Schlankmacher auf Rezept
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Schlankmacher auf Rezept
Westdeutscher Rundfunk Köln Appellhofplatz 1 50667 Köln Schlankmacher auf Rezept Tel.: 0221 220 3682 Fax: 0221 220 8676 E-Mail: quarks@wdr.de www.quarks.de Script zur wdr-Sendereihe Quarks & Co Inhalt Inhalt 4 Schlankmacher auf Rezept? 7 Vom Haschisch zum Schlankmacher Schlankmacher auf Schlankmacher aufRezept Rezept Der Glaube, Abnehmen sei nur eine Sache der Selbstbeherrschung, ist weit verbreitet. Aber ist Übergewicht wirklich nur Willenssache? Warum erzielen so viele Menschen trotz Diäten keine langfristigen Erfolge beim Abnehmen? Wissenschaftler kommen immer mehr zu der Erkenntnis, dass Essen zu einer echten Sucht werden kann, aus der sich stark Übergewichtige nur schwer befreien können. 10 Gehirn auf Droge 12 Das Geheimnis des Appetits 14 Essen als Droge Im September 2006 kommt die Schlankheitspille Acomplia in Deutschland auf den Markt. Sie soll Dicke nicht nur dünner, sondern auch gesünder machen und z. B. Diabetes oder Herzinfarkt vorbeugen. Ist die Pille die Lösung aller Gewichtsprobleme? Wie wirkt sie? Welche Nebenwirkungen kann sie haben? Und wie gut ist sie erforscht? 18 Satt abnehmen Quarks & Co gibt Antworten auf diese Fragen und zeigt, dass es auch ohne Medikamente geht – mit einem neuen Ernährungskonzept, bei dem man abnimmt ohne zu Hungern. 25 BMI – Body Mass Index 27 Lese- und Linktipps Text: Johanna Bayer, Herbert Hackl, Thomas Kresser, Tilman Wolff; Redaktion: Monika Grebe; Copyright: wdr, August 2006; Gestaltung: Designbureau Kremer & Mahler, Köln Bildnachweis: alle Bilder: Freeze wdr 2006 außer: S. 7: ZDF Weitere Informationen, Link- und Lesetipps finden Sie unter: www.quarks.de Schlankmacher auf Rezept? Schlank Leidvolle Erfahrung mit Hungerkuren Renate Schäuble ist 58 Jahre alt. Seit mehr als zehn Jahren hat sie deutliches Übergewicht, fast 30 überflüssige Kilos trägt sie mit sich herum. Ihre Gesundheit leidet, einen Bandscheibenvorfall hatte sie bereits und sie leidet unter Diabetes. Alles hat die Berlinerin schon versucht, um abzunehmen. Doch ganz gleich, ob Atkins-Diät, Trennkost oder Weight Watchers, nach kurzfristigen Erfolgen landete sie wieder bei ihrem Ausgangsgewicht – der bekannte Jojo-Effekt. In einer Berliner Zeitung stieß sie schließlich auf eine Anzeige. Dort wurden Probanden für den klinischen Test einer neuen Abnehm-Pille gesucht, die einen ganz neuartigen Wirkmechanismus besitzen soll. Renate Schäuble entschließt sich, an der Studie teilzunehmen. Viele Teilnehmer fallen durch das Raster Die ersten Erläuterungen der Studienkoordinatorin klingen vielversprechend. Doch bevor Renate Schäuble einsteigen kann, muss sie sich einer ganzen Reihe von Voruntersuchungen unterziehen. Die sollen klären, ob sie überhaupt teilnehmen darf – Freiwillige, die an chronischen Infektionen wie beispielsweise Hepatitis leiden, dürfen nicht an der Studie teilnehmen. Das Risiko wäre zu hoch. 4 Renate Schäuble wird zugelassen, und im Frühjahr 2002 nimmt sie die erste Tablette. Zwei Jahre lang schluckt sie täglich die Pille, doch weiß sie nicht, ob sie dabei tatsächlich den Wirkstoff Rimonabant einnimmt. Denn bei der Studie handelt es sich um eine so genannte Doppel-Blind-Studie: einige Teilnehmer bekommen eine wirkungslose PlazeboPille, doch weder Versuchsleiter noch Probanden wissen, wer das echte Medikament eingenommen hat. Erst am Ende werten Unbeteiligte die Versuchsreihen aus. So können falsche Ergebnisse aufgrund von subjektiven Voreinstellungen und Interpretationen ausgeschlossen werden. Kalorien drastisch reduziert Während der zwei Jahre muss die 58-Jährige auch ihre Ernährung umstellen. Ihr tägliches Kalorienkonto wird zu Beginn der Studie auf 1.400 Kalorien begrenzt. Bis zum Ende wird sie ihren Kalorienbedarf auf gerade mal 1.200 Kalorien abgesenkt haben. Jeden Tag führt sie akribisch Protokoll: sie notiert, wann sie was, wo und vor allem aus welchem Grund gegessen hat. Gemeinsam mit Ernährungsberaterinnen analysiert Renate Schäuble in regelmäßigen Abständen die Protokolle, um Fehler oder Schwächen auszumachen. Freiwillig fängt sie auch an Sport zu treiben – Geräteturnen. macher auf Rezept? 20 Kilogramm in zwei Jahren Tatsächlich macht sich eine Änderung bemerkbar: nach einem Jahr hat Renate Schäuble 10 Kilo abgenommen. Sie wiegt jetzt knapp 90 Kilo bei einer Größe von 1,68 Meter – für sie schon ein beachtlicher Erfolg im Vergleich zu den über 100 Kilo, die sie zu Beginn der Studie auf den Rippen hatte. Und: im Gegensatz zu vielen anderen Studienteilnehmern, die aus unterschiedlichen Gründen vorher aufgeben, steigt sie nicht aus, sondern macht weiter. Sie fühlt sich gut, keine Spur von Nebenwirkungen. Denn deren Auftreten wird kontrolliert, dazu muss sie in regelmäßigen Abständen einen Fragebogen ausfüllen. Nach zwei Jahren ist es dann soweit, die Studie geht zu Ende und wird ausgewertet. Der Blick auf die Waage zeigt: Renate Schäuble hat fast 20 Kilo abgenommen. Erst hinterher erfährt sie, dass sie eine von denen war, die das echte Medikament bekommen haben – und bei ihr hat es die erhoffte Wirkung entfaltet. Ohne Umstellung geht es nicht für diesen Erfolg sieht die 58-Jährige allerdings weniger in der Wirkung der Pille, sondern in der Diät, die sie seitdem diszipliniert durchhält. Denn schon während der Studie unterbrach die Klinik den Versuch zwischendurch für sechs Wochen. Doch auch in dieser Zeit hat Renate Schäuble kontinuierlich abgenommen, obwohl sie das Medikament nicht einnahm. Trotzdem würde sie an einer vergleichbaren Studie jederzeit wieder teilnehmen, denn die regelmäßigen Gewichtskontrollen und die kontinuierliche Ernährungsberatung während der Studie haben ihr geholfen, die Ernährung dauerhaft umzustellen. Die Ergebnisse der Rimonabant-Studie An der sogenannten Rimonabant in ObesityStudie, kurz RIO-Studie, haben weltweit mehr als 6.600 Patienten teilgenommen, 1.507 davon in Europa. An der Studie durften ausschließlich Patienten teilnehmen, die entweder schwer übergewichtig waren, d. h. einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 hatten oder aufgrund ihres Übergewichts bereits an Bluthochdruck oder einer Fettstoffwechselstörung litten. August 2006: Auch zwei Jahre nach dem Ende der Rimonabant-Studie hat Renate Schäuble ihr neues Gewicht von rund 80 Kilo gehalten. Die Ursachen 5 1964 entdeckt der israelische Chemiker Dr. Raphael Mechoulam das THC, einen der Wirkstoffe des Haschischs Schlankmacher Zwei Drittel nahmen 5 % ihres Körpergewichts ab Von den 363 Studienteilnehmern in Europa, die täglich, die Höchstdosis von 20 mg Rimonabant einnahmen, haben rund zwei Drittel (67 %) mehr als 5 % ihres Körpergewichts verloren, 40 % verloren sogar mehr als 10 % ihres Gewichts. Auch auf das Risiko von Folgekrankheiten des Übergewichts, wie beispielsweise Diabetes wirkte sich das Medikament positiv aus. Und es verbesserte die Blutwerte der Patienten: so stieg die Menge des guten Cholesterins, des HDL-Cholesterins an, während schädliche Blutfette wie beispielsweise Triglyceride und LDL-Cholesterin sanken. Beide Faktoren verringern das Risiko eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls. Langzeitfolgen unbekannt Daneben hat sich das Medikament in der Studie als gut verträglich erwiesen, auch wenn bestimmte Nebenwirkungen wie Übelkeit und depressive Verstimmungen etwas gehäuft auftraten. Allerdings können die Mediziner bis heute noch nichts über die Langzeitfolgen sagen. Deshalb besteht auf alle Fälle Forschungsbedarf: denn das Rimonabant greift in ein weitgehend unverstandenes System 6 auf Rezept? im Gehirn ein, dass neben der Appetitregulation, auch an Gedächtnisprozessen sowie der Entstehung von Ängsten und Depressionen beteiligt ist. Genau genommen zählt Rimonabant also zu den Psychopharmaka. Ernährungsumstellung und Sport unerlässlich Und: sobald man das Rimonabant nicht mehr einnimmt, verschlechtern sich die Blutfettwerte. Und das Körpergewicht steigt wieder an. Denn beim Abnehmen verliert man nicht nur Fettgewebe, sondern eben auch Muskelmasse. Und die ist hauptverantwortlich für unseren Energieverbrauch. Die Folge: je weniger Muskelmasse, desto weniger Energie verbraucht der Körper. Der Grundumsatz sinkt um bis zu 15 %. Man nimmt schnell wieder zu. Egal, ob mit oder ohne Rimonabant, für eine dauerhafte Gewichtsreduktion sind eine konsequente Ernährungsumstellung und regelmäßiger Sport unerlässlich. Vom Haschisch zum Schlankmacher Vom Haschisch zum ... Eine vielseitige Droge Fasern für Kleider, für Segel und Taue und als Rohstoff für Papier – Hanf ist eine der ältesten und vielseitigsten Kulturpflanzen der Welt. Und liefert auch zwei der bekanntesten Drogen: Marihuana und Haschisch. Beide haben nicht nur berauschende, sondern auch heilende Eigenschaften, Schon 2737 v. Chr. beschreibt das chinesische Arzneibuch des Kaisers Shen Nung den Hanf als Medizinpflanze mit über 120 Einsatzmöglichkeiten. Und bis in die 1940er Jahre wurde die Droge auch in Europa und den USA als Heil- und Schmerzmittel verwendet. Doch erst 1964 isolierte der israelische Forscher Raphael Mechoulam den Stoff, der für die berauschende Wirkung sorgt: Delta-9-Tetrahydrocannabinol, kurz THC. Mechoulam analysierte auch andere Inhaltsstoffe, wie etwa das Cannabidiol (CBD), aus dem die Pflanze das THC gewinnt. Cannabidiol verändert nicht das Bewusstsein, sondern wirkt entkrampfend, entzündungshemmend, angstlösend und gegen Übelkeit. Marihuana (oder Marijuana) bezeichnet die getrockneten weibliche Blütenstände der Hanf-Pflanze mitsamt ihrem anhaftenden Harz, die als Droge konsumiert werden. Haschisch besteht aus dem (meist gepresstem) Harz der weiblichen Hanfpflanze. Haschisch wird meist geraucht (in Pfeifen oder Joints), aber auch in Speisen oder Getränken konsumiert. Im Arabischen wird Haschisch auch als Kif (Gras) bezeichnet. Der Umgang mit Cannabis ist in Deutschland und anderen Ländern illegal. Cannabis ist der wissenschaftliche Name für die Hanfpflanze und wird oft als Sammelbegriff für die aus Hanf hergestellten Rauschmittel, Marihuana und Haschisch, verwendet. Der Wortstamm Canna kommt aus dem Indischen und bedeutet Hanf. Der Stoff der Glückseligkeit Die Wirkstoffe des Cannabis waren nun bekannt, doch noch wussten die Forscher nicht, wo und wie das Haschisch im Körper seine Wirkung entfaltet. Erst in den Jahren 1988 bis 1990 entdeckte man an Nervenzellen Rezeptoren, die auf Cannabis reagierten. Die Forscher nannten sie CB1-Rezeptoren. Ihnen war schnell klar, dass diese Empfangstellen Teil eines ganzen Wirksystems im menschlichen Körper sein mussten. Schließlich – so die Annahme der Wissenschaftler – 7 In den 1960er Jahren werden Haschisch und Marihuana die Rauschmittel die Hippiebewegung Vom Haschisch zum konnten die Rezeptoren nicht allein dafür geschaffen sein, damit der Mensch sich mit Haschisch die Sinne benebeln kann. Und tatsächlich stieß man kurz darauf auf den ersten körpereigenen Stoff, der an die CB1-Rezeptoren andocken kann. Die Forscher nannten ihn Anandamid, nach dem altindischen Wort ananda, das Glückseligkeit bedeutet. Schließlich löst das Anandamid ähnliche Gefühle aus, wie das THC: Euphorie, Entspannung und Wohlbefinden. Anandamid Arachidonylethanolamid, wie das Anandamid wissenschaftlich Zentralen Nervensystem vor. Anandamid bindet – wie das THC – an die CB1 Rezeptoren von Hirnzellen. Allerdings unterscheidet sich das Anandamid in seiner chemischen Struktur eindeutig vom THC. Die einzige sich gut in Ölen oder Fetten lösen. Geheimnisvolles System Körperzellen, sie nannten diese Rezeptoren CB2-Rezeptoren. Der CB1-Rezeptor findet sich vorwiegend in Nervenzellen. Am häufigsten kommt er im Kleinhirn, in den Basalganglien sowie im Hippokampus vor. Aber auch im peripheren Nervensystem (z. B. im Darm) finden sich CB1-Rezeptoren. CB2-Rezeptoren finden sich dagegen vorwiegend auf Zellen des Immunsystems und auf Zellen, die am Knochenauf(Osteoblasten) und -abbau (Osteoklasten) beteiligt sind. Je nachdem, wo sich die CB1 und CB2 Rezeptoren befinden, Noch ist die Bedeutung des körpereigenen Cannabinoidsystems nur in Ansätzen bekannt. Da die Hirnregionen, in denen der CB1-Rezeptor vorwiegend gefunden wird, eine wichtige Rolle im Gedächtnis und der Bewegungsregulation spielt, gilt es als sehr wahrscheinlich, dass Endocannabinoide Lern- und Bewegungsprozesse beeinflussen. führt ihre Aktivierung beispielsweise zur Hemmung der Schmerzleitung, zu einer Veränderung des Zeitgefühls, zu Heiterkeit, der Hemmung von Entzündungen und vielen anderen Wirkungen. 8 Appetits. Offensichtlich spielen die Endocannabinoide sogar eine wichtige Rolle beim Schutz und der Reparatur des Nervensystems. per selbst gebildet. Anandamid kommt besonders häufig im In den neunziger Jahren entdeckten Raphael Mechoulam und seine Arbeitsgruppe ähnliche Rezeptoren auch auf anderen zum Schlankmacher korrekt heißt, ist eine endogene Substanz , d. h. sie wird vom Kör- Gemeinsamkeit: beide Stoffe sind lipophil – das heißt sie lassen CB1-Rezeptoren Ess-Attacken sind eine typische Nebenwirkung beim Cannabis-Konsum Aber auch andere Mechanismen des Endocannabinoidsystems wurden schon untersucht, beispielsweise ihre Wirkung bei Schmerzzuständen, beim Schlaf und bei der Steuerung des Kiffen und Essen Dass der Cannabis-Konsum Nebenwirkungen haben kann, ist bekannt. Eine dieser Nebenwirkungen sind plötzlich auftretende Ess-Anfälle. Wissenschaftler schlossen aus dieser Tatsache bereits früh auf eine Verbindung des Endocannabinoidsystems mit dem Hungergefühl. Der CB1-Rezeptor scheint Hunger auszulösen, wenn ein entsprechender Stoff, ob fremd oder aus dem Körper, an ihm andockt. Tatsächlich wird heute ein Wirkstoff aus dem Marihuana zur Behandlung von Appetitstörungen bei AIDSPatienten eingesetzt. Wenn man nun diesen Rezeptor ausschalten würde, könnte man auch das Hungergefühl bei Patienten, die zuviel essen, unter Kontrolle bringen – so die Theorie der Forscher. Bereits 1994 entdeckten Forscher des Pharmakonzerns Sanofi-Aventis den Stoff Rimonabant, der genau diese Eigenschaften hat. Rimonabant blockiert den CB1-Rezeptor und damit das Hungergefühl. Rimonabant ist auch der Stoff, der im Medikament Acomplia enthalten ist. Die Forscher trauen dem Wirkstoff allerdings noch mehr zu – beispielsweise könnte er auch dazu dienen, die Sucht nach Zigaretten oder Alkohol in den Griff zu bekommen, ähnlich wie die Fress-Sucht. Die Pharma-Forscher arbeiten derzeit an Tests, die hier einen direkten Zusammenhang beweisen. Einer Zulassung des Wirkstoffs Rimonabant zur Behandlung von Nikotinsucht hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA bisher allerdings nicht zugestimmt. 9 Links: Der Hypothalamus, eine Region im Zwischenhirn steuert den Appetit Mitte: Jeder Appetitimpuls setzt körpereigene Cannabinoide frei Rechts: Rimonabant verhindert die Übertragung der AppetitImpulse Gehirn auf Droge Pausenlose Hungersignale Man hat es schon immer geahnt: Der Körper ist eine Fress-Maschine. Gäbe es nicht ab und zu Signale aus der Tiefe des Magens oder aus der von Zucker und Fett gesättigten Blutbahn – man würde immer nur essen. Denn rein biologisch ist der Mensch auf pausenlosen Hunger programmiert. Fehlen die Impulse aus Magen und Blut, signalisiert der Hypothalamus im Zwischenhirn Appetit. Mehr als 20 verschiedene Botenstoffe – anregende und zügelnde – regulieren im Zusammenspiel die Mechanismen von Hunger und Sättigung. Gehirn cannabinoid-System. Besonders konzentriert sind die Rezeptoren für die körpereigenen Cannabinoide im Gehirn, und zwar im Zwischenhirn, dem Hypothalamus. Dort greifen die haschähnlichen Substanzen auch in die Appetitregulation ein. Teile des Netzwerks von Hirnzellen sind auffallend dicht mit CannabinoidRezeptoren besetzt, so dicht wie in keinem anderen Organ. Jeder Appetitimpuls löst dort die Ausschüttung von Cannabinoiden aus. Sie blockieren die Wirkung der appetithemmenden Nervenzellen und sorgen so dafür, dass sich die Appetitimpulse ungehindert im Hypothalamus ausbreiten können. Das Cannabinoid-System steigert also den Appetit, in dem es die Sättigung blockiert. Drogenstoffe aus dem Körper Eine besondere Rolle spielen dabei zwei Botenstoffe, die in ihrer Wirkung den Rauschdrogen Haschisch und Marihuana ähneln: die so genannten Cannabinoide. Sie docken an Rezeptoren an, die im ganzen Körper an vielen Organen vorkommen. Es scheint sich dabei um ein System zu handeln, das wichtige Funktionen für die Steuerung des Organismus wahrnimmt. Noch längst ist darüber nicht genug bekannt, vorläufig sprechen Wissenschaftler vom Endo- 10 Cannabinoide Cannabinoide bedeutet, dass die Stoffe dem Cannabis ähneln, vor allem in ihrer Wirkung. Chemisch sind sie anders aufgebaut. auf Droge Den Appetit stoppen Der Wirkstoff der neuen Schlankheitspille, das Rimonabant, der im Medikament Acomplia enthalten ist, greift an genau dieser Stelle in das Cannabinoid-System ein. Über die Blutbahn wird der Wirkstoff ins Gehirn gespült und erreicht den Hypothalamus. Die Wirkstoff-Moleküle fließen, ebenso wie die körpereigenen Cannabinoide, in die Synapse, genauer: in den kleinen Spalt zwischen dem Synapsenende und der gegenüberliegenden Anschlusstelle an die nächste Zelle. In diesem synaptischen Spalt binden die Stoffe an die speziellen Rezeptoren des Systems und hindern so zwei körpereigene Cannabinoide daran, dort ihre übliche Aufgabe wahrzunehmen. Diese beiden Stoffe – Anandamid und 2-AG – bewirken normalerweise, dass der Appetit steigt. Doch das geht nicht, wenn ihre Andockstellen schon besetzt sind, in diesem Fall vom künstlichen Wirkstoff Rimonabant. Die Substanz verhindert so, dass die Appetit-Impulse sich ausbreiten, der Hunger wird im wahrsten Sinne des Wortes ausgebremst. Daher isst man weniger, der Körper geht an die Fettreserven und man nimmt ab – im Idealfall. Eines unter vielen Denn die Wirkung von Rimonabant auf das Cannabinoid-System hat einen Haken: Die Natur hat gut vorgesorgt und den überlebenswichtigen Hungerimpuls mehrfach abgesichert. Mehr als 20 Appetitregulationskreisläufe sind bis heute bekannt. Jeder einzelne leistet seinen Beitrag zur Entstehung von Hunger oder Sättigung. Das Cannabinoid-System ist also eines unter vielen Signalen, die zur Nahrungsaufnahme gehören. Seine Wirkung auf die Appetitregulation ist daher begrenzt, und das gilt auch für die Wirkung von Rimonabant. Der neue Wirkstoff erspart also nicht die Mühe und die Disziplin, die zum Abnehmen nötig sind: die Umstellung auf kalorienarme Kost und viel Bewegung sind nach wie vor ein Muss, um langfristig Kilos zu verlieren. 11 Links: Der Hypothalamus sendet Appetitsignale Mitte: Jeder Bissen dehnt den Magen Rechts: Die Sättigungssignale gehen vom Magen aus Das Geheimnis des Appetits Das Geheimnis Ein Feuerwerk im Gehirn Egal, ob man arbeitet, schläft oder Sport treibt, ständig verbraucht der Körper Energie – in Form von Kalorien. Mindestens 70 % dieser Energie geht dabei nur für die grundlegenden Lebensfunktionen drauf: Atmung, Herzschlag, Entgiftung durch Leber und Niere. Dieser so genannte Grundumsatz muss immer gedeckt werden, deswegen ist der Körper auf regelmäßige Nahrungszufuhr angewiesen. Das dazugehörige Signal kennt jeder: Hunger. Für den Hunger gibt es zwei zentrale Organe: den Magen und das Gehirn. Im Gehirn ist eine bestimmte Region im Zwischenhirn zuständig für die Steuerung des Appetits, der Hypothalamus. Er sendet ständig Appetitsignale in Form von Botenstoffen durch den Körper. Sieben verschiedene Botenstoffe entfachen im Gehirn ein wahres Appetitfeuerwerk. Das Ziel: schnell an neue Nahrung zu gelangen. Wenn das geschieht, übernimmt das zweite zentrale Organ der Appetitsteuerung das Kommando; der Magen. 12 Der Magen muss richtig voll sein Jeder neue Bissen füllt den Magen und bewirkt, dass er sich zunehmend dehnt. Es gibt spezielle Nervenenden, die nur die mechanische Dehnung ermitteln, so genannte Mechanorezeptoren. Sie sitzen an der Außenseite des Magens und senden die Impulse, die sie empfangen, direkt an den Hypothalamus. Dabei gilt: je voller der Magen, desto höher die Frequenz an Sättigungssignalen, die die Mechanorezeptoren nach oben schicken. Sobald der Magen richtig voll ist – in der Regel liegt die Menge bei 400 Milliliter Nahrungsbrei – reagiert das Gehirn. Dann kommen so viele Sättigungsimpulse an, dass der Hypothalamus selbst die Bremse zieht: er schüttet jetzt Appetitzügler aus, mehr als zehn verschiedene Botenstoffe. So ergeht ein neues Kommando an die übrigen Gehirnregionen. Die aufgenommene Energie, also die Kalorienmenge, zählt dabei nicht, nur die Füllung des Magens ist entscheidend. des Appetits Schwache Sättigungssignale Doch der Hypothalamus hat es nicht leicht. Sobald erste Portionen des Nahrungsbreis in den Dünndarm weiter wandern, wird der Magen schlaffer, die Sättigungsimpulse der Mechanorezeptoren lassen nach. So gewinnen die appetitstimulierenden Neurotransmitter langsam wieder die Oberhand. Das Hungergefühl nimmt zu, und es ist sehr leicht durch Gerüche und Aromen zu verstärken. Das weiß auch die Lebensmittelindustrie und bietet 7.000 bis 8.000 verschiedene Düfte und Geschmacksrichtungen zur Verfeinerung an. Aus dieser riesigen Anzahl werden alle möglichen Aromen kombiniert – egal ob Brathuhn, Joghurt, Ananas oder Gulasch, alles ist möglich. Es gibt kaum mehr Lebensmittel, die frei sind von zusätzlichen Aromastoffen. Und das kurbelt den Appetit an. Aromastoffe überlisten das Gehirn hat Konsequenzen. Der Hypothalamus hat ein Gedächtnis für Speisen und übersetzt sie in die Sprache des Appetits: in Rinderbraten, Currywurst oder Apfelkuchen. Wenn allerdings der Geschmack in der Rinderbouillon von ChemieAromen anstatt vom Rind stammt und in ganz anderen Nahrungsmitteln steckt, bekommt der Körper falsche Signale. Im Klartext: Er erwartet ein nahrhaftes Steak und bekommt stattdessen dünne, fettige Kartoffelchips. Trotzdem läuft dem Hungrigen das Wasser im Mund zusammen, und der Magen bereitet sich auf die Verarbeitung des Rindersteaks vor. Aber nur etwas fettige Kartoffelkruste erreicht den Magen. Der Verdauungstrakt bekommt nicht, was er erwartet. Deswegen verlangt er weiter nach Fleisch und üppiger Kost. Die Konsequenz: Der Hypothalamus verschärft seine Appetitsignale – und die ganze Chipstüte wird leer gefuttert. Damit nimmt man aber eine riesige Menge an Kalorien zu sich, viel mehr, als das Steak gehabt hätte. Und das macht dick. Eigentlich ist der Geschmacksinn dazu da, dem Körper Informationen über den Inhalt von Speisen zu liefern. Zugesetzte Aromastoffe gaukeln aber etwas vor, was gar nicht besteht. Und das 13 Es gibt schon so viele Übergewichtige in den Industrieländern, dass die Weltgesundheitsorganisation Alarm geschlagen hat: schon können nicht mehr alle ausreichend behandelt werden Essen als Droge Essen als Droge Die Ernährungsexperten sind gescheitert Die Fettwelle rollt. Trotz aller guten Ratschläge, trotz der Heerscharen von Ernährungsexperten, trotz bemühter Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und trotz der fröhlichen Initiativen gegen dicke Kinder. Obwohl es noch nie so viel Wissen über Ernährung und ein so großes Angebot an gesunden Lebensmitteln für alle gab, essen die Deutschen weiter: zu viel, zu süß, zu fett. die Deutschen Und nicht nur die Deutschen. Auch in allen anderen Industrienationen gibt es so viele Übergewichtige, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO schon Alarm geschlagen hat. Das ernüchternde Fazit: Es gibt jetzt schon so viele Dicke mit Folgekrankheiten, dass gar nicht mehr allen eine Behandlung angeboten werden kann – das Auftreten von Diabetes, Herzinfarkt, Arthrose, Krebs und Arbeitsunfähigkeit sprengt jeden Kostenrahmen. Es könnte daher sein, dass in Zukunft viele Patienten sich selbst überlassen werden. Der Wortlaut der WHOStellungnahme aus dem Jahr 2000, zitiert nach den Leitlinien der Dabei weiß es jeder – Übergewicht macht krank, die Folgeschäden sind gravierend. Diabetes, Gelenkschäden, Rückenprobleme, Herzinfarkt, hoher Blutdruck, Krebs. Dass so viele Menschen ihr Gewicht nicht in den Griff kriegen, ist angesichts dieser Folgen erstaunlich. Und dabei ist nicht die Rede von extrem Fettsüchtigen, jenen exzessiv essenden Super-Schwergewichten, die mehrere Zentner mit sich herum schleppen. Schon bei einem Übergewicht von 15 bis 20 Kilo, das entspricht etwa einem BMI von 30, fällt das Abnehmen offensichtlich so schwer, dass viele nicht wieder davon runterkommen. Nicht nur bei Alkoholikern und Drogenabhängigen ist Stress ein häufiger Auslöser für Rückfälle Deutschen Adipositas-Gesellschaft: „Das Vorkommen der Adipositas ist in den meisten Industrienationen so hoch, dass die Ressourcen nicht mehr ausreichen, um allen Betroffenen eine Behandlung anbieten zu können.“ Wenn man sich nicht zurückhalten kann Dabei sind die meisten gar nicht so glücklich mit ihren Kilos. Sie möchten abnehmen und anders essen, aber es gelingt ihnen einfach nicht. Sie fühlen sich dem Drang zu essen gegenüber machtlos – unfähig, ihr Verhalten zu kontrollieren und der schnellen Befriedigung zu widerstehen. Denn Essen ist immer und überall verfügbar, die Versuchung ist zu groß: „Bei Stress“, sagt Maria Gremser*, „muss ich einfach etwas Süßes essen, dann geht es mir besser.“ Die junge Frau wiegt bei einer Körpergröße von 1,66 rund 90 Kilo – das sind mindestens 20 Kilo zuviel. Auch Udo Friedbach*, 1,74 groß und 104 Kilo schwer, ist nicht glücklich mit seiner Figur, „aber es schmeckt mir einfach zu gut, und ich kann nicht verzichten, wenn mir etwas vorgesetzt wird“. BMI BMI steht für Body-Mass-Index, der Formel zur Ermittlung des Körpergewichts. Sie ist mittlerweile international gültig, (siehe auch S. 25). Zu den vielen Erklärungen, die es für hartnäckiges Übergewicht gibt – Gewohnheit, starke Reize durch Geruch oder Geschmack, Geselligkeit beim Essen oder gar die Gene – kommt jetzt eine neue Sichtweise, die möglicherweise den Umgang mit dem Problem Übergewicht ändern könnte. Sie stammt aus der Suchtmedizin. Raucher, Trinker und Übergewichtige haben Gemeinsamkeiten Schon seit Jahren machen Forscher in den USA auf einen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Drogenkonsum aufmerksam. Auch in Deutschland macht sich langsam die Erkenntnis breit, dass das Problem Übergewicht nicht mit ein paar Ernährungstipps oder einer Diät von ein paar Wochen gelöst werden kann. „Von Übergewichtigen kann man ebenso wenig wie von Rauchern oder Trinkern erwarten, dass sie von heute auf morgen aufhören“, sagt Falk Kiefer, Professor und Suchtmediziner am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Denn Sucht ist nicht nur Disziplinlosigkeit, schlechte Gewohnheit oder Willensschwäche. Sucht ist eine Krankheit. Tatsächlich, sagt auch Markus Backmund, Leiter der Abteilung Suchtmedizin am Klinikum Schwabing, könne man das Verhalten von Übergewichtigen mit dem von anderen Süchtigen gleich setzen: „Übergewichtige schädigen ihren Körper, und sie wissen das. Der Alkoholiker weiß ja auch, dass er seine Leber und sein Gehirn schädigt. Aber er kann nicht aufhören. Und genau so ist es beim chronisch Übergewichtigen.“ * Namen von der Redaktion geändert 14 15 Von links nach rechts sind die Gehirne von Gesunden, Alkoholikern, stark Übergewichtigen und Kokainabhängigen zu sehen. Die rotgefärbten Bereiche sind die Dopaminrezeptoren Quelle: Volkow/Wise, ersch. in Nature Neuroscience gesund Alkoholiker stark übergewichtig kokainabhängig Essen als Droge Weitermachen, obwohl es schadet Aus seiner Sicht ist es fatal, dass das Problem Übergewicht bagatellisiert wird, indem man die Dicken einfach nur für etwas disziplinlos hält. Dass es sich wirklich um Sucht handelt, also um eine ernstzunehmende Krankheit, ist für beide Experten eindeutig – gibt es doch Kriterien für Abhängigkeitserkrankungen, die auf viele Dicke ebenso zutreffen wie auf Raucher, Fixer oder Kokser. Zum Beispiel der anhaltende Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen körperlicher, psychischer oder sozialer Art. Weitermachen, obwohl es schadet – wie Nikotinabhängige, die weiter qualmen, obwohl auf jeder Zigarettenpackung die abschreckenden Hinweise zu lesen sind. Ähnlich interpretieren die Suchtmediziner auch das Verhalten der Übergewichtigen. Doch so lange die keine Beschwerden wahrnähmen, so Falk Kiefer, „haben sie ja auch keinen Leidensdruck.“ Denn in der bewegungsfaulen Industriegesellschaft ist es kein Problem, mit Übergewicht zu leben. Kontrollverlust beim Essen Eine weitere Parallele zum Drogenkonsum ist die Unfähigkeit, die Mengen an Essen zu begrenzen oder auf Essen in bestimmten Situationen zu ver- 16 zichten – anders ausgedrückt: die Tüte Chips wird leer gefuttert, die Tafel Schokolade komplett vernichtet, wenn man einmal angefangen hat. Die verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Substanzkonsums, wie es in der offiziellen Definition heißt, kann Alkoholiker und Rauschgiftsüchtige ins tödliche Delirium bringen. Das droht dem Überesser zwar nicht, doch die Lebenserwartung ist drastisch verkürzt, wenn man einen BMI über 30 hat. Und die Wahrnehmung der Übergewichtigen für ihr Essverhalten ist oft deutlich verzerrt: Viele wissen nicht, wie viel sie wirklich essen, sie vergessen bis zu 50 Prozent der Nahrungsmittel, die sie am Tag aufnehmen. Die Krankheit sitzt im Kopf Noch etwas haben Suchtexperten und Hirnforscher festgestellt: Die Gehirne von Süchtigen – Alkoholiker und Kokainsüchtigen – haben weniger Rezeptoren für einen ganz bestimmten Botenstoff, das Dopamin. Es ist der Signalstoff für das Lernen und setzt das Belohnungssystem des Gehirns in Gang. Dieses vermittelt dann ein angenehmes Gefühl, wenn Situationen, die einen Gewinn versprechen, wiederholt werden. Die Gehirne von Alkoholikern, Koksern und schwer Übergewichtigen gleichen sich hier in einem speziellen Punkt. Alle zeigen dieselbe Veränderung, sie haben weniger Dopaminrezeptoren. Die Untersuchungen wurden an extrem dicken Probanden gemacht, die einen BMI über 40 hatten, also 50 und mehr Kilo Übergewicht. Doch die Verhaltensähnlichkeiten sind auch schon bei Übergewichtigen da, die viel weniger auf die Waage bringen. Wenn sich also die Phänomene Drogenabhängigkeit und chronisches Übergewicht so auffallend überschneiden, erklärt das auch, warum es so enorm schwer ist, viele Dicke zum Abnehmen zu bewegen – die Entwöhnung von einer Sucht dauert in der Regel viele Jahre. Zahlreiche Rückfälle gehören dazu, bei Alkohol oder Zigaretten ist das bekannt und akzeptiert. Bei chronisch Übergewichtigen aber hofft man auf die Wirkung von Ernährungsratschlägen oder auf kurze Diätphasen von einigen Wochen – wohl ein Trugschluss. Vielleicht müssen Ärzte und Patienten daher bald umdenken. Es könnte sein, dass Internisten und Ernährungsberater die Behandlung der Übergewichtigen an Psychiater, Psychotherapeuten und Suchtmediziner abgeben müssen. 17 Der Mensch ist ein Genießer. Deshalb fällt das Abnehmen vielen schwer Nur 100 überflüssige Kilokalorien pro Tag führen in einem Jahr zu 5 Kilogramm Fettgewebe Satt abnehmen Satt abnehmen Übergewicht durch Überfluss Für die Fast-Food-Ketten ist es eine gute Nachricht: Dickwerden hat nichts mit Hamburgern, Pommes Frites & Co. zu tun. Denn auch beim heimischen Bäcker, Metzger oder im Supermarkt holen sich die Menschen ihr Übergewicht ab. Noch nie war Essen so sehr Teil eines allgemeinen Lebensgenusses. Und: noch nie gab es so viel energiereiche Nahrung für alle. Flüssige Kalorien wie Limonaden, Fruchtsäfte, Wein und Bier gehören nicht gerade zu den Lebensmitteln, an die sich der menschliche Organismus im Laufe der Evolution angepasst hat. Diese süßen Getränke sind eigentlich auch keine Nahrungs-, sondern Genussmittel – Dickmacher, keine Sattmacher. Die Flüssigkeit rauscht ziemlich schnell durch Magen und Darm, die Kalorien aber bleiben im Körper. Dort verwandeln sie sich in Körperfett, wenn man mehr Kalorien zu sich nimmt, als man verbraucht. Und das geht schnell: Nur 100 überzählige Kalorien am Tag, und innerhalb eines Jahres sind fünf Kilo Fett mehr auf den Hüften. Diese 100 Kalorien stecken schon in einem Glas Cola oder Limo, ein harmlos scheinendes trockenes Brötchen oder eine Laugenbrezel schlägt sogar mit etwa 150 Kalorien zu Buche. Das Problem ist nur, dass der Körper keinen eingebauten Kalorienzähler hat. 18 Menge bleibt – Kalorien müssen raus Dass es beim Essen auf Lust und Genuss ankommt, wissen die Spezialisten im Else Kröner-FreseniusZentrum für Ernährungsmedizin an der TU München nur zu gut. Hierher kommen viele übergewichtige Patienten, die schon eine lange Vorgeschichte mit Diäten und Ernährungsprogrammen haben. Geholfen haben die Kuren höchstens kurz. Und den Menschen das viele Essen abzugewöhnen, ist nach Meinung der Experten hier sowieso der falsche Ansatz: „Die Menge, die sie zu sich nehmen ist für die Leute wichtig, da kann man nichts machen“, sagt der Internist und Gastroenterologe Prof. Volker Schusdziarra. Wenn weniger nicht geht, so seine Strategie, dann muss eben die Energie in der Nahrung reduziert werden: „Man kann die gleiche Menge essen und satt werden, aber dabei weniger Energie, weniger Kalorien zu sich nehmen!“ In Schusdziarras Beratung geht es nicht darum, Askese zu üben, stattdessen geht es um die richtige Balance. Viel essen und trotzdem abnehmen funktioniert, wenn man die Energiedichte der aufgenommenen Nahrung beachtet, ausgedrückt in Kilokalorien (kcal/g). Kilokalorien pro g (kcal/g) Grundumsatz Die offizielle Maßeinheit für Energie ist seit 1978 das Joule. Trotz Der Energieverbrauch eines Menschen setzt sich zusammen aus der Umstellung auf Joule werden Brennwerte von Nahrungs- dem Grundumsatz, der Thermogenese und dem Leistungsumsatz. mitteln nach wie vor in Kalorien bzw. Kilokalorien angegeben. Der Grundumsatz beschreibt die Energiemenge, die der Körper Eine Kalorie entspricht 4,1868 Joule. Vereinfacht gesagt versteht zum Erhalt der Lebensfunktionen wie Atmung oder Herzschlag man unter einer Kalorie den Wert der Wärmemenge, die not- bei absoluter Ruhe braucht. Er kann individuell stark variieren, wendig ist, ein Gramm Wasser um ein Grad Celsius zu erwär- verändert sich im Laufe des Lebens und es gibt Geschlechter- men. Demnach würde der Brennwert einer Tafel Schokolade unterschiede: Männer haben einen höheren Grundumsatz als (530 Kilokalorien) ausreichen, um 530 Liter Wasser um 1 Grad Frauen. Die Thermogenese entspricht der Energie, die für die zu erwärmen. Meist spricht man von Kalorien, gemeint sind aber Nahrungsaufnahme und das Verdauen verbraucht wird. Der immer Kilokalorien – eine Verkürzung, die allgemein gebräuch- Leistungsumsatz wird bestimmt von der körperlichen Aktivität lich ist. pro Tag – je mehr man sich bewegt, umso höher ist er. Allerdings steckt im Grundumsatz der höchste Energieanteil: etwa 70 Prozent der täglich benötigten Gesamtenergiemenge. Was man wirklich braucht Diese Energiedichte spiegelt das Verhältnis von Nahrungsmenge und Energiegehalt wider. Je niedriger die Energiedichte eines Lebensmittels ist, desto größer kann die Verzehrmenge sein. Anders ausgedrückt: Wer eine Tafel Schokolade von 100 Gramm vernascht, könnte stattdessen auch 750 Gramm Kartoffeln essen – die Kalorienmenge wäre dabei gleich. Wer aber abnehmen will, muss insgesamt weniger Kalorien zu sich nehmen, als er verbraucht. Das wiederum richtet sich nach dem persönlichen Energieverbrauch und dem so genannten Grundumsatz. Anhand des Grundumsatzes und der Menge, die die Übergewichtigen gewohnheitsmäßig zu sich nehmen, haben die Münchner Mediziner berechnet, wie die Patienten ihre Lebensmittel auswählen müssen, um abzuspecken. Dazu werteten sie rund 2.800 Ernährungsprotokolle von Patienten aus. Im Durchschnitt aßen diese eine Menge von etwa 1.150 Gramm Lebensmittel pro Tag, eine WohlfühlMenge, die sie satt machte und die sie durchaus beibehalten sollten. Denn darauf beruht das Münchner Konzept. Weitere Untersuchungen zeigten, dass der durchschnittliche Grundumsatz, also der Ruheenergieverbrauch, etwa 1.700 kcal betrug. 19 An der Atemluft können die Experten den Grundumsatz messen. Der Gehalt von Kohlendioxid und Sauerstoff im Atem gibt an, wie viel Energie der Körper im Ruhezustand verbraucht Schinkenbrote statt Käsebrötchen – so spart man Kalorien und es schmeckt genauso gut Die Energiedichte-Tabelle Daraus errechneten die Mediziner, dass bei gleicher Menge die durchschnittliche Energiedichte der Lebensmittel 1,5 kcal/g nicht übersteigen darf. der heutigen Ernährungsgewohnheiten ebenfalls berücksichtigt Nahrungsmittel enthält, desto niedriger ist die Energiedichte: Vollkornbrot hat einen Wasseranteil von etwa 38 Prozent. Die Energiedichte liegt bei 2,0 kcal/g. Cornflakes dagegen haben eine Die Energiedichte-Tabelle So entwickelten Volker Schusdziarra und seine Kollegen eine Energiedichte-Tabelle. Darin listeten sie alle gängigen Lebensmittel und deren Energiemenge pro Gramm auf, übersichtlich geordnet in Gruppen, wie zum Beispiel Backwaren, Brotaufstriche, Käse oder Wurstwaren. Je nach Energiegehalt bekamen die Lebensmittel unterschiedliche Farben: Grün für eine Energiedichte unter 1,5 kcal/g, Gelb für Werte von 1,5 bis 2,5, Rot für alles über 2,5 kcal/g. Mit dem Farbcode behalten die Patienten einen guten Überblick, ohne auf komplizierte Weise Kalorien zählen zu müssen. Und es ist auch auf den ersten Blick zu erkennen, welche kalorienärmeren Speisen in derselben Geschmacksgruppe die Alternative sein können. Energiegehalt Der Energiegehalt beruht ganz allein auf den in der Nahrung enthaltenen Nährstoff-Klassen. Fett ist der größte Energielieferant mit einer Energiedichte von 9 kcal/g. Kohlenhydrate und Eiweiß haben eine Energiedichte von jeweils 4 kcal/g. Alkohol muss angesichts 20 Satt abnehmen mit der TU München werden, er hat eine Energiedichte von 7 kcal/g. Je mehr Wasser das Energiedichte von 3,7 kcal/g. Jeder soll essen, was ihm schmeckt Die Münchner Mediziner betonen, dass eine wirksame und dauerhafte Ernährungsumstellung nur gelingt, wenn die Patienten ihre individuellen Geschmacks- und Essgewohnheiten behalten dürfen. Ein individueller Essplan für jeden Patienten hilft dabei. Die Lust bleibt erhalten, und Hungergefühl kommt nicht auf, weil weiterhin viel gegessen werden darf – nur etwas anders zusammengestellt. Alles in allem richtet sich der neue Speiseplan nach dem Wohlbefinden des Übergewichtigen und verlangt keine radikale Umstellung. Selbst Fast-Food und Süßigkeiten sind bei der Ernährungstherapie an der TU München erlaubt, wenn sie nicht übermäßig verzehrt werden. Eisern bleiben die Experten nur beim Sparen: Wer nascht, muss an anderer Stelle verzichten, wo es nicht so schwer fällt – wenn das Stück Torte am Nachmittag für den Seelenfrieden unverzichtbar ist, muss die Flasche Bier zum Abendessen dran glauben. Diese etwas andere Kalorien-Tabelle soll das Abnehmen erleichtern, indem das lästige Kalorienzählen entfällt. Ziel ist es, die Ernährung umzustellen und die überflüssige Energiezufuhr zu stoppen, so dass man langsam, aber stetig Gewicht verliert. Bei jeder Mahlzeit isst man sich satt, und es darf auch gut schmecken. Selbst wenn es ab und zu kleine Sünden gibt – die sind durchaus erlaubt, wenn das Kalorien-Plus an anderer Stelle wieder eingespart wird. Denn bei der Ernährungstherapie des Else-Kröner-FreseniusZentrums geht es nicht darum, möglichst schnell möglichst viel abzunehmen. Sondern darum, dass man beim Abnehmen weiterhin satt wird und Spaß am Essen hat, schließlich bedeutet das besonders für Übergewichtige Lebensqualität. Dafür bietet die Energiedichte-Tabelle Alternativen zu kalorienreichen Speisen, die trotzdem schmackhaft sind und es erlauben, individuelle Gewohnheiten zu erhalten. Wie wendet man die Tabelle an? Zu allen Lebensmitteln ist die Menge an Kilokalorien angegeben, die in einem Gramm davon stecken, die so genannte Energiedichte. Außerdem ist die Tabelle in drei Farben gegliedert, in denen die Lebensmittel nach Gruppen angeordnet sind: Grün für eine Energiedichte unter 1,5 kcal/g, Gelb für Werte von 1,5 bis 2,5, Rot für alles über 2,5 kcal/g. Der Farbcode ersetzt das umständliche Kalorienzählen. So kann man einfach überprüfen, welche Lebensmittel aus dem gewohnten Speiseplan sehr energiedicht – also kalorienhaltig – sind. In derselben Gruppe lassen sich dann auch Alternativen suchen, die weniger Kalorien haben, aber in eine ähnliche Geschmacksrichtung gehen. Auf diese Art fällt es am leichtesten, Kalorien zu reduzieren und zugleich genussvoll und ausreichend zu essen. Die Tabelle des EKF-Zentrums an der TU München führt alle gängigen Nahrungsmittel auf. Wir zeigen hier einen Auszug mit einer kleinen Auswahl, die ganze Tabelle erscheint gegen Ende 2006, siehe auch Kapitel Lesetipps. Die Energiedichte (ED) ist definiert als Kalorienmenge pro Gramm Lebensmittel. Je geringer die Energiedichte eines Lebensmittels ist, desto größer ist der Sättigungseffekt bei gleichzeitig geringer Kalorienaufnahme. In der Tabelle sind die verschiedenen Lebensmittel in Lebensmittelgruppen zusammengefasst und innerhalb jeder Lebensmittelgruppe nach ihrer Energiedichte geordnet. 21 163 kcal 91 kcal 870 kcal 265 kcal Die Energiedichte-Tabelle Alle grün gekennzeichneten Lebensmittel sind dazu geeignet, auch in größerer Menge verzehrt zu werden. Nahrungsmittel Der gelbe Bereich enthält Lebensmittel, an denen man sich auch noch satt essen darf, vorausgesetzt, dass die für die Sättigung benötigte Essensmenge insgesamt nicht zu groß ist. Sonst sollte man ein gelb gekennzeichnetes Lebensmittel mit einem grün gekennzeichneten Lebensmittel kombinieren, um eine günstige Energiedichte zu erreichen. Würstchen Bratwurst 3,1 Fischwaren Thunfisch (ohne Öl) Bismarckhering 1 ,1 2,1 Rot gekennzeichnete Lebensmittel haben einen hohen Energiegehalt und können immer nur in kleinen Mengen verzehrt werden. Nahrungsmittel Energiedichte (kcal/g) Brot / Brötchen Roggenmischbrot Mehrkornbrot Vollkornbrötchen Weizenbrötchen (Semmel) Croissant Kuchen Obstkuchen aus Hefeteig Rührkuchen Sahnetorte Kleingebäck Milchschnitte Kekse Keks, Plätzchen (allgemein) Weihnachtsgebäck Weihnachtsstollen, sächsisch Lebkuchen Müsli Zutaten für’s Müsli a) Getreidezutaten – Haferflocken (Vollkorn) c) Obst – Frischobst im Durchschnitt d) Milch / Joghurt / Dickmilch / Sahne ...1,5,% Fett 22 2,1 2,2 2,2 2,7 4,3 1,8 3,6 3,7 4,2 Nahrungsmittel Energiedichte (kcal/g) Milch / Milchprodukte Kuhmilch, 1,5 % Fett Kuhmilch, 3,5 % Fett Sauermilchprodukte Joghurt mit Früchten, gezuckert, 1,5 % Fett Joghurt mit Früchten, gezuckert, 3,5 % Fett Sahne Saure Sahne Schlagsahne Brotaufstriche – süß Marmelade Honig Nussnougatcreme 0,4 0,6 0,8 0,9 3,5 4,0 3,5 0,5 0,5 Wurstwaren / Schinken Schinken, gekocht (mager) Leberkäse Salami Käse / Quark Quark Speisequark, mager Speisequark, 20 % F.i.Tr. 0,7 1,1 Schnittkäse / Hartkäse Emmentaler / Greyerzer, 45 % F.i.Tr. 4,0 Frischobst Apfel, Grapefruit, Honigmelone, Kirschen (sauer), Kiwi, Mandarine, Nektarine, Pflaume 0,5 1,2 3,1 2,7 3,3 5,2 4,9 Streichfette Halbfettbutter / Halbfettmargarine Diätmargarine Butter Energiedichte (kcal/g) 3,7 8,0 8,0 1,3 3,0 3,7 Knabbereien und Naschereien Nüsse und Samen Erdnuss, geröstet Salziges zum Knabbern Salzstangen, -brezeln Süßwaren Gummibärchen Fruchtriegel / Müsliriegel Vollmilchschokolade Fleisch Rindfleisch, mager Kalbfleisch, mager Nahrungsmittel Energiedichte (kcal/g) Fleisch Schnitzel Schweineschnitzel, paniert (gegart) Hähnchenbrustfilet 1,1 3,2 1,0 Fisch Forelle panierter Fisch (gegart) 1,0 3,2 Beilagen Kartoffeln Reis, poliert, gekocht Bratkartoffeln Nudeln, gekocht Pommes frites (Friteuse) 0,7 1,1 1,3 1,4 2,1 Eier Hühnerei 1,5 Gemüse Bohnen, Broccoli, Gartenkresse, Kürbis, Möhren, Porree, Wirsing, Zwiebel, 0,3 5,9 3,5 3,4 3,3 - 4,2 5,4 1,0 1,0 Eis / Dessert Fruchteis / Sorbet Portionseis Fertigdesserts Pudding Schokolade / Vanille Tiefkühlprodukte TK-Pizza Fischgerichte Fischstäbchen 0,8 - 1,2 1,0 - 3,9 1,0 2,1 - 2,9 2,0 23 Körpergewicht = BMI Körpergröße (m) x Körpergröße (m) 444 kcal 216 kcal Die Energiedichte-Tabelle So funktioniert die Umstellung Wer abnehmen will, braucht während der ersten vier bis sechs Wochen nicht nur Speisen mit dem idealen Durchschnittswert von 1,5 kcal/g aus dem gelben Bereich zu wählen – Hauptsache, das Körpergewicht sinkt. Auch in der Kombination der einzelnen Mahlzeiten kann variiert werden, um die Kalorienmenge zu reduzieren. Kartoffeln als Beilage haben zum Beispiel im Vergleich zu Reis, Brot oder Nudeln die geringste Energiedichte. Also darf es auch mal ein fettes Kotelett statt eines mageren Schnitzels sein, wenn es dazu Salzkartoffeln gibt. So kann durch geschicktes Kombinieren die Balance zwischen Genuss und Verzicht, zwischen Essensmenge und Kalorienmenge gehalten werden. Ein Beispiel macht das deutlich: Nehmen wir an, Sie lieben ein herzhaftes Frühstück. Bisher war die Scheibe Brot, die Sie verzehrt haben, etwa acht Millimeter, der Schinkenbelag etwa zwei Millimeter dick. Das sind etwa 35 Gramm Brot und 20 Gramm Schinken, zusammen 55 Gramm. Diese Kombination entspricht einer Energiedichte von 1,8 kcal/g. Wenn Sie hier sparen wollen, brauchen Sie keinen Magerjoghurt zu löffeln – schneiden Sie nur die Brotscheibe etwas dünner, nämlich fünf Millimeter statt acht. Legen Sie aber ordentlich mehr Schinken drauf, fünf statt zwei Millimeter. Jetzt essen Sie sogar mehr als vorher, nämlich zusammen 72 Gramm statt 55 Gramm. Sie sind also früher satt, weil die Füllmenge im Magen größer ist – und sparen gleichzeitig Kalorien! Denn die Energiedichte von 5 mm Brot und 5 mm Schinken entspricht 1,5 kcal/g. BMI – Body Mass Index BMI – Body Mass Index BMI-Rechner Der Body-Mass-Index, abgekürzt BMI, ist die weltweit anerkannte Methode zur Ermittlung des Gewichtszustandes. Der BMI hat damit ältere Formeln und Faustregeln abgelöst, etwa die, nach der sich das Normalgewicht aus der Körpergröße in Zentimetern minus 100 ergibt. Wie wird der BMI berechnet? Der BMI berechnet sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm (kg), dividiert durch das Quadrat der Körpergröße (m2). Die Formel lautet: BMI = Körpergewicht : (Körpergröße in m)2 Die Einheit des BMI ist demnach kg/m2 Berechnungsbeispiel: Eine Person mit einer Körpergröße von 160 cm und einem Körpergewicht von 60 kg hat demnach einen BMI von 23,4 (60 : (1,6 m)2 = 23,4) Welchen BMI sollte man haben? Mit zunehmendem Alter legen alle Menschen an Körpermasse zu, das ist natürlich. Es gibt Experten, die deshalb beim Gewicht im Alter etwas Ent- 24 warnung geben. Die Universität Hohenheim zum Beispiel erlaubt in den Altersgruppen folgende Schwankungsbreiten: Alter BMI 19 25 35 45 55 19 20 21 22 23 24 - 24 Jahre 34 Jahre 44 Jahre 54 Jahre 64 Jahre > 64 Jahre - 24 25 26 27 28 29 Es gibt darüber hinaus noch Ausnahmefälle, etwa Leistungs- und Kraftsportler, die eine extrem hohe Muskelmasse haben und daher aus dem üblichen BMI-Rahmen herausfallen. Doch unter der Normalbevölkerung sind sie eher selten, und nur wenige können einen auffallend hohen BMI wirklich mit zu vielen Muskeln begründen. Generell gilt, dass athletische Körperbautypen einen höheren BMI haben, weil die Muskeln einfach schwerer sind. Ab wann ist Übergewicht ungesund? Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Dicken seit dem Jahr 2000 festgenagelt: schon ab einem BMI von 25 im entsprechenden Alter gilt man als übergewichtig. Ab einem BMI von 30 ist man gar adipös, wie die Experten sagen – zu deutsch: schwer übergewichtig oder fettsüchtig. 25 BMI – Body Mass Index Die Adipositas, wie der medizinische Ausdruck lautet, gilt als chronische Krankheit, die unbedingt behandelt werden muss, notfalls auch mit Medikamenten. Dabei geht es nicht um extreme Schwergewichte, die in keinen Flugzeugsitz mehr passen, weil sie 50 und mehr Kilo Übergewicht auf die Waage bringen – schon mit etwa 15 Kilo Übergewicht ist man dabei. Aber bereits bei einem BMI ab 25 ist man in der Gefahrenzone. Dann sollte man zumindest darauf achten, dass man nicht weiter zunimmt – und der Arzt ist aufgefordert, den Patienten auf das Risiko hinzuweisen. So schreiben es die Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft vor, die sich ebenfalls an der WHO-Klassifikation orientieren. Denn schon bei leichtem Übergewicht steigt das Risiko für Herz- und Kreislaufkrankheiten, Gelenkschäden, Diabetes und bestimmte Krebsarten. Dabei spielt wieder die Konstitution eine Rolle, genauer: der Fettspeichertypus. Es gibt zwei genetisch bedingte Körpertypen, die Fett auf unterschiedliche Weise anlagern: Der A- oder Apfel-Typ setzt vermehrt am Bauch an, der B- oder BirnenTyp eher an den Hüften und Oberschenkeln. Beide Typen gibt es unter Männern und Frauen, allerdings überwiegen bei Männern die Apfelformen und bei Frauen die Birnenformen. Menschen vom Apfeltypus haben allgemein ein höheres Risiko, Diabetes und Herz-KreislaufErkrankungen zu bekommen. Daher gilt ein ApfelTyp auch schon bei einem BMI von 27 als stärker gefährdet als ein Birnentyp mit demselben leichten Übergewicht. Eine Faustregel dabei besagt, dass Männer mit einem Bauchumfang von über 94 Zentimetern und Frauen bei einer Taille über 80 Zentimetern Umfang den Risikofaktor haben. Der Bierbauch ist daher alles andere als harmlos, und wer von Natur aus zum Bauchansatz neigt, sollte dort lieber keine überflüssigen Pfunde deponieren. Weitere Risikofaktoren machen schon leichtes Übergewicht ab einem BMI von 25 gefährlich, zum Beispiel hoher Blutdruck oder Zuckerkrankheit in der Familie. Lesetipp Satt essen und abnehmen Die Europäische Kommission hat ein Programm zur Be- Autor: Prof. Volker Schusdziarra kämpfung der Fettleibigkeit aufgelegt, viele Informationen Verlagsangaben: Erscheint Ende 2006 im und Zahlen dazu gibt es auf den verschiedenen EU-Seiten: MMI-Verlag, Neu-Isenburg http://www.eufic.org/web/article.asp?cust=1&lng=de&sh ow=EU&rid=4 Das Buch ist ab Januar 2007 erhältlich. Bis zum Erscheinungsdatum ist es vorab zum Subskriptionspreis in Höhe von Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) www.dge.de/ 14.95 Euro zuzüglich Porto und Versand direkt beim Verlag unter folgender Anschrift zu bestellen: Medizinische Medien Es gibt viele Kliniken, die stationäre Programme für Überge- Informations GmbH, Am Forsthaus Gravenbruch 7, 63263 wichtige anbieten. Speziell auf den Suchtcharakter gehen vor Neu-Isenburg. Oder Sie senden Ihre Bestellung per Email an allem die Kliniken nach dem so genannten Bad Herrenalber Diabetes @ mmi.de. Modell ein. Die hinter dem übermäßigen Essen liegenden psy- Linktipps chischen Konflikte stehen bei der Behandlung im Vordergrund, ein spezielles Ess-Programm sowie Gruppen- und Verhaltenstherapie gehören dazu. Kliniken u.a. in Bad Herrenalb, Grönenbach, Oberstdorf und in Wolfsried (Allgäu). Homepage des Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernäh- www.hochgrat-klinik.de/deutsch-hochgratklinik-psychothe- rungsmedizin www.med.tu-muenchen.de/de/ rapie-bayern/essstoerungen.htm gesundheitsversorgung/kliniken/ernaehrungsmedizin/ Die folgende Tabelle zeigt die generelle Einteilung: Klassifikation Untergewicht Normalgewicht Übergewicht Adipositas massive Adipositas M < 20 20 - 25 25 - 30 30 - 40 > 40 w < 19 19 - 24 24 - 30 30 - 40 > 40 Quelle: Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft Psychosomatische Fachklinik Münchwies: Die Klinik ist spezialiBMI-Rechner, alles Klassifikationen und Hinweis auf die DGE siert auf die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen aller www.uni-hohenheim.de/wwwin140/info/ Art. Die Behandlung der Übergewichtigen (ab BMI über 40) interaktives/bmi.htm erfolgt analog zu dem anderer Süchtiger, in der Therapie werden Elemente aus der Suchttherapie angewendet. So müssen Deutsche Adipositas-Gesellschaft (medizinische Fachge- die Patienten zum Beispiel schriftlich ihre Absicht erklären, sellschaft). Sie legt auch die Leitlinien für die Behandlung des das übermäßige Essen einzustellen und Ess-Protokolle füh- Übergewichts fest, zusammen mit der Deutschen Gesellschaft ren, dazu gibt es spezielle Gruppen- und Einzeltherapie für Ernährungsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für www.ahg.de/ahgde.nsf/FRSEINRICHTUNG/Muenchwies? Ernährung und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. opendocument www.adipositas-gesellschaft.de/ 26 27