television Encyclopedia an, können auch solche anderen Formate
wie «Modern Family», «My Name Is Earl» oder «30 Rock» unter dem Begriff
der Sitcom subsumiert werden.
Offenbar haben sich im Laufe der Jahre trotz seiner anhaltenden Stabilität
Unterarten des Genres gebildet, die derart grundlegend von einander
18
abweichen, dass eine Unterscheidungsmöglichkeit nötig scheint. In der Regel
wird diese anhand der Anzahl der verwendeten Kameras vorgenommen. Bei
den klassischen Serien, werden gewöhnlich bei der Produktion vor einem LivePublikum drei bis vier Kameras gleichzeitig benutzt, weswegen diese Art meist
als Multi-Camera-Sitcom bezeichnet wird. Ihre anderen Gegenstücke heißen
aufgrund der Verwendung von nur einer Kamera dementsprechend SingleCamera-Sitcoms. Je nach Sichtweise werden zur Unterscheidung dieser beiden
Kategorien zuweilen auch der Einsatz von realen Drehorten, also eben nicht der
Einsatz von Studiokulissen, oder das Vorhandensein von tragischen Momenten
neben einer grundsätzlich komischen Ausrichtung herangezogen. Auf derartige
Feinheiten kann an dieser Stelle jedoch verzichtet werden, da die Einteilung
nach
Single-
Ausführungen
und
Multi-Camera-Produktionen
ausreichen
dürfte.
Damit
ist
für
die
umgekehrt
nachfolgenden
aber
nicht
ausgeschlossen, dass einige der herzuleitenden Erkenntnisse nicht auf beide
Formen der Sitcom anwendbar sind.
Auch wenn diese Unterscheidungsmöglichkeit zunächst einfach wirken mag,
drängen sich schnell Hybridformen auf, die sich zwar anhand der Anzahl der
verwendeten Kameras eindeutig einer der beiden Gruppen zuordnen lassen,
dort dennoch nicht ganz hinein passen zu scheinen. Die Serien «How I Met
Your Mother» und «Anger Management» werden beispielsweise zwar mit
mehreren Kameras produziert und entstehen nahezu vollständig in Studios,
doch ist bei den Aufzeichnungen kein Publikum anwesend. Der dennoch zu
hörende Laugh Track wird durch ein Screening der fertiggestellten Episoden vor
wirklichen Zuschauern separat aufgenommen und nachträglich zugefügt61. Auf
der anderen Seite wurden frühere Sitcoms wie «The Andy Griffith Show», «The
Munsters» oder «The Beverly Hillbillies» zwar grundsätzlich mit einer Kamera
gedreht, doch größtenteils in Studiosets hergestellt, wodurch ebenfalls ein
theaterhafter Look entstand. Zudem wurden diese Produktionen mitunter mit
sogenannten Lachkonserven, also vorproduzierten Aufnahmen von Gelächter,
versehen. Auch wenn sich zahlreiche andere Beispiele für solche Grenzgänger
finden lassen, sollen diese Formate nur am Rande und nur dann berücksichtigt
61
vgl.: http://www.tvtix.com/show.php?eventID=537 [aufgerufen am 16. Januar 2013]
19
werden, wenn sie sich aufgrund eines Merkmals in die eine oder andere
Gruppe zuordnen lassen.
3.6 Untersuchungsgegenstand und Materialkorpus
Im Zentrum der nachfolgenden Untersuchung soll ausschließlich die klassische
oder traditionelle Sitcom stehen, die auch als Multi-Camera-Sitcom bezeichnet
wird und alle Kriterien von Lawrence Mintz’ Katalog erfüllt. Nicht nur ihre
beeindruckende Stabilität erscheint besonders faszinierend, sondern es ist jene
Form, die im heutigen Programmumfeld wie ein Fremdkörper wirkt. Auch wenn
durch diese Engführung viele Aspekte des Genres ausgeschlossen werden
müssen, verbleibt dennoch ein äußerst umfangreicher Materialkorpus mit
großer Vielfalt. Dabei ist es erstaunlich, dass sich nicht nur zu jeder Zeit der
Fernsehgeschichte entsprechende traditionelle Vertreter finden lassen, sondern
dass diese in der Regel auch beliebter sind als ihre anderen Single-CameraKonkurrenten.62
Als Beispiele wird daher ausschließlich auf eindeutige Multi-Camera-Vertreter
wie «Two And A Half Men», «Roseanne», «Dharma & Greg», «Will & Grace»,
«King Of Queens», «Home Improvement» (dt. Titel: «Hör’ mal, wer da
hämmert»), «The Fresh Prince Of Bel Air» (dt. Titel «Der Prinz von Bel Air»),
«Who’s the Boss?» (dt. Titel: «Wer ist hier der Boss?»), «Married... with
Children» (dt. Titel: «Eine schrecklich, nette Familie»), «Full House», «Friends»,
«The Odd Couple» (dt. Titel: «Männerwirtschaft»), «Seinfeld», «Frasier»,
«Cybill», «Family Matters» (dt. Titel: «Alle unter einem Dach»), «Rules Of
Engagement», «The Big Bang Theory», «The Cosby Show», «All In The
62
Die klassischen Multi-Camera-Sitcoms «The Big Bang Theory», «Two And A Half Men»,
«Rob», «Mike & Molly», «2 Broke Girls», «Rules of Engagement» und «Last Man Standing»
belegten in der Liste der beliebtesten Fernsehsendungen der Saison 2011/2012 die Plätze 8,
11, 25, 31, 32, 42 und 50. Die meistgesehene Single-Camera-Sitcom «Modern Family» ordnet
sich auf Platz 13 und damit hinter «The Big Bang Theory» und «Two And A Half Men» ein.
Andere Vertreter wie «New Girl»,«The Middle», «Happy Endings», «The Office», «Don’t Trust
The B… On Appartment 23», «Raising Hope», «Cougar Town» oder «30 Rock» finden sich auf
der Liste auf den Plätzen 61, 63, 81, 83, 89, 106 sowie 120 und damit allesamt hinter den
genannten Mulit-Camera-Produktionen wieder. (vgl.: Gorman 2012)
20
Family», «Golden Girls», «Mike & Molly» oder eines der schier unzähligen
weiteren Exemplare verwiesen.
Um
das
hier
angenommene
Verständnis
von
Sitcoms
noch
stärker
verdeutlichen zu können, sei abschließend auf die Comedyserie «Scrubs»
verwiesen. Bei dieser handelt es sich allerdings gerade nicht um eine MultiCamera-Sitcom, also gerade nicht um eine Serie, die hier untersucht werden
soll, doch in der Episode „My Life In Four Cameras“63 setzt sich die Produktion
mit den verschiedenen Arten von Sitcoms auseinander. Dies geschieht in einem
der typischen Tagträume der Hauptfigur J.D., in dem er sich vorstellt, wie sein
Leben in einer Sitcom - genauer in einer Multi-Camera-Sitcom - aussehen
würde. In der Gestaltung dieser Phantasie wird das Genre parodiert und
deutlich überzeichnet. Weil dadurch jedoch die typischen Merkmale besonders
offensichtlich hervortreten, bildet das Ergebnis einen Archetyp des Genres, wie
es hier verstanden wird.
--- Ende des Auszugs --für eine vollständige Version wenden Sie sich bitte an:
Christian Richter
mail@christv.net | www.christv.net
63
Staffel 4, Folge 17 – dt. Titel: „Meine Sitcom“
21