Different Roots – Common Routes

Transcription

Different Roots – Common Routes
Jugendkultur- und Medienarbeit für kulturelle Vielfalt
One Love
DVD
Siehe DATA\SONGS
und Musikvideo auf
beiliegender DVD
(Different Roots – Common Routes)
We introduce Different Roots Common Routes baby
Wir haben nicht dieselben Wurzeln doch alle dieses eine Ziel
Durch das Mic die Meinung sagen, guck wie ich mit Reimen spiel’
Musica l’amore che c’i accompagna e connette
È un amore che c’i da forza ed é con noi sempre
Es una vida llena de amor, pero sin piedad,
Hago lo que puedo de colonia hasta granaž
Aqui represento Los Rockeros del Rap,
Lo que llevo dentro es to realidad
Hepimiz aynıyız hepimiz insanız
Music and Love bizim hayatımız
Wir sind gekommen um zu rocken und die Welt zu Retten (one love, one world, one aim)
Wir bringen frischen Wind, weil jeder von uns anders klingt (one dream, one team, just we)
Die Wurzeln sind verschieden, doch wir haben dieselben Ziele (one love, one world, one aim)
Es gibt nur eine Welt, es gibt nur eine Liebe (one dream, one team, just we)
On n’est pas du même pays on n’a pas les mêmes racines
On vous parle de nos vies la musique nous réunit
Und ich fühl die Melodie wie ’ne Stimme in meinem Kopf,
One life, one love, one mic – unplug
Dreaming of a world without guns and wars just freedom
Try to achieve this aim by rapping singing all together
Wanna show you love wanna put you into our life
You will always be welcome in the world of open hearts
We’ve come to show you what we got ’n to open up our heart (one love, one world, one aim)
We a breath of fresh air yet we take your breath away (one dream, one team, just we)
Different cultures, different roots, work the magic in the booth (one love, one world, one aim)
We ain‘t all the same but we got one aim (one dream, one team, just we)
Hepimiz aynıyız hepimiz insanız
Music and Love bizim hayatımız
Jeder kommt mit Seele und er weiß wo das Ziel ist
One Love und das Fighten um Realness
Wo der Hass in den Menschen für die meisten zu viel ist
Bringen wir Hoffnung mit Cyphern in den Zeiten des Krieges
When I was young, I was in trouble
I didn‘t know my routes/roots
But now I see it makes no difference
And I know what to do
Wir sind gekommen (one love, one world, one aim)
Um Euch zu rocken (one dream, one team, just we)
Minna isshoni (one love, one world, one aim)
Gambarou (one dream, one team, just we)
(Text & Musik: Maurice „Reez“ Moises, Piera Montenera, Falko Schönian,
Tugba Yılmaz, Johannes „J-JD“ da Costa, Marc „Mavys“ Villareal,
Olivia „Livi“ Sawano, Markus „Be“ Brachtendorf)
© 2006 alle AutorInnen und JFC Medienzentrum Köln
Grußwort
Wir leben in einer Gesellschaft, die zunehmend durch
Globalisierung und Multikulturalität geprägt ist. Das
Miteinander unterschiedlichster Kulturen und die
gesellschaftliche Vielfalt eröffnen Chancen für alle
Menschen, die dieser Gemeinschaft angehören:
Austausch von Erfahrungen, Einblicke und neue Perspektiven sowie ein gegenseitiges voneinander Lernen.
Leider geht das Zusammenleben unterschiedlicher
Kulturen nicht immer ohne Probleme, nicht immer
friedlich vonstatten. Vorurteile gegenüber Menschen
anderer Herkunft, Unkenntnis und gegenseitige
Berührungsängste, die manchmal in Diskriminierung
und fremdenfeindlicher Gewalt gipfeln, behindern die
Integration. Für eine erfolgreiche Integration braucht es
Offenheit, Annäherung und Verständigung. Kinder und
Jugendliche als Mitgestalter unserer Gesellschaft nehmen
hier eine wichtige Rolle ein.
In diesem Sinne freue ich mich, Ihnen die Broschüre
„Different Roots – Common Routes“ und das zugrundeliegende Projekt als Anregung und Arbeitshilfe für die
Jugendarbeit vorstellen zu können. 26 Jugendliche aus
15 Nationen haben im Rahmen des Workshops ihre
Vorstellungen und Träume von einem multikulturellen
Miteinander musikalisch umgesetzt, haben selbst Musik
komponiert und ihre Gedanken multilingual in Worte
gefasst. Musik ist in besonderer Weise geeignet, kulturelle
Brücken zu schlagen und ein Zeichen zu setzen. Insofern
sind die Musikprojekte, die Ihnen in der Broschüre
vorgestellt werden nicht bloß musikalisches Experiment,
sondern auch Teil der sozialen, kulturellen und
politischen Jugendbildung.
Die Begegnung von Jugendlichen im Rahmen von
„Different Roots – Common Routes“ überzeugt als
gelungenes Beispiel für interkulturelle Pädagogik, die
Austausch und Annäherung ermöglicht, um Distanz
und Diskriminierung zu überwinden. Das Zusammenleben
in einer zunehmend vielfältigeren und globalen Welt
braucht den Zusammenhalt in der eigenen Gesellschaft
ebenso wie die Bereitschaft zur kulturellen Öffnung.
Erst in der gegenseitigen Anerkennung entfaltet das
Potenzial unserer vielfältigen Gesellschaft seine wirkliche
Stärke. Die Projekte vermitteln diese Werte. Und vor
allem werden neue Sichtweisen musikalisch unmittelbar
umgesetzt. Jugendliche brauchen solche Erfahrungen.
„Eine Liebe, eine Welt, ein Ziel“ – davon sind wir in der
Realität weit entfernt. Desto mehr brauchen wir diese
Träume einer Generation, die an der Schwelle zur eigenen
Identitätsfindung und damit auch zur Mitgestaltung
der Gesellschaft steht.
Als Minister für Jugend und Integration begrüße und
unterstütze ich diese kreative und innovative Aktion
gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und wünsche
Ihnen eine interessante Lektüre, die als gleichsam
theoretische wie auch praktische Arbeitshilfe hoffentlich
die Lust zur Nachahmung anregt.
Meine Empfehlung: Lassen Sie sich einfach durch das
beigefügte Hörbeispiel inspirieren.
Armin Laschet
Minister für Generationen, Familie,
Frauen und Integration
des Landes Nordrhein-Westfalen
Intro | 03
Einführung
In den letzten Tagen des Jahres 2006 wurde in Köln unter der
programmatischen Überschrift „Different Roots – Common Routes“
ein Modellprojekt mit Musik-, Tanz- und Medienworkshops durchgeführt. Die beteiligten Jugendlichen mit „Roots“ in 15 Nationen
erarbeiteten unter professioneller Anleitung in vier Tagen Songs,
Choreographien, Videos und Live-Visuals. Die nun vorliegende
Broschüre mit DVD vermittelt einen konkreten Eindruck aus dieser
intensiven Arbeit. Zugleich und vor allem soll sie Anregung und
konkrete Hilfestellung für die Realisierung eigener Angebote bieten.
Jugendkultur ist lokal verwurzelt und global vermittelt. Jugendkultur ist gelebter Alltag, zum Ausdruck gebrachte Rebellion und
häufig auch weltumspannendes Geschäft. Jugendkulturen stiften
Identität. Jugendkulturen markieren Trennungslinien und führen
zusammen. Die Vielfalt der Jugendkulturen entspricht der Vielfalt
der Lebensstile – lokal und global. Moderne Jugendkulturen
sind dabei ohne Medien nicht denkbar. Medien bieten Informationen
und Orientierungsmuster, vermitteln kulturelle Ausdrucksformen aus aller Welt und eröffnen unzählige Gestaltungs- und
Kommunikationsmöglichkeiten. Medienvorlieben, verbunden mit
jugendkultureller Zuordnung und Gestaltung, sind ein wichtiger
Sozialisationsfaktor.
In der Großstadt mit ihren vielfältigen Ressourcen an Lebenswelten und Medienbildern erhält das bunte Kaleidoskop der
Jugendszenen ganz besondere Intensität durch urbane Dichte und
Vielfalt. In den Städten leben überproportional viele junge Menschen
mit Migrationshintergrund. Und ihr Anteil steigt. Jugendliche mit
Migrationshintergrund lernen im günstigen Fall, ihre vielfältigen
Ressourcen als hilfreiche Optionen zu nutzen; leider noch zu oft
erleben sie ihre Herkunft auch als Beschränkung. Das JFC Medienzentrum möchte mit seinen Urban-Culture-Projekten und mit
dieser Broschüre einen Beitrag zur Förderung von Anerkennung,
Kommunikation, Integration und interkulturellem Miteinander
leisten.
Die vorliegende Broschüre hat drei Teile:
1. Im Theorieteil wurden Hintergrundartikel zusammengestellt, die
Urban Culture aus verschiedenen Blickrichtungen beleuchten und
so Grundlagenwissen für Neulinge in der jugendkulturellen Projektarbeit liefern – und sicher die eine oder andere neue Perspektive
auch für „alte Hasen“. Die Themen reichen von einer Einführung in
die HipHop-Kultur über Urban Culture in Bildungsarbeit und antirassistischer Pädagogik bis hin zur Geschichte und Entwicklung
von HipHop in den USA und in Deutschland.
2. Im Best-Practice-Teil findet sich eine Sammlung von nordrheinwestfälischen und internationalen Urban-Culture-Projekten, die
die Bandbreite möglicher Ansätze darstellen soll, die Chancen
und Herausforderungen skizziert und Lust auf eigene Projekte im
Bereich urbaner Jugendkulturen machen soll.
Impressum
Herausgeber:
JFC Medienzentrum Köln
Hansaring 84-86, 50670 Köln
Fon: (0221) 130 56 15-0, Fax: (0221) 130 56 15-99
www.jfc.info, info@jfc.info
3. Die „How to dos“ für Aktivitäten im Praxisteil können die
eigenen Überlegungen und Planungen unterstützen: Wie erreiche
und fördere ich welche Jugendlichen, welche Kompetenzen und
Ressourcen habe ich in meiner Einrichtung, welche Unterstützung
muss ich mir von außen holen?
Der Text wird multimedial ergänzt durch die beiliegende DVD:
Die Videodokumentation des Modellprojekts mit zahlreichen
Dozenteninterviews unterfüttert den Praxisteil mit Bild und Ton,
und natürlich darf auch das Ergebnis-Musikvideo „One Love
(Different Roots – Common Routes)“ nicht fehlen. Weitere Videodokumentationen und Musikvideos ebenso wie die Fotos und
MP3-Songs im Datenteil der DVD ergänzen die Beschreibungen
der Best-Practice-Projekte. Die komplette Broschüre liegt im
Datenteil als PDF-Datei vor.
Es ist unser Anliegen, mit Broschüre und DVD Ermutigung und
(medien-)pädagogische Unterstützung zu bieten sowie vorbildliche
Projekte und Akteure miteinander zu vernetzen. Dabei ist Urban
Culture immer weniger nur auf Großstädte beschränkt: In Zeiten
umfassender medialer Kommunikation und Information, mit
Angeboten wie myspace.com, wikipedia.de und youtube.com, ist der
ländliche Raum zunehmend und immer schneller an die kulturellen
Prozesse in den Zentren angedockt. Viele der hier versammelten
Projektideen und pädagogischen Ansätze lassen sich daher auch
für strukturschwächere Regionen adaptieren.
Nutzen wir als Pädagogen und Pädagoginnen also die Potenziale
urbaner Jugendkulturen für die gezielte Förderung Jugendlicher
und die Erschließung individueller Perspektiven. Und verstehen wir
kulturelle Vielfalt in urbanen Strukturen als Ausgangspunkt und
konkrete Chance für neue kulturelle Ausdrucksformen ebenso wie
für (inter-)kulturellen Austausch und die Überwindung kommunikativer Schranken.
Dr. Eva Bürgermeister
JFC Medienzentrum
Lektorat: Anne Bott, Sebastian Menzel
Different Roots – Common Routes ist ein Projekt des JFC Medienzentrums
Köln in Kooperation mit der Jugendförderung Solingen und wird gefördert
vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des
Landes Nordrhein-Westfalen. Die Druckkosten für diese Broschüre wurden
von der Stadt Solingen übernommen.
In Kooperation mit der Jugendförderung Solingen,
www.solingen.de/jugend
Redaktion: Sascha Düx, duex@jfc.info
Umschlaggestaltung und Logo: Aileen Wessely
Layout: Klaus Jettkant, Aileen Wessely und Dirk Unger
DVD-Authoring: Dirk Unger
04 | Einführung
gefördert vom:
Inhalt
Intro
Songtext „One Love“ .................................................................... 2
Grußwort ...................................................................................... 3
sCOOL HITs — Popmusik und Kreativität, die Schule macht
Markus Brachtendorf ..................................................................... 34
Von BandWatch und MusicWatch zu popUP NRW
Renato Liermann ........................................................................... 36
Einführung .................................................................................... 4
Impressum .................................................................................... 4
Das HipHopMobil — unterwegs für Respekt und Toleranz
Uwe Ihlau ...................................................................................... 38
Theorie
Connect HipHop!
Gabi Deeg .................................................................................... 40
HipHop: Popkultur und Lebensstil
Gabriele Klein ................................................................................. 8
HipHop Intelligence
Tim Weedon ................................................................................... 11
Von Köln bis Barcelona: Das HipHop-Netzwerk Nippes
Sascha Düx ................................................................................... 42
How to do
Urban Culture und Pädagogik
Sascha Düx ..................................................................................... 12
Organisation von Urban-Culture-Projekten
Sascha Düx, Andreas Kern und Lisette Reuter ................................. 45
Eine kurze Geschichte des HipHop in Deutschland
Hubert Minkenberg ......................................................................... 15
Musikvideos selbstgedreht
Lisette Reuter ................................................................................ 48
Best Practice
Videodokumentation
Lisette Reuter und Sascha Düx ......................................................... 51
Interkulturelle Medienarbeit im JFC Medienzentrum
Eva Bürgermeister ........................................................................... 18
Bluescreen
Kerstin Venne ................................................................................ 54
Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums
Von Roots&Routes bis Different Roots — Common Routes
Sascha Düx und Andreas Kern ......................................................... 19
VJing
Marcel Panne ................................................................................. 55
Roots&Routes — Unterricht in Urban Culture
Bart Suèr ....................................................................................... 23
B-boying/Breakdance-Workshops
Youngung Sebastian Kim (Jaekwon) ................................................. 56
Trying Babylon — ein jugendkulturelles Musiktheater
Jürgen Beu ..................................................................................... 26
Breakdance- und Streetdanceworkshops
Jannina Alexa Gall ......................................................................... 58
MittwochsMaler — das Kölner Graffiti-Jugendkunstprojekt
Maurice Kusber ............................................................................. 28
Musikworkshops
Sascha Düx ................................................................................... 60
Mädchenprojekte der Offenen Jazz Haus Schule
Rainer Linke und Gabi Deeg ........................................................... 30
Equipment für die Musikproduktion
Markus Brachtendorf ..................................................................... 66
pop@rena — Musikvideos für’s WWW
Lisette Reuter ................................................................................ 32
DVD
DVD-Inhalt ................................................................................. 67
Projektleitung Modellprojekt: Lisette Reuter und Sascha Düx
Dozenten Modellprojekt: Markus „Be“ Brachtendorf, Xaver Fischer,
Frank Jilly, Youngung Sebastian Kim (Jaekwon), Marcel Panne (VJ Sehvermögen),
Olivia Sawano, Jörg Schürmann, Marc „Mavys“ Villareal
Dokumentation Modellprojekt: Thomas Hartmann (Foto),
Sebastian Menzel (Videoschnitt),
Lisette Reuter, Tristan Sommer und Kerstin Venne (Video)
Bildnachweis:
dobromedia: S. 8 u., 12 o., 6–22, 33 o., 46 u., 50, 51 u., 52, 58, 59 o., 61–62, 64 u., 65 o.;
HipHopMobil: S. 38, 39; JFC Medienzentrum Köln (u.a. Thomas Hartmann,
Daniela Rohlf, Sarah Ertelt, Katja Striethörster und Lisette Reuter): S. 6, 7 u.,
8 o., 9–11, 12 u., 13–15, 32, 33 u., 34 u., 35 l., 42–45, 46 o., 47–49, 51 o., 53–57, 59 u.,
60, 63, 64 o., 65 u., 66; Jugendförderung Solingen: 26–27;
Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW: 3;
Offene Jazz Haus Schule, transparent: S. 30–31, 40–41; Mittwochsmaler: S.
28–29; MusicWatch/popUP NRW: S. 36–37;
Roots&Routes Niederlande: S. 23–25; sCOOL HITs: S. 34 o., 35 r.;
Für Unterstützung danken wir der Stadt Solingen, der Rochus-Musikschule
Köln-Bickendorf, dem Sommertheater Pusteblume, dem Musicstore Köln,
der Akademie Deutsche POP Köln, der OT Luckys Haus und dem SKM Köln.
Besonderer Dank gilt Salvatore Chianta, Angelika Ingendaay, Florian Mimm,
Werner Reuter und allen AutorInnen dieser Arbeitshilfe.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung
von Redaktion und Herausgeber wieder.
Erschienen in Köln im April 2007 (Eigenverlag).
Intro | 05
HipHop:
Popkultur und Lebensstil
Gabriele Klein
„Anders als alle
Popkulturen zuvor
hat HipHop Text,
Musik, Tanz und
Bild miteinander
vereint“
HipHop ist die wohl langlebigste Kultur in der Geschichte
des Pop. Keine andere ästhetische Jugendkultur, ob
Rock’n’Roll, Punk oder Techno, hat es bislang geschafft,
über mehr als zwanzig Jahre wegweisend zu sein und in
Musik und Tanz, Text und Bild ästhetische Innovationen
hervorzubringen.
HipHop ist eine Sammelbezeichnung für eine auf afrikanische Kulturtradition zurückgehende, in den schwarzen
Ghettos der USA entstandene, mittlerweile globalisierte
und weltweit vermarktete Jugend- und Popkultur. Sie ist
eine hybride Kulturpraxis, die sich aus vier verschiedenen
ästhetischen Medien zusammensetzt: Rap (Text), DJing
(Musik), Breakdance (Tanz) und Graffiti (Bild). HipHop
meint sowohl eine kulturelle Praxis als auch Lebensstile
und Weltanschauungen, die sich um Rap, Breakdance,
DJing und Graffiti gebildet haben. Ähnlich wie andere
schwarze Kulturpraktiken (z.B. Capoeira), aber anders
als alle Popkulturen zuvor hat HipHop Text, Musik,
Tanz und Bild miteinander vereint.
06 | HipHop: Popkultur und Lebensstil
HipHop History
Historischer Ausgangspunkt des HipHop sind die Urban
Dance Parties der 1970er Jahre in New York City, bei denen DJs
über ihre herkömmliche Rolle als Plattenaufleger hinauswachsen und selbst Musik produzieren, indem sie Platten
manuell bewegen und mit Hilfe mehrerer Plattenspieler
verschiedene Sounds ineinander mixen. Auf diese Weise
gelingt es ihnen, die Musik zu verfremden, die instrumentalen Phasen der Stücke zu verlängern und der
Musik die individuelle Note des DJ zu verleihen. Die neuen
DJ-Techniken des scratching und mixing provozieren mit
Breakdance einen spezifischen Tanzstil, der gekennzeichnet
ist durch den permanenten Wechsel von simultanen
und sukzessiven Bewegungen. Die Tanztechniken des
Locking und Popping und die akrobatischen Power Moves
machen den Tanz zu einem sportiven und rasanten
Spiel mit Körperzentren und -achsen. Zu ihnen gesellt
sich der MC (Master of Ceremony), der die Tänzer über
Sprecheinlagen zum Weitermachen motiviert. Als Rap
entwickelt sich diese Animationstechnik zu einer eigenständigen kulturellen Praxis.
Das Rapping selbstgereimter Verse steht in der Tradition
des für westafrikanische Kulturen charakteristischen
Umgangs mit Rhythmen und Tonsprachen, die in den
schwarzen Ghettos Nord-Amerikas eine eigene Grammatik gefunden haben und von der performanceorientierten Poesie des Black Arts Movement der 1960er
und 1970er Jahre ästhetisiert worden sind. Rap ist ein
Sprachspiel voller ironischer Übertreibungen, Wortspiele
und Slang-Fragmente, bei dem nicht nur rhythmisch
gesprochen, sondern auch mit Tempo, Tonhöhe und
Klangfarbe gespielt wird. Rapping findet zunächst nur
auf der Straße statt, wird dort aber bald akustisch
verstärkt durch den tragbaren Kassettenrecorder, die
Boombox. Zu diesen informellen, spontanen öffentlichen
Darbietungen gesellt sich der Breakdancer, der das den
Text zerlegende Sprachspiel des Rappers auf den Körper
überträgt.
Etwa zeitgleich mit den neuen Sprach-, Musik- und
Tanztechniken entsteht, ebenfalls ausgehend von New
York City, die Bildtechnik des Graffiti. Mit der illegalen
Kulturpraxis beginnen die jugendlichen Writer, sich den
öffentlichen Raum symbolisch anzueignen. Aus der
anfänglichen Beschriftung mit Namenszeichen (Tags)
entwickeln sich dreidimensional gestaltete Schriftzüge
und Bilder, die sogenannten Pieces, die Anfang der 1980er
Jahre Eingang in den avantgardistischen Kunstdiskurs und
mittlerweile auch als legitimierte Kunstpraxis in Museen
gefunden haben. Für Jugendliche ist Graffiti als Maltechnik
vor allem an nächtliche illegale Aktionen gebunden, in
denen sie ihr Dasein sichtbar machen können innerhalb
anonymisierter Stadtlandschaften. Sie verstehen Graffiti
als szenespezifischen Sprachcode, der wie ein Kommunikationsnetz die Stadt durchzieht.
Wie Graffiti in die bildende Kunst Eingang findet,
etabliert sich derzeit Breakdance in der zeitgenössischen
Tanzkunst. Breakdance führt die Tradition des afroamerikanischen Tanzes weiter und multipliziert dessen
Elemente, Polyrhythmik und Polyzentrik. Indem er Achsen
und Zentren überall im Körper vorstellbar macht, bricht
er radikal mit der Tradition des europäischen Tanzes.
Zugleich revolutioniert Breakdance den ebenfalls aus
der afroamerikanischen Tanztradition stammenden
Rock’n’Roll und dekontextualisiert den nur auf ein
Zentrum aufbauenden Körperbegriff des populären
Tanzes. Hatte schon Rock’n’Roll durch seine rasanten
Rollfiguren die Vertikale im Körper überwunden und
mit den drei Achsen des Körpers gespielt, so radikalisiert
Breakdance diese Entwicklung – im Headspin dreht sich
nicht nur der Tänzer auf dem Kopf, diese Figur ist auch
eine Metapher für einen Paradigmenwechsel im Körperkonzept der westlichen Tanzmoderne. Indem der Breakdance überall im Körper Achsen und Zentren vorstellbar
macht, eröffnet er ganz neue Spielräume für bis dahin
unvorstellbare Körper-Figuren. Nicht nur deshalb arbeiten
Choreographen wie der ‘Dekonstruktivist’ unter den
modernen Ballett-Choreographen, William Forsythe,
mit Breakdancern.
HipHop zwischen Lokalität
und Globalität
Die Anfänge des HipHop liegen zu Beginn der 1970er
Jahre in der New Yorker Bronx, als musikalische Vorläufer
gelten Ska, Reggae, Gospel und Soul. HipHop verbreitete
sich zunächst an der Ost- und Westküste US-Amerikas,
fand aber seit Mitte der 1980er Jahre eine schnelle Verbreitung durch die Popmusikindustrie vor allem in Europa,
Asien und Lateinamerika und konnte sich über diese
Kommerzialisierung der Rap-Musik zu einer der stärksten
und langlebigsten Popkulturen entwickeln. Trotz der
weltweiten Vermarktung der Musik blieb Hip-Hop aber
immer auch eine Subkultur, die sich in den Nischen urbaner
Räume herausbildete.
Mit seiner globalen Verbreitung seit den 1980er Jahren
erfuhr HipHop eine Anzahl von Dekontextualisierungsschüben: der schwarze Hip-Hop US-Amerikas etablierte
sich in Europa zunächst als Kopie US-amerikanischer
Stile, verankerte sich aber auch hier zunächst vor allem
in ethnischen Minderheitenkulturen (so bei algerischen
Jugendlichen in Paris oder bei türkischen Jugendlichen
in Berlin). Die Rap-Texte veränderten sich entsprechend
der sozialen Situation und passten sich auch hinsichtlich des sprachlichen Gestus den jeweiligen kulturellen
Kontexten an. Wurden beispielsweise in Deutschland
zunächst US-amerikanische Rapstile kopiert und die
Texte in englischer Sprache vorgetragen, so wird in
Deutschland mittlerweile fast nur noch in deutscher
oder auch in türkischer Sprache gerappt. Ähnlich
veränderten sich im Zuge neuer kultureller Kontexte
die Bildästhetik des Graffiti und die Tanzfiguren des
Breakdance.
Prof. Dr. Gabriele Klein
Professorin für Soziologie mit den Schwerpunkten
Bewegung, Sport und Tanz an der Universität
Hamburg; Direktorin des Instituts für urbane
Bewegungskulturen; Leitung des postgradualen
Studiengangs Performance Studies. Buchveröffentlichungen (Auswahl): Is this real? Die Kultur
des HipHop (2003; mit Malte Friedrich); Electronic
Vibration. Pop Kultur Theorie (2004); Tanz
Bild Medien (Hg. 2000); Bewegung. Sozial- und
kulturwissenschaftliche Konzepte (Hg., 2004);
Stadt. Szenen. Theoretische Positionen und
künstlerische Produktionen (Hg., 2005).
Kontakt:
www1.uni-hamburg.de/gklein
HipHop lässt sich heute als eine Jugend- und Popkultur
charakterisieren, die sich im Spannungsfeld von Globalität und Lokalität entfaltet. Der durch Kulturindustrien
bedingten Globalisierung und Kommerzialisierung von
Popkultur steht die Bildung kleiner voneinander unterscheidbarer lokaler Einheiten und lokaler Identitäten
gegenüber. Aber wie diese symbolisiert auch HipHop
die für die Konstitution von Popkulturen seit den 1960er
Jahren so typische Kommerzialisierung, die sich über
eine Absorbierung schwarzer Musik- und Tanzstile durch
kulturindustrielle Vermarktungsstrategien vollzieht. HipHop
ist von daher auch ein Beispiel für eine hybride Kulturpraxis, bei der sich US-amerikanische und europäische
Traditionen, Elemente von schwarzer und weißer
Kultur vermischen und in verschiedenen lokalen
Räumen eine sehr spezifische Ausformung gefunden
haben.
HipHop als urbane Kultur
und Lebensstil
HipHop ist eine urbane Kultur, die sich vor allem in den
städtischen Metropolen herausgebildet hat. Die ästhetischen Impulse und die Arten der Körperverwendung
sind eine Antwort auf die Erfahrungen urbanen Lebens in
postindustriellen Gesellschaften. Zugleich thematisiert
und inszeniert HipHop wie keine andere zeitgenössische
„HipHop ist eine
urbane Kultur,
die sich vor allem
in den städtischen
Metropolen herausgebildet hat“
Theorie | 07
„Live-Performances
bei Jams und Battles
sind die zentrale
theatrale Inszenierungsform des
HipHop“
Jugendkultur Ethnizität als einen
zentralen Bestandteil kultureller
Praxis. HipHop ist vor allem
eine Jugend- und Popkultur
von MigrantInnen – und hierin
unterscheidet sie sich wesentlich von der Techno-Szene.
HipHop ist der Prototyp einer
wertkonservativen, männlich
strukturierten, traditionellen
Ver gemeinschaf tungsfor m.
Respekt vor Tradition und
Autoritäten, Leistung, Fairness
und Männlichkeit prägen den
Wertekanon des HipHop.
HipHop ist eine theatrale Kultur,
sie wird aufgeführt: Begrüßungen,
Respektbekundungen, Interaktionsrituale bis hin zum
Nichts-Tun werden inszeniert.
In den Aufführungen aktualisiert sich die Weltsicht der
Szenemitglieder, nach der ‘echter’ HipHop nicht kategorial
beschrieben, sondern nur gefühlt werden könne. Die
Aufführungen dienen der Essentialisierung des Lebensgefühls HipHop.
Live-Performances bei Jams und Battles (Vortragen
eines Rap-Stückes, eine Tanzeinlage oder das DJing)
sind die zentrale theatrale Inszenierungsform des HipHop: Sie bieten dem einzelnen HipHop-Aktivisten die
Möglichkeit, sich selbst in Szene zu setzen; ist doch,
anders als bei anderen Popkulturen, der soziale Status
eines HipHop-Aktivisten das Ergebnis seiner szenespezifischen Aktivitäten und ‘Leistungen’. HipHop ist ‘real’,
wenn er gelebt wird – und das heißt in der HipHop-Szene
auch immer, etwas in den Feldern des HipHop (Graffiti,
Breakdance, Rap, DJing) zu tun. In einem permanenten
Wettbewerb gilt es, durch einen individuellen Stil („Style“)
und ein hohes Niveau („Skills“) Anerkennung zu erhalten.
Im Unterschied zur medialen Performance der Videoclips wird in der Life-Performance körperlich-sinnlich
erfahrbar, was HipHop ist: Eine Kultur, die sich im
Spannungsfeld von Globalisierung und Lokalisierung,
von Kommerz und Subkultur, von Mainstream und
Avantgarde erfolgreich immer wieder aktualisiert hat.
Tim Weedon
Jahrgang 1969, geboren in
Washington, DC, wuchs in
den 70er Jahren mit den
Anfängen der HipHopKultur auf. Er studierte
Business Administration
an der American University
Washington, arbeitete als
A&R für Sony und als
Manager für HipHopKünstler in den USA und
Schweden. In Stockholm
gründete er die Modern
Soul Academy. Seit 2006
absolviert er ein Masterstudium der Erziehungswissenschaften in
Manchester.
Kontakt:
www.soulacademy.com
tim@soulacademy.com
Literatur:
Gabriele Klein/Malte Friedrich: Ist this real? Die Kultur des HipHop, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2003.
08 | HipHop: Popkultur und Lebensstil
HipHop Intelligence
Tim Weedon*
Missverständnisse:
Was ist HipHop für Jugendliche heute?
Der heutige HipHop ist in der öffentlichen Wahrnehmung
vor allem durch ein mediales Negativ-Image präsent,
das als gewalttätig, sexistisch und materialistisch
charakterisiert werden kann. Dieses sehr eingeschränkte
Bild von HipHop-Musik und -Kultur wird immer weiter
fortgeschrieben von zahlreichen heutigen Rappern und
Plattenfirmen, die soziale Verantwortung dem finanziellen
Erfolg unterordnen. So entsteht – vermittelt durch die
Massenmedien – ein falsches, illusionäres Bild von HipHopKultur. Medien- und Musikindustrie porträtieren,
zelebrieren und glorifizieren gerade diejenigen Lebensaspekte,
von denen die Pioniere des HipHop sich und ihre
Communities befreien wollten.
Gegenüber der medialen Dauerthematisierung negativer
Aspekte der HipHop-Kultur finden ihre kreativen Potenziale und ursprünglichen Prinzipien von Unity, Respekt
und Lehren/Lernen kaum Erwähnung. Massenmedialen
Negativdarstellungen zum Trotz definieren Jugendliche,
die in der Szene aktiv sind, HipHop mehrheitlich als
Engagement in einer Gemeinschaft; als Kultur, in der
Gefühle, Ideen und Überzeugungen ausgedrückt werden
können, ohne Angst oder schulische Bewertung. Diese
Faktoren von Offenheit und gleichberechtigter Teilhabe
ungeachtet von Schulbildung, sozialem oder ökonomischem Hintergrund erklären die ungebrochene
Anziehungskraft des HipHop: Jugendliche, die über die
medialen Negativ-Schablonen hinausschauen können,
finden Gemeinschaft und Sinngebung; HipHop kann
so Veränderungen zum Positiven bewirken.
Für Jugendliche ist die Gegenwartsgesellschaft komplex,
schwierig und herausfordernd; Heranwachsende sind
permanent konfrontiert mit verschiedenen Anforderungen
und Belastungen. HipHop kann hier ein inspirierender
Schonraum sein, der Jugendliche stärkt und auf Entwicklungsaufgaben in einer zunehmend unbarmherzigen
Gesellschaft vorbereitet. Die Idee einer HipHop Community ist einladend für permanent drangsalierte Kinder
und Jugendliche aus benachteiligten Kontexten, denn
sie basiert auf universeller Inklusion, verbunden mit
einer Vision und konkreten Zielen. Wo HipHop-Kultur ihren Grundprinzipien verbunden bleibt, erkennt sie die
Fähigkeiten und Stärken jedes Einzelnen, stärkt so das
Selbstbewusstsein und den Glaube daran, selbstgesetzte
Ziele erreichen zu können. Jugendliche werden von HipHopKultur angezogen, weil sie soziale, kulturelle, ethnische
und wirtschaftliche Grenzen überschreitet und es so
Jugendlichen mit verschiedensten Backgrounds ermöglicht,
sich gemeinsam durch HipHop auszudrücken.
Die Ursprünge der HipHop-Kultur
Das Fundament der HipHop-Bewegung bildeten zu
Anfang die Pfeiler Respekt, individuelle Identität,
Community und Lehren/Lernen (Wissen, Toleranz,
Ethik). HipHop konnte über religiöse, bildungsbezogene,
soziale und ethnische Schranken hinweg ein breites
Publikum im lokalen Umfeld der Künstler erreichen.
Ziel der HipHop-Protagonisten war das Schaffen einer
unterstützenden, kreativen, experimentell-lernenden
Community der Gleichheit. HipHop-Kultur begann
nicht als Musikrichtung, sondern als offener Lebensstil
und alternativer lokalpolitischer Diskurs, mit den vier
zentralen Rollen des DJ, des MC, des B-Boys/B-Girls
(Breakdancer) und des Graffiti-Writers.
DJing war in den 70ern eine Hauptquelle der HipHop-
„Jugendliche werden
von HipHop-Kultur
angezogen, weil sie
soziale, kulturelle,
ethnische und wirtschaftliche Grenzen
überschreitet“
* Übersetzung aus dem Englischen: Sascha Düx
Theorie | 09
„Rappen“ heißt eigentlich sprechen: Kommunizieren in
Form rhythmischer Reime, vorgetragen über die Beats
des DJs. Die frühen RapperInnen nutzten spontane
Poesie mit cleveren Reimen, um ihr Leben, Schmerz,
Freude und Liebe zu beschreiben; und auch, um ihrer
Community moralische, gesellschaftliche, politische
Botschaften zu übermitteln.
Im Umfeld von Rap und DJing entstanden auch andere
Formen künstlerischer Kreativität; zentral waren hier
Breakdance und Graffiti, die mit Rap und DJing zu den
Four Elements der HipHop-Kultur gerechnet werden.
Diese vier Elemente stehen als ineinander greifende
kulturelle Praktiken an der Quelle von HipHop als
Kultur und Lebensstil. In seiner Frühzeit definierte sich
HipHop dabei über ein Zusammengehörigkeitsgefühl,
als gemeinsame Stimme gegen Gewalt, Verbrechen,
Drogenmissbrauch und Mangel an Bildungsmöglichkeiten in den Wohnvierteln. Poetischer Rap, Breakdance
und Graffiti waren eine Plattform für Jugendliche, um
kreativ und intellektuell zu kommunizieren, um Freude
wie Frustration auszudrücken.
Dont push me, cause I’m close to the edge
I’m trying not to loose my head
It’s like a jungle sometimes, it makes me wonder
How I keep from going under
(Grandmaster Flash and the Furious Five)
„Der HipHop-DJ
nutzt seine Plattenspieler wie ein
Dirigent sein
Orchester“
Kultur. Die Masterminds unter den frühen HipHop-DJs
nahmen das bis dahin vorherrschende Konzept vom DJ
als „Plattenaufleger“ und erweiterten es zu einem bis
heute einflussreichen popkulturellen Paradigma: Der
HipHop-DJ nutzt seine Plattenspieler wie ein Dirigent
sein Orchester, er kann durch gezielte Manipulation an
Plattenspielern und Mischpult aus musikalischem Ausgangsmaterial völlig neue Stücke schaffen. Zu diesem
„One-Man-Band“-Konzept des HipHop-DJs kam dann
der MC („Master of Ceremony“) hinzu, der Rapper oder
– seltener – die Rapperin.
10 | HipHop Intelligence
In den vergangenen 30 Jahren hat sich HipHop von einem
kleinen Kollektiv mit gemeinsamen Wertvorstellungen zu
einer globalen Kultur und einem mächtigen Industriezweig entwickelt. In den 70er Jahren definierten Pioniere
des HipHop wie Afrika Bambaataa die Idee von Communities
in urbanen, benachteiligten Stadtvierteln neu: HipHop
wurde genutzt, um vormals kriminellen Gangs neue
Gemeinschaftsformen zu eröffnen, um Hoffnung,
Selbstvertrauen und Orientierung zu vermitteln. Mit
der Entwicklung zu einem über das Lokale hinausreichenden kommerziellen Phänomen hat HipHop den
engeren Bezug zu lokalen Communities verloren und
konnte auch nicht in eine große HipHop-Bewegung mit
gemeinsamen Zielen transformiert werden.
bringen und sie dabei unterstützen, ihren Fokus auf die
HipHop-Prinzipien von Gemeinschaft und positiven
Überzeugungen zu richten. Unser alternativer Bildungsansatz unterstützt die Teilnehmenden nicht nur in
ihrer künstlerischen Weiterentwicklung, sondern vermittelt quasi nebenbei die Sinnhaftigkeit von Bildung
und zielgerichteten Anstrengungen.
Auf methodischer Ebene spielt das kooperative Lernen
eine große Rolle: Lehrende und Lernende begegnen
sich auf gleicher Augenhöhe. Das gemeinsame Ziel wird
demokratisch von der Gruppe festgelegt. Um dieses
Ziel zu erreichen, werden verschiedene Arbeitsformen
und erprobende Ansätze genutzt, wie problemlösendes
Lernen, Förderung emotionaler Intelligenz, Verbindung
von diszipliniertem Arbeiten und kritischem Denken.
Über die Jahre hinweg konnten wir Zeugen werden,
wie positiv sich unsere verschiedenen Projekte und
Programme in Schweden, Deutschland, Spanien und
anderen Ländern langfristig auf die beteiligten Jugendlichen, ihre persönliche Entwicklung und ihre Laufbahn
in Bildungssystem und Arbeitsmarkt auswirken.
Viele benachteiligte Jugendliche, die heute noch zu häufig
in den Institutionen des Bildungssystems scheitern,
bräuchten alternative Bildungsangebote mit familiärem
und verbindlichem Charakter und einem Schwerpunkt
auf aktiv handelndem Lernen. Bildungsinstitutionen
und EntscheidungsträgerInnen sollten das Potenzial
der HipHop-Kultur für solche alternativen Lernangebote erkennen und nutzen.
Artikel

Siehe
„Von Köln bis Barcelona: Das HipHopNetzwerk Nippes“
(Seite 42)
und
„Urban-CultureProjekte des JFC
Medienzentrums“
Fazit
Gegenwärtig wird die junge HipHop-Generation für
ihre negative, zerstörerische Haltung angeprangert;
dabei untermauert gerade das massenmedial verstärkte
Interesse an den gewalttätigen, kriminalitätsverherrlichenden Teilströmungen der HipHop-Kultur deren
finanziellen Erfolg, so dass diese in der öffentlichen
Wahrnehmung oft fälschlicherweise als repräsentativ
für HipHop insgesamt wahrgenommen werden. Was
positiv für Gangster-Rap-Tonträgerverkäufe sein mag,
bewirkt andererseits vielerorts eine Pauschalverurteilung
jugendlicher HipHopper; auch derer, die die kreativen
Potenziale der HipHop-Kultur in positiver Weise nutzen.
Als PädagogInnen, EntscheiderInnen und MultiplikatorInnen sollten wir alles daran setzen, diese populäre
kreative Kunstform zu unterstützen und ihre ursprünglichen Prinzipien von Respekt, Community, Bildung
und Toleranz zu feiern.
Wenn wir auf die Ursprünge der HipHop-Kultur schauen,
sehen wir, was HipHop war, ist und sein könnte. Wenn
wir das mediale und musikindustriell vermarktete
Image des heutigen HipHop betrachten, sehen wir, was
HipHop nicht ist, nicht sein sollte. Richtig verstanden
bietet die HipHop-Kultur uns eine perfekte Plattform,
um Jugendliche mit einer Social Citizenship und den nötigen
Kompetenzen auszustatten, die ihnen Chancen im
Leben eröffnen. Daher dürfen wir nicht ruhen, intelligente
und alternative entwicklungsfördernde HipHopProjekte voranzubringen.
Hip Hop Education
Das kreative, intellektuelle und kommunikative Potenzial
der HipHop-Kultur inspiriert Jugendliche und motiviert
zum Lernen. Die ursprünglichen HipHop-Communities
mit ihren dialogisch ausgehandelten gemeinsamen
Werten, Überzeugungen und Visionen können als Modell
einer effektiven Lerngemeinschaft, einer alternativen
Schule dienen. Viele benachteiligte Jugendliche, die im
gegenwärtigen Bildungssystem scheitern, können wir
nur erreichen, wenn neue Ansätze, neue Definitionen von
Kultur und Bildung gewagt werden. Die ursprünglichen
Prinzipien des HipHop zeigen hier mögliche Wege auf.
Die Modern Soul Academy (MSA) arbeitet seit einigen
Jahren erfolgreich in diesem Feld einer HipHop-Pädagogik
zwischen Bildung und Entertainment. Seit 2003 wurden
u. a. einige HipHop-Projekte gemeinsam mit dem JFC
Medienzentrum durchgeführt, die die teilnehmenden
Jugendlichen in ihrer persönlichen Entwicklung weiter-
Theorie | 11
Urban Culture
und Pädagogik
Sascha Düx
Was ist eigentlich Urban Culture? Wikipedia.de hat im
März 2007 noch keine Definition zu bieten, die englischsprachige Wikipedia immerhin einen Kurzeintrag,
wonach Urban Culture einerseits „städtische Kultur“
meine – definiert über Unterschiede zum ländlichen
Raum, speziell bessere Verfügbarkeit kultureller
Ressourcen – und andererseits ein gebräuchlicher
Euphemismus zur Beschreibung der HipHop-Kultur sei.1
Was den Begriff für uns attraktiv macht, ist gewiß nicht
eine euphemistische Vermeidung des Worts „HipHop“,
sondern seine Offenheit: zu den kanonischen Four Elements des HipHop können Aspekte wie Medien, Mode
und Theater dazukommen, außerdem eine stilistische
Bandbreite von R’n’B über Dancehall bis hin zu African/
Oriental Beats. Der Begriff kommt aus der Szene und
ist breiter als die Fremdbeschreibung „Jugendkultur“
– die meist eine Abwertung gegenüber „Erwachsenenkultur“ impliziert.
Urban Culture, so unsere Arbeitsdefinition, ist die
(Jugend-)Kultur der Metropolen in einer globalisierten
Welt: Tanz, Musik, Medien, Kunst und mehr, oft
1
verankert in der Kultur US-amerikanischer Minderheiten, aber offen für diverse kulturelle Einflüsse und
mit sehr spezifischen lokalen Formen. Urban Culture ist
urbane Multikultur, und sie ist desto spannender, je
offener sie für kulturelle Vielfalt ist.
Urbanität, Kultur und Rassismus
Schon 1996 hat Les BAck eine vergleichende Untersuchung
der Urban Cultures zweier Londoner Stadtteile durchgeführt. Ausgangspunkt ist BAcks Unbehagen mit moralisch
verkürzten Antirassismuskampagnen der 80er Jahre.
BAck erlebte damals als Jugendarbeiter, dass ein
‘Bekenntnis-Antirassismus’ den komplexen Formen
von Rassismus im Leben junger Großstädter nicht
gerecht wurde.
Wenn in Zeiten globaler Migration homogene nationale
Kulturen zunehmend zum Hirngespinst werden, könne
interkulturelle Arbeit nicht mehr ein Verständnis „ausländischer“ Kulturen anstreben; vielmehr müsse Ziel
sein, ein Bewusstsein der weltweiten Geschichte der
Migration zwischen Sklaverei, Arbeitsmigration und
Kriegsflucht zu entwickeln, die alle westlichen Kulturen
binnenmultikulturell gemacht habe. Besonders
Urban Cultures seien hochgradig promiskuitiv in ihrem
ständigen Bestreben, unterschiedlichste Traditionsstränge zusammenzuführen und für die Gegenwart neu
zu erfinden.
Der daraus resultierenden Vielfalt der sozialen und
kulturellen Identitäten stehe aber eine Vielfalt alltäglicher
Rassismus-Formen gegenüber, auch innerhalb urbaner
Multikultur. In diesem Spannungsfeld von kultureller
Vielfalt und vielfältigen Rassismen müssen sich Jugendliche heute zurechtfinden. Dazu kommt die Dimension
der medienvermittelten Globalisierung: Neue Ethnizitäten
entstehen laut BAck durch eine produktive Spannung
zwischen globalen und lokalen Einflüssen.
Die Idee der multikulturellen Gesellschaft ist, so BAck,
nicht gescheitert; im Gegenteil ist die Multikulturalität
der Städte eine unumkehrbare Realität. Gescheitert
sind allenfalls naiv-idealistische MultikulturalismusEntwürfe, die die Macht des Rassismus unterschätzen
– und das schreibt BAck PädagogInnen ins Stammbuch:
Stets wachsam zu sein, dass man nicht eigene romantische
Wünsche auf Jugendkulturen projiziere.
http://en.wikipedia.org/wiki/Urban_culture (Stand 02.03.2007)
12 | Urban Culture und Pädagogik
Am Anfang war Rhythm’n’Blues
Urbane jugendkulturelle Strömungen gehen zumeist
auf afroamerikanische Quellen zurück. Paradigmatisch
ist hier der Rhythm’n’Blues: Die als Kürzel R’n’B heute
wieder aktuelle Genrebezeichnung wird während des
II. Weltkriegs von kleinen Plattenlabels geprägt, die Musik
für eine neue Käuferschicht auf den Markt bringen:
Die seit den 1920er Jahren massenhaft aus den ländlichen Südstaaten in die Großstädte des US-Nordens
migrierten Afroamerikaner. 1949 benennen die BillboardCharts ihre vormals Race betitelte Sparte in Rhythm and Blues
um – Musik vornehmlich „von Schwarzen für Schwarze“.
Der Crossover in die weiße Mainstream-Kultur gelingt
dem R’n’B erst unter wiederum neuer Flagge: Radio-DJ
Alan Freed beginnt 1954, R’n’B als Rock’n’Roll zu verkaufen,
„um den schwarzen Ursprung dieser Musik zu maskieren“.2
Rock’n’Roll ist Rhythm’n’Blues – ergänzt durch CountryAnleihen und eine Verschiebung von der Erwachsenenzur Jugendmusik. Erst im Crossover von der Black Community auf den Markt der weißen Teenager wird R’n’B/
R’n’R zu einer Jugendkultur; und damit zum Angstgegner
einer Bewahrpädagogik, die sexualisierte Texte anprangert, in offen rassistischen Varianten die Moral der weißen US-Jugend durch den „animalischen Sexualtrieb
der Schwarzen“ bedroht sieht.3 Auch wenn rassistische
Strukturen in den westlichen Gesellschaften seit den
1950er Jahren weit subtiler geworden sind, finden sich
doch einige der für den Rhythm’n’Blues beschriebenen
Prozesse auch beim neueren Phänomen HipHop wieder.
Rap steht in der poetischen Tradition des Blues. Musikethnologen wie David Evans und Alfons Dauer führen den
Blues auf das musikalisch-poetische Feld der Epik zurück,
wie es sich historisch mit orientalischem Einfluss in
der kulturgeographischen Großlandschaft des Sudan
konstituiert habe. Rhythm’n’Blues standardisierte die
vielfältigen poetischen Formen der wandernden ländlichen Bluessänger zur urbanen Bandmusik, der Beat
dominierte den Text; im HipHop gewinnen die Rapper
über den am Plattenteller erzeugten Endlos-Beats der
DJs Freiheiten zur poetischen Formgestaltung zurück
und knüpfen als MCs (Masters of Ceremony) an
die Tradition der afrikanischen Griots an. 4 Während
Rhythm’n’Blues aber noch die Transformation ländlicher Formen in einen neuen urbanen Rahmen war, ist
HipHop von Anfang an eine spezifisch großstädtische
Kultur.
HipHop, Multikultur und Rassismus
in Deutschland
Die HipHop-Szene in Deutschland wurde überwiegend
von Migranten aufgebaut; in der Medienöffentlichkeit
wurde aber bis weit in die 1990er-Jahre hinein nur
der Deutschrap weißer Mittelschichten sichtbar: So
beschreiben Loh und Güngör die HipHop-Szene in
Deutschland, gespalten zwischen den Gegensätzen „Jugendhaus“ und „Reihenhaus“. Diese Spaltungsthese mag
überspitzt sein, doch Loh/Güngör legen überzeugend
dar, wie Musikindustrie und Massenmedien eine Konstruktion von deutschem HipHop als weißer, mittelständischer Jugendkultur betrieben hätten, in der „kein
Platz ist für Rap, der von sozialem Elend, alltäglichem
Rassismus oder ökonomischer Ausbeutung redet“.
Erst den Berliner Battle-Rappern um Kool Savas und
Bushido sei es gelungen, die „starren Grenzen zwischen
Nelson George 1990, S. 88ff.
Arnold Shaw 1983, S. XXIX ff.
4
vgl. Hoffmann 1994
‘Deutschrap’ und ‘Migrantenrap’ zu durchbrechen“
– deren aggressive Texte seien in Jugendzentren wie
bei Gymnasiasten gut angekommen, und: „Wirklich
bemerkenswert ist, dass Kool Savas in den meisten Fällen von
den Medien nicht auf seine Herkunft reduziert wird“.6
Erst da, wo Rap multikultureller Protagonisten sich
nicht mehr als multikultureller Rap, sondern als ‘Neue
Härte im Deutschen Battlerap’ präsentiert, wird er
– wie zuvor der US-Gangsta-Rap – attraktiv für Mittelschichtsjugendliche und damit zu einer medial und
ökonomisch relevanten Größe.
Battles sind Teil der HipHop-Kultur, derartige gewaltlose Wettstreite sind auch bei B-Boys, DJs und Writern
üblich. Rap-Battles setzen alte afroamerikanische Traditionen des verbalen Wettstreits wie Playing the Dozens
fort. Eine Verschiebung findet allerdings statt, wenn
Battles von der Live-Disziplin, bei der in Echtzeit improviserte Reime gegeneinander in Stellung gebracht
werden, zur marktdominierenden Form produzierter
Rapmusik werden.
Durch seine Herauslösung aus dem Kontext einer Kultur
von Minderheiten und Migranten wird Rap, so Loh,
auch für Rechtsradikale anschlussfähig. Wo im Battlerap Härte und Tabubruch Trumpf sind, finden sich
zunehmend auch Nazimetaphern und rassistische
Aussagen. Wenn auch noch keine organisierte rechtsradikale Rapszene existiere, so werde doch schon laut
über ‘feindliche Übernahmen’ nachgedacht: „HipHop
ist nicht wesentlich weniger undeutsch als Rock. Die
gesamte Rock-, Pop- und Was-weiß-ich-Musik basiert
doch auf schwarzem Rhythm&Blues [… und ist] nur dadurch ‘rechts-kompatibel’ geworden, weil man sie ‘okkupiert’ hat“, zitiert Loh aus einem nationalistischen
Internetforum.7
HipHop alleine, das zeigt sich hier, garantiert nicht
automatisch für multikulturelle Toleranz; das lei-
„Battles sind Teil
der HipHop-Kultur,
derartige gewaltlose
Wettsreite sind auch
bei B-Boys, DJs und
Writern üblich“
Loh und Güngör 2002, S. 125
Loh und Güngör 2002, S. 215f.
7
Loh 2002
2
5
3
6
Theorie | 13
Sascha Düx
Jahrgang 1971, verheiratet, zwei Töchter. Studium
(u. a. Musik und Ev. Religionslehre) in Bochum
und Köln, 2000 Abschluss als Diplompädagoge.
Spielte in verschieden Bands, in den 90ern Betreiber eines mobilen Tonstudios. Diverse Veröffentlichungen zu medienpädagogischen Themen, u. a.
„Internet, Gesellschaft und Pädagogik“ (München
2000). Seit Januar 2001 Bildungsreferent im JFC
Medienzentrum Köln. Schwerpunkte: internationale
Jugendmedienarbeit,Urban-Culture-Medienprojekte,
Multimedia und Video, Qualifizierung und Beratung für die aktiv-kreative medienpädagogische
Praxis. Projektleitung u. a. Internationale HipHopCamps, Urban Culture 2005 und Roots&Routes
Cologne.
Kontakt:
sd@jfc.info
stet nur eine HipHop-Kultur, die sich ihrer Geschichte
bewusst ist und die auch im Rahmen der Battlekultur
klare Grenzlinien zu Nazi-Metaphorik und Rassismus zieht.
Urban-Culture-Projekte in Jugendarbeit
und Schule
Urban Culture hat große Potenziale für pädagogische
Projekte: Viele Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund sind hier aktiv und oft mit ganzem Herzen
bei der Sache; es besteht ein Interesse an Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten, an Produktion eigener
Songs und Videos, an Auftritten. Urban Culture eignet
sich ideal zur Vermittlung interkultureller Bildung und
Literatur
Back, L es: New Ethnicities and Urban Culture. Racisms
and multiculture in young lives. Routledge/UK 1996.
George, Nelson: Der Tod des Rhythm&Blues. Wien
1990.
George, Nelson: XXX. Drei Jahrzehnte HipHop. Freiburg
(orange-press) 2002.
Hoffmann, Bernd: Blues. In: Finscher, Ludwig (Hg.): Die
Musik in Geschichte und Gegenwart. Kassel [u. a.]
1994.
14 | Urban Culture und Pädagogik
als Plattform für internationale Begegnungen. Dabei
sollten einige Punkte beachtet werden:
1. Wer als Pädagoge ein Urban-Culture-Projekt plant,
begibt sich oft auf fremdes Terrain. Hier ist wie beim
Besuch in einem fremden Land eigene interkulturelle
Kompetenz gefragt; und es schadet nichts, vorher den
Reiseführer in die Hand zu nehmen, sprich: sich über
die entsprechenden Szenen und deren Geschichte zu
informieren.
2. Pädagogische Arbeit mit Urban Culture kann ein Balanceakt sein: Wie viel „Härte“ tolerieren? Wo die Diskussion suchen, wo die Notbremse ziehen? Rapcoach
Tim Weedon empfiehlt, Jugendliche erstmal mit ihren
Tabubrüchen kommen zu lassen, „let them get it all
out“, um von da aus eine gemeinsame Arbeitsebene zu
finden.
3. Urban-Culture-Projekte funktionieren nur mit guten
Referenten, Idealprofil: kommt aus der Szene, ist künstlerisch, pädagogisch und interkulturell kompetent.
Referenten, die aufgrund ihrer Skills von den Jugendlichen
akzeptiert werden, gewinnen schnell Vorbildcharakter
und lösen positive Reflexions- und Veränderungsprozesse
aus.
4. Urban-Culture-Projekte eignen sich zur Steigerung
von Motivation zu zielgerichteter Arbeit, zur Vermittlung interkultureller und sozialer Kompetenzen und
zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung – dabei
sollte Urban Culture aber „jederzeit zugleich als Zweck,
niemals bloß als Mittel“ genutzt werden.
5. Antirassismus funktioniert nicht mit dem Holzhammer
(z.B. als Projekt, das Jugendlichen ohne konkreten Anlass
aufgedrückt wird). Ein gemeinsames Thema – als fruchtbarer Katalysator im kreativen Prozess – sollte in der
Gruppe entwickelt werden, und wenn „Rassismus“
gewählt wird, sollte der an konkreten Erfahrungen festgemacht werden.
6. Urban-Culture-Projekte werden spannend, wenn verschiedene Disziplinen kooperieren: Wenn z.B. die Graffiti-Gruppe das Bühnenbild für eine Liveshow mit Musik-,
Tanz- und Theaterelementen gestaltet, wenn deren Entstehungsprozess von der Mediengruppe dokumentiert
wird und diese dann noch ein Musikvideoclip mit allen
Beteiligten dreht.
7. Urban Culture vereint uralte, komplexe Kulturtraditionen. Man muss kein eingefleischter HipHop-Fan
sein, um Urban-Culture-Projekte zu planen. Aber ein
bisschen Begeisterungsfähigkeit und Achtung vor diesen
Traditionen sind schon angebracht; gerade in der
Arbeit mit Zielgruppen, die wenig über die Geschichte
ihrer Jugendkulturen wissen.
Loh, Hannes: 1000 Jahre Deutscher HipHop. Nazimetaphern, Rassismus und Neue Härte im deutschen Battlerap. http://www.alhambra.de/zeitung/feb02/hiphop.
htm (2002)
Loh, Hannes und Murat Güngör: Fear of a KanakPlanet.
HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap. Planegg
(Hannibal) 2002.
Shaw, Arnold: Die Geschichte des Rhythm und Blues.
Frankfurt am Main 1983.
Eine kurze Geschichte des
HipHop in Deutschland
Hubert Minkenberg
Ab 1984 verbreitet sich HipHop auf der ganzen Welt.
Ebenso wie in den USA findet diese Kultur in Deutschland ihre Hauptresonanz auf der Straße, unter Jugendlichen, vor allem auch bei Menschen mit Migrationshintergrund.
Beliebtheitsgrad dieser Musik immens und ihre Veröffentlichungen werden zu Sammelobjekten: „HipHop
bringt ein wenig Abenteuerstimmung in das Leben gelangweilter Wohlstandskinder“ (fArin 1998, 57).
Die Anfänge (German Old School)
Zu Beginn der Bewegung gibt es haufenweise Bands,
die lange nur im heimischen Umfeld bekannt sind. Eine
solche Band ist unter anderem die Fresh Familee aus
Ratingen. Sie setzt sich aus Jugendlichen der zweiten
Gastarbeitergeneration in Deutschland zusammen. Mit
dem Lied „Ahmed Gündüz“ erlangen sie erstmals im
Jahr 1991 auch nationale Beliebtheit. Es ist nicht nur die
erste deutschsprachige Rap-Maxischallplatte, sondern
greift weiter auch die Thematik des alltäglichen Rassismus gegenüber Gastarbeitern auf. Erzählt aus der Sicht
eines Kindes, verleiht „Ahmed Gündüz“ erstmals öffentlich einer älteren Generation eine Stimme, welche der
vorherrschenden Sprache nicht mächtig ist (vgl. VerLAn/
Loh 2000, 138).
Viele Einwandererkinder fühlen sich von HipHop in den
Bann gezogen, da es ihnen ähnlich wie den Erfindern
in den USA geht, auch sie gehören der weißen Mittelschicht nicht an und fühlen sich daher wie „Fremde
In Deutschland ist der Anfang der Old-School-Zeit durch
Aufgreifen schon vorhandener Fragmente aus den USA
gekennzeichnet, die erst im Lauf der Zeit von deutschen
HipHoppern zu neuen Elementen zusammengefügt werden. Ausführlicher dazu sagen VerLAn und Loh (2000,
90), dass die „erste Generation in Deutschland Old
School genannt wird. Sie erfanden ihn zwar nicht, da er
als schon entwickelt nach Deutschland kam, aber niemand zeigte ihnen, wie all diese Techniken funktionierten,
sie mussten sich die Sachen alleine beibringen.“ Den
Anfang machen die ersten Plattenveröffentlichungen
aus den USA im Jahr 1981 in Deutschland, sie lassen die
Jugend auf etwas ganz Neues neugierig werden.
Exporte von der Sugarhill Gang, Grandmaster Flash
und Afrika Bambaataa lassen jedoch noch nichts von
einer dahinter stehenden Subkultur erkennen. Erst der
Film „Wild Style“, der im Jahr 1983 deutschlandweit in
den Kinos ausgestrahlt wird, macht die umfassende
Bedeutung der HipHop-Kultur deutlich. Die in diesem
Film gezeigten Diskussionen über einen Ausverkauf
der Bronx, aber auch der Hoffnung, verdeutlichen zum
ersten Mal für das überwiegend jungendliche deutsche
Kinopublikum die Grundsätze von HipHop (vgl. VerLAn/
Loh 2000, 93).
Die individuelle Hinwendung von Jugendlichen zur HipHopKultur fußt auf der Faszination von Breakdance, Rap
oder Graffiti. Ein bestimmtes Schlüsselerlebnis, die
Auflehnung gegen die Eltern und die Gesellschaft, ein
bestimmtes Lied oder einfach nur ein positives Gefühl
für die Kultur kann der Auslöser sein (vgl. VerLAn/Loh
2000, 88).
Der Gangsterrap-Trend aus den USA stieß auch bei
Deutschlands Jugendlichen auf großes Interesse. Viele
der amerikanischen Rapper stehen auf dem Index,
und so wird Rap nicht mehr nur von der Gesellschaft
allgemein, sondern auch von Eltern verstärkt verurteilt.
Zensur und Verbote steigern den Bekanntheits- und
Die dritte Einwanderergeneration
„HipHop bringt
ein wenig Abenteuerstimmung in das
Leben gelangweilter
Wohlstandskinder“
Theorie | 15
„Einwanderer, die
nicht auf deutsch
rappen, fühlen
sich verlassen von
der bisherigen
Gemeinschaft“
im eigenen Land“. So spiegelt sich diese Zeit
auch in den Texten der Rapper wieder. Sie
nutzen die Musik, um ihre Wut auszudrücken
und distanzieren sich durch Rap von Gewalt
und Diskriminierung – gerade zu einer Zeit, in
der in Deutschland viele Brandanschläge auf
Flüchtlingsunterkünfte verübt werden. Die
Medien vermarkten die Idee eines friedlichen
Neben- und Miteinanders auf ihre Weise: Multikultur im deutschen HipHop. Eine Bezeichnung, die anderssprachigen Rap in Deutschland ausklammert und innerhalb der Szene zu
Spaltungen führt. Einwanderer, die nicht auf
deutsch rappen, fühlen sich verlassen von der
bisherigen Gemeinschaft. So geht es auf einmal
nicht mehr nur um Fähigkeit, sondern auch um
Herkunft (vgl. Verlan/Loh 2000, 144).
„Seit Jahren beobachteten die meisten Kids
der zweiten und dritten Einwanderergeneration
den Deutschrap-Boom als Außenstehende.
Sie fühlten sich von den Inhalten und dem
Lebensgefühl weder angesprochen noch
repräsentiert“ (Verlan/Loh 2000, 157).
Doch die Jugendlichen wissen sich selbst zu
helfen, das Bündnis „Kanak Attack“ wird gegründet.
Diese Bewegung versucht auf Grund des entstandenen Zwiespaltes Aufklärungsarbeit
besonders bei den Themen Geschlechterrollen, Musik und Politik zu leisten (vgl. Verlan/
Loh 2000, 159f.).
Die Jams
Jugendzentren bieten der HipHop-Szene ein Forum für
Jams, und im Jahr 1987 finden die ersten wirklich größeren
Partys in den verschiedensten Städten Deutschlands
statt; so auch in Dortmund. Konzept der Veranstaltung
ist, dass alle Anwesenden sich aktiv an der Planung des
Abends beteiligen. Mittels Demonstrationen ihrer vorhandenen Fähigkeiten im Graffiti, Rap und Breakdance
können die Jugendlichen ihr Selbstbild bei Wettkämpfen
mit anderen Gleichaltrigen überprüfen. Noch sehr unorganisiert legen die ersten Treffen dieser Art einen
16 | Eine kurze Geschichte des HipHop in Deutschland
Grundstein für weit reichende Bekanntschaften und
Verabredungen unter Jugendlichen. Erstmals reisen für
eine Party in diesem Rahmen Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet an. Die reisebereite Jam-Generation wird bezeichnenderweise auch die „Tramperticket
Generation“ genannt: Durch Nutzung eines Angebots
der Deutschen Bahn AG wird ein deutschlandweiter
Austausch möglich (vgl. Verlan/Loh 2000, 103ff.).
Auf den ersten Jams in Deutschland gibt es, auf Grund
der US-amerikanischen Entstehungsgeschichte, nur
englischsprachige Reime und Freestyles. Bahnbrechendes gelingt einem Jugendlichen namens Torch von
der Rapgruppe Advanced Chemistry: Er legt im Jahr
1987 den Grundstein in der weiteren Entwicklung des
Sprechgesangs, indem er zum ersten Mal einen Reim
auf deutscher Sprache improvisiert. Seine Motivation
liegt dabei in der verbesserten Übermittlung inhaltlicher Botschaften, die er in vollständig deutschsprachigen Texten zum Ausdruck bringen möchte. Diese
Erweiterung von improvisierten und kurzen Sätzen findet
Anklang bei anderen Rappern und bringt Advanced
Chemistry überregionale Achtung ein (vgl. Verlan/Loh
2000, 119). Mit der Zeit entsteht aus den Jams im In- und
Ausland eine selbstorganisierte Subkultur.
So ist zum Beispiel das „MZEE Frisch Projekt“ ein Konzept
für die Durchführung von nationalen und internationalen Jams (vgl. Verlan/Loh 2000, 110). Organisiert
von Mitbegründer Akim Walta will das HipHop-Magazin und -Label MZEE Informationen über aktuelle
Geschehnisse der Szene vermitteln. Mit Mitarbeitern
aus der Szene greift MZEE kulturorientierte Anliegen
auf und unterstützt die Szene zusätzlich durch ein unabhängiges Vertriebssystem (vgl. www.thing.de/neid/
archiv/1/text/hiphop.htm).
HipHop in den neuen Bundesländern
Während in den alten Bundesländern in Deutschland
auf Jams schon internationale Kontakte geknüpft werden,
finden in den Jahren 1988/89 erstmals zwei vergleichbare Großveranstaltungen in der damaligen DDR statt.
Die erste Jam dort entsteht durch die Mitwirkung einer
Berliner Radiosendung namens Vibrations. Diese ist speziell auf eine junge Hörerschaft zugeschnitten und bietet
den Jugendlichen ein Forum, in dem sie selbst kreierte
Demokassetten aus dem HipHop-Bereich einsenden
können. Basierend darauf entsteht die Idee, einen RapContest für interessierte Anhänger der Kultur zu organisieren. Über den Radiosender werden die Jugendlichen
dazu aufgefordert, sich an der Durchführung der Party
zu beteiligen. Als Organisator von Rap-Veranstaltungen
in Radebeul, einem Dresdner Vorort, wird Alexander
Morawitz in die Pläne eingespannt. Wegen seiner Erfahrungen als Breaker der Gruppe Quick Animation, seiner
organisierten Scheunenpartys und wegen seines nationalen Erfolgs als Rapper der politisch-kritischen Gruppe
Electric B ist es ihm möglich, viele andere Jugendliche zu
erreichen (vgl. K rekow/Steiner 2000, 108f).
Einen zusammenhängenden Einblick in die gesamten Inhalte der HipHop-Kultur liefert im Jahr 1985 der amerikanische Dokumentarfilm „Beat Street“. Die Regierung
der ehemaligen DDR versteht den Film als eine Protestbewegung der amerikanischen Jugend gegen den Kapitalismus. Anlehnend an eigene Inhalte der Regierung
Prof. Dr. Hubert Minkenberg
Jahrgang 1955, studierte in Köln und Berlin. Promotion in Musikwissenschaft, Instrumentalstudium
mit den Fächern Saxophon und Klavier. Komponist
und Musiker unter eigenem Namen und als Sideman (u.a. bei Eros Ramazzotti). 1989 bis 1991 Musikredakteur beim WDR. 1991 bis 1999 Dozent für
Musikwissenschaften an der Musikakademie
Wiesbaden. 1999 Professur für Musikpädagogik
unter besonderer Berücksichtigung Neuer Medien
an die FH Düsseldorf als Professor berufen. 2000
Gastdozent an der Universität Santiago de Chile.
Mitglied des Vorstands der DGMB (Deutsche
Gesellschaft für Musik bei Behinderten). Delegierter der GEMA für die Gruppe der angeschlossenen
und ausserordentlichen Komponisten. Lehr- und
Forschungsschwerpunkte: Didaktik und Methodik
der Popularmusik und Einsatz Neuer Medien in
der außerschulischen Musikpädagogik.
Kontakt:
www.minkmusik.de
hubert.minkenberg@fh-duesseldorf.de
kann HipHop als Ausdrucksmöglichkeit für Jugendliche
geduldet werden. Als Vorsichtmaßnahme werden
dennoch Sprühdosen aus den Supermarkt-Regalen verbannt. Dies verlangsamt vorerst die Entwicklung von
Graffiti in der DDR. So konzentriert sich die Kreativität
jugendlicher Künstler auf Rap und Breakdance. Inspiriert durch den Film „Beat Street“ bauen sie ihre ersten
Schallplattenspieler selbst zusammen und Erlernen das
Scratchen auf alten Hörspiel-Schallplatten. Breakdance
wiederum wird von Jugendarbeitern zwecks kulturellen
Austauschs in Workshops angeboten (vgl. Verlan/Loh
2000, 299f).
MC Poise ist einer der wenigen, der sich durch Breakdance und MCing einen großen Namen in Ost-Berlin
macht. Um die Kreativität der ostdeutschen Jugendlichen besser nachvollziehen zu können, muss hier
erwähnt werden, dass ihnen zu dieser Zeit keine geeigneten Räumlichkeiten und auch kein Equipment
zur Verfügung stehen. MC Poise zum Beispiel übt seine
Tanzperformance auf dem Berliner Alexanderplatz
oder in der örtlichen Kirche. Mit seinen wenigen Musikexporten aus der BRD produziert der Vierzehnjährige so
ideenreiche Beats, dass er kurz darauf mit seiner Crew
„Downtown Lyriks“ in der gesamten ehemaligen DDR
zu den Bekanntesten zählt (vgl. K rekow/Steiner 2000,
78ff).
Ein anderer Rapper, der heute noch bekannt ist und
bei der Rap-Produktion in Dresden unterstützend mitwirkt, ist DynaMike. 1987 gründet er mit Freunden die
Three M-Men Rapgruppe. Sie schaffen es, durch Eigenwerbung berühmt zu werden, noch bevor sie ihren ersten
Reim in englischer Sprache verfassen (vgl. K rekow/
Steiner 2000, 103). Seit dem Jahr 2000 gehört DynaMike
der Kölner Gruppe Noisy Stylus an.
Literatur
Farin, K laus: generation-kick.de. Jugendsubkulturen heute. München (Beck) 2001.
K rekow, Sebastian, Jens Steiner und Mathias Taupitz: HipHop-Lexikon. Berlin (Lexikon Imprint) 1999.
Verlan, Sascha/Loh, Hannes: 20 Jahre HipHop in Deutschland. Planegg (Hannibal) 2002.
Theorie | 17
Interkulturelle Medienarbeit
im JFC Medienzentrum
Eva Bürgermeister
„Leitmotiv für
jede pädagogische
Annäherung ist die
Anerkennung der
Jugendlichen mit
ihrem individuellen
Können, ihren Interessen, Wünschen
und Perspektiven“
Medien sind integraler Bestandteil von Jugendkultur;
sie führen zusammen, vermitteln Information und Austausch. Medien bieten kreative Gestaltungsmöglichkeiten und szenetypische Plattformen. Diese Chancen
jugendkultureller Kreativität gilt es zu nutzen – auch
um sich als Pädagogen den Herausforderungen in der
modernen Gesellschaft zu stellen.
Jugendkulturen und Medien stehen daher ebenso wie
die interkulturelle Arbeit seit vielen Jahren im Blickpunkt
der Arbeit des JFC Medienzentrum. Leitmotiv für jede
pädagogische Annäherung ist dabei die Anerkennung
der Jugendlichen mit ihrem individuellen Können, ihren
Interessen, Wünschen und Perspektiven – verbunden
mit pädagogischer Neugier, individueller Unterstützung
sowie kritischer Herausforderung und gemeinsamer
Erarbeitung von Perspektiven.
Zahlreiche Modellprojekte, Publikationen und Veranstaltungen markieren die medienpädagogische Annäherung an jugendkulturelle Szenen, an die Kultur- und
Medienarbeit im Bereich Urban Culture, an spezifische
Anforderungen für interkulturelles Lernen und internationale Verständigung. So erschien bereits 1994 eine erste
Publikation zum Thema „Jugendkulturen“, die – sehr
viel stärker in den Jugendszenen verortet – im Jahr 1997
unter dem Titel „Jugendkulturen in den 90er Jahren:
Innenansichten – Außenansichten“ eine Aktualisierung
erfuhr. Weitere Highlights in den 90er Jahren waren die
Beteiligung an der inhaltlichen Gestaltung des Specials
„CultureMix“ auf dem Medienforum NRW, die Organisation des NRW-Auftritts während der „European
Conference on Youth and Multimedia“ (Youthmedia)
in Düsseldorf sowie die Herausgabe eines Medienpa-
Dr. Eva Bürgermeister
Jahrgang 1956, Studium der Kunstgeschichte,
Pädagogik und Anglistik. Seit 1994 Geschäftsführerin des JFC Medienzentrums, Konzeption,
Steuerung und Durchführung diverser medienpädagogischer Veranstaltungen und Projekte;
Schwerpunkte sind interkulturelle und internationale Kinder- und Jugendmedienarbeit, Familie
und Medien, Medienkritik und intergenerative
Medienarbeit.
18 | Interkulturelle Medienarbeit im JFC Medienzentrum
ketes unter dem Titel „Rolle Vorwärts – Medienprojekte
gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“.
Mit der Gründung des CrossCulture-Netzwerks für
interkulturelle und internationale Jugendmedienarbeit
im Jahr 2000 erfuhr dieser Bereich in Nordrhein Westfalen, auch finanziell zumeist durch das Land unterstützt, weitere strukturelle und inhaltliche Aufwertung.
Im Jahr 2001 führte der JFC erstmals den bundesweiten
interkulturellen Kinder- und Jugendmedienwettbewerb
Mixed LINX durch. Es folgten zwei überregionale
Modellprojekte: „Was glaubst Du denn?! – Jugend,
Glaube, Religiosität“ sowie „Wo bleibst Du denn?! –
Lebensräume/Lebensträume“. In beiden Projekten wurde interkulturelle Bildung mit den medialen Möglichkeiten des Internet verknüpft, u. a. mit einer Live-WebTV-Sendung aus drei Städten.
Nicht zuletzt prägte der JFC auch weiterhin den Fachdiskurs über Handlungsfelder, Ziele und Fragen von
Qualität medienpädagogischer und interkultureller Arbeit,
so mit den Tagungen „CrossCulture – interkulturelle
Medienarbeit für Europa: Konzepte und Qualitätskriterien interkultureller Jugendmedienarbeit“ (2002) und
„Migranten und Medienberufe“ (2003), dem MedienConcret Themenheft „MediaMixMondial – Ideen für die
interkulturelle Medienarbeit“ (2002) sowie der inhaltlichen Mitarbeit an dem Special „Networking Young
Europe“ beim Medienforum NRW 2002.
Auch in internationaler Kooperation wurden Projekte
entwickelt: nachdem der JFC bereits 1999 in dem europäischen Projekt „face2face“ involviert war, nimmt die
Projektarbeit in internationalen Netzwerken seit 2003
einen wichtigen Stellenwert ein; als Beispiel sei hier
die Beteiligung am LEONARDO-geförderten Projekt
„CREAM – Creative and active Media Education“ zur
Unterstützung junger Migranten bei der Berufsorientierung im Medienbereich genannt (2003-2005). Unsere jüngsten Projekte im Schnittfeld von interkultureller
Medienarbeit und Jugendkulturen – die internationalen
HipHop-Camps, das Städteprojekt Urban Culture
2005, das internationale Musikvideoprojekt pop@rena,
die Projekte im internationalen Roots&Routes-Netzwerk
und nicht zuletzt das für dieses Heft namensgebende
Modellprojekt – sollen im Folgenden vorgestellt werden;
ebenso weitere spannende Urban-Culture-Projekte aus
Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus.
Urban-Culture-Projekte
des JFC Medienzentrums
Von Roots&Routes bis Different Roots — Common Routes
Sascha Düx und Andreas Kern
Im Mai 2007 wird das JFC Medienzentrum Tanz-, Musikund Mediencoaches aus zehn europäischen Ländern
zu einem internationalen Seminar in die Akademie
Remscheid einladen. Neben fachlichem Austausch und
gemeinsamer praktischer Arbeit geht es hier um die
Planung der im Sommer 2007 erstmals stattfindenden
Roots&Routes Summer Courses. Diese Summer Courses
sind als Folgeangebot für die TeilnehmerInnen der bisherigen Roots&Routes-Projekte geplant – und sie sind
das jüngste Projekt im internationalen Roots&RoutesNetzwerk, einem Netzwerk, dessen Anfänge in den
Niederlanden liegen …
Von Amsterdam nach Europa
Das Projektformat Roots&Routes (R&R) wurde 2001
von der Stiftung Miramedia (Utrecht) und weiteren
Partnern entwickelt. Das Grundkonzept umfasst die
folgenden Basiselemente:
– Im Vorfeld eines größeren Festivals werden in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil Jugendliche mit
Talent in einem der Bereiche Medien, Musik und Tanz
‘gescoutet’.
– Für diese Jugendlichen wird dann unmittelbar vor dem
Festival eine intensive Block-Workshopphase angeboten.
Hier werden die jungen Talente individuell in ihren Stärken
gefördert und bei der Entwicklung ihrer künstlerischen
Identität unterstützt.
– Höhepunkte sind Masterclasses bei prominenten
KünstlerInnen, die für das Festival in die Stadt kommen,
sowie Auftritte auf dem Festival (bzw. deren mediale
Dokumentation).
– Im Anschluss an die Workshopphase wird weiteres individuelles Coaching angeboten.
Nach mehreren erfolgreichen Projektphasen, angedockt
u. a. an die Festivals Dunya in Rotterdam und Uitmarkt
in Amsterdam und mit Masters wie Michael Franti, konnte 2004 ein Roots&Routes-Auftritt bei der offiziellen
Eröffnungsfeier zur niederländischen EU-Präsidentschaft
„Europa op de Dam – Thinking Forward“ organisiert werden.
Dazu wurden erstmals junge Talente aus mehreren europäischen Ländern als Gäste eingeladen – der Beginn des
internationalen Roots&Routes-Netzwerks. Das JFC
Medienzentrum war hier noch nicht beteiligt. Als Ende
2004 eine gemeinsame Antragstellung beim EU-Programm CULTURE 2000 anstand, wurden wir aufgrund
unserer Vorerfahrungen im Bereich internationaler
HipHop-Camps eingeladen, federführender Partner
in Deutschland zu werden. So konnte mit Eingang
der EU-Förderbewilligung im Mai 2005 das Projekt
Roots&Routes International in Deutschland (Köln),
Frankreich (Lille), Griechenland (Larissa und Athen),
Italien (Florenz), den Niederlanden, Portugal (Lissabon),
Spanien (Barcelona) und Ungarn (Budapest) starten.
Artikel

Siehe
„Roots&Routes
– Unterricht in Urban
Culture“
(Seite 23)
Artikel

Siehe
„Von Köln bis Barcelona: Das HipHopNetzwerk Nippes“
(Seite 42)
Roots&Routes – hier gibt’s was Gutes1
High Noon am Freitag, den 26. August 2005: Der Weltjugendtag ist vorbei, auf den Kölner Ringen sammeln sich
die Massen fürs beginnende Ringfest, und im großen
Saal des Bürgerzentrums Alte Feuerwache bereiten
Die Abschnitte über Roots&Routes 2005 und 2006
sind überarbeitete Fassungen unserer in der InterAktiv
(12/2005 und 10/2006) erschienenen Artikel
1
Best Practice | 19
gestreut: Von der Ukraine bis Marokko, vom Kosovo bis
Syrien.
sich gut 30 Jugendliche auf ihren ersten großen Auftritt
vor. Nervös? „Ich bin auch schon so aufgeregt, gestern
konnt’ ich kaum schlafen – aber, wir packen das schon,
da glaub ich fest daran!“
Rückblende: Der gleiche Saal, Anfang August.
Gespanntes Warten auf den Gängen: Gleich wird die
Jury verkünden, wer von über 40 jungen SängerInnen
und RapperInnen bei Roots&Routes Cologne 2005 dabei
sein wird. 20 Plätze sind bei den Auditionen für junge
Musik-Talente zu vergeben, dazu je 10 in den Bereichen
Tanz und Medien.
Es zeigt sich, dass durch die allgegenwärtigen Castings
in den Medien schon ein recht festgefahrenes Bild von
derartigen Auswahlverfahren in den Köpfen ist: Ein junger
Mann begleitet seinen Bruder zur Audition. „Machst Du
auch Musik?“, fragen wir. „Ja, albanische Volksmusik.
Aber das passt nicht hierher“ – und trotz unserer Beteuerungen, das hier sei ein für alle Stilrichtungen offenes
Projekt, können wir ihn nicht vom Gegenteil überzeugen.
Die Zielgruppe – junge Talente insbesondere mit Migrationsbackgr ound, die schlechtere Zugangschancen zu
Ausbildungsgängen in den Bereichen Musik, Tanz und
Medien haben – wird dennoch durchweg erreicht: Drei
Viertel der Roots&Routes Talente 2005 kommen aus
Familien mit Migrationshintergrund, und der ist breit
20 | Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums
39 TeilnehmerInnen finden sich in der Woche vorm Ringfest zu einer intensiven mehrtägigen Workshopphase im
JFC Medienzentrum Köln und in den kooperierenden
Jugendzentren OT Luckys Haus und OT Werkstattstraße
ein. Professionelle ReferentInnen coachen die 16- bis
25jährigen zur Bühnenreife. Anders als bei Bohlen &
Co. werden hier nicht potenzielle Superstars auf Linie
getrimmt, sondern junge Urban-Culture-KünstlerInnen
dabei unterstützt, ihren eigenen Stil zu finden und sich
langsam aber stetig in Richtung Professionalität zu entwickeln. So werden alle Songtexte und Gesangsmelodien
von den Jugendlichen selbst geschrieben. Rap-Teilnehmer
A. Kapuya: „Wir haben uns erstmal kennen gelernt und
Sprach- und Gesangsübungen gemacht. Und Atemübungen. Das war komisch, weil wir so was zum ersten
Mal gemacht haben, aber es hat sich nachher rausgestellt,
dass es sehr hilfreich ist.“
Ein Highlight der Workshopwoche sind dann die Masterclasses: HipHop-Star Afrob aus Stuttgart und der afrobelgische Tänzer T. Love geben ihre Erfahrungen an die
nachfolgende Generation weiter – und die Mediengruppe
dokumentiert das Ganze mit Fotos und Video. Als dann
am Sonntagabend der letzte von vier Ringfestauftritten
erfolgreich über die große Generation-M-Bühne gegangen
ist, wissen die TeilnehmerInnen: Das ist nicht das Ende,
es werden ein Nachtreffen mit Präsentation der VideoDVD und dann weitere Projekte, Auftritte und Coachingangebote folgen. Mit Afrobs Worten: „Kurzes Fazit bei
Roots&Routes – hier gibt’s was Gutes!“
Urban Culture 2005
Im Herbst 2005 folgte dann das aus dem Programm
ENTIMON des Bundesjugendministeriums geförderte
Städteprojekt Urban Culture 2005: In Köln, Bonn und
Solingen fanden vom 30. September bis zum 03. Oktober gleichzeitig verschiedene Workshops statt, die
sich kreativ (Tanz, Musikproduktion, Musikvideodreh,
Graffiti) und journalistisch-medial (Videodokumentation,
Radio, Webmagazin) mit Fragen des Zusammenlebens
im städtischen Raum und der (jugend-)kulturellen Ausdrucksformen in der Stadt beschäftigten.
93 Teilnehmer/-innen – 44 in Köln, 17 in Solingen und
32 in Bonn – produzierten in den vier Workshoptagen
57 Webmagazin-Artikel, 12 Videoclips, 8 WebradioBeiträge und 4 selbstgetextete und -komponierte Songs.
Dabei ging es um Themen wie die eigene
kulturelle Verortung zwischen kulturellen Wurzeln im
Elternhaus und Jugendkultur, um Jugendszenen in der
eigenen Stadt, um Freundschaft und Liebe, Freizeitbeschäftigungen von Lesen bis Shoppen, um Tanz und
Musik, Mode und Sport, um Graffiti zwischen Kunst
und Kriminalisierung, um Angebote für Jugendliche in
der eigenen Stadt und Aktivitäten gegen Rassismus.
Die Beiträge wurden meist am selben Tag auf
die gemeinsame, verbindende Internetplattform
www.u-culture.de hochgeladen. Hier traf man sich
auch, um sich im Videochat städteübergreifend
kennenzulernen. Neben den vier bis acht Workshops
pro Stadt wurden auch Exkursionen veranstaltet, z.B.
zu einer legalen Graffiti-Wand in Köln. Die Jugendlichen
in Köln und Solingen – die zum Teil bereits im Sommer
Roots&Routes-Erfahrungen gesammelt hatten – bekamen
die Chance, in professionellen Tonstudios ihre während
des Projekts selbst geschriebenen Lieder aufzunehmen.
Bei der Akademie der Deutschen POP gab es zusätzlich
eine Einführung in die digitale Musikproduktion.
Das Modellprojekt endete mit einer ca. 48-minütigen LiveWeb-TV-Sendung: Übers Internet wurden Video-Liveschaltungen von Köln nach Bonn und Solingen realisiert,
in allen Städten gab es Abschlussevents mit Livemusik.
Europa in Köln
Die gigantische Festivalbühne ist sonst Reggae-Größen
wie Damian Marley oder Jimmy Cliff vorbehalten.
Am 14. Juli 2006 um 14:20 Uhr wird sie ein Podium für
fünfundfünfzig Jugendliche aus ganz Europa: Mit Tanz
und Livemusik ziehen sie das Publikum in ihren Bann,
aus anfänglich knapp 300 Zuschauern werden binnen
Minuten über 3000. Und die Kameras der Mediengruppe
halten alles für die Projekt-DVD fest.
Nach den Erfolgen von 2005 war klar: Roots&Routes
Cologne 2006 musste noch einen Schritt weitergehen.
Wie im Vorjahr wurden bei Talentsichtungen aus diesmal über 80 interessierten Jugendlichen 30 TeilnehmerInnen für die Kölner Workshopphase ausgewählt.
Neben den Disziplinen Tanz, Kamera/Moderation und Rap/
Gesang wurde auch eine komplette Liveband zusammengestellt. Ermöglicht durch zusätzliche ENTIMON-Förderung
konnten 25 weitere junge Talente aus sieben europäischen Partnerländern eingeladen werden, dazu fünf
internationale ReferentInnen.
Am 7. Juli treffen die Gäste aus Frankreich, Griechenland,
Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Schweden
und Ungarn ein. Man feiert gemeinsam die Endphase
der WM und startet in eine intensive Workshopwoche,
in deren Verlauf fünf Songs zwischen HipHop, Reggae
und R‘n‘B geschrieben, eingeübt und im Studio aufgenommen werden; eine siebenminütige Choreographie
mit Elementen diverser urbaner Tanzstile kreiert und
eintrainiert wird; und drei Video-Kurzdokumentationen gefilmt und geschnitten werden. Bauarbeiten in
der Unterkunft, mäßiges Catering und lange Reisezeiten
zwischen Jugendgästehaus und Workshoporten sorgen
bei einigen der internationalen Gäste für Missstimmungen,
andere sind mit Feuer und Flamme bei der Sache. Dann
der erste Höhepunkt: Martin Jondo, Deutschlands frischester Reggae-Star, kommt für eine Masterclass vorbei,
steht der Mediengruppe für Interviews zur Verfügung
und gibt den Musikgruppen Tipps für ihren Auftritt und
ihre weitere künstlerische Entwicklung.
Am 14. Juli geht es dann um 14:20 auf die Red Stage
des Summerjam-Festivals. Zu diesem Zeitpunkt ist das
Publikum mit ca. 300 Personen noch eher dünn
besetzt. Mittels einer spontanen Eröffnungs-Einlage
gelingt es den bühnenerfahrenen internationalen ReferentInnen, binnen weniger Minuten 3000 der aufs Gelände
strömenden BesucherInnen vor die Red Stage zu bewegen. Der folgende Auftritt vor großem Publikum ist
für alle Beteiligten ein beeindruckendes Erlebnis, zumal die erarbeiteten Stücke viel Applaus ernten. Leider
fehlen am Ende die eingangs durch die EröffnungsEinlage verbrauchten Minuten Bühnenzeit, und so kann
– das Bühnenmanagement ist, wie bei Festivals dieser
Größenordnung üblich, sehr strikt – die letzte
Vokalistengruppe nicht mehr auftreten. Das trifft die
gesamte Gruppe, die Stimmung kippt binnen Minuten
von Euphorie in Depression und Wut. Durch pädagogischen Einsatz des Teams können die Wogen geglättet
werden; alle TN haben Tageskarten für das Festival und
bleiben größtenteils bis zum späten Abend vor Ort.
In den letzten Tagen tragen dann zwei Musikvideo-Drehs
und ein gemeinsames Abschiedsbarbeque dazu bei,
dass – wie die abschließende Evaluation zeigt – fast alle
TeilnehmerInnen mit einem guten Gefühl nach Hause
fahren.
DVD
Siehe Dokumentation
„Roots&Routes 2006“
auf beiliegender DVD
DVD
Siehe Musikvideos
„Alegria“ und „Summertime Roots“ auf
beiliegender DVD
Best Practice | 21
Die internationale Zusammenarbeit klappt wie schon bei den
Vorläuferprojekten sehr gut:
Die TeilnehmerInnen haben
gemeinsame kulturelle Interessen,
wollen zusammen etwas auf
die Beine stellen – und wenn jemand großartige Flash-Animationen oder Ragga-Strophen
beisteuern kann, wird es relativ
unwichtig, wie gut er Englisch
spricht. Beeindruckend ist
auch, wie viel die Jugendlichen
sich gegenseitig beibringen:
Ob Gesangstechniken oder
Kameraperspektiven, ob Tanzmoves oder VideoschnittKniffe am PC – und das oft mitten in der Nacht.
Für die Jugendlichen in Deutschland geht das Projekt
nach Abreise der Gäste noch weiter: Beim Cologne Open
Culture Festival gibt es Auftritte der Roots&Routes-Tanzund Musikgruppen, und die Mediengruppe filmt das
ganze Festival. Am 8. September haben beim Nachtreffen
in der OT Luckys Haus die Projekt-CD und DVD Premiere;
weitere Auftritte der Roots&Routes-Gruppe finden bei
der Medienpädagogischen Börse Köln am 20. Oktober
und beim Symposium „MIX IT! – Kinder und Jugendliche
mit Migrationshintergrund in Musikprojekten“ des
Europäischen Musikrates und der Deutschen Welle am
4. November 2007 in Bonn statt
Different Roots – Common Routes
8
Artikel
Siehe
„Roots&Routes
– Unterricht in Urban
Culture“
(Seite 23)
DVD
Siehe Dokumentation
„Different Roots –
Common Routes“
auf beiliegender DVD
Mit Förderung des Ministeriums für Generationen,
Familie, Frauen und Integration des Landes NordrheinWestfalen konnte zum Ende des Jahres 2006 das Modellprojekt Different Roots – Common Routes realisiert werden: Für 26 Jugendliche mit Roots in 15 Nationen – etwas
mehr als die Hälfte davon Roots&Routes-TeilnehmerInnen vom Sommer – wurden vom 27. bis 30. Dezember
Tanz-, Musik- und Medienworkshops in den Räumen
der Rochus-Musikschule Köln-Bickendorf angeboten.
Prominente Dozenten wie Jörg Schürmann (Kameramann bei Brainpool), Xaver Fischer (spielte u. a. bei
Sasha und in Anke Engelkes TV-Band Keyboards),
VJ Sehvermögen, Jaekwon (Breakdance-Profi), Mavys
Villareal (Hamburger Rapcoach) und Markus „Be“
Brachtendorf (Frontmann von „Lecker Sachen“ und
„Rakete Mutter“) arbeiteten intensiv mit den jungen
Talenten, geben Tipps zur individuellen Weiterentwicklung und auch Einblicke in die Welt der Kultur- und Medienberufe. Alle Workshops wurden ausführlich dokumentiert; diese Dokumentation bildet den Grundstock
für Teil 3 dieser Arbeitshilfe und die beiliegende DVD.
Andreas Kern
Jahrgang 1978, seit 1997 DJ und Veranstalter
elektronischer Musikveranstaltungen
(www.beatboutique.info). Schloss 2005 sein Studium
der angewandten Sozialwissenschaften an der
Fachhochschule Köln ab. Seit Mai 2005 arbeitet
er als Projektkoordinator (u.a. für das Projekt
Roots&Routes) im JFC Medienzentrum Köln.
Schwerpunkte sind die Konzeption und Koordination jugendkultureller Medienprojekte.
Kontakt:
kern@jfc.info
22 | Urban-Culture-Projekte des JFC Medienzentrums
Perspektiven
2007 wird nicht nur die dritte (und vorerst letzte CULTURE
2000-geförderte) Kölner Projektphase im Rahmen des
Projekts Roots&Routes International stattfinden; geplant
sind darüber hinaus verschiedene internationale Aktivitäten, und das neue Projekt Roots&Routes Summer
Courses geht an den Start.
Die Idee der Summer Courses: Für talentierte Jugendliche,
die an einer Roots&Routes-Festivalwoche oder ähnlichen
Urban-Culture-Workshops teilgenommen haben, wird
eine 3-4wöchige Blockphase mit intensivem Coaching
mit berufsorientierenden Elementen angeboten: Verschiedene Berufsbilder und Ausbildungswege in der
Kultur- und Medienbranche werden genauso thematisiert wie Chancen und Risiken einer Karriere als
professionelle/-r KünstlerIn.
Nachdem 2006 bereits ein Summer Course als Pilotprojekt in den Niederlanden stattfand (das JFC
Medienzentrum entsendete eine Kölner Teilnehmerin)
und in Deutschland wertvolle Vorerfahrungen im Rahmen
des Different Roots – Common Routes Modellprojekts
gesammelt werden konnten, werden Roots&Routes
Summer Courses mit Förderung des EU-Programms
LEONARDO jeweils 2007 und 2008 in Finnland,
Großbritannien, Deutschland, Frankreich und den
Niederlanden realisiert werden. Die Aktivitäten in
Deutschland werden in das Aktion-Mensch-geförderte
Projekt „Urban Culture - für Integration in Gesellschaft,
Bildung und Arbeitswelt“ eingebettet.
Jugendliche TeilnehmerInnen der verschiedenen Projekte
von Roots&Routes bis Different Rootes – Common Routes
werden außerdem die Chance haben, an verschiedenen
internationalen Urban-Culture-Projekten teilzunehmen:
Eine Gruppe junger BreakdancerInnen wird im Sommer
2007 für drei Wochen am Brouhaha International Straßenfestival in Liverpool teilnehmen, Thema ist das
200jährige Jubiläum der Abschaffung der Sklaverei in
England. Im Herbst wird ein großes internationales
Roots&Routes-Festival mit Workshops und Masterclasses für Jugendliche aus allen Ländern des Netzwerks
in Rotterdam stattfinden, und im Sommer 2008 wird je
ein Jugendlicher aus Köln zu den vier Summer Courses
der Partnerländer entsandt werden – und umgekehrt.
Insgesamt hat sich das internationale Roots&RoutesNetzwerk als ein sehr fruchtbarer Zusammenschluss
engagierter Partner erwiesen, aus dem sich – da sind wir
zuversichtlich – noch weitere spannende Projekte entwickeln werden.
Roots&Routes — Unterricht in Urban Culture
Bart Suèr*
Seit 2001 bemüht sich Roots&Routes in den Niederlanden,
die talentiertesten jungen Angehörigen kultureller Minderheiten aufzuspüren: Jugendliche und junge Erwachsene,
die in Street Cultures in den Bereichen Musik, Tanz und
visuelle Medien aktiv sind, und die häufig nicht den Weg
auf etablierte Bühnen, in Medienberufe und in künstlerische Ausbildungen finden. Roots&Routes unterstützt
sie dabei, ihre künstlerischen und sozialen Kompetenzen
weiterzuentwickeln und in Kontakt mit der etablierten
Kultur- und Medienszene zu kommen.
Um ihre Zugangschancen zu einer professionellen Karriere
zu verbessern, brauchen diese Street Talents eine praktische
und komplexe Lernumgebung, die ihre vorhandenen
Kompetenzen festigt und erweitert, die sie befähigt,
Probleme zu lösen und ihre eigenen Skills weiterzuentwickeln.
Roots&Routes (R&R) erreicht seine Zielgruppe durch die
Website, durch Flyer und Mund-zu-Mund-Propaganda.
In Kooperation mit vorhandenen Strukturen der
Jugendarbeit organisiert R&R Auditionen, bei denen
die talentiertesten Jugendlichen ausgewählt werden. In
den großen niederländischen Städten gibt es mehrere
Organisationen, die sich der Kompetenzförderung im
Bereich der Kultur- und Medienindustrie verschrieben
haben. R&R arbeitet mit diesen Organisationen zusammen, nutzt ihre Netzwerke und Zielgruppenkontakte
und baut auf den Ergebnissen ihrer Arbeit auf.
Den ausgewählten Jugendlichen wird als erster Schritt
die Teilnahme an einem Take One Workshop angeboten:
Einem mehrtägigen intensiven Tanz-, Musik- oder
Medienworkshop, der in der Regel mit einem öffentlichen Auftritt abschließt. Nach dem Take One schätzt
das R&R-Team die Fortschritte der TeilnehmerInnen ein
mit dem Ziel, die motiviertesten und talentiertesten für
Folgeaktivitäten auszuwählen: Die mehrwöchigen R&R
Summer Courses und neuerdings die vierjährige R&R
Berufsausbildung „MBO Producer/Musician“ am
Albeda College in Rotterdam (eingebettet ins niederländischen System der „middelbaar Beroepsonderwijs“,
kurz MBO).
R&R nimmt die meist außerhalb des Bildungssystems
erworbenen Kompetenzen der Teilnehmenden als Ausgangspunkt und bietet von dort ausgehend eine Reihe
von Aktivitäten und Lernmöglichkeiten an:
– Take One: rund einwöchige Blockworkshops und
Masterclasses, die auf einen größeren Auftritt hinarbeiten
– Summer Courses (auch Summerschools genannt): drei- und
mehrwöchige vertiefende Block-Unterrichtseinheiten
– Individuelles Coaching: Beratung, Feedback, Unterstützung bei Produktion, Promotion und Verbesserung
der individuellen Skills
Die Lernbedürfnisse und -erfordernisse der Gruppe
steuern dabei den Bildungsprozess. Ein wichtiges Kriterium
heißt stets: „Ist das nützlich und sinnvoll für mich?“
– Die Roots&Routes-WorkshopleiterInnen und -TutorInnen arbeiten dabei wie Coaches, die neue Möglichkeiten anbieten und so ihre SchülerInnen ermutigen,
weiter zu suchen und mehr zu lernen. Die Tutoren
bewerten die Ergebnisse ebenso wie den Lernprozess.
Das Erfahrungslernen wird durch eine Reflexionsschleife
ergänzt: Was beim „machen“ implizit gelernt wird, wird
anschließend explizit thematisiert. Das große Ziel ist
dabei stets, die Kompetenzen der Teilnehmenden auf
ein Niveau zu heben, wie es im Business und/oder an
den spezialisierten Ausbildungsstätten erwartet wird.
Nachdem jemand den Take One erfolgreich abgeschlossen
* Übersetzung aus dem Englischen: Sascha Düx
Best Practice | 23
hat, entwickelt R&R einen persönlichen Entwicklungsplan für diesen Schüler/diese Schülerin. Im Gespräch
mit dem jeweiligen Coach wird ausgearbeitet, welche
Übungen und Aktivitäten nötig sind, um jeweils nötige
Kompetenzen zu erwerben.
Roots&Routes Summer Courses
2006 wurde in Kooperation mit der Rotterdamer
Codarts Hochschule für die darstellenden Künste der
erste Roots&Routes Summer Course angeboten. Für die
Codarts Hochschule war es wichtig, ihre Pop Academy
stärker mit interkulturellen Zielgruppen zu verknüpfen
und diejenigen Jugendlichen zu erreichen, die im Bereich
Urban Music aktiv sind. Da R&R eine große Anziehungskraft für diese Zielgruppe unter Beweis gestellt hatte,
lud die Codarts Hochschule R&R zur gemeinsamen
Entwicklung eines neuen Ansatzes ein: der dreiwöchigen
Summer Courses.
Fortgeschrittene Musik- und Tanztalente – darunter
einzelne Gastteilnehmer aus den sieben R&R-Partnerländern – arbeiteten 3 Wochen lang auf zwei Showcases
hin. Unterstützt wurden sie dabei von einem kulturell
breit gestreuten und hochprofessionellen Ensemble
professioneller KünstlerInnen und Coaches: u. a. den
Krump Kings (aus dem Dokumentarfilm Rize bekannte
Tanzcrew), dem Choreographen Dumsile Mqadi, Joe
Ambrosia (spielte mit James Brown, Ike & Tina Turner
etc.), Sandra St. Victor (Family Stand, Chaka Khan),
Stefan Schmid (Produzent von Zuco 103) und Luc Vergier
(Marketing und A&R Executive für Lauryn Hill, Fugees,
Youssou N’Dour). Die künstlerische Leitung lag bei John
Wooter (Tanz) und mir (Musik).
Der Summer Course begann am 26. Juni; die TänzerInnen
wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, die MusikerInnen in
zwei Livebands und eine Studioband. Die Mediengruppe
arbeitete parallel, dokumentierte die Workshops und
machte Interviews. Schwerpunkte der ersten Woche
waren ein African Dance Workshop, Gesang und Songwriting sowie die Geschichte des HipHop. Die zweite
Woche hindurch wurde auf einen Probeauftritt am
Wochenende hingearbeitet, dazu kamen Masterclasses
mit den Krump Kings und Joe Ambrosia. DJ Git Hyper
lud die Musik-Teilnehmer in seinen Plattenladen ein
und nahm sie mit auf eine Reise durch die Popmusikgeschichte, von alten Jazz-, Soul-, Funk- und Discoplatten bis hin zu aktueller Musik. Der abschließende
Probeauftritt zeigte auf, welche Aspekte noch verbesserungsfähig waren und gab damit die Richtung für die
letzte Woche vor. In dieser arbeiteten die TeilnehmerInnen hart und kontinuierlich an ihren Abschlusskonzerten; abgerundet wurde das Programm durch einen
Musikbusiness-Workshop mit Gordon Williams und
Luc Vergier, bei dem Booking, Promotion und Verträge
thematisiert wurden.
Die Ergebnisse von drei Wochen Roots&Routes Summer
Course wurden am Freitag, den 14. und Samstag, den
15. Juli 2006 öffentlich vor einem begeisterten, knapp
200köpfigen Publikum aufgeführt. Das Programm
entsprach den vielfältigen Roots der TeilnehmerInnen:
Die Tanzgruppe kombinierte klassisches Ballett, afrikanischen Tanz, Boogie, Breakdance, Popping und
Locking, die Musikgruppen mixten Soul und tanzbaren
Jazz, Funk, Dub und Reggae.
Nach Abschluss des Summer Courses fand eine individuelle Evaluation der Leistungen der Teilnehmenden
statt; dabei wurden auch die individuellen Chancen
eingeschätzt, den eigenen Lernweg auf „MBO“-Level
(Niederländische Berufsschule) oder auf „HBO“-Level
(Bachelor-Studium) fortzusetzen.
Ausbildung „MBO Producer/Musician“
Der „MBO Musikproduzent/Musiker“ ist eine vierjährige
Ausbildung, die mindestens einen SekundarschulAbschluss voraussetzt. Das minimale Zugangsalter
beträgt 16, das maximale 30 Jahre. Da diese Form
musikalischer Berufsausbildung neu ist – die Berufsschulen
im niederländischen „MBO“-System haben bislang keine
Musikkurse angeboten – bekam Roots&Routes die Chance,
für diese Ausbildung ein Curriculum zu entwickeln, das
sowohl bei den Lerninhalten als auch bei den Lehr- und
Lernmethoden neue Wege einschlägt.
Das Motto der Ausbildung lautet: „Der erste Tag in diesem
Kurs ist der erste Tag Deiner professionellen Karriere.“
Im Lauf des vierjährigen Kurses durchlaufen die SchülerInnen ein Spiralcurriculum: Sie machen drei „Alben“,
durchlaufen dreimal einen Zyklus, der wiederum aus
drei Phasen besteht:
1. Komposition / Kreation
2. Aufnahme / Produktion
3. Veröffentlichung / Promotion / Performance
Parallel zu diesen drei Phasen liegt eine vierte Phase,
in der die Teilnehmenden ihre persönliche Situation als
24 | Roots&Routes — Unterricht in Urban Culture
MusikerInnen ausarbeiten. Diese vier Phasen entsprechen
der Arbeit der meisten professionellen MusikerInnen.
Wenn ein Teilnehmer diesen vierphasigen Zyklus dreimal
durchlaufen hat und dabei das angestrebten Niveau
an musikalischen Fertigkeiten und MusikproduktionsKnow-how erworben hat, ist er fertig – und hat sich
eine gute Basis für seine individuelle Karriere erarbeitet:
Er wird dann zahlreiche eigene Songs geschrieben haben,
mehrere Aufnahmen produziert haben und häufig
öffentlich aufgetreten sein. Für Teilnehmende, die keinen
großen Wert auf Auftritte legen (da sie sich auf Musikproduktion konzentrieren möchten), wird ein alternativer
Lernweg mit Schwerpunkt auf Komposition, Arrangement und Studioaufnahmen angeboten; ähnlich wird es
für Instrumentalisten, die keinen Fokus auf eigene Kompositionen setzen möchten, eine Schwerpunktsetzung
auf Studioaufnahmen und Liveperformance geben.
Gelehrt wird von einem Stamm an Roots&RoutesTutorInnen, ergänzt durch freie professionelle ProduzentInnen und MusikerInnen aus dem Musikbusiness.
–Innovatives und kreatives Denken
–Verantwortlichkeiten Übernehmen
–Unternehmerisches Handeln
Spezielle Kompetenzen für Musiker:
–Stimmliche bzw. Instrumentale Fertigkeiten
–Kommunikation durch und über Musik
–Performance (Auftreten vor Publikum)
–Musiktheoretisches Wissen und Können
–Musiktechnologisches Wissen und Können
–Musikproduktion
–Unternehmerisches Handeln im kulturellen Bereich
Am Ende des R&R-Prozesses stehen für jeden Teilnehmenden ein persönliches Zertifikat und ein Portfolio, in
denen die erworbenen Skills und das erreichte Kompetenzniveau belegen. Zusätzlich wird ggf. eine Empfehlung
gegeben, ob jemand sich an einem künstlerischen College
(Ziel Bachelor-Abschluss) bewerben oder direkt eine
professionelle Karriere starten sollte.
Kompetenzen
R&R entwickelt gegenwärtig gemeinsam mit Kunst-,
Tanz- und Musikakademien in Gronigen, Arnheim
und Rotterdam „Kompetenzsets“ für professionelle
Musiker, Tänzer und Videomacher. In grober Übersicht
könnte ein Kompetenzset für Musiker so aussehen:
Allgemeine Kompetenzen:
– Lesen und Schreiben in Niederländischer
und Englischer Sprache
– Praktisch-mathematische Grundlagen
– Zeitmanagement
– Teamarbeit
– Informationen recherchieren und bewerten
– Problemlösendes, methodisches, systematisches
Denken und Reflexion
– Planung und Organisation
– Soziale und Kommunikative Kompetenzen
Bart Suèr
Jahrgang 1965, studierte in der Jazzabteilung des
Konservatoriums Hilversum Saxophon. Nach
erfolgreichem Abschluss 1992 absolvierte er Masterclasses u. a. bei Lee Konitz in New York.
Von 1991 bis 2007 veröffentlichte er 13 Alben.
Neben Lehrtätigkeiten u. a. an den Konservatorien
von Amsterdam, Rotterdam und Arnheim leitet er
die Bigband des Konservatoriums Alkmaar, das
Label Dox Records, das Dox Orchestra, initiierte
das TV-Format „Red Bull Soundclash“ und ist
musikalischer Direktor von Roots&Routes in den
Niederlanden.
Kontakt:
www.doxrecords.com
bart@doxrecords.com
Best Practice | 25
Trying Babylon
— ein jugendkulturelles Musiktheater
Jürgen Beu
Hintergrund
Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebensstilen und Jugendkulturen unterstützt Entwicklungsund Identitätsprozesse junger Menschen. Es gibt in
Solingen viele verschiedene Jugendkulturen, die oft
nur nebeneinander existieren. Um eine Vernetzung dieser
Gruppen möglich zu machen ist es notwendig, sie
zunächst an einem gemeinsamen Projekt zu beteiligen.
Die jungen Erwachsenen bekommen die Möglichkeit,
ihre Lebenswelten darzustellen – mit den Methoden,
die sie täglich umgeben. Durch gezielt eingeplante Diskussionsphasen setzen sie sich mit ihren persönlichen
Erfahrungen zur Gestaltung auseinander. Umbruch
und Wandel von Jugendkulturen und ihren gesellschaftlichen Herausforderungen kommen hierbei zur Sprache.
Durch die Umsetzung ihrer Vorstellungen treten sie aus
der Konsumentenrolle heraus und lernen stattdessen,
selbst Präsentationen für ihre Belange einzusetzen.
Jugendliche lassen sich von zeitgemäßen Konzepten ansprechen und begeistern. Neben den vielfältigen Anreizen,
die Kunst und Kultur gerade für junge Menschen haben,
gibt es einen weiteren Grund, Tanz, Musik, Theater,
Literatur, Kunst oder Medien in die Angebote von Jugendarbeit und Schule zu integrieren – das ist die mögliche
Ansprache von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Gerade deren Partizipation ist eine
gesellschaftliche Herausforderung an eine erfolgreiche
Jugendarbeit – und gleichzeitig eine große Bereicherung.
Denn Kinder und Jugendliche mit ihren Erfahrungen
und ihrem kulturellen Background prägen auch die
kulturellen Programme und Angebote.
Die Geschichte
Die biblische Erzählung des Turmbaus zu Babylon ist
die Geschichte eines Desasters: Von Hochmut und
Selbstüberschätzung geblendet, bauen die Menschen
einen Turm, dessen gigantische Höhe bis zu Gott in
den Himmel reichen soll. Durch ihre bloße, diesseitige
Menschenkraft, so glauben die alttestamentarischen
Bauherren, könnten sie sich ihrem Schöpfer ähnlich
machen. Doch Gottes zornige Reaktion auf Anmaßung
und Hybris verändert die Welt: Es ist die Sprichwort
gewordene „babylonische Sprachverwirrung“, mit der
er die Arbeit auf einen Schlag zum Erliegen bringt. Die
Bauarbeiter des Turms verstehen sich nicht mehr und
jeder weitere Versuch, Stein auf Stein zu setzen, versinkt
im Chaos der tausend Zungen. Was bleibt ist eine Bauruine, das Mahnmal menschlichen Hochmuts – und
zugleich die biblische Erklärung für die Vielsprachigkeit
der Menschen in aller Welt.
Eine folgenschwere Strafe, die zugleich Aufgabe ist: Was
die in alle Teile der Welt zersprengten Babylonier trotz
unterschiedlicher Sprachen eint, ist die Möglichkeit,
aufeinander zuzugehen: sich einzulassen, zu akzeptieren, fremde Sprachen zu verstehen – und den Reichtum
der Vielfalt zu entdecken.
Kulturpädagogischer Ansatz
Vor dem Hintergrund der biblischen Geschichte des
„Turmbaus zu Babel“ hat das Jugendmusical BABYLON
die verschiedenen Kulturen der Solinger Jugendlichen
in einem Gesamtkunstwerk zusammengeführt: Die
kulturellen „Sprachen“ der Jugendlichen (Musik, Tanz,
Theater, Medien etc.) als Äquivalent zu den Sprachen
26 | Trying Babylon — ein jugendkulturelles Musiktheater
der gescheiterten Babylonier bildeten die Basis der
Produktion. Die Situation der vielfältig kulturell
interessierten und tätigen Jugendlichen, die sich facettenreich in verschiedensten Kunstformen ausdrücken,
sich jedoch auch voneinander abgrenzen und dabei
bestenfalls tolerieren, wird also auf die babylonische
Folie projiziert. Dabei sollen die Kulturformen einander
befruchten, miteinander verschmelzen, sich gegenseitig
bereichern und ein homogenes, ungewöhnliches Ganzes
erzeugen – und nicht eine „Nummernrevue“ nacheinander
auf die Bühne gebetener Acts.
Die Jugendlichen waren sehr begeistert und haben
stark von der Produktion profitiert. Es war wichtig,
dass sie zunächst durch Bezugspersonen zu den Proben
gebracht wurden. Später, wenn Bezüge zu den anderen
Jugendlichen hergestellt worden sind, entsteht eine
Eigendynamik, ein verstärktes Eigeninteresse; die Gruppe
Träger
Die Cobra Kultur e.V. (Mitglied in der LAG Soziokultur
NRW) ist Träger des soziokulturellen Zentrums COBRA
in Solingen, das als kulturpädagogische Facheinrichtung konzipiert ist. Der Verein organisiert in der COBRA
Projekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene: soziokulturelle Projekte, Weiterbildung, Veranstaltungen,
sowie diverse Serviceleistungen im Bereich kultureller
Bildung.
Ziel war und ist es, den kreativen, verantwortungsvollen
und selbständigen Umgang mit Musik, Kunst, Theater
und Medien zu unterstützen. Die Förderung der
Gesamtpersönlichkeit, die Auseinandersetzung mit aktuellen künstlerischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die Arbeit mit Mädchen und Jungen sowie die
Integration ethnischer, religiöser und sozialer Gruppen
charakterisieren die Arbeit. Der Verein „Cobra Kultur
e.V.“ ist gemeinnützig und als freier Träger der Jugendarbeit anerkannt.
Das Projekt Babylon wird in Kooperation mit dem
Kinder- und Jugendtheater Wuppertal, der Jugend-förderung Solingen, den Hauptschulen Central und Krahenhöhe sowie dem Kulturbüro Solingen realisiert. Die
Projektberatung führt das Sozialressort der Stadt Solingen, Ressortkoordination Ressort V, Jürgen Beu durch.
Jürgen Beu
wächst zusammen, es entstehen über den Projektrahmen
hinauswirkende Zusammenschlüsse. Ein Beispiel hierfür war die Mädchenrapcombo „Die rappende Rasse“,
die inzwischen schon mehrere Auftritte außerhalb des
Projektrahmens hatte.
Insgesamt standen 32 Jugendliche auf der Bühne, über
100 Teilnehmer haben mitgemacht, haben sich miteinander vernetzt, verknüpft, geschnuppert; es ist ein
Teamgeist entstanden, Kompetenzen und höhere Verbindlichkeiten wurden entwickelt. Eigene Ideen von
Jugendlichen konnten verwirklicht werden. Auf dem
Nachtreffen wurde klar: Alle wollen weiterarbeiten.
Auch 2007 wird es also ein Musiktheaterprojekt geben,
vielleicht in veränderter Form; die Planungen und Überlegungen laufen zur Zeit.
Jahrgang 1955, Diplom-Sozialarbeiter, Mitarbeiter
der Stadt Solingen im Sozialressort, Fachbereich
Politische Jugendbildung. Jürgen Beu veranstaltet
seit 25 Jahren Projekte im multinationalen
Jugendaustausch und produziert Film-, Theater-,
Multimedia- und Jugendkulturevents von und
mit Jugendlichen im Spannungsfeld von Politik
und Kultur. Seit 6 Jahren kooperiert er eng mit
dem JFC Medienzentrum in verschiedenen
Projekten. (u. a. Roots&Routes, Städteprojekte
„Was glaubst Du denn?!“ und „Wahlkanal“)
Kontakt:
Stadt Solingen
Jürgen Beu
Fon: 0212/290-2214
www.solingen.de
j.beu@solingen.de
Best Practice | 27
MittwochsMaler
— das Kölner Graffiti-Jugendkunstprojekt
Maurice Kusber
Projektidee
8
Artikel
Siehe „Von Köln
bis Barcelona: Das
HipHop-Netzwerk
Nippes“
(Seite 42)
Das Jugendkunstprojekt MittwochsMaler entstand im
November 2005 im Rahmen des HipHop-Netzwerkes
für Toleranz und Integration Köln-Nippes. Anfänglich
als einrichtungsübergreifendes Element für die Jugendlichen aus den beteiligten Institutionen gedacht, wurde
es weiterentwickelt mit dem Wunsch, auch jugendliche
Sprayer aus der kölnweiten Szene zu gewinnen. Diese
Idee basiert auf meiner Diplomarbeit aus dem Jahr 2004,
„Graffiti als Ausdrucksform bei Kindern und Jugendlichen“, in der zum einen der Umgang der Stadt Köln
mit der Graffiti-Szene und zum anderen notwendige
präventive Möglichkeiten beschrieben werden.
In Köln wird seit einigen Jahren ein restriktiver Kurs in
der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Graffiti
gefahren. Dabei wird Graffiti in erster Linie im Kontext
einer Beeinträchtigung des subjektiven Lebens- und
Sicherheitsgefühls der Bürger gesehen. Ferner wird angeführt, dass Graffiti dem Standort Köln schade. Beide Argumentationsstränge lehnen sich letztlich an die
„Broken Windows Theorie“ an: Da, wo Graffiti ist, sei
Armut, Schmutz und Gefahr auch nicht weit entfernt.
Als Konsequenz wird dann eine Strategie der Kriminalisierung von Graffiti-Sprayern verfolgt.
Betrachtet man die aktuelle Anti-Graffiti Politik in verschiedenen deutschen Großstädten wie z.B. Köln, Berlin,
Kiel, Hamburg und Bielefeld, bemerkt man einen Wandel der Perspektiven. Wurde Graffiti früher als Ausdruck
eines urbanen Niedergangs und der Auflösung öffentlicher Ordnung angesehen, wird Graffiti mittlerweile als
deren Ursache und Symbol betrachtet. Ordnungspartnerschaften wie die Kölner Anti-Spray-Aktion „KASA“,
die Berliner „Nofitti“ und die Kieler Aktion „Klar Schiff“
versuchen, den Kampf gegen „Farbschmierereien“ und
„Farbsprühterroristen“ bürgernah aufzunehmen und
so einen als sauber und sicher erlebbaren Raum zu
erzeugen und zu legitimieren. Die Anti-Graffiti-Aktionen
stehen inzwischen für den Kampf um städtisches
Territorium und dessen Nutzung – Graffiti-Sonderkommissionen der Polizei gegen die Szenen, für die Graffiti
als letztes großes Großstadtabenteuer fungiert, wobei
oftmals die Konsequenzen und die Gefahren ignoriert
werden: „Sprayer und Streetart Aktivisten wollen auffallen und Zeichen setzen, Kommunikation über Provokation erzeugen, den öffentlichen Raum erobern, oder
Spaß haben. Besitzverhältnisse werden ausgeblendet
und vorrangig öffentliches Eigentum benutzt“ (Barbara
UDU Uduwerella von HipHop-Hamburg e.V., auf
www.pro-graffiti.tk).
Für die sprayenden Jugendlichen sind die zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen ihres illegalen Sprühens oft
nicht in vollem Umfang absehbar, so dass sie gefährdet
sind, mit erheblichen Schuldenlasten aus Sachbeschädigungsverfahren herauszugehen und sich so die eigene
Zukunft nachhaltig zu verbauen.
Das Projekt
Die MittwochsMaler verstehen sich als Mal- und Kreativprojekt sowie als Anlauf- und Beratungsstelle für
gefährdete Jugendliche aus der Graffiti-Szene. Unter
Anleitung einer Honorarkraft, begleitet von einem
hauptamtlichen Mitarbeiter aus der OT Luckys Haus,
nutzen die Jugendlichen die Möglichkeit, sich alternative
künstlerische und musikalische Ausdrucksmöglichkeiten anzueignen. Dieses stadtweit einzigartige Projekt
steht für einen neuen Ansatz in Köln, nämlich eine
konstruktiv-präventive Arbeit mit den Graffiti-Sprayern,
sinnvollerweise integriert in die offene Kinder- und
Jugendarbeit.
Zielgruppe
Jeden Mittwoch treffen sich in der Zeit von 18 bis 21 Uhr
Jungen und Mädchen ab 14 Jahren in der OT Luckys
Haus. Die Gruppe besteht aus ca. 17-30 Personen, die
regelmäßig erscheinen; dazu zeigt sich ein wachsendes
Interesse der ganzen Kölner Szene. Rund 70% der TeilnehmerInnen sind seit dem ersten Treffen dabei, die
anderen 30% setzen sich aus Bekannten der Teilnehmer-
28 | MittwochsMaler — das Kölner Graffiti-Jugendkunstprojekt
Innen und Interessierten, die unregelmäßig vorbeischauen, zusammen. Die Kernzielgruppe – in der Szene
aktive jugendliche Graffiti-Sprayer – hat das Projekt
sehr positiv angenommen, sie macht ca. 85% der
Gesamtgruppe aus; der Rest sind künstlerisch interessierte
Jugendliche.
In der Arbeit mit der Graffiti-Szene hat sich klar ein
hoher Bedarf nach einem verlässlichen Treffpunkt für
Gespräche und Beratung herauskristallisiert. Zentrale
Themen sind Prävention durch kreative Aktionen,
Beratung bei Verstößen gegen die §§303 und 304 StGB
(Sachbeschädigung) sowie Anfragen zur Durchführung
von Sozialstunden in der OT Luckys Haus.
In Gesprächen mit den Jugendlichen wurden die Probleme
deutlich, die ein exzessives illegales Sprayen mit sich bringt:
delinquentes Verhalten, negativer Lebensrhythmus,
oftmals Schulabbruch, Probleme und Unsicherheit
bei der Ausbildungssuche, zivilrechtliche Belastungen/
Schadensersatzforderungen und ein dadurch entstehender schlechter Start in das Berufs- und Erwachsenenleben.
Diesem erhöhten Jugendhilfebedarf versuchen wir in der
knappen Workshopzeit Rechnung zu tragen. Hier wird
u. a. auf die Möglichkeiten eines Täter-Opfer Ausgleichs
hingewiesen, um schon im Vorfeld einer Verhandlung die
Schäden in Absprache mit dem Kläger zu beseitigen.
Integration durch HipHop
Die HipHop-Kultur soll in diesem Projekt als Bindeglied
zwischen der gesellschaftlichen Kultur und der individuellen Lebenswelt der Jugendlichen dienen. Die darauf
aufbauende Jugendarbeit soll für die kreativen Aktivitäten
Raum bieten und unterstützend Hilfe leisten.
Diese Möglichkeiten sind in der OT Luckys Haus gegeben:
Bereits seit mehreren Jahren ist das Haus als aktiver
Partner in das HipHop-Netzwerk für Toleranz und
Integration im Kölner Stadtbezirk Nippes eingebunden.
Die verschiedenen Workshops und die öffentlichen Veranstaltungen dieses Netzwerkes haben zusätzlich dazu
beigetragen, die Graffiti-Szene in das Projekt mit einzubeziehen und ihr eine Präsentationsplattform in einem
legalen Rahmen zu geben.
Maurice Kusber
Jahrgang 1974, Diplom-Sozialpädagoge,
arbeitet seit 2005 in der OT Luckys Haus/
Köln-Bilderstöckchen. Schwerpunkte seiner
Tätigkeit sind die Leitung der Übermittagsbetreuung, die Offene Kinder- und Jugendarbeit, Jugendkulturarbeit sowie Szenespezifische Jugendarbeit. Projektleitung
„MittwochsMaler“. Seine Diplomarbeit
schrieb er 2004 zum Thema: „Graffiti als
Ausdrucksform bei Kindern und Jugendlichen und Ausgangspunkt für Szenespezifische Jugendarbeit“.
Kontakt:
k.mau@gmx.de
Methoden und Arbeitsweisen
Die Teilnehmer erlernen in der Projektarbeit bestimmte
grundlegende Kompetenzen: Kontinuität, Verlässlichkeit, Frustrationstoleranz, Regeln befolgen, Absprachen
treffen und einhalten. Unter kulturpädagogischem Einsatz der Prinzipien des HipHop werden Multikulturalität, Toleranz und gegenseitiger Respekt gefördert. Ein
weiteres Kernprinzip der Arbeit ist Partizipation: Beteiligung der Jugendlichen an allen wichtigen Entscheidungen, erlernen demokratischer Prinzipien.
Auf künstlerischer Ebene werden den Jugendlichen neue
alternative Techniken beigebracht. Schwerpunkte der
einzelnen Einheiten sind Buchstaben und Figuren, Airbrush, Kalligraphie, Ölmalerei, Siebdruck, Linoleumdruck, Erstellen von Schablonen sowie die Herstellung
von Leinwänden und Staffeleien. Das Fotolabor kann
genutzt werden, ebenso digitale Photo- und Videobearbeitung. Des Weiteren bieten wir die Möglichkeit, in
unseren eigenen kleinen „Hall of Fame“ (Graffiti-Wand)
in Ruhe und in einem legalen Rahmen zu malen. Diese
„Hall“ wurde teilweise zusammen mit den Jugendlichen
gebaut und erweitert.
Anfragen privater und gemeinnütziger Auftraggeber für
Gestaltung von Wänden und Aktivitäten auf HipHopJams der anderen Netzwerkeinrichtungen ermöglichen
es den jugendlichen Graffitimalern, sich und ihre
Fähigkeiten weiterhin in einem legalen Rahmen zu
verwirklichen und Verantwortung für sich und andere
zu übernehmen.
Links
MittwochsMaler Homepage: www.mittwochs-maler.de
Fotolog der MittwochsMaler: www.fotolog.com/mittwochsmaler
Homepage des HipHop-Projekts Nippes: www.hiphop-projekt.de
Best Practice | 29
Mädchenprojekte der Offenen Jazz Haus Schule
Rainer Linke und Gabi Deeg
„Ziel unserer Mädchenarbeit ist es, die
Teilnehmerinnen in
ihrer Gesamtpersönlichkeit zu fördern“
Die Tradition der Mädchenarbeit reicht an der Offenen
Jazz Haus Schule bis in die 80er Jahre zurück. Die Entscheidung, sich parteiisch für Mädchen einzusetzen,
folgte der Beobachtung, dass in unseren musikalischen
Früherziehungsgruppen die Zahl der Mädchen und Jungen
ausgewogen war, wohingegen in den angebotenen TeenBands Mädchen nur noch vereinzelt anzutreffen waren.
Damals begannen wir gezielt nach Musikerinnen zu
suchen, die unsere Instrumental- und Bandarbeit
betreuen könnten. Mit Freude konnten wir beobachten,
dass der Mädchenanteil in den von Dozentinnen geleiteten
Gruppen stark zunahm und sich vereinzelt sogar reine
Mädchengruppen bildeten.
Seit den 90er Jahren gehen wir in unseren soziokulturellen Mädchenprojekten einen Schritt weiter und
wenden uns unter integrativer Zielsetzung spezifisch an
Mädchen und junge Frauen aus sozial schwachem Umfeld.
Ziel unserer Mädchenarbeit ist es, die TeilnehmerInnen in ihrer Gesamtpersönlichkeit zu fördern. Wir
unterstützen sie in der Entwicklung ihres Wahrnehmungsund Ausdrucksvermögens, ihrer kommunikativen,
künstlerischen und sozialen Kompetenzen, ihrer Werte
und Einstellungen, ihres Selbstbewusstseins und ihrer
Identität.
30 | Mädchenprojekte der Offenen Jazz Haus Schule
Die jährlichen Highlights unserer Mädchenarbeit sind
von den Teilnehmerinnen selbst entwickelte MusikTanz-Theaterstücke bzw. HipHop-Musicals. Wir
erreichen die Mädchen über unsere Kooperationspartner in den Stadtteilen: Schulen, Jugendeinrichtungen,
Mädchenhäuser usw. Nach Ankündigung über Flyer,
Presse und Mund-zu-Mund-Propaganda treffen sich
alle Interessentinnen zu einem Casting und bewerben
sich für einen der angebotenen Workshops, z.B. Band,
Songwriting, Rap, Theater, Schreibwerkstatt, HipHopDance, Breakdance, DJing, Video, Foto oder auch Graffiti. An einem Musicalprojekt nehmen zwischen 40 und
80 Mädchen teil. Der Zulauf zu den Castings, über die
wir dem Trend der Zeit folgend seit einigen Jahren den
Zugang regeln, ist sehr rege. Wir hatten schon bis zu
200 Bewerberinnen für ein Projekt. Die Auswahl wird
von den Dozentinnen getroffen.
Gearbeitet wird niederschwellig und mit kulturpädagogischen Methoden. Dabei bringen die Mädchen ganz
unterschiedliche Vorerfahrung ein, so dass in einem
Projekt absolute „Neuankömmlinge“ neben „Alteingesessenen“ mit bereits hochentwickelter künstlerischer
Kompetenz auf der Bühne stehen. Die Teilnehmerinnen
treffen sich über drei bis vier Monate wöchentlich in
ihren jeweiligen Workshops und entwickeln in einem
künstlerisch-kreativen Prozess unterstützt von professionellen Künstlerinnen Aussagen und Inhalte ihres Musicals. Die Ergebnisse der zunächst parallel laufenden
Workshoparbeit werden in der Schlussphase des Projekts unter der Regie der Theaterdozentin zu einem
Gesamtablauf zusammengeführt und schließlich an
einem zentralen kulturellen Ort in Köln uraufgeführt.
Die Projekte sind verlaufs- und ergebnisorientiert. Im
künstlerischen Prozess reflektieren die Teilnehmerinnen
ihre Lebenswelt unter thematischen Vorgaben, sie
diskutieren Lösungsansätze, entwickeln eigene Texte,
Songs, Choreographien und Theaterszenen, feilen an der
Ausführung und künstlerischen Umsetzung ihrer Ideen,
schärfen dabei ihre Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit, lernen eigene Möglichkeiten und Grenzen
kennen, artikulieren ihre Standpunkte, Hoffnungen und
Ängste. Dabei werden die eingangs aufgelisteten Ziele
im Verlauf des künstlerischen Gestaltungsprozesses oft
quasi nebenbei erreicht. Im Ergebnis werden die Teilnehmerinnen zum Anwalt ihrer eigenen Sache, werden
selbst aktiver Teil der freien kulturellen Szene, werden
bewegender Offenheit über ihre Gewalterfahrungen,
Vernachlässigung und sexuellen Missbrauch sprach.
Das Projekt erhielt das Jurylob des Jugendkulturpreises
NRW 2004.
• Mit dem Thema des Projektes „Hexen, Zicken, Biester“
(2004) traf die Offene Jazz Haus Schule bei den beteilig-ten
Mädchen offensichtlich einen Nerv – hier wurden starke
Frauen und die Repressionen, denen sie sich ausgesetzt
sehen, beleuchtet. Erstmalig startete ein Mädchenprojekt mit einem Casting, zu dem sich fast 100
Bewerberinnen einfanden. 50 von ihnen entwickelten ein
Bühnenstück, das einen Bogen vom Aufgreifen historischer Hexenverbrennung bis hin zu Situationen aus
dem direkten und persönlichen Lebensumfeld der
Mädchen schlug.
• Beim Casting zum Mädchenprojekt 2005 –
„Dann gehörst du dazu!“ – hatte sich die Zahl der
Bewerberinnen fast verdoppelt. Von ca. 200 Mädchen
und jungen Frauen wurden über 60 in die Workshoparbeit eingebunden. Sie entwickelten ein Stück zum
Themenfeld Gruppendruck, Mobbing und gesellschaftliche Zwänge. Herausragend an diesem Projekt war das
Zusammenspiel der verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen. So trug beispielsweise ein Mädchen zur
live von der Band gespielten Musik einen selbstgeschriebenen Text über eine Mutprobe vor, der gleichzeitig mittels
ausdrucksstarken Tanztheaters in Bewegungsbilder
übertragen wurde.
selbst zu Künstlerinnen; d.h. sie beziehen Standpunkte
und schaffen mit ihren künstlerischen Aussagen in einem
kreativen Prozess Symbole, die ihnen selbst, aber auch
ihren FreundInnen und Familien sowie dem Publikum
Hilfestellung und Orientierung zur Lebensbewältigung
bieten. Dies alles in einem geschützten Raum, unterstützt von Dozentinnen, die ihnen als direktes Vorbild
Rückhalt und Mut geben, neue Wege zu beschreiten.
Abschließend sei erwähnt, dass die Mädchen vom
Publikum stets begeistert gefeiert wurden und damit
über die künstlerische Arbeit Bestätigung und Anerkennung finden. Dafür sind sie bereit, freiwillig über mehrere
Monate intensiv zu arbeiten. Alle Erfahrungen, Erlebnisse, Lernprozesse und gewonnenen Wertepositionen
führen zu Eindrücken, die langfristig – vielleicht ein
Leben lang – nachwirken.
Nachfolgend noch einige konkrete Beispiele von
Mädchenprojekten der letzten Jahre:
• Bereits 1999 thematisierten junge Musliminnen im
Projekt „BasTuch – das Kopftuch“ ihre lebensweltlichen
Erfahrungen und präsentierten die Ergebnisse in der
Alten Feuerwache Köln einem begeisterten Publikum.
• Wie falsch Jungen mit ihrer Einschätzung des weiblichen Geschlechts liegen können, zeigte sich im
Laufe des Projektes „Schäl Sick Sistaz – Say no!“ (2001).
Den Worten eines Mitschülers, als er erfuhr, dass die
Workshops nur Mädchen offen standen – „Das können
Mädchen doch gar nicht! Das wollen die auch nicht!“
– setzten 40 Teilnehmerinnen nach drei Monaten eine
mitreißende Tanz-Theater-Musik-Performance zum
Thema Abgrenzung und Selbstbehauptung entgegen.
• Das Nachfolgeprojekt „Schäl Sick Sistaz – Raus hier!“
(2003) wurde auf Anregung einer Teilnehmerin konzipiert und beschäftigte sich mit der Ablösung aus dem
Elternhaus. Teil des am Ende des Projektes aufgeführten
Bühnenstückes war eine eindringliche authentische
Film-Dokumentation, in der eine Teilnehmerin mit
Gabi Deeg
Jahrgang 1969, Magisterabschluss in Sprachund Kulturwissenschaften an der Universität zu
Köln, seit 2001 Leiterin des Projektbereiches der
Offenen Jazz Haus Schule. Verantwortlich für die
Durchführung verschiedenster soziokultureller
Projekte: HipHop-Musicals, Competitions, mobile
Workshopangebote an Schulen und Jugendzentren
regional und überregional. In ihrer Freizeit
spielt sie Perkussion in der Mittelalterband
„Alavia“ und steht mit ihrem Improvisationstheater-Ensemble „Taubenhaucher“ auf der Bühne.
Kontakt:
www.jazzhausschule.de
projekte@jazzhausschule.de
Rainer Linke
Jahrgang 1950, Initiator und Leiter der Offenen
Jazz Haus Schule Köln. Studierte an der Musikhochschule Köln Schulmusik und Instrumentalpädagogik Kontrabass. Internationale Konzerttätigkeit als freischaffender Musiker im Bereich
Jazz und Improvisierte Musik; zahlreiche Platten
und CD-Veröffentlichungen; Dozent an der Musikhochschule Köln, 1979-1994 für Jazzkontrabass
und seit 2006 für Musikpädagogik. Seit 1980 konzeptionelle pädagogische Tätigkeit mit Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen.
Kontakt:
www.jazzhausschule.de
Best Practice | 31
pop@rena — Musikvideos für’s WWW
Lisette Reuter
„Jugendliche aus
verschiedenen Orten
und jugendkulturellen Szenen
erwerben spielerisch-gestalterisch
Medienkompetenz“
Jugendliche aus verschiedenen Orten und jugendkulturellen Szenen erwerben spielerisch-gestalterisch
Medienkompetenz bei der Produktion von Videoclips
zu Musikstücken von lokalen jungen MusikerInnen und
Bands. Zum Abschluss gibt es ein gemeinsames Konzert
mit Videoscreening. Das Projekt ist eingebettet in ein
internationales Online-Musikvideo-Netzwerk.
– Internationaler und interkultureller Austausch über
die internationale Musikvideo-Plattform www.poparena.net
– Einrichtungen und Netzwerke mit den Schwerpunkten
Jugendkultur/Musik einerseits und Medienarbeit
andererseits zusammenbringen
– Das öffentliche Bild von der Zielgruppe positiv korrigieren
Von Finnland lernen heißt filmen lernen
In der Startphase des Pop@rena-Projekts im September
2006 werden zunächst lokale Kooperationspartner gesucht, die erstens mit passenden Zielgruppen arbeiten
und die zweitens intensiv jugendkulturelle Musikarbeit
betreiben bzw. Kontakte zu einschlägigen Einrichtungen haben. Gefunden werden sieben Partner: der
Offene Kanal Bielefeld (Kanal21), das Music-Office
Hagen (in Trägerschaft der eSw), die HipHop-Highschool
Solingen, das Jugendkulturzentrum „Die Volksschule“
Moers, das Jugendzentrum „Kontakt Erfttal“ Neuss,
die Rockstation im Bürgerzentrum Köln-Vingst und die
OT Luckys Haus in Köln-Bilderstöckchen.
Drei der Einrichtungen sind völlig neue Partner für den
JFC, nichtsdestotrotz funktioniert die Kooperation
überall gut.
In den Projekten des JFC Medienzentrums seit den 90er
Jahren hat sich die Kombination von Jugendkultur und
Medienarbeit als fruchtbar erwiesen, um Jugendliche für
Medien zu begeistern und so Medienbildung zu vermitteln. Musikvideos sind dafür besonders geeignet: Das
Format ist allgemein bekannt, bietet große Freiräume
im Visuellen, lässt sich in begrenzter Zeit gut umsetzen
(auch Profiproduktionen werden oft binnen zwei Tagen
– Dreh plus Postproduktion – fertig gestellt), verknüpft
eng mediale und jugendkulturelle Aspekte und ist auch
für den internationalen Austausch gut geeignet, da
die sprachliche Komponente hier nur eine Nebenrolle
spielt.
In der Kölner Partnerstadt Turku wird seit einiger Zeit
eine sehr aktive Medienarbeit im Musikvideobereich
betrieben, vor allem mit Bands aus dem Punk-, Rockund Heavy-Bereich. Das Jugendamt der finnischen
Stadt nahm über die Fachstelle für internationale Jugendarbeit des Kölner Jugendamts 2005 Kontakt zum
JFC Medienzentrum auf, um eine Kooperation in diesem
Bereich anzuregen. Die Kollegen aus Turku beantragten
dann 2006 eine Förderung für ein kleines internationales Netzwerk-Projekt beim EU-Aktionsprogramm
JUGEND – mit dabei auch die Stadt Łódź(Polen) und die
Modern Soul Academy Stockholm. Mit Unterstützung
des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen
und Integration NRW konnte das Projekt hier in recht
umfangreicher Form realisiert werden.Die Hauptziele
des
Musikvideo-Medienkompetenz-Modellprojekts
Pop@rena: Musikvideos fürs WWW, dass der JFC im zweiten Halbjahr 2006 durchführte, sind:
– Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren mit und ohne
Migrationshintergrund für aktive Medienarbeit gewinnen
– Musikvideoproduktionen in mindestens 6 verschiedenen Jugendeinrichtungen NRW-weit
– Vermittlung gestalterischer Medienkompetenzen auf
professionellem Level an jugendliche TeilnehmerInnen
32 | pop@rena — Musikvideos für‘s WWW
Von Bilderstöckchen bis Bielefeld
Vor Ort finden zunächst Vorgespräche statt, dann in der
Regel ein oder zwei Drehtage – jeweils mit einer Band
oder Crew und einer ad-hoc-Mediengruppe aus der Einrichtung, die begleitet von zwei JFC-ReferentInnen Kamera und Licht übernimmt. Anschließend gibt es noch
ein oder zwei Postproduktionstage nur mit der Mediengruppe. Für interessierte und talentierte Teilnehmer
werden verschiedene Folgeaktivitäten angeboten,
von der Mitarbeit als „Pate“ bei den Projekttagen
in anderen Einrichtungen bis hin zur Teilnahme an weiteren Projekten (z.B. bei Different Roots – Common
Routes).
Stilistisch ist die Bandbreite groß: In Bielefeld entsteht
ein klassisches Pop-Rock-Bandvideo, in Bilderstöckchen
ein in Sepia-Tönen gehaltenes düsteres Rapvideo mit
schwarzen BMWs und Graffiti-besprühten ehemaligen
Fabrikgeländen. Die Moerser setzen ihren Polit-Ska-PunkSong auf Bauwagenplätzen und Weihnachtsmärkten
in Szene, aus Solingen kommt eine Rap-Soul-Ballade,
die im Video vorwiegend mit erzählenden Bildern umgesetzt wird. Die Neusser Deutschrocker zeigen sich
im Niederrheinischen Flachland, aber auch in Musikgeschäften, Fitnessstudios und live auf der Bühne; dagegen setzen die Hagener HipHopper betont urbane
Akzente, mit Breakdance und Feuerspucken in der
Unterführung. Aus Köln-Vingst kommt die erst kürzlich gegründete Crossover-Band V-Attakk, die Rap mit
harten Bandklängen mischt und das Rheinufer als
Kulisse für ihren Anti-Kriegs-Song nutzt, aber auch in
Ruinen und auf dem Dach einer Litfasssäule musiziert.
pop@rena live!
Am 10. Dezember ist es dann soweit: Alle Videos sind
geschnitten, und alle ProjektteilnehmerInnen werden
zu einem der technisch aufwändigsten Projekte in der
Geschichte des JFC Medienzentrum eingeladen: Im
Foyer des Kölner Filmhauses treten alle sieben Bands
und Crews aus dem Projekt live auf, werden dabei mit
mehreren Kameras gefilmt und als Livestream auf www.
poparena.net übertragen. So zumindest die Planung
– aufgrund technischer Schwierigkeiten kriegen die
Internet-Zuschauer alle Auftritte mit einer guten hal-
ben Stunde Verspätung zu sehen. Zwischen den LivePerformances werden in zwei Blöcken die sieben
Musikvideos auf der großen Leinwand des FilmhausKinos präsentiert.
Trotz technischer Probleme wird der Event zu einem
vollen Erfolg: Die Jugendlichen aus den unterschiedlichen jugendkulturellen Szenen haben meistenteils Spaß
miteinander, und wenn jemand eine Musikrichtung gar
nicht ertragen kann, verlässt er halt solange den Saal.
Spät am Abend leert sich dann der Saal; zum Abschluss
der Projektphase wird noch eine Doppel-DVD mit allen
Musikvideos und dem kompletten pop@rena-Livekonzert produziert und an alle TeilnehmerInnen verteilt.
DVD
Siehe Musikvideos
von Free Kings, 3
Wege Soundsystem
und V-Attakk auf
beiliegender DVD
Aufbauend aus den Erfahrungen aus diesem Projekt
und den vorangegangenen Städteprojekten Wo bleibst
Du Denn?!, Wahlkanal und Urban Culture 2005 wird im
JFC Medienzentrum gegenwärtig ein Konzept für ein größeres
Web-TV-Projekt unter dem Namen Roots&Routes TV
entwickelt: Jugendredaktionen in verschiedenen Städten
Nordrhein-Westfalens, ggf. auch international, stellen
in regelmäßigen Web-TV-Magazinsendungen jugendkulturelle Aktivitäten in ihrer Stadt vor; dazu kommen
Ferienaktionen mit Musikvideoproduktionen.
Lisette Reuter
Jahrgang 1979, seit 1998 Mitarbeiterin des Arbeitskreises Öffentlichkeitsarbeit und verschiedene
Referententätigkeiten beim Sommertheater Pusteblume. Seit 2005 freie Mitarbeiterin und Projektmitarbeiterin des JFC Medienzentrum Köln
im Bereich Video- und Multimediaarbeit sowie
internationale Jugendmedienarbeit. Projektleitung
„pop@rena - Musikvideos fürs WWW“. Studium
des Lehramtes für Sonderpädagogik Sek. I sowie
Studium der Diplompädagogik mit Schwerpunkt
Sozialpädagogik in Köln abgeschlossen.
Kontakt:
lisette@jfc.info
Best Practice | 33
sCOOL-HITs — Popmusik und Kreativität,
die Schule macht
Markus Brachtendorf
„Die Welt ist hart, doch jeder geht seinen Weg, jeder
hat seinen Part. Die Welt ist hart, ich geb dir einen Rat,
komm mit ihr klar auf deine eigene Art“, so resümiert die
USG Crew in ihrem gleichnamigen HipHop-Track über
den Alltag und das Sich-zurecht-finden in ihrer (Förderschul-)Realität. Diese und andere Botschaften sind
nachzuhören auf der CD sCOOL-HITs Nr. 5 und nicht das
erste Statement, welches die fünf Jungs aus Leverkusen-Opladen auf die regionale Öffentlichkeit abfeuern.
(www.myspace.com/usgcrew)
sCOOL-HITs in Leverkusen
Schon seit 2000 schreiben und produzieren an zwei
Leverkusener Förderschulen jährlich gut 50-60 Schüler
mit Unterstützung kompetenter Musikpädagogen ihre
eigenen Songs. So entstanden bis heute bereits sechs
sCOOL-HITs-Compilations.
sCOOL-HITs ist aber nicht nur der Name einer CD-Reihe.
Es ist auch Synonym für die kreative Songwriting-Arbeit
mit Kindern und Jugendlichen, die mein Kollege Thorsten
Neubert und ich, beide studierte Sonderpädagogen
und aktive Musiker und Produzenten, zunächst aus der
Arbeit im Rahmen einer musiktherapeutischen Förder-
maßnahme heraus seit Ende der Neunziger Jahre stetig
weiterentwickeln. Aus dem Wunsch und dem Anspruch
heraus, „die Schüler abzuholen wo sie sind“, begannen
wir nach Versuchen mit eher herkömmlichen Spielarten
des Musikunterrichts damit, uns gemeinsam mit den
Schülern eigene Popsongs auszudenken. Wichtige Themen, die die Schüler betreffen und die ihnen quasi unter
den Nägeln brennen, gibt’s zur genüge. Dauerbrenner
sind z.B. Liebe, Drogen, Gewalt; aber auch ganz Persönliches und manchmal Probleme oder Ängste der Schüler
finden den Weg in die Songs.
Wir machen uns dabei die Tatsache zunutze, dass die
Lebenswelt der Jugendlichen mit ihrer Wahrnehmung
und ihrer Weltsicht ganz automatisch tief in der Popkultur und deren Ästhetik verwurzelt sind. Die Rahmenbedingungen für Popmusik-Songwriting sind also ideal,
weil sie direkt mit dem Leben der meisten Kids verbunden
sind. Sie alle hören Popmusik, warum also nicht einfach
mal selber machen? Außerdem können wir so unsere
eigene Leidenschaft für das Musikmachen mit unseren
Schülern teilen. Dabei entstehen Synergien, und das
schafft Authentizität.
Der gesamte Prozess und die Songs, die im Rahmen der
sCOOL-HITs-Arbeit entstehen, geben den Schülern die
Möglichkeit, sich durch Musik auszudrücken. So schaffen wir auch gerade bei den Förderschülern, die oft aus
sozial benachteiligten Umfeldern oder aus problematischen Familienverhältnissen stammen, Möglichkeiten,
sich neue kreative Ventile für alles zwischen „Hop oder
Top“ zu erarbeiten. Ganz nebenbei schärfen wir mit der
Arbeit ihren Blick auf die Popkultur und werden zunehmend Zeuge davon, wie sich ihre Rezeption ihrer Realität
und der Musik, deren Botschaften sie täglich konsumieren,
weiterentwickelt und differenziert.
Wichtiger als künstlerische Gesichtspunkte ist dabei
die Erfahrung, dass sCOOL-HITs vor allem mittel- und
langfristig spürbar positiven Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung und das Selbstwertgefühl vieler
Schüler nimmt. Die Identifikation mit den selbst
geschriebenen Tracks und deren Inhalten, zusammen
mit der Möglichkeit, diese bei Konzerten und auf CDs
der Öffentlichkeit zu präsentieren, verlangt zunächst
viel Überwindung, verschafft aber anschließend auch
viel Anerkennung und Genugtuung.
Das gesamte Projekt, vom regelmäßigen Songwriting
34 | sCOOL-HITs — Popmusik und Kreativität, die Schule macht
über Proben und Auftritte bis hin zur CD-Produktion
und deren Veröffentlichung im regionalen Rahmen,
schafft Raum für Kommunikation und Kooperation
zwischen Schülern, Lehrern und Eltern und hat im
Laufe der vergangenen Jahre dazu beigetragen, dass
Klima an den beteiligten Schulen spürbar positiv zu
beeinflussen.
sCOOL HITs aktuell
Im Jahr 2007 kann das Projekt in Kooperation mit der
Musikschule Leverkusen mit Landesmitteln auf drei von
vier Hauptschulen der Stadt ausgedehnt werden. Auch
an diesen Schulen wird bis Ende des Jahres Songwriting
und Musikproduktion – und damit auch ein bisschen
kreative Selbstverwirklichung der Schüler – mit drei
Wochenstunden zum Unterrichtsinhalt. Gipfeln werden
diese Aktivitäten einerseits in Aufnahmetagen im
professionellen Tonstudio und andererseits in der
Produktion der CD und deren Präsentationskonzert im
renommierten Leverkusener Forum (Ort der Leverkusener
Jazztage) am Ende des Jahres.
Die Leverkusener sCOOL-HITs in Zahlen: 2007 arbeiten
derzeit zwei Dozenten mit gut 100 Haupt- und Förderschülern in knapp 20 Bands an ca. 40 selbstgeschrieben
Songs, die im Laufe des Jahres auf zwei professionell
produzierten CDs und diversen Konzerten der regionalen Öffentlichkeit präsentiert werden können.
Abseits dieser langfristigen Perspektiven freuen wir
uns seit 2001 zunehmend über die Möglichkeit, vielen
Kindern und Jugendlichen sCOOL-HITs und damit Popmusik und Kreativität auch im Rahmen von Projektwochen oder Workshops unterschiedlichster Schattierungen zugänglich machen zu können. So konnten wir
neben Dozenten für Tanz, Eventmanagement, Medien
und Moderation als Musikproduzenten im Team der
SchoolTour der Deutschen Phonoakademie bereits an
vielen Schulen quer durch die Republik kreativ werden,
darunter auch die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln.
Markus „Be“ Brachtendorf
Jahrgang 1972, Sonderpädagoge, Musiker und
Produzent. Seit 2000 Musikschullehrer der
Musikschule Leverkusen, daneben Inhaber des
„Tonstudio Be“ (Köln-Deutz, tonstudiobe.de),
des angeschlossenen Labels „Jigit! Records“
und des „Be Publishing“ Musikverlages.
Als Musiker und Künstler zahlreiche CDVeröffentlichungen und gut 500 Konzerte im
In- und Ausland in den vergangenen 15 Jahren.
Als Pädagoge Konzeption und Durchführung
zahlreicher Popmusikprojekte und -workshops
unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung an
sämtlichen Schulformen bis hin zur Lehrerfortbildung.
Kontakt:
m.brachtendorf@scool-hits.de
Häufig gibt es auch thematisch ausgerichtete Songwritingprojekte, z.B. im Kontext von Kulturbegegnung und Migration (so die Projekte ORIENTierung,
www.orientierung2005.de, und Sesam öffne Dich im
Rahmen der Kinder und Jugendbuchmesse Oldenburg).
Außerdem haben wir mittlerweile andere Medien wie
Video und Internet in die Arbeit integriert und können
so z.B. gemeinsam mit den Schülern Videoclips zu ihren
eigenen Songs produzieren.
Im Zentrum von sCOOL-HITs stehen aber immer die
Meinungen und Themen der Schüler und der kreative
Umgang damit mit Hilfe des Mediums Musik: Kreativität, die Schule macht und Schule kreativ macht; somit
ein kleiner Baustein, der vielen Schülern positive Erfahrungen und Impulse für die „Bühne des Lebens“ und die
Zukunft mit auf den Weg gibt.
„Im Zentrum von
sCOOL-HITs stehen
immer die Meinungen
und Themen der
Schüler und der
kreative Umgang
damit“
Links
„sCOOLe“ Beispielmusik und Videos gibt’s unter www.scool-hits.de, www.myspace.com/scoolhits oder aber auch
käuflich auf den sCOOL-HITs CDs im Netz unter www.KaDeBe.com.
Best Practice | 35
Von BandWatch und MusicWatch
zu popUP NRW
Renato Liermann
Junge Bands fördern und fordern, das heißt für unsere
Zielgruppe:
– Stärken und Schwächen, die eigene Position im Musikund Medienbusiness, Konzepte und Ziele für die Band
klären;
– mit einem guten Gefühl und Neugier nach MusicWatch/
popUP NRW wieder in den Proberaum und auf
Tournee gehen;
– Netzwerke unter den Bands, mit Musikinitiativen,
Veranstaltern, Musik- und Medienwirtschaft bilden;
– endlich vom Publikum, den Medien und einem
Majorlabel mit Begeisterung wahrgenommen werden,
die Musik vielleicht zum Beruf machen können;
– und sich wie in den letzten Jahren z.B. Tapesh, Lecker
Sachen, Tengu oder Uncle Ho nach vorne zu bringen.
In diesem Sinne realisiert die eSw (Evangelische Schülerinnen- und Schülerarbeit in Westfalen e.V.) seit 1992
zusammen mit der jetzigen Arbeitsgemeinschaft
MusicWatch umfangreiche Förderprojekte für Nachwuchsgruppen sämtlicher Stilrichtungen in NRW. Über
1500 junge Rock-, Pop- und HipHop-MusikerInnen wurden
seitdem in Workshops, bei Konzerten und in Beratungsprozessen gefördert und gefordert und z. T. auch im
Rahmen internationaler Musikprojekte auf Tournee vor
allem in Osteuropa geschickt.
Die Besonderheit dieses Projektes, das ausdifferenzierte und mittlerweile ganzjährige Qualifizierungsund Auftrittsprogramm, prägt zudem ein landesweites
Netzwerk mit kommunalen und verbandlichen Partnern wie der Stadt Bochum und der eSw, zahlreichen
Musikinitiativen wie Ruhrklang oder Triggerfish und
Jugendkulturhäusern wie dem Kultopia in Hagen. Junge MusikerInnen bestimmen hier gemeinsam mit Profis
aus Bildungsarbeit und Musikbusiness, wo es langgehen soll. Das Konzept dient seit Jahren als Vorbild für
zahlreiche kleinere Projekte.
BandWatch und HipHopWatch …
… konzentrierten sich seit 1992 bzw. 1998 auf die Förderung
von Rock- bzw. HipHop-Crews – mit Einstiegskonzerten,
Workshops in der Jugendbildungsstätte Berchum der
eSw, Konzerten in namhaften Clubs im Ruhrgebiet wie
der Zeche Bochum oder dem Globe/Kultopia in Hagen
und deren Auswertung mittels Videomitschnitten.
Angeboten wurden darüber hinaus ergänzende Konzerte
und einige Beratungen, ab Ende der 1990er Jahre auch
ein Coaching für 1-2 Bands im Anschluss an die Projektwochenenden durch das Music Office Hagen (in
Trägerschaft der eSw) für Rock- oder durch die Guru
Music School Bochum für HipHop-Gruppen.
MusicWatch …
… weitete diese Konzeption 2004 schließlich durch umfangreiches Bandtraining/Coaching erstmals zu einem
ganzjährigen Qualifizierungsprozess bis hin zum Finalkonzert im Bahnhof Langendreer/Bochum aus. Nach
der Ausschreibungsphase und der Vorbereitung der von
der Jury ausgewählten Ban ds startete MusicWatch mit
den Projektwochenenden BandWatch, HipHopWatch und
BeatWatch im Laufe des Frühjahrs 2004. Mit BeatWatch
wurden erstmals auch elektronische Musikprojekte
gezielt gefördert.
Die Projektwochenenden in der Jugendbildungsstätte
Berchum starteten Freitagabends mit Gigs und
Interviews aller Gruppen, dann folgten Workshops zu
Themen wie Arrangement, Songwriting/Lyrics, Vocals,
Management/Marketing/e-Commerce, PR/Öffentlichkeitsarbeit, Produktion/Recording, Performance und
VJing.
Die Konzerte an den Samstagabenden wurden jeweils
auf Video mitgeschnitten und bildeten die Grundlage
36 | Von BandWatch und MusicWatch zu popUP NRW
für eine umfangreiche Beratung am Sonntag. Die späten
Abende prägten Session- und Open-Space-Angebote und
vor allem das Nachtcafe in der JuBi Berchum: Chancen,
Profis aus dem Musikbiz und die anderen Bands kennen
zu lernen, Diskussionen oft bis in den frühen
Morgen, immer wieder Kontakte für die nächsten
Jahre. Aus diesen Wochenenden gingen dann die
MasterClass-Bands hervor, die an einem mehrmonatigen
Bandtraining teilnahmen und sich abschließend dem
NRW-Publikum präsentierten.
2005 wurde erstmals in das Projekt MusicWatch die Ausbildung von MusicScouts integriert. Damit wurde nach
vielen Jahren Aufbauarbeit ein Höhepunkt in der Populärmusikförderung in NRW erreicht, obwohl aufgrund
der geringeren Förderung BeatWatch leider entfallen
musste. Erstmals qualifizierten sich nicht nur MusikerInnen, sondern auch Bandmanager der Nachwuchsbands, junge Veranstalter und Musikbegeisterte aus
Musikinitiativen für ihre Arbeit in einem ganzjährigen
Projekt weiter. Als innovatives und ergänzendes Projekt
realisierten die MusicScouts eigenständig den Wettbewerb Beatvision mit ergänzenden Workshops und
Gigs in Hagen.
Die Ausbildung der MusicScouts wurde im Rahmen des
Kompetenznachweises Kultur der Bundesvereinigung
Kulturelle Jugendbildung zertifiziert. Die MusicScoutAusbildung umfasste Workshopeinheiten mit Praxisund Theorieteil zu Themen wie Öffentlichkeitsarbeit,
Management, Marketing, Finanzierung, Umsetzung von
Workshop-, Projekt-, Konzert- und Bandberatungskonzepten, Grundzüge der Musik- und Medienwirtschaft,
Recht sowie Durchführung von Großveranstaltungen
wie „Bochum Total“.
Die MasterClass-Phase bildet seit 2004 das Kernstück
der Qualifizierungsarbeit. Jeweils zwei Bands werden
hier von einem Bandtrainer gecoacht. Ausgehend von
den Ergebnissen des Projektwochenendes werden dabei
anhand ausgiebiger Stärken- und Schwächenanalysen
Pläne für die Arbeit bis Ende des Jahres aufgestellt.
Thematisiert werden an ca. 6 Arbeitstagen mit jeder
Band spieltechnisch-musikalische Fragen, Arrangement
und Songwritingaspekte, Auftritts- und Konzertkonzepte, die Öffentlichkeitsarbeit der Bands bis hin
zur Klärung des Bandkonzepts und weiterer Arbeitsziele
– eine harte Zeit, verbunden mit „Hausaufgaben“ und
Auftritten in ganz NRW. Manche Band steht das nicht
durch, formiert sich im Laufe dieses Prozesses neu;
andere laufen zu Hochform auf, verhandeln schließlich
– vermittelt durch das Dozententeam – mit Labels und
bringen ihre ersten Fernsehauftritte hinter sich.
Förderer waren 2005 die Staatskanzlei und das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des
Landes Nordrhein-Westfalen, die eSw mit ihrem Projekt
Music Office Hagen, das Kulturbüro der Stadt Bochum,
das Kulturamt und Jugendamt der Stadt Hagen sowie
die Evangelische Kirche von Westfalen.
Als DozentInnen konnten in den letzten Jahren z.B.
Stephan Laack (Musikchef 1Live), Markus Balk und
Frank Kühl (Majorlabel), Pamela Falcon (Leadsängering
Starlight Express) und Bernd Aufermann (Gitarrist u. a.
bei Running Wild und Angel Dust) gewonnen werden.
popUP NRW …
… ist seit 2006 das ganzjährige Förderprogramm in
Nachfolge von Triebwerk und MusicWatch. Träger ist das
NRW-KULTURsekretariat in Wuppertal. Wie MusicWatch
verbindet popUP NRW Gigs, Workshops und Beratungen
an 2 Projektwochenenden. Eine mehrmonatige MasterClass und ein NRW-weites Auftrittsnetzwerk mit zahl-
reichen Regionalpartnern, Auftritte bei Bochum Total,
bei den großen Festivals in Köln und Bonn kommen hinzu.
popUP NRW wurde 2005 gemeinsam mit dem Kulturbüro
der Stadt Bochum, dem Kulturamt der Stadt Hagen,
der eSw Hagen sowie dem Rock’n’Popmuseum Gronau
als landesweites Rock’n’Pop Förderprojekt für junge
Bands und Musiker entwickelt. Als Pate des Projekts
konnte Henning Rümenapp, Gitarrist der Erfolgsband
Guano Apes, gewonnen werden. Persönlichkeiten wie
Dieter Gorny, Peter James oder Björn Gralla prägten die
Jury.
Teilnehmen können heute Bands mit einem Durchschnittsalter von max. 27 Jahren, dem Wohn- bzw. Arbeitssitz
in NRW sowie Auftrittserfahrungen, der Begeisterung,
dazu lernen zu wollen, und den Ressourcen, ggf. das
ganzjährige Projekt durchstehen zu können.
Renato Liermann
Jahrgang 1956, ist Leiter der Pädagogischen
Abteilung der eSw und stellvertretender Hausleiter
der Jugendbildungsstätte Berchum. Studium
der Bildenden Kunst/2. Staatsexamen Lehramt
Sek II, Kompaktstudium Betriebswirtschaft, seit
1986 zahlreiche Kulturprojekte für Verbände,
Museen, Kommunen in NRW, seit 1989 für die
eSw Projekt- und Tagungsarbeit in den Bereichen
Jugendbildung, Kultur- und Musikarbeit, schulund jugendarbeitsbezogene Tagungs- und Fortbildungsarbeit und internationale Projekte. Mitglied
der AG MusicWatch und Mitveranstalter popUP
NRW.
Kontakt: Fon: 02334/9610-0
www.esw-berchum.de
www.musicoffice-hagen.de
liermann@esw-berchum.de
Kontakt popUP NRW:
NRW KULTURsekretariat
Barbara Sydow
Fon: 0202/563 68 03
www.popup-nrw.de
sydow@popup-nrw.de
Best Practice | 37
Das HipHopMobil
unterwegs für Respekt und Toleranz
Uwe Ihlau
Das Jugendkulturprojekt HipHopMobil der Evangelischen
Jugend Dortmund und Lünen hat im Großraum Dortmund
über 5 Jahre mehrere hundert Jugendliche erreicht.
Von 2001 bis 2005 war es auf öffentlichen Plätzen und
jugendspezifischen Orten präsent. Im Laufe der Jahre
sind mehrere Produktionen entstanden. Diese gelungene
Mischung von niederschwelligen Angeboten und produktorientiertem, künstlerischem Arbeiten wurde mit mehreren
Preisen belohnt.
Die Idee
Das HipHopMobil war ein mit mobiler Tontechnik ausgestatteter Bulli, der für jeweils einen Nachmittag oder
Abend Station auf unterschiedlichen öffentlichen Plätzen,
bei Jugendeinrichtungen oder in Schulen machte. Ein
Musiker bot, unterstützt von einem Pädagogen, offene
Rapworkshops an, die Jugendliche zum Mitmachen
beim „Freestyle“ und zum Texte schreiben animierten.
Ein Forum für Breakdancer rundete das Projekt ab.
Die Ziele
„Im Mittelpunkt
der textlichen Arbeit
standen die Themen
Respekt und Toleranz“
Die Angebote des HipHopMobils waren so gestaltet,
dass die Hemmschwellen sich einzubringen möglichst
niedrig waren. Damit sollte sichergestellt werden, dass
möglichst viele Jungendliche mit diesem Angebot erreicht
werden konnten. Die Jugendlichen erhielten die Möglichkeit,
sich spontan oder mit vorbereiteten Texten zu äußern
und so ihrem Lebensgefühl und den sie beschäftigenden
Themen Ausdruck zu verleihen. Im Mittelpunkt der textlichen
Arbeit standen die Themen „Respekt“ und „Toleranz“.
Die teilnehmenden Jugendlichen lernten ihre kreativen
Möglichkeiten an den Plattentellern, am Mikrofon, beim
Breakdance oder ggf. beim legalen Sprayen eines Graffitis
kennen. Sie erlernten so neue Ausdrucksformen oder
vertieften ihre bestehenden Fertigkeiten.
Die Erfahrungen
Eine wichtige Grundbedingung zum Gelingen des Projektes
war, dass der Musiker (der künstlerische Leiter) und die
beiden Pädagogen (die Projektleiter) gut miteinander
harmonierten. Dies bedeutet einerseits, dass der Musiker
hinter den Zielen und dem Leitbild der Einrichtung, in
diesem Fall der Evangelischen Jugend, stehen sollte.
Andererseits müssen sich die Pädagogen auch auf die
pädagogische Fähigkeiten des Musikers verlassen können.
Die Arbeitsteilung in Projektleitung und künstlerische
38 | Das HipHopMobil - unterwegs für Respekt und Toleranz
Leitung hat sich bewährt. Wenn das Klima zwischen
den beteiligten Partnern stimmt, führt diese Arbeitsteilung zu einem sehr effizienten Projektmanagement:
Jeder macht das, was er am Besten kann. Der Musiker
hat die künstlerischen Ideen, der Pädagoge hat die Umsetzung
und die Rahmenbedingungen im Griff. Er kümmert sich
beispielsweise um die Mittelbeschaffung für das nächste
Projekt, um die Abrechnungen und die Öffentlichkeitsarbeit.
Eine Herausforderung, insbesondere für den Musiker,
bestand in der Bereitschaft, immer wieder von vorne
anzufangen. Gegen Ende des Projektes wurde deutlich,
dass sich der Musiker während der Jahre auch künstlerisch
weiterentwickelt hatte. Es fiel ihm zusehends schwerer,
sich immer wieder neu auf unerfahrene Jugendliche einzulassen und alles wieder und wieder neu zu erklären.
Es deutete sich an, dass ein Wechsel in dieser Rolle des
„Animators“ und „Geburtshelfers“ nach fünf Jahren
sinnvoll gewesen wäre.
Ein weiterer wichtiger Aspekt war das Bemühen, den
Jungendlichen, die wir durch die niederschwelligen Angebote
in den Workshops neu erreicht hatten, stets eine Perspektive
anbieten zu können, sich innerhalb des Projektrahmens
HipHopMobil musikalisch zu verwirklichen. Dazu war
es von Seiten der Projektleitung nötig, immer wieder
neue Geldquellen für neue Produktionen zu erschließen und viele Projektanträge auf unterschiedlichen
Ebenen zu stellen. Die kreativen Ideen, welche neuen
Produktionen dies seine konnten, kamen oft von Seiten
des Musikers. So entstanden nach dem Vinyl-Sampler
„HipHopMobil – Volume 1“ eine CD mit dem Titel „Stop
the Violence“ und ein HipHop-Hörspielprojekt, das die
Lebensgefühle von jugendlichen HipHoppern schildert.
Außerdem traten viele Jugendliche mit ihren Songs live
auf einer Reihe von Veranstaltungen auf.
Die Einbindung etablierter Künstler in das Jugendkulturprojekt war ein zusätzlicher wichtiger Erfolgsfaktor.
Für den ersten Sampler konnten z. B. Too Strong aus
Dortmund gewonnen werden. Sie steuerten einen Song
zu der Platte bei und motivierten die Jugendlichen so
zusätzlich.
Highlights waren sicherlich die Würdigung des Projektes durch die Landesarbeitsgemeinschaft Kulturpädagogischer Dienste im Rahmen der Preisvergabe des
Jugendkulturpreises NRW und die Preisverleihung des
Landesverbandes der Evangelischen Jugend von Westfalen beim Jugendkulturpreis der aej-nrw. Diese Preise
waren besonders gegenüber dem eigenen Träger wichtig,
um die Priorität dieses Projektes bei der internen
Mittelvergabe zu unterstreichen.
Uwe Ihlau
Jahrgang 1964, ist Diplom Sozialpädagoge
(Schwerpunkt Kulturpädagogik), Spiel- und Theaterpädagoge (ags), Medienberater (Akademie
Remscheid), Deeskalationstrainer und Lehrtrainer
(Gewaltakademie Villigst). Seit 2005 arbeitet er
bei der FUMA Fachstelle Gender NRW mit den
Schwerpunkten Fachberatung zur Jungenarbeit
und zum Gender Mainstreaming. Seine berufliche Lauf bahn begann beim Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen im
Referat Kulturarbeit. Als Jugendbildungsreferent
hat er 12 Jahre bei der Evangelischen Kirche in
Dortmund und Lünen mit den Schwerpunkten
Bildungsarbeit, Fachberatung, Öffentlichkeitsarbeit und Projektentwicklung gearbeitet.
Kontakt:
Uwe Ihlau
Referent für Jungenarbeit und Gender Mainstreaming
FUMA Fachstelle Gender NRW
Fon: 0201/1820550
www.gender–nrw.de
uwe.ihlau@gender-nrw.de
Der geschlechtsspezifische Blick
Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in der
Nutzung der Angebote des HipHopMobils wurden auf
mehreren Ebenen deutlich. Bei den offenen HipHop
Workshops in Jugendzentren dominierten häufig
Jungen die Szene. Sie zeigten im Durchschnitt deutlich
weniger Hemmungen ins Mikrofon zu rappen oder mit
den Turntables zu scratchen. Auch beim Breaken waren
sie schneller bereit, ihr Können zu zeigen. Bei der Arbeit
an neuen Texten bzw. Reimen zeigten sich Mädchen
dann ebenso kreativ wie die Jungen. Dies wurde insbesondere im Rahmen von Workshops an Schulen schnell
deutlich. In diesen eher „geordneten“ Strukturen der
Schulklasse schien es für die Mädchen schneller möglich
zu sein, einen gleichberechtigten Platz einzunehmen.
Rückblickend bleibt selbstkritisch zu sagen, dass wir
zu Beginn des Projektes den Geschlechter-Blick nicht
genügend berücksichtigt hatten. Wir waren einfach
nur froh, in relativ kurzer Zeit genügend engagierte und
motivierte Jugendliche zu finden, die sich an unserem
ersten Sampler-Projekt beteiligen wollten. Durch die
„Genderbrille“ betrachtet gelang es uns nicht, frühzeitig
auch Mädchen für diese Produktion zu gewinnen. So
finden sich auf diesem für die Weiterentwicklung des
Projektes sehr wichtigem Produkt „nur“ Jungen und
Männer.
Sicherlich spielte die Tatsache, dass im Team des
HipHopMobils keine Frau vertreten war, eine wichtige
Rolle. Diese ungleiche Geschlechterverteilung konnte
leider in den 5 Jahren nicht verändert werden, da es nicht
gelang, Frauen bzw. Mädchen mit in die Anleiterrolle zu
bekommen. Um den Anteil der Mädchen an den aktiven
Musikern deutlich zu erhöhen entstand dann die Idee,
einen eigenen Mädchensampler zu produzieren. Diese
Idee konnte allerdings leider nicht mehr realisiert werden.
Ärgerlich war eine Erfahrung, die wir unter dem Gendergesichtspunkt mit einem WDR-Filmteam sammeln
konnten. Für einen Beitrag über das Projekt trafen wir
uns mit einer Gruppe von 6 Jungen und einem (sehr
selbstbewussten und fitten) Mädchen in einem Jugendhaus. Neben Interviews zeichnete das Filmteam auch
live gerappte Szenen auf. Im später gesendeten Beitrag
waren dann Jungs zu sehen, die voller Elan sangen. Die
Sequenz, bei der das Mädchen rappte, zeigte die Ausschnitte, in denen sie ihren Text vergaß und von vorne
begann. Als dies dann so geschnitten über den Sender
ging, ärgerte mich die Botschaft – „Mädchen können
nicht rappen, Jungs aber wohl“ – sehr. Diese öffentliche
Darstellung konterkarierte unsere Bemühungen, mehr
Mädchen anzusprechen, nachhaltig.
Die gezielte Ansprache von Mädchen für ein HipHop
Projekt und die Einrichtung „Jungsfreier Zonen“ zum
Ausprobieren und zum Hereinfinden ins Scratchen,
Breaken oder Rappen sind zwei wichtige Aspekte,
um mehr Mädchen für die aktive Teilnahme an dieser
Jugendkultur gewinnen zu können. Eine Grundidee des
HipHop, sich zu trauen, respektvoll und tolerant mit
einander umzugehen, lässt sich sehr gut auch auf den
Umgang der Geschlechter miteinander übertragen.
Aufgrund von personellen Wechseln und Sparmaßnahmen
wurde das Projekt HipHopMobil 2006 eingestellt.
„Die gezielte
Ansprache von
Mädchen und die
Einrichtung ‘Jungsfreie Zone‘ sind
wichtige Aspekte,
um mehr Mädchen
für die aktive Teilnahme gewinnen
zu können“
Best Practice | 39
Connect HipHop!
Gabi Deeg
Seit ihrer Entstehung in den 70er Jahren bilden die vier
Elemente der HipHop-Kultur – Rap, DJing, Graffiti und
Breakdance – zentrale und einflussreiche Säulen urbaner
Jugendkultur. Bereits 1994 begann die Offene Jazz
Haus Schule, in diesem Bereich Projekte für Kinder und
Jugendliche aller Altersstufen anzubieten. Nicht zuletzt
mit dieser jahrelangen Basisarbeit für Anfänger und
Fortgeschrittene etablierte sich die Offene Jazz Haus
Schule in Köln als eine zentrale kulturpädagogische
Einrichtung im Bereich der aktuellen Jugendkultur. Das
im Rahmen dieser Projektarbeit entstandenen HipHop
Musical „Coloured Children“ wurde 1998 mit dem
Jugendkulturpreis des Landes NRW ausgezeichnet.
Parallel zur fortlaufenden Breitenarbeit ging die Offene
Jazz Haus Schule im Jahr 2004 einen Schritt weiter. Mit
„Connect HipHop“ wurde ein Projekt für junge Künstler der HipHop-Kultur, die im Übergang von der Schule
zum Berufsleben stehen, gestartet. In NRW ist mittlerweile eine lebendige Szene junger Rap-Künstler, Tänzer
und DJs herangewachsen, deren kreatives Potential es
wahrzunehmen und zu fördern gilt. Die künstlerische
Kraft dieser jungen HipHop-Aktivisten entwickelt sich
weitgehend außerhalb unserer traditionellen Bildungsund Kultureinrichtungen.
Ziel ist, jungen, ambitionierten HipHop-Künstlern
Möglichkeiten und Wege aufzuzeigen, sich weiterzuentwickeln und ihre Fähigkeiten für sich selbst und für die
Gesellschaft nutzbar zu machen – sei es, dass sie neue
Akzente in der Musik- und Tanz-Szene setzen oder dass
sie als Pädagogen arbeiten, die durch die authentische
Vermittlung der aktuellen Jugendkultur einen direkten
Zugang zu Kindern und Jugendlichen haben. Um die HipHop-Szene zu erreichen und optimal zu fördern, basierte
das „Connect HipHop“-Konzept auf den vier Säulen:
Competition, Coaching, Concert und Connection.
Competition: Landesweit werden junge Künstler aufgefordert, sich für einen Contest zu bewerben und sich
dem Urteil einer fachkundigen Jury – bestehend aus
renommierten Künstlern aus der HipHop Szene – zu
stellen. Den Jugendlichen wird Gelegenheit gegeben,
sich mit gleichaltrigen Musikern, Tänzern, Künstlern ihrer
Sparte zu messen und sich im Wettbewerb zu beweisen.
Coaching: Die TeilnehmerInnen erhalten Gelegenheit, in
Workshops mit künstlerischen Vorbildern und Größen
40 | Connect HipHop!
aus der Szene ihre kreativen Fähigkeiten zu entwickeln.
In Seminaren und kurzen Informationseinheiten können
sie Fachleuten ihre Fragen zu übergreifenden Themen
der Musik-, Tanz- und Kultur-Szene stellen.
Concert: An einem zentralen Ort kulturellen Lebens in
Köln werden die Ergebnisse der Workshops präsentiert.
Die Sieger der Competition erhalten somit Gelegenheit zu zeigen, mit welchen Einsendungen oder Darbietungen sie die Jury überzeugt haben.
Connection: Es wird ein dichtes Netzwerk auf- und ausgebaut. Nicht nur die Szene untereinander knüpft neue
oder festigt bestehende Kontakte; es entstehen auch
Berührung und Austausch mit etablierten Bildungsinstitutionen und weiteren Kooperationspartnern wie
Schulen und Jugendzentren, Agenturen, Veranstaltern, freien Künstlern usw. Für die hohe Qualität der
Projekte der Reihe „Connect HipHop“ zeichnete nicht
zuletzt die gute Zusammenarbeit mit der Musikhochschule und der Sporthochschule verantwortlich.
„Connect HipHop“ startete 2004 mit einem Rap-Contest, in dessen Verlauf fast 50 Rap-Crews und Solokünstler sich mit der Einsendung von über 150 eigenen Tracks
dem kritischen Urteil einer fachkräftigen Jury stellten.
Die 10 Gewinner der Competition produzierten einen
Sampler und präsentierten ihre Songs in Zusammenarbeit mit Studierenden der Musikhochschule Köln in
einem Live-Konzert im Stadtgarten vor begeistertem
Publikum. Im Rahmen der „Cologne HipHop Days“
nutzen die Teilnehmer die Gelegenheit, sich in Fachseminaren bei Profis der Szene über Themen wie Musikbusiness, Selbstmanagement, Marketing und Pressearbeit oder Pädagogik zu informieren.
Im darauf folgenden Jahr wurde das erfolgreiche Konzept
auf einen weiteren Ausdrucksbereich der HipHop Kultur
übertragen – diesmal waren es im Rahmen des Projektes
„Cologne Battle“ junge Tänzerinnen und Tänzer, die in
den Räumlichkeiten der Sporthochschule eine Woche
lang die verschiedensten Workshops wahrnahmen.
HipHop TänzerInnen und BreakerInnen lernten nicht
nur die neuesten Moves bei renommierten und internationalen Dozenten, sie informierten sich auch in kurzen
kompakten Seminareinheiten beispielsweise über
Ausbildungsmöglichkeiten an der Sporthochschule,
die Wirklichkeit des Tanzbusiness oder die Möglichkeiten einer Verletzungsprävention. Seinen Höhepunkt
fand das Projekt in einem großen Battle im Kölner
Stadtgarten, zu dem Crews aus ganz NRW anreisten –
100 begabte und engagierte Tänzer kämpften vor einem
begeisterten 200-köpfigen Publikum um den Sieg, den
am Ende die Oberhausener Crew TNT davontrug.
Im Jahr 2006 schloss sich der Kreis vorläufig mit einem
erneuten Rap-Contest, bei dem die im Laufe der Jahre
gesetzten Impulse wieder aufgegriffen wurden. Es war
zu spüren, dass sich in der HipHop-Szene im Laufe
des Projektes durch die zahlreichen Aktivitäten ein
Bewusstsein dafür entwickelt hat, welches Potenzial ein
gemeinsames Engagement birgt. Der Aufforderung, sich
für das Projekt „Rapnetz“ mit einem eigenen Song zu
bewerben, kamen bereits über 80 Crews und Soloartisten nach und schickten ihre Tracks ein. Das CoachingWochenende war diesmal gefüllt mit vertiefenden
Themen wie etwa GEMA oder Vertragsgestaltung. Die
Seminare wurden ebenso wie das Präsentationscoaching
des international bekannten Künstlers Adé Bantu
(Brothers Keepers) begeistert angenommen. Auch
dieses Projekt gipfelte in einem CD-Sampler und einem
Auftritt im exponierten Kölner Veranstaltungsort Stadtgarten. Beide CD-Sampler können bei der Offenen
Jazz Haus Schule bestellt werden.
Der Erfolg beweist die Tragfähigkeit des Konzeptes –
internationale Größen wie Lamine Diouf von den
Vagabonds oder Adé Bantu von Brothers Keepers und
Profis der Kölner HipHop-Szene sorgten für eine hochkarätige Qualität der Workshops und Weiterbildungsseminare, setzten nachhaltige Impulse und förderten
eine Vernetzung der lokalen Szene. In der Kooperation
mit etablierten Bildungseinrichtungen wurden auf beiden Seiten spürbare und spannende Akzente gesetzt.
Durch die Veröffentlichung von Samplern und DVDs,
durch Wettbewerbe, Konzerte, Battles ist die kreative
Kraft der hiesigen HipHop Szene über mehrere Jahre
hinweg einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht
worden. Die hohe Qualität und das große Potential der
jungen Künstlerinnen und Künstler rechtfertigen weitere
Anstrengungen, diese kreativen Kräfte zu fördern, ihnen
Raum zur Entfaltung zu geben und ihnen jene Anerkennung zukommen zu lassen, die ihnen gebührt.
DVD
Siehe Songs von
„Connect HipHop!“
in DATA\SONGS auf
beiliegender DVD
Best Practice | 41
Von Köln bis Barcelona:
Das HipHop-Netzwerk Nippes
Sascha Düx
DVD
Siehe Musikvideo
„Bonita Señorita“
auf beiliegender DVD
Die Kamera schwenkt über das Panorama von Caldes
d’Estrac am Mittelmeer, zeigt Häuser und Pflanzen,
dann eine junge Spanierin im weißen Kleid in der Brandung.
Dazu ein Song, der klingt, als hätte sich Michael Jackson
mit einem Latin-Produzententeam und einem deutschen Rapper zur Sommerhit-Produktion zusammengetan. „Bonita Señorita“ heißt die schwedisch-deutschenglisch-spanische Koproduktion, die auf dem internationalen HipHopCamp The Flow of Victory – Part III
2005 in Barcelona entstand. Um zu verstehen, wie es
dazu kam, müssen wir das Rad der Zeit erst einmal um
vier Jahre zurückdrehen.
Die Anfänge
Im Sommer 2001 kam es im Stadtbezirk Köln-Nippes
auf Initiative der Bezirksjugendpflege zur Gründung
eines HipHop-Netzwerks für Toleranz und Integration. Im
Bezirk gab es seinerzeit im Jugendzentrum OT Werkstattstraße eine gut angenommene HipHop-Arbeit mit
regelmäßigen Jams, die OT Luckys Haus begann gerade,
den ehemaligen Kraftsportraum in ein professionelles
Tonstudio umzurüsten, und im Kinder- und Jugendhaus
Boltensternstraße wurden Graffitis gesprayt.
Zusammen mit weiteren Jugendzentren und der Förderschule
Auguststraße begann man, eine gemeinsame Projektphase zu planen.
Nach den Herbstferien ging es los: Mit Unterstützung
der Offenen Jazz Haus Schule Köln wurden geeignete
ReferentInnen gefunden, die in den verschiedenen
Einrichtungen Rap-, Tanz- und Graffiti-Workshops anboten.
Das JFC Medienzentrum unterstützte den Projektfilm,
der als ein verbindendes Element alle Workshops
dokumentierte, und richtete die Projektwebsite
www.hiphop-projekt.de ein: Auf die können alle Partner
mit einem kleinen unkomplizierten Redaktionssystem
Termine, Newstexte und Projektergebnisse mit Bild und
Ton hochladen.
Bis Ende Januar 2002 liefen die Workshops, dann gab
es in der Turnhalle der Schule Auguststraße einen großen
Abschlussevent mit Vorführungen aller Gruppen. Die
Halle war mit einem Publikum von gut 300 FreundInnen,
Eltern und PädagogInnen prall gefüllt. Natürlich wurde
auch der Projektfilm gezeigt – für die meisten Beteiligten
die erste Chance, einen Überblick über das gesamte Projektgeschehen zu kriegen.
Alle Jahre wieder …
Seitdem hat es fünf weitere derartige Herbst-/Winterprojektphasen gegeben, das Netzwerk hat sich um einige
Jugendzentren und eine zweite Förderschule erweitert,
aber das Grundprinzip ist das gleiche geblieben: Workshopangebote mehrheitlich für Jugendliche mit Migrationshintergrund und benachteiligte Jugendliche, und eine
gemeinsame Abschlusspräsentation.
Vernetzung ist dabei mehr als nur ein Schlagwort:
Jugendliche werden überall ermutigt, auch Angebote
der anderen Einrichtungen wahrzunehmen. Workshoptermine werden mündlich und über die Website weitergegeben, die Schulturnhalle auch schulexternen TänzerInnen
zum Training zur Verfügung gestellt, und das Tonstudio
in der OT Luckys Haus wird zur Anlaufstelle für zahlreiche
Jugendliche aus dem ganzen Stadtbezirk; das JFC
Medienzentrum unterstützt verschiedene Aktivitäten
mit Medientechnik.
Natürlich läuft nicht immer alles glatt: Rivalitäten und
Fehden zwischen jungen HipHoppern aus verschiedenen
Stadtteilen kommen immer wieder vor, manchmal bis
hin zu Schlägereien. Aber durch die Netzwerkstrukturen
können solche Konflikte gut aufgefangen werden.
42 | Von Köln bis Barcelona: Das HipHop-Netzwerk Nippes
Als die Bezirksjugendpflege aufgrund zusätzlicher Aufgaben
vorübergehend die Leitung abgeben musste, funktionierte
das Netzwerk weiter – der SKM Köln übernahm die
Koordination, die inhaltliche Arbeit wurde dezentral
getragen und im gemeinsamen Arbeitskreis abgestimmt.
Zum Abschlussevent tragen alle Partner ihren Teil bei:
So wurde am 27. Januar 2007 über eine aus Technik der
Schule Auguststraße und des JFC zusammengestellte
Anlage die Halle beschallt, Tonstudiotechnik von Luckys
Haus war für einen Mehrspurmitschnitt aufgebaut,
Kameras von JFC und OT Werkstattstraße filmten den
Event, der SKM Köln stellte Stühle und Stellwände, verschiedene Einrichtungen sorgten für die Sicherheit und
die Hauswirtschafts-AG der Schule versorgte alle Aktiven
mit leckerem Essen.
Let’s party like we did in Adenau!1
Anfang 2003 wurde die Modern Soul Academy über die
Projektwebsite auf das Netzwerk aufmerksam: Man
mache in Stockholm ähnliche Projekte und suche Partner
für internationale Begegnungen. Im Kölner Netzwerk
war schnell klar: Ja, ein internationales HipHop-Camp
wäre für unsere Jugendlichen eine tolle Chance. Das
Kölner Jugendamt unterstützte die Idee mit Tipps und
Fördermitteln und stellte den Kontakt zu weiteren Partnern
in Barcelona her. So konnte das JFC Medienzentrum erfolgreich die trilaterale Jugendbegegnung „The Flow of
Victory“ beim EU-Aktionsprogramm JUGEND beantragen.
Adenau liegt einen Katzensprung vom Nürburgring entfernt. An schönen Sommertagen donnern Biker durch
die Hauptstraße, sonst ist hier nicht viel los. Am 10. August
2003 wird das Eifeldorf allerdings kurzfristig zur HipHopMetropole: Rund 30 spanische, schwedische und deutsche
Jugendliche nebst 14-köpfigem Team treffen zur IntensivWorkshopphase in der (mittlerweile leider geschlossenen)
Jugendbildungsstätte der Stadt Köln ein.
Los geht es mit einem Open Space: Alle Türen stehen offen,
jeder kann sich umsehen, ausprobieren und dann entscheiden:
Will ich nun tanzen oder doch lieber ein eigenes Video drehen?
Ein Gruppenraum wird zum Tonstudio umgebaut, eine
wattstarke Anlage beschallt die Tänzer in der Turnhalle,
und die Kapelle ist zum Camp-Medienzentrum geworden:
Hier werden Digitalfotos gesichtet und Videos geschnitten.
Ein Highlight ist die Graffiti-Wand – die Bildungsstätte
hat eine große Außenmauer freigegeben, die SprayerInnen
sind begeistert.
Vier volle Workshoptage folgen, mit Arbeitsphasen
vor- und nachmittags, im Abendprogramm dann z.B.
Filme über die Anfänge der HipHop-Kultur. Die Motivation
aller Beteiligten steigt von Tag zu Tag. Der Sommer 2003
bricht Temperaturrekorde, die Turnhalle ähnelt einer
Großraumsauna, doch das mindert nicht die Tanzbegeisterung. In den Mittagspausen arbeiten viele freiwillig
weiter, einige lassen sogar den Freibadbesuch ausfallen.
Zeiten außerhalb des offiziellen Programms werden
genutzt, um andere Bereiche neben dem eigenen Workshop
kennen zu lernen: Die Rapperin sprayt, der Tänzer
filmt.
Beim Musikvideodreh kommt dann alles zusammen:
Die Jugendlichen aus dem Rapworkshop haben ihre
Verse zu selbstproduzierten Beats aufgenommen.
Die vom Graffiti-Workshop gestaltete Wand ist die
Kulisse, vor der die Breakdancer ihre Moves machen, der
DJ seine Platten dreht und die VokalistInnen ihren Song
performen, während der Medienworkshop alles filmt.
Trotz kleineren Sachbeschädigungen und Konflikten
um das Tragen von Messern funktioniert das Miteinander
insgesamt gut. Tim Weedon von der Modern Soul Academy
hat gleich zu Beginn erklärt: „Wir sollten nicht vergessen,
dass es bei HipHop um Tanz, Musik und Kunst geht,
um eine Verbesserung unserer Lebensbedingungen und
Artikulation unserer Wünsche. Dafür sind wir hier, nicht
um uns zu betrinken.“ Und wenn ein gestandener HipHopper
so etwas sagt, dann hat das Gewicht. Und so wird zwar
nicht wenig Bier getrunken, Bierleichen aber bleiben aus.
Wie funktioniert eine internationale Begegnung, wenn
etliche TeilnehmerInnen von Förderschulen kommen
und angeblich kaum Englisch sprechen? Überraschend
unproblematisch, wie sich zeigt. In den Workshops wird
vorgemacht, gezeigt, zugehört … Musik, Tanz und visuelle
Kommunikation können sich als universelle Sprachformen beweisen. Und alle deutschen TeilnehmerInnen
DVD
Siehe Musikvideo
„Cross (Around the
World)“ auf beiliegender DVD
Dieser Abschnitt ist ein gekürzter und überarbeiteter Ausschnitt aus meinem Artikel „Eritrea, España, Eifel – HipHop international!“ (merz 2004, Heft 03, S. 59-62)
1
Best Practice | 43
DVD
Siehe „HipHopCamp 2005“ Doku
auf beiliegender DVD
8
Von Stockholm nach Caldes d’Estrac
Artikel
Siehe „Urban-Culture-Projekte des JFC
Medienzentrums“
(Seite 19)
8
beginnen früher oder später, sich in gebrochenem Englisch
zu unterhalten.
Interkultureller Austausch ist während des Camps gelebter
Alltag. In Raptexten und Bildern des Graffiti-Workshops
wird den anderen Teilnehmern die eigene Lebenswelt ein
Stück näher gebracht. HipHop als globale Kultur weckt
Neugier: Wie klingt Rap auf Spanisch? Wie unterscheiden
sich die Graffiti-Styles von Kölnern und Stockholmern?
Und weiß jemand, was hiphopmäßig in Japan los ist?
Dann geht es zurück nach Köln – mit 12 neuen HipHopSongs, drei kurzen Videofilmen, etlichen Graffitis und
Choreographien im Gepäck, dazu die Camp-Website.
In der OT Werkstattstraße werden die Ergebnisse
präsentiert, mit Video-Premieren und Liveauftritten.
Artikel
Siehe „MittwochsMaler – das Kölner
Graffiti-Jugendkunstprojekt“
(Seite 28)
Das Adenau-Camp überzeugt nicht nur die Netd@ys-Jury
(Preis des ZDF Kinder- und Jugendprogramms) und
die Deutsche EU-Agentur, die es in ihre Best-PracticeDatenbank aufnimmt; auch bei den schwedischen
Jugendlichen wird „Let’s party like we did in Adenau“
zum geflügelten Wort, und so ist es kein Wunder, dass
am 6. August 2004 in Botkyrka bei Stockholm das
Camp The Flow of Victory reloaded mit doppelter Gruppenstärke beginnt.
Anders als im Vorjahr wird 2004 ein gemeinsames Thema
ausgewählt. Das Votum der Gruppe fällt eindeutig aus:
Peace – Paz – Friede – Fred wird das Motto der Bühnenshow,
die nach sechs Workshoptagen dreimal aufgeführt wird.
Höhepunkt für alle ist der Auftritt vor großem Publikum im
Mondo im Zentrum von Stockholm. Friedlich entwickelt
sich nach anfänglichen Rangeleien auch das internationale Zusammenleben. Spätestens nach den ersten
gemeinsamen Aufnahmen im eigens aufgebauten Tonstudio
sind vorangegangene Streitigkeiten vergessen. Durch
zahlreiche MigrantInnen in der Gruppe stehen als
verbindende Sprachen neben dem Englischen auch
Arabisch, Spanisch, Französisch und Türkisch zur Verfügung.
2005 geht es dann nach Caldes d’Estrac bei Barcelona:
Wieder sind gut 75 Personen dabei, erstmals auch Partner
aus Liverpool. Die Rahmenbedingungen sind ungünstig:
Das bewährte Team in Spanien hat im Streit mit dem
neuen Chef die Partnerorganisation verlassen, der
ersatzweise eingesetzte Campleiter spricht kein Englisch
und ist mit seiner Aufgabe überfordert. Der Camp-Ort
ist eigentlich ein Sportcamp für jüngere Jugendliche, es
gibt kaum Workshopräume und 0:00 ist Nachtruhe –
für unsere überwiegend volljährige Gruppe viel zu früh...
Trotz widriger Umstände wird auch dieses Camp zu
einem Erfolg. In multinationaler und multilingualer
Kooperation entstehen zehn Songs und vier Musikvideos; auch das Abschlusskonzert in St. Feliu de
Codines am letzten Abend ist für alle Beteiligten ein großes
Erlebnis. Durch Fehlplanungen des Campleiters gibt es
dann allerdings vor 5 Uhr morgens keine Möglichkeit der
Rückkehr zum Camp, und um 7 geht dort bereits der
Bus zum Flughafen. Völlig übermüdet fliegen alle nach
Hause – im Ohr immer noch die Klänge von „Bonita
Señorita“.
HipHop don’t stop
2006 gibt es keine Fortsetzung der internationalen
HipHop-Camps, stattdessen eine internationale
Roots&Routes-Projektphase in Köln – und erstmals
das aus dem HipHop-Netzwerk entstandene Stadtrandcamp „Beats vom Hof“. Im Jugendzentrum Krebelshof
mit seinem großen Außengelände können Jugendliche
im Alter von 13 bis 17 Jahren erste Schritte in Sachen
Urban Culture machen, neben Tanz, Musik, Medien und
Graffiti werden auch Sport- und Wellness-Workshops
angeboten, übernachtet wird in Zelten. 41 Jugendliche
nehmen an dem von der Stadt Köln und dem Programm
ENTIMON des Bundesjugendministeriums geförderten
Camp Teil.
Und das Netzwerk wächst weiter: Mit den MittwochsMalern gibt es seit November 2005 in der OT Luckys
Haus ein regelmäßiges Graffiti-Angebot für Jugendliche
aus ganz Köln. Im Rahmen des ENTIMON-geförderten
Projekts Lifejam der Offenen Jazz Haus Schule Köln
werden in der Zeit von Oktober bis Dezember 2006
Workshops im Rahmen des Nippesser Netzwerks und
darüber hinaus in ganz Köln veranstaltet, am 15. Dezember
gibt es einen großen gemeinsamen Abschlussevent im
Stadtgarten Köln.2
Für den 1. September 2007 ist nun im Bürgerzentrum
Nippes erstmals ein Live-Event geplant, der alle größeren
Kölner HipHop- und Urban-Culture-Projekte zusammenführt:
Das Netzwerk Nippes trifft auf das HipHop-Projekt
der JUGZ (Jugendzentren Köln gGmbH), das Rapnetz/
Connect HipHop-Projekt der Offenen JazzHausSchule
und das JFC-Projekt Roots&Routes Cologne.
2
44 | Von Köln bis Barcelona: Das HipHop-Netzwerk Nippes
www.lifejam.de/koeln
Organisation von Urban-Culture-Projekten
Sascha Düx, Andreas Kern und Lisette Reuter
Wer nach so vielen theoretischen Hintergrundgedanken
und inspirierenden Projektbeschreibungen nun Lust bekommen hat, selbst ein Urban-Culture-Projekt zu organisieren, der findet im dritten Teil dieses Hefts zahlreiche Tipps und Informationen. Was er oder sie hier
nicht finden wird, sind Schritt-für-Schritt-Anleitungen
vom Typ „Wie lerne ich in 10 Minuten einen Breakdanceoder Rapworkshop zu leiten“. Das würde erstens den
Rahmen dieser Broschüre sprengen, zweitens braucht
man dafür jahrelange Übung. Wir richten uns also eher
an pädagogische Profis in Jugendarbeit und Schule, die
sich für ein entsprechendes Projekt andere Profis mit
den entsprechenden Skills dazuholen werden.
Vorüberlegungen
Urban-Culture-Projekte können in den verschiedensten
Dimensionen durchgeführt werden – vom eintägigen
Jugendzentrums-Rap-Aktionstag mit fünf Teilnehmern
Kalkulation von Urban-Culture-Projekten
Hier eine Checkliste möglicher Kostenarten, die bei Urban-CultureProjekten anfallen können:
» Personalkosten für Projektleitung
» Honorare für ReferentInnen und BetreuerInnen
» Honorare und Gagen für etablierte Urban-Culture-KünstlerInnen
(z.B. für eine Masterclass oder als Headliner für ein großes HipHopKonzert), BühnenmoderatorInnen und ggf. JurorInnen (bei Auswahlverfahren)
» Honorare für Öffentlichkeitsarbeit und Ergebnisauf bereitung
(Gestaltung von Flyern, T-Shirts, Projektwebsites; Schnitt einer
Projekt-Videodokumentation, DVD Authoring etc.)
» Honorare für TechnikerInnen (Tontechnik, Bühnentechnik etc.)
» Honorare für Sicherheitskräfte, ggf. Reinigungskräfte, Sanitäter
» Technik-Kosten: Investitionen, kleinere Anschaffungen, Mieten,
Wartung/Reparaturen
» Mietkosten für Räumlichkeiten
» Verbrauchsmaterialien (Datenträger, Farben für Graffiti etc.)
» Publikationskosten (Druckkosten, Vervielfältigung von CDs/DVDs)
» Internetkosten (Webspace- und Domainmieten, Internetzugang)
» GEMA-Kosten
» Unterkunft- und Verpflegungskosten (von Getränken für einen
Tanzworkshop bis zur internationalen Begegnung mit Vollpension in
einer Jugendbildungsstätte)
» Reisekosten (ÖPNV lokal bis Flüge international, Team und TN)
» Handlungskosten (Büro- und Verwaltungskosten, Porto, Telekom)
bis hin zum vernetzten mehrjährigen Großprojekt
mit den Disziplinen Tanz, Kunst, Musik, Theater und
Medien, verteilt über mehrere Einrichtungen, Städte oder
gar Länder. Nach unseren Erfahrungen sind mehrtägige
Blockphasen effektiver als allwöchentliche Kursangebote, aber auch letztere haben je nach Projektkonzeption
ihre Berechtigung.
Die ersten Schritte bei der Planung eines solchen Projekts
werden entsprechend darin liegen, sich über den groben
Rahmen und die Größenordnung klar zu werden, mit
möglichen Partnern ins Gespräch zu kommen, Kosten
abzuschätzen und Ideen zur Finanzierung zu entwickeln.
Hier sollten auch die klassischen pädagogischen Überlegungen zu pädagogischen Zielen und Zielgruppen
(mit interkulturellen und Gender-Aspekten) angestellt
werden. Da die Förderverfahren vieler Stiftungen und
How to do | 45
öffentlicher Geldgeber einen langen Vorlauf haben,
sollten die Überlegungen rechtzeitig (6-18 Monate vor
geplantem Projektbeginn) zur Antragsreife gebracht
werden. Und wenn dann die Bewilligung ins Haus flattert, geht der Spaß erst richtig los :-)
ReferentInnen, Ressourcen und
regionale Netze
„Wichtig sind stets
Skills und Vermittlungskompetenz im
Kontext der jeweiligen Zielgruppe“
Nun geht es an die Konkretisierung der Planung. Das
Wichtigste: Gute ReferentInnen müssen her! Das kann
der professionelle Rapper und Musikproduzent mit
einem pädagogischen Händchen sein oder die Kunststudentin mit Graffiti-Szeneerfahrung, der selbstständige studierte Medienpädagoge oder auch der
jugendliche Breakdancer, der gut und gerne Jüngeren
etwas beibringt – wichtig sind stets Skills und Vermittlungskompetenz im Kontext der jeweiligen Zielgruppe.
Bei interkulturellen/internationalen Projekten sollte
auch das Team interkulturell/international zusammengesetzt sein. DozentInnen sollten Werte wie gegenseitige Wertschätzung, Toleranz und Zuverlässigkeit
vorleben können. Wie gut ein/-e ReferentIn wirklich ist,
zeigt sich immer erst in der Praxis – hier liegt ein Vorteil
von Netzwerken: Man kann sich gegenseitig geeignete
Leute empfehlen.
Eine Liste der wünschenswerten und der dringend
notwendigen Ressourcen kann man dann am besten
gemeinsam mit den jeweiligen ReferentInnen erstellen:
Die Rapdozentin wünscht sich vielleicht Plattenspieler
nebst DJ-Mixer, Mikrofone und eine Beschallungsanlage, dem Choreograph ist an einer großen Spiegelwand
gelegen, der Graffitidozent möchte im Workshop Leinwände und Staffeleien bauen lassen und die Kamerafrau
kommt gleich mit einer ganzen Technikliste …
Spätestens hier zeigt sich: Größere Projekte lassen sich
am besten gemeinsam mit Partnern stemmen. Vielleicht hat ein nahegelegenes Jugendzentrum bereits eine
Spiegelwand und ist an einer Kooperation interessiert,
oder vielleicht ist der benachbarte Baumarkt zu Sachspenden bereit. Ton- und Medientechnik kann man sich
gut gegenseitig ausleihen – die Geräte sollten natürlich
pfleglich behandelt werden, dafür sollten auch die
zuständigen ReferentInnen in die Mitverantwortung
genommen werden.
Auch Teilnehmerwerbung funktioniert im Netzwerk
besser: Jugendliche in verschiedenen Einrichtungen
können angesprochen werden und lassen sich
mit sanftem Druck bewegen, mal ein spannendes
Projekt in einer anderen Einrichtung zu besuchen.
Nichts ist so traurig wie ein mit Liebe geplantes gutes
Projekt, zu dem kaum TeilnehmerInnen erscheinen. Flyer,
Plakate und Pressearbeit können genutzt werden, um
das Projekt bei der Zielgruppe bekannt zu machen –
unserer Erfahrung nach funktioniert aber persönliche
Ansprache immer noch am besten, ob unmittelbar
durchs Projektteam oder durch Partner in anderen Einrichtungen. Präsenz bei für die Zielgruppe interessanten
Veranstaltungen (z.B. HipHop-Festivals) und persönliche Vorstellung des Projekts in Schulklassen sind hier
erfolgversprechende Wege.
Die Durchführung
Es geht los! Je nachdem ob sich die Gruppe schon kennt
oder ob eine neue Konstellation von Leuten zusammenkommt, sind Kennenlernaktionen angesagt – das muss
nicht das klassische Kennenlernspiel sein, sondern
kann z.B. auch ein Freestyle-Cypher sein: Man steht
im Kreis, jemand macht „Beatboxing“ (Imitation eines
Rapbeats mit Mund- und Körpereinsatz), und dann
rappen alle reihum, wer sie sind und wo sie herkommen.
Die Akzeptanz für spielerische und kreative Methoden
ist meist höher, wenn diese von ReferentInnen aus der
Urban-Culture-Szene angeleitet werden. Bei längeren
Projekten mit „unbekannten“ TeilnehmerInnen macht
es Sinn, Vorerfahrungen und Erwartungen zu eruieren.
Dann geht es in die Workshops, die meist ihrer eigenen
Dynamik und Zeiteinteilung folgen. Die Projektleitung
hat dann die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es überall läuft, dass Konflikte gelöst und nötige Ressourcen
beschafft werden – dabei muss man auch delegieren
46 | Organisation von Urban-Culture-Projekten
können. Es sollte immer mal wieder gemeinsame Punkte
in der Gesamtgruppe geben – eine Party, ein FreestyleAbend, wo MusikerInnen und TänzerInnen ihre Skills
zeigen können, eine gemeinsame Fragestunde mit einem
prominenteren lokalen Urban Culture Künstler – damit
ein gemeinsames Gruppengefühl entsteht.
Wichtig sind auch Querverbindungen zwischen den
Workshops: Die Tanzcrew kann zu Tracks aus dem
Musikworkshop tanzen, dafür müssen die aber rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden. Die Mediengruppe
kann die Aktivitäten der anderen Workshops dokumentieren oder Tanz- und Musikvideoclips drehen; das
erfordert aber eine gute Gesamtkoordination. Statt
paralleler Tanz- und Musikworkshops kann auch die
gleiche Gruppe nacheinander bzw. abwechselnd Tanz-,
Theater- und Gesangs-/Rapcoaching erhalten und so
eine Musical-artige Bühnenperformance entwickeln.
Je nach Projektdauer kann zur Halbzeit eine Zwischenauswertung in der Gruppe angesetzt werden: Was
haben wir erreicht, wo wollen wir hin, wo hakt es
noch? Auch die Pressearbeit sollte nicht vernachlässigt
werden; wenn alle Workshops gut laufen und die
Abschlusspräsentation in Sichtweite ist, ist ein guter
Zeitpunkt für eine Pressekonferenz gekommen; eine
weitere kann unmittelbar vor der Abschlusspräsentation
angesetzt werden.
Gegen Ende des Projektes sollten die Teilnehmenden
dann die Chance bekommen, öffentlich zu zeigen, was
sie gemeinsam erarbeitet haben. Ob vor Freunden und
Eltern in der Jugendzentrumsdisko oder auf einer größeren Bühne vor breiterem Publikum: Ein Auftritt stärkt
das Gruppen- und Selbstwertgefühl aller Beteiligten
und schafft positive Öffentlichkeit für die Zielgruppe.
Wichtig ist hier, dass das Feeling und der Rahmen
stimmen. Besonders auftrittsunerfahrene Jugendliche
sind oft nervös und wollen plötzlich doch nicht mehr
auf die Bühne – hier ist pädagogisches Fingerspitzengefühl gefragt, aber auch Gruppenmanagement: Die
TeilnehmerInnen müssen sich gegenseitig tragen, dürfen
sich nicht gegenseitig herunterziehen. Dafür sind eine
funktionierende Saaltechnik und ein erfahrenes, kompetentes und freundliches Technikteam entscheidend.
Wichtig sind auch ein vernünftiges Catering (Essen und
Getränke für alle Auftretenden) und eine gute Bühnenmoderation, sowie bei größeren Veranstaltungen
Sicherheitskräfte und Sanitäter.
„Wichtig ist, dass
das Feeling und der
Rahmen stimmene“
Nacharbeiten
Wenn das eigentliche Projekt vorbei ist, gibt es meist
noch genug zu tun: Vom Aufräumen der Workshopräume
und auseinandersortieren der Technik über die Aufarbeitung der Projektergebnisse zu Webseiten, CDs, DVDs
oder Broschüren bis hin zu Verwendungsnachweisen
und Sachberichten. Bei größeren Projekten kann ein
Nachtreffen angesetzt werden: Hier kriegt dann jede/-r
TeilnehmerIn die fertige Projekt-CD in die Hand gedrückt, die Projekt-Videodokumentation hat Premiere,
und wenn in der Projektphase die Zeit fehlte, können
hier zielgruppengerecht formulierte Evaluationsbögen
die Runde machen.
Auf jeden Fall sollte man sich die Zeit für eine ausführliche Reflexionsrunde im Team nehmen und wichtige
Punkte – was war gut, was geht noch besser – so notieren,
dass sie für Folgeprojekte nutzbar sind.
Und wenn es Spaß gemacht hat und die selbstgesteckten
Ziele weitgehend erreicht wurden, heißt es dann: Nach
dem Projekt ist vor dem Projekt!
How to do | 47
Musikvideos selbstgedreht
Lisette Reuter
Grundlagen
Die klassische Filmarbeit wird gegenwärtig durch die
digitalen Möglichkeiten perfektioniert und professionalisiert: Durch die Verwendung des Computers als bilderzeugendes und gestaltendes Werkzeug verwischen
die Grenzen zwischen Video- und Multimediaarbeit zunehmend. Für die Jugendarbeit sind die preisgünstigen
digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten eine Chance, mit
der Sprache der bewegten Bilder zukünftig noch mehr
experimentieren zu können. Im Alltag von Jugendlichen
sind bewegte Bilder wie Film, Video, Fernsehen nicht
mehr weg zu denken und sind mit die bedeutsamsten
Kommunikationsmittel der Gegenwart. Es ist eine
Herausforderung an die Pädagogik, dass Jugendliche
diese Medien nicht nur passiv konsumieren, sondern
auch lernen, aktiv mit ihnen umzugehen.
Eine gute Möglichkeit für die aktive Medienarbeit bietet
die Produktion eines Musikvideoclips. Sie schafft neue
Gelegenheiten des Selbstausdrucks, der Kreativität
und kann verschiedene Urban-Culture-Sparten wie
Klappe, die erste!
Ein wichtiges Hilfsmittel bei der Filmproduktion ist die Klappe. Die
einfachste Lösung für eine Klappe ist, zwei Holzklötze im Blickfeld
der Kameras aufeinander zu schlagen. Für eine etwas professionellere
Lösung montiert man zwei breitere Latten mit einem Scharnier dergestalt aneinander, dass sie knallend zusammengeschlagen werden
können. An der oberen Latte befestigt man eine kleine Tafel (Pressspanplatte mit Schultafel-Beschichtung), auf der mit Kreide der Name
der Szene und der „Take“ (=der wie vielte Durchgang einer Szene) eingezeichnet werden kann. Fertige Filmklappen kann man auch günstig
kaufen, einfach mal „Filmklappe“ auf Google eingeben.
Mittels der Klappe ist es möglich, den genauen Zeitpunkt des Zusammenschlagens mit dem „Klack“ der Holzklötze auf der Tonspur zu
hören (und auch zu sehen, wenn das Schnittprogramm die Tonspur
als Wellenform darstellen kann) und den Schlag auf der Bildspur zu
sehen. Diese Methode erleichtert insbesondere bei der Aufnahme mit
mehreren Kameras die Synchronisation von Szenen.
48 | Musikvideos selbstgedreht
Musik, Tanz und VJing in ein gemeinsames Endprodukt
zusammenbringen. Musikvideoclips vereinen präsentative
Ausdrucksformen wie Bilder, Körpersprache, Musik und
Tanz, und kommen dadurch auch Jugendlichen entgegen,
die Schwierigkeiten mit der deutschen Schriftsprache
haben. Da die Produktion eines Musikvideoclips
nur im Team zu bewerkstelligen ist, können sich die
Jugendlichen mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten
auf vielfältige Weise einbringen: Angefangen von den
Musikern, deren Song im Mittelpunkt des Clips steht,
über die Entwicklung einer Geschichte für den Clip, die
Ausgestaltung der Szenen, die Maske, Erstellung der
Requisiten, Kameraarbeit, Regie und Licht bis hin zum
finalen Schnitt auf die Musik. Wenn es der Projektleitung
gelingt, gute Rahmenbedingungen für die Verknüpfung
dieser Bereiche zu schaffen, geschieht soziales Lernen
und Kooperation wird trainiert.
Musikvideoclips sind Kurzfilme, die ein bestimmtes
Lied bildlich untermalen. Musikvideos zeichnen sich
meist durch markante Bilder und schnelle Schnitte aus.
Kategorien von Musikvideoclips:
– Schwerpunkt auf der Darstellung der MusikerInnen,
z.B. durch Integration von Konzertaufnahmen oder
Bildern aus dem Tonstudio
– Schwerpunkt liegt bei der Darstellung einer Geschichte,
die sich meist am Text des Liedes orientiert
– Mischformen der beiden genannten Punkte
– Weitere spezielle Formen wie zum Beispiel Animationen oder abstrakte Bilder zur Musik
Das Genre „Musikvideoclip“ lässt mehr Freiräume als
viele andere Genres. Es kann interessant und wirkungsvoll sein, ungewöhnliche Kameraperspektiven, Lichteinstellungen und Spezialeffekte auszuprobieren.
Planung und Durchführung eines
Musikvideoprojekts
Eine gute Planung ist die Vorraussetzung für ein erfolgreiches Musikvideoclip-Projekt. Vor der Realisierung
eines Videoclips sollte die zu vermittelnde Information,
die Botschaft, klar definiert werden. Zur Hilfestellung
kann man sich mit dem gesamten Produktionsteam
zum Beispiel die folgenden Fragen stellen:
– Wo wird der Musikvideoclip gezeigt, wer ist das Ziel publikum?
– Was oder wen wollen wir präsentieren?
– Was soll unsere Message sein, was wollen wir
vermitteln?
– Welche Szenen sollen an welchen Orten spielen?
– Wie viel Zeit wird ca. an den einzelnen Drehorten
benötigt?
– Wie sind die Lichtverhältnisse an den Drehorten?
– Was brauchen wir für Requisiten und Statisten?
Die exakte Vorbereitung eines Musikvideoclips entscheidet
bereits über den Erfolg des Projekts. Es ist hilfreich, sich
an eine bestimmte Reihenfolge der Abläufe zu halten.
Hauptschritte bei der Planung und Durchführung sind:
1. Tonaufnahme
Es ist besonders wichtig, dass vor Beginn der eigentlichen Videoclipproduktion der zugrunde liegende Song
in einer guten Qualität vorliegt. Alle Gesangsspuren
müssen fertig eingesungen sein, sonst können die
Mundbewegungen der SängerInnen und RapperInnen
im Video nicht lippensynchron werden. Alle, die an der
Produktion beteiligt sind, sollten den Song gut kennen.
2. Treatment
So nennt man die ersten Ideen zu einer Film- oder Videoclipproduktion. Beim Treatment sollte man die Handlung, die beteiligten Personen und die Drehorte grob
skizzieren.
3. Storyboard
Im Storyboard wird die Handlung näher ausgearbeitet.
Darsteller werden z.B. genauer charakterisiert, Handlungsorte festgelegt; das Produktionsteam wird zusammengestellt.
4. Drehbuch
Im Drehbuch werden die Einstellungen festgelegt und
mit Perspektive, Bildausschnitt, Bewegung der Kamera,
Bewegung der Darsteller beschrieben. Es empfiehlt
sich, für jede Einstellung eine Skizze zu zeichnen, die
den Kameraausschnitt und die handelnden Personen
zeugt. Anhand des Drehbuches wird dann ein Drehplan
erstellt, der festlegt, was an welchem Ort und in
welcher Zeit abgedreht werden sollte.
5. Der Dreh
Für die Aufnahmen wird ein lautstarkes Wiedergabegerät
(z.B. großer „Ghettoblaster“) benötigt, damit die Darsteller sich selbst gut hören und sauber lippensynchron
zum Playback singen können. Eine gute PlaybackPerformance ist sehr wichtig, alle singenden/rappenden
DarstellerInnen sollten ausführlich geübt haben und
Texte präzise in der gleichen Rhythmik wie auf der
Aufnahme singen/rappen können. Ansonsten hat man
beim Schnitt große Schwierigkeiten bei der Synchronisation und es wirkt am Ende unprofessionell.
Es ist oft günstig, jede Szene in kompletter Länge des
Songs aufzunehmen; dadurch kriegt man visuelles Füllmaterial, und man muss pro Kamera nur einmal das eingespielte Material zur Musik synchron „schieben“. Jede
einzelne Szene sollte aus unterschiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen werden. Wichtig ist eine
Totale bis maximal halbnahe Einstellung und eine Nahbis Detailaufnahme. Es ist empfehlenswert, mehrere
Aufnahmen von einer Szene zu machen, so dass man
später beim Schnitt die Besten auswählen kann.
Generell beim Filmen – und damit natürlich auch bei
Musikvideos – gilt: Man setze die Kamera im Normalfall wie eine Fotokamera ein, man wähle einen Bildausschnitt und behalte diesen bei. Schwenk, Zoom und
Kamerafahrten sollten dezent und stets mit klarem Ziel
(Ende des Schwenks/Zooms) eingesetzt werden, da sie
nicht unserer physiologischen Wahrnehmung entsprechen.
How to do | 49
6. Die Postproduktion
Der eigentliche Musikvideoclip entsteht in der Postproduktionsphase, also beim Schnitt. Nachdem man das
gesamte Material gesichtet hat, spielt man die besten
Aufnahmen mit dem Schnittprogramm auf die Festplatte.
Auch der Originalsong (fertig gemischte, am besten
gemasterte Aufnahme) wird in das Schnittprogramm
importiert. Dann legt man die einzelnen Aufnahmen im
Schnittprogramm auf übereinanderliegende Spuren (bei
Bedarf erzeugt man zusätzliche Spuren – die meisten
Videoschnittsoftwares unterstützen das). Wichtig ist,
dass man jetzt jede einzelne Spur mit dem Playback
(Originalsong) synchronisiert. Dabei kommt es auf
kleinste Verschiebungen an: ein „Frame“ (Einzelbild =
kleinste Zeiteinheit; i.d.R. 1/25-tel Sekunde) zu weit nach
links oder rechts, und die Synchronität des Bilds mit
dem Playback ist dahin. Wenn eine Szene mit mehreren
Kameras und Klappe aufgenommen wurde, können
zunächst die Spuren dieser Szene an Hand der Klappe
untereinander synchronisiert werden, und dann können
diese Spuren als Gruppe mit der Tonspur synchronisiert
werden (Klappensynchronisation ist einfacher als
Synchronisierung nur nach Audiosignal).
Wenn alle Videospuren zum Playback synchronisiert
sind, können die O-Töne der Videospuren in der Regel
gelöscht werden – man braucht sie meist nicht mehr,
außer vielleicht für eine lustige Anfangs- oder Endszene.
Anschließend werden die Bildsequenzen zum Song ausgewählt und der Rest wird weggeschnitten – man wählt die
passenden Perspektiven, Einstellungen, Szenen usw. aus.
Wichtig hierbei ist, dass man sich beim Bildschnitt dem
Rhythmus des Songs anpasst. Am Ende kommt der kreative Part, visuelle Effekte können zum Clip hinzugefügt
werden – dabei gilt: Effekte sind wie Gewürze, zu viele
Effekte können das Video verderben.
7. Die Präsentation
Die Präsentation der Musikvideos ist ein wichtiger Faktor
für die TeilnehmerInnen; eine öffentliche Präsentation
in einem angemessenen Rahmen kann Motivation und
Selbstwertgefühl der jungen Filmemacher enorm fördern.
Wenn Jugendliche erfahren, dass es um sie selbst geht
und dass sie nachher ein Produkt in den Händen halten,
das sie vorzeigen können und auf das sie stolz sein
können, dann ist der Grundstein gelegt für eine aktive
gemeinschaftliche Teilnahme. Musikvideos können
mittlerweile ohne großen Aufwand ins Internet gestellt
werden, im Jugendzentrum kann das fertige Video im
Rahmen eines Präsentationsabends mit einem eigenen
oder geliehenen Beamer gezeigt werden.
Literatur
Anfang, G.: Videoarbeit. In: Hüther, J. und B. Schorb (Hrsg.): Grundbegriffe Medienpädagogik. München 42005, S.
401-414.
Birke, Tom: Videoclips selbermachen. Praxis-Tips zum Erfolg; Ideen und Motive, Drehen, Schneiden und Präsentieren. Augsburg (Augustus-Verlag) 1996.
Neumann-Braun, K laus und Lothar Mikos: Videoclips und Musikfernsehen. Eine problemorientierte Kommentierung
der aktuellen Forschungsliteratur. Schriftenreihe Medienforschung der LfM, Band 52, Berlin (Vistas) 2006.
Vielmuth, Ulrich: Sieben goldene Grundregeln beim Filmen. Filmthemen, Kameraführung, Bilgestaltung. In: Ratgeber für Videofilmer. Tipps und Tricks vom Profi. Köln (Dumont Buchverlag) 1998, S. 86-137.
www.lfm-nrw.de/downloads/summary-videoclips.pdf
50 | Musikvideos selbstgedreht
Videodokumentation
Lisette Reuter und Sascha Düx
Eine Videodokumentation sollte spannend, kurz und
knapp, informativ und unterhaltsam sein. Gerade bei
größeren Projekten mit Aktivitäten in mehreren Workshops bzw. an mehreren Orten sind Videodokumentationen ein wichtiges Element, da sie Schnittstellen zwischen
allen angebotenen Aktivitäten bilden können, in denen
sich jede/-r TeilnehmerIn wieder findet. Es macht großen
Spaß, sich nach einem abgeschlossenen Projekt noch
einmal eine Zusammenschau der Aktivitäten angucken
zu können und sich selbst in Aktion zu sehen. Darüber
hinaus bieten Videodokumentationen auch die Chance,
Außenstehende in einer ansprechenden Art und Weise
über das Projekt zu informieren und für Folgeprojekte
zu werben.
Grundlage einer guten Dokumentation ist eine strukturierte gemeinsame Planung. In Form eines Brainstormings können die Teilnehmenden überlegen, welche
Themen und Aktivitäten filmisch abgedeckt werden sollen.
Alle Elemente und Inhalte, die zum Thema passen,
sollten aufgeschrieben werden. Man möchte dem
Zuschauer eine Dramaturgie vermitteln, Zusammenhänge und Entwicklungen müssen deutlich werden,
Überraschungen müssen für den Beobachter erkennbar
sein.
Es kann in der Praxis sinnvoll sein, verschiedene Gruppen
zu bilden, die für die einzelnen zu dokumentierenden
Gebiete zuständig sind. Zum Beispiel könnten die
verschiedenen Workshops, das Gruppenleben, die
Aufführung usw. in mehreren einzelnen Dokumentationen festgehalten werden.
Bevor man anfängt, für die Dokumentation zu filmen,
sollten alle TeilnehmerInnen mit dem Handling der
Kamera vertraut sein und die Grundregeln der Filmsprache
wie Einstellungsgrößen, Aufnahmeperspektiven und
Licht/Beleuchtung erarbeitet und geübt haben.
in Dokumentationen, wo oft wichtige Informationen
über Sprache vermittelt werden. Auch die Atmosphäre
im Film wird durch den Ton emotional unterstrichen.
Deswegen ist es wichtig, O-Töne stets optimal aufzuzeichnen und den Ton immer wachsam zu kontrollieren.
Hierzu sollte ein Mitglied des Filmteams stets mit
geschlossenen Kopfhörern den Ton verfolgen und bei
Störgeräuschen ggf. die Aufnahme abbrechen und
wiederholen lassen.
Wenn man Interviews aufnimmt, ist es besonders
wichtig, dass man an einem ruhigen ungestörten Ort,
ohne starke Hintergrundgeräusche (wie Verkehrslärm,
Glocken, Schritte) dreht.
Wichtig ist auch der Tonaufnahmemodus: Mini-DVCamcorder haben in der Regel zwei verschiedene Modi:
16bit und 12bit (32 kHz). Im 16bit-Modus wird nur eine
Stereospur aufgezeichnet, im 12bit-Modus in der Regel
zwei: Angeschlossene externe Mikros auf der ersten, das
eingebaute Mikro der Kamera auf der zweiten. Hier muss
man ggf. beim Einspielen der Bänder in den SchnittPC beachten, dass die richtige Tonspur überspielt
wird (also z.B. das in der Hand gehaltene Interviewmikrofon
Der O-Ton
Der Ton ist ein oft unterschätzter Faktor beim Filmen.
Gerade Anfänger neigen dazu, den Ton zu vernachlässigen und den Fokus auf die Bildgestaltung zu legen.
Doch eine gute Tonspur ist entscheidend dafür, wie die
Qualität eines Films wahrgenommen wird; besonders
How to do | 51
Nachvertonung
und nicht das weit vom Interviewten entfernte
Kameramikro).
Falls man trotzdem qualitativ unzureichende O-Töne
aufgenommen hat, kann man versuchen, diese mit Tonbearbeitungsprogrammen zu korrigieren. Dennoch gilt,
wie auch bei Bildaufnahmen: Schlechtes Rohmaterial
wird auch durch „Schönheitsoperationen an digitalen
Konsolen“ nie an die Qualität guten Rohmaterials
herankommen.
Die Postproduktion
8
Artikel
Siehe
„Weche Software für
den Videoschnitt?“
(Seite 54)
Die Gestaltungsmöglichkeiten sind in der Produktion
von Dokumentationen unerschöpflich: Grafiken,
Animationen (z.B. Flash), Fotos, Texteinblendungen,
Effekte, Tonbearbeitung können in der Postproduktion
mit eingebunden werden. Hierbei sind Kreativität und
originelle Einfälle gefragt, aber auch ein maßvoller
Einsatz der digitalen Mittel. Je nach Kompetenzniveau,
Motivation und Zeitbudget der Teilnehmenden sowie
Ansprüchen an bzw. Verwendungsplänen für den fertigen
Film muss entschieden werden, ob die Dokumentation
von Jugendlichen unter Anleitung geschnitten werden
soll oder ob ein Profi diese Aufgabe alleine übernimmt. In Zusammenhang damit sollte eine passende
Schnittsoftware gewählt werden.
Sinnvoll ist es, zuerst das gesamte Material genau zu
sichten und danach einen Grobschnitt anzufertigen,
also den filmischen chronologischen Verlauf und die
geplanten Einstellungen in der richtigen Reihenfolge im
Schnittfenster anzulegen. Erst wenn der Grobschnitt
steht und die beabsichtigten Informationen vermittelt
werden, sollte man sich der freieren Phase der Postproduktion zuwenden, in der die oben genannten
Gestaltungsmöglichkeiten ihre Anwendung finden.
Dabei gilt: Der harte Schnitt sollte die Regel sein, spezielle Überblendungen (weiches Überblenden etc.) sollten
nur beim Szenenwechsel oder in speziellen Sequenzen
als Effekt eingesetzt werden.
Interessant können Splitscreen-Effekte sein (der Bildschirm wird in mehrere Regionen aufgeteilt, man sieht
z.B. mehrere Aspekte einer Tanzchoreographie gleichzeitig), hierbei sollte man beachten, dass die Proportionen jedes Bildes erhalten bleiben (schon ein geringfügiges Strecken oder „quetschen“ in der Breite oder
in der Höhe wirkt optisch befremdlich) und etwaige
Abstände (z.B. schwarze Trennlinien) zwischen den einzelnen Bildregionen stets die gleiche Breite haben.
Zum Abschluss sollte ein Titel und ein Abspann generiert
werden. Im Abspann sollten alle Mitwirkenden vor und
hinter der Kamera sowie alle Geldgeber genannt werden.
52 | Videodokumentation
Ein wichtiger Aspekt der Postproduktion ist die Tonbearbeitung. O-Töne können mit Effekten bearbeitet
werden (z.B. kann eine verbesserte Sprachverständlichkeit durch maßvolle Absenkung der Bässe und
Anhebung der Höhen erzielt werden). Wichtiger ist aber
eine gute Abstimmung der Lautstärkepegel. Gute Videoschnittprogramme ermöglichen es, „Lautstärkekurven“
einzuzeichnen und so z.B. leise Interviewpassagen
gezielt anzuheben. Beachten sollte man auch, das
Interviews, die in der Regel mit einem Mono-Mikrofon
aufgezeichnet werden, in der Mitte des Stereobilds und
nicht hart links oder hart rechts liegen.
Eine zentrale Rolle bei der Vertonung spielt auch die
Filmmusik, sie unterstreicht die gewünschte emotionale
Wirkung und peppt die Dokumentation auf. Wenn die
Dokumentation auf DVD oder im Internet veröffentlicht
werden soll oder in offiziellem Rahmen öffentlich aufgeführt werden soll, empfiehlt es sich, mit GEMA-freier
bzw. selbstproduzierter Musik zu arbeiten. Bei Musik
„von CD“ entstehen Lizenz- und Rechtsfragen, es
können hohe Kosten anfallen, sobald die Dokumentation veröffentlicht wird.1
Bei Dokumentationen wird man häufig mit einem
nachträglich eingesprochenen Kommentar arbeiten,
der die Bildinformationen ergänzt und unterstützt. Der
Kommentartext kann Hintergründe und Zusammenhänge
beschreiben und verdichtet somit die Informationen
für den Zuschauer. Auch hier gilt: Weniger ist oft mehr.
Außerdem sind gute SprecherInnen selten – gute RapperInnen oder SängerInnen haben häufig gute Sprechstimmen,
können aber nicht unbedingt gut fremde Texte vorlesen.
Wenn kein guter Sprecher gefunden werden kann, sollte
man erwägen, ohne Off-Kommentar zu arbeiten und
stattdessen vielleicht eher Kommentartexte (Untertitel/
Zwischentitel) einblenden.
Bei der Nachvertonung kann man bei Bedarf auch auf
Geräusch-CDs zurückgreifen, die im Handel für wenig
Geld erhältlich sind; unter www.musikarchiv-online.de
gibt es Geräusche zum kostenlosen Dowload.
Export und DVD-Authoring
Punkte, die beim Filmen zu beachten sind
Wenn der Film im Computer fertiggestellt worden ist,
sollte er zunächst auf ein – vorzugsweise unbenutztes –
(Mini-)DV-Band ausgespielt werden, bei dem anschließend
der Schreibschutz aktiviert wird. Dieses Masterband
eignet sich auch für Vorführungen. Man sollte jedoch
beachten, dass Mini-DV ein Format mit Tücken ist – es
kommt gelegentlich zu Drop-Outs (kurzen „Aussetzern“
auf einem Band, die Bild- oder Tonausfälle bewirken).
Filme können darüber hinaus in verschiedenen
Formaten als Datei exportiert werden; einige eignen sich
speziell fürs Internet, andere zur Weiterverarbeitung
auf DVD oder zur Archivierung und Präsentation auf
dem eigenen PC.2
Eine Dokumentation kann, wenn sie rechtzeitig fertig
ist, zu Projektende aufgeführt werden; oft wird die
Postproduktionsphase aber länger dauern, so dass es
z.B. erst beim Projekt-Nachtreffen zur Premiere kommt.
Wenn das Budget es zulässt, kann für jede/-n TeilnehmerIn eine DVD mit allen Videos aus dem Projekt
kopiert werden. Es gibt mittlerweile recht preisgünstige
Tintenstrahldrucker, mit denen spezielle Rohlinge
bedruckt werden können. So können auch mit kleinem
Budget professionell aussehende DVDs erstellt werden.
Weitere Informationen
Büchele, Fridhelm: Digitales Filmen. Einfach gute Videofilme drehen und nachbearbeiten. Bonn (Galileo Press)
22005.
Rogge, A xel: Die Videoschnitt-Schule. Tipps und Tricks
für spannendere und überzeugendere Filme. Bonn (Galileo Press) 22006.
Slashcam Übungs-DVD: Digitales Filmen lernen per
» Weißabgleich (White Balance): regelt die Farbechtheit der Aufnahmen.
Immer zu Beginn der Kameraaufnahmen und wenn sich die Lichtverhältnisse ändern, sollte ein Weißabgleich durchgeführt werden
(die Kamera wird auf ein möglichst weißes Objekt, z.B. ein Blatt
Papier, gerichtet und der White-Balance-Knopf gedrückt).
» Stativ verwenden: Vor allem bei Tele-Aufnahmen kann niemand die
Kamera wackelfrei halten. Handkamera wirkt oft unruhig und sollte
nur wohldosiert eingesetzt werden.
» Nicht zuviel schwenken: Das menschliche Auge „schwenkt“ in der
Regel auch nicht, sondern es „springt“ von einem Betrachtungsschwerpunkt zum nächsten.
» Nicht zuviel zoomen: Der Zoom an einer Kamera dient in erster Linie
dazu, die Einstellungsgröße (den Bildausschnitt) zu wählen, sollte
also schwerpunktmäßig vor dem eigentlichen Filmen und nur selten
gezielt als Effekt beim Filmen eingesetzt werden.
» Kamerafahrten: sind besser als das Zoomen, denn die Kamerafahrt
entspricht unserem natürlichen Sehen. Man kann Skateboards,
Rollstühle und Rollwagen dafür verwenden, sollte aber so vorsichtig
vorgehen, dass weder Kamera noch Kameramann/-frau zu Schaden
kommen.
» Man sollte sich bemühen, dass man schon in der Planung eine
Auswahl an Szenen, Momenten, Gestaltungselementen trifft, da
zuviel Material zu Stress in der Postproduktionsphase (Schnitt)
führt. Auch zuwenig Material kann Probleme verursachen – nichts ist
ärgerlicher, als beim Schnitt festzustellen „hier fehlt noch etwas, da
könnten wir dringend eine Aufnahme von XY gebrauchen“, und dann
nicht nachdrehen zu können, weil z.B. das dokumentierte Projekt
längst abgeschlossen ist. Das Verhältnis zwischen dem aufgenommenen Rohmaterial und der angestrebten Dauer des fertigen Films
sollte sich im Bereich von 10:1 bis maximal 50:1 bewegen.
» Zwischenbilder / Zwischenschnitte: Beim Schnitt braucht man oft
Füllmaterial, um die Dokumentation interessant und spannend zu
gestalten. Bei einem Interview können das z.B. Aufnahmen sein, die
den Inhalt des Interviews visualisieren, oder Nahaufnahmen des
zuhörenden Interviewers (wenn dieser gezeigt wird). Man sollte daher
schon beim Filmen stets darauf achten, dass viele Details, athmosphärische Bilder etc. aufgenommen werden. Auch Aufnahmen des
Orts der Handlung in der Totale sind oft hilfreich, um den Zuschauer
ins Geschehen einzuführen.
» Interviews: Es ist sinnvoll, die Interviewsituation wenn möglich zuvor
„trocken“ mit allen Beteiligten zu üben, damit man beim eigentlichen Dreh sicherer vor und hinter der Kamera agieren kann. Man
muss entscheiden, ob der Interviewer mit im Bild sein oder aus dem
Off agieren soll. Der Interviewer sollte stets offene Fragen stellen, die
zu interessanten Antworten einladen. Wenn man mit Off-Interviewer
arbeitet und beabsichtigt, die Fragen nachher herauszuschneiden,
sollte der Interviewte angewiesen werden, seine Antworten so zu
formulieren, dass sie auch ohne die Frage verständlich sind. Dem
Interviewten sollte eine Blickrichtung vorgeschlagen werden.
» Wenn ein Videoband voll ist bzw. die Aufnahmen abgeschlossen sind,
sollte der Schreibschutz aktiviert werden, damit nicht versehentlich
jemand die Aufnahmen überspielt. Außerdem sollte jedes Band dringend eindeutig beschriftet werden, sonst kommt man beim Schnitt in
Teufels Küche. Nach den Aufnahmen sollten alle Bänder gemeinsam
an einem sicheren Ort gelagert werden.
DVD: Kameraführung, Technik, Bildausschnitt, Licht,
Ton. Bonn (Galileo Press) 2004.
www.slashcam.de und www.wikipedia.de
Informationen hierzu gibt es unter www.gema.de
siehe Artikel „Im Dschungel der Formate“ auf der beiliegenden DVD
1
2
How to do | 53
Welche Software für den Videoschnitt?
Es gibt inzwischen eine unüberschaubare Anzahl an Videoschnittsoftware. Hier ein Überblick über einige der wichtigsten Programme
mit Preisen (Stand März 2007):
» Windows Movie Maker: Einfaches kostenfreies Einsteiger-Schnittprogramm, das den meisten Windows-Versionen beiliegt. Export nur
im WMV-Format, kann keine DVDs erstellen. Eine Videospur, daher
für Musikvideos ziemlich ungeeignet.
» iMovie HD 6: Das Apple-Gegenstück zum Windows Movie Maker:
besseres Design, einfacher bedienbar, HD-fähig, kostenfrei, nur für
Mac. Nur eine Videospur. Gute Audiofunktionen (z.B. Audiokommentare zum Bild aufnehmen).
» AVID Free DV: kostenfreie Version der führenden professionellen
Videoschnittsoftware AVID. Schwierig zu lernen, aber praktisch für
Jugendliche mit Profi-Ambitionen im Videobereich. Import von
Videos nur über DV-Eingang, Export auf DV-Band oder als Quicktime-Datei. Läuft auf PC und Mac. Free DV-Projekte können nicht
in den AVID-Profiversionen weiterbearbeitet werden. Kein HD,
nur 2 Videospuren.
» Pinnacle Studio 10.7: Sehr einfach bedienbares Schnittprogramm
für Windows-PCs. Effekte wie Chroma Key (Bluescreen), HD-fähig,
DVD Erstellung, MPEG2- und Realmedia-Export möglich. Gutes
preisgünstiges Einsteigerprogramm (ca. 40 Euro), für Dokus und
Spielfilme geeignet, für Musikvideos weniger (nur 2 Videospuren).
» MAGIX Video deluxe 2007: Fast alle MAGIX-Produkte (Music Maker
etc.) haben auch Videoschnittfunktionen; speziell für Videoschnitt
ausgelegt ist Video deluxe (ca. 50 Euro, Plus-Version 100 Euro). Ideale
Einsteiger-Software für Musikvideoproduktion dank vieler Videospuren, zahlreicher Effekte (auch Splitscreen) und guter Audiointegration. HD-tauglich, Import/Export zahlreicher Formate
(u.a. Realmedia), DVD-Erstellung
» Adobe Premiere Pro 2.0: Eins der führenden PC-Profiprogramme.
Nicht ganz leicht zu erlernen. Unterstützt zahlreiche Formate
(HD, Real und MPEG Export). Kostet gut 1000 Euro, mit etwas
Glück kann man aber für ca. 500 Euro eine ältere Version und das
Update auf Premiere Pro 2.0 erwerben. Das abgespeckte Einsteigerprogramm Adobe Premiere Elements 3.0 kostet gut 100 Euro, kann
DVDs erstellen, unterstützt HD und bietet bis zu 99 Videospuren,
aber keinen Realmedia-Export. Alle Videos im Projekt Roots&Routes
Cologne 2005/2006 wurden mit Premiere Pro geschnitten.
» Sony Vegas 7.0: Ernst zu nehmender Konkurrent für Adobe Premiere
Pro. Preisgünstiger und leichter zu bedienen bei vergleichbarer Funktionalität. Für ca. 600 Euro (Schulversion 450 Euro) bekommt man
das „Vegas+DVD“ Paket, das die professionelle DVD-Authoringsoftware „DVD Architect“ enthält.
» Adobe After Effects: Compositing-Programm, dass in erster Linie für
die Produktion von Animationen und Trailern konzipiert ist. Eignet
sich auch gut zur Erstellung von Videoloops, die beim VJing verwendet werden. Die Standardversion kostet gut 900 Euro, die ProVersion rund 1500 Euro, als Schulversion ca. 600 Euro.
» Final Cut: Die Mac-Profisoftware. Die abgespeckte Version Final Cut
Express HD (knapp 300 Euro) bietet bereits 99 Videospuren, HD und
eine professionelle Effektpalette, aber keine eingebaute DVDErstellung (Export nur auf DV-Band oder als Quicktime). Die Vollversion Final Cut Pro 5 gibt es nur gebündelt im Final Cut Studio
Paket (enthält auch DVD Studio Pro 4), das kaum Wünsche offen
lässt, aber auch satte 1300 Euro kostet.
» AVID Xpress Pro HD 5.6: Das Universalgenie – läuft auf Mac und PC,
kann fast alles (außer Einsteigern das Leben zu erleichtern), unterstützt zahlreiche Formate (DVD-Erstellung nur auf PC) und ist
kompatibel mit den großen AVID-Composer-Systemen, die in Profistudios sehr verbreitet sind. Kostet ca. 1800 Euro, die Schulversion
ist aber mit rund 250 Euro sehr günstig.
54 | Bluescreen | VJing
Bluescreen
Kerstin Venne
Die Bluescreen-Technik ist ein Verfahren, das im Filmund Fernsehbereich genutzt wird, um Personen nachträglich mit einem Hintergrundbild – z.B. einer realen
Videoaufnahme oder einer Computergrafik – zu kombinieren.
Für die Jugendmedienarbeit bietet das BluescreenVerfahren einen großen Handlungsspielraum. Mit Hilfe
einfacher Mittel können beeindruckende Ergebnisse
erzielt werden. So ist es mit entsprechendem Videomaterial möglich, Menschen fliegen zu lassen oder sie in
die verrücktesten Umgebungen zu setzen. Insbesondere
im Bereich der Musikvideoproduktion können Jugendliche
ihren Phantasien freien Lauf lassen. Selbst kreierte
Grafiken oder Videoeffekte lassen sich ebenso als Hintergrund verwenden wie eigene Videoaufnahmen.
So funktionierts: Personen oder Gegenstände werden
vor einem einfarbigen – in der Regel blauen oder grünen
– Hintergrund aufgenommen. Durch einen bestimmten
Effekt, genannt „Keying“ bzw. „Chroma Key“, kann in
der Nachbearbeitung der einfarbige Hintergrund durch
andere Video- oder Grafiksequenzen ersetzt werden.
Die meisten aktuellen Videoschnittsoftwares der Preisklasse ab 100 Euro haben eine „Keying“-Funktion.
Für die Umsetzung des Bluescreen-Verfahrens braucht
man eine Videokamera, einen möglichst gleichmäßig
einfarbigen Hintergrund (keine Schatten oder Falten)
und zwei Lampen, um den Hintergrund gleichmäßig
auszuleuchten. Und natürlich eine Schnittsoftware.
Es ist also kein teures Profiequipment erforderlich.
Der Hintergrund muss nicht unbedingt blau oder grün
sein. Diese Farben haben sich aber als besonders geeignet
herausgestellt, da sie einen guten Kontrast zur Hautfarbe
bilden. Um ein gutes Ergebnis zu erzielen, darf es keine
farblichen Überschneidungen zwischen dem Vordergrundobjekt und dem Hintergrund geben: Bei blauem
Hintergrund sind blaue T-Shirts tabu!
Marcel Panne
a.k.a. VJ Sehvermögen
Jahrgang 1973, kommt ursprünglich aus der
Foto-grafie, hat sich längere Zeit mit Theater,
Film und Fernsehen beschäftigt, bis er dann vor
ca. 10 Jahren als einer der ersten VJs den Schritt
in die Selbständigkeit gewagt hat. Seitdem hat er
unzählige Veranstaltungen bestritten, von der
offiziellen Party zur Euro-Einführung bis zum
Global Leadership Treffen von Siemens, aber auch
als VJ bei Lesungen der Lit.Cologne, bei Theaterstücken und natürlich auf Partys. Sein Style ist
geprägt von Film, der mit Texten und Grafiken
überlagert wird, seine VJ-Sets sind narrativ und
nehmen häufig Bezug zu aktuellem Geschehen,
sei es der Konflikt in Nahost oder die Fussballweltmeisterschaft. Er produziert seine Inhalte mit
Programmen wie Premiere, Photoshop, Flash und
After Effects, aber auch analog mit dem Fairlight
CVI Videosynthesizer.
VJing
Marcel Panne
Kontakt:
Fon: 0221/2824226
www.sehvermoegen.de
info@sehvermoegen.de
Der Begriff VJ
Inhalte
(Video Jockey) ist abgeleitet worden vom DJ (Disk Jockey): Während der DJ Platten ineinander mischt, generiert ein VJ live zur Musik Videos. Wenn man sich die Arbeitsweise und das Equipment eines VJ anschaut, wird
man schnell feststellen, das die Arbeit eines VJs eher mit
der eines Live-Elektronik-Musikers als mit der eines DJs
zu vergleichen ist. VJing ist sehr vielschichtig, man muss
sich mit Computer/Software, Hardware (Mischpulte,
Effektgeräte), Raumgestaltung und vor allem dem Produzieren von Inhalten beschäftigen.
Die Inhalte können je nach Interesse verschieden ausfallen: So ist es möglich mit Foto, Video, Grafik, 3D,
Text/Typo, computergenerierten Effekten zu arbeiten,
und all diese Elemente lassen sich natürlich auch
untereinander mischen. Wichtig ist stets, dass die
Inhalte zum Anlass passen – und Anlässe gibt es inzwischen sehr verschiedene. VJs sind längst nicht mehr nur im
Club zu finden, sondern auf fast jedem Event vertreten:
Messen, Präsentationen, Konzerte, Mode, Kultur und
Theaterveranstaltungen werden durch VJs visuell mitgestaltet.
Um einen VJ-Workshop erfolgreich durchzuführen,
braucht man leistungsstarke Computer mit den entsprechenden Programmen: erstens zum Vorproduzieren
der Inhalte, zweitens für das visuelle Mischen in Echtzeit. Dazu digitale Foto-/Videokameras und natürlich
mindestens einen Video-Projektor (Beamer).
Spannender als nur am Computer zu mischen wird es mit
Video-Mischpulten und -Effektgeräten; dann können
auch Video-DVDs als Bildquellen eingebunden werden.
Es ist ratsam, in Gruppen an einem konkreten Projekt zu arbeiten, damit sich die Teilnehmer gegenseitig
helfen können und gemeinsam Ideen entwickeln, aber
auch jeder Einzelne seine Stärken mit einbringen kann.
Kerstin Venne
Jahrgang 1979, studiert
Erziehungswissenschaften
mit den Schwerpunkten
Medienpädagogik, interkulturelle Bildung und Kulturarbeit an der Universität
Bielefeld. Im Rahmen ihres
Studiums absolvierte sie verschiedene Praktika im medienpädagogischen
Bereich
und ist als Honorarkraft in
unterschiedliche
Kinderund Jugendmedienprojekte
eingebunden, u. a. im JFC
Medienzentrum.
Darüber
hinaus kann sie auf einen
umfangreichen Erfahrungsschatz aus ihrer abgeschlossenen Berufsausbildung zur
Mediengestalterin Bild und
Ton zurückgreifen.
VJ Equipment
Software zur Erstellung von Inhalten (Rohmaterial):
Adobe Premiere, Adobe After Effects, Adobe Photoshop, Flash, Swift 3d, Cinema 4d.
Software für Präsentation/Live Mixing:
– Mac: Modul8 2.5, Vidvox VDMX5, Flomotion 2.5.
– PC: Resolume, ArKaos, Flomotion 2.5, Motion Dive.
Hardware: Videomischpult (Edirol V4), Effektgerät (Korg
Kaoss Pad Entrancer), DVD-Player, DV-Camcorder,
Digitale Fotokamera
Kontakt:
kerstin.venne@t-online.de
How to do | 55
B-boying/Breakdance-Workshops
Youngung Sebastian Kim (Jaekwon)
Ressourcen
Um einen Breakdance-Workshop durchführen zu können, braucht man hauptsächlich einen geeigneten Boden,
genügend Platz für alle Teilnehmer und eine Musikanlage –
das sind die wichtigsten Komponenten.
Der Boden sollte eben und glatt sein, um die akrobatischen Elemente gut ausführen zu können. Gut geeignet dafür sind z.B. PVC, Linoleum oder Gummiböden
wie in Turnhallen. Diese Böden sind nicht zu hart und
in der Regel auch für Rutschbewegungen geeignet. Auf
diesen Böden lassen sich alle Bewegungen durchführen.
Damit man diverse akrobatische Elemente mit möglichst geringem Verletzungsrisiko erlernen kann sind
Hilfsmittel wie z.B. Judomatten sehr von Vorteil. Diese
Matten dämpfen gut und haben genügend Dicke, sind
aber nicht zu weich und lassen auch Rutschbewegungen
zu. Turnermatten sind zwar für die Erlernung von Überschlägen und Saltos geeignet, lassen aber kaum Breakdance-typische Bewegungen zu, da sie dafür zu weich
und nicht rutschig genug sind. Yoga- und Gymnastikmatten sind zu dünn, um wirklich etwas abhalten zu
können.
Um choreographische, tänzerische Elemente gut einstudieren zu können, braucht man eine ausreichend große
Spiegelwand. Für diverse Freeze-Figuren ist es auch von
Vorteil, wenn man eine spiegelfreie feste Wand zum
Erlernen mit einbeziehen kann, an der die Schüler z.B.im
Handstand auch die Füße an der Wand absetzen dürfen.
Teilnehmer
Für die Kleidung der Teilnehmer gibt es keine zwingenden Vorschriften. Die Hauptsache ist, dass die
Teilnehmer sich wohl fühlen und frei bewegen können.
Legere Freizeit-Kleidung bzw. Sportkleidung und Turnschuhe eignen sich am besten dazu. Um blaue Flecken
weitestgehend zu vermeiden, kann man Knie- und
Ellbogenschoner (z.B. Volleyballschoner) benutzen; das
ist aber nicht unbedingt notwendig. Auch eine Baumwollmütze oder Schweißbänder kann man mitbringen,
wenn man Kopfstand-Elemente oder andere Rutschfiguren erlernen will. Aber auch das ist optional und für
Anfänger meist eher irrelevant.
Da die Bewegungen im Breakdance komplex sind und ein
hohes Maß an Koordination, Gleichgewicht, Kraft und
Beweglichkeit erfordern, ist das Lerntempo der Teilnehmer sehr unterschiedlich und erfordert zwischendurch
immer wieder auch individuelle Betreuung seitens des
Dozenten. Daher ist es von Vorteil, wenn man die Gruppen
auf ca. 10 Teilnehmer pro Dozent beschränkt, um einen
möglichst großen Lernerfolg zu haben. Natürlich ist
es auch möglich, größere Gruppen zu unterrichten,
jedoch sinken damit die individuelle Betreuungsmöglichkeit und das Lerntempo der Gruppe. Eine möglichst
lernhomogene Gruppe erleichtert den Unterricht.
Unterricht
Die Unterrichtsstruktur hängt von der Zielsetzung des
Unterrichts und dem Leistungsstand der Teilnehmer
ab.
Am Anfang des Unterrichts sollte der Dozent ein Aufwärmprogramm mit den Teilnehmern durchführen.
Dies kann durch Vermittlung einer Toprock-Choreographie geschehen, mit der die Teilnehmer sich warm
tanzen, durch Lockerungsübungen oder Spiele.
56 | B-boying/Breakdance-Workshops
Anschließend sollten sich die Teilnehmer allerdings
unbedingt dehnen, nicht nur zur Aufwärmung, sondern
auch zur Verletzungsprävention. Zudem erfordern viele
Bewegungen eine gewisse Grunddehnung, von daher ist
Stretching im B-Boying unverzichtbar.
Geht es um einen Anfängerkurs, so ist die Vermittlung
von einem möglichst breiten Spektrum des Breakdance
mit Basisbewegungen aus den verschiedenen Sparten
anzustreben:
– Toprock/Uprock: Tanz im Stand,
– Downrock/Footwork: Schritte am Boden,
– Powermoves: Akrobatik,
– und Freezes: Figuren.
Werden Fortgeschrittene unterrichtet, so haben die
Teilnehmer meist schon gewisse Präferenzen bzw.
Bewegungen, an welchen sie gerade arbeiten. Es gibt in
der Regel auch Unterschiede im Move-Repertoire der
Teilnehmer. Die Techniken werden komplexer. In diesem
Fall ist eine individuellere Betreuung angesagt.
Ist der Unterrichtet zeitlich befristet, etwa wie bei
einem Workshop (im Gegensatz zu einem unbefristeten
bzw. über einen längeren Zeitraum laufenden Kurs), ist
es eine gute Möglichkeit der Vermittlung, erst einzelne
Elemente aus den jeweiligen Sparten vorzustellen und
diese dann zu einer Choreographie zu verbinden. So
haben die Teilnehmer nicht nur unverbundene Elemente,
sondern eine komplette Sequenz, mit der sie auch
etwas anfangen können; sie lernen somit möglichst viel
in kurzer Zeit.
Über die einzelnen Techniken hinaus sollte der Dozent
den Teilnehmern auch die Terminologie (korrekte
Bezeichnung der unterrichteten Moves) sowie Auszüge
aus der Geschichte des B-Boying vermitteln. Besonders
betonen sollte der Dozent den Umstand, dass Breakdance nicht nur aus spektakulärer Akrobatik besteht,
sondern eine Kombination aus Akrobatik und Tanz
ist. Der tänzerische Aspekt sollte also nicht zu kurz
kommen. Ziel ist es, die erlernten Bewegungen später
im Takt der Musik ausführen zu können.
Wenn genügend Zeit vorhanden ist und mehr Elemente
unterrichtet werden konnten, kann der Dozent die
Teilnehmer aus den vermittelten Elementen eine jeweils
eigene Choreografie erstellen lassen; denn im B-Boying
geht es nicht zuletzt auch darum, einen möglichst individuellen und originellen eigenen Stil zu finden.
Am Ende des Unterrichts kann der Dozent die Teilnehmer
im Kreis versammeln und den Inhalt der Stunde wiederholen. Da die komplexeren Bewegungen nicht an einem
Tag erlernt werden können, ist es wichtig, den Teilnehmern
Vorübungen und Hilfestellungen mitzugeben, damit sie
in der Lage sind, selbstständig weiter zu üben. Sind die
Teilnehmer schon etwas fortgeschrittener, haben sie
sich ein gewisses Repertoire angeeignet und sind sie
sicherer in ihren Bewegungen, kann man als Abschluss
auch einen Kreis bilden, in dem jeder Teilnehmer die vom
Dozenten erlernte oder eigens kreierte Choreografie vor
den anderen vortanzt. Anschließend kann der Dozent
noch Dehnübungen mit der Gruppe durchführen, um
den Unterricht ausklingen zu lassen und möglichem
Muskelkater vorzubeugen.
Youngung Sebastian Kim
a.k.a. Jaekwon
Jahrgang 1983, studiert an der Sporthochschule
Köln. Seit 2003 gibt er Tanzunterricht sowie
Akrobatik-Workshops, 2006 war er Fachdozent
auf der INTAKO (weltweit größter TanzlehrerKongress). Durch erfolgreiche Teilnahme an
Breakdance-Wettbewerben wie dem Battle of the
Year (Deutscher Vizemeister 2004 und 2006), IDO
Dutch Open (Sieger 2005 und 2006), TAF Europameisterschaft in Österreich (Sieger 2005) und
der ADTV Weltmeisterschaft Bremen (3. Platz
2005) etablierte er sich als B-boy „Jaekwon“. Er ist
Mitorganisator der Veranstaltung „Break de
Cologne“.
Kontakt:
Youngung Sebastian Kim / Jaekwon
jkfresh83@gmx.de
How to do | 57
Breakdance- und Streetdanceworkshops
Jannina Alexa Gall
Tanz löst bei vielen Kindern und Jugendlichen Begeisterung aus; mit Tanzstilen wie Breakdance, Streetdance
und Pop identifizieren sie sich aufgrund ihrer Interessen
und jugendkulturellen Einbindung oft stärker als mit
klassischen Stilen. Worauf sollte man bei der Wahl der
Workshops und der Trainer achten?
Zunächst sollten Tanzstil und Zielgruppe definiert werden. Breakdance, das tänzerische Element der HipHopKultur, ist mit seinen akrobatischen Formen am Boden
besonders bei männlichen Jugendlichen sehr beliebt.
Da die Bewegungen sehr komplex und akrobatisch,
58 | Breakdance- und Streetdanceworkshops
aber zugleich auch rhythmisch sind, dauert es einige
Zeit, bis man gute Ergebnisse erzielen kann. Der Tanzstil
ist sehr wettkampfbetont, bei „Battles“ (Tanzwettstreit
ohne Körperkontakt) treten die Tänzer gegeneinander
an. Kleine Verletzungen wie blaue Flecken oder Schrammen kommen beim Training schon mal vor. Weibliche
Jugendliche sind oftmals zurückhaltender und werden
vom Wettkampfcharakter dieses Tanzstils eher abgeschreckt. Trotzdem sollte man nicht dazu übergehen,
Breakdance nur noch für Jungen anzubieten, denn es
tauchen doch immer wieder Mädchen auf, die viel Spaß
am Breakdance entwickeln.
Im Gegensatz zum Breakdance gibt es noch einige
urbane Tanzstile, die „auf den Beinen“ getanzt werden,
z.B. Streetdance, Videoclipdance und Pop. Diese Tanzstile werden oft fälschlicherweise zusammenfassend als
„HipHop Dance“ bezeichnet (HipHop ist eine Straßenkultur, nicht ein Tanzstil). Bei diesen Tanzstilen werden
Tanzschritte zu Choreographien zusammengefügt und
zu entsprechender Musik getanzt. Da diese Stile akrobatisch nicht so fordernd und schneller zu erlernen sind,
sieht man schon nach kurzer Zeit tolle Ergebnisse. Diese
Tanzstile wiederum begeistern mehrheitlich weibliche
Jugendliche, doch auch mehr und mehr Jungen finden
Gefallen an dieser Art von Tanz.
Für alle genannten Tanzstile braucht man einen ebenen
Boden, Schwungboden oder geschliffenes Parkett ohne
Splitter sind ideal. Ungeeignet wegen Verletzungsgefahr
sind Teppiche und Ballett-Teppichbelag. Ausreichend
Raum – ca. 2-3 qm pro Person – sind zu empfehlen. Für die
choreographischen Stile wie Streetdance und Pop etc.
ist eine Spiegelwand sehr nützlich, aber nicht zwingend.
Eine Musikanlage und die passende Musik sind natürlich unverzichtbar!
Da es in den Bereichen Breakdance und Streetdance
bis heute keine offizielle Ausbildung gibt, sollte bei der
Wahl von TrainerInnen in diesen Stilen eine tanzpädagogische Ausbildung kein vorrangiges Kriterium sein.
Qualität und Stilechtheit findet man bei TänzerInnen
aus Jugendzentren, Schulen oder Tanzschulen. Wobei
hier auch gilt: Ein super Tänzer ist nicht immer ein guter
Lehrer.
Man sollte darauf achten, dass TrainerInnen gut vermitteln können sowie geduldig, freundlich, motivierend
und zuverlässig sind. Auch sollten TrainerInnen in angemessener Kleidung auftreten: Enge Leggins und Ballettschläppchen deuten im Breakdance- und StreetdanceBereich auf unqualifizierte Trainer hin, Turnschuhe und
eher locker sitzende Kleidung (auch in Jeans wird oft
getanzt) sind angebracht.
Der Unterricht sollte eine gewisse Routine beinhalten.
Beim Breakdance sollte es eine kurze Aufwärmphase
geben, auf die dann verschiedene Phasen folgen, in denen
verschiedene Bewegungen und Elemente erlernt werden.
Nach den ersten Stunden trainieren die einzelnen Schüler
dann unabhängig voneinander in individuellen Abläufen
und Phasen. Der Trainer sollte in dieser Zeit für Fragen
offen sein. Man sollte darauf achten, dass der Trainer
sich in der Kurszeit voll auf die Schüler konzentriert und
die Zeit nicht zum eigenen Training nutzt.
Auch beim Streetdance sollte eine kurze Aufwärm- oder
Lockerungsphase am Anfang stehen. Dann sollte eine
vorbereitete Choreographie Schritt für Schritt einstudiert werden und immer wieder systematisch zur Musik
geübt werden. Jede Stunde sollte etwas Neues dazukommen – wenn vier Wochen lang immer die gleichen acht
Takte getanzt werden, dann ist das zu wenig. SchülerInnen sollten die Chance bekommen, eigene Ideen
einzubauen oder ein Stück selbst zu gestalten. Hier ist
Unterstützung und ggf. Bearbeitung der Choreographie
seitens des Trainers wichtig.
Generell gilt: Kein Schüler sollte innerhalb einer Unterrichtstunde lange aussetzen müssen, möglichst häufig
sollten alle Schüler miteinbezogen werden.
Egal welcher Tanzstil, am Ende eines Kurses oder einer
Workshop-Phase sollte es eine Aufführung geben. Auch
bei Festen und Feiern bieten sich Aufführungen an. Die
meisten SchülerInnen wollen zeigen, was sie gelernt haben.
Ich wünsche allen viel Spaß!
Jannina Alexa Gall
Jahrgang 1976, arbeitet seit 2002 als Dozentin und
Choreographin für Breakdance, Locking und verwandte Tanzstile (Streetdance, Reggaeton, Pop,
House). Als Dozentin arbeitete sie u. a. im Hochschulsport der Uni Köln sowie in Kinder- und
Jugendprojekten der Offenen Jazz Haus Schule
Köln und des JFC Medienzentrums. Ihr Leben ist
von HipHop geprägt, Vermittlung der Grundsätze
des HipHop ist ihr stets ein Anliegen. Seit 2005
lebt und arbeitet sie in Kolumbien, wo sie Mitglied
in der Breakdance-Crew Bélicos ist. In Medellín
leistet sie Pionierarbeit im Bereich Streetdance
und bildet Profibreakdancer zu Dozenten aus.
How to do | 59
Musikworkshops
Sascha Düx
Musikworkshops in Urban-Culture-Projekten können
sich an verschiedene „Musikertypen“ wenden: Sänger,
Rapperinnen, Instrumentalisten, DJs, Produzentinnen
– auch wenn es häufig Überschneidungen gibt (z.B. Rapper,
die auch eigene Beats produzieren), brauchen diese „Typen“
je verschiedene Formen von Coaching. Bei der Projektplanung muss daher entschieden werden, wen ein Projekt
ansprechen soll: Wird es ein reines Rap-Projekt, oder
soll es auch Coaching für Sänger geben? Wird mit mitgebrachten Instrumentals (Beats) gearbeitet oder sollen
die im Projekt selbst entstehen? Soll es einzelne Instrumente
geben, die live zu programmierten Beats spielen, oder
gar eine ganze Band?
Ausgehend von diesen Entscheidungen sind dann die
Workshops zu planen, die Ressourcen zu organisieren
und die Referenten auszuwählen. Wenn es z.B. eine Band
geben soll, braucht man genug junge Instrumentalisten
(die sind je nach Zielgruppe nicht unbedingt leicht zu
finden), die entsprechenden Instrumente (nicht jeder
junge Schlagzeuger hat ein eigenes Drumset), einen
Proberaum ohne lärmempfindliche Nachbarn und natürlich
einen Bandcoach; wenn die Band auch Studioaufnahmen
machen soll, stellt das deutlich höhere Anforderungen an
Studioräume und -technik sowie an die Kompetenzen
des „Toningenieurs“ als reine Gesangsaufnahmen.
Von der Idee zur CD
8
Artikel
Siehe
„Urban-CultureProjekte des JFC
Medienzentrums“
(Seite 19)
Als Projektleitung sollte man gemeinsam mit den
Referenten und wenn möglich mit einigen potenziellen
Teilnehmern einen „Reiseplan“ für den Workshop entwickeln:
Wie sehen die Stationen der einzelnen TeilnehmerInnen
aus, und wie passen sie ins Gesamtbild? Das Beispiel
im Infokasten – angelehnt an unsere internationalen
HipHop-Camps und Roots&Routes-Projektphasen –
zeigt einen möglichen Plan für eine sechstägige FerienBlockphase mit 15 bis 30 Teilnehmenden.
60 | Musikworkshops
Je nach Motivation, Reife und Lerntyp der Teilnehmenden
kann mit eher offenen Formen gearbeitet werden
– z.B. „es gibt verschiedene Räume mit verschiedenen
Coaching-Angeboten im Haus, Kleingruppen arbeiten
eigenverantwortlich an ihren Songs und nutzen diese
Angebote“ – oder es kann nötig sein, detaillierte Stundenpläne zu erstellen: Gruppe A übt von 11-12 Uhr in Raum
3, dann geht’s 12-13 Uhr zum Performancecoaching in
Raum 5, und nach dem Mittagessen ab ins Studio.
Studiozeit ist ein chronisch knappes Gut – Aufnahmen
dauern oft länger als erwartet, und gefühlte Ungerechtigkeiten bei der Studiozeit-Aufteilung führen schnell zu
Missstimmungen in der Gruppe. Entlastung bringen
hier mehrere Studios – wenn dafür genug Räume und
Equipment vorhanden sind. Wichtig ist auch, dass der
Referent im Studio nicht die Zeit aus dem Auge verliert,
und lieber entscheidet: „Deine Strophe sitzt noch nicht
– geh noch mal raus zum Üben“, als mit einem Sänger
zig unbefriedigende Takes aufzunehmen.
Musik hat viele Facetten, und so können auch Musikworkshops eine Vielzahl von Aspekten und Schwerpunkten haben. Einige der für Urban-Culture-Projekte
wichtigsten sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Warming-ups
Gute Warming-ups aktivieren die Gruppe und erleichtern
den Start in die Workshoparbeit. Es gibt hier eine große
Bandbreite von musikalischen und außermusikalischen
Methoden: Von Dehn- und Streckübungen über rhythmische
Spiele (z.B. Rhythmen vor- und nachklatschen), von
theaterpädagogischen Übungen (z.B. jeder stellt mit einer
pantomimischen Geste dar, wie er sich gerade fühlt)
bis hin zu tänzerischen Aktivitäten (z.B. „Soultrain“:
Die Gruppe steht in zwei Reihen und macht einen Beat,
nacheinander tanzen alle durch den Mittelgang). Wichtig
ist, dass das Team über ein Methodenrepertoire verfügt
und je nach Situation und Gruppe eine passende Methode
auswählt; die AnleiterInnen sollten die Methode gut
kennen und sie überzeugend vorstellen können. Es kann
Sinn machen, mit Warming-ups in mehreren Phasen zu
beginnen: Erst gemeinsame Übungen, dann machen die
SängerInnen und die RapperInnen in getrennten Gruppen
mit spezifischen Übungen weiter.
Vocal- und Rapcoaching
SängerInnen und RapperInnen arbeiten beide mit ihrer
Stimme und mit Mikrofonen; es gibt daher viele
Übungen, die mit beiden gemeinsam durchgeführt
werden können: Atemtechnik, Aussprache/Sprachverständlichkeit, Mikrofonhandling etc. – solche Übungen
können Teil eines Warming-ups der Gruppe zu Beginn
einer Arbeitsphase sein, oder auch je nach Bedarf
individuell durchgeführt werden. Viele MCs haben keine
Erfahrung mit Stimmbildung und können, wenn sie sich
darauf einlassen, ihre stimmlichen Fähigkeiten stark
verbessern (z.B. längere Bühnenauftritte durchhalten,
ohne sich heiser zu brüllen).
Es gibt auch etliche spezifische Übungen: So müssen
SängerInnen ihre Intonation trainieren (also lernen, Töne
präzise zu treffen – auch unter Bühnenbedingungen, wo
man sich oft selbst schlecht hören kann), ihren Stimmumfang ausloten und ggf. erweitern und ggf. mehrstimmig
singen lernen. Vocal Coaches und Chorleiter aus dem
Jazz/Popbereich haben meist ein großes Repertoire an
entsprechenden Übungen.
Während Gesangsunterricht eine uralte Tradition hat,
gibt es noch kaum formalisierte Ausbildungen im Rapbereich. Übungen werden hier meist mündlich tradiert.
Ein Beispiel von Rapcoach Nicola Hayden (Liverpool):
Alle MCs bilden einen Cypher (Kreis). Einer beginnt und
sagt eine Textzeile, der rechte Nachbar muss möglichst
schnell eine Zeile improvisieren, die sich darauf reimt,
DVD
Einen guten Einblick
in die verschiedenen
Aspekte von Musikworkshops bieten
die drei Projektdokumentationen auf
beiliegender DVD
Beispiel für einen Musikworkshop-Ablaufplan
Tag 1:
» Kennenlernen, Warming-up
» Musikproduktionsworkshop entwickelt Beats, gleichzeitig Rap- und
Vocalcoaching
» Später parallel Fotosession mit allen: Gute Porträts für Projektwebsite & MySpace
Tag 2:
» Warming up; in kreativ-methodischem Prozess wird ein gemeinsames
Thema gefunden
» Rapper und Sänger bilden Kleingruppen; Musikproduktionsworkshop stellt Rohversionen der Beats vor; die Kleingruppen wählen je 2
Beats aus
» Kleingruppen entwickeln zum gemeinsamen Thema und zu den
jeweils ausgewählten Beats eigene Texte und Melodien; Musikproduktionsworkshop perfektioniert die Beats
Tag 3:
» Warming up
» Kleingruppen schreiben ihre Songs fertig; in Abstimmung mit den
Musikproduzenten werden die Beats an die Songstrukturen
angepasst
» Kleingruppen üben ihre Songs; alle Texte müssen fehlerfrei auswendig
sitzen; Rap- und Vocalcoaching (Sprachverständlichkeit, Intonation,
Koordination mehrstimmiger Passagen); Musikproduzenten machen
gut abgemischte Playback-CDs für alle
» Beginn Studioaufnahmen; wer seine Songs am besten beherrscht
fängt an
Tag 4:
» Studioaufnahmen mit allen Gruppen
» Parallel drei weitere Stationen: Üben – Performancecoaching
(Bühnenpräsenz) – Rap- und Vocalcoaching
Tag 5:
» Abschließende Studioaufnahmen
» Generalprobe mit Feedback/Verbesserungsvorschlägen
» Musikvideodreh
Tag 6:
» Warming up/Gemeinsame Einstimmung
» Abschlusspräsentation/Auftritt
» After Show Party
How to do | 61
Software für Musikproduktion und Recording
Aus der Fülle von Programmen seien hier einige vorgestellt:
» eJay: Sehr preiswerte Programme für Anfänger – man baut aus vorgefertigten Loops (ein- oder mehrtaktige Musikhappen) ein Instrumental zusammen, dazu gibt’s rudimentäre Aufnahmefunktionen.
(www.ejay.com)
» MAGIX Musix Maker: Ähnlich wie eJay; in der Basisausstattung gibt es
weniger Loops, dafür sind Aufnahme-Funktionen und Audio-Effekte
viel ausgereifter – MAGIX hat die Profi-Software Samplitude aufgekauft und viele Profi-Funktionen in den preiswerten Music Maker
integriert. Kostet ca. 50 Euro, die Deluxe-Version 100. (www.magix.de)
» Reason: Virtueller Nachbau eines Musikproduktionsstudios: Synthesizer, Sampler, Rhythmusmaschine, Sequenzer, Mischpult – alles ist
da. Recht intuitiv zu bedienen. Nur zum Produzieren von Beats
geeignet, keine eigene Aufnahmefunktion; kann aber gut mit
Programmen wie Cubase, Logic oder Live! kombiniert werden.
Reason 3.0 ist ab 300 Euro erhältlich. (www.propellerheads.se)
» Orion: Ähnlich wie Reason, kann aber in der Platinum-Version auch
aufnehmen. Läuft nur auf PC. Orion Platinum 7 kostet ca. 200 Euro.
(www.synapse-audio.com)
» Logic: Eine der beiden großen, lange etablierten Profi-Musiksoftwares. Wird seit 2002 nur noch für Mac weiterentwickelt, es gibt für
PC also nur veraltete Versionen. Sehr vielseitig (Produktion von Beats
ist genauso möglich wie Aufnahme und Abmischung einer ganzen
Band), hoher Preis (Logic Pro 7.2 kostet über 1000 Euro) und Lernaufwand. (www.apple.com/de/logic)
» Cubase: Die andere große, etablierte Profi-Musiksoftware. Features und Lernaufwand sind mit Logic vergleichbar, der Preis etwas
günstiger (knapp 800 Euro für Cubase 4, Schulversion ca. 400 Euro;
knapp 400 Euro für die kleinere Version Cubase Studio 4, Schulversion gut 200 Euro). Läuft auf PC und Mac. Die Musik unserer internationalen HipHop-Camps wurde komplett mit Cubase und Reason
produziert. (www.steinberg.de)
» Samplitude: Ebenso wie Logic und Cubase ein Allround-Programm;
im Bereich Musikproduktion schwächer als die Konkurrenz, beim
Recording und Abmischen aber ganz vorne: Ideal für Band-Aufnahmen. Samplitude 9 Classic kostet gut 500, die Professional-Version
gut 1000 Euro. Nur für PC. (www.samplitude.de)
» Ableton Live!: Eine echte Alternative – kombiniert das spontane,
intuitive Produzieren mit Loops mit ausgefuchsten Bearbeitungsund Recordingfunktionen. Die Tonqualität fast auf dem Niveau
von Samplitude, Cubase und Logic. Hat die schönste und klarste
Benutzeroberfläche der hier vorgestellten Programme. Läuft auf PC
und Mac. (www.ableton.de)
und so geht es reihum weiter. Wenn einem kein Reim
einfällt, muss der eine neue Zeile ins Rennen schicken.
Wichtigste Ressource für Vocal- und Rapcoaching ist ein
freundlicher Raum mit einer guten Akustik. Manche Vocal Coaches arbeiten gerne mit Klavier oder Keyboard;
Rap Coaches brauchen häufig eine Musikanlage/CDPlayer. Wenn Mikrofontechnik geübt werden soll, muss
natürlich eine Gesangsanlage mit Mikros her.
DJ-Workshops
Die klassische HipHop-Gruppe besteht aus „Two Turntables and a Microphone“: Einem DJ mit Plattenspielern
und DJ-Mixer sowie einem oder mehreren MCs an den
Mikrofonen. Wenn auch zunehmend MCs nur noch mit
Playbacks auf die Bühne gehen, bleibt der DJ doch ein
Grundpfeiler der HipHop-Kultur. DJing-Workshops können
sich auf Skills an Decks (DJ-Platten- und CD-Spielern)
und DJ-Mixer beschränken, oder sie können mit Musikproduktion an Computer und/oder Rhythmusmaschine kombiniert werden.
DJ- und Rapworkshops können eng zusammenarbeiten:
Solange noch keine eigenen Beats aus dem Musikproduktionsworkshop vorliegen, können MCs zu den
Beats der DJs ihre Reime schreiben und üben. DJs können
bei Auftritten die Playbacks starten und Scratches
beisteuern.
Nicht alle Plattenspieler sind DJ-tauglich; insbesondere
zum Scratchen werden spezielle DJ-Plattenspieler wie
der Technics 1210 mit speziellen Nadeln benötigt. Außerdem braucht man natürlich Platten, am besten welche
mit Rap-Instrumentals und spezielle Scratch-Platten.
Coaching für Instrumentalisten
Eine Band besteht meist aus MusikerInnen, die ganz
unterschiedliche Instrumente spielen – ausgiebiges individuelles Coaching z.B. an Bass, Schlagzeug, Keyboard,
Gitarre und Blasinstrumenten lässt sich daher eigentlich
nur bei Großprojekten realisieren, wo es mehrere Bands
gibt und dann z.B. alle SchlagzeugerInnen und PercussionistInnen gemeinsam unterrichtet werden können.
62 | Musikworkshops
Ein guter Bandcoach wird freilich mehrere Instrumente
spielen und allen InstrumentalistInnen ein paar Tipps
geben können.
Bandcoaching
Der Job eines Bandcoachs unterscheidet sich je nachdem, ob im jeweiligen Projekt bestehende Bands ihr
Zusammenspiel verbessern und ihr Repertoire erweitern können, oder ob ganz neue Bands zusammenkommen, die ein neues Repertoire erarbeiten müssen. Es
gibt viele spannende Coachingprojekte für bestehende
Bands. Bei unseren Projekten arbeiten wir meist mit
neu zusammengestellten Bands – das hat den Vorteil
interessanter neuer Kombinationen und den Nachteil,
dass die Einzelmusiker nur wenig Zeit haben, um zu
einer tight spielenden Band zu werden. Hauptaufgabe
des Bandcoachs ist die Förderung des Zusammenspiels:
Aufeinander hören, gemeinsam in den Groove kommen,
den anderen Raum lassen. Er unterstützt die Band
bei der Entwicklung von Instrumentals, gibt Tipps zu
verschiedenen Stilistiken („Wie spielt man einen Dancehall-Groove?“) und koordiniert das Zusammenspiel von
Band und Vokalisten: Bei textlastigen Rap-Passagen
müssen Band-Arrangements oft stark ausgedünnt werden,
damit der Rap verständlich bleibt.
Es gibt verschiedene Modelle, wie Band und Vokalisten
verbunden werden können: In den niederländischen
Roots&Routes-Projekten werden mehrere feste Gruppen
(Bands mit Vokalisten) gegründet, die dann gemeinsam
Songs entwickeln. Bei Roots&Routes Cologne 2006
gab es nur eine Band, die fünf verschiedene Vokalisten-Crews (meist 2 SängerInnen und 2-3 RapperInnen) begleitete. Diese Band entwickelte erstens eigene Instrumentals, die sie dann an die Bedürfnisse und
Songstrukturen der Vocal Crews anpasste („Alegria“);
zweitens setzte sie einen am PC entwickelten Beat eines
jungen Musikproduzenten als Bandarrangement um
(„Positive Vibes“); drittens nahmen einzelne Bandmitglieder mit Musikproduzenten im Studio einen Beat auf
(„Right Away“), der anschließend mit der Gesamtband
umgesetzt wurde („Right Away – Band version“).
Musikproduktion
Digitale Musikproduktion hat einige logistische Vorteile
gegenüber der Bandarbeit: Der zeitliche und technische
Aufwand ist geringer, man muss nicht mühsam eine Band
zusammenstellen, Produktion am PC lässt sich schneller
erlernen als ein Instrument. Der Nachteil: Live wirkt eine
gute Band meist kraftvoller und lebendiger als ein Playback. Es gibt Ressentiments in beide Richtungen: Von
den gestandenen Rockfans unter den Pädagogen wird
oft handgemachte Musik idealisiert, programmierte
Beats seien „doch keine richtige Musik“ – eine recht
naive Position, betrachtet man den enormen kreativen
Einfluss von Elektronik und HipHop auf die (auch
handgespielte) Musik der letzten Jahrzehnte. HipHopper andererseits finden Livebands oft zu aufwändig,
beklagen den Verlust von Studiozeit durch stundenlanges
Mikrofonieren eines Schlagzeugs oder die Schwierigkeit,
sich stimmlich gegen zu dicht und laut spielende Bands
durchzusetzen – und wenn die Band dann noch auf der
Bühne vor Aufregung zu schnell spielt, kann das Rappen
zur atemlosen Qual werden.
Wir haben dennoch die Erfahrung gemacht, dass viele
MCs die Arbeit mit einer Liveband als Bereicherung
und Horizonterweiterung erleben. Wir finden, beide
Formen haben ihren spezifischen Charme und ihre
eigene Berechtigung – und auch Kombinationen können spannend sein: Bei „Bonita Señorita“ z.B. wurden
programmierte Beats durch live eingespielte Percussion und Gitarren ergänzt.
Viele HipHop-Produzenten schwören auf Rhythmusmaschinen-Sampler-Kombinationen (Grooveboxen) wie
die Akai MPC2000: Hiermit lasse sich intuitiver arbeiten
als mit Computern und die Ergebnise klängen besser.
In Jugendarbeit und Schule wird aber wohl häufiger die
Kombination von PCs oder MACs mit guten Soundkarten und entsprechender Software zum Einsatz kommen
– erstens sind die Computer meist schon vorhanden, die
Anschaffungskosten sind also geringer, zweitens lassen
sich am PC nicht nur Beats bauen, sondern auch Studioaufnahmen machen und abmischen.
Einige geeignete Softwares werden im benachbarten
Infokasten vorgestellt, ein erprobter und praktikabler
Vorschlag für ein Basis-Equipment zur Musikproduktion findet sich weiter hinten in diesem Heft.
Songwriting
Beim klassischen Pop-Songwriting wird meist zunächst
der komplette Song mit Melodie und Text an der Gitarre
oder am Piano geschrieben und anschließend mit der
Band arrangiert. Im HipHop läuft der Weg andersherum: Zuerst entsteht ein durcharrangierter Beat, auf
dessen Grundlage dann Vokalisten ihre Gesangslinien
entwickeln.
Ein gemeinsames Motto oder Rahmenthema kann der
Kreativität auf die Sprünge helfen; auch Schreibwerkstatt-Methoden können fruchtbar eingesetzt werden
(z.B. „jeder schreibt fünf Worte auf kleine Zettel; alle
Zettel werden gemischt, jeder zieht fünf Worte und
konstruiert einen Text um diese Worte herum“).
Rapcoach Tim Weedon legt den jungen MCs meist nahe,
sich ihre aktuelle Situation zu vergegenwärtigen und
darüber zu schreiben: Was fühle ich gerade, was mache
ich gerade, was habe ich heute erlebt?
Zum Texteschreiben sollten genügend Blöcke und Stifte
vorhanden sein. Einige MCs und SängerInnen schreiben
lieber alleine im stillen Kämmerlein oder auf der Wiese,
die meisten bevorzugen es, wenn der zugrunde liegende
Beat immer wieder laut abläuft und man dazu schreiben
kann. Gesangsmelodien können mit Unterstützung
des Vocal Coaches entwickelt werden, oft werden die
Melodien bei den Studioaufnahmen noch perfektioniert.
DVD
Siehe Musikvideo
„Bonita Señorita“
auf beiliegender DVD
Artikel

Siehe „Von
BandWatch und
MusicWatch zu popUP
NRW“ (Seite 36)
Artikel

Siehe „Equipment für
die Musikproduktion“
(Seite 66)
Artikel

Siehe „Roots&Routes
– Unterricht in Urban
Culture“ (Seite 23)
und „Urban Culture
Projekte des JFC
Medienzentrums“
(Seite 19)
DVD
Alle Songs sind unter
DATA\SONGS auf
beiliegender DVD zu
finden
How to do | 63
Üben
Wenn die Songs einmal fertig geschrieben sind, wollen
sie geübt werden – und zwar ausgiebig. Unter Livebedingungen ist das Risiko groß, dass man Texte und Songabläufe vergisst oder andere Fehler macht – darum sollten
z.B. alle MCs ihre Texte 200%ig auswendig können,
und die Band sollte einen Song lieber einmal zu viel als
zu wenig von Anfang bis Ende durchspielen. Und dabei
immer mit dem Herzen bei der Sache bleiben, sonst
bringt es nichts.
Für die Übungsphasen müssen genügend Räume zur Verfügung stehen, wohin sich die einzelnen Kleingruppen
zurückziehen können. Alle Beats – auch Band-Instrumentals – sollten zumindest als Rohversionen auf CD
oder MP3-Player vorliegen. In den Übungsräumen
sollte es eine Möglichkeit geben, diese Playbacks in hinreichender Lautstärke zu hören.
Studioaufnahmen
Während ein Musikproduktionsworkshop schon zu
Projektbeginn in Studioumgebungen arbeiten wird, ist
für Vokalisten die Zeit zum Aufnehmen erst gekommen,
wenn die eigenen Strophen und Refrains fertig geschrieben
und ausführlich geübt worden sind.
Hier ist dann der Musikproduzent im klassischen Sinne
64 | Musikworkshops
gefragt: Bevor man Musik programmieren konnte, hatte
der Produzent vor allem die Funktion, bei Aufnahmen
zuzuhören und dann mit den Sängern oder Bands zu
kommunizieren: Dies oder jenes geht noch besser, diese
Strophe nehmen wir noch mal auf, der Refrain kann
bleiben, der war schon perfekt. Der Produzent in diesem
Sinne muss immer auch Psychologe und Musikpädagoge
sein, denn Studioaufnahmen können Stresssituationen
sein. Vor dem Mikrofon zu stehen kann Leistungsdruck
bedeuten, insbesondere in der Arbeit mit Vokalisten ist
Fingerspitzengefühl gefragt – die Stimme ist ein intimer
Teil des Körpers. Die Rolle des Produzenten bei Bandund Gesangsaufnahmen wird daher häufig bei professionellen Dozenten liegen, aber auch entsprechend
begabte Jugendliche können gute Vocal-Produzenten
sein.
Gute Vocal Producer wie Lajo Mounkassa von der
Modern Soul Academy Stockholm schaffen es mit fast
ausschließlich positivem Feedback und konstruktiven
Tipps, dass Vokalisten sich im Studio wohl fühlen, aufblühen und über ihr bisheriges Niveau hinausgehen.
Der Produzent kann gleichzeitig die Tontechnik
bedienen, es ist aber oft eine Entlastung, wenn dies
eine zweite Personen übernimmt. Kernaufgaben des
Tontechnikers bei der Aufnahme sind die Platzierung
der Mikrofone, die richtige Aussteuerung der Pegel,
das Starten der Aufnahme an der richtigen Position
(in der Regel einige Takte vor dem Einsatz des Vokalisten) und das übersichtliche Benennen und Ordnen
der aufgenommenen Takes. Raps und R’n’B-Gesänge
werden häufig gedoppelt: Vokalisten singen alle Parts
mehrfach ein, bei der Abmischung werden dann häufig
drei oder vier Takes übereinander gelegt, damit die
Stimme kräftiger klingt. Dazu können Takes kommen,
bei denen nur einzelne Wörter (häufig die Reimwörter)
gedoppelt werden, sowie frei improvisierte Adlibs. Bei
einem Song mit mehreren Vokalisten können da schnell
über 40 Gesangsspuren zusammenkommen – hier ist
Strukturierung wichtig.
Livebands im Studio
Wenn im Studio eine Liveband aufgenommen werden
soll, steigen die technischen Anforderungen erheblich,
besonders wenn mehrere Instrumentalisten gleichzeitig (und nicht nacheinander) spielen. Man braucht
akustisch möglichst gut getrennte Aufnahme- und
Regieräume und Sprechverbindungen in beide Richtungen. Ein Audiointerface mit mindestens 8 Mikrofoneingängen muss her; allein für ein Schlagzeug braucht
man je nach Raum und gewünschtem Klangbild 4 bis 10
spezielle Mikrofone.
Es muss entschieden werden, ob der Drummer einen
Click (Metronom) auf seinen Kopfhörer kriegen soll
oder nicht. Ein Click hat den Vorteil, dass die Band im
gleichen Tempo bleibt, dass sich die Aufnahmen leichter schneiden lassen (im Taktraster der Aufnahmesoftware) und dass es leichter ist, zusätzliche Spuren aufzunehmen. Dazu muss der Drummer aber das Spielen
zum Click beherrschen, gerade bei Anfängern wirkt sich
ein Click oft negativ auf die Lebendigkeit des Spiels aus.
Aufnahmen ohne Click funktionieren nur gut, wenn die
gesamte Rhythmusgruppe gemeinsam aufgenommen
wird.
Gemeinsame Aufnahmen mehrerer Instrumente bergen
einige Herausforderungen: Das so genannte Übersprechen
(wenn man z.B. den Bass über die Schlagzeugmikrofone hört) kann eine saubere, druckvolle Abmischung
sehr erschweren. Deshalb wird man elektrische Instrumente wie Bass und Keyboard im Aufnahmeraum nicht
verstärken, die MusikerInnen hören sich nur über Kopfhörer; dafür braucht man genügend geschlossene Kopfhörer und einen Kopfhörerverstärker.
Doch auch im Jugendzentrum lassen sich mit etwas
Mühe und geliehenen Mikrofonen gute Bandaufnahmen machen – einen direkten Qualitätsvergleich
bieten die Aufnahmen von Roots&Routes 2006, wo
die gleiche Band bei „5th Element“ im Jugendzentrum,
bei allen anderen Songs (u.a. „Alegria“) im professionellen Studio der Deutschen POP Akademie aufgenommen wurde.
Performance-Coaching
Positive Studioerlebnisse und ein starker eigener Song
auf CD sind nicht zu unterschätzende Faktoren für die
individuelle Entwicklung; noch wichtiger ist es aber, die
eigenen Stücke live vor Publikum zu spielen. Performance
Coaching unterstützt dabei eine gute Bühnenpräsenz:
Vom Einsatz des eigenen Körpers über das gemeinsame
Agieren als Gruppe auf der Bühne bis hin zur Kommunikation mit dem Publikum. Junge MusikerInnen müssen
lernen, sich durch Fehler und Aussetzer nicht aus der
Bahn werfen zu lassen, kein „Fehlergesicht“ zu machen,
sich auf der Bühne gegenseitig zu unterstützen, sich bei
Ansagen nicht gegenseitig ins Wort zu fallen und die
Bühne in ihrer ganzen Größe zu nutzen.
Beim Performance Coaching sollte auch auf den Soundcheck und die Kommunikation mit den TontechnikerInnen an den Mischpulten eingegangen werden, ebenso wie auf die Auftrittslogistik: Wer geht wann und wo
auf die Bühne und nimmt welches Mikrofon? Wie sieht
das Finale aus? Der anstehende Auftritt sollte vorher
ausführlich durchgesprochen und bei einer Generalprobe geübt werden. Wenn es ein Zeitlimit für den Auftritt gibt, sollte bei der Generalprobe mindestens ein
Durchlauf durchs gesamte Programm mit Ansagen etc.
gemacht werden, bei dem die Zeit gestoppt wird. Wenn
die Generalprobe auf Video mitgeschnitten wird, können
anhand der Aufnahmen Verbesserungspotenziale
besprochen werden.
Performance Coaching wird in der Regel Aufgabe der
Rap-, Vocal- und Bandcoaches im Projekt sein – wobei
die Coaches selbst über viel Bühnenerfahrung verfügen
sollten. Auch ChoreographInnen und RegisseurInnen sind
oft gute Performance Coaches und werden besonders
bei Musical-Projekten auch als solche zum Einsatz kommen.
DVD
Alle Songs sind unter
DATA\SONGS auf
beiliegender DVD zu
finden
Der Liveauftritt
Beim Auftritt selbst ist der Stresspegel oft hoch. Wichtig ist hier sowohl eine gute Planung des Rahmens
(Getränke und Verpflegung, gemeinsame Anreise zu
auswärtigen Auftritten, funktionierende Saaltechnik,
zur Sicherheit mehrere Datenträger mit den Playbacks
mitnehmen etc.), als auch ein konzertierter Einsatz des
gesamten Teams im Dienste einer positiven Gruppenstimmung. Dazu gehört eine gemeinsame Einstimmung
in den Auftritt, eine möglichst gute Laune des Teams
trotz erwartbarer Stressfaktoren und individuelle
Kommunikation mit den Teilnehmenden, à la: „Wenn
ein Tontechniker unfreundlich zu Dir ist, kontere mit
Freundlichkeit! Alles andere kann dazu führen, dass Du
nachher schlecht abgemischt wirst, viel wichtiger aber:
es schlägt auf Deine Stimmung und kann Dir den Spaß
an Deinem Auftritt versauen. Das ist es nicht wert!“
Und dann endet der Einflussbereich aller Coaches und
Pädagogen, der Countdown ist bei „Zero – Go!“ angekommen, der Vorhang geht auf und die Bühne gehört
den jungen KünstlerInnen.
How to do | 65
Equipment für die Musikproduktion
Markus Brachtendorf
Eigene Songs schreiben und Beats produzieren mit
Kindern und Jugendlichen? – Zugegeben, das ist zwar
nicht gerade mit links realisiert, aber im Medienzeitalter unkomplizierter möglich denn je zuvor. Die Zugangsvoraussetzungen: Neugier, Interesse und ein überschaubares
Maß an Equipment. Kommen wir zu Letzterem.
Je nach persönlichem Geschmack gibt es sicherlich nach
oben keine Grenzen was den Bedarf an Equipment für
Musikproduktion angeht, eine Minimal-Ausstattung
lässt sich jedoch einfach beschreiben. Benötigt wird:
Ein Mikrofon, ein Keyboard, ein sog. Audiointerface,
ein Computer und entsprechende Software. (Punkt.)
Um zu große Verwirrung bei der Vielzahl von Angeboten zu vermeiden, beschreibe ich einfach kurz ein
wirklich korrektes Equipment-Paket, mit dem ich selbst
meistens arbeite und welches sich in den vergangenen
sieben sCOOL-HITs-Jahren als das praktischste herausgestellt hat.
Fangen wir zuerst am Ende der Kette an, beim Computer:
Im Grunde tut’s jeder einigermaßen aktuelle Rechner
mit USB-Port. Von Nutzen ist ein Laptop und ich würde
derzeit ein MacBook (oder besser noch, gebrauchtes
Powerbook) empfehlen. Kein langer Philosophie-Diskurs –
ist einfach angenehmer als PC und mittlerweile auch
genauso erschwinglich oder gar günstiger als ein wirklich guter PC-Laptop.
Audiointerface und Keyboard: Da gibt’s meiner
Meinung nach viele Möglichkeiten, aber nur eine Wahl,
und die heißt „OZONE“ von der Firma M-AUDIO.
Das ist solide, da kann man alle Arten von Mikros und
Instrumenten dran anschließen um sie aufzunehmen,
und gleichzeitig ist es ein MIDI-Keyboard. Einfach den
Treiber installieren, das Gerät an den USB-Port anschließen und fertig. Passend dazu liefert die Firma
das „Studio-Pack“, einen Rucksack, in den das Teil
zusammen mit dem Laptop und allen anderen kabeligen
Kleinigkeiten genau hineinpasst. Die bequemste Verpackung für das mobile Tonstudio. Mikrofon: Perfekter
Klang oder hohe Kosten sind hier weniger wichtig als
Zuverlässigkeit und Robustheit. Ein solides Standardmikrofon für unter 100 Euro ist das Shure SM-58,
eigentlich ein Bühnenmikro, aber Gary Moore hat
damit auch schon mal den kompletten Gesang für eine
seiner CDs aufgenommen. Dazu ein Stativ und einen
so genannten Pop-Schutz (Stoffbespannter Ring, der
vor dem Mikrofon befestigt wird und der harte „P“-
66 | Musikworkshops
Laute zähmt), und schon ist auch das Thema erledigt.
Wichtig: Erstmal keine teuren Kondensator-Mikros
kaufen! Die sind zwar im Studio „State of the Art“,
aber viel schwieriger zu handeln und nehmen meistens
deutlich mehr auf, als uns gerade lieb ist.
Kommen wir nun zur Software. Auch hier treffen
Philosophien aufeinander. Für alle weniger anspruchsvollen Selbermacher, die einen PC nutzen, gibt’s
natürlich das preisgünstige MAGIX Music Maker in
zahlreichen Schattierungen. Ich möchte aber meine
Empfehlung für einen unvergleichlich kompetenteren
Insider aussprechen: das Programm „LIVE!“ der
Berliner Firma Ableton. Das ist ein professionelles Tool,
viel intuitiver zu bedienen als die prominenten Kollegen
„Logic“ oder „Cubase“, und die Software, mit der ich im
Schul- und Musikproduktionsalltag nur die allerbesten
Erfahrungen mache.
HipHop und moderne Popmusik entsteht ja im Grunde
nur durch Einsetzen und Aussetzen der einzelnen
Sound-Bestandteile und Loops. Wird der Beat fett und
setzen alle Sounds ein, dann hören wir wohl gerade den
Refrain. „LIVE!“ hilft durch seinen Aufbau, diese KlangPuzzlesteinchen eines Songs so zusammen zu stellen,
dass am Ende mit Spaß ein korrekter Track zustande
kommt. Dass es ein guter Track wird, darum muss man
sich freilich – wie bei allen anderen Programmen – immer
noch selbst kümmern. Tüftelfreude ist deshalb so oder
so absolute Grundvoraussetzung.
Für alle Mac-User: Natürlich tut’s auch „Garage Band“,
die kleine Schwester von „Logic“. Dieses Tool ist im Lieferumfang eines jeden „Apfels“ enthalten und somit vom
Preis-/Leistungsverhalten her unschlagbar.
Kurz vor der abschließenden Equipment- und Linkliste
am Ende dieses Artikels noch ein persönlicher Tip: Die
Firma Ableton bietet natürlich wie die meisten anderen
auch spezielle „Education-Preise“ an, die in etwa bei
der Hälfte des regulären Kurses liegen. Da sie mit
M-Audio kooperieren, haben sie spezielle „sCOOLProduction“ Pakete inkl. Hard und Software zusammengestellt. Kleines Beispiel: Das oben beschriebene
Material (Software LIVE!, Rucksack Studio-Pack,
Midi-/Audiointerface Ozone plus Mikro, Stativ und
den nötigen Kabeln) liegt bei 555,- Euro im Edu-Tarif.
Konkurrenzlos – der normale Kurs kommt sicher locker
auf über das Doppelte.
DVD
Videos
» Different Roots – Common Roots Musikvideo
» Different Roots – Common Roots Dokumentation
» Musikvideos
» Sonakapcholat System – Alegria / Roots&Routes 2006
» Bonita Señorita / HipHop-Camp 2005
» Colourblindz – Summertime Roots / Roots&Routes 2006
» Peace (Ter to Son) / HipHop-Camp 2004
» Cross (Around the World) / HipHop-Camp 2003
» Free Kings – Was geht ab Mann? / pop@rena + Jugendförderung Solingen
» 3 Wege Soundsystem / pop@rena + Music Office Hagen
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