2. Praktisches Studiensemester Erfahrungsbericht
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2. Praktisches Studiensemester Erfahrungsbericht
2. Praktisches Studiensemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Erfahrungsbericht von Peter Wendt FH Albstadt-Sigmaringen Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Praktikumszeitraum: 03. März 2003 bis 29. August 2003 Peter Wendt Semesteranschrift: Masselturenstraße 33/2 72458 Albstadt Heimatanschrift: Konrad-Weiß-Straße 2 74544 Michelbach an der Bilz e-mail: peter_wendt@gmx.de Firmenanschrift: Mercedes-Benz U.S. International, Inc. 1 Mercedes Drive Vance, AL 35490 U.S.A. Betreuerin: Sabine Post 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) "Jeder, der die Chance hat, ein Praxissemester im Ausland zu verbringen, sollte sie unbedingt ergreifen,." So knapp zusammengefasst lässt sich ein Fazit aus meinem sechsmonatigen Praktikum bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. in Tuscaloosa, Alabama (USA) ziehen. Ich will es aber nicht versäumen, die Gründe für diesen Schluss und meine Erlebnisse, Gefühle und Erfahrungen im Praktikum und in der Vorbereitungsphase auf den Auslandsaufenthalt näher auszuführen. Der Wunsch “Auslandsaufenthalt” Schon während des Grundstudiums wuchs in mir der Wunsch, einen Teil meines FHStudiums im Ausland zu verbringen. Von einigen Professoren immer wieder dazu animiert, die Austauschkontakte mit Partnerhochschulen im europäischen Ausland, vor allem in England, zu nutzen, beschäftigte ich mich mit den vom Auslandsbeauftragten des Studiengangs bereitgestellten Informationsbroschüren und informierte mich darüber hinaus im Internet direkt auf den Seiten der jeweiligen Hochschulen über dortige Studienangebote und Lebens- und Studienbedingungen für deutsche Studenten. Dabei stellte sich für mich heraus, dass als sinnvolle Lösung für ein Teilstudium an einer englischen Partnerhochschule (University of Greenwich oder University of East London) nur die “Komplettlösung” mit einem einjährigen Aufenthalt inklusive der abgelegten Prüfungen zum Bachelor-Abschluss in Frage kam. Ein von mir favorisierter Aufenthalt über nur ein halbes Jahr hätte zur Folge gehabt, dass ich in Albstadt einen eventuell wichtigen Teil des Hauptstudiums verpasst hätte (auch wenn die Prüfungsleistungen an den Partnerhochschulen von meinem Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen in der Regel sehr kulant anerkannt werden), und dem kein greifbarer Abschluss oder ähnliches gegenüber gestanden wäre. Nach Beginn des Hauptstudiums fokussierte ich meine Informationssammlung dann auf die Ableistung des zweiten praktischen Studiensemesters im Ausland, vorzugsweise in einer englischsprachigen Umgebung. Eintritt in die Vorbereitung: Bewerbung Ermutigt wurde ich durch einen Aushang am schwarzen Brett des Praktikantenamtes – eine ausgedruckte email an einen Professor im Studiengang Maschinenbau, in der der Absender, ein Alumni der FH Albstadt-Sigmaringen, mitteilte, dass er mittlerweile als Abteilungsleiter im Mercedes-Benz-Werk in Tuscaloosa tätig sei und die Abteilung immer wieder Verwendung für Praktikanten hätte. Obwohl der Aushang schon über eineinhalb Jahre alt war (Eingangsdatum der email), schrieb ich den Absender ebenfalls per email an, um zu erfahren, ob die Möglichkeit eines Praktikums dort immer noch bestand oder die mail überholt sei. Kurz darauf bekam ich als Antwort die Aufforderung der Personalabteilung bei Mercedes-Benz U.S. International, meine Bewerbungsunterlagen einzusenden. Der Eingang derselben wurde etwa eine Woche später bestätigt und man teilte mir mit, die Anzahl und Aufgabenbereiche der Praktikantenstellen für das Sommerhalbjahr seien noch nicht festgelegt, ich solle mich noch ein bis zwei Monate gedulden. Seite 2 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Drei Wochen später (Ende Oktober) erhielt ich dann einen Anruf von der Sekretärin der Abteilung “Product Controlling” mit der Frage, ob ich bereit sei, eine Telefonkonferenz mit den Abteilungsverantwortlichen zu führen. Ein Termin wurde vereinbart und einige Tage später ein etwa 30minütiges Gespräch in englischer Sprache geführt, in dessen Verlauf ich mir nicht sicher war, ob sich daraus ein Stellenangebot entwickeln würde oder nicht, obwohl ich das Gefühl hatte, dass zumindest keine negative Entscheidung gefallen war. Eine Woche später bekam ich dann erneut einen Anruf, dieses Mal aus der Personalabteilung, und man bot mir ein sechsmonatiges Praktikum von März bis August 2003 an. Vorbereitung des Praktikums Nachdem diese erste große Hürde genommen war – einen Praktikumsplatz zu finden – , galt es, eine Reihe von Formalitäten in Angriff zu nehmen. Für die Abwicklung der Visa-Beantragung und die Bereitstellung eines kompletten Versicherungspaketes wurde mir von der zuständigen Personalbetreuerin die Organisation “Council on International Educational Exchange CIEE e.V.” empfohlen. Nach Ausfüllen einer großen Anzahl von Formularen durch den Bewerber selbst, mit Bestätigungen der Hochschule und einem mehrseitigen Block, der vom zukünftigen Arbeitgeber auszufüllen ist, übernimmt Council den Schriftverkehr mit dem amerikanischen Konsulat – allerdings zu einem stolzen Preis. Wer genügend Zeit hat und eventuell nervenaufreibende Telefonate und Schriftwechsel nicht scheut, kann in diesem Zusammenhang viel Geld sparen. Auch zu den von Council im Paket verkauften Kranken-, Unfall-, Reisegepäck- und Haftpflichtversicherungen gibt es sicherlich erheblich preisgünstigere Alternativen, allerdings muss man positiv anmerken, dass die versprochenen Unterlagen pünktlich und vollständig vor Abreise per Einschreiben zugestellt wurden. Organisation des Lebensumfelds Nachdem auch diese Formalitäten geregelt waren, musste ich mich um das Lebensumfeld in Tuscaloosa bemühen. Glücklicherweise wurde von der für die Betreuung der Praktikanten zuständigen Mitarbeiterin in der Personalabteilung, selbst Praktikantin von einer deutschen Fachhochschule, eine Liste der Praktikanten im Sommersemester versandt, außerdem eine Auflistung der Unterkünfte, die zum damaligen Zeitpunkt von Praktikanten belegt waren und eine Liste von Fahrzeugen, die diese zu verkaufen hatten. So war es für mich relativ einfach, per email und Telefon Kontakt zu den zukünftigen Kollegen aufzunehmen, eine Mitbewohnerin für das halbjährige Praktikum zu finden und mit zweien unserer Vorgänger zu vereinbaren, dass wir deren Wohnung übernehmen würden. So kamen wir zu einem Apartment in "Stone Creek Apartments", einem modernen, komfortablen Apartmentkomplex mit Tennisplatz und Swimmingpool, etwa fünfzehn Autominuten vom Mercedes-Werk entfernt am östlichen Stadtrand von Tuscaloosa gelegen. Seite 3 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Stone Creek Apartments aus der Luft Auch ein Auto konnte ich auf diesem Wege schon reservieren, von einem Praktikanten der Vorgängergeneration übernahm ich einen 1993er Chrysler New Yorker – ein Auto, das der Vorstellung von Amerika ziemlich genau entspricht, groß, eckig und bequem. Küche in Apartment #610 (links), Blick vom Balkon des Apartments(rechts) Seite 4 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Kosten des Praktikums – Finanzierung Währenddessen erhielt ich von der Philipp-Matthäus-Hahn-Stiftung in Albstadt die Zusage, dass ich im Falle einer erfolgreichen Praktikumsbewerbung mit einem Förderbeitrag von 2.100 Euro rechnen könne, die nach der feierlichen Verleihung des Stipendiums und dem Einreichen einer Kopie des einem Arbeitsvertrag entsprechenden “offer letter” ausbezahlt wurden. Diese finanzielle Unterstützung stellte im Vorfeld des Praktikums eine große Hilfe dar, denn obwohl der Lebensunterhalt in den USA durch die relativ großzügige Vergütung des Praktikums durch Mercedes-Benz U.S. problemlos zu finanzieren ist, müssen doch erhebliche Summen aufgebracht werden, noch bevor man überhaupt in den USA ankommt. Daher ist es hoch anzusehen, dass der gesamte Betrag auf einmal überwiesen wird, obwohl er sich als monatlicher Beitrag über die Dauer des Auslandsaufenthaltes bemisst. In meinem Fall summierten sich die Ausgaben im Vorfeld der Anreise mit den Zahlungen für Flug, Versicherungen, Visum, Auto, erste Miete, Kaution,… auf über 3.500 Euro, und bevor die erste Gehaltszahlung erfolgte, musste ich noch Lebensmittel, Benzin etc. für vier Wochen vorfinanzieren. Allerdings darf auch nicht unterschlagen werden, dass ein Teil dieser Summe am Ende wieder zurückfloss, aus dem Wiederverkauf meines Autos und der Übergabe der Wohnung mitsamt der übernommenen und dazugekauften Einrichtung konnte ich Startkapital für das folgende Studiensemester in Albstadt sammeln. Ankunft in Tuscaloosa Ende Februar, kurz nach Ende der Prüfungszeit des Wintersemesters 2002/2003, hieß es dann, für ein halbes Jahr Abschied zu nehmen von Freunden und Familie. Nach einer insgesamt etwa dreizehnstündigen Flugreise kam ich sonntag abends in Birmingham, Alabama an, wo ich und zwei weitere mitreisende Praktikanten von drei bereits zuvor angereisten Kollegen abgeholt wurden. Mit dem Auto legten wir dann die letzte Etappe – Dauer etwa eine Stunde – nach Tuscaloosa zurück, wo wir übergangsweise Quartier bezogen, bis unsere Wohnungen eine Woche später frei wurden und wir uns richtig einrichten konnten. Bei der Einreise am Flughafen von Charlotte, NC (links); Ende Februar am Lake Tuscaloosa (rechts) Seite 5 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Die folgenden Tage – ich war eine Woche vor Praktikumsbeginn angereist – konnte ich dazu nutzen, eine Reihe von Formalitäten vor Ort zu erledigen. So musste ich, als Bedingung zur Aufnahme des Praktikums im Arbeitsvertrag festgelegt, einen Test auf illegale Drogen ablegen, beantragte meine Sozialversicherungsnummer, ohne die in den USA niemand arbeiten darf, und schloss eine Versicherungspolice für mein “neues” Auto ab. Darüber hinaus blieb genügend Zeit, um gemeinsam mit anderen neu angekommenen Praktikanten erste Erkundungsfahrten in Tuscaloosa und Umgebung zu unternehmen und Eindrücke von Stadt und Umland zu sammeln. Das Football-Stadion in Tuscaloosa (College-Football, 88.000 Sitzplätze) Entgegen meiner Erwartung war es zu dieser Zeit noch relativ kalt in Alabama, Temperaturen um zehn Grad Celsius entsprachen nicht dem, was ich mir nach Berichten der Vorgänger, mit denen ich zu organisatorischen Fragen Kontakt aufgenommen hatten, vorstellte. So war ich zunächst durchaus froh über wärmere Kleidung, die ich “nur zur Sicherheit” mitgenommen hatte. Zu kämpfen hatte ich, wie auch die anderen Neuankömmlinge, mit dem Jetlag. Morgens wachte ich spätestens um sechs Uhr auf, nachdem ich nachts meistens bereits mehrfach aufgewacht war und nur schwer wieder einschlafen konnte. Obwohl ich vorgewarnt war, wie schwierig es sein würde, die innere Uhr auf die Zeitverschiebung von sieben Stunden umzustellen, war ich doch überrascht, wie lange die Gewöhnung tatsächlich dauerte. Gegen Ende der ersten Woche ließ dies aber allmählich nach und ich fing an, mich heimisch zu fühlen. Bei zwei ersten kurzen Besuchen an meinem zukünftigen Arbeitsplatz durfte ich die Kollegen kennen lernen und konnte mir einen ersten Eindruck vom Arbeitsumfeld machen. Lake Lurleen State Park: einer der zahlreichen Seen in Alabama Seite 6 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) New Hire Orientation – Heranführung an das Unternehmen Gleich in der ersten Woche meiner Praktikumszeit musste ich die New Hire Orientation besuchen, ein Seminar, in dem die neuen Mitarbeiter, egal ob Bandarbeiter, Abteilungsleiter oder eben Praktikant, über die verschiedenen Richtlinien und Philosophien bei Mercedes-Benz U.S. International informiert werden. Neben mehr oder minder interessanten Vorträgen wurde dabei auch in Gruppenarbeit über den Hintergrund der Teilnehmer gesprochen, was eine erste Gelegenheit bot, Einblicke in Ansichten und Bildungsstand vieler Amerikaner zu gewinnen. Mercedes-Benz U.S. International, Inc., ist eine 100%ige Tochter der DaimlerChrysler AG, allerdings rechtlich eigenständig. Der Werkleiter trägt den Titel "President and CEO" der Gesellschaft. Im Werk in Tuscaloosa werden seit 1997 jährlich ca. 80.000 Fahrzeuge der Mercedes-Benz M-Klasse montiert. In Verwaltung und Produktion arbeiten insgesamt gut 2.000 Menschen, diese Zahl wird mit Beginn der Produktion in der neuen Werkserweiterung verdoppelt (die Gebäude stehen bereits, Anlagen werden aufgebaut). Das M-Klasse-Werk in Vance bei Tuscaloosa (StandAugust 2003 nach Bau der Erweiterung) Seite 7 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Beginn des Praktikums An meinem Arbeitsplatz in der Abteilung “Product Controlling” bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc., – im Nachfolgenden der Einfachheit halber mit der intern verwendeten Abkürzung MBUSI bezeichnet – traf ich auf ein Team, das etwa zur Hälfte aus deutschen und amerikanischen Mitarbeitern bestand. Die ständige Anwesenheit deutscher Kollegen war anfangs sehr hilfreich, um bei eventuellen Verständigungsschwierigkeiten Hilfe zu bekommen, allerdings hatte ich in den ersten Tagen auch Bedenken, ob sich überhaupt die Möglichkeit bieten würde, meine englischen Sprachkenntnisse weiter zu verbessern. Diese Bedenken erwiesen sich aber sehr bald als unbegründet, und der ständige Wechsel zwischen zwei Sprachen brachte einen zusätzlichen Lerneffekt mit sich. Neben der Betreuung von Schnittstellenentwicklungsprojekten (insbesondere Dokumentation nach Meetings und ständige Überarbeitung von Prozessablaufdarstellungen) war ich mit dem Prozess zur Bearbeitung und Vermeidung von Materialmehrkostenforderungen im Vorfeld der Nullserienfertigung beschäftigt. Darüber hinaus gehörten die Übersetzung zahlreicher verschiedenartiger Dokumente sowie die Erstellung von Präsentationsunterlagen für Team-, Abteilungs- und Centerleiter zu meinen Aufgaben. Erfahrungen im Arbeitsalltag Im Arbeitsalltag fiel mir zunächst auf, dass wesentlich größerer Wert auf formelle Besprechungen gelegt wird, als ich dies in meinem ersten Praktikum bei einem mittelständischen Unternehmen im Sondermaschinenbau erlebt hatte. Angelegenheiten, die aus meiner Erfahrung in Deutschland im Gespräch am Schreibtisch erledigt werden, erfordern im amerikanischen Arbeitsalltag eine Meetingeinladung per email, deren Annahme oder Bestätigung oder gegebenenfalls Verlegung, ebenfalls per email, und die Reservierung eines Konferenzraums. Obwohl diese Räume bei MBUSI in großer Anzahl zur Verfügung stehen, erwies es sich zeitweise als äußerst schwierig, einen Raum zur gewünschten Zeit zu reservieren. Ein Hintergrund der Neigung, viele Gespräche in abgetrennten Räumen durchzuführen, mag daran liegen, dass der gesamte administrative Bereich in einem einzigen Großraumbüro sitzt. Es gibt keine Trennwände, und selbst die Grenzen zwischen verschiedenen Teams und Abteilungen sind unsichtbar. Auch dies war am Anfang gewöhnungsbedürftig für mich, erwies sich aber im Laufe der Wochen und Monate eher als Vorteil denn als Nachteil. Persönliche Eindrücke – Umgang mit amerikanischen Kollegen Sehr angenehm emfand ich die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, mit der die amerikanischen Kollegen mir nach einer gewissen Eingewöhnungszeit gegenüber traten, nachdem bei einigen von ihnen anfangs eine gewisse reservierte Haltung – vermutlich skeptisch, was von einem deutschen FH-Studenten zu erwarten ist – überwogen hatte. Seite 8 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Auffällig ist, dass viele Amerikaner Details aus ihrem Privatleben erzählen – über die Erlebnisse ihrer Kinder und deren Befinden zum Beispiel, auf der anderen Seite aber ein sehr oberflächliches Interesse an persönlichem Umgang an den Tag legen. Auch die Angewohnheit, am Ende des Arbeitstages aufzustehen und wort- und kommentarlos den Raum zu verlassen, erforderte etwas Eingewöhnung. Es ist keineswegs als unhöflich oder missachtend anzusehen, sondern vielmehr einfach – nun, normal. Nach sechs Monaten fiel es mir auch zunehmend leichter, die Freundlichkeit im Umgang zu unterscheiden in einfach höfliche, geschäftsmäßige Freundlichkeit und eine etwas weiter gehende, ernst gemeinte Freundlichkeit. Kontakte außerhalb der Arbeitszeit Durch die große Zahl der Praktikanten bei MBUSI (die während meines Aufenthaltes noch weiter anstieg) hatte ich immer die Gewissheit, eine Gruppe von Menschen in der Nähe zu haben, die dieselbe Sprache sprechen, ähnliche Eindrücke sammeln und überhaupt in der gleichen Situation waren, für ein halbes Jahr einige tausend Kilometer von der Heimat entfernt zu leben und zu arbeiten, ohne vorher gewusst zu haben, auf was sie sich einlassen. Diese große Gruppe bot eine gewisse Sicherheit, selbst bei unangenehmsten Bedingungen bei der Arbeit und dem völligen Ausbleiben persönlicher Kontakte zu Einheimischen nicht alleine da zu stehen. Glücklicherweise war diese im Vorfeld geäußerte Sorge aber völlig unnötig. Angeregt von einem amerikanischen Coop-Studenten (ein Modell, das irgendwo zwischen einer Werkstudententätigkeit und einem Studium an einer Berufsakademie anzusiedeln ist, ähnlich dem an der FH Albstadt-Sigmaringen angebotenen Kooperationsmodell) wurde in der zweiten Hälfte meines Praktikums ein wöchentliches Treffen zwischen den deutschen und den amerikanischen Praktikanten bei MBUSI eingerichtet. Dieser “Stammtisch” sollte dazu dienen, den Kontakt zwischen den beiden Gruppen zu vertiefen, und dieser Plan ging auf. Während das erste Treffen vor allem sehr interessante Erkenntnisse brachte über die Art, wie junge Amerikaner einen solchen Abend gestalten – geplant waren mehrfache Wechsel der Örtlichkeiten, immer darauf Rücksicht nehmend, dass einige der Coop-Studenten noch unter 21 Jahren alt waren und daher zu manchen Lokalen noch keinen Zutritt hatten – , so konnten wir in den folgenden Wochen die Kontakte vertiefen und ausführlichere Gespräche führen. Auch für die Verbesserung der Sprachkenntnisse waren diese Treffen sehr förderlich. Wie im Kollegenkreis, so fiel mir auch in der Freizeit auf, dass viele Amerikaner eine sehr oberflächliche Freundlichkeit an den Tag legen. In einem Moment unterhält man sich gut, im nächsten Moment dreht sich der Gesprächspartner um und beginnt eine Unterhaltung mit jemand anderem. Anfangs war dieses Verhalten sehr unerwartet, und wer damit nicht vertraut ist, kann es leicht als Desinteresse oder Unhöflichkeit ansehen, was nicht die Absicht ist. Diese Feststellung erforderte allerdings einige Zeit der Beobachtung. Seite 9 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Ebenso gewöhnungsbedürftig ist die Angewohnheit, im Vorübergehen Einladungen auszusprechen oder anzunehmen, was häufig weniger ernst gemeint ist, als es in Deutschland wäre. So kommt es nicht selten vor, dass man auf jemanden wartet, im Glauben, verabredet zu sein, wohingegen die “Zusage” lediglich die Aussage beinhaltete, dass die Einladung oder Anfrage zur Kenntnis genommen wurde. Trotz oder gerade wegen dieser kulturellen Unterschiede waren diese Abende sehr lehrreich und unterhaltsam und stellten für mich die beste Möglichkeit dar, in Kontakt zu etwa gleichaltrigen Amerikanern zu kommen. Der “Fremdenbonus”, den man als Ausländer sonst häufig spürt, fällt in Tuscaloosa etwas geringer aus, bedingt dadurch, dass neben den ständig wechselnden Praktikanten auch eine große Zahl fest angestellter Deutscher bei MBUSI arbeiten und Deutsche daher kaum noch als “Exoten” gelten. Anders als in verschiedenen im Laufe des Praktikums bereisten Teilen der USA war die erste Vermutung in Sachen Nationalität daher in der Regel nicht “schwedisch”, sondern grundsätzlich “deutsch”. Freizeitaktivitäten / Reisen Neben den bereits erwähnten Kontakten und Aktivitäten innerhalb Tuscaloosas hatte ich erfreulicherweise die Möglichkeit, zahlreiche Ausflüge und Reisen im näheren und weiteren Umfeld zu unternehmen. Auf den ersten Blick ist die geographische Lage von Tuscaloosa im Westen Alabamas nicht sonderlich attraktiv. Obgleich die Landschaft aufgrund der häufigen und starken Niederschläge von einer sattgrünen Vegetation überzogen ist, bietet die Region für freizeitliche Nutzung lediglich die zahlreichen Seen, auf denen Wassersport möglich ist. Durch die dichten Wälder führen keine Waldwege, wie man sie aus Deutschland kennt, und ein Durchstreifen auf eigene Faust ist nicht zu empfehlen, da giftige Schlangen und andere Tiere eine ständige Gefahr darstellen. Wenn man jedoch die Stadt- und County-Grenzen hinter sich lässt, kann man innerhalb weniger Stunden sehr attraktive Reiseziele erreichen. So sind Städte wie Atlanta, Nashville, Memphis oder New Orleans in einer Entfernung, die einen Wochenendausflug dorthin möglich macht. Auch zu den weißen Sandstränden der Golfküste von Florida oder auch Alabama selbst fährt man nur etwa fünf Stunden, eine für amerikanische Verhältnisse nicht übertriebene Reisezeit für ein Wochenende. So verbrachte ich insgesamt vier Wochenende am Strand von Pensacola, FL und unternahm gemeinsam mit anderen Praktikanten und befreundeten deutschen und amerikanischen Arbeitskollegen einige andere Autoreisen in die besagten Städte. Seite 10 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Ostern 2003 vor der Skyline von Chicago, IL Daneben nutzten wir die zwei verlängerten Wochenenden im Praktikumszeitraum zu zwei Flugreisen nach Chicago (über Ostern 2003) und nach New York City (Memorial Day, Ende Mai). Während in diesen beiden sehr verschiedenen Großstädten das Wetter jeweils recht unwirtlich war, hatten wir während der einzigen freien Woche im Praktikum (Urlaubstage für Praktikanten sind bei MBUSI nicht vorgesehen, lediglich während des Umbaus zum Modelljahreswechsel rund um den amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli gibt es eine Woche unbezahlten Urlaub) großartiges Wetter. Gemeinsam mit drei Kollegen flog ich nach Kalifornien, wo wir mit einem Mietwagen den Pacific Coast Highway von Los Angeles nach San Francisco befuhren, nachdem wir einen kurzen Abstecher nach Las Vegas gemacht hatten. Natürlich trugen auch die Eindrücke dieser Reisen erheblich dazu bei, dass die Zeit des sechsmonatigen Praktikums noch schneller verging und mir mit Sicherheit für immer im Gedächtnis bleiben wird. Seite 11 2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003) Leben in den USA Leben ist nicht billig in den USA. Sogar in einer relativ dünn besiedelten Gegend wie Tuscaloosa County im Bundesstaat Alabama im Süden der USA sind die Preise für Mieten hoch. Für ein – zugegeben recht komfortables – Apartment im ersten Stock (also 2nd floor in Amerika) mit zwei Schlafzimmern, zwei Badezimmern und einem großen Wohnraum mit angegliederter Küche und Balkon bezahlten meine Mitbewohnerin – eine Studentin der FH Reutlingen – und ich monatlich 745 Dollar Kaltmiete. Dazu kamen witterungsabhängig noch zwischen 90 und 150 Dollar für Strom, Wasser und Telefon. Die Stromkosten sind besonders vom Klima abhängig, da viele Wohnhäuser in den USA kaum isoliert sind. Im Winter entweicht die – teuer mit einer Elektroheizung erwärmte – Luft durch schlecht abgedichtete Fenster (mit Einfachverglasung) und Türen, im Sommer heizen sich die Räume durch Sonnenbestrahlung so stark auf, dass die Klimaanlage rund um die Uhr in Betrieb ist, um angenehme Raumtemperaturen zu schaffen. Fazit Das Fazit meines Auslandspraktikums fällt – wie bereits eingangs erwähnt – zu 100% positiv aus. Auch wenn ein Praxissemester im Inland vielleicht größere Zuwächse im Fachwissen zur Folge gehabt hätte, wurde dieser "Nachteil" durch die vielseitigen Erfahrungen im Leben in einer anderen Kultur weit mehr als ausgeglichen. Ich habe meine Entscheidung, diese sechs Monate in Tuscaloosa zu verbringen, nie bereut, und würde den Weg wieder antreten. Seite 12