WT 01/09 - Welzel+Hardt GmbH

Transcription

WT 01/09 - Welzel+Hardt GmbH
Der Walzentrommler
Zeitschrift von Welzel + Hardt
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Der nächste Rundgan
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. Viel Spaß beim Stöber
und Nils Hardt
Studienorte Seite 40/41)
Ihr Helmut Seggebäing
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j ane t S chürm e ye r – »rostrosa« [ Alta utom agazi n für fra ue n ] 09
Mi rj am obe rle – »joi nt ve nture « [ i nno vati ve s m agazi n ohne tre nnung zwi sche n re dak ti on und wer bun g ] 1 0
dani e l li ss on – »RRRobot – stre e t we ar-de si gn« [ m arke , kolle k ti on & m arke ti ng ] 11
e le na va ss i li adou – »arganöl – da s gold de s le be ns« [ e rsche i nungs bi ld und buch ] 13
carste n hardt – »kunst stadt l andschaft« [ A usste llungs proje k t i m öff e ntli che n ra um ] 14
m are n si e ke r – »Arm e s hage n« [ e i n sozi ale r de si gnproze ss ] 15
chri sti an fre nss e n – »di e schl anke re publi k« [ K am pagne zur Be k äm pfung v on Übe rge wi cht ] 16
davi d grabi ni ok – »m uste rse i te nge ne rator« [ kre ati vi nstrum e nt ] 19
ale xande r He rm ann – »spi e lführe r« [ buch übe r di e de utsche fuss b allkultur ] 20
robi n frank – »am ate urde si gn – li e bhabe r und l ai e n« [ kom m uni k ati onspl attf orm De si gn ] 22
de nni s horstm ann – »de r duft de s ne ue n« [ parfum - und pfle ge se ri e ] 23
k atj a Maci osze k – »fri e dfalt« [ m arke für i ndi vi due lle be stattungsv orsorge ] 25
Manue l a sli w a – »B arocco und di e Angst« [ Illustri e rte r Ge di chtb and ] 26
juli a si ni ae va – »from russ i a wi th lo ve « [ k am pagne für ae roflot ] 28
Sylvia Kutz | Kati Engelhardt – »Einmal Unendlichkeit und zurück« [ Marketing für das Pl anetarium Bochum ] 2 9
m a j a thi e le – »fri e de nse nge l« [ re kruti e rungs -k am pagne ] 31
K atri n panhe y – »ge danke nspi e le « [ Ent wurf e i ne s Buche s übe r de nkproze ss e ] 32
juli a we sthoff – »hi ppocam pus« [ wi ss e nsm agazi n für ki nde r ] 34
tobi a s v on ae sch – »i llustrator‘s e tch« [ m agazi n ] 35
johanne s v on gross – »strange fam i li ar« [ Ne w As pe cts of Conte m porary Li fe ] 37
Pe tra Ge rl ach | Flori an Mi rb ach – »Da s Büro für De si nf orm ati on«
[ Konze pti on, Ent wurf und A usf ührung e i ne r Be we gung für m e di ale Irri tati on ] 38
» w i r beda n ken u n s b eim Fach b ereich Design
d e r Fachhoch schule dü sseldor f, be s onder s
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f ü r d ie freu n d lich e u n t erst ü t zu n g. «
a uss e rde m :
Sara B a j atmo w ahed – »da zwi s chen« [ Kommunik ation s medien über kulturelle Di fferenzen ]; Je n n i f e r C h e ru v i l
– »In Morpheus‘ Armen« [ Ein Buch zum Thema Schl af ]; Nadine Engel – »wunderBar, sonderBar« [ Mode-Kollektion
für die Mitarbeiter einer Bar ]; Anna Haag – »Stukkatura« [ Kommunikationsmittel einer firma für Innenausbau ];
S andra Hofe re r – »m atch« [ Ent wurf e i ne s Inte rface für e i n S port-Trai ni ngs program m ]; Marz en a J ac i ubek –
»Dynam i k de s Mom e nts« [ ze i tge bunde ne künstle ri sche Mani fe stati one n ]; S i na Jung – »Rhe i nzi cken « [ W ebpo rta l
für L ästermä uler a u s Düss eldor f und K öln ]; Hanna K amprath | M iryam-Jeanine Minat y – »why p p « [ v i rt u e l l e
Prom oti onage ntur ]; Yu-S un K ang – »S chw arz um hüllt di e We lt« [ Ent wurf e i ne s i llustri e rte n Bu c h es ] ; W i ebk e
Hyang K öste r – »Ke i ne F orm sache « [ Re -De si gn de r F orm ul are de r Bunde sage ntur für Arbe i t ]; A n n i k a K o r i es –
»fluid ground« [ Unordnung als Kulturtechnik ]; Steffi Krohmann – »Einfach so! – Krankheiten einfach erkl ären«
[ i nte rak ti ve s we bportal für Ki nde r m i t unhe i lb are n krankhe i te n ]; Je ns Mülle r – »A 5« [ Buchre i h e z ur D es i g n ge schi chte ]; Mi chae l Mülle r – »3rd ge ne rati on« [ Ent wurf e i ne s Com pute rspi e ls ]; Mari us Obi e ga l a – »Pa pi er i st
tot« [ Ent wurf e i ne s E-Pape r Magazi ns ]; S a ade t Öm ürlü – »Obje k t m i grati on« [ Kom m uni k ati onsm i ttel z ur M i g r a tion sf ors chung ]; N inetta Orfgen – »Turning mus ic into images « [ I llustrationen zur M usik Tracy C h a p m a ns ] ; Eva
Pa uli – »schöne r wi ss e n« [ Kom m uni k ati onsm e di e n zum The m a Inf orm ati on und Ästhe ti k ]; Arne Ra w e – »D r a uSSen
w arte t de r Tod« [ Ent wurf e i ne r wi ss e nschaftli che n Publi k ati on zur F otografi e ]; Bj örn Rubni k o w i c z – »D ö D ü«
[ Kom m uni k ati onsm i tte l für e i nE Franchi se -Brand für Bi o-Döne r ]; Natali a S abolotni – »Da s kl ei n e Sc h w a r z e«
[ illustrationen und Buch über einen mode-kl assiker ]; Magdalina Tsoneva Stancheva – »Stefan Kauchev – Designer
und T ypograf« [ Buch und Kom m uni k ati onsm e di e n ]; Andre a s Vali oti s – »da s e rbE de s He rakle s« [ B i l der buc h f ür
junge Er w achse ne übe r di e m ake doni sche He rrschaft i m anti ke n gri e che nl and ]; Be i Zhao – »Ich + M i c h « [ K o mmuni k ati onsm i tte l zum The m a S e lbstre fle xi on ]; Jurate Zi uk ai te »Poe si e de r L ange we i le « [ f otogr a f i s c h e a r bei t
zum The m a L ange we i le ]; Ni na Zucho w ski – »Ki -Wi « [ i nte rak ti ve s Le xi kon für Ki nde r ]
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Foto: Magdalena Schaarwächter
Foto: Magdalena Schaarwächter
Gib’ Gummi.
jschuermeyer@gmx.de
Ein Automagazin? Für Frauen? Noch dazu über Oldtimer? Von einer Frau? Das kann doch gar nicht sein!
Kann wohl! Und sieht komplett anders aus, als alles,
was wir bisher an Postillen und Fachorganen zu der
deutschen Männer liebstem Spielzeug gesehen haben.
Janet Schürmeyers extrem kultiges Lifestyle-Magazin
holt die anderen AutoliebhaberInnen ins Chassis.
Für die Leserinnen von »rostrosa« muss es kein überrestaurierter Aston Martin sein, ein unterirdischer,
knalloranger Datsun von ’76 hat für sie den gößeren
Lässigkeitsfaktor. Witzige Reportagen, eine trendige
Fotoauffassung, einfallsreiche Themen, gut verpackte
Informationen, nette Illus: »rostrosa«, hat alles, was auch Männer ab über-
Janet Schürmeyer textete, fotografierte,
illustrierte und schuf ein abwechslungsreiches Layout.
morgen am Kiosk sehen möchten. Der dreiteilige Fuhrpark der Diplomandin
selbst hat übrigens insgesamt 112 Jahre auf dem Buckel.
»Pornös« nennt Janet Schürmeyer eine
Fotostrecke, in der sie sehr, sehr stolze
Besitzer unwiderstehlich kultiger Alltagsoldtimer in Unterwäsche inszeniert hat.
j ane t S chürm e ye r – »rostrosa« [ Alta utom aga z i n f ür f r a uen ] 0 9
Werben ohne Werbung.
Wie beim Walzentrommler hat jede
Ausgabe ihr Thema.
Hier die Ausgaben
»Fußball« und
»Kinder«. Das Titelbild geht
auf der Rückseite weiter:
Dort sieht der Leser dann,
dass der Ball von einem Adidas-Schuh geschossen und
der kleine Brei-Matscher
aus einem Hipp-Gläschen
gefüttert wird.
mirjam.oberle@gmx.de
d a n @ r r r o b o t. c o m
FRRResh as RRRobot.
Was nervt Mirjam Oberle in Zeitschriften am meisten? Richtig, die Anzeigen.
Ein Modelabel zu gründen, ist nicht unbedingt die Kernkompetenz
Sie sehen aus, wie sie wollen, stören den gestalterischen Gesamteindruck und
eines Kommunikationsdesigners. Dass aber ein talentierter Illustrator
haben meist nichts mit dem zu tun, was die Leserin gerade interessiert. Ist es
auch einen Kleidungsstil prägen kann, zeigt sich bei Daniel Lisson.
nicht möglich, dachte sie sich, bei der Gestaltung eines Magazins, die Werbung,
Bereits im Jahr 2007 entdeckte er seine Faszination für das T-Shirt
auf die jede Zeitschrift angewiesen ist, mit dem Inhalt zu einem einheitlichen
als Mitteilungsmedium und begann mit einem Freund Shirts und
Ganzen zu kombinieren und ein Lesen mit Werbung, aber ohne störende
Sweater selbst zu bedrucken. Dies geschah vorerst in einer kleinen
Werbepausen zu ermöglichen? Könnte es sogar gelingen, die Attraktivität,
Garage in der Nähe von Köln. Geprägt von Intuition und Wildwuchs formte
die von einer Zeitschrift als Ganzem ausgeht, für die Botschaften der Werbe-
sich der Wunsch, ein eigenes Streetwear-Label aufzubauen. Im Rahmen seines
treibenden zu nutzen und so deren Wirkung zu erhöhen? Ein Experiment,
Diploms entwarf Herr Lisson dann neben dem stimmigen Erscheinungsbild
von dem Leser und Werbetreibende gleichermaßen profitieren sollen: ein
»Joint venture«! Und ein vielleicht Schule machender neuer Magazintyp:
das »Magvertorial« (magazine/advertising/editorial)!
10 Mirj am o berle – » j o i nt v e n t u r e « [ i n no vat i v e s m aga zin oh n e t ren n u n g zw isch en reda k t ion u n d w erb u n g ]
der Marke eine komplette Kollektion und entwickelte dazugehörige
Marketingstrategien. In nahtlosem Anschluss wird die Arbeit
nun realisiert. Also Augen auf, jetzt rrrollt der RRRobot auf
Sehr relaxter Dreitagebart,
demolierte Zentraleinheit,
schlechte Zähne aufgrund
einer Zahnarztphobie sowie
eine zerfetzte Krawatte, die
von seiner Vergangenheit als
Businesstyp zeugt: Daniel
Lissons »Trrashbot« entspricht zu 100% seiner Zielgruppe.
den Markt.
dani e l li ss on – »RRRobot – stre e t we ar-de si gn« [ m arke , kolle k ti o n & ma r k eti n g ] 1 1
Die Farben Marokkos.
e l e n a . va s i l i a d o u @ i m a g i n i . d e
Arganöl ist eine Geschmacksoffenbarung. Arganöl ist im Trend. Arganöl kann
alles. Und Arganöl ist teuer. Zu Recht, denn für die Herstellung von einem Liter
braucht man ca. 30 kg Früchte (etwa 4,5 kg Kerne), deren aufwendige Verarbeitung nur in Handarbeit möglich ist und zwei Tage dauert. Es ist Frauenarbeit, die
aber den ansonsten von ihren Männern völlig abhängigen Frauen in den armen
Regionen Marokkos ein gutes Stück Selbständigkeit verschafft. Elena Vassiliadou
reiste nach Nordafrika, besuchte die marokkanischen Kooperativen, machte sehr
schöne Fotos, entwickelte ein farbenfrohes Erscheinungsbild und verpasste dem
edlen Öl endlich die angemessenen Gefäße. Arganöl
gibt’s bei uns schon länger zu
Getönte Glasflaschen
mit Silberschmiedearbeiten
gefasst: So sind 200 ml
kosmetisches Arganöl zu
35 Euro vermutlich besser
an die Frau zu bringen.
kaufen, aber hier stimmen endlich
Preis und Auftritt überein.
e le na va ss i li adou – »arganöl – da s gold de s le be ns« [ e rsche i nun gsbi l d un d buc h ] 1 3
Sehr überzeugend ist das betongegossene
Leitsystem, das sich Carsten Hardt für den
Hofgarten in Düsseldorf ausgedacht hat.
Stolpersteine.
Ups, da liegt ja was auf dem Rasen … und dort ebenso, und da hinten
auch … rotkantige Beton-Objekte ragen weithin gut sichtbar aus dem
weichen Grün des Düsseldorfer Hofgartens heraus – sie sind Teil
www . c a r s t e n - h a r d t . d e
c.hardtdesign@email.de
Ma r e n S i e k e r @ g m x . d e
Hagen, stolz.
Um aus »einer Stadt« »meine Stadt« zu machen, akzentuiert Maren Sieker in
ihrem Corporate Design für die Stadt Hagen den Buchstaben »m« als Bildmarke.
Tatsächlich – das hat sie in ihrer überzeugenden Konzeption erkannt – braucht
des ungewöhnlichen Leitsystems, das Carsten Hardt für die 2010
Hagen jedoch weit mehr als nur ein Logo und einen bunten Anstrich. Frau
stattfindende temporäre Ausstellung »Kunst Stadt Landschaft«
Sieker überarbeitete und ergänzte daher mit Hilfe der Kunsthochschule für
entwickelt hat. Dabei haben die Betonsockel eine zweifache
Medien Köln das bereits für Köln existierende »Unortkataster« und passte
Funktion: Zum einen führen sie durch den Park und hin zur Kunst, zum
es an die Stadt Hagen an. Der Ansatz: Städte haben kein Geld, ganze Viertel
anderen transportieren sie aber auch ein wenig Städtisches in die Land-
verkommen, städtische Gebäude vergammeln, Ecken verdrecken – Hagenern
schaft und greifen so den Ausstellungsgedanken auf – Grenze und
soll das nicht gleichgültig sein. Auf einer dialogischen Website benennen sie
Bruch zwischen Städtischem und Natürlichem werden deutlich und gleich-
»Unorte« auf einem Stadtplan, machen Vorschläge, wie Missstände zu beheben
zeitig vermindert. Natürlich hat Carsten Hardt auch an alles Weitere gedacht
sind, werden »Unortpaten«, äußern Sparideen, tauschen sich
und neben der unverzichtbaren Geschäftsausstattung auch werbewirksame
auf direkter Bürgerebene – zähflüssige politische Prozesse um-
Maßnahmen wie Plakate, Postkarten und Ähnliches entworfen. Somit geht
gehend – konstruktiv miteinander aus. Zum Wohle ihrer Stadt.
dann vielleicht ein Stückchen Kunst zurück in die Stadt – ein gut durchdachtes
So werden auf der abgebildeten Landkarte aus blauen Punkten
Komplett-Paket!
(benannte Unorte) gelbe (Unorte mit Patenschaft) und schließ-
Auch die »Basics« eines umfassenden Corporate
Designs hat Maren Sieker für Hagen erarbeitet.
Doch darüber hinaus geht es in ihrer Arbeit um die
Veränderung der inneren Haltung der Bürgerinnen
und Bürger zu ihrer Stadt.
lich grüne Punkte (ehemalige Unorte).
»Unort« Nr. 629: Kiosk auf dem Goldberg
14 carsten h ardt – » kunst sta dt l a nd s c h a f t« [ A u sst e llu n gs p rojek t im öffen t lich en ra u m ]
m are n si e ke r – »Arm e s hage n« [ e i n sozi ale r des i g n pro z ess ] 1 5
mail@frenshkriss.de
Fettes Geflügel.
Die Deutschen sind zu dick. Sagt jedenfalls Christian Frenssen.
Und – ja, zum Teufel! – da hat er ja auch Recht. Zeit also für eine Abspeckkampagne der Bundesregierung. Herr Frenssen möchte das Thema aber nicht
Die Headlines der Plakat-Kampagne
nehmen bekannte Sprüche aus der
Lebensmittelwerbung auf’s Korn.
mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit Humor angehen. Seine Identifikationsfigur ist der Bundesadler. Fett ist er geworden, kann sich kaum noch
rühren, Tropfen kommen ihm schon aus dem Schnabel
(aber irgendwie sieht der »richtige« daneben auch fast ein
bisschen mickrig aus). Wieviele »Kinder von Landau« der
Diplomand mit seiner Kampagne auch immer von der
Frittenbude fernhalten kann, hübsche Plakate hat er jedenfalls
gestaltet. Obwohl es vielleicht den größeren Effekt hätte, in
Deutschland ganz, ganz viele Spiegel aufzustellen.
16 c hristi an f ren ss en – » d i e s c h l a n k e r e p u b l i k « [ K a mpagn e zu r Bek ä mp fu n g v on Üb ergew ich t ]
Mit abschreckenden
Bildern für‘s Abnehmen
werben? Davon verspricht
sich Christian Frenssen
nichts. Außer Schadenfreude vielleicht.
Viele, viele schlaue Wörter: Die Diplomarbeit von David Grabiniok gräbt tief in
der Geschichte der Bildtheorie
Ornament ohne Reue.
g r ab i n i o k @ g m x . d e
Es soll Leute geben, die standen vor David
Grabinioks Diplomarbeit und fanden einfach
schön, was sie sahen. Farben und Formen
in voller Pracht – eine Augenweide ohne
Funktion. Geschenkpapier? Backgrounds?
Wallpapers? Egal, die Fülle der ornamentalen
Möglichkeiten verzauberte geradezu. David Grabiniok hat sich allerdings nicht
Bunte Muster aus illustrativen und fotografischen
Elementen, computergeneriert, mit immer wieder
überraschenden Zusammenstellungen.
nur mit dem schönen Schein sondern durchaus auch mit dem philosophischgedanklichen Sein von Gestaltung beschäftigt. Und ist dabei ganz schnell
mitten in die bildtheoretischen Diskussionen der ikonologischen Wissenschaften zwischen Gottfried Böhm (»iconic turn«) und Villem Flusser
(»Kommunikologie«) geraten. Verdienstvoll: Sein Mut zum Schwelgen im
Ornamentalen trotz der vernichtenden Generalkritik von Adolf Loos aus
dem Jahre 1908 (»Ornament und Verbrechen«). Wer nicht nur die Augen,
sondern auch das Hirn beschäftigen will, wird mit David Grabinioks Konzept
aufs Anspruchsvollste unterhalten.
davi d grabi ni ok – »m uste rse i te nge ne rator« [ kre ati v i n strumen t ] 1 9
Die Identifikation mit seinem Diplomthema führte bei Alexander Hermann zu
beträchtlichem »Eigenbranding«.
h all o @ al e x h e r m a n n . d e
Abstauber.
Es gibt unzählige Bücher über Fußball,
aber: Bücher über Fußball kann es nicht
genug geben. Außerdem kann man davon
ausgehen, dass die bisherigen vermutlich
zu 50 Prozent substanzlos, zu 70 Prozent
bierernst und zu 90 Prozent pottenhässlich
sind. Mit alledem räumt der Diplomand
Alexander Hermann gründlich auf und hat sich sichtlich lustbetont ein halbes
Jahr mit den beiden schönsten Dingen in seinem Leben beschäftigt: Fußball
und Grafik-Design. Und ebenso, wie im Fußball der Trend weg vom rustikalen
Blutgrätscher hin zu den Diegos und Riberys der Liga weist, besticht das Buch
mit sensibler Typografie statt fetten Lettern. Dass die klassischen Themen vom
Bundesligastadionbierpreisranking bis zu den schönsten Fußballersprüchen
(Paul Breitner: »Dann kam das Elfmeterschießen. Alle hatten die Hosen voll,
aber bei mir lief es ganz flüssig«) enthalten sind, versteht sich von selbst. Trotzdem ein Buch, das bei jedem Mann auf dem Gabentisch noch Platz hätte.
20 alexander H erman n – » s p i e l f ü h r e r « [ b u c h ü b e r d i e d eu t sch e fu ssb a llku lt u r ]
Eine Autogrammkarte durfte
natürlich auch nicht fehlen:
Die obligatorische Vokuhila
fand der Diplomand im
Karnevalsberdarf.
»Das Buch, das Sie soeben erworben oder
heruntergeladen haben, ist unvollständig.
Das Einzige, was es beinhaltet, ist sein Text,
der Kern eines jeden Buches. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten, wie dieses Buch nun
weitergestaltet werden kann. Ihr Ziel soll es
jetzt sein, Ihre eigene, selbstdesignte und
unverwechselbare Ausgabe dieses Buches
zu erschaffen: Gestalten Sie Einband oder
Umschlag, Überschriften, Illustrationen,
Vorsatzpapier etc. ...«
post@robinfrank.de
Mach’ mich fertig.
dh@dennishorstmann.com
Dennis’ Duft.
Weiße Bücher, mit Text zwar, aber ohne
»Die Verpackung macht die Musik«. In welcher
Bilder und nix mit bunt, dafür mit viel
Branche trifft das wohl mehr zu als bei Parfum und
»Platz für Ihre Notizen«. Platz für das
Pflegeprodukten. Häufig ist es allein das Erscheinungs-
ungebremste Ausleben kreativer Bedürf-
bild (und die dahinterstehende Marke), die das Preis-
nisse. Jeder gestaltet, sagt Robin Frank in
segment einer Kosmetikserie definiert. Kein Tummel-
seiner Diplomarbeit und ruft mit »editionamateur.de« eine Plattform ins Leben,
platz für NoNames, sollte man meinen. Dass Dennis
die – so stellt er sich vor – den Dialog zwischen professionellen und Freizeit-
Horstmann für sein »37° – BioLogic Perfume & Care«
designern befeuern soll. Dort sollen neben Grundzügen der Gestaltung und
dennoch auf eine ganz unglamouröse, strenge
Leer-Vorlagen von diversen Druckobjekten vor allem Diskussionsforen zu
Gestaltung setzt, weist er in umfangreichen Ziel-
finden sein. Und alle befruchten sich gegenseitig! Zum Rundgang zeigte er
gruppenanalysen nach. Eine weitere Idee seines
nackte Literatur zwischen leeren Buchdeckeln und rief mit Buntstiften und
Produkts: Basierend auf jeweils 5 Basisdüften haben die Benutzer und
Rubbelbuchstaben zu deren kreativer Inbesitznahme auf. Das umso buntere
Benutzerinnen die Möglichkeit, mit Aromaessenzen ihr individuelles,
Corporate Design seiner Initiative taucht dann in Form von Banderolen auf.
originäres Endprodukt zu variieren. Ein Gedanke, bei dem jedem Parfumeur
Weiß, pur, clean und klinisch: Im
Dschungel der glitzernden Flacons
traut man vielleicht gerade der extrem
reduzierten Gestaltung von »37°«
einiges Durchsetzungsvermögen zu.
wahrscheinlich die Nasenhaare zu Berge stehen, den Dennis Horstmann aber
als das (kundenorientierte) Alleinstellungsmerkmal entdeckt hat.
22 rob in f ran k – »amateu r d e s i g n – l i e b h a b e r u nd l a i e n « [ kommu n ik at ion spl at t f orm Design ]
de nni s horstm ann – »de r duft de s ne ue n« [ parfum - un d pf l eg es er i e ] 2 3
Design post mortem.
kat j a . m a c i o s z e k @ g m x . d e
Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die
Bestattungskultur dynamisch verändert. Aufgrund einer
mobilen und zunehmend säkularen Gesellschaft sind
die traditionellen Bestattungsmöglichkeiten für viele
Menschen nicht mehr attraktiv. Eine neue Vielfalt tritt
an die Stelle der immer gleichen Reihengräber. Eigene
Wünsche müssen dann aber auch zu Lebzeiten geäußert
werden, um den Angehörigen schwierige Entscheidungen
abzunehmen. Aufklärung tut also not. Katja Macioszek
schafft »FRIED|FALT« als Orientierungsmarke in der
Bestattungskultur. Kernmedium ihrer Arbeit ist ein wunderschön gestaltetes
Buch als Überblick über Möglichkeiten, Gesetzeslage, Kosten etc.. Höhepunkt
Die Anzeigen beziehen ihre Wirkung
aus den konzentriert unprätentiösen
Portraits, die Katja Macioszek mit
Bekannten als Modellen souverän
realisierte.
der Arbeit jedoch sind die überaus erfindungsreichen und zartgliedrigen SymbolIllustrationen für die vielfältigen Bestattungsmöglichkeiten.
k atj a Maci osze k – »fri e dfalt« [ m arke für i ndi vi due lle be stattun gsv o r s o rg e ] 2 5
Ein Blick in Manuela Sliwas Skizzenbuch
verrät etwas von dem Rechercheaufwand,
den sie (wie viele andere) bei ihrer Diplomarbeit geleistet hat.
Schlichte Eleganz.
m a n u e la . s l i wa @ w e b . d e
Für uns eine der ästhetischsten Arbeiten von allen: Ein Buchprojekt über
den Barock als literarische und künstlerische Stilepoche. Mit der Collagierung
filigranster Freisteller aus Gemälden Caravaggios etc. gelang Manuela Sliwa hier
ein ganz unverwechselbarer Illustrationsstil, der sich – gepaart mit
exzellenter Typografie – konsequent durch das ganze, wunderschöne
Buchobjekt zieht. Gedichte und Originaltexte des Barock werden
vorgestellt und darüber hinaus kenntnisreich kommentiert.
Neben der gestalterischen Leistung ein enormer Forschungsaufwand. Der Gedanke, das Buch nicht morgen bei
Amazon bestellen zu können, tat ziemlich weh!
26 Manu el a s li w a – » B aro cco u n d d i e A n gst« [ I l l u st r i ert er Ged ich t b a n d ]
Gute Idee:
Aus dem edel
mit strukturiertem
Papier bezogenen
Schuber steht das
Buch ein Stück heraus.
Eine zusätzliche Banderole
nennt den Titel.
Die Nacht ist Moskaus größte
Attraktion, scheinen Julia Siniaevas
Plakate zu sagen.
kala s c h n i k o wa @ g m x . d e
Mach’ rüber!
Trekkies in Bochum.
Erinnern Sie sich noch an Mathias Rust? Richtig, das war dieser deutsche
Ein Planetarium ist eine feine Sache. Man
Privatpilot, der am 28. Mai 1987 im Alter von 19 Jahren mit einer Cessna 172
glaubt ja gar nicht, was sich am nächtlichen
auf dem Busparkplatz des Roten Platz’ in Moskau landete. Er hatte dann aus-
Sternenhimmel so alles tut. Und außerdem
führlich Gelegenheit, eine der interessantesten russischen Sehenswürdigkeiten,
stellt er sich Monat für Monat auch wieder
das Lefortowo-Gefängnis zu besuchen. Julia Siniaeva hat sich nun andere
ganz anders dar. Um es »werbeterminologisch«
Attraktionen und eine etwas bequemere touristische Herangehensweise zum
auszudrücken sind Sternwarten allerdings eins
Thema Ihrer Diplomarbeit gemacht. »Sie kennen Zwiebeltürme nur aus der
ganz sicher nicht: »sexy«. Kati Engelhardt und
kat i . e n g e l h a r d t @ g o o g l e m a i l . d e • s y lv i ak u tz @ w e b . d e
Gemüseabteilung? Dann waren Sie noch
Sylvia Kutz sahen sich im »Jahr der Astronomie 2009« aufgerufen, dies gründlich
nie in Moskau.«, so wirbt sie mit lustigen
zu ändern. Für das Planetarium Bochum schufen sie als Gemeinschaftsarbeit
Sprüchen und magisch anmutenden Foto-
einen grafischen Auftritt aus schwarzen Flächen und grellbunten Illustrationen,
bearbeitungen vor blauem Fond für die
erfanden eine geheimcodeartige Typografie, dachten sich interessante Headlines
russische Fluglinie Aeroflot.
Die Überschriften der Veranstaltungsplakate des Planetariums
sollen neugierig machen auf das,
was sich im jeweiligen Zeitraum
am Sternenhimmel tatsächlich
entdecken lässt.
und werbewirksame Aktionen aus. Wenn also in
Bochum beim Kaufhof nächstes Jahr Weihnachten
die Heimteleskope ausverkauft sind, wundern Sie
sich nicht!
28 ju lia s i n i aeva – » f ro m ru ss i a w i t h lo v e « [ k a m pag n e fü r a eroflot ]
S ylvi a Kutz | K ati Enge lhardt – »Ei nm al Une ndli chke i t und zurück« [ Marke ti ng für da s Pl an eta r i um Bo c h um ] 2 9
Ein Blick in Manuela Sliwas Skizzenbuch
verrät etwas von dem Rechercheaufwand,
den sie (wie viele andere) bei ihrer Diplomarbeit geleistet hat.
Frieden ist weiblich.
thielemaja@googlemail.com
Maja Thiele macht in ihrer »stylishen« Rekrutierungs-Kampagne
für »mehr Frauen in die Bundeswehr« den Frieden zu etwas
Weiblichem. Eine Knarre haben ihre lässigen, khakigekleideten Models natürlich trotzdem in der Hand. Ob Soldaten (oder
Soldatinnen) tatsächlich Frieden statt Krieg bewirken können, wird hierzulande
poltisch kaum noch in Frage gestellt und insofern animiert Amazone Thiele
fröhlich die jungen, selbstbewussten Frauen ihrer Zielgruppe, die Bundeswehr
als das Hauptquartier von Friedensengeln zu sehen. Ästhetisch und kommunikationsstrategisch hat sie das auf der Höhe der Zeit
... oder »Männer haben
den Krieg erfunden, Frauen
werden ihn beenden« und
»Unser Horizont geht weiter,
als du schießen kannst«: Die
Sprüche, die Maja Thiele für
ihre Anzeigen und Plakate
fand, sind mit das Beste an
ihrer Kampagne.
getan und mit ihren suggestiven Visuals und witzigprovokanten Headlines aus der Abteilung »Geschlechterkampf« einen gänzlich unglamourösen Job zu etwas
höchst Erstrebenswertem stilisiert. Von uns eine
eiserne 1,0 mit Eichenlaub!
Auf Mega-Lightboards und in Frauenzeitschriften:
An diesen Motiven kommt niemand vorbei.
m a j a thi e le – »fri e de nse nge l« [ re kruti e run gs- k a mpag n e ] 3 1
Typografische Klarheit und optische
Verwirrspielchen: Katrin Panheys
Denkbuch macht Spaß.
Der Mensch muss denken ...
kat i . pa n h e y @ a r c o r . d e
... sagte schon der König Popo vom Reiche Pipi in Georg Büchners »Leonce und
Lena«. Der allerdings meinte, dass er deshalb für seine Untertanen mitdenken
müsse. Das traut Katrin Panhey den Menschen schon selber zu, bezweifelt aber
– zu Recht –, dass uns das immer so ganz bewusst ist. Ist ja auch gut so, sonst
würden wir ständig über das eigene Denken nachdenken und vergäßen
darüber das Tun. Frau Panhey hat sich dieses Themas auf
grafisch wunderbar klare Weise in ihrem anregenden Buch
»Denken Denken« angenommen. Quasi rein typografisch und
nur mit den Druckfarben Schwarz, Rot und Grün führt sie uns in
sechs Kapiteln am eigenen Leibe die Tücken der Wahrnehmung,
die Verarbeitung von Informationen, die Funktionen der Erinnerung etc. vor Augen. Herausgekommen ist ein spannendes Buchobjekt, dessen Lektüre die Gefahr birgt, weitere Denkprozesse in
Gang zu setzen.
Katrin Panhey nutzt ausführlich die Wirkung,
die grüne oder rote Folie auf die Wahrnehmung
darunterliegender Farbelemente hat.
32 K atrin pan h ey – » g eda nk e ns p i e l e « [ E n t w u r f e i ne s Bu ch es ü b er d en kprozesse ]
Die Illustrationen Julia Westhoffs
verbinden auf spielerische Art
gefundene Muster mit handgezeichneten Elementen.
j u l e w e s t h o ff @ g m x . d e
Wo ist mein Nabelchakra, wer
war Mahatma Gandhi, was tun
Arbeitselefanten, wer ist der Star
in Bollywood: Fragen, die auch
Kinder interessieren.
Inder für Kinder.
tv o n a e s c h @ y a h o o . d e
Es lebe die Illu.
»Hippocampus« ist ein Wissensmagazin für Kinder. Jede Ausgabe des Magazins
Tobias von Aesch ist Illustrator (jetzt auch diplomiert). Vor allem aber liebt
beschäftigt sich mit einem anderen Land der Erde. Die durchgestaltete Ausgabe
er Illustratoren. Bewundert, was sie tun. Weiß alles über sie. Läuft in die ein-
des Magazins beschäftigt sich z.B. mit Indien. Hippocampus möchte Basis-
schlägigen Galerien (die gibt es nicht nur in New York und London, sondern
wissen vermitteln, neugierig machen und zum selbstständigen Weiterbilden
sogar in Düsseldorf). Sammelt Bücher und Zeitschriften. Tobias von Aesch
animieren. Das Lernen mit Hippocampus soll Spaß machen, bunt und fröhlich
– so scheint es – hat einen Traum: Ein deutschsprachiges Magazin über
sein. Schwerpunkt von Julia Westhoff ist die Illustration
Illustration und Illustratoren. Und weil es das nicht gibt, hat er es sich
und so plant sie auch, dass die Zeitschrift ganz ohne Fotos
auskommen soll. Dadurch erhält das Heft einen spielerischen, kindlichen und handwerklichen Charakter.
Immer wieder gibt es Mitmach-, Ausprobier- und Bastelseiten. Hippocampus informiert über Naturwissenschaften,
einfach selber zum Diplom geschenkt. Es sind auch Illustrationen aus
eigener Feder darin, doch das ist nicht der Sinn der Sache. In erster Linie
huldigt er seinen Göttern, den Großen der Zunft (Anita Kunz, Norman Rockwell,
Vincent Hui etc.). Er kennt alle Themen, die ihn in einem solchen Magazin
selber interessieren würden und findet dafür layouterische Formen.
aber auch über historische, sprachliche und künstlerische
Die Szene ist ungeheuer vielfältig, der MeisterInnen gibt‘s genug. Man darf sicher sein, dass
Tobias von Aesch bereits wüsste, wie die nächsten
vier Jahrgänge zu füllen wären.
Themen sowie Popkultur, Küche, Religion etc.
Die Figur im Stil des „Dia de los Muertes“,
welche das Editorial der Nullnummer
ziert, steht für die Wiederauferstehung
der Illustration und stammt aus der
Feder des Diplomanden.
34 ju lia westh o ff – » h i p p o ca m p u s « [ w i sse n s m aga z i n fü r kin d er ]
tobi a s v on ae sch – »i llustrator‘s etc h « [ maga z i n ] 3 5
F o t o s : D e n i s P e r n at h
j o @ n u r e i n m a g az i n . d e
Mein Freund, der Fehler.
Ein Tisch mit einem »Fehler«. In der Mitte durchgesägt, schief wieder zusammengesetzt. Was soll das? Eine Schreinerarbeit? Eine Provokation? Das Essen
rutscht vom Teller, der Pingpongball kriegt unerhört Effet, aber zum Zeitunglesen taugt das Möbel! Die hoch philosophische Arbeit von Johannes von Gross
beschäftigt sich mit Normalität und Wahrnehmung. Seine These: Erst
wenn man sich mit Abweichungen von der Routine konfrontiert sieht,
findet eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen
statt. Denn erst ein Bruch, ein Fehler in der Norm führt zur bewussten
Reflexion. Umfangreiche Ideensammlungen, Notizen, Skizzen (links) hat
er dafür zusammengetragen, sich schließlich – quasi stellvertretend – für
die respektlose Umwidmung eines Tisches entschieden. Die entstehenden
Momente der Irritation sollen »keine Weltbilder verändern, sondern den
Betrachtern einen kurzen Blick auf die eigenen Sehgewohnheiten und
Nomalitätsbegriffe ermöglichen«. Eine tiefsinnige und ironische Arbeit,
Die verblüffenden Experimente mit einem seiner
Primärfunktion beraubten Tisch sind für Johannes
von Gross im Grunde nur die Verdinglichung eines
Gedankenspiels.
die die Grenzen des Grafik-Designs locker sprengt.
Mit zwei dreieckigen Seitenwänden aus
Plexiglas wird der Tisch sogar zum Aquarium.
johanne s v on gross – »strange fam i li ar« [ Ne w As pe cts of Con tempo r a ry L i f e ] 3 7
Das BfD
Es wird behauptet, dass wir in einer Informationsgesellschaft leben. Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamts („Statistisches Jahrbuch 2008“) besitzen 64,9 Prozent der deutschen Haushalte einen Internetanschluss, 62 Prozent dieser Zugänge werden
jeden Tag benutzt. In jedem Haushalt findet man durchschnittlich zwei Fernseher, die im Schnitt zwei Stunden pro Tag genutzt werden.
Tageszeitungen, Magazine und Infobroschüren geben uns zusätzlich Auskunft über all das, was um uns herum geschieht. Aber sind wir
deshalb auch gut informiert?
Zusammengeschnitten: Bei
einer Umfrage auf der Straße
gab’s fast 100% Zustimmung.
Unsere Kultur, vor allem die mit den Massenmedien verbundene, ist voll von Werbung, populistischer Stimmungsmache, Zensur und
Millionen anderer Formen der Desinformation und Manipulation. Verschiedene Formen der Desinformation sind so fest mit unserer
Kultur verwoben, dass sich aus ihnen sogar schon eigene Sparten, wie der Boulevard, entwickelt haben. Jeden Tag werden wir von
Desinformationen regelrecht überschwemmt und es ist uns kaum möglich, sie alle abzuwehren.
Die Desinformation ist also ein fester Teil unserer Kultur und nicht mehr aus selbiger zu tilgen.
Aber warum die Desinformation nur denen überlassen, die damit verdeckt manipulieren, ihre mitunter gesellschaftsschädigenden Ziele
durchsetzen und Profite schlagen wollen? Wir möchten mit unseren Aktionen, die als Medienexperimente anzusehen sind, aufzeigen,
wie einfach es ist, Desinformationen zu schaffen und zu verbreiten.
Darum gründeten wir das Büro für Desinformation, kurz BfD, eine Dachmarke, die den Aktionen einen theoretischen Unterbau
und einen Wiedererkennungswert gibt.
Diese bereits angesprochenen Aktionen können wie folgt aussehen:
Die erste Aktion: Wie Herr Rüttgers den Artikel 27 entdeckte
BILD-Zeitung: In Unterhosen
hatte man vor dem Landtag
Transparente geschwenkt.
Den Hauptteil unserer Arbeit widmeten wir unserem Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und dem Artikel 27 der Landesverfassung
NRW. Während Jürgen Rüttgers sicherlich jedem in Nordrhein-Westfalen ein Begriff ist, ist der Artikel 27 weitestgehend unbekannt.
Deswegen an dieser Stelle eine kleine Auffrischung in Verfassungskunde:
Artikel 27 der Landesverfassung NRW:
Rüttgers kuschelt: Ein Motiv, das es gar
nicht gibt für eine Kampagne, die auch
ohne ihn schon peinlich ist.
1. Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung
besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.
Alles Schwindel.
p o s t @ p e t r a - g e r la c h . d e
•
2. Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten.
fl o r i a n . m i r ba c h @ g m x . d e
Subversiv auf der gesamten medialen Klaviatur zu spielen,
Kuschelbock: Für die NRWKampagne umarmt Michael
Schumacher sein Motorrad.
öffentliche Meinung zu manipulieren, bekannten Prota-
Die offizielle Seite der Desinformation gingen wir in drei Schritten an:
gonisten eine beliebige politische Kampagne unter-
1. Vergangenheit: In der von uns kopierten und erweiterten Kampagne „WE LOVE THE NEW“ verkündet er, dass
im Land NRW schon immer ein starker Staat das Zusammenleben zwischen Mensch und Wirtschaft regelt.
zuschieben, ist nicht originär das Tätigkeitsfeld eines
Grafikdesigners. Aber umso mehr lohnendes Thema,
2. Gegenwart: Auf der von uns nachgebauten Internetseite des Ministerpräsidenten veröffentlichten wir selbstverfasste
neue Reden in denen er den Artikel ankündigt.
wenn es um die Erforschung von Mechanismen
medialer Kommunikation geht. Gestalterisch war für Petra Gerlach und
Florian Mirbach bei ihrem rotzfrechen Diplomprojekt kein Blumentopf
zu gewinnen, ging es doch immer »nur« um die täuschend echte Imitation
existierender Bildsprachen. Aber ansonsten gruben sich die Unterwanderer
Eingehackt: Selbstgetextete
Beiträge pro Artikel 27 auf
Rüttgers Website geschmuggelt.
mit Haut und Haaren in den Sumpf der Meinungsmache. Mit durchaus
3. Zukunft: 2009 ist Wahlkampfjahr und der Artikel 27 sollte Wahlkampfthema werden, deswegen produzierten wir
CDU Wahlkampfmittel, die wir an verschiedene Redaktionen verschickten, zusammen mit einem Beipackzettel, der
sie als Fehlsendungen auszeichnete und auf den Artikel 27 Bezug nahm.
Eine Desinformation braucht aber auch eine öffentliche Nachfrage, um zu einer Nachricht zu werden.
Hier gingen wir wie folgt vor:
1. Wir machten eine Videoumfrage zu Rüttgers angeblichen Plänen in der Schildergasse, schnitten das Ergebniss
so zusammen das fast alle für den Artikel 27 waren und stellten das Video als WDR Beitrag getarnt ins Netz.
respektablem Mut zum juristischen Risiko führt ihr zu diesem Zweck
gegründetes »Büro für Desinformation« vor, wie man sich mit gezielten
2. Und zuletzt gründeten wir eine neue Bürgerbewegung unter dem Namen „pro Artikel 27“, die sich, nach dem
Erscheinen von Rüttgers erster Rede für den Artikel 27, mit einer spektakulären Aktion vor dem Landtag
präsentierte.
Falschmeldungen Volkes Wille »erarbeiten« kann.
38 P e t r a G e r l ach | F loria n Mirb ach – »Da s Bü ro fü r Desin f ormat ion «
[ K o n z e p t i o n, En t w u rf u n d A u sfü h ru n g ein er Bew egu n g fü r med ia le Irritati on ]
Unser Anfang November gefasster Plan war, Jürgen Rüttgers zu unterstellen, dass er den Artikel 27 in der Zeit der Wirtschaftskrise
wieder zum Einsatz bringen möchte. Schließlich präsentiert sich Herr Rüttgers immer wieder gerne als „Herz-Jesu-Christdemokrat“
und Arbeiterführer. Das waren die beiden Zutaten für die erste große Aktion des BfD. Ein recht sozialistischer, unbekannter Artikel in
der Verfassung und ein sich sozial gebärdender, konservativ-liberaler Ministerpräsident. Um eine solche Desinformation zu platzieren
muss man auf breiter Ebene vorgehen.
Bürgerwille: Auf einer eigenen
Website ruft »ein Verein« zur
Anwendung des Artikel 27 auf.
Wir hatten gerade begonnen, unsere Materialien nach und nach zu veröffentlichen, als unser „WE LOVE THE NEW TOGETHER“ Plakat
von der Bildzeitung enttarnt wurde. Nicht etwa, weil es nicht gut genug war, sondern weil es so gut war, dass die Bildzeitung beim
Pressesprecher des Wirtschaftsministeriums anrief, um den Namen des Bauarbeiters zu erfahren, da er der Aufhänger für ihren
Artikel sein sollte. So kam es dann zu einer Unterlassungsklage und das Experiment wurde abgebrochen. Doch das BfD plant schon
die nächste Aktion ...
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Grundlagen III:
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Der Walzentrommler erscheint zu nicht vorhersehbaren Terminen vier Mal im Jahr.