Fette Gewinne - Das Geschäft mit den Übergewichtigen - Ö1

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Fette Gewinne - Das Geschäft mit den Übergewichtigen - Ö1
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RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
Die Sendung
Die Sendereihe „Der Radiodoktor“ ist seit 1990 das Flaggschiff der
Gesundheitsberichterstattung von Ö1. Jeden Montag von 14.05 bis 14.40 Uhr
werden interessante medizinische Themen in klarer informativer Form
aufgearbeitet und Ö1-Hörerinnen und -Hörer haben die Möglichkeit, telefonisch
Fragen an das hochrangige Expertenteam im Studio zu stellen.
Wir über uns
Seit September 2004 moderieren Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz,
Univ.-Prof. Dr. Karin Gutiérrez-Lobos, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und
Dr. Christoph Leprich die Sendung.
Das Redaktionsteam besteht aus Mag. Felice Drott, Mag. Nora Kirchschlager, Mag.
Xaver Forthuber, Dipl. Ing. Eva Obermüller, Martin Rümmele, Dr. Doris Simhofer,
Dr. Michaela Steiner, Dr. Ronny Tekal und Dr. Christoph Leprich.
Das Service
Seit dem 3. Oktober 1994 gibt es das, die Sendereihe flankierende, Hörerservice,
das auf größtes Interesse gestoßen ist.
Die zu jeder Sendung gestaltete Infomappe mit ausführlichen
Hintergrundinformationen, Buchtipps und Anlaufstellen wird kostenlos zur
Verfügung gestellt und ist bereits am Sendungstag auf der Ö1-Homepage zu
finden. Diese Unterlagen stellen in der Fülle der behandelten Themen ein MedizinLexikon für den Laien dar.
Die Partner
Ermöglicht wird die Radiodoktor-Serviceleiste durch unsere Partner:
die Österreichische Apothekerkammer und das Österreichische Bundesministerium
für Gesundheit.
An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich bei unseren Partnern für die gute
Zusammenarbeit bedanken!
Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit in dieser Infomappe
zumeist auf die weiblichen Endungen, wie z.B. PatientInnen, ÄrztInnen etc. verzichtet haben.
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FETTE GEWINNE –
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Mit Dr. Christoph Leprich
18. Juni 2012, 14.05 Uhr, Ö1
und
Mit Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger
25. Juni 2012, 14.05 Uhr, Ö1
Sendungsgestaltung: Mag. Felice Drott, Martin Rümmele und Dr. Christoph Leprich
Infomappe: Martin Rümmele und Dr. Christoph Leprich
Redaktion: Dr. Christoph Leprich
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INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS
FETTE GEWINNE – STRATEGIEN GEGEN EINE DICKMACHENDE UMWELT
Verdient wird auf jeden Fall
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Übergewichtige werden mehr
Gewichtige Folgen
Gesellschaftliche und medizinische Konsequenzen
Armut macht dick
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Kinderlebensmittel - Energiebomben
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Naschen ist das Gegenteil von gesund
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Werbung wirkt
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Viele Lippenbekenntnisse
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Gesicherte Einnahmen
Gesicherte Zuwachsraten
Gesicherte Gesundheit?
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Bedeutende Umsätze
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Weltweit erfolgreiche Player
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Wirtschaftliche Verflechtungen
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Gesundheitsgremien und Wirtschaft
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Ach wie gut, dass niemand weiss …
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Light oder gar gesundheitsfördernd?!
Klassischer Irrtum
Irreführende Werbung
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INHALTSVERZEICHNIS
Manchmal das Gegenteil von gesund
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Margarine schützt das Herz?
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Pläne für Österreich
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Manches könnte rasch geändert werden
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Übergewicht kann transportiert werden
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Beispiele für alternative Wege
Hoffnungsträger Lebensmittelsensorik?
Sind Lenkungsstrategien sinnvoll?
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Viel gescholtene USA - Vorreiter bei Konsumenteninformation?!
Regionalisierung als Antwort auf die Industrie
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ANLAUFSTELLEN
QUELLEN UND LINKS
BUCHTIPPS
SENDUNGSGÄSTE
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
FETTE GEWINNE – STRATEGIEN GEGEN EINE
DICKMACHENDE UMWELT
Eine Milliarde Menschen weltweit hungern – darunter sehr viele Kinder.
Wenn wir uns in der Folge mit dem Nahrungsüberangebot in Europa beschäftigen
– dann eingedenk dieser Schande.
Zwei Milliarden Menschen haben Übergewicht. Dass diese Zahl ständig steigt,
weiß mittlerweile jede/r. Und dass starkes Übergewicht Folgeerkrankungen nach
sich ziehen kann ebenfalls.
Wenn ein von so vielen Personen, ExpertInnen und Institutionen beklagtes
Problem scheinbar unlösbar erscheint, drängt sich geradezu die Frage auf, ob es
auch Gruppierungen und Interessensvereinigungen gibt, die vom Status Quo
profitieren und Änderungen bremsen. Der fiktive Markt stark übergewichtiger
Menschen in der EU umfasst etwa 50 Millionen Menschen.
Ganze Industriezweige profitieren von der Tatsache, dass die Zahl der
Übergewichtigen stetig zunimmt. Von völlig unverdächtig, wie die Erzeuger von
Fahrrädern mit Elektromotor über Restaurantketten, die mit acht Kilo XXL
Portionen von Hamburgern werben, bis zur nahrungsmittelproduzierenden
Industrie und den Herstellern von Abnehm- und Lightprodukten.
Parallel schreiben Wissenschaftler der Lebensmittelindustrie eine Mitschuld an der
steigenden Zahl übergewichtiger Menschen zu. Im Fachjournal „PLoS Medicine“
fordern sie Mitte Juni 2012, Gesundheitsrisiken der Nahrungsmittel und Getränke
stärker zu prüfen und bekannt zu machen.
Quellen:
Stuckler D, Nestle M (2012) Big Food, Food Systems, and Global Health. PLoS
Med 9(6): e1001242. doi:10.1371/journal.pmed.1001242
Verdient wird auf jeden Fall
Im Kühlregal neben den kalorienreichen „gesunden Kindersnacks für
zwischendurch“ werden immer mehr Light- und Gesundheitsprodukte von der
Lebensmittelindustrie angeboten, um auch am Geschäft mit dem Abnehmen zu
verdienen.
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Die EU hat nicht zuletzt deshalb nach langer Diskussion in der sogenannten
„Health Claims“-Verordnung Regelungen erlassen, unter welchen Bedingungen
Nahrungsmittel mit gesundheitsfördernden Angaben beworben werden dürfen.
Das Europaparlament hat im Mai 2012 einen lange diskutierten Vorschlag der EUKommission gebilligt, wonach nicht belegbare, gesundheitsbezogene
Werbeslogans für Lebensmittel („Gut fürs Immunsystem“ usw.) verboten werden.
Über 44.000 Anträge (!) der Lebensmittelindustrie waren ursprünglich gestellt
worden. Am Ende blieben nur noch 1600 Werbebotschaften bzw. Produkte übrig.
Beworben werden darf künftig nur noch, was wissenschaftlich fundiert ist.
Dennoch macht die Branche fette Gewinne mit dem Abnehmen – der Riese Nestlé
bietet etwa über eigene Zentren in Deutschland und Österreich ein ambulantes
Therapiekonzept zur langfristigen Behandlung von Übergewicht an.
Der Abnehm-Konzern Weight Watchers beziffert im jüngsten Geschäftsbericht den
Markt der „Weight management industry“ allein in den USA auf 61 Milliarden USDollar.
Quelle:
Weight Watchers International
http://www.weightwatchersinternational.com/
ÜBERGEWICHTIGE WERDEN MEHR
Mindestens 25 Prozent der Erwachsenen in Österreich haben einen BMI von etwa
30, sind also stark übergewichtig. Zur Veranschaulichung: Eine 1,67 Meter große
Frau mit BMI 30 wiegt 84 Kilo. Ein Mann mit 1,80 Meter fast 100.
Die Berichterstattung zu Übergewicht verläuft häufig in für die Betroffenen
diskriminierender Form. Thematisiert werden in erster Linie mangelndes
Kontrollvermögen, individuelle Verantwortung oder gar die Schuldfrage. Von
Belastungen für das Gesundheitssystem ist zu lesen und Versicherungen führen
unter dem Schlagwort Gesundheitsanreiz und Eigenverantwortung Bonus-MalusSysteme ein.
Klar ist: Ernährungs- und lebensstilassoziierte Erkrankungen nehmen zu und sind
immer häufiger auch Ursache für Todesfälle. Neben einem erhöhten Blutdruck
sowie Tabak- und Alkoholkonsum sind eben auch erhöhte Blutcholesterinspiegel,
Übergewicht, ein niedriger Obst- und Gemüsekonsum und geringe körperliche
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Aktivität Hauptrisikofaktoren für Erkrankungen und Tod, schrieb die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2005 in einem Bericht.
Schätzungen der WHO zufolge waren in Europa bereits im Jahr 2006 rund 18
Prozent der Krebserkrankungen des Verdauungstraktes, 28 Prozent der
ischämischen Herzerkrankungen und 18 Prozent der Schlaganfälle auf einen zu
geringen Obst- und Gemüseverzehr zurückzuführen.
Im Jahr 2000 waren in Europa bereits 41 Prozent der verlorenen gesunden
Lebensjahre durch Krankheit und Tod auf Beschwerdebilder zurückzuführen, bei
deren Entwicklung die Ernährungsweise eine bedeutende Rolle spielt.
Innerhalb der Gruppe der maßgeblich von Ernährungsfaktoren abhängigen
Erkrankungen rauben vor allem Herz-Kreislauferkrankungen (61 Prozent), Krebs
(32 Prozent) und Diabetes mellitus (fünf Prozent) den Menschen in der EU ihre
Gesundheit (vgl. Bericht zum „Nationalen Aktionsplan Ernährung“ 2012, BMG,
http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Ernaehrung/).
Gewichtige Folgen
Übergewicht und Adipositas sind direkte Folgen eines Ungleichgewichts von
Energiezufuhr und Energieverbrauch. Adipositas ist mit einer erhöhten Morbidität
und Mortalität verbunden und geht mit einer Reihe von Begleiterkrankungen
einher, wie z.B. Stoffwechselstörungen und Bluthochdruck. Bei Adipositas besteht
ein erhöhtes Risiko unter anderem für Diabetes mellitus Typ 2,
Gallenblasenerkrankungen, Atemlosigkeit und Schlafapnoe sowie für
kardiovaskuläre Erkrankungen, Osteoarthritis, Hyperurikämie (erhöhte
Harnsäurekonzentration im Blut) und Gicht.
Adipositas kann auch das Risiko für einige Krebserkrankungen, hormonelle
Störungen, Rückenschmerzen sowie für Komplikationen bei Operationen und
fetale Defekte (bei mütterlicher Adipositas) erhöhen (vgl. WHO/FAO 2003: Diet,
nutrition nad the prevention of chronic diseases; Kiefer et al 2006:
Österreichischer Adipositasbericht).
Gesellschaftliche und medizinische Konsequenzen
Neben der verminderten individuellen Lebensqualität stellen Übergewicht und
Adipositas einschließlich deren Folgeerkrankungen auch eine massive
Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Adipositas ist sowohl mit
erhöhten direkten Kosten (Kosten im Gesundheitssystem z.B. durch
Krankenhausaufenthalte, Medikamente, etc.) als auch indirekten Kosten
verbunden (Ressourcenverlust und Produktivitätsausfälle infolge von Krankheit,
Arbeitsunfähigkeit, Frühpension oder vorzeitiger Tod).
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Schätzungen zufolge machten die direkten Adipositas-assoziierten Kosten 2005 in
Europa bis zu fünf Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben aus (Carter und
Moodie 2005: „The cost-effectiveness of obesity prevention“) - Tendenz stark
steigend.
Umgelegt auf Österreich sind das mehr als 1,5 Milliarden Euro. Nicht eingerechnet
sind Folgeerkrankungen und entsprechende Behandlungen.
Die WHO sprach 2006 bereits von sechs Prozent der Gesundheitskosten in Europa
(vgl. WHO European Ministerial Conference on Counteracting Obesity 2006).
Auch in Österreich hat die Zahl der Übergewichtigen bzw. Adipösen (krankhaft
übergewichtig=BMI liegt über 30) in allen Altersgruppen zugenommen. Nach den
Angaben des Österreichischen Ernährungsberichts waren 2008 rund 30 Prozent
der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig oder adipös, 2012 waren es bereits
40 Prozent- davon zwölf Prozent adipös. Bei den österreichischen Kindern und
Jugendlichen zwischen sechs und 15 Jahren sind zehn Prozent der Mädchen und
zwölf Prozent der Buben übergewichtig, sowie sieben Prozent der Mädchen und
zwölf Prozent der Buben adipös (Vgl. NAP.e 2012, Elmadfa et al 2009, 2012).
Buben bzw. Männer sind in allen Altersgruppen häufiger übergewichtig als
Mädchen oder Frauen.
Armut macht dick
Untersuchungsergebnisse der vergangenen Jahre machen auch einen
Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Adipositas und sozioökonomischen
Faktoren deutlich. Die Adipositasprävalenz ist vor allem in den unteren
Einkommensschichten sowie bei niedrigem Bildungsniveau höher. Dieser
Zusammenhang ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen erkennbar, wobei das
sozioökonomische Gefälle bei Frauen stärker ausgeprägt ist (Statistik Austria
2007, Kiefer et al 2006).
Besonders deutlich zeigt sich die soziale Ungleichheit bei den
Adipositasprävalenzdaten von Jugendlichen. Hauptschüler weisen eine doppelt so
hohe Adipositasprävalenz auf wie Schüler von allgemein bildenden höheren
Schulen. Bei Berufsschülern ist die Prävalenz übergewichtiger bzw. adipöser
Personen mit einem Anteil von 26 Prozent besonders hoch (Elmadfa et al 2009).
Ziel des „Nationalen Aktionsplanes Ernährung“ ist daher eine Umkehr bzw.
zumindest ein Stoppen des auch in Österreich erkennbaren Trends zur Zunahme
von Übergewicht und Adipositas, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen,
sagt Gesundheitsminister Alois Stöger.
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
KINDERLEBENSMITTEL - ENERGIEBOMBEN
Industriell hergestellte Lebensmittel für Kinder zählen zu den energiereichsten
überhaupt, sagt Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak von der Abteilung für Innere
Medizin der Meduni Graz.
Beispiele gefällig?
Werfen wir einen Blick in die Kühlregale der Supermärkte, in denen sich auch
etliche der „gesunden“ Snacks für Kinder befinden. Ein Joghurt mit einem Prozent
Fettanteil hat 80 Kalorien. Die als „gesund“ beworbenen Pendants etwa 120 und
die als gesunde Mahlzeit für zwischendurch beworbenen Milchschnitten, Snacks
etc. haben alle an die 200 Kalorien (pro 100 Gramm wohlgemerkt!) oder mehr, so
Hermann Toplak.
Ein Rechenbeispiel: Ein sechsjähriger Bub, der sich noch dazu wenig bewegt,
benötigt täglich etwa 1.500 Kalorien. Nun isst er vormittags einen Kindersnack,
zwischendurch eine Tafel Schokolade und trinkt am Nachmittag einen Liter
Multivitaminsaft. Macht weit über 1.000 Kalorien - ohne Frühstück, Mittag- oder
Abendessen.
Wer hat nochmal die Frage gestellt, warum die Kinder in der westlichen Welt
immer dicker werden?
Quelle:
Interview mit Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak
NASCHEN IST DAS GEGENTEIL VON GESUND
Die Tatsache, dass die industriell hergestellten Süßigkeiten für Kinder derart
energiedicht und noch dazu leicht verfügbar sind, birgt zwei Risiken: Übergewicht
und die Entwicklung von suchtähnlichem Verhalten.
Denn in Expertenkreisen steht außer Frage, dass es bei Kindern, die von klein auf
große Mengen Süßigkeiten naschen, zu Veränderungen im Gehirnstoffwechsel
kommen kann. Das bedeutet: Zuckerreiche Nahrungsmittel können
Gewöhnungseffekte auslösen. Immerhin regt Zuckerkonsum die SerotoninProduktion an und aktiviert das Dopamin-System im Gehirn - und dieses ist für
die Belohnungseffekte und damit auch für die Suchtentstehung zuständig.
Natürlich rufen Süßigkeiten nicht bei allen Menschen Glücksgefühle hervor - aber
eben bei sehr vielen.
Die Industrie wolle Kinder so früh wie möglich auf ungesundes Junkfood
programmieren, glaubt die deutsche Verbraucherschutzorganisation „foodwatch“.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Dafür gäbe es einen logischen Grund: Mit Obst und Gemüse lässt sich nur wenig
Profit machen – mit Junkfood und Softdrinks schon mehr. Es lohnt sich ganz
einfach nicht, gesunde Produkte „ans Kind zu bringen“.
Während die Hersteller mit Obst und Gemüse Gewinnspannen von weniger als
fünf Prozent erzielen, erreichen sie bei Süßwaren, Softdrinks und Snacks Gewinne
von 15 Prozent des Umsatzes und mehr – anders formuliert: bei einem Preis von
zehn Euro bleiben 1,5 Euro Gewinn, bei Obst und Gemüse sind es nur 50 Cent,
also nur ein Drittel. „Entgegen dem von vielen Unternehmen formulierten
Anspruch, einen Beitrag zur ausgewogenen Ernährung von Kindern zu leisten,
haben sie betriebswirtschaftlich größtes Interesse daran, möglichst viele
unausgewogene Produkte zu verkaufen“, sagt „foodwatch“.
Doch das ist nicht das einzige Problem. Denn die dick- und krankmachenden
Produkte sind auch noch überall verfügbar, kritisiert der deutsche
Ernährungsexperte und Buchautor Dr. Hans-Ulrich Grimm. Er sieht vor allem
Kinder bereits einer „giftigen, weil zuckerhaltigen“ Umwelt ausgesetzt, in der
überall Automaten aufgestellt sind, die zucker- und fetthaltige Naschereien
enthalten.
Quelle:
Nationaler Aktionsplan Ernährung 2012
www.bmgf.gv.at
Interview mit Dr. Hans-Ulrich Grimm
WERBUNG WIRKT
Untersuchungen aus Deutschland haben ergeben, dass fast 20 Prozent des
Werbeetats der Lebensmittelindustrie für die Bewerbung von zumeist süßen
Kinderlebensmitteln aufgewendet werden. Und Kinder sind natürlich auch eine
lukrative Zielgruppe, so die „foodwatch“-Untersuchung „Kinderlebensmittel –
bunt, bunter, zu bunt“ weiter. Sie sind für Werbebotschaften gut empfänglich und
etwa 60 Prozent geben den Großteil ihres Taschengelds für Süßigkeiten aus.
Die Verbraucherorganisation „foodwatch“ kritisierte im März 2012, dass die
Lebensmittelindustrie keinen Beitrag zur ausgewogenen Ernährung von Kindern
leistet, sondern „massiv zur grassierenden Fehlernährung beiträgt“. In einer
Untersuchung hat die Organisation 1.514 Kinderlebensmittel unter die Lupe
genommen und mit den Kategorien der von Experten empfohlenen
Ernährungspyramide bewertet.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Das Ergebnis: Fast drei Viertel der Produkte (73,3 Prozent) fallen in die „rote“
Kategorie an der Spitze der Pyramide. Es handelt sich um süße und fette Snacks,
die nach den Empfehlungen des deutschen Gesundheitsministeriums nur
„sparsam“ verzehrt werden sollten. Gerade einmal 12,4 Prozent der Produkte
können der grünen Kategorie an der Basis der Pyramide zugeordnet werden –
solche Lebensmittel sollten Kinder eigentlich „reichlich“ verzehren.
Fazit von „foodwatch“: „Mit dem industriellen Angebot an Kinderlebensmitteln ist
eine ausgewogene Ernährung praktisch unmöglich, denn es besteht fast
ausschließlich aus Süßigkeiten und ungesunden Snacks.“
Die Hersteller würden die Ernährungspyramide auf den Kopf stellen: „Ihre
Produktpalette im Kinder-Segment entspricht ziemlich genau dem Gegenteil der
ernährungsphysiologischen Empfehlungen“, schreibt „foodwatch“ in einer
Presseaussendung.
Quelle:
„Abgespeist – Denn Etiketten lügen wie gedruckt“
http://www.abgespeist.de/der_goldene_windbeutel_2012/das_ergebnis/index_ger.h
tml
VIELE LIPPENBEKENNTNISSE
In Deutschland hat etwa in diesem Jahr die Firma Hipp angekündigt, ihre für
Kleinkinder ab 12 Monaten beworbenen Instant-Tees auf Zuckergranulat-Basis bis
Ende des Jahres vom Markt zu nehmen und durch Produkte ohne Zuckerzusatz zu
ersetzen. Grund dafür war heftige Kritik der Organisation „foodwatch“, die dem
Unternehmen vorwarf, Tees für Kleinkinder zu empfehlen und zu bewerben,
obwohl diese einen Zuckergehalt von umgerechnet zweieinhalb Stück
Würfelzucker pro fertiger 200-Milliliter-Tasse haben. Das passe nicht zum
selbstformulierten Anspruch von Hipp, „kindgerechte“ und „gesunde“ Produkte
anzubieten. Die gängigen Ernährungsempfehlungen würden vorsehen, so kleinen
Kindern ungesüßte Getränke zu geben“, so „foodwatch“.
Quelle:
foodwatch – die essensretter
http://www.foodwatch.de/
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
GESICHERTE EINNAHMEN
Rund 44 Milliarden Euro werden in Deutschland pro Jahr für die Behandlung von
Diabetes ausgegeben. Und dass diese Stoffwechselerkrankung mit
hyperkalorischer Ernährung zu tun hat, bestreitet niemand.
Nicht mitgerechnet sind dabei jene Kosten, die durch Folgeerkrankungen des
Übergewichts entstehen, wie Herz-Kreislauferkrankungen, Schlaganfall und
anderes, rechnet der deutsche Buchautor Hans-Ulrich Grimm vor. Umgerechnet auf
Österreich wären das rund 4,4 Milliarden Euro – bei Gesamtausgaben im
Gesundheitswesen von zuletzt 29,8 Milliarden Euro.
Gesicherte Zuwachsraten
Nahezu alle großen Hersteller von Medikamenten setzen auf den Bereich Diabetes
und erwarten hier kräftige Zuwachsraten durch den Verkauf ihrer Produkte. Die
Österreich-Tochter des französischen Pharmakonzern Sanofi ist etwa Sponsor der
„Diabetes Initiative Österreich“. Diese vereint nach eigenen Angaben „führende
Akteure der österreichischen Diabeteslandschaft unter einem Dach.“ Mit Hilfe von
Trägern aus der Privatwirtschaft und Unterstützern aus dem öffentlichen Sektor
soll eine größtmögliche Breitenwirkung erzielt, Bewusstsein für die Volkskrankheit
Diabetes geschaffen und Diabetes-Prävention in den Mittelpunkt öffentlicher
Wahrnehmung gerückt werden. Weitere Sponsoren sind u.a. die
Pharmaunternehmen MSD, Boehringer Ingelheim, Eli Lilly und Novo Nordisk.
In jedem Fall gilt Diabetes für die Pharmaindustrie als der am stärksten
wachsende Markt. Laut einer US-Studie werden die Behandlungsausgaben
weltweit von 376 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 auf 490 Milliarden Dollar im
Jahr 2030 steigen.
„Hoffnungsmärkte“ der Branche sind übrigens Indien und China – ausgerechnet
jene Märkte, die auch die Hoffnungsträger der Lebensmittelindustrie u.a. für
Süßwaren sind. Die rapide Zunahme von Zivilisationserkrankungen in den
Schwellenländern wird der größte Wachstumstreiber der Pharmabranche in den
kommenden Jahren, sagte im Sommer 2012 ein Analyst des Pharmateams bei der
Ratingagentur Standard & Poor‘s in Europa. Der steigende Wohlstand in den
sogenannten Emerging Markets wie China oder Indien gehe mit einer Zunahme
von Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder auch Krebs einher. China
gilt bereits heute als größter Markt für Diabetes und zweitgrößter Markt für
Krebserkrankungen. Jährlich erkrankten 2,2 Millionen Patienten neu an Krebs, bis
2030 könnte die Zahl der Diabetes-Kranken von 92 auf 130 Millionen steigen.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Gesicherte Gesundheit?
Der Schweizer Lebensmittelriese Nestlé erschließt derzeit ein neues
Produktsegment: Der Konzern will künftig massiv in neue Lebensmittel zur
Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten investieren. Das Unternehmen zeigt
sich optimistisch, mit der „Pharmanahrung“ Krankheiten wie Fettleibigkeit,
Diabetes, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Alzheimer vorzubeugen und sie auch
heilen zu können. Die Ziele sind hochgesteckt: Nestlé will mit der Produktschiene
die „nicht tragfähigen“ Gesundheitssysteme entlasten. So betonte der Konzern,
dass er Pionier einer „neuen Industrie zwischen Nahrung und Pharma“ werden
wolle.
Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft ist nicht klar, ob es sich dabei um ein
Geschenk an die Menschheit oder um eine gefährliche Drohung handelt. Denn nur
bei wenigen in Frage kommenden Inhaltsstoffen ist völlig klar, wie sie auf die
verzweigten Funktionskreisläufe im Organismus wirken.
Quelle:
„Entlastung der Gesundheitssysteme“ – Artikel auf news.orf.at
http://www.orf.at/stories/2016936/
BEDEUTENDE UMSÄTZE
Amerikanische Wissenschaftler fordern Mitte Juni 2012 im Fachjournal „PLoS
Medicine“, Gesundheitsrisiken der Nahrungsmittel und Getränke stärker zu prüfen
und bekannt zu machen. „Essen ist lebensnotwendig und spielt eine zentrale
Rolle für Gesundheit und Krankheit. Dennoch kontrollieren die großen
multinationalen Lebensmittelunternehmen, was Menschen weltweit essen“, heißt
es in einem der „PLoS“-Artikel.
In den USA kontrollieren demnach die zehn größten Lebensmittelhersteller mehr
als die Hälfte der Nahrungsmittelverkäufe. Weltweit seien es 15 Prozent, Tendenz
steigend.
Die Lebensmittelindustrie ist insgesamt ein bedeutsamer Wirtschaftszweig. Der
Gesamtumsatz der deutschen Ernährungsindustrie lag 2010 laut Angaben der
Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungswirtschaft bei fast 150 Milliarden
Euro. Am meisten Umsatz macht der Industriezweig mit der Herstellung von
Fleisch- und Milchprodukten sowie Süßwaren.
Der Umsatz der Süßwarenindustrie lag in Deutschland zuletzt bei rund 13,3
Milliarden Euro. Dieser Industriezweig erwirtschaftet damit einen Anteil von rund
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
zehn Prozent des gesamten Ernährungsgewerbes. Zum Vergleich: Der Umsatz mit
Bio-Lebensmitteln in Deutschland lag 2010 bei rund sechs Milliarden Euro.
Quelle:
Interview mit Dr. Hans-Ulrich Grimm
WELTWEIT ERFOLGREICHE PLAYER
Der nach Umsatz größte Lebensmittelkonzern der Welt war 2009 Nestlé mit einem
Umsatz von 28 Milliarden US-Dollar. Dahinter folgten Tyson Foods Inc. mit knapp
26 Milliarden und Kraft Foods mit gut 23,5 Milliarden US-Dollar Umsatz.
Für den Buchautor Hans-Ulrich Grimm hat die Industrie ein vitales Interesse daran,
dass die Menschen weiter möglichst viel konsumieren und essen.
Die Entstehung von Übergewicht liege nicht nur am individuellen
Ernährungsverhalten der Menschen, sondern an der Nahrung selbst. Übergewicht
entsteht im Kopf - denn im Gehirn wird die Nahrungsaufnahme durch Hormone
und Botenstoffe gesteuert. Chemikalien im Essen können die Gewichtssteuerung
stören und so als Dickmacher wirken. Im Verdacht stehen Aromen und
Geschmacksverstärker, aber auch Giftrückstände sowie hormonartige Substanzen
aus Verpackungen. Sie können falsche Signale an das Gehirn senden, unser
Hungergefühl manipulieren und uns zum Kühlschrank treiben.
Hans-Ulrich Grimm meint etwa, dass der Zusatzstoff Glutamat negativen Einfluss
auf den Menschen und sein Ernährungsverhalten haben kann.
Studien belegen demnach, dass Menschen durch Glutamat dazu gebracht werden,
mehr zu essen, als sie eigentlich müssten und sollten.
Forscher bezeichnen dies als den Masteffekt. Bestimmte Proteine und eben
Glutamat seien der Grund, warum übergewichtige Kinder und auch Erwachsene
ständig hungrig sind und ihr Sättigungsgefühl nicht mehr richtig einschätzen
können.
Quellen:
Weight Watchers International
http://www.weightwatchersinternational.com/
Interview mit Hans-Ulrich Grimm
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
WIRTSCHAFTLICHE VERFLECHTUNGEN
Am 23. April 2012 gab der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Nestlé bekannt, für
fast neun Milliarden Euro die Babynahrungssparte des US-Pharmakonzerns Pfizer
zu übernehmen. Für Nestle sei dies eine „strategische Ergänzung“ des rasch
wachsenden Geschäfts mit Säuglingsnahrung, teilte der Schweizer Konzern mit.
Nestlé rechnet mit zweistelligen Wachstumsraten im zugekauften Marktsegment.
Der Kaufpreis betrug immerhin das 20fache des Jahresgewinns des zugekauften
Bereiches. Davor hatte es einen wochenlangen Bieterstreit gegeben, weil neben
Nestlé auch der französische Lebensmittelkonzern Danone das attraktive Geschäft
machen wollte. Er schloss sich dafür sogar mit seinem US-Rivalen Mead Johnson
zusammen.
Pfizer erzielt im Babynahrungsgeschäft 60 Prozent der Umsätze in Asien.
Insbesondere das China-Geschäft ist interessant: Der schnell wachsende
chinesische Markt für Babynahrung ist dank jährlich rund 16 Millionen
Neugeborenen derzeit sechs Mrd. Dollar schwer und soll sich bis 2016
verdoppeln. Mit Pfizer Nutrition erhält Nestlé Marken wie S-26 Gold, SMA und
Promil.
Bei der Präsentation der Jahresbilanz teilte der Schweizer Konzern übrigens mit,
dass man das Wachstum vor allem der steigenden Kaufkraft und Nachfrage in
Schwellenländern nach Artikeln wie Schokolade, Backwaren, Speiseeis, aber auch
Haustierfutter, Wasser und eben Säuglingsnahrung verdanke.
Danone kam diesmal also zu kurz, konnte aber bereits im Jahr 2008 am
asiatischen Markt punkten: Danone Asia gründete ein Joint Venture-Unternehmen
zusammen mit Weight Watchers Asia.
Der Abnehmkonzern wurde übrigens 1978 vom US-Unternehmen H. J. Heinz
Company („Heinz“) - bekannt durch seine Ketchup-Produkte - gegründet. Der
aktuelle Vorstandvorsitzende von Weight Watchers International David P.
Kirchhoff war vor seinem Wechsel zum Abnehmkonzern übrigens Strategie- und
Entwicklungschef beim Getränkeriesen PepsiCo.
2011 gaben die Konsumenten laut Geschäftsbericht übrigens rund fünf Milliarden
US-Dollar für spezielle Weight Watchers-Produkte und Services aus.
Quelle:
Weight Watchers International
http://www.weightwatchersinternational.com/
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
GESUNDHEITSGREMIEN UND WIRTSCHAFT
Dass dem Treiben der Industrie keine Grenzen gesetzt werden, hat für den
Buchautor Hans-Ulrich Grimm die Ursache in einer engen Verflechtung von
Industrie und Regierungen. Dies erläutert er am Beispiel regulativer Behörden, wo
die Industrie längst mit am Tisch sitzt.
Die Empfehlungen des Codex Alimentarius etwa werden weltweit als Standard
betrachtet und stellen häufig die Basis für die jeweiligen staatlichen
Gesetzestexte, beziehungsweise für das international gültige Lebensmittelrecht
dar, das alle Regelungen aufeinander abstimmt. Alle Staaten der EU sind Mitglied
im Codex Alimentarius. 2003 trat auch noch die Europäische Union selbst als
Mitglied dieser Kommission bei.
Laut Grimm sitzen dort Vertreter von Regierungen und Lebensmittelindustrie
gemeinsam am Tisch, von Zuckerkonzernen über Glutamat- und Aromenhersteller
bis zu den großen Lebensmittelherstellern.
Österreich zum Beispiel entsende einen Regierungsvertreter und einen Vertreter
des Getränkeherstellers Red Bull.
Bei Fragen z.B. des Zuckergehalts in Nahrungsmitteln oder Energydrinks, beim
konfliktträchtigen Thema verständliche Beschriftung von Lebensmitteln hat also
ein Interessensvertreter der Lebensmittelindustrie beratende Funktion für die
österreichische Kommission des Codex Alimentarius.
Quelle: Interview mit Hans-Ulrich Grimm
ACH WIE GUT, DASS NIEMAND WEISS …
In diesem Lichte erscheint das Dauerstreitthema „Konsumentenfreundliche
Beschriftung von Nahrungsmitteln“ nochmal pikanter.
Erst vergangenes Jahr hat die EU Kommission eine neue Verordnung erlassen, die
es allen Menschen in der EU erleichtern sollte, zu wissen, was sie tatsächlich
essen. Doch auch damals setzte sich in der beratenden Plattform die Industrie
durch.
Einfache und verständliche Botschaften wie ein Ampelsystem (rot ist sehr süß,
gelb ist mittelsüß und grün gar nicht süß) oder Texte wie „diese Tafel Schokolade
hat 500 Kalorien“ wurden verhindert.
Künftig können die Nährwert-Tabellen auf den Verpackungen sogar noch
unübersichtlicher werden. Denn je nach Wunsch des Produzenten basieren die
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
17
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Energieangaben der Lebensmittel entweder auf einem angenommenen täglichen
Bedarf eines erwachsenen Menschen. Oder auf von der Industrie festgelegten
Portionsgrößen oder auf den besser vergleichbaren 100 Gramm.
Selbst Vertreter der Lebensmittelindustrie räumen ein, dass die Konsumenten
angesichts der Vielfalt der Angebote und Informationen überfordert sind.
Allerdings würden sich die wenigsten auch mit dem Thema ausführlich
beschäftigen, sagt Dr. Michael Blass, Sprecher der Nahrungs- und
Genussmittelindustrie in der Wirtschaftskammer Österreich. Dabei habe die
Industrie selbst durchaus ein Interesse an einem informierten Konsumenten.
Gleichzeitig zeige sich aber auch, dass die Informationen auf den Packungen
kaum Auswirkungen auf das Kaufverhalten hätten, so Blass. Die Wiederkaufsraten
bei Lebensmitteln lägen bei 80 Prozent. Selbst wenn die Konsumenten also direkt
beim Kauf selbst wenig Zeit zum Lesen hätten, würden sie dennoch nach dem
Konsum meist zum gleichen Produkt greifen.
Blass fordert zur Information der Konsumenten Änderungen in den Lehrplänen der
Schulen, also mehr Ernährungs- und Lebensmittelkunde. „Essgewohnheiten sind
kulturelle Techniken, die wir lange nicht mehr gepflegt haben. Das gibt es
maximal beim Wein“, adressiert er an Politiker und Konsumenten.
Amerikanische Wissenschaftler analysieren für das Fachjournal „PLoS Medicine“
auch Programme, die Getränkehersteller gestartet haben. Diese würden den
Kampagnen der Tabakindustrie ähneln, so der Vorwurf, und zielten zu sehr auf
die Eigenverantwortung der Verbraucher ab. Dazu gehöre etwa die Kampagne
„Live Positively“ von Coca-Cola in den USA. Durch die Angaben von Kalorien solle
es für die Verbraucher leichter sein, „Entscheidungen zu treffen, und ein
gesundes, aktives Leben zu führen“ - Zitat Coca-Cola.
Die Autoren kritisieren aber, dass das Unternehmen so von seiner Verantwortung
ablenke, die es durch die Vermarktung der zuckerhaltigen Getränke habe.
Quellen:
Interview mit Dr. Michael Blass
Stuckler D, Nestle M (2012) Big Food, Food Systems, and Global Health. PLoS
Med 9(6): e1001242. doi:10.1371/journal.pmed.1001242
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
18
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
LIGHT ODER GAR GESUNDHEITSFÖRDERND?!
Ein neuer Wirtschaftszweig der Lebensmittelindustrie mit Milliardengewinnen sind
die so genannten Light-Produkte und Nahrungsmittel, die einen Mehrwert für die
Gesundheit haben sollen.
Um hier alle Zusammenhänge zu verstehen, wäre ein abgeschlossenes Studium
der Ernährungswissenschaften hilfreich. Immerhin geht es um Fragen wie: Welches
Produkt ist zuckerreduziert, enthält aber viel Fett? Oder: In welchem Softdrink ist
die in Verruf geratene Fruktose in welchem Ausmaß vorhanden? Oder welche
Phytosterine sind in welcher Konzentration nochmal gut für mein Herz?
Klassischer Irrtum
Laut dem Umweltmediziner Hans Peter Hutter vom Hygiene Institut der
Medizinischen Universität Wien, würden Light-Produkte zu einem erheblichen
Anteil von jungen Frauen konsumiert, die auf diese Weise versuchen abzunehmen.
Gerade diese Tatsache, so Hans Peter Hutter weiter, zeige, welche
Fehleinschätzungen und Irrtümer die Diskussion ums Übergewicht teilweise
prägen. Denn Personen, die ein paar Kilos mehr auf den Rippen haben, können
sich im Vergleich zu sehr dünnen und sehr dicken Menschen über eine höhere
Lebenserwartung freuen. Dies ist statistisch hieb- und stichfest belegt.
Irreführende Werbung
Glauben Sie daran, dass Sie auf ausreichend Bewegung verzichten können, wenn
Sie sich nur von Light-Produkten ernähren? Das ist jedenfalls eine der wichtigsten
Botschaften der Diät-Lebensmittel-Industrie. Folgende Werbesequenz: Junge Frau
im Sportdress sagt irgendwas über sich „Fit halten“ und statt tatsächlich laufen
zu gehen, begibt sie sich zum Kühlschrank, um zum fettreduzierten Joghurt oder
zum kalorienreduzierten Softdrink zu greifen. Alles klar?! Die Botschaft ist simpel:
Kaufen Sie unser Produkt – das hält Sie schlank, ohne dass Sie auch nur einen
Schweißtropfen vergießen müssen.
MANCHMAL DAS GEGENTEIL VON GESUND
Dafür ist die Sache mit dem Fruchtzucker eines der eindringlichsten Beispiele.
Fruchtzucker, also Fruktose, wurde über Jahrzehnte in fast allen Diät- und LightProdukten verwendet, um den vermeintlich „bösen“ Haushaltszucker, die Glukose,
zu ersetzen. Dies hat sich als folgenschwerer Fehler erwiesen.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
19
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Fruchtzucker im Obst ist natürlich kein Problem, es sei denn, jemand isst zehn
Kilo Bananen täglich. Diätprodukte weisen allerdings meist sehr hohe
Fruchtzuckerkonzentrationen auf.
Laut dem Stoffwechselexperten Hermann Toplak von der Medizinischen
Universität Graz ist schon längere Zeit klar, dass hohe
Fruchtzuckerkonzentrationen zur entzündlichen Veränderungen an der Leber und
zur Ablagerung von Fettdepots im Organbereich, vor allem im Bauchraum führen.
Ein hoher Fruktoseteil in der Nahrung führt also zu Übergewicht und stellt ein
Risiko für Herzkreislauferkrankungen dar. Wenn Sie sich für dieses Thema
interessieren – wir haben explizit dazu 2009 eine Sendung gestaltet, alle
Unterlagen finden Sie im Internet unter
http://oe1.orf.at/static/pdf/Krank_durch_gesunde_Ern__hrung-2009.pdf.
MARGARINE SCHÜTZT DAS HERZ?
Der jüngste Hoffnungsträger, mit dem wiederum Margarineprodukte angereichert
werden, sind sogenannte Phytosterine. Diese Substanzen sollen eine
herzschützende Wirkung haben, indem sie den Cholesterinspiegel im Blut
beeinflussen. Allerdings dürfte dieses Konzept nicht völlig ausgereift sein und
auch die möglichen Nebenwirkungen sind nicht geklärt.
Der Journalist Hans Ulrich Grimm und die deutsche Verbraucherschutzorganisation
„foodwatch“ werfen dem herstellenden Konzern Unilever vor, den beworbenen
gesundheitlichen Nutzen von Becel pro.activ nicht belegen zu können: Es sei
ungeklärt, ob ein durch Pflanzensterine (Phytosterine) gesenkter
Cholesterinspiegel auch zu weniger Herzkrankheiten führt. „Es mehren sich sogar
die wissenschaftlichen Hinweise, dass Pflanzensterine selber Herzkrankheiten
verursachen könnten“, kritisiert Grimm.
Der Konsument habe selbst weder Zugang zu entsprechenden Studien noch
ausreichender Information. Der „mündige Verbraucher“, auf den oft gesetzt
werde, sei durch die Werbung der Hersteller beeinflusst, und damit nicht mündig.
Quelle:
foodwatch – die essensretter
http://foodwatch.de
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
20
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
PLÄNE FÜR ÖSTERREICH
Ziel des „Nationalen Aktionsplanes Ernährung“ ist eine Umkehr bzw. zumindest
ein Stoppen des auch in Österreich erkennbaren Trends zur Zunahme von
Übergewicht und Adipositas bis 2020 - insbesondere bei Kindern und
Jugendlichen, sagt Gesundheitsminister Alois Stöger.
Maßnahmen sind derzeit: Das Kooperationsprojekt „Richtig essen von Anfang an“
– Zielgruppe sind Schwangere, Stillende, Neugeborene und Kleinkinder, ebenso
wie die für diese Personengruppen relevanten Multiplikator/innen und
Bezugspersonen. Eine Teilinitiative daraus, die qualitätsgesicherte
Ernährungsberatung in der Schwangerschaft, die als Pilotprojekt bereits in einigen
Regionen umgesetzt wird, wird mithilfe der Vorsorgemittel der
Bundesgesundheitsagentur flächendeckend ausgerollt und begleitend evaluiert.
Ein wichtiger Schwerpunkt des NAP.e 2012 ist die Schulverpflegung. Seit
September 2011 liegen mit der „Leitlinie Schulbuffet“ national aufeinander
abgestimmte und präzisierte Empfehlungen für das Speisen- und Getränkeangebot
an Schulbuffets vor. Die Leitlinie wird vom Gesundheitsministerium
herausgegeben und richtet sich an Betreiber von Schulbuffets. Sie wurde unter
Einbindung von Experten erarbeitet. Die Leitlinie stellt einen (freiwilligen)
nationalen Mindeststandard dar. Eine breite Umsetzung der Leitlinie soll durch
eine intensive Unterstützung von Schulbuffetbetreibern bei der Umstellung auf ein
gesundheitsförderliches Speisen- und Getränkeangebot erreicht werden.
Von den Gebietskrankenkassen werden österreichweit zudem Workshops für
Schwangere angeboten (in Kärnten, Salzburg, Steiermark und Tirol in Kooperation
mit den Ländern/Gesundheitsfonds). Sie basieren auf einem einheitlichen Konzept
(www.richtigessenvonanfangan.at). Wien, Oberösterreich und Tirol setzen
Maßnahmen zur Optimierung der Gemeinschaftsverpflegung in Kindergärten,
flankiert von verhaltenspräventiven Maßnahmen und der Schulung der
Kindergartenpädagogen. Das Burgenland setzt im Bereich Kindergarten primär auf
Verhaltensprävention. Steiermark und Niederösterreich streben über Kindergärten
hinaus eine Optimierung der Gemeinschaftsverpflegung auch in anderen Settings
an. Vorarlberg widmet sich dem Setting Schulen.
Quelle:
Foodwatch-Report: „Kinder kaufen“
http://foodwatch.de/kampagnen__themen/kinderernaehrung/report_kinder_kaufen/i
ndex_ger.html
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
MANCHES KÖNNTE RASCH GEÄNDERT WERDEN
Für Hermann Toplak, Internisten und Stoffwechselexperte an der Meduni Graz,
wäre eine Rezeptur für gesündere Lebensmittel gar nicht so schwierig. Die
Senkung der Kalorienzahl und der Fettmenge der industriell hergestellten
Nahrungsmittel wäre ein Anfang. Der Staat müsste Bewegung in jeder Form
unterstützen und gerade in Österreich sei die Situation theoretisch rasch
verhandelbar: Da sich der Lebensmittelhandel in der Hand weniger Firmen
befinde, könnte man mit diesen rasch über weniger energiedichte Produkte
verhandeln und die Industrie würde dann wohl nachziehen.
Wie freiwillige Beschränkungen aussehen, präsentierten Gesundheitsminister
Stöger sowie Vertreter von Bäckereien und Backwirtschaft vor einem Jahr mit der
gemeinsamen Kampagne „Weniger Salz ist g’sünder“. Mit einer Reduktion der
Salzzugabe bei Brot und Gebäck wollen die Bäcker einen wesentlichen Beitrag zur
Verringerung des überhöhten Salzkonsums in Österreich leisten und somit die
Vermeidung von Herz-Kreislaufkrankheiten unterstützen.
Ende Mai 2012 hat Stöger zudem nach langen Diskussionen „RahmenGesundheitsziele“ fixiert und präsentiert, die von einem 30-köpfigen Fachgremium
erarbeitet wurden und nun 20 Jahre lang die Handlungsschwerpunkte prägen
sollen. Die Österreicher sollen dadurch zwei Jahre länger gesund leben können,
und zwar unabhängig von Einkommen, Bildungsstatus oder Lebensumständen.
Angepeilt werden gesundheitsförderliche Lebens- und Arbeitsbedingungen,
Chancengerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt, eine stärkere
Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, die Sicherung natürlicher
Lebensgrundlagen, ein gesundes Aufwachsen, leicht zugängliche gesunde
Ernährung und Bewegung sowie die Förderung der psychosozialen Gesundheit. Es
gehe darum, ein gesundheitsförderliches Klima und entsprechende
Rahmenbedingungen zu schaffen, sagt Stöger.
Quellen:
Interview mit Bundesminister Alois Stöger
www.bmgf.gv.at
Interview mit Hermann Toplak
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
22
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
ÜBERGEWICHT KANN TRANSPORTIERT WERDEN
Die Entwicklung, dass immer mehr Menschen zu viele Kilos rumschleppen, ist
längst eine globale, die gerade in Staaten, die sich lange dagegen abschotten
konnten, nun voll durchschlägt. Dies zeigt für den Journalisten Hans-Ulrich Grimm,
wie das System der Menschenmästung funktioniert. Im Südseekönigreich Tonga
etwa seien die Haupttodesarten heute Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes,
Schlaganfall und Krebs. „Diese Krankheiten haben parallel zu den Importen der
Nahrungsmittelindustrie zugenommen.“ Davor hätte es diese Krankheiten nicht
gegeben. Grimm spricht von einer „Coca-Kolonialisierung der Welt.“
Das bestätigte im Sommer 2012 auch eine Studie: Diabetes und Herz-KreislaufErkrankungen sind demnach kein ausschließliches Reiche-Länder-Phänomen mehr.
Nach und nach werden sie auch in Entwicklungs- und Schwellenländern zu
Volkskrankheiten. Führte man das bisher auf den steigenden Wohlstand in
Ländern wie Mexiko und Indien zurück, haben Forscher aus Großbritannien, Indien
und den USA im Fachmagazin „PLoS Medicine“ nun die großen
Lebensmittelkonzerne als Hauptverantwortliche ausgemacht.
Freihandelsabkommen und liberalisierte Wirtschaftssysteme würden Nestle, Kraft
und Co. zusätzlich den Markteintritt erleichtern. Der Konsum von gesüßten
Erfrischungsgetränken und verarbeiteten Lebensmitteln nehme in solchen Staaten
rapide zu.
Quelle:
Interview mit Hans-Ulrich Grimm
BEISPIELE FÜR ALTERNATIVE WEGE
Hoffnungsträger Lebensmittelsensorik?
Am Institut für Lebensmittelwissenschaften der Universität für Bodenkultur in
Wien werden Forschungen betrieben, die in Zukunft unser Essverhalten
beeinflussen könnten. Essen ist ja immer mit Gefühlen gekoppelt – von Lust, über
Hunger bis zur Aversion.
Wenn also bis ins Detail klar wäre, wie wir Lebensmittel wahrnehmen, welche
Aspekte unserer Lieblingsspeisen uns zur Völlerei verführen können, dann wäre es
ja vielleicht auch möglich, diese Erkenntnisse lebensmitteltechnologisch zu
Gunsten der Menschen einzusetzen.
Stellen Sie sich vor, Sie beißen in ein Vollkornsandwich mit nur 100 Kalorien mit
derselben Lust wie in einen Hamburger oder ein Schnitzelsemmel.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
23
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Sind Lenkungsstrategien sinnvoll?
Im Sommer 2012 forderte die UNO die globale Einführung von Sondersteuern auf
Chips, Softdrinks und Junkfood als Strategie gegen die immer weiter verbreiteten
Zivilisationskrankheiten. In einigen Ländern gibt es parallel konkrete
Bestrebungen, Steuern auf ungesunde Lebensmittel einzuführen. Seit 2011 gibt es
eine Fettsteuer in Dänemark auf verschiedene Lebensmittel und in Ungarn eine
„Chipssteuer“, die auf besonders salzige und süße Lebensmittel zielt.
In Frankreich gibt es eine Steuer auf gezuckerte Getränke, auch Peru, Irland und
andere Staaten denken über ähnliche Abgaben nach.
Um die leeren Staatskassen aufzufüllen, will die italienische Regierung eine Steuer
für Spirituosen und Junk Food einführen. Die mit der Steuer eingetriebene Summe
soll zur Finanzierung neuer Krankenhäuser dienen, berichtet die römische
Tageszeitung „La Repubblica“.
Für Dr. Michael Blass, Fachverbandsgeschäftsführer in der Wirtschaftskammer der
Nahrungs- und Genussmittelindustrie, sind derartige Steuern lediglich aufgrund
des Diktats der leeren Kassen entstanden. Damit sie wirken, müssten die Steuern
sehr hoch sein. Das bestätigt auch eine Studie aus dem „British Medical Journal“.
Wenn man Junkfood, Softdrinks und Co. so besteuern will, dass es sich
tatsächlich positiv auf die Gesundheit auswirkt, dann müssten es schon 20
Prozent sein.
Denn erst ab 20 Prozent Verteuerung eines energiedichten Lebensmittels ist mit
einem Rückgang der täglichen Kalorienzufuhr von zwischen 30 und 200 Kilojoule
pro Person zu rechnen, berichten die Forscher.
Idealerweise würden diese Steuern kombiniert mit Förderungen für gesunde
Lebensmittel wie Obst und Gemüse, schreiben Oliver Mytton und Kollegen von
der British Heart Foundation.
Die Herausgeber von „PLoS Medicine“ schlagen indes vor, dass sich gesetzliche
Initiativen erstens gegen Werbemaßnahmen speziell für Kinder richten und
zweitens auf bessere Ernährungsrichtlinien für Schulmahlzeiten abzielen sollten.
Drittens sollten Steuern auf zuckerhaltige Getränke eingeführt werden.
Coca-Cola teilte übrigens mit, dass man Steuern nicht für ein geeignetes
Instrument hält, da sie die Hauptursache für Übergewicht, das Missverhältnis
zwischen Kalorienaufnahme und -verbrauch, nicht angehen, sagte der Sprecher
des Unternehmens dazu. Es gebe keine an Kinder unter zwölf Jahren gerichteten
Marketingaktivitäten und eine Richtlinie, nicht an Grundschulen zu verkaufen.
Quelle: Stuckler D, Nestle M (2012) Big Food, Food Systems, and Global Health.
PLoS Med 9(6): e1001242. doi:10.1371/journal.pmed.1001242
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
24
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
VIEL GESCHOLTENE USA - VORREITER BEI
KONSUMENTENINFORMATION?!
Einer der Gestalter dieser Sendung, Christoph Leprich, war gerade in New York –
seine Erkenntnisse: Die Gesundheitsbehörde FDA und weitere staatliche Behörden
haben jene Vorschriften umgesetzt, die von den Lebensmittelkonzernen in der EU
gefürchtet werden. Auf jeder Lebensmittelverpackung ist der Nährwert sehr
leserlich angegeben. Und zwar ohne diesen von 100 ml auf die Gesamtmenge
oder den Tagesbedarf einer erwachsenen Person umrechnen zu müssen.
Auf einer Sandwichpackung ist in Großbuchstaben zu lesen: Dieses Lebensmittel
hat 345 Kalorien.
Auch das Massenmedium Fernsehen wird verantwortungsbewusst eingesetzt. Es
laufen überlange Spots, in denen auf die 35 Zuckerstücke hingewiesen wird, die
sich in einer XL-Softdrink-Flasche verbergen. Außerdem werden demnächst alle
Restaurantketten mit mehr als 30 Filialen, den Kaloriengehalt der angebotenen
Speisen auf der Menükarte abdrucken.
Von solchen einfachen und wirksamen Maßnahmen sind die Staaten der EU
derzeit meilenweit entfernt.
Regionalisierung als Antwort auf die Industrie
Der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx und andere Experten beobachten
einen Gegentrend zur Globalisierung und ungebremsten Verbreitung ungesunder
Lebensmittel – die Regionalisierung.
Guerilla Gardening nennt sich etwa ein Trend, der in immer mehr großen Städten
um sich greift. Das Prinzip: Wer eigenes Gemüse will, aber keinen Garten hat,
sucht sich eine freie Fläche. Als Guerillagärtnerei wurde ursprünglich die heimliche
Aussaat von Pflanzen als subtiles Mittel politischen Protests und zivilen
Ungehorsams im öffentlichen Raum bezeichnet, vorrangig in Großstädten oder auf
öffentlichen Grünflächen. Mittlerweile hat sich Guerilla-Gardening zum urbanen
Gärtnern oder zu urbaner Landwirtschaft weiterentwickelt und verbindet mit dem
Protest den Nutzen einer Ernte beziehungsweise einer Verschönerung trister
Innenstädte durch Begrünung brachliegender Flächen.
Die ungewöhnliche Form des Nahrungsmittelanbaus hat aber noch einen anderen
Hintergrund. Die wachsende Nachfrage nach Bioprodukten und die resultierende
Vermarktung von Bioprodukten im klassischen Lebensmittelhandel haben zu einer
Industrialisierung auch in diesem Bereich geführt. „Die Biobewegung wird
vereinnahmt und das führt zu Konventionalisierungstendenzen. Immer mehr
Menschen verlieren den Überblick und fragen sich, welche Produkte wie
produziert werden und wirklich nachhaltig sind“, sagt Franziskus Forster,
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
25
DAS GESCHÄFT MIT DEN ÜBERGEWICHTIGEN
Agrarexperte des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac. Viele Menschen
wollen bewusste Wahlmöglichkeiten und suchen direkte Kontakte zu Produzenten.
Eine Entwicklung, die so nicht neu sei, derzeit aber wieder einen Aufschwung
erlebe, sagt Forster.
So entstehen etwa Netzwerke und Händler, die versuchen, Versorger und
Verbraucher näher zusammen zu bringen.
In Irland wiederum ist der Lebensmittelhandel dazu übergegangen, bei der
Einkaufsrechnung auszuweisen, wie viel von der Gesamtsumme auf regionale,
irische Hersteller entfällt. Technisch kein Problem – verfügen ja alle Produkte im
einscanbaren Strichcode auch über eine Landeskennzahl. Auf der Rechnung steht
dann: „Vom Gesamtbetrag entfallen xx Prozent auf irische Produkte.“
Der Vorteil, so Ernährungsexperten: Gerade bei Obst und Gemüse habe man
dadurch immer frische Produkte und jene, die auch gerade reif seien.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
26
ANLAUFSTELLEN
ANLAUFSTELLEN
Gesundheitsministerium
www.gesundheitsministerium.at
Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
www.ages.at
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit
www.efsa.europa.eu/
EU-Kommission, Gesundheit und Verbraucherschutz
http://ec.europa.eu/food/index_de.htm
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
www.bfr.bund.de
Verbraucherschutzkompass
www.verbraucherschutzkompass.de
Sensorik Netzwerk Österreich
http://snoe.boku.ac.at/
Österreichische Gesellschaft für Adipositaschirurgie
www.adipositaschirurgie.at
Stiftung Warentest
http://www.test.de/
Greenpeace
http://marktcheck.greenpeace.at/
Foodwatch – Die Essensretter
www.foodwatch.de
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
27
QUELLEN UND LINKS
QUELLEN UND LINKS
Wirtschaftskammer – Lebensmittelindustrie
www.dielebensmittel.at
Adipositas - Herausforderungen für die Lebensmittelindustrie
(Einblicke - Zeitschrift des Verbands der Ernährungswissenschaftler Österreichs,
April 2005)
www.veoe.org/uploads/einblicke/Einblicke_1_05.pdf
Nationaler Aktionsplan Ernährung
http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Ernaehrung/
Richtig essen von Anfang an
http://www.richtigessenvonanfangan.at/
Lebensmittelcharta - Programm für bessere Lebensmittel
www.lebensmittelcharta.at
Nationaler Aktionsplan Ernährung
http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Ernaehrung/
Ernährungspyramide
http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Ernaehrung/Empfehlungen/DIE_OeSTERREICHI
SCHE_ERNAeHRUNGSPYRAMIDE
Initiative zur Salzreduktion in Brot
http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Ernaehrung/Kampagne_Weniger_Salz_ist_g_s
uender_
Aktion gesundes Schulbuffet
http://unserschulbuffet.at/
Untersuchung zu den gustatorischen und olfaktorischen
Wahrnehmungsfähigkeiten von 10- bis 13-jährigen Schulkindern in Österreich
http://www.ama-marketing.at/uploads/media/Studienbericht.pdf
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
28
QUELLEN UND LINKS
Prävention von Übergewicht und Adipositas - Aufgaben von Staat,
Lebensmittelindustrie und Individuum (C. Eichhorn, E. Nagel, Gesundheitswesen
2010; 72(1):10-16)
https://www.thieme-connect.de/DOI/DOI?10.1055/s-0029-1237737
Codex Alimentarius
http://www.codexalimentarius.org/
Bericht der 39. Session des Kodex Komitees über Nahrungsmittelkennzeichnung
http://www.google.at/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&frm=1&source=web&cd=1&ved=
0CE4QFjAA&url=http%3A%2F%2Fwww.codexalimentarius.net%2Fdownload%2Frep
ort%2F765%2FREP11_FLe.pdf&ei=CDPbT_GkIueM4gS_p6GGCg&usg=AFQjCNHLML4
l_gvBdqvaxo3A9LnHyjv3KQ&sig2=E6t7lnKRL6BdCXy5CBKqXw
Junkie Food - Glücksgefühl oder Suchtgefahr? (Netdoktor, 22.12.2011)
www.netdoktor.at/nachrichten/?id=121900
Wahl zur dreistesten Werbelüge des Jahres (Help ORF, 22.05.2012)
http://help.orf.at/stories/1698930/
Trendanalyse der Adipositaschirurgie
http://www.obesityteam.com/at/Literatur/Trendanalyse_Oesterreich.pdf
„Fettsteuer“ erst ab 20 Prozent sinnvoll (Science ORF, 16.05.2012)
http://science.orf.at/stories/1698661/
Dänemark führt Fettsteuer ein
http://news.orf.at/stories/2082179/2082178/
Kinderlebensmittel
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1552720/Kinderlebensmittel-oftKalorienbomben#/beitrag/video/1552720/Kinderlebensmittel-oft-Kalorienbomben
http://foodwatch.de/e10/e50159/e50331/
http://foodwatch.de/kampagnen__themen/kinderernaehrung/daten_und_fakten/ind
ex_ger.html
http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2012-03/kinder-lebensmittel-foodwatch
Kalorientabelle Fastfood
http://www.hoppsala.de/index.php?menueID=302&contentID=1237
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
29
QUELLEN UND LINKS
Kalorientabelle Getränke
http://www.hoppsala.de/index.php?menueID=302&contentID=1242
Kalorientabelle Milch
http://www.hoppsala.de/index.php?menueID=302&contentID=1243
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
30
BUCHTIPPS
BUCHTIPPS
Marita Vollborn, Vlad. D. Georgescu
Die Joghurt-Lüge: Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie
Verlag Bastei Lübbe 2008
ISBN-13: 978-3404606061
Hans-Ulrich Grimm
Tödliche Hamburger. Wie Globalisierung der Nahrung unsere Gesundheit bedroht
Verlag Hirzel 2010
ISBN-13: 978-3-7776-2091-6
Hans-Ulrich Grimm, Maike Ehrlichmann
Die Ernährungsfalle. Wie die Lebensmittelindustrie unser Essen manipuliert. Das
Lexikon
Verlag Heyne 2010
ISBN-13: 978-3-453-17074-2
Hans-Ulrich Grimm
Vom Verzehr wird abgeraten: Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank
macht
Verlag Droemer 2012
ISBN-13: 978-3426275566
Frédéric Beigbeder
Neununddreißigneunzig („39,90“)
Verlag rororo, 2. Auflage 2002
ISBN-13: 978-3499233241
Massimo Carlotto, Francesco Abate
Ich vertraue dir
Verlag Goldmann 2011
ISBN-13: 978-3442473830
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
31
BUCHTIPPS
Jörg Zipprick
In Teufels Küche. Ein Restaurantkritiker packt aus
Verlag Eichborn 2011
ISBN-13: 978-3821865249
Thilo Bode
Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf den Teller lügen
S. Fischer Verlag 2010
ISBN-13: 978-3596188482
Thilo Bode
Abgespeist: Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun
können
S. Fischer Verlag 2008
ISBN-13: 978-3596176298
Gute Gesellschaft Verlag
Einkaufsführer durch den Lebensmitteldschungel
Verlag Gute Gesellschaft, 2. Auflage 2009
ISBN-13: 978-3981294002
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
32
SENDUNGSGÄSTE
SENDUNGSGÄSTE
In der Sendung Radiodoktor – Medizin und Gesundheit vom 18. Juni 2012
sprachen:
Ass. Prof. DI Dr. Klaus Dürrschmid
Universität für Bodenkultur Wien
Department für Lebensmittelwissenschaften und -technologie
Institut für Lebensmittelwissenschaften
Muthgasse 18
A-1190 Wien
Tel.: +43/2/47654-6295
E-Mail: klaus.duerrschmid@boku.ac.at
Homepage: www.dlwt.boku.ac.at/16139.html
Dr. Hans-Ulrich Grimm
Dr. Watson Der Food Detektiv GmbH & Co KG
Senefelderstraße 19a
D-70178 Stuttgart
E-Mail: interessenten@food-detektiv.de
Homepage: http://www.food-detektiv.de
OA Assoz. Prof. PD DI Dr. Hans-Peter Hutter
Medizinische Universität Wien
Institut für Umwelthygiene
Kinderspitalgasse 15
A-1090-Wien
Tel: +43/1/40160-34930
E-Mail: Hans-Peter.Hutter@meduniwien.ac.at
Homepage: http://www.meduniwien.ac.at/umwelthygiene/
Elisabeth Jäger
Leiterin der Österreichischen Adipositas Selbsthilfegruppen Hilfe zur Selbsthilfe bei Fettleibigkeit
A-3552 Lengenfeld
Tel.: +43/664/824 0992
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
33
SENDUNGSGÄSTE
E-Mail: elisabeth-m.jaeger@a1.net
Homepage: www.adipositas-shg.at
Ass.-Prof. Mag. Dr. Regine Schönlechner
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Lebensmitteltechnologie (LMT)
Muthgasse 18
A-1190 Wien
Tel.: +43/1/47654/6606
E-Mail: regine.schoenlechner@boku.ac.at
Homepage: http://www.dlwt.boku.ac.at/lmt.html
Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak
Facharzt für Innere Medizin und Präsident der Österreichischen AdipositasGesellschaft
Universitätsklinik Graz
Auenbruggerplatz 15
A-8036 Graz
Tel.: +43/316/385/80246
Ordination: +43/316/33 81 08
E-Mail: hermann.toplak@medunigraz.at
Homepage:
https://online.medunigraz.at/mug_online/visitenkarte.show_vcard?pPersonenId=C4
8D9E6399285858&pPersonenGruppe=3
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
34
SENDUNGSGÄSTE
SENDUNGSGÄSTE
In der Sendung Radiodoktor – Medizin und Gesundheit vom 25. Juni 2012 waren
zu Gast:
BM Alois Stöger, diplômé
Bundesministerium für Gesundheit
Radetzkystraße 2
A-1030 Wien
Tel.: +43/1/711 00-0
E-Mail: buergerservice@bmg.gv.at.
Homepage: http://bmg.gv.at/home/Ministerium_Minister/Minister_Alois_Stoeger/
OA Assoz. Prof. PD DI Dr. Hans-Peter Hutter
Medizinische Universität Wien
Institut für Umwelthygiene
Kinderspitalgasse 15
A-1090-Wien
Tel.: +43/1/40160/34930
E-Mail: Hans-Peter.Hutter@meduniwien.ac.at
Homepage: http://www.meduniwien.ac.at/umwelthygiene/
Dr. Michael Blass
Fachverbandsgeschäftsführer Wirtschaftskammer der Nahrungs- und
Genussmittelindustrie
Zaunergasse 1-3
A-1030 Wien
Tel.: +43/1/712 21 21/33
E-Mail: m.blass@dielebensmittel.at
Homepage: www.dielebensmittel.at
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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